Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Viertes Kapitel

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Viertes Kapitel

Eine neue Betrachtung des eitlen Lebens vom Standpunkte eines Mannes aus, der zwar für sich in gläubigem Anlehnen an die Vorsehung Gottes und in dankbarem Hinnehmen dessen, was Gott ihm in diesem armen Leben bescheert, Ruhe und Befriedigung gefunden, der aber voll Mitleids ist mit seinen Volksgenossen, die in Elend, Kummer und Verkehrtheit dahingehn. Der Verfasser blickt auf den Druck der äußeren Gewalthaber, unter dem sein Volk seufzt, auf den Neid und Geiz, der noch schwerer als die äußere Tyrannei das Volk belastet, und fügt eine Geschichte eines uns unbekannten Herrschers hinzu zum Beweise, daß auch bei denen, die das Volk bedrücken, kein Glück ist. Lauter Mißverhältnisse und Unordnungen im Leben, lauter Widersprüche und Verkehrtheiten - es ist Alles eitel, ganz eitel! Nur im Heiligthume Gottes bei andächtiger Versenkung in Gottes Wort ist das Heilmittel gegen die Wunden zu finden, die die Erkenntniß der Eitelkeit aller Dinge schlägt. Es ist eine Betrachtung des gläubigen Verstandes doch in der Art, daß der Verstand in den ersten 16 Versen fast allein als Wortführer erscheint, damit durch die traurigen Resultate, zu denen der Verstand kommt, die Seelen gelockt würden, aus dem eitlen Leben ohne Glauben sich zu bekehren zu dem Leben, das dem Verfasser selber aufgegangen ist in der gläubigen Hinwendung zu der Vorsehung Gottes. Im Schlußvers bricht dann wie die Sonne aus dunklem Gewölk der lichte Glaube hervor und weist die zerschlagenen Gemüther in Gottes Haus und Wort.

V. 1. Ich wandte mich und sahe an Alle, die Unrecht leiden unter der Sonne; und siehe da waren Thronen derer, die Anrecht litten, und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht thaten, waren zu mächtig, daß sie keinen Tröster haben konnten.

Es giebt der Thränen, nach dem bekannten Dichtwort, unter dem Monde sehr viel. So heiß nun auch diejenigen Thränen sind, die der Mensch weint über Leid, das unmittelbar aus Gottes Händen kommt, so ist doch immer für diese Art von Thränen der Trost am nächsten, wenigstens für diejenigen, die da wissen, daß Gott züchtigt, die er lieb hat, und daß des Vaters liebe Ruthe seinen Kindern allewege gut ist. Gilts einmal Beugung, so beugt sich der Mensch noch am leichtesten unter Gottes gewaltige Hand und läßt sich sagen: „Auch das Bitterste und Schwerste dient zu deiner Seligkeit; sicher bist du nicht der Erste, der sein Kreuz einmal benedeiet.“ Viel heißer und brennender sind die Thränen, die der Mensch weint über Leid, das ihm Menschen zufügen. Als einst David die Wahl gestellt wurde, ob er zur Strafe für seine Sünde Peinigung von den Menschen oder von Gott haben wolle, sprach er zu Gad 1. Chron. 22, 13: „Mir ist fast angst, doch ich will in die Hand des Herrn fallen; denn seine Barmherzigkeit ist sehr groß, und will nicht in Menschenhände fallen.“ Zwar steht ja auch das Leid, das Menschen uns zufügen, unter Gottes Zulassung und Regiment - aber es ist doch eben ein andres Ding, ob die Kinder vom Vater persönlich Ruthenstreiche empfangen oder durch seine bösen und gottlosen Knechte gestäupt werden. Das Volk Israel hatte nach der flüchtigen, ersten Freude in der Zeit der Wiederansiedelung unter Cyrus langjährige Drangsal persischer Herrschaft zu ertragen; die Trabanten der persischen Könige waren gar gottlose Knechte, die ihre Lust darin sahen, das Volk Gottes zu quälen und zu peinigen. Daher die vielen bitteren Thränen derer, die da Unrecht litten im Lande. Und der Trost war ferne. Die ihnen Unrecht thaten, waren zu mächtig, daß sie keinen Tröster haben konnten, wörtlicher übersetzt: Von der Hand ihrer Unterdrücker litten sie Gewalt und hatten keinen Tröster. Es giebt ja zwar auch in dem schwersten Leid, das von Menschenhand über uns kommt, der Gott der Barmherzigkeit reichen Trost; aber doch nur denen, die ihn lieben, und das war eben der größte Jammer dazumal, daß das Volk Gottes im Großen und Ganzen seinen Gott verlassen hatte und darnach jagte, in allen möglichen menschlichen Bestrebungen das zu erhaschen, was man von Gott zu erbitten aufgegeben hatte. Mit der Entfremdung von Gott ging die Trostlosigkeit Hand in Hand, und düstere Schwermuth war die Signatur der Zeit. Der Verfasser, ein Kind seiner Zeit und seines Volks, nimmt diese düstere Schwermuth in seine Betrachtung auf, obwohl er selbst für sich, wie die vorangegangnen Kapitel beweisen, dieselbe schon überwunden hatte in frommem Anlehnen an die Vorsehung des ewigen Gottes; er nimmt sie auf, um seinem Volk zu zeigen, an welche Abgründe es gerathe, wenn es nicht die große Wendung von der Eitelkeit der Eitelkeiten zu dem Gott der Ewigkeiten vollziehe.

V. 2. Da lobte ich die Todten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebenden, die noch das Leben hatten.

Ich lobte, nämlich, indem ich mich auf den Standpunkt der gott- und glaubenslos Leidenden versetzte. Giebt es keinen Gott im Himmel, dann herrscht der Teufel auf Erden; und dann ist es allerdings besser, vom Leben erlöst zu sein und in der Grube zu liegen. „Ich wollt' ich wäre todt!“ man hört ja leider dieses Lob der Todten oft auch von niedergeschlagenen Seelen mitten in der Christenheit, von solchen niedergeschlagenen Seelen nämlich, denen der lebendige Gott abhanden gekommen ist. Die Entfernung von Gott führt im Elend zur Verzweiflung am Leben.

V. 3. Und der noch nicht ist, ist besser, denn alle beide, und des bösen nicht inne wird, das unter der Sonne geschiehet.

Weil Leben, Elend und Eitelkeit ist und doch die Todten auch das Leben haben durchkosten müssen, so erscheint denen, die ohne Gott und ohne Hoffnung leiden, gar nicht gelebt zu haben noch besser und Wünschenswerther, als gestorben zu sein. Auch diesen Wunsch muß man ja oft aus christlichem Munde hören: „Warum hat mich Gott geschaffen und mich in dies eitle Leben gesetzt? Ich wollte, ich wäre nie geboren, dann hätte ich nie etwas von Qual und Mühseligkeit erfahren!“ Mit solchen Wünschen der Verzweiflung schleudert man schwere Anklagen gegen den Allmächtigen selbst, als ob er damit, daß er uns hat geboren werden lassen, uns keine Wohlthat, sondern vielmehr die größte Uebelthat erwiesen hätte. Es sind aber keine Anklagen ungerechter als diese. Was Gott gemacht hat, siehe das ist Alles sehr gut; durch die Sünde der Menschen ist das Verderben in die Welt gekommen, die Sünde ist der Leute Verderben. Warum murren die Leute im Leben also? Ein jeglicher murre gegen seine eigne Sünde. Sündenerkenntniß führt zurück aus der Sünde zu Gott, aus dem Zweifeln und Verzweifeln zum Ergreifen seines tröstenden Erbarmens, Weil der Verfasser seinen im Elend schmachtenden Volksgenossen die Zuwendung zu Gott, bei dem allein stichhaltiger Trost zu finden ist, wünscht, darum stellt er ihnen die ganze, volle Trostlosigkeit des Lebens und Leidens ohne Gott mit ihren groben Jammerausbrüchen so nackt vor Augen.

V. 4. Ich sähe an Arbeit und Geschicklichkeit in allen Sachen, da neidet Einer den Andern, da ist je auch eitel und Mühe.

