Mühe, Ernst - Die Leidensgeschichte Jesu Christi - II. Hauptstück, I. Hälfte
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt, erbarme dich unser, und gib uns deinen Frieden, o Jesu! Amen.
Textvorlesung: Leidensgeschichte II. Hauptstück, 1. Hälfte.
Die Schar aber und der Oberhauptmann und die Diener der Juden nahmen Jesum an und banden ihn, und führten ihn aufs erste zu Hannas, der war Kaiphas Schwäher, welcher desselbigen Jahres Hohepriester war. Es war aber Kaiphas, der den Juden riet, es wäre gut, dass ein Mensch würde umgebracht für das Volk.
Simon Petrus aber folgte Jesu von ferne, und ein anderer Jünger, bis an den Palast des Hohepriesters. Derselbige Jünger war dem Hohepriester bekannt, und ging mit Jesu hinein in des Hohepriesters Palast. Petrus aber stand draußen vor der Tür. Da ging der andere Jünger, der dem Hohepriester bekannt war, hinaus und redete mit der Türhüterin und führte Petrum hinein.
Es standen aber die Knechte und Diener und hatten ein Kohlenfeuer gemacht, mitten im Palast; denn es war kalt, und wärmten sich. Petrus aber stand bei ihnen und wärmte sich. Die Magd aber des Hohepriesters, die Türhüterin, sah Petrum bei dem Lichte, da er sich wärmte und sprach: Und du warst auch mit dem Jesu von Galiläa. Bist du nicht auch dieses Menschen Jünger einer? Er leugnete aber vor allen und sprach: Weib, ich bin‘s nicht. Ich kenne ihn nicht, ich weiß auch nicht, was du sagst.
Aber der Hohepriester fragte Jesum um seine Jünger und um seine Lehre. Jesus antwortete: Ich habe frei öffentlich geredet vor der Welt. Ich habe allezeit gelehrt in der Schule und in dem Tempel, da alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Winkel geredet. Warum fragest du mich darum? Frage die darum, die es gehöret haben, was ich geredet habe, siehe diese wissen, was ich gesagt habe. Als er aber solches redete, gab der Diener einer, die dabei standen, Jesu einen Backenstreich und sprach: Antwortest du so dem Hohepriester? Jesus antwortete: Habe ich übel geredet, so beweise es, dass es unrecht sei; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich? Und Hannas sandte ihn gebunden zu dem Hohepriester Kaiphas.
Simon Petrus aber stand und wärmte sich. Und eine andere Magd sah ihn und hob abermals an zu sagen denen, die dabei standen: dieser war auch mit Jesu von Nazareth. Da sprachen sie zu ihm: Bist du nicht seiner Jünger einer? Und eine andere sprach: Du bist auch der einer. Und er leugnete abermals und schwur dazu und sprach: Mensch, ich bin‘s nicht, ich kenne auch den Menschen nicht.
Und über eine kleine Weile, bei einer Stunde, bekräftigte es ein anderer, mit denen, die da standen, und sprach: Wahrlich, du bist auch der einer, denn du bist ein Galiläer und deine Sprache verrät dich. Spricht des Hohepriesters Knecht, ein Gefreundeter des, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sah ich dich nicht im Garten bei ihm? Da fing er an, sich zu verfluchen und zu verschwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr sagt.
Und alsbald, da er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich um und sah Petrum an. Da gedachte Petrus an das Wort Jesu, das er zu ihm gesagt hatte: Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und ging hinaus und weinte bitterlich.
Der vorgelesene Abschnitt der Leidensgeschichte stellt uns vor Augen:
Jesu erstes Verhör und Petri Verleugnung
oder
Das Lamm Gottes unter den Wölfen.
1) Wie die Wölfe sein Jesusherz zerrissen haben;
2) wie auch sein lieber Petrus mit den Wölfen geheult hat.
Zuvor aber lasst uns beten:
O, große Lieb', o, Lieb' ohn alle Maße,
Die dich gebracht auf diese Marterstraße!
Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden,
Und du musst leiden!
