Calvin, Jean - Die Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu nach harmonischer Zusammenstellung der Berichte des Matthäus, Markus und Lukas erklärt - Erster Abschnitt. Mariä Verkündigung.

Calvin, Jean - Die Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu nach harmonischer Zusammenstellung der Berichte des Matthäus, Markus und Lukas erklärt - Erster Abschnitt. Mariä Verkündigung.

I.

Luk. 1,26. Im sechsten Monat aber ward der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, mit Namen Nazareth, 27. Zu einer Jungfrau, die verlobt war einem Manne mit Namen Joseph aus dem Hause Davids, und der Name der Jungfrau war Maria. 28. Und der Engel kam zu ihr hinein, und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadigte! Der Herr ist mit Dir, gesegnet bist Du unter den Weibern! 29. Sie aber, als sie ihn sah, erschrak über seine Rede, und dachte, welch' ein Gruß das sein möchte. 30. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! denn Du hast Gnade gefunden bei Gott. 31. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und seinen Namen Jesus heißen. 32. Dieser wird groß sein, und Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott, der Herr, wird ihm geben den Thron Davids, seines Vaters. 33. Und er wird König sein über das Haus Jakobs in Ewigkeit, und seines Königtums wird kein Ende sein.

26. „Im sechsten Monat aber.“ Es ist in der Tat ein wunderbarer Ratschluss des Herrn, den die menschliche Vernunft nicht zu fassen vermag, dass die Geburt des Vorläufers herrlicher beginnen musste, als die des Sohnes Gottes. Die Verheißung des Johannes, die Zacharias im Tempel empfangen, war allgemein bekannt geworden; Christus dagegen wird einer Jungfrau verheißen in einer unbeachteten Stadt des jüdischen Landes, und die Weissagung bleibt in ihrem Schoß allein verborgen. Es musste aber schon bei Christi Geburt das Wort erfüllt werden, dass Gott durch törichte Predigt selig mache die, so daran glauben (1 Kor. 1,21.). Gott hat nun aber den Schatz dieses Geheimnisses so bei dieser Jungfrau niedergelegt, dass er gleichwohl seiner Zeit zu allen Frommen gelangen sollte. Diese Art der Verwahrung erscheint allerdings verächtlich; aber sie war im höchsten Grade geeignet, sowohl die Demut des Glaubens zu bewähren, als auch den Stolz der Gottlosen zu brechen. Wir aber sollen uns Gott demütig unterwerfen lernen, auch wenn wir nicht gleich immer den Grund seiner Fügungen erkennen, und uns nicht schämen, von der zu lernen, die Christum, Gottes ewige Weisheit, unter ihrem Herzen getragen hat. Wenigstens haben wir uns vor nichts mehr zu hüten, als dass wir durch übermütige Verachtung uns um die Erkenntnis des unvergleichlichen Geheimnisses bringen, das Gott absichtlich den Unmündigen und Gelehrigen hat anvertrauen wollen. Und das ist meines Erachtens auch der Grund, warum Gott eine Jungfrau dazu erwählt hat, die einem Manne verlobt war. Grundlos ist die Meinung des Origenes, wonach Gott darum also verfahren sei, weil er dem Satan das Heil habe verbergen wollen, das er den Menschen zu bereiten gedachte. Er hat vielmehr durch den Ehestand das Geheimnis vor den Augen der Welt verhüllen wollen, damit die Frommen schließlich Den als Gottes Sohn erkennen, der gewöhnlich für Josephs Sohn gehalten wurde. Zwar ist Christus nicht so unbeachtet in die Welt gekommen, dass der himmlische Vater nicht gleich von Anfang an seine göttliche Herrlichkeit an ihm hätte offenbar werden lassen. Denn Engel haben verkündet, dass der Heiland geboren sei. Aber ihre Stimme ward nur von den Hirten gehört, ohne weiter bekannt zu werden. Aufsehen mag allenfalls das eine Wunder erregt haben, dass die Weisen aus dem Morgenlande überall verbreiteten, dass ihnen ein Stern erschienen sei, der die Geburt des höchsten Königs anzeige. Wir sehen jedoch, wie Gott seinen Sohn gleichsam insgeheim verborgen gehalten, bis dass die Zeit seiner vollkommenen Offenbarung gekommen. Da hat ihm dann Gott gleichsam einen öffentlichen Schauplatz errichtet, von wo aus er Allen sichtbar sein sollte. Das Partizipium, das der Evangelist hier gebraucht, bedeutet, dass die Jungfrau damals noch dem Bräutigam versprochen, ihm aber noch nicht als ihrem Ehegatten übergeben war. Denn bei den Juden hatten die Eltern die Gewohnheit, ihre Töchter noch eine Zeitlang nach ihrer Verlobung zu Hause zu behalten. Sonst wäre ja auch das Gesetz von der Schändung einer Verlobten (5 Mose, 22,13.) überflüssig gewesen. Lukas sagt, dass Joseph vom Geschlecht Davids gewesen, weil die Familien nach dem männlichen Stamme bezeichnet zu werden pflegen, worüber ich an einem andern Orte ein Mehreres sagen werde.

28. „Sei gegrüßt, Du Begnadigte!“ Da der Inhalt seiner Botschaft ein wunderbarer und fast unglaublicher war, fängt der Engel damit an, die Gnade Gottes zu rühmen. Und gewiss, da unsere Gemüter nach dem geringen Maße ihrer Fassungsgabe viel zu eng sind, als dass sie die unermessliche Größe der Werke Gottes begreifen könnten, so ist es am besten, dass wir sie zur Betrachtung der unendlichen Gnade Gottes aufmuntern und erheben. Da nun das Fühlen der Güte Gottes die Tür des Glaubens ist, so hält der Engel mit Recht diese Ordnung aufrecht, dass er zunächst das jungfräuliche Herz in die Betrachtung der göttlichen Gnade versenkt, um es dadurch gleichsam erst zu erweitern und geschickt zu machen, das unbegreifliche Geheimnis zu fassen; denn das Partizipium, dessen Lukas sich hier bedient, drückt die freie Gnade und Güte Gottes aus, wie wir es deutlich erkennen können aus Eph. 1,6. wo Paulus von unserer Versöhnung mit Gott handelt, und sagt: „Gott hat uns in seinem geliebten Sohne zu Gnaden angenommen und mit väterlicher Huld umfangen, da wir noch Feinde waren.“ - Der Engel sagt weiter: „Der Herr ist mit Dir.“ Denn wen Gott einmal seiner Liebe gewürdigt hat, gegen den zeigt er sich als einen gnädigen und gütigen Vater, und hört nicht auf, ihn mit Wohltaten zu segnen. Darum folgt auch drittens: „Gesegnet bist Du unter den Weibern.“ Denn den Segen stellt der Engel gleichsam als Wirkung und Unterpfand der göttlichen Gnade gegen sie hin. Der griechische Begriff muss nämlich meines Erachtens hier nicht mit „Gelobte“ sondern mit „Gesegnete“ übersetzt werden und weist auf Marias Glückseligkeit hin. So pflegt Paulus den Gläubigen zuerst Gnade, und darnach Frieden, d. h. alles Gute zu wünschen, um damit anzuzeigen, dass wir dann erst reich und selig sind, wenn wir von Gott, als dem Urheber aller Güter, geliebt werden. Wenn nun Marias Glückseligkeit, Gerechtigkeit und Leben auf Gottes freier Liebe und Gnade beruhen, und alle ihre Tugenden und Vorzüge lediglich Gottes Gaben sind, so tun alle Diejenigen mindestens Unrecht, die uns lehren von ihr zu erflehen, was sie selbst, ebenso wie wir, anders woher hat. Ein grober Unverstand ist es aber, dass die Papisten diesen Gruß, als wenn er ein zauberischer Segen wäre, in ein Gebet verwandelt haben und gar in den Wahnsinn verfallen sind, dass ihre Prediger die Gnade des heiligen Geistes auf der Kanzel nicht anders als durch ihr Ave Maria! erflehen dürfen. Abgesehen aber davon, dass hier von einem bloßen Gruße oder Glückwunsche die Rede ist, greifen sie auch freventlich in ein fremdes Amt, das Gott lediglich dem Engel befohlen hatte. Und doppelt töricht ist ihr Verfahren, da sie nicht, wie der Engel, eine Gegenwärtige, sondern eine Abwesende grüßen.

29. „Sie aber, als sie ihn sah, erschrak.“ Lukas sagt nicht, dass sie durch den Anblick, sondern durch die Rede des Engels erschreckt worden. Warum erwähnt er aber auch den Anblick? Ich meine, er tut es darum, weil Maria, indem sie an dem Engel etwas von der himmlischen Herrlichkeit erkannte, sich bei ihrer großen Ehrerbietung gegen Gott plötzlich entsetzt hat. Sie erschrak also, weil sie fühlte, dass sie nicht von einem sterblichen Menschen, sondern von einem Engel Gottes gegrüßt wurde. Übrigens sagt Lukas nicht, dass sie so erschreckt gewesen, dass sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig war; er bemerkt vielmehr ausdrücklich, dass sie bei vollem Bewusstsein gewesen und dem Engel aufmerksam zugehört habe, da er gleich darauf hinzufügt, dass sie bei sich selbst gedachte, welch' ein Gruß das sein möchte, d. h. was der Engel damit meinte. Es fällt ihr sofort ein, dass der Engel nicht ohne Grund zu ihr gesandt worden. Wir lernen aber an ihrem Beispiel erstlich, dass wir Gottes Werke nicht nachlässig betrachten dürfen, und zum Andern, dass wir sie mit heiliger Scheu und Ehrfurcht erwägen sollen.

30. „Fürchte dich nicht, Maria!“ Dass der Engel sagt, sie solle sich nicht fürchten, erinnert uns aufs Neue an die Schwachheit unsres Fleisches, die es uns unmöglich macht, nicht zu erschrecken, wenn wir den geringsten Funken göttlichen Glanzes sehen. Denn wir müssen uns nicht einbilden, dass Gottes Gegenwart, wenn wir dieselbe recht lebendig fühlen, müßig sei. Da wir nun Alle seinem Gericht und Urteil unterworfen sind, so fangen wir natürlich an zu zittern und zu zagen, bis er sich uns als Vater zeigt. Überdies sah die heilige Jungfrau, dass ihr Volk in einer wahren Flut von Sünden steckte, so dass sie mit Recht vor schwereren Strafen Gottes besorgt war. Um nun ihre Furcht zu verscheuchen, sagt der Engel, dass er gekommen sei, ihr etwas unvergleichlich Gutes zu verkündigen. „Gnade finden“ ist eine hebräische Ausdrucksweise, die Lukas hier gebraucht, und bedeutet soviel als: einen gnädigen Gott haben. Denn man sagt nicht, dass der Gnade gefunden, der sie gesucht hat, sondern dem sie unerwartet angeboten worden ist. Beispiele dafür anzuführen, wäre überflüssig, da deren genug bekannt sind.