Die Betrachtung geht von dem Leiden des unterdrückten Volkes auf sein Thun über - und auch sein Thun war nicht minder unselig, als sein Leiden. Ist für den Schmerz des schweren Leids in treuer und angestrengter Berufsarbeit ein Gegengewicht zu finden, so daß Bekümmerte, um ihren Kummer zu tragen und zu überwinden, nichts Besseres beginnen können, als zu beten und zu arbeiten: so muß doch aller Segen der Arbeit in sich selbst zerfallen, wenn mit der Arbeit das Scheelsehen auf Andere, das Beneiden derer, die größere Geschicklichkeit oder größere Erfolge aufzuweisen haben, Hand in Hand geht. Und so stand es zu jener Zeit, daß, die das gemeinsame Unglück hätte verbinden sollen, sich unter einander mit neidischen Augen ansahen. Ach, man kennt ja leider auch in der Christenheit den Brotneid, das gegenseitige Beneiden derer, die gleiche Berufsgeschäfte haben. Und doch gewinnt der Mensch mit dem Neiden durchaus nichts; der Neid sucht den Streit, und der Streit findet das Leid; wo Neid und Zank ist, sagt der Apostel Jacobus 3, 16, da ist Unordnung und eitel böses Ding. Der Neid entzweit uns mit Gott, mit den Menschen und mit uns selbst. Die heilige Schrift warnt deshalb oft und nachdrücklich vor ihm und mahnt ihn zu bekämpfen und auszurotten. Eine solche Bekämpfung und Besiegung des Neides ist aber nur möglich durch gründliche Zuwendung zu Gott, wie der Verfasser sie in den beiden vorigen Kapiteln geschildert hatte und wie sie bei ihm selbst vorhanden war. Indem der fromme Weise Alles, also auch den Erfolg und Segen seiner Arbeit, dankbar aus Gottes Händen nimmt, gewinnt er damit auch die Liebe, die nicht scheel sieht, wenn Andre Glück haben, sondern sich vielmehr der Barmherzigkeit freut, die Gott an den Brüdern thut.

V. 5. Denn ein Narr schlägt die Finger in einander und frisset sein Fleisch.

Das freilich ist eine Narrheit, so meint es der Verfasser, wenn man seine Hände müßig zusammenlegen und von seinem eignen Fleische zehren wollte. Weil die Arbeit von Neid verbittert wird und zu neidischen Gedanken verleitet, so darf man doch deswegen nicht die Hände in den Schooß legen, das hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen - das hat seine Gültigkeit für alle Adamskinder, und Müßiggang ist aller Laster Anfang. Wie Gott selbst und wie der Sohn in nie ruhender Thätigkeit ist - „mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch“ sagt der Herr Christus, - so soll auch der Mensch durch rege Thätigkeit aller seiner Kräfte den loben, der ihn zu seinem Bilde schuf. Arbeitsschweiß an Händen hat mehr Ehre, als ein goldner Ring am Finger. Wer von körperlicher Arbeit befreit ist, ist um so mehr zu geistiger verpflichtet. Der Herr kann in seinem Reiche keine Tagediebe gebrauchen.

V. 6. Es ist besser eine Hand voll mit Mühe, denn beide Fäuste voll mit Jammer.

Ein Vers, der uns auch Sprüche 15, 16 begegnet, wo es heißt: Es ist besser ein wenig mit der Furcht des Herrn, denn großer Schatz, darin Unruhe ist. So thöricht und sündlich die Faulheit ist, so ist doch die Vielgeschäftigkeit, die aus der Gier, immer mehr zu besitzen, entspringt, nicht minder thöricht und sündlich. Der Jammer dessen, der beide Fauste voll hat, ist die Sucht nach Mehr und das Beneiden derer, die mehr haben. Dem gegenüber ist zu preisen die Ruhe dessen, der zwar nur eine Hand voll hat, aus der Hand in den Mund leben muß, sich aber bei seiner fleißigen Arbeit um das tägliche Brot das Leben nicht verbittert durch die wilde Jagd nach den Gütern dieser Welt und durch das Scheelsehen auf diejenigen, die bessere Tage haben. Wenn der Verfasser in seiner Zeit das gottselige, ruhige Leben in stillem, neidlosem Fleiß schmerzlich vermißte, so ist ja leider auch in unsrer Zeit Grund genug Klage zu fühlen, sowohl über widerwärtigen Müßiggang vieler Unbemittelten, deren ganze Lebensweisheit in der Spekulation auf die Taschen der Reichen besteht, als auch über die neidvolle, gierige Hast zu erwerben, die so Viele nicht zur innerlichen Ruhe kommen läßt, sondern sie vom Hundertsten in's Tausendste jagt. Der Herr erwecke und mehre in uns den stillen, genügsamen Sinn, der da erwirbt, als erwerbe er nicht, und zufrieden ist, wenn er Nahrung und Kleiber hat. Es ist ein groß Gewinn, sagt Paulus, wer gottselig ist und lässet ihm genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns begnügen. Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel thörichter und schädlicher Lüste, welche versenken die Menschen in's Verderben und Verdammniß.

V. 7. Ich wandte mich und sähe die Eitelkeit unter der Sonne.

Dieser Vers schließt nicht das Vorige, sondern eröffnet ein Neues. Von der Betrachtung des neidischen, gierigen Thuns und Treibens im Allgemeinen wendet sich das Auge jetzt insbesondere auf die wüste Geldgier derer, die nicht Kind, noch Kegel haben, als auf die kläglichste und jammervollste Erscheinung der Habsucht.

V. 8. Es ist ein Einzelner und nicht selbander und hat weder Kind, noch Brüder, noch ist seines Arbeiten kein Ende und seine Augen werden Reichthums nicht satt. Wem arbeite ich doch und breche meiner Seele ab? Das ist je auch eitel und eine böse Mühe.

Wie sehr der Geiz die menschliche Natur entwürdigt, wie sehr er das Herz zusammenschnürt, das zeigt so recht das Bild eines familien- und freundschaftslosen habsüchtigen Mannes. Trotzdem er außer seiner eignen armen Persönlichkeit Niemand zu versorgen hat, schafft und rafft er doch das Geld und das Gold zusammen, als ob es gälte. Tausende zu versorgen. Wohl hätte auch dieser Mann der Brüder und Schwestern genug, die er mit seinem Mammon unterstützen könnte, aber für ihn besteht das Gebot gar nicht: Liebe deinen Nächsten, als dich selbst. Das Geld ist sein Gott, das Geld ist auch sein Nächster; er jagt nach dem Golde um des Geldes willen. Wie schrecklich, wie abscheulich ist die Habsucht im Bunde mit der Selbstsucht und Lieblosigkeit! Der geizige Familienvater hat doch wenigstens noch einen Verwand für seinen Geiz, indem er sagt: Ich sorge für meine Kinder; so wenig stichhaltig dieser Vorwand ist. Aber dem einzelnen und vereinzelten Geizhals fehlt selbst dieser scheinbare Vorwand. Bei ihm ist die Thorheit und Sünde mit Händen zu greifen. Der Satan mag selten einen größeren Triumph haben, als wenn er den einzelnstehenden Manschen so erniedrigen kann, daß er ihn mit Leib und Seele an's Geld bindet. Bei einem Schiffbruch setzte sich Jemand auf einen Geldkasten und sagte: Wo der bleibt, da bleibe ich auch! Er kam sammt dem Geldkasten in den Fluthen des Meeres um. So geht es jedem Menschen, der da denkt und spricht: Du, Gold, bist meine Zuversicht, du, Goldklumpen, bist mein Trost. Er leidet jämmerlich Schiffbruch und wird mitsammt seinem Golde verdammt. Er hat von diesem Leben nichts gehabt, weil er um des elenden Goldes willen „seiner Seele alles Gute abbrach,“ er hat von jenem Leben nichts, denn Gold geht durch alle Thüren, ausgenommen durch die Himmelsthür.

V. 9. So ist es je besser Zwei denn eins, denn sie genießen doch ihrer Arbeit wohl.

Der Verfasser nimmt hier und in den folgenden Versen Veranlassung, von den Vorzügen des Lebens in Gemeinschaft gegenüber dem egoistischen Einzelleben zu sprechen. Es bilden diese Verse gleichsam eine Predigt über das Gotteswort 1 Mose 2, 18: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Obwohl der nächste Sinn dieses Gotteswortes auf die eheliche Gemeinschaft geht, so liegt doch auch der weitere Sinn darin, daß aller Reichthum, den die Welt darbietet, den Menschen doch allein und elend läßt, wenn ihm die ebenbürtige Genossenschaft fehlt. Auf Gemeinschaft ist die Entwicklung unseres Lebens gegründet, auf Gemeinschaft sind wir nach Leib, Seele und Geist angelegt; mönchische Einsiedelei des Menschen ist nicht der Wille des großen Gottes, der selbst in der Dreifaltigkeit existirt und sich mit einer Menge himmlischer Heerschaaren umgeben hat. In unserm Verse wird derjenige Segen der Gemeinschaft hervorgehoben, der sich in dem fröhlichen Genusse der Arbeit kund thut. Getheilte Freude ist doppelte Freude; getheilter Genuß dessen, was man mit der Arbeit gewonnen, doppelter Genuß.

V. 10. Fällt ihrer Einer, so hilft ihm sein Geselle auf. Wehe dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist Kein Andrer da, der ihm aufhelfe.

Während der, der da spricht: Selbst ist der Mann, der für sich selber lebende Egoist in Gefahren schutzlos ist, gewähren Zweie sich einander Schutz und Hülfe. David und Jonathan im alten Testamente, Paulus und Timotheus im neuen Testamente sind dafür glänzende Beispiele. „Wer ohne Freund ist, lebt nur halb,“ sagt ein deutsches Sprüchwort, und ein anderes: „Ohne Bruder kann man leben, aber nicht ohne Freund.“ Die edelste Freundschaft ist die christliche, da man sich einander aufhilft nicht nur in irdischen Nöthen, sondern da Einer des Andern Last trägt auch in geistlicher Beziehung und man, so der Freund etwa von einem Fehler übereilet wird, ihm wieder zurecht hilft mit sanftmüthigem Geiste.

V. 11. Auch wenn Zweie bei einander liegen, wärmen sie sich; wie kann ein Einzelner warm werden?

Das Gefühl der Verlassenheit ist der unzertrennliche Begleiter der gemeinen Selbstsucht; Freunde dagegen, die sich eng an einander anschließen, machen einander warm d. i. machen sich das Leben wohlthuend und angenehm. Um das Herz und das Leben dessen, der sich egoistisch abgeschlossen hat, legt sich eine Eisdecke, die je länger, desto härter wird; dahingegen weht durch das Leben derer, die freundschaftlich mit einander verkehren, ein warmer, wohlthuender Hauch. War das schon im alten Bunde der Fall, so noch mehr im neuen. Die christliche Freundschaft, da man „längst vermißte Brüder“ in Christi Jüngern findet, ist ein Klima, das der Seele Freude und Frieden zufächelt.

V. 12. Einer mag überwältiget werden, aber Zween mögen widerstehen; denn eine dreifältige Schnur reißet nicht leicht entzwei.

Gemeinschaft macht stark, das ist der Gedanke, der in diesem Verse in malerischer Anschaulichkeit ausgedrückt wird. Das: „Mit unsrer Macht ist nichts gethan“ erfährt der Mensch am schärfsten und schneidendsten, wenn er für sich allein steht, die Isolirung führt zur Ohnmacht. In der Vereinigung mit Andern wachsen die Kräfte. Ein Faden, für sich allein, reißt leicht; werden aber drei Fäden zu einer Schnur gewunden, so entsteht daraus ein festes Band. Es ist hier allerdings nur die Rede von der irdischen Stärke eines gemeinschaftlichen Lebens; der Ausspruch erleidet aber auch geistliche Anwendung. Gemeinschaftliche Andacht ist unendlich segensvoller als einsame Einzelandacht. Besonders gilt das für das Gebetsleben. Je mehr Kohlen da zusammengelegt werden, desto größer wird das Feuer.

Kann ein einiges Gebet
Einer gläub'gen Seelen,
Wenn's zum Herzen Gottes geht,
Seines Zwecks nicht fehlen,
Was wird's thun,
Wenn sie nun
Alle vor ihn treten
Und zusammen beten?