1)
Die Schar aber und der Oberhauptmann und die Diener der Juden nahmen Jesum und führten ihn gebunden aufs erste zu Hannas, der war des Kaiphas Schwäher, welcher desselben Jahres Hohepriester war. Daraus, dass selbst ein Oberhauptmann hier genannt wird, sehen wir, dass eine ganze Kompagnie römischer Soldaten in Gethsemane versammelt war, nebst den zahlreichen Dienern der Hohenpriester. Wie sehr wichtig muss ihnen die Gefangennehmung des Jesus von Nazareth gewesen sein! Juden und Heiden binden Jesum. Alle wollen Hand anlegen, selbst der Oberhauptmann. Wir haben auch teil an dieser Tat. Der mit unsern Stricken und Missetäterbanden beladene Jesus in der Mitte der brüllenden rohen Schar, klagt auch uns an. Zugleich ist aber auch durch das Binden Jesu erfüllt, was einst an seinen alttestamentlichen Vorbildern, Isaak, Joseph und Simson geschehen war.
Die hämischen Priester stehen dabei. Sie sind die Schlimmsten unter den Wölfen, die das Lamm Gottes zerreißen. So aber umringen noch heute Juden und Heiden und abgefallene Christen das Lamm Gottes und zerreißen sein Jesusherz.
Sie führten ihn im höllischen Triumphe durchs Kidrontal, hinauf durch die Straßen Jerusalems in den hohepriesterlichen Palast, welcher (nach Nehem. 3, 20) zwischen dem Tempel und dem königlichen Palaste lag. Dort stellte man den Gefangenen zuerst vor Hannas. Der war früher Hohepriester gewesen, vom Jahre 7 vor bis zum Jahr 14 nach Christi Geburt, aber wegen seiner offenbaren Schandtaten von den Römern abgesetzt. Er war Schwiegervater des damaligen Hohepriesters Kaiphas, der im Jahr 25 ins Amt gekommen war und nachher bis ins Jahr 37 regierte. Dieser Kaiphas war aber auch nicht besser. Der hatte etliche Wochen zuvor, als Jesus den Lazarus aus dem Grabe erweckt hatte, und alles Volk diese große Tat des HErrn lobte, den schändlichen Rat gegeben, Jesum zu töten; denn er sagte: „Es ist besser, dass ein Mensch sterbe, als dass wir alle von Amt und Brot kommen.“ Ein gewissenloser Mensch! Doch ohne Wissen und Willen hat er richtig geweissagt, denn es geschah wirklich so. Der eine Mensch Christus musste nach Gottes Rat sterben, auf dass nicht das ganze Volk, ja die ganze Menschheit verdürbe und ewig umkäme. - Diese beiden Hauptwölfe, Hannas und Kaiphas, wohnten in demselben Hause. Hannas auf der einen und Kaiphas auf der anderen Seite. Zuerst wird Jesus vor Hannas gebracht.
Seht da, liebe Zuhörer, den Eifer der Gottlosen gegen Jesum. Eifrig berufen sie eine Ratsversammlung bei Nacht. Sie kommen alle mit größter Bereitwilligkeit, denn es gilt ja, den verhassten Jesus zu morden. Seinen Tod haben sie schon im Voraus geschworen. Die Geschäftigkeit Satans in jenen Stunden ist bewundernswert. Ehe er aber die Ratsherren zusammenbringen kann, hält Hannas, der abgesetzte Hohepriester, der gar nichts mehr zu befehlen hatte, aus Neugierde ein vorläufiges Verhör mit Jesu ab. Dies sollte nur dem greisen Wolfe zur Augenweide dienen und die Zeit ausfüllen, bis der Hohe Rat sich versammelt hätte. Auch hätte er gern durch verfängliche Fragen über Jesu Lehre und seinen Anhang ihm irgendein Wort entlockt, dass man zur Anklage gegen den Unschuldigen gebrauchen könnte. Jesus aber antwortete ihm nicht, wo es nicht unmittelbar nötig war. Darüber ergrimmt, misshandeln die Wölfe das