Osiander, Lukas - Auslegung des Evangelii am dritten Sonntage nach Trinitatis.

Osiander, Lukas - Auslegung des Evangelii am dritten Sonntage nach Trinitatis.

(Bawren Postilla. Tübingen 1599. Th. 3. S. 44.)

Text: Luc. 15 (V. 1 – 10).

Auslegung.

Geliebte in dem Herrn Christo. Dieses Evangelium ist sehr tröstlich den armen Sündern, welche Gott den Herrn mit schweren Sünden hoch erzürnet haben, welches ihnen aber herzlich leid ist und fürchten, Gott der Herr werde sie nicht zu Gnaden aufnehmen. Es ist aber eine Notdurft, dass wir dieses Evangelium recht verstehen lernen, damit wir dasselbige auch wissen recht zu gebrauchen.

Es kamen dazumal zum Herrn Christo etliche offenbare und bekannte Sünder, welche sich mit groben Sünden übersehen und befleckt hatten. Diese aber kamen darum zu Christo, dass sie wollten seine Predigten hören und sich derselben bessern. Die Pharisäer und Schriftgelehrten aber ärgerten sich darob, dass der Herr Christus solche Leute liess zu ihm kommen, unterweilen auch mit ihnen ass und trank, welche Leute doch von den Pharisäern waren vom Volk Gottes ausgeschlossen und in den Bann gethan, und meinten die Pharisäer, wenn der Herr Christus ein Prophet und ein heiliger Mann wäre, so würde er mit solchen losen Leuten keine Gemeinschaft haben, noch sich derselben im Wenigsten annehmen.

Hierauf hat der Herr Christus mit zweien schönen und tröstlichen Gleichnissen gelehret, dass man die armen Sünder nicht allerdings hinwerfen und gar verstossen, sondern dieselbigen als verirrte Schäflein suchen und wo möglich wiederum zurechtbringen soll. Denn Gott der Allmächtige selbst der verwerfe die bussfertigen Sünder nicht, sondern nehme dieselbigen zu Gnaden auf und wolle sie selig machen.

Die Leute aber, welche die heilige Schrift nennt Zöllner und Sünder, waren dazumal lasterhafte Personen, welche von Männiglich für gottlose Leute gehalten wurden. Die Zöllner waren nicht viel besser, denn Diebe und Räuber, denn sie bestanden den Zoll von den Römern um eine gewisse Summe Geldes und schunden hernach die Leute, welche mit ihnen zu thun hatten, bis auf’s Bein. Die Sünder aber waren gemeiniglich Hurer und Buben, Ehebrecher und Ehebrecherinnen; darum waren auch solche Leute bei anderen ehrlichen Leuten verachtet und verhasst.

Die Zöllner und Sünder aber, welche zu Christo kommen, die hatten sich gleichwohl vor der Zeit übel und ärgerlich gehalten; aber sie waren dazumal, da sie den Herrn Christum suchten, nicht mehr halsstarrige Sünder, die in ihren Lastern hätten wollen fortfahren, sondern sie waren jetzt auf dem Wege der Busse und trachteten ernstlich danach, wie sie möchten ihrer Sünden los, mit Gott, ihrem Herrn, wiederum versöhnet und ewiglich selig werden. Darum suchten sie Trost bei dem Herrn Christo, damit ihre verwundeten Gewissen und Herzen möchten durch die liebliche Predigt Christi wiederum geheilet und gestillet werden. Und ist an solchen Sündern erfüllet worden das Sprichwort, da man sagt: Grosse Sünder, grosse Reuer. Ein solcher bussfertiger Zöllner ist gewesen Zachäus, der zum Herrn Christo sagte: Siehe, Herr, den halben Theil meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich Jemand betrogen habe, gebe ich’s vierfältig wiederum. Eine solche Sünderinn ist gewesen das Weib, welche aus herzlicher Reue über ihre geübte Unzucht bitterlich weinet, des Herrn Füsse mit ihren Zähren netzet und dieselben mit ihren Haaren wiederum trocknete, die Füsse Christi geküsst und dieselben mit köstlicher, wohlriechender Salbe gesalbt hat. Derhalben gehöret dies Evangelium nicht für die unbussfertigen, verstockten und halsstarrigen Sünder, welche über alle Vermahnungen in ihrer Bosheit täglich fortfahren, sondern es gehört für die bussfertigen Sünder, denen ihre Sünden von Herzen leid sind, Gottes Gnade und Huld ernstlich suchen und von ihrem bösen Leben abstehen.

Wir wollen jetzt hören die zwei tröstlichen Gleichnisse, die unser lieber Herr Christus uns in dem verlesenen Evangelio fürhält. Der Herr Christus sagt: Es sei eben im Himmel, wann sich ein armer Sünder zur Busse bekehret, als wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und verliere eins darunter, er fände es aber wiederum (nach fleissigem und ängstigem Suchen), so würde ihn dasselbige verlorene und wiedergefundene Schaf mehr freuen, weder die neun und neunzig Schafe, deren er noch keines verloren hätte; also sei auch eine grössere Freude im Himmel über einen Sünder, der sich wiederum zu Gott bekehret, denn über neun und neunzig Gerechte, die einer solchen Busse nicht bedürfen. Das andere Gleichniss ist dieses: Wenn ein Weib zehn Groschen hätte und verliere einen davon, finde aber denselbigen (nach fleissigem und sorgfältigem Suchen) wiederum, so würde sie ob dem verlorenen und wiedergefundenen Groschen eine grössere Freude haben, weder über die neun Groschen, deren sie noch keinen verloren hätte. Also sei auch (sagt Christus) eine grosse Freude im Himmel, wann ein Sünder von seinen Sünden zu Gott bekehret werde, der sonst in seinen Sünden hätte müssen verloren und verdammet werden.

Diese lieblichen und tröstlichen Gleichnisse lehren uns, dass der gute und getreue Hirt Christus uns fleissig suche, wenn wir etwa durch Irrthum oder Sünde vom rechten Wege uns abwenden und in der Irre gehen und also möchten vom Wolf (dem leidigen Teufel) zerrissen und ewig verdammt werden. Darum sagt der Sohn Gottes als der rechte, gute Hirt im Propheten Ezechiel (Cap. 34): Ich will (spricht er) das Verlorene wieder suchen und das Verirrte wiederbringen! Und gewiss sucht kein Weib ihren verlorenen Groschen so fleissig, als der Herr Christus uns arme Sünder sucht. Der Herr Christus aber sucht uns, wenn er uns durch die Predigt des göttlichen Worts von Sünden abmahnet und uns den Zorn Gottes und die künftige Verdammniss lässt vor Augen malen; denn dadurch werden wir von Sünden abgeschreckt und zur Busse angetrieben. Sonderlich aber sucht uns der Herr Christus, wenn er uns das heilige Evangelium von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes lässt verkündigen. Denn dadurch lockt er uns freundlich zu sich und beut uns selbst die Gnade und Seligkeit an, auf dass wir in unseren Sünden nicht verzagen. Darum hat der Herr Christus gesagt nach seiner fröhlichen Auferstehung, es müsse in seinem Namen gepredigt werden Busse und Vergebung der Sünden unter allen Völkern (Luc. 2,24). Alsdann aber findet uns der Herr Christus (wie die verlorenen Schäflein und wie den verlorenen Groschen), wenn wir Busse thun, Reu und Leid über unsere Sünde haben und an unsern Heiland Christum von Herzen gläuben. Denn durch solchen Glauben erlangen wir Vergebung unserer Sünden und das ewige Leben, welches uns Alles der Herr Christus verdienet hat.

Wie hat es aber eine Gestalt mit solcher unserer Begnadigung? Müssen wir auf ein Ungewisses warten und also auf Gnade oder Ungnade uns ergeben? Antwort: Gar nicht, sondern wir sind durch Christum vergewissert, dass wir gewisslich zu Gnaden an und aufgenommen werden. Denn der Herr Christus sagt, es werde im Himmel grössere Freude sein über einen Sünder, der Busse thue, denn über neun und neunzig Gerechte, die der Busse nicht bedürfen. Und abermals sagt der Herr Christus in diesem Evangelio, es würde Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Busse thut. Denn wenn sich ein Sünder bekehret, so freuen sich die lieben, heiligen Engel; die Teufel aber trauern darüber, dass ihnen ein Raub entgangen ist, gleichwie hingegen die lieben Engel trauern, die Teufel aber sich freuen und jubiliren, wenn sich ein Christ von der Gottseligkeit und Ungerechtigkeit und Bosheit abwendet.

Es ist aber dies nicht die Meinung Christi, dass Jemand in diesem Leben so fromm, heilig und vollkommen sei, dass er Nichts an seinem Leben habe bessern und also allerdings keiner Busse bedürfe. Denn auch die frommen und heiligen Leute, welche in der Gnade Gottes stehen und ein unsträflich Leben vor der Welt führen, die beten täglich in ihrem Vaterunser: Vergieb uns unsere Schuld. Hat derhalben der Herr Christus mit den Worten von den Leuten, die der Busse nicht bedürfen, vorzüglich gestochen auf die stolzen Pharisäer und Schriftgelehrten, welche sich selbst für fromm und heilig hielten, und waren doch solche Leute nicht, verachteten nichts desto weniger andere arme Sünder, gleich als ob sie nie kein Wasser betrübt hätten.

