Passavant, Theophil - Jakobs Kampf - 4. Eine Leiter.

Und Esau ward Jakob gram um des Segens willen, damit ihn sein Vater gesegnet hatte; und sprach in seinem Herzen: Es wird die Zeit bald kommen, da mein Vater Leid tragen muß; denn ich will meinen Bruder Jakob erwürgen. Da wurden Rebecca angezeigt diese Worte ihres größeren Sohnes Esau, denn der gereizte Mann behielt sie in seinem Herzen nicht; die Mutter erschrickt: Mache dich auf, spricht sie zum Jüngeren, und fleuch zu meinem Bruder Laban in Haran. -

Jakob flieht aus des Vaters Haus, die Mutter wird des Sohnes beraubt, der alte Vater siehet ihn lange nicht mehr. Der einstige Vater des Volkes Gottes, der den Segen seines Volkes und aller Völker in sich trägt, hat in jener ersten Nacht auf der Flucht nur einen Stein, sein Haupt hinzulegen; doch er siehet im Traume die himmlische Leiter; - kennest du sie? – Und der oben auf der Leiter stehet, spricht zu ihm: Ich bin der Herr, Abrahams, deines Vaters, Gott, und Isaak's Gott; das Land, da du auf liegest, will ich dir und deinem Samen geben. Und dein Same soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst dich ausbreiten gegen Abend und Morgen, und Mitternacht und Mittag, und in dir und in deinem Samen sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Und siehe, Ich bin mit dir, und will dich behüten, wo du hinzeuchst, und will dich wieder bringen in dies Land. Denn Ich will dich nicht lassen, bis daß Ich thue, was Ich dir geredet habe.
1. Mos. 28.

Du wunderst dich, nicht wahr, über diese Worte; diesen Segen, dem blinden Vater durch List und Lügen erstohlen, dieses Kleinod der Zukunft und der Ewigkeiten, diesen Segen bestätiget Gott dem schuldigen Sohne, als hätte Jakob nichts Ungerechtes gethan, sondern das richtig ist, und das Gott wohlgefällt. Es ist wahr, Gottes Gedanken sind nicht immer unsere Gedanken, und seine Wege sind nicht unsere Wege (Jes. 55); es ist wahr, Der die Herzen kennet und die Nieren prüfet, richtet nicht einen Menschen nach einer einzelnen That seines Lebens, sie sei gut oder böse, sondern nach seines Herzens Grundleben, und dessen innerster, täglicher Stimmung. Es ist wahr, Gott wird uns nicht auf einen einzelnen besonderen Fehltritt hin verlassen; Er gibt uns nicht auf, weil Er uns heute oder gestern im Kleinglauben, in einer Schwachheit, einer Ungerechtigkeit, einer Unlauterkeit, erfunden, sonst hätte er ein Jedes von uns längst aufgegeben, und alle Menschen müßten in ihrer Sünde sterben. Es ist wahr, Er schließt's mit uns nicht nach diesem und jenem Abschnitt, diesem und jenem Tage unseres Lebens ab, und thut uns nicht die Thüre auf, wie ein Herr, billig oder unbillig, seinem Knechte Abschied gibt, und wie eine Frau, mit Recht oder mit Unrecht, ihrer Magd die Thür aufthut; sondern Er siehet das ganze Leben an, und schauet uns an, und schauet uns lange nach, und wartet, und harret, und wehret, mahnet, bewahret, hilft, und strafet, und tröstet, und rettet, und duldet, und duldet wieder, und gehet mit uns und uns nach, bis zu des Lebens letztem Gang und letztem Schritt, da Er dann Selber zuschließt, und Niemand aufthut (Offenb. 3, 7.). Es ist wahr, wenn Gott Einen Menschen aus der Schaar der Sünder heraus erwählet, daß Er sich ihm offenbare, und ihn zu seinem Freunde, seinem Kinde und Erben, machen so wird Gott wohl handeln mit diesem Menschen nach dessen Verhalten, und ihm nach seinem Glauben oder seinem Unglauben, nach seinem Gehorsam oder Ungehorsam, seinem Dank oder Undank, vergelten; und hängt doch dieses Erwählten Seligkeit nicht sowohl von seinem Verhalten im Leben, denn von der Wahl seines Gottes ab, von jener Gnade, die ihn hat erwählet, und ordnet Alles, und lenket Alles, und ebnet vom Anfang bis zum Ende Alles auf der Bahn des Sünders, und ist größer, denn unsere Herzen sind, und größer, denn unsere Sünden sind, und weiß, was für ein Gemächte wir sind, und gedenket daran, daß wir Staub sind (Ps. 103, 14.); und will allein den Ruhm davon haben, auf daß sich vor Ihm kein Fleisch rühme, sondern wer sich rühme, sich rühme des Herrn. Höret mir zu, ihr vom Hause Jakob, und alle Uebrigen vom Hause Israel, die ihr Mir aufgeladen wurdet aus Mutterleibe, und getragen wurdet von Mutterschooß. Bis ins Alter bin Ich derselbe; und bis ins graue Alter will Ich euch tragen. Ich habe es gethan, und Ich werde heben, und Ich werde tragen, und werde erretten. Jes. 45, 3. f.

Aber diese Gnade, die da so geduldig ist, so treu, so groß, sie hat auch ihren großen, göttlichen Ernst. Sie hat ihre Zucht, ihre Züchtigung, ihre Schläge. Sie hält ihre Hand über dem Menschen ihrer Wahl; sie prüfet und erkennet sein Verborgenes in ihm; sie verstehet seine Gedanken von ferne; sie ist mit allen seinen Wegen vertraut; vorwärts und rückwärts umlagert sie ihn (Ps. 139.). Sie wird ihn gehen lassen, wenn es sein soll, durch das Wasser der Angst; sie wird ihn in die Wüste führen, und wird reden daselbst mit ihm von Angesicht zu Angesicht. Sie wird oft ein Hammer sein seinem Herzen, und Blitz und Feuer seinem Gewissen; sie wird sein Fleisch kreuzigen und seine Gedanken beugen, und wird ihn läutern, aber nicht wie Silber. Sie wird ihren Auserwählten auserwählt machen im Ofen des Elends (Jes. 48, 10.); wird, wo er sich's am Wenigsten verstehet, auf ihn, auf seinen Weg lauern, wird ihm seinen Weg vermauern mit Werkstücken, und seine Steige verkehren; daß er es erkennen möge, und es seinem Gott sagen: Bei den Heiligen bist du heilig, und bei den Frommen bist du fromm. Bei den Reinen bist du rein, und bei den Verkehrten bist du verkehrt; - aber auch: Denn du hilfst dem elenden Volk; und die hohen Augen niedrigest du. Denn du erleuchtest meine Leuchte; der Herr, mein Gott, macht meine Finsterniß Licht.

Traue es, mein Freund, der Heiligkeit und Treue dieses großen Gottes: Sein fester Grund bestehet, und hat dieses Siegel: der Herr kennet die Seinen; und: Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer seinen Namen nennet (2. Tim. 2, 19.). In Jerusalem, seine himmlische Stadt, wird nicht hinein gehen irgend ein Gemeines, und das da Gräuel thut und Lügen (Offenb. 21, 27.). Er wird aber Sieger werden, wo kein Mensch siegen kann; Er wird heilig werden in seinen Sündern, und groß in seinen Armen, und herrlich in seinen Elenden. Seine Macht ist ihre Stärke; Seine Geduld ihre Seligkeit. 2, Petr. 3, 15.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/p/passavant/jakobs_kampf/passavant_jakobs_kampf_4.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain