Quandt, Emil - Die biblische Lehre vom Heiligen Geist - II. Der Ruf des Heiligen Geistes.
Wir haben das Fest des Heiligen Geistes gefeiert. Noch klingt uns das Brausen des Heiligen Geistes in den Ohren und Herzen; noch sind seine züngelnden Flammen nicht versprüht. Aber schon bald wird das heilige Pfingstfest aus dem Gesichtskreis der Kirche getreten sein. Vor uns liegt der Sonntag Trinitatis und die lange bis ans Ende des Kirchenjahres währende Trinitatiszeit.
Es kann auffallend erscheinen, dass die Pfingstzeit so schnell endet. Dem Weihnachtsfeste geht die vierwöchentliche Adventszeit als Vorbereitungszeit voran, es folgt ihm als Nachfeier die Epiphaniaszeit. Das Osterfest wird durch die sechs ernsten Passionswochen vorbereitet, und ein Sonntag der Freude nach dem andern zeugt noch nach dem Feste fort von der Auferstehung Jesu Christi. Der Ausgießung des Heiligen Geistes dagegen ist nur ein sehr kleiner und beschränkter Festkreis gewidmet; kaum dass die zehn Tage des Wartens von Himmelfahrt an allgemein als eine Vorbereitung auf Pfingsten gelten; acht Tage nach Pfingsten aber wird schon ein anderes Fest, das Fest der heiligen Dreieinigkeit, gefeiert.
Man darf den Grund für diese auffällige Erscheinung nicht darin gefunden zu haben meinen, dass diese altkirchliche Anordnung mit irgendwelcher Geringschätzung des Heiligen Geistes von Seiten unsrer Väter zusammenhänge. Im Gegenteil sie ist vielmehr aus dem innigen Verhältnis zu erklären, in welchem die Alten zum Heiligen Geiste standen. Da der Heilige Geist der Geist des Vaters und des Sohnes ist, so betrachteten die Christen der alten Kirche zugleich seine Wirksamkeit, wenn sie an der Krippe von Bethlehem vor der Liebe des Vaters anbeteten, und desgleichen wenn sie am Kreuz von Golgatha und am offenen Ostergrabe die Gnade Jesu Christi priesen. Sie vertieften sich in die Bedeutung der Lehre vom Heiligen Geiste, wenn sie das Bundesverhältnis der Christenheit zum dreieinigen Gott feierten; sie gedachten des Artikels vom Heiligen Geiste, so oft sie in der Trinitatiszeit dem Evangelio von Sünde und Gnade nachdachten.
Es hätte also nicht die mindeste Berechtigung, wenn wir, nachdem nun das Pfingstfest hinter uns liegt, auch dem Heiligen Geiste Valet sagen wollten. Das liefe nicht nur gegen die kirchliche Sitte unserer Väter; es brächte auch unser inneres Leben in große Gefahr. Wo das Wort vom Heiligen Geiste zurücktritt, leidet das Christentum Schaden; denn ohne den Heiligen Geist sind und bleiben auch die schönsten Blumen der Religion des Kreuzes, Glaube, Liebe und Hoffnung, welk und dürr. Wir werden daher wohltun, wenn wir unsre Betrachtungen über den Heiligen Geist, die wir vor Pfingsten begannen, nun nach Pfingsten fortsetzen. Der Heilige Geist gebe uns selber seine Gnade und Leitung dazu.
Unser erstes Nachdenken war der Persönlichkeit des Heiligen Geistes gewidmet. Es ergab sich uns als klare Schriftlehre, dass der Heilige Geist eine lebensvolle Person ist, die Empfindung, Willen und Erkenntnis hat, ja eine göttliche Person, gleichen Wesens mit dem Vater und dem Sohne und doch unterschieden von ihnen, kurz die dritte Person in der heiligen Dreieinigkeit. Wir werden nun weiter zu forschen haben nach der Tätigkeit Gottes des Heiligen Geistes. Man begreift alles Tun des Heiligen Geistes zu unsrer Seelen Seligkeit unter den Gesamtnamen der Heiligung, wie wir denn alle von Kindesbeinen an gewohnt sind, den Katechismusartikel vom Heiligen Geiste auch den Artikel von der Heiligung zu nennen. Die Heiligung in diesem weitesten Sinne umfasst Alles, was der Heilige Geist an Sündern wirkt und tut. Er wirkt aber und ist tätig an den Sündern also, dass er sie beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und erhält. So teilt Vater Luther im kleinen Katechismus die Tätigkeit des Heiligen Geistes ein. Wir folgen im Ganzen dieser Einteilung, nur dass wir die sammelnde Wirksamkeit des Heiligen Geistes zuletzt besprechen. Zuerst aber heben wir mit Dr. Luther von den Tätigkeiten des Heiligen Geistes die berufende heraus. Wir denken heute nach über den Ruf des Heiligen Geistes.
Wenn eine Mutter ihre Kinder hungrig sieht, so bereitet sie ihnen ein Mahl, sie zu speisen und zu stärken; und wenn das Mahl fertig ist, so schickt sie sich alsobald an, ihre Kinder herbeizurufen und zu sprechen: kommt, es ist Alles bereit. Gottes Liebe gegen die Menschen ist wie Mutterliebe, nur noch tausendmal inniger, größer und herrlicher, als irdische Mutterliebe. Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen, spricht der Herr. Die Speise, die Er seinen Kindern bereitet hat, ist Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, erworben durch das teure Blut Jesu Christi. Das ist die Speise, die unsterbliche Seelen sättigt zum ewigen Leben. Nach dem dies Mahl bereitet ist, nachdem Jesus Christ die verlorenen und verdammten Sünder erlöst hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blute und mit seinem unschuldigen, bitteren Leiden und Sterben: so ruft nun Gott die Sünder herbei und lockt und lädt sie: „Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser; und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst; kommt her und kauft ohne Geld und umsonst, beides Wein und Milch“ (Jes. 55, 1). Den Liebesdienst, das Mahl anzuordnen, hat Gott der Vater getan; den Liebesdienst, das Mahl zu bereiten, hat Gott der Sohn getan; den Liebesdienst, zu dem Mahl zu rufen, tut Gott der Heilige Geist. Ich glaube, dass ich nicht aus eigner Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft.
Das erste neutestamentliche Rufen des Heiligen Geistes zu Christo hat die Welt am Tage der ersten Pfingsten vernommen. Sobald der Heilige Geist über die Jünger ausgegossen war, alsobald begann auch seine rufende und berufende Wirksamkeit. Was uns die Pfingstgeschichte davon erzählt, ist vorbildlich und maßgebend für alle Zeiten und bis an das Ende der Tage.
Die Erlösung der Welt durch Christi Versöhnungsopfer war vollbracht und durch die Auferstehung und Himmelfahrt Christi besiegelt. Aber wir hören nicht, dass zwischen Ostern und Pfingsten auch nur ein einziger Mensch aus der ungläubigen Menge hinzugetreten wäre zu dem Gnadenstuhle und sich zu Christo bekehrt hätte. Das Mahl war da, aber Niemand kam zu essen; die Gerechtigkeit armer Sünder war erworben, aber keiner kam, im Glauben die Gerechtigkeit zu ergreifen. Da erscholl das pfingstliche Brausen des Heiligen Geistes und weckte die aus allerlei Volk zu Jerusalem versammelte Menge aus ihrem geistlichen Schlafe auf. An die Bestürzung des Volkes knüpfte der Heilige Geist sofort mit seinem Zeugnis an und rief durch den Mund St. Petri in die Menge hinein das Wort von der Sünde und das Wort von der Gnade in Jesu Christo und sprach: Tut Buße und lasse sich ein Jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi. Diese Predigt ward gehört von Juden und Judengenossen und von allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. Manche nahmen das Wort an und ließen. sich taufen. Andere aber widerstrebten dem Rufe des Heiligen Geistes und versäumten ihre Gnadenstunde. So geschah es zu Jerusalem am Pfingsttage; so geschieht es fort und fort; wo in der weiten Welt der Heilige Geist seine Tätigkeit entfaltet.
Der Herr ist für uns Alle gestorben, und Allen ist sein Heil beschieden; aber von selbst kommt Niemand zu dem Herrn Jesu und zum Glauben an ihn. Gleichwie zu Jerusalem in der Zeit vor Pfingsten außer dem kleinen Häuflein, das der Herr schon von früher her hatte, sich im Ernste Niemand um den Gekreuzigten und Auferstandenen bekümmerte, so fragt noch heute keine Menschenseele nach dem Herrn Jesu, wenn der Heilige Geist nicht ruft. Gott muss nicht nur das Vollbringen, Gott muss auch das Wollen geben. Wohl schlummert Sehnsucht nach Erlösung und nach einem Erlöser in jeder Menschenbrust; aber in dem Getriebe des Lebens und unter den Sünden des Fleisches erschlafft und ermattet diese Sehnsucht je länger je mehr, wenn nicht der Ruf des Heiligen Geistes erschallt. Alles, was Jesus Christus getan und geredet, gelitten und erstritten hat, wäre längst vergessen und verklungen und Keiner dächte daran, wenn nicht fort und fort seit dem ersten Pfingstfeste Gott der Heilige Geist seine Stimme erhöbe und riefe: Ihr Menschen seid alle Sünder, aber Jesus hat eure Sünde gesühnt; wer an ihn glaubt, soll nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Das große Werk der Welterlösung es wäre ohne den Ruf des Heiligen Geistes eine Quelle ohne Strom, eine Wurzel ohne Baum.
Gott sei Dank, dass es einen Heiligen Geist gibt, der die Sünder aus der Welt zu Jesu ruft. Ehe der Heilige Geist durch Petri Mund die Volksmenge in Jerusalem zu Jesu rief, verschaffte er sich aufmerksames Gehör durch die wunderbaren Vorgänge seines Kommens, durch das Brausen vom Himmel, durch das Reden der Jünger in allerlei Sprachen. So bereitet noch heute der Heilige Geist durch mancherlei göttliche Fügungen die Menschen auf seinen Ruf vor, die Völker, wie die Einzelnen. Das Völklein der Karenen in Südasien seufzte unter schwerem äußeren Druck; das machte ihre Herzen willig zuzuhören, als die weißen Fremdlinge kamen und predigten: Wenn euch der Sohn Gottes frei macht, so seid ihr recht frei. Bei vielen Negerstämmen ist die jammervolle Sklaverei in Gottes Hand das Mittel geworden, ihnen die Ohren zu öffnen für das Gehör des Evangeliums. Die Not der Knechtschaft machte willig, das Wort vom Heile zu vernehmen. Und wie bei den Völkern, so auch bei den einzelnen Menschen bereitet der Heilige Geist durch allerlei Fügung den Boden, ehe er selber kommt, den guten Samen des Wortes auszustreuen. Bei dem Einen ist es eine schwere Krankheit, die ihn einsam und still macht, dass er das gute Wort vernehmen kann; ein Andrer lernt am offenen Grabe seiner Lieben das Ohr öffnen für die Predigt des Heils. Hier wird Einer vom göttlichen Segen übermannt, dass er auf das Wort von Christo lauscht, wie weiland Simon, Jonas Sohn, nach dem gesegneten Fischzug; dort bereiten allerlei Forschungen des Geistes das Gemüt auf den Ruf des Heiligen Geistes vor, wie bei den Weisen aus dem Morgenlande die Forschungen am Sternenhimmel; sowohl Fische, als Sterne können Vorläufer des Heiligen Geistes sein. Man soll wohl öfters nachdenken über die Führungen Gottes zum Heile bei Andern und sich selbst: wie er zuerst das Herz gerührt durch Freude oder Ungemach und uns mit so viel Huld geführt seitdem und bis auf diesen Tag.
Vor dem durch die wunderbaren Pfingstvorgänge aufmerksam gemachten Volke hielt nun St. Petrus in Kraft des Heiligen Geistes seine gewaltige Pfingstpredigt. Der Heilige Geist war es ja, der durch Petri Mund das Volk rief, aus der Welt zu Christo rief; aber sein Ruf erscholl nicht unmittelbar und in wunderbarer Weise vom Himmel herab, sondern er vermittelte sich durch das Wort eines geheiligten Menschen, eines frommen Zeugen. So ist es immerdar die Regel gewesen, dass der Ruf des Heiligen Geistes durch das gepredigte oder geschriebene Wort frommer Zeugen ergeht; wunderbare Berufungen ohne das Mittel der Bibel und der biblischen Predigt sind und bleiben Ausnahmen. Die großartigste Ausnahme ist die Berufung St. Pauli. Paulus ist allerdings nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen berufen, sondern der erhöhte Heiland Jesus Christus ist ihm selbst erschienen auf dem Wege nach Damaskus und hat ihn herumgeholt durch die Klage und Frage: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Aber hier handelte es sich auch um die Berufung eines auserwählten Rüstzeuges, des großen Apostels der Heiden, der das Evangelium von Land zu Land tragen sollte. Auf solche außerordentliche Berufung zu warten, wäre eine Vermessenheit. Der Heilige Geist ruft uns laut und deutlich genug durch die Predigt des Evangeliums aus dem Munde treuer Zeugen und durch das Bibelwort, auf das sich diese Predigt gründet. Wo die Mutter dem Kinde auf ihrem Schoß erzählt von dem großen göttlichen Kinderfreunde, wie er hieß die Kindlein kommen, wie er hold sie angeblickt und sie auf den Arm genommen und sie an das Herz gedrückt: da erschallt der Ruf des Heiligen Geistes, und ist gerade dieser Ruf des Heiligen Geistes durch der Mutter oder des Vaters Mund oft so kräftig und laut, dass er noch lange, lange durch das Leben nachhallt, oft noch in der Sterbestunde nachzittert. Wo ein treuer Lehrer seine Kinder unterweist in dem Worte des Lebens und sie singen und beten lehrt zu dem Heilande unsere Seelen: da ertönt der Ruf des Heiligen Geistes. Wo ein Prediger des Evangeliums im Hause Gottes und in den Häusern der Menschen verkündigt die Gnade dessen, der um unsrer Sünden willen gestorben und um unsrer Gerechtigkeit willen auferweckt ist: da lässt der Heilige Geist seinen Ruf hören. Auch wo der Mann zu seinem Weibe spricht: „Es ist genug, dass wir die vergangene Zeit den Götzen dieser Welt gedient haben, lass uns umkehren und dem Herrn dienen“; oder wo's der Freund dem Freunde sagt: „Ich habe den Herrn gefunden, willst du nicht auch zu ihm kommen?“: da rauschet des Heiligen Geistes Stimme. Sie ertönt auch da, wo ein Menschenkind einmal in stiller Kammer den Trieb empfängt zur Bibel zu greifen und liest eine Geschichte oder zwei vom Heiland der Sünder und ruft bewegt vor sich hin: „Was ist das für ein wunderbares Buch, das mir meine Sünden aufdeckt und zeugt von einem Erbarmen Gottes in Christo!“ So ruft der Heilige Geist die Sünder ordentlicher Weise durch das Wort, das die heiligen Menschen, von ihm getrieben, niedergeschrieben haben und durch die Predigt dieses Wortes in Haus, in Schule, in Kirche.
Die Versammlung, welche durch die Pfingstpredigt Petri gerufen wurde, war einzig in ihrer Art. Es waren des Festes wegen damals in Jerusalem viele Fremde anwesend; das Pfingstwunder geschah vor den Ohren und Augen von allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. St. Lukas zählt sie uns auf: Parther und Meder und Elamiter, Leute aus Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, Pontus und Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und von den Enden der Libyen bei Kyrene, Ausländer von Rom, Kreter und Araber, Juden und Judengenossen. Vor ihnen allen trat Petrus auf mit den Elfen und predigte ihnen, dass, wer den Namen des Herrn anruft, soll selig werden. Jene Versammlung aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist, am Pfingsttag zu Jerusalem bildete vor die ganze Menschheit nach allerlei Volk und Zungen; und der Ruf des Geistes an die Tausende aus allen Gegenden der Welt war das große Signal für die Berufung aller Nationen zum Reiche Gottes. Denn der Ruf des Heiligen Geistes gilt Allen, die auf Erden wohnen. Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; er hat die Welt also geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Jesus Christus, unser Herr, hat sein Blut für Alle vergossen, hat für Alle die ewige Erlösung auf Golgatha erfunden. So will auch der Heilige Geist, gleichen Wesens und gleicher Liebe mit dem Vater und dem Sohne, Alle zu Jesu rufen und Allen das Heil in Christo anpreisen. Darum sind die Apostel von Jerusalem ausgezogen und haben das Evangelium gepredigt in ganz Judäa und Samaria und weiterhin durch die Lande Asiens und in Europa bis Rom, vielleicht bis Spanien hin. Und als sie um des Evangeliums willen den Tod erlitten hatten, haben ihre Schüler das evangelische Zeugnis aufgenommen, und dies Zeugnis hat sich fortgesetzt bis in unsre Tage hinein, also dass durch die Heilsbotschaft der Apostel, Prediger und Missionare alle fünf Weltteile und die Inseln des Meeres erfüllt worden sind. In nahe an zweihundert Sprachen wird heute auf Erden der süße Jesusname als der Name alles Heils genannt und den Schwarzen und den Weißen, den Bewohnern der Wüste und den Leuten am Eismeer fort und fort bezeugt: Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben worden, darinnen sie selig werden, als der Name Jesu Christi.
Aber allerdings noch ist der Ruf des Heiligen Geistes nicht zu allen Völkern gedrungen; noch sind nicht Alle berufen. Noch ist die Bitte sehr wichtig und sehr dringlich: „Schau, Herr, auf die Millionen, die noch im Todesschatten wohnen, von deinem Himmelreiche fern; seit Jahrtausenden ist ihnen kein Evangelium erschienen, kein gnadenreicher Morgenstern. Glanz der Gerechtigkeit, geh auf, denn es ist Zeit! Komm, Herr Jesu, geh uns voran und mach' uns Bahn, gib deine Türen aufgetan!“ Warum der Ruf des Heiligen Geistes wohl so frühe zu uns Deutschen gekommen sein mag und so spät zu den Völkern der Südsee und noch gar nicht zu so vielen Söhnen Afrikas und Asiens? Wer wollte sich unterfangen, auf diese Frage die richtige Antwort zu geben! Wir stehen hier vor einem Geheimnisse der göttlichen Weltregierung, dessen Schleier erst in der Ewigkeit für uns fallen werden und dessen Tiefen gegenüber wir hier in dieser Zeit nur sagen können: Wie gar unbegreiflich sind Gottes Gerichte und unerforschlich seine Wege; denn wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen? So viel aber steht fest: Er hat noch niemals was versehen in seinem Regiment; auch die Wege, die er mit den Völkern wie mit den Einzelnen geht in Beziehung auf den Ruf des Heiligen Geistes, sind die besten Wege, und wir werden sie einst im Lichte der Ewigkeit alle benedeien. Und das steht auch fest: Es kann das Ende der Weltgeschichte nimmermehr kommen, es sei denn, dass jedes Volk auf Erden den Schall des Evangeliums vernommen habe; wir haben dafür die ausdrückliche Verheißung unsers Herrn Ev. Matth. 24, 14: Es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker; und dann wird das Ende kommen. Und das steht auch fest: Da der Heilige Geist die Menschen durch Menschen ruft, so ist es die heilige Pflicht Aller, die schon berufen sind, nach Kräften dazu beizutragen, dass das Evangelium denen gepredigt werde, die es noch nicht haben. Wie kann man sich mit gutem Gewissen für sich allein satt essen an wohlbesetzter Tafel, wenn man weiß, da draußen stehen hungernde Bettler, die nichts zu essen und zu trinken haben? Nein, die wir begnadigt sind von Alters her mit den reichen Gütern aus unsers himmlischen Vaters Hause, müssen hinausgehen auf allen Wegen, die Hungrigen zum Mahle zu rufen, wir müssen Mission treiben durch Zeugnis, durch Gabe, durch Fürbitte. Die Glieder des Reiches Christi müssen auch allezeit Mehrer des Reiches Christi sein, wenn sie nicht die schrecklichste Verantwortung auf sich laden wollen. Als einmal Missionare zu einem Heidenvolke kamen und ihm die Gnaden Christi predigten, stand Einer. aus dem Volke in allertiefster Bewegung auf und sprach: „Wenn das so ist, o warum seid ihr denn nicht schon früher gekommen, uns solches Heil zu verkündigen?“ Ach, wer weiß, ob nicht am jüngsten Tage manche Heidenseele die alte Christenheit verklagen und klagen wird, dass um der Lässigkeit der Christen willen das Evangelium so spät erschollen! Wahrlich, wir sind Alle dem Heiligen Geiste verantwortlich; er hat seinen Ruf an unser Zeugnis gebunden; so lasst uns rufen, laut in die Heidenwelt hineinrufen, dass Jesus Christus gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.
Die Predigt, die der erste Pfingstprediger in Auftrag und Kraft des Heiligen Geistes hielt, war eine Predigt von dem Herrn Jesu, von Jesu Leben und Tun, von Jesu Leiden und Sterben, von Jesu Auferstehung und Himmelfahrt, und dass er der Herr und Christ sei, der Jedem, der Buße tut und sich auf seinen Namen taufen lässt, Vergebung seiner Sünden schenkt. Dieser Inhalt der ersten apostolischen Predigt wiederholt sich in jedem Rufe des Heiligen Geistes. Der Ruf des Heiligen Geistes umfasst immer dies Zwei: Hasst und lasst die Sünde, umfasst und haltet die Gnade! Wenn der Heilige Geist ruft, so entklärt er immer den Menschen und verklärt den Herrn Christum, d. h. er nimmt immer dem Menschen seine Herrlichkeit, indem er ihm sagt, was er in der Tat und Wahrheit ist, ein armer Sünder, und er preist immer an die Herrlichkeit Jesu Christi, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Es rufen aber nicht Alle, die Talare anhaben, im Namen des Heiligen Geistes, und es predigen nicht alle das Christentum, die sich für Christen ausgeben; es gilt nicht bloß von irdischen Dingen, sondern auch von himmlischen das Trau, schau, wem. Ihr Lieben, spricht St. Johannes, glaubt nicht einem jeglichen Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Es hat bei uns eine Zeit gegeben, die rationalistische Zeit, wo auf Kanzeln und Kathedern alles Mögliche gelehrt und gepredigt wurde, nur nicht, dass wir allzumal arme Sünder sind und des Ruhmes ermangeln, den wir an Gott haben sollten, nur nicht, dass Jesus Christ, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, unser Herr und einiger Nothelfer ist. Und es wird ja leider Gottes auch heutzutage noch mancher Vorhof unsers Herrn missbraucht zu rationalistischem Gerede, das mit süßen Worten die unschuldigen Herzen verführt. Da ruft nicht der Heilige Geist, da spricht das Fleisch, vielleicht das fromme Fleisch, immerhin aber das Fleisch, und nicht der Geist. Darum prüft die Geister, ob sie aus Gott dem Heiligen Geiste sind; wer den Menschen nicht klein macht und Christum nicht groß macht, der predigt nicht durch den Heiligen Geist. Wer Andern den Weg zum Himmel bequem macht, um selbst einen angenehmen Weg auf Erden zu haben, der predigt nicht durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist straft immer die Welt um die Sünde und die Gerechtigkeit und das Gericht; er predigt immer, dass es die Sünde aller Sünde ist, nicht zu glauben an Jesum Christ; dass es nur eine Gerechtigkeit gibt, die vor Gott gilt, nämlich die uns Christus erworben durch seine Kreuzespein; dass dem Menschen gesetzt ist zu sterben und danach das Gericht, in welchem jeder mit dem Fürsten dieser Welt verdammt wird, der nicht in dieser seiner Zeit erkannt hat, was zu seinem Frieden dient. Gott gebe, dass dieser Ruf des Heiligen Geistes bei uns und aller Orten immer reiner, immer kräftiger erschalle und alles Friede-Friederufen der falschen Propheten verdränge. Gott mach' uns bald von jedem Mietling frei, dass Kirch' und Schul' ein Garten Gottes sei.
Wir richten unsre Augen noch einmal auf die Erscheinungen des Pfingsttages in Jerusalem. Vor den Ohren vieler Tausende war der Ruf des Heiligen Geistes erschollen. Haben nun alle diese Tausende den Ruf angenommen, haben sie alle auf die geistgesalbte Predigt Petri Amen Amen gesagt, haben sie alle ihre Sünden beweint in göttlicher Traurigkeit und die Gnade Jesu Christi zu ihrer Seelen Seligkeit ergriffen? Ach nein!
Wohl ging die Predigt Vielen durchs Herz, und sie sprechen: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Und dreitausend fanden sich in der Tat, die das Wort von der Vergebung der Sünden im Blute Christi gern annahmen; sie ließen sich taufen und wurden hinzugetan zur Gemeinde Christi und blieben beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Aber die Andern widerstrebten dem Rufe des Heiligen Geistes und verstockten ihre Herzen, und nicht Wenige von diesen Widerstrebenden ließen sich sogar fortreißen zur offenen, bitteren, tödlichen Feindschaft wider die Predigt des Evangeliums. Wir merken, der Heilige Geist ruft zwar Alle, aber er zwingt Niemanden; sein Ruf ist nicht unwiderstehlich; man kann ihm widerstreben, ja beharrlich widerstehen.
Wenn ein Mensch zu einem Gastmahle gerufen wird, so kann er die Einladung annehmen, er kann sie auch ablehnen. Den Gütern des Heils gegenüber, zu deren Genuss der Heilige Geist den Sünder ruft, hat der Mensch dieselbe Freiheit; zum Heile gerufen wird Jeder, aber Keiner wird zum Heile gezwungen. Der Heilige Geist ruft und lockt und bittet so dringlich und so herzlich, wie nur Gott rufen und bitten kann; aber es gibt allerorten und zu allen Zeiten solche Leute, wie jene zu Jerusalem, über die der Herr die tränenreiche Klage aussprechen musste: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.“ Ja, es sind immer ihrer Viele, die sich zu der Stimme der göttlichen Liebe wie tote Steine verhalten, und immer nur Wenige, die sich von der Liebe locken lassen; es sind Viele, denen der Ruf des Heiligen Geistes ein Geruch des Todes zum Tode ist, und Wenige nur, denen er ein Geruch des Lebens zum Leben ist. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt, weil Wenige dem Rufe folgen. Auf den ersten Blick könnte es völlig unbegreiflich erscheinen, dass nicht Alle und Jeder dem Rufe des Heiligen Geistes folgen. Lässt sich doch sonst kein Mensch zweimal rufen, wenn ihm Heilung von schwerer leiblicher Krankheit versprochen wird und der Heilige Geist ruft die Sünder zu dem Arzte, der die tiefen Wunden der Seele heilt, der Seele, die tausendmal mehr ist als der Leib! Folgen doch sonst Alle gern, wo sie eingeladen werden, sich reiche Schätze in den Schoß schütten zu lassen und der Heilige Geist lädt ein zu den Schätzen des Heils, die einen unvergänglichen und ewigen Wert haben! Wie kommt es doch nur, dass der großen Menge der Ruf des Heiligen Geistes nicht ins Herz dringt? Ach, es liegt das, eben am Herzen, diesem leichtsinnigen, fleischlichen und verzagten Dinge! Das Herz der meisten ist so leichtsinnig, dass es das Eilende über das Weilende setzt, und sich jeden ernsten Gedanken, der vom Heiligen Geist kommt, aus dem Sinn schlägt; das Herz ist so fleischlich, dass es sich um keinen Preis in seinem Sündenleben stören lassen will durch Rührungen des Heiligen Geistes. Oder das Herz ist so verzagt und an die Traurigkeit dieser Welt verkauft, dass es für den Heiligen Geist kein Plätzchen übrig zu haben meint. Der Teufel aber hat seine Freude daran, das Menschenherz im Leichtsinn und im fleischlichen Wesen und in der Verzagtheit zu erhalten, und verhärtet seinen Dienern je länger je mehr die Ohren, dass der Schall des Evangeliums unbeachtet oder verachtet an ihnen vorüberrauscht.
Wehe, wer vom bösen Geiste gebunden dem Heiligen Geiste bis ans Ende widerstrebt; für ihn ist Jesus Christus umsonst gestorben, die Erlösung vergebens erfunden, der Himmel nutzlos geöffnet. Wohl dem, der dem Rufe des Heiligen Geistes Ohr und Herz willig öffnet und seiner Einladung zu Christo und dem Heil in Christo Folge leistet. Er wird erlangen, wonach ihm seine Seele dürstet, Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Darum heute, so ihr Gottes Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht. Macht es vielmehr, wie es die Blumen in unsern Gärten halten:
Es öffnet sich die Blume froh,
Wenn sie das Licht der Sonne spüret;
Dein Herz, mein Kind, tu' ebenso,
Wenn es der Geist des Herrn berühret.
Amen.