Derhalben sollen wir aus diesen tröstlichen Gleichnissen lernen, dass ja kein Sünder, wie schwerlich er auch gesündiget hat, um seiner Sünden willen verzagen soll. Denn wo die Sünde mächtig worden ist, da ist die Gnade Gottes noch viel mächtiger, wie der heilige Apostel Paulus in der Epistel an die Römer am fünften Capitel bezeuget. So sagt auch Gott der Herr durch den Propheten Ezechiel (Cap. 33): So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe nicht Gefallen am Tode des Sünders, sondern ich will, dass er sich bekehre und lebe. Und abermals sagt Gott der Herr im vorgemeldeten Ort: Wann ein gottloser Mensch fromm wird, so soll’s ihm nicht schaden, dass er gottlos gewesen ist. Ja, Gott der Herr sagt ferner daselbst: Aller der Sünden, welche ein gottloser Mensch gethan hat, soll nimmermehr gedacht werden, wann sich ein solcher gottloser Mensch von seinen Sünden bekehrt. Der heilige Apostel Johannes sagt. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von allen Sünden. Derhalben so ist keine Sünde so gross, von der wir nicht gereinigt werden, wenn wir an unsern Heiland Christum mit bussfertigem Herzen glauben, welcher sein Blut für unsere Sünde am Kreuz vergossen hat. Darum sagt auch Johannes also: Meine lieben Kindlein, Solches schreibe ich euch, dass ihr nicht sündigen sollt, so aber Jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesum Christum, den Gerechten, derselbige ist die Versöhnung nicht für unsere Sünde allein, sondern für der ganzen Welt Sünde. Und vom Herrn Christo sagt der Apostel Paulus (Actor. 10): Diesem geben alle Propheten Zeugniss, dass durch seinen Namen (das ist, um seinetwillen) Vergebung der Sünden erlangen Alle, die an ihn glauben. Und der Herr Christus sagt selbst zu sonderem Trost den armen, jedoch bussfertigen Sündern (Joh. 6): Wer zu mir kommt, Den werde ich nicht hinausstossen. Diesen Trost soll sich kein bussfertiger Sünder nehmen lassen.

Eben diesen Trost für die armen Sünder finden wir auch in den Exempeln des alten und neuen Testaments, welche bezeugen, dass Gott der Herr die bussfertigen Sünder zu Ganden aufnehme. Es hat ja der königliche Prophet David nicht Seide gesponnen, da er des Urias Weib mit Unzucht befleckt und hernach den ehrlichen Mann Uriam hat schändlich erwürgen lassen. Dennoch, da er Reue und Leid über seine Sünde gehabt, hat ihn Gott wiederum in Gnaden aufgenommen. Die Sünderinn, deren wir kurz hievor gedacht, hat sich auch vielfältig und gröblich mit unzüchtigem Leben an Gott dem Herrn versündigt; dennoch, da sie ihre Sünden bitterlich und herzlich beweinet und Busse gethan, hat sie Christus zu Gnaden angenommen und hat sie von ihren Sünden ledig gesprochen und gesagt: Deine Sünden sind dir vergeben! Dein Glaube hat dir geholfen! Gehe hin mit Frieden! Der Schächer am Kreuz hat freilich die Tage seines Lebens nicht viel Gutes gestiftet, dennoch, dieweil er seine Sünden mit reuendem Herzen bekennet und um Gnade gebeten, hat ihn der Herr Christus begnadet und zu ihm gesagt: Heut wirst du bei mir im Paradeise sein. Diese Exempel alle bezeugen, dass, wo der Sünden viel sind, da ist auch viel Gnade und Barmherzigkeit Gottes, wie wir droben aus der Epistel Pauli auch gehört haben. Derhalben sollen die bussfertigen Christen um ihrer begangenen vielen und schweren Sünden willen nicht verzagen.

Dieses Trostes aber sollen wir uns nicht missbrauchen, dass wir wollten fürsätzlich und muthwillig darauf sündigen und wollten es darauf wagen und gedenken, wir könnten doch allerwegen wiederum bei Gott zu Gnaden kommen. Wenn man Einem ein gut Wundkraut zeiget, mit welchem in kurzer Zeit eine Wunde kann geheilt werden, so ist ja ein vernünftiger Mensch so thörlich nicht, dass er sich darum wollte selbst eine Wunde hauen, oder sich selbst stechen, damit er des Wunderkrauts Kraft und Wirkung an seinem eigenen Leibe probiren und erfahren möchte, sondern er spart dasselbige Kraut auf einen Nothfall, damit, wenn er wider seinen Willen verwundet würde, dass er sich mit demselbigen Kraute wiederum heilen könnte. Also sollen wir auch auf den Trost von der Gnade Gottes nicht muthwillig sündigen, noch unser Gewissen verwunden, sondern diesen Trost sollen wir darum fleissig in unseren Herzen behalten, auf dass, wenn uns der Teufel überlistet und in schwere Sünde stürzt, dass wir nicht verzagen, sondern die Gnade Gottes mit wahrem Glauben ergreifen und selig werden mögen.

Es hat auch ein Christ billig zu bedenken, wie schnell etwa Gott der Herr einen unbussfertigen Sünder durch einen unversehenen Todesfall aus dieser Welt abfordert. Da fahren denn solche gottlose Leute also warm dem Teufel zu. Etwa ertrinkt ein solcher unbussfertiger Mensch in einem kleinen Bächlein, in welchem man nicht wohl einen Menschen ertränken könnte, wenn man schon guten Fleiss anwendete. Mancher fällt unversehens den Hals ab, ein Anderer wird erstochen oder erschossen, Einen findet man todt im Bette. Solche Leute sterben und verderben ewiglich in ihren Sünden, und geschieht ihnen nicht unrecht, dieweil sie Gottes Gnade verachten und muthwillig von sich stossen.

Es kann auch Gott der Herr von einem so gottlosen Menschen die Hand abziehen und denselben in einen verkehrten Sinn geben, dass er von Tag zu Tag je länger, je verruchter und gottloser wird, bis er endlich in Verzweiflung dem höllischen Feuer zufährt, wie man leider dergleichen Exempel unterweilen an solchen Leuten vor Augen siehet, welche auch an ihrem letzten Ende sich nicht zu ihrem Erlöser wenden, und ist kein Wunder, dass Solches geschieht; denn Gott der Herr ist uns nicht schuldig, dass er uns wahre Busse gebe am letzten Ende, wenn wir dieselbige lange Zeit muthwillig von uns geschlagen haben. Darum sollen wir Gott nicht versuchen und nicht muthwillig und freventlich wider unser Gewissen sündigen. Denn es wird nicht einem Jeden so gut, dass er rechte, wahre Busse vor seinem Ende thue und den wahren Glauben an Christum ergreife. Doch, wenn Gott der Herr dem Menschen die Gnade thut, dass ihm seine Sünden herzlich leid werden und er sich kann mit wahrem Glauben an Christum, seinen Erlöser, halten, so soll er um seiner Sünden willen nicht verzagen.

Also habt ihr, Geliebte im Herrn, aus diesem Evangelio gehört, was es für Sünder gewesen seien, deren sich der Herr Christus angenommen, dieselbigen getröstet und wider diese stolzen Pharisäer vertheidigt hat; nämlich, es sind bussfertige, demüthige Sünder gewesen, die über ihre Sünde herzliche Reue und Leid gehabt und nach der Gnade und Barmherzigkeit Gottes ernstlich getrachtet haben. Solche Sünder sollen sich der beiden lieblichen Gleichnisse (von dem verlorenen Schaf und von dem verlorenen Groschen) trösten und sich damit aufenthalten, damit sie in ihren Sünden nicht verzagen. Zum Andern seid ihr auch berichtet worden, wie unser lieber Herr Christus, als ein fleissiger und getreuer Hirt, durch die Predigt des göttlichen Wortes die verlorenen Schäflein suche. Dieselbigen aber werden von ihm gefunden, wenn sie herzliche Reue und Leid über ihre Sünden haben und sich mit wahrem Glauben an den Erlöser Christum halten. Zum Dritten haben wir auch den herrlichen Trost vernommen, dass kein Sünder so gross sei, der nicht Gnade bei Gott dem Herrn erlange, wenn er von seinem gottlosen Wesen absteht und sein Vertrauen zu seinem Heiland Christo setzet. Derhalben so lasst uns wahre Reue über unsere Sünden haben, von denselben ablassen, lasst uns an unsern Herrn Jesum Christum glauben und fürohin in einem gottseligen Leben uns finden lassen: so werden uns unsere begangenen Sünden Nichts schaden, sondern wir werden aus Gnaden um Christi willen ererben das ewige Leben. Das verleihe uns Gott Allen. Amen.

Quelle: Beste, Wilhelm - Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters

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