31. „Siehe, du wirst schwanger werden.“ Der Engel richtet seine Worte zuerst nach der Weissagung des Jesaias, darnach auch nach andern Stellen der Propheten ein, damit sie der Jungfrau desto mehr zu Herzen gehen; denn solche Weissagungen waren unter den Frommen allgemein bekannt. Dennoch müssen wir dabei bemerken, dass der Engel nicht allein um der Jungfrau willen hier also geredet, sondern auch das Evangelium gebracht hat, welches bald darauf über die ganze Erde verbreitet werden sollte. Darum ist es nicht ohne göttliche Absicht geschehen, dass die Übereinstimmung der alten Weissagungen mit der gegenwärtigen Botschaft von Christi Offenbarung so klar und deutlich hier ausgedrückt worden. Das Zeitwort empfangen oder schwanger werden reicht hin, um die Schwärmerei eines Marcion und Manichäus zu widerlegen. Denn es geht augenfällig daraus hervor, dass Maria keinen ätherischen Leib, noch ein Gespenst geboren hat, sondern die Frucht, die sie zuvor im Leibe empfangen. - „Du wirst seinen Namen Jesus heißen.“ Warum er diesen Namen bekommt, sagt uns Matthäus (1,21.) nämlich weil er sein Volk selig machen werde von seinen Sünden. Auf diese Weise wird uns in seinem Namen das Heil verheißen und gezeigt, warum Christus vom Vater in die Welt gesandt worden, wie er denn selber sagt, dass er nicht gekommen sei, die Welt zu richten, sondern selig zu machen. (Joh. 12,47.) Wir müssen aber wohl bemerken, dass dieser Name ihm nicht nach menschlichem Gutdünken, sondern auf Gottes Befehl vom Engel gegeben worden, damit unser Glaube im Himmel und nicht auf Erden gegründet sei. Er wird abgeleitet von Jescha, was bei den Hebräern so viel als Heil oder Seligkeit bedeutet. Daher kommt dann auch das Zeitwort hoschia, welches erretten heißt. Eine unnütze Spitzfindigkeit ist es, wenn Einige behaupten, dass ein Unterschied zwischen diesem Namen und dem hebräischen Worte (Jehoschua) sei. Dass nun die Rabbinen überall Jesu schreiben, geschieht offenbar aus Bosheit, damit sie Christum nicht mit Ehren nennen, sondern ihn vielmehr bezichtigen, dass er kein echter Jude war. Es hat daher ihre Schreibart nicht mehr Gewicht, als das Gebell eines Hundes. Wenn sie aber sagen, es passe nicht zu der Würde des Sohnes Gottes, dass er einen Namen habe, den auch Andere führen, so könnte man dasselbe auch von dem Namen Christus behaupten. Beide Einwürfe aber sind unschwer damit zu widerlegen, dass, was unter dem Gesetze nur Schatten war am Sohne Gottes vollständig und wirklich zur Erscheinung gekommen, oder aber wesentlich an ihm vorhanden gewesen, was im alten Bunde nur vorgebildet war. Ebenso entbehrt der Einwand jeglichen Grundes, dass der Name Jesus nicht ehrwürdig und schrecklich sei, so dass vor demselben Aller Knie sich beugen müssen, wenn er nicht einzig und allein dem Sohne Gottes angehöre. Denn Paulus legt ihm (Philipper 2,9.) keinen zauberischen Namen bei, in dessen Buchstaben eine besondere Majestät und Herrlichkeit enthalten wäre; er will vielmehr einfach sagen, dass Christo die höchste Gewalt vom Vater gegeben sei, und dass alle Welt vor ihm sich demütigen müsse. Darum sollen wir dergleichen Erdichtungen fahren lassen und wissen, dass der Name Jesus dem Herrn Christo gegeben worden, damit die Gläubigen bei ihm suchen lernen, was ehedem im Gesetze vorgebildet war.

32. „Dieser wird groß sein.“ Dasselbe hatte der Engel auch von Johannes dem Täufer gesagt, den er doch Christo nicht hat gleich stellen wollen. Der Täufer ist in seinem Stande groß; Christi Hoheit aber wird bald darauf als eine solche bezeichnet die ihn über alle Kreaturen erhebt. Denn das steht ihm allein zu, Sohn Gottes genannt zu werden, wie der Apostel Hebr. 1,5. schreibt. Es wird zwar bisweilen auch Engeln und Königen dieser Name in der Schrift beigelegt; doch werden dieselben gewöhnlich Söhne Gottes wegen ihrer Vortrefflichkeit genannt. Nun aber ist es über jeden Zweifel erhaben, dass Gott seinen Sohn von allen Kreaturen unterscheidet, wenn er ihn insbesondere also anredet: „Du bist mein Sohn.“ (Psalm 2,7): Darum wird Christus hier weder mit Engeln noch mit Menschen verglichen, als ob er etwa nur Einer aus der Zahl der Söhne Gottes wäre, sondern was ihm zugeschrieben wird, darf sich kein Anderer anmaßen. Die Könige sind Söhne Gottes, aber nicht von Natur, sondern weil Gott sie einer so großen Ehre gewürdigt hat. Selbst den Engeln gebührt nicht diese Auszeichnung, es sei denn in sofern, als sie unter dem höchsten Haupte alle anderen Kreaturen übertreffen. Auch wir sind Söhne Gottes, wenn wir vom Herrn im Glauben als solche angenommen werden, nicht aber von Natur. Christus dagegen ist der einzige, und eingeborene Sohn Gottes. Dass nun Servet, jener garstige Hund, das Futurum „er wird genannt werden“ gewaltsam dahin deutet, dass Christus nicht der ewige Sohn Gottes sei, sondern erst angefangen habe also genannt zu werden seitdem er unser Fleisch angenommen, ist eine abscheuliche Lästerung. Er schließt nämlich so: Christus ist nicht Sohn Gottes gewesen, bevor er unser Fleisch angenommen und auf Erden erschienen ist, da ja der Engel gesagt: Er wird genannt werden. Ich behaupte aber dagegen, dass die Worte des Engels nichts Anderes besagen wollen, als dass der Sohn Gottes sich als ewiger, wie er zuvor gewesen, nun auch im Fleische offenbaren werde: denn „genannt werden“ heißt: als Solcher erkannt werden. Nun ist aber ein großer Unterschied zwischen diesen beiden Ansichten, ob nämlich Christus angefangen habe der Sohn Gottes zu sein, der er zuvor nicht war, oder aber, ob er sich unter den Menschen geoffenbart habe, damit sie wüssten, dass er der vor Zeiten Verheißene sei. Wenigstens ist es einleuchtend, dass, da Gott zu allen Zeiten von seinem Volke als Vater angerufen worden, auch im Himmel ein Sohn gewesen sein müsse, von welchem und durch welchen jene Vaterschaft auf die Menschen gekommen ist. Denn es ist eine große Vermessenheit, wenn die Menschen es wagen, sich als Kinder Gottes zu rühmen, es sei denn in sofern, als sie des eingebornen Sohnes Gottes Glieder sind. Darum ist es gewiss, dass die heiligen Väter es sich niemals herausgenommen haben würden, Gott in ihren Gebeten als Vater anzurufen, wenn sie sich nicht des Sohnes, als des Mittlers, getröstet hätten. Wozu übrigens jene vollkommenere Erkenntnis Christi, von welcher wir jetzt reden, nütze sei, zeigt uns an einer andern Stelle Paulus, wenn er sagt, dass wir jetzt, ohne uns zu fürchten, Gott nicht allein unsern Vater nennen, sondern auch zu ihm schreien dürfen. (Röm. 8,15. Galat. 4,6.) - „Gott wird ihm den Thron Davids geben.“ Wir haben gesagt, dass der Engel seine Lobrede auf Christum aus den Propheten entlehne, damit die heilige Jungfrau desto besser erkenne, dass er der den Vätern vor Zeiten verheißene Erlöser sein werde. Denn so oft die Propheten von der Wiederherstellung der Kirche reden, weisen sie die ganze Hoffnung der Gläubigen auf das Reich Davids hin, damit es bei den Juden als unumstößlich feststände, dass das Heil der Kirche auf der Wohlfahrt jenes Reiches beruhen würde, und dem Amte des Messias nichts mehr gebühre und anstehe, als das Reich Davids von Neuem wieder aufzurichten. Darum wird auch der Name David bisweilen auf den Messias übertragen, wie z. B. Jeremias 30 9. „Sie werden dem Herrn, ihrem Gott, und ihrem Könige David dienen.“ Ebenso Hesekiel 34,24. und 37,24.: „Mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein.“ Hoseas 3,5.: „Sie werden den Herrn, ihren Gott, und ihren König David suchen.“ Die Stellen aber, wo der Messias Sohn Davids genannt wird, sind hinlänglich bekannt und in großer Menge vorhanden. Genug, der Engel will zu verstehen geben, dass die Weissagung des Amos von der Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids in der Person Jesu Christi werde erfüllt werde. (Amos 9,11.).

33. „Er wird König sein über das Haus Jakobs.“ Da das Heil insbesondere den Juden verheißen, wie denn der Bund mit ihrem Vater Abraham geschlossen worden, und Christus nach Paulus (Röm. 15,8.) ein Diener der Beschneidung war, so sagt der Engel nicht mit Unrecht, dass der Messias über jenes Geschlecht herrschen werde, wie denn auch unter demselben der königliche Sitz gewesen ist. Und dies widerstreitet durchaus nicht den anderen Weissagungen, welche das Reich. Christi bis an die äußersten Enden der Erde ausdehnen. Denn Gott hat später die Heiden, die zuvor Fremdlinge waren, wunderbarer Weise auch zu Kindern angenommen und dem Hause Jakobs einverleibt, doch also, dass die Erstgeborenen den Vorrang hatten, wie es Psalm 110,2. heißt: „Das Zepter Deiner Gewalt wird der Herr aus Zion senden.“ Der Thron Christi war also im Volke Israel aufgerichtet, damit der Herr von demselben aus den ganzen Erdkreis sich unterwerfen sollte. Diejenigen nun, welche er durch den Glauben in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams aufgenommen hat, werden als zum wahren Israel gehörig angesehen. Obwohl aber die Juden durch ihren Abfall sich selbst von der Kirche Gottes ausgeschlossen haben, so wird doch der Herr bis ans Ende einige Wenige von ihnen erhalten, da seine Gaben und Berufung ihn nicht gereuen mögen. Der größte Teil des Volkes ist zwar abgefallen; aber wir müssen an das Geheimnis denken, von welchem Paulus Röm. 11,25. redet, dass nämlich Gott schließlich Einige von den Juden aus der Zerstreuung wieder sammeln werde. Inzwischen ist die Kirche, die über den ganzen Erdkreis zerstreut ist, das geistliche Haus Jakobs, sofern sie ihren Ursprung von Zion herleitet. „In Ewigkeit.“ Der Engel zeigt hier, in welchem Sinn die dem Reiche Davids bei den Propheten so oft verheißene ewige Dauer zu verstehen sei: Denn dasselbe ist nur zu Davids und Salomos Zeiten reich und mächtig gewesen, während schon Rehabeam, ihr dritter Nachfolger, von allen Stämmen Israels, kaum anderthalb behalten hat.

Und von der Zeit an ist das Reich fortwährend durch Niederlagen und Verluste aller Art erschüttert worden, bis es endlich ganz und gar zusammenstürzte. Hier nun erklärt der Engel, dass es, wenn es in Christi Person gegründet sein wird, niemals untergehen könne, und um seine Behauptung zu stützen, führt er die Worte des Propheten Daniel an (7, 14.): „Seines Königtums wird kein Ende sein.“ Obwohl übrigens der Sinn dieser Worte der ist, dass Gott das Reich Christi und die Kirche in alle Ewigkeit bewahren und beschirmen werde, so dass es niemals untergehen solle auf Erden, so lange Sonne und Mond am Himmel scheinen, so ist doch, was hier von seiner wahren Fortdauer gesagt wird, auf seine zukünftige Herrlichkeit zu beziehen. So also folgen in ununterbrochener Reihenfolge in diesem Leben die Gläubigen die Einen auf die Andern, bis sie endlich allzumal im Himmel versammelt, ohne Ende herrschen und regieren werden.

II.

Luk. 1. 34. Maria aber sprach zum Engel: Wie wird das sein, da ich keinen Mann erkenne? 35. Und der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten dich überschatten; darum auch das, was geboren wird, als heilig, Sohn Gottes wird genannt werden. 36. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, hat auch einen Sohn empfangen in ihrem Alter, und geht jetzt im sechsten Monat, sie, die für unfruchtbar gehalten wurde. 37. Denn bei Gott wird kein Wort unmöglich sein. 38. Maria aber sprach: Siehe ich bin des Herrn Magd; mir geschehe nach deinem Worte. Und der Engel ging hinweg von ihr.

34. „Wie wird das sein?“ Die heilige Jungfrau scheint nicht minder Zweifel in Gottes Allmacht zu sehen, als vorhin Zacharias1). Denn weil das Verheißene über den gewöhnlichen Lauf der Natur hinaus geht, hält sie es für unmöglich. Sie schließt nämlich folgendermaßen: Ich weiß von keinem Manne: wie kann ich also glauben, dass geschehen werde, was du verkündigst? Wir dürfen uns auch nicht allzu sehr bemühen, um sie ganz und gar zu entschuldigen. Denn sie hätte im Glauben alsbald Gottes unermessliche Macht bedenken sollen, die an natürliche Mittel durchaus nicht gebunden, sondern größer ist, als die ganze Welt. Statt dessen aber fasst sie allein den gewöhnlichen Verlauf der Zeugung ins Auge. Dennoch müssen wir wohl bemerken, dass sie nicht so zweifelt und fragt, als ob sie Gottes Allmacht ihrem Verstande unterwerfen oder dieselbe darnach bemessen wollte. Es ist vielmehr lediglich die Verwunderung und der Schreck, der sie zu der Frage hinreißt. Dass sie aber in kindlichem Gehorsam die Verheißung ergriffen, geht aus dem Umstande hervor, dass sie, obwohl ihr Manches als unerklärlich und ungereimt darin hätte erscheinen können, dennoch nur in Einem Stücke stutzig wird. Sie hätte nämlich fragen können, wo jener Thron Davids sei, da alle Würde seines Reiches längst geschwunden und der Glanz des königlichen Geschlechtes längst erloschen war. Fürwahr, wenn sie nach menschlichem Verstande hätte urteilen wollen, sie hätte die Worte des Engels für eine Fabel halten müssen. Darum ist es gar kein Zweifel, dass sie von der Wiederherstellung der Kirche vollständig überzeugt, einer nach menschlichem Ermessen unmöglichen Sache bei sich ohne weiteres Bedenken Raum gegeben habe. Wahrscheinlich ist auch damals jene Weissagung des Jesaias (11, 1.), wo Gott verheißt, er werde eine Rute aufgehen lassen von dem verachteten Stamme Isai, bei Jedermann im Schwange gewesen. Also der Glaube an Gottes Gnade, der das Herz der Jungfrau erfüllte, hat es bewirkt, dass sie die vom Engel ihr überbrachte Botschaft von der Wiederaufrichtung des Thrones Davids ohne Widerrede annahm. Will Jemand sagen, es sei auch noch eine andere Weissagung vorhanden gewesen, wonach eine Jungfrau einen Sohn gebären würde, so dient zur Antwort, dass man von diesem Geheimnis damals nur unklare Vorstellungen gehabt hat. Die Väter hofften zwar, dass ihnen ein König geboren werden würde, unter dessen Herrschaft das Volk in Glück und Wohlstand leben sollte, aber die Art und Weise, wie solches zugehen würde, war ihnen gleichsam wie durch einen Schleier verhüllt und ein verborgenes Geheimnis. Darum darf es uns nicht Wunder nehmen, wenn die heilige Jungfrau nach einer Sache fragt, die sie nicht versteht. Dass aber Einige aus ihren Worten geschlossen haben, dass sie das Gelübde einer ewigen Jungfrauschaft getan, ist völlig grundlos, ja sogar ungereimt; denn es wäre dann treulos von ihr gewesen, dass sie sich einem Manne verheiraten ließ, und sie hätte den heiligen Ehebund verachtet und mit Gott dem Herrn Spott getrieben. Obgleich man unter dem Papsttum in diesem Stücke mit unmenschlicher Tyrannei verfahren ist, so hat man doch nie so weit zu gehen gewagt, dass man einer Ehefrau gestattet hätte, nach ihrem Gutdünken Keuschheit zu geloben. Zudem ist es eine kindische Fabel, wenn die Römischen vorgeben, der Mönchsstand sei auch unter den Juden vorhanden gewesen. Dennoch wollen wir auf den Einwurf antworten, und zwar dahin, dass die Jungfrau mit ihren Worten die Zukunft meine und darum zu verstehen geben wolle, dass sie mit keinem Manne Umgang haben werde. Auch liegt die Vermutung nahe, dass die Hoheit, oder vielmehr die Majestät, die in den Worten des Engels lag, die Jungfrau dergestalt in Schrecken versetzt habe, dass sie vor Bestürzung und Verwunderung ihrer Sinne nicht mehr mächtig war. Indem sie hört, es werde der Sohn Gottes geboren werden, vernimmt sie etwas nicht Gewöhnliches, und das ist der Grund, warum sie von keiner männlichen Mitwirkung wissen will und bestürzt ausruft: „Wie wird das sein!“ Darum verzeiht es ihr auch Gott in Gnaden und gibt ihr, da sie demütig und bescheiden, und nicht ohne Bewunderung des göttlichen Werkes gefragt hatte, durch den Engel darüber Aufschluss, wie das zugehen werde, was sie nach ihrer eigenen innersten Überzeugung für viel zu erhaben hielt, als dass es dem gewöhnlichen Laufe der Natur nach hätte geschehen können. Kurz, ihre Frage war darum nicht wider den Glauben, weil sie mehr aus Verwunderung als aus Zweifel entsprang.

35. „Der heilige Geist wird über dich kommen.“ Der Engel gibt keine Erklärung, die der Neugierde hätte Vorschub leisten können, wie denn Solches auch nicht nötig war, sondern er weist die Jungfrau einfach auf die Kraft des heiligen Geistes hin und fordert sie auf, sich derselben ruhig und gelassen zu unterwerfen. Der Ausdruck „über dich kommen“ deutet an, dass das Werk ein außergewöhnliches sein werde, wobei alle natürlichen Mittel ausgeschlossen bleiben. Das zweite Glied: „Und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten,“ wird zur Erklärung hinzugefügt. Denn der Geist ist gleichsam die wesentliche Kraft Gottes, dessen Wirkung nicht nur in der ganzen Weltregierung, sondern auch in Wundern sich zu erkennen gibt. „Überschatten“ ist ein sehr treffender, bildlicher Ausdruck, sofern die Schrift die Kraft Gottes, womit er die Seinen schützt und schirmt, gar häufig mit einem Schatten vergleicht. Es scheint aber das Wort hier an dieser Stelle noch den besonderen Sinn zu haben, dass die Wirksamkeit des heiligen Geistes eine geheime und verborgene sein werde, so dass die Menschen, wie vor einer dichten Wolke nichts davon sehen werden. Da nun Gott bei seinen Wundern uns die Art der Ausführung vorenthält, so ist es unsere Pflicht, in Demut anzubeten, was er nicht offenbaren will.- „Darum auch das, was geboren wird, als heilig.“ Diese Worte sind eine Bestätigung des vorher Gesagten. Denn der Engel erklärt, dass Christus ohne geschlechtliche Vermischung geboren werden müsse, damit er heilig und Gottes Sohn sei, d. h. damit er an Heiligkeit und Herrlichkeit alle Kreaturen übertreffe, und keinen gewöhnlichen Rang unter den Menschen einnehme. Die Häretiker, die da vorgeben, dass Christus erst nach seiner Menschwerdung Sohn Gottes geworden sei, fassen die Causal-Partikel „darum“ in dem Sinne, dass er deshalb Sohn Gottes genannt werden müsse, weil er auf wunderbare Weise durch die Kraft des heiligen Geistes empfangen worden. Aber sie schließen verkehrt. Denn obwohl er im Fleische als Gottes Sohn geoffenbart worden, so folgt daraus doch noch nicht, dass er nicht auch das von Ewigkeit her vom Vater gezeugte Wort gewesen. Vielmehr ist eben derselbe, der nach seiner Gottheit von Ewigkeit her Sohn Gottes war, auch im menschlichen Fleische als Gottes Sohn erschienen. Übrigens zeugt diese Stelle nicht nur von der Einheit der Person in Christo, sie lehrt zugleich auch, dass Christus, sofern er menschliche Natur angenommen, Sohn Gottes sei. Wie also Christus von Ewigkeit her nach seinem göttlichen Wesen im eigentlichen Sinne Sohn Gottes genannt worden, so gebührt ihm jetzt dieser Name in beiden Naturen zugleich, sofern die verborgene und himmlische Weise, auf welche er gezeugt worden, ihn von der Classe der gewöhnlichen Menschen unterscheidet. Zwar nennt er sich öfter an andern Stellen, um zu zeigen, dass er wahrhaftiger Mensch sei, des Menschen Sohn. Aber die Wahrheit seiner menschlichen Natur verhindert nicht, dass er wegen seiner göttlichen Geburt, kraft deren er gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur vom heiligen Geiste empfangen worten, vor allen anderen Menschen geehrt werde. Natürlich werden wir daher nun auch mit desto größerer Zuversicht und kindlicherem Vertrauen es wagen, Gott als unseren Vater anzurufen, da sein eingeborener Sohn hat unser Bruder werden wollen, damit Gott zugleich sein und unser Vater würde. Es ist auch zu bemerken, dass Christus, in sofern er durch die Kraft des heiligen Geistes empfangen worden, ein heiliger Same genannt wird. Denn gleichwie er wahrer Mensch sein musste, um unsere Sünden zu tilgen, und Tod und Satan in unserem Fleische zu überwinden, kurz, um ein wahrer Mittler zu sein, so hat er auch, um Andere zu reinigen, selbst frei von aller Unreinigkeit und Befleckung sein müssen. Obwohl also Christus aus Abrahams Samen gezeugt worden, so ist er doch fern von jeder Berührung mit der verderbten Natur des menschlichen Geschlechts geblieben, da ihn der Geist Gottes von seiner Empfängnis an rein erhalten hat; und zwar nicht bloß zu dem Ende, dass er an und für sich heilig wäre, sondern vielmehr damit er auch die Seinen heiligen könnte. Es bezeugt uns also die Art und Weise der Empfängnis Christi, dass wir einen Mittler haben, der von den Sündern abgesondert ist.

36. „Und siehe, Elisabeth hat auch empfangen.“ Der Engel stärkt Marias Glauben durch Anführung eines ähnlichen Beispiels in ihrer Familie, damit sie um so zuversichtlicher der Erfüllung der wunderbaren Verheißung vertrauen möchte. Denn wenn weder die Unfruchtbarkeit, noch das Alter der Elisabeth den Herrn hat hindern können, sie Mutter eines Kindes werden zu lassen, so hat Maria durchaus keinen Grund mehr, noch länger mit ihren Gedanken innerhalb der gewöhnlichen Schranken der Natur zu verweilen, da sie eine solche Offenbarung göttlicher Allmacht an ihrer Verwandten sieht. Der Engel sagt ausdrücklich: „im sechsten Monat,“ da, sofern die Frauen im fünften Monat die ersten Lebenszeichen ihrer Leibesfrucht spüren, der sechste jeden Zweifel an ihrer Schwangerschaft verscheucht. Zwar hätte Maria bei dem einfachen Worte Gottes sich beruhigen sollen, so dass es nicht nötig gewesen wäre, noch von anderer Seite eine Gewähr dafür herbeizuziehen; damit sie aber nicht mehr wanke, lässt sich Gott dazu herab, seine Verheißung durch dieses neue Mittel noch fester zu begründen. Mit derselben Nachsicht und Langmut trägt und hält er uns noch täglich; ja, je schwächer unser Glaube ist, desto größer ist seine Geduld. Denn damit wir in seine Wahrhaftigkeit keinen Zweifel setzen, sucht er dieselbe durch alle möglichen Arten von Zeugnissen zu bestätigen. Es fragt sich nun, wie Elisabeth, welche von den Töchtern Aarons war, mit Maria, die aus dem Geschlechte Davids stammte, hat verwandt sein können. Auch scheint das wider das Gesetz zu sein, das den Weibern verbot, sich in fremde Stämme hineinzuheiraten (4 Mose 36, 6.). Was nun das Gesetz anlangt, so hat dieses, wenn man auf die Absicht desselben sieht, nur solche Ehen verboten, wodurch die Erbschaften vermischt werden konnten. Das hatte man aber nicht zu besorgen, wenn ein Weib aus dem Stamme Juda einen Priester heiratete, auf den die Erbschaft nicht übergehen konnte. Ebenso verhielt es sich auch, wenn ein Weib aus dem Stamme Levi sich außerhalb ihres Geschlechtes verheiratete. Es ist aber wohl möglich, dass die Mutter der heiligen Jungfrau aus dem Stamme Aarons war und also von der Seite Maria mit Elisabeth verwandt gewesen ist.

37. „Bei Gott wird kein Wort unmöglich sein.“ Will man den Ausdruck „Wort“ in seinem eigentlichen und natürlichen Sinne nehmen, so wird der Gedanke der sein: Gott wird erfüllen, was er verheißen, da kein Hindernis seiner Kraft und Macht widerstehen kann; und die Schlussfolge wäre dann diese: Gott hat es verheißen, also wird er es auch leisten, da gegen sein Wort keine Unmöglichkeit vorgebracht werden darf. Aber da „Wort“ nach hebräischem Sprachgebrauche gewöhnlich so viel als Ding bedeutet, so können wir einfacher erklären: bei Gott ist kein Ding unmöglich. Gleichwohl müssen wir immer den Grundsatz festhalten, dass diejenigen unrecht tun, die sich Gottes Allmacht ohne sein Wort vorstellen und Alles was ihnen gut dünkt, mit seiner Allmacht verteidigen. Denn seine Unermesslichkeit muss so betrachtet werden, dass sie uns eine Quelle der Hoffnung und der Zuversicht sei. Darum ist es nicht nur ein unnützes und unbedachtsames, sondern auch ein gefährliches Unternehmen, wenn man untersuchen will, was Gott möglich ist, und nicht daneben auch fragt, was Gott will. Der Engel tut ferner hier, was Gott fast überall in der Schrift zu tun pflegt - er bekräftigt seine besondere Verheißung mit einer allgemeinen Lehre. Und das ist der rechte und wahre Gebrauch der allgemeinen Lehre, wenn wir die darin enthaltenen Verheißungen auf die besonderen Fälle, die uns begegnen und uns verzagt und kleinmütig machen, anwenden. Denn so lange die Verheißungen nur als allgemeine dastehen, ohne Beziehung auf uns, sind sie zweck- und wertlos. Es ist ferner nicht zu verwundern, dass der Engel Maria die göttliche Allmacht vorhält, da ein Zweifel daran den Glauben an die Verheißungen schlechterdings unmöglich macht. Mit dem Munde bekennen Alle, dass Gott allmächtig ist; wenn er uns aber etwas zusagt, das uns zu hoch scheint, so fangen wir an zu zweifeln. Woher kommt das anders, als daher, dass wir Gott nicht mehr Macht zuschreiben, als wir fassen können? Darum sagt auch Paulus, wenn er Röm. 4, 20 Abrahams Glauben rühmt: er habe Gott die Ehre gegeben und aufs Bestimmteste gewusst, dass er erfüllen könne, was er verheißen. Und an einer anderen Stelle, wo von der Hoffnung des ewigen Lebens die Rede ist, hält er sich die göttliche Allmacht vor und sagt: „Ich weiß auf wen ich mein Vertrauen gesetzt habe, und bin gewiss, dass er mir meine Beilage bewahren kann“ (2 Tim. 1, 12.). Es scheint dies zwar nur ein geringes Maß von Glauben zu sein, da Niemand wohl so gottlos ist, dass er dem Herrn öffentlich die Allmacht abspricht. Wer es aber in seinem Herzen für unumstößlich gewiss hält, dass Gott allmächtig ist, der wird die übrigen Hindernisse des Glaubens mit Leichtigkeit überwinden. Es ist jedoch wohl zu merken, dass Gottes Allmacht mit wahrem Glauben in ihren Wirkungen begriffen und erfasst wird. Denn Gott ist allmächtig und will dafür angesehen werden, damit er mit der Tat beweise, dass er wahrhaftig sei.

38. „Siehe, ich bin des Herrn Magd.“ Die heilige Jungfrau erlaubt sich nicht, noch weiter zu forschen; und gleichwohl ist ihr gewiss noch Vieles aufgestoßen, was ihren Glauben hindern, ja ihr Herz ganz und gar von der Rede des Engels hätte abwenden können. Allein sie unterdrückt Alles, was sie zum Zweifel verleiten könnte, und unterwirft sich in stillem Gehorsam. Und dadurch bewähren wir so recht unseren Glauben, wenn wir die Vernunft im Zügel und gleichsam gefangen halten, damit sie sich nicht unterfange, dem Herrn bald Dies bald Jenes einzuwenden, wie denn auch ein zu kühnes Forschen und Grübeln die Mutter des Unglaubens ist. Es liegt auch kein geringes Gewicht in den Worten: „Siehe, ich bin des Herrn Magd;“ denn Maria übergibt sich ganz und gar dem Herrn, damit er nach seinem Wohlgefallen mit ihr verfahre. Die Ungläubigen nämlich entziehen sich seiner Hand, und hindern, so viel an ihnen ist, sein Werk. Der Glaube aber stellt uns hin vor Gott, damit wir stets bereit seien. zu tun, was uns gesagt wird. Wenn nun die heilige Jungfrau deshalb des Herrn Magd gewesen ist, weil sie sich seinem Befehle gehorsam unterworfen, so gibt es keine ärgere Widerspenstigkeit, als Gott zu fliehen und ihm den Gehorsam, den wir ihm schuldig sind und den er von uns fordert, zu versagen. Kurz, wie nur der Glaube uns zu gehorsamen Dienern Gottes macht und uns ihm unterwirft, so bewirkt der Unglaube, dass wir uns wider ihn auflehnen und vor ihm fliehen. Mir geschehe. Diese Worte können auf zweierlei Art verstanden werden: entweder so, dass die heilige Jungfrau alsbald wünscht und bittet, dass es wahr werde, was der Engel ihr verheißen, oder aber, dass sie fortfährt, dem Herrn sich zu ergeben, und zufrieden ist mit Allem, was nach seinem Willen. über sie ergehen wird. Ich für meinen Teil, erkläre einfach so, dass sie, von der Allmacht Gottes überzeugt, und willig folgend, wohin er sie ruft, auch seine Verheißung für gewiss hält, und auf diese Weise die Erfüllung derselben nicht nur erwartet, sondern auch sehnlichst herbeiwünscht.

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Vergl. V. 18 unsers Kapitels.
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