V. 13. Ein arm Kind, das weise ist, ist besser, denn ein alter König, der ein Narr ist und weiß sich nicht zu hüten.

Es beginnt eine neue, die letzte Gedankenreihe des Kapitels. Das unterdrückte Volk war unglückselig in seinem Leiden, wie in seinem Thun, das hatte der Verfasser bisher ausgeführt. Jetzt blickt er von den Unterdrückten zu den Unterdrückern auf und weist darauf hin, daß dort nicht minder Alles eitel sei, wie hier. Und zwar zeigt der Verfasser dies dadurch, daß er seinen Lesern eine Geschichte in's Gedächtniß ruft, die unlängst passirt sein mußte, von der wir aber nichts Näheres wissen. Wahrscheinlich ist es, daß diese Geschichte an dem Hofe irgend eines der vielen Satrapen, der Unterkönige des persischen Reichs vor sich gegangen ist. Ein armer Jüngling - so ist zu übersetzen statt: ein armes Kind - und ein alter König waren vorhanden, jener weise, dieser närrisch und taub gegen alle Warnungen seiner verständigen Rathgeber.

V. 14. Es kommt Einer aus dem Gefängniß zum Königreich; und Einer, der in seinem Königreich geboren ist, verarmet.

Wörtlich: Denn aus dem Gefängniß kam er zum Königreich, dann, auch in seinem Königreich geboren, wird er arm. Der erste Satz geht auf den weisen Jüngling, der zweite auf den thörichten König. Die Herrscherwillkühr der heidnischen Regenten füllte die Gefängnisse mit ihren Opfern; der weise Jüngling mochte eben ins Gefängniß geworfen sein, weil er in Verdacht stand, nach der Königskrone zu trachten. Er aber kam aus dem Gefängniß zum Throne, ähnlich wie weiland Joseph in Egypten. Der alte König aber kam in Folge seiner eignen Thorheit um Thron und Krone und mußte in's Elend wandern. Fürwahr ein ergreifendes Zeichen der Eitelkeit der menschlichen Dinge, daß nicht Roß, nicht Reisige schützen die steile Höh', wo Fürsten stehn, daß so mancher Purpurgeborne um Land und Leute kommt. Israel, das den Verlust seiner weltlichen Herrschaft gar nicht verschmerzen konnte, sollte durch diese Geschichte sich mahnen lassen, zu bedenken, daß auch weltliches Regiment auf Erden zu den Eitelkeiten der Eitelkeiten gehört: es giebt nur Einen Thron, der die Verheißung hat, daß er niemals wankt und schwankt, das ist der Thron des großen Gottes; von seinem festen Thron stehet Er auf Alle, die auf Erden wohnen, und ob Fürsten und Völker wider ihn rathschlagen; der im Himmel wohnet, lachet ihrer, der Herr spottet ihrer. O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat!

V. 15. Und ich sähe, daß alle Lebendige unter der Sonne wandeln bei einem andern Kinde, das an jenes Statt soll aufkommen.

„Bei einem andern Kinde“ heißt wörtlich: mit dem Zweiten, dem Jünglinge. Es ist nicht die Rede von einem bisher noch nicht genannten Jüngling, sondern von ebendemselben, dessen V. 13. 14 erwähnten. Der Jüngling kommt anstatt des alten Königs auf den Thron und wird umjauchzt von dem Geschrei der Menge. Berechtigt doch auch seine Weisheit zu den schönsten Hoffnungen. Allein man kennt das, nichts ist so wandelbar als Volksgunst; wie bald kann auf das Hosianna das Kreuzige folgen!

V. 16. Und des Volks, das vor ihm ging, war kein Ende und deß, das ihm nachging; und wurden sein doch nicht froh. Das ist je auch eitel und ein Jammer.

Statt „das ihm nachging und wurden sein doch nicht froh“ ist zu verbinden: Die hinten nach kommen, werden sein doch nicht froh. Sie werden sein nicht froh, sie haben ihn nicht lange als König. Des Jünglings Herrschaft brach auch bald zusammen. Glück und Glas wie leicht bricht das! So ist sonnenklar, daß das Leben der Herrscher nicht minder, als das der Beherrschten von der Eitelkeit zernagt wird. Ist dem aber so, liegt der Fluch der Eitelkeit auf allem irdischen Leben, wohin soll denn die Seele flüchten, daß sie Frieden finde? Auf diese Frage giebt zum Schluß der Glaube des Verfassers eine treffliche und volltönende Antwort:

V. 17. bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehest und komme, daß du hörest. Das ist besser, denn der Narren Opfer, denn sie wissen nicht, was sie böses thun.

Es ist ja dies einer der allerbekanntesten Aussprüche des Prediger Salomo, ein goldnes Wort für alle Kirchengänger. In unsern deutschen Bibeln ist dieser Vers schon zum folgenden Kapitel gezogen, allein er gehört als abschließendes Glaubenswort durchaus noch zu diesem Kapitel. Der Verfasser lockt Alle, die sich die Eitelkeit des Lebens zu Herzen nehmen, in das Heiligthum Gottes. Gegen den Schmerz der Eitelkeit giebt es nur in der Frömmigkeit Trost. Aber nicht in einer blos äußerlichen, ceremoniösen, seelenlosen Frömmigkeit. „Die Thoren, die nicht wissen, daß sie Böses thun,“ die ihre Sünde nicht erkennen und bekennen, gehen auch in's Heiligthum und bringen ihre Schlachtopfer dar; allein mit diesem geistlosen, gewohnheitsmäßigen Abthun des Gottesdienstes ist nichts gethan. Nur eine gründliche, herzliche Frömmigkeit ist dem Herrn angenehm und bringt dem Menschen Ruhe und Frieden. Darum gilt es beim Gange in's Haus Gottes, den Fuß zu bewahren und zu kommen, daß man höre. Das „Hören“ als ein Haupttheil des Gottesdienstes, weist weil über die salomonische Zeit hinaus auf die Zeit noch der babylonischen Gefangenschaft, wo die Vorlesungen und Auslegungen des alten Testamentes in den Schulen und Bethäusern entstanden. Gottes Wort soll im Heiligthum gehört werden - wer aber kann es zum Segen hören, wenn er nicht spricht wie Samuel im Tempel: Rede, Herr, denn Dein Knecht höret!'

Sieh', wir sitzen Dir zu Füßen,
Großer Meister, rede Du;
Sieh', wir hören Deiner süßen
Rede heilsbegierig zu.
Lehr' uns, wie wir selig werden;
Lehr' uns, wie wir unsre Zeit,
Diese kurze Zeit auf Erden
Nützen für die Ewigkeit!

Um aber in solcher gottseligen Herzensverfassung dem im Heiligthum gepredigten Worte des Herrn zu begegnen, muß man „seinen Fuß bewahren,“ wenn man dem Heiligthume sich naht. Man darf nicht gewohnheitsmäßig kommen; man muß die Bilder aus dem Alltagsleben zu Hause lassen; man muß mit innerer Sammlung, man muß mit herzlicher Buße und herzlichem Verlangen, man muß (Luc. 2, 27) „auf Anregen des Geistes“ kommen. Wer also kommt und also hört, dem wird in Gottes Heiligthum das Herz gesunden vom Schmerz der Eitelkeit; denn er wird das Nahesein dessen erfahren, der ewig ist und barmherzig und für die tiefsten Gebrechen unsrer Natur und unseres Lebens eine ewige Erlösung hat. Im alten Testamente war diese Erlösung nur vorgebildet und vorhergesagt; im neuen Testamente gründen sich die Gottesdienste auf die vollbrachte Erlösung. Um wie viel mehr also haben wir Kinder des neuen Bundes das Wort zu beherzigen: Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause gehest und komme, daß du hörest! Möge der Herr selber uns dies Wort des Predigers auf die Tafeln unsers Herzens schreiben; wir aber wollen Ihn bitten:

Gieb, daß ich meinen Fuß bewahr',
Eh' ich mit Deiner Kirchenschaar,
O Herr, zu Deinem Hause geh',
Daß ich da heilig vor Dir steh'!
Bereite mir Herz, Mund und Hand
Und gieb mir Weisheit und Verstand,
Daß ich Dein Wort mit Andacht hör'
Zu Deines großen Namens Ehr'.

Amen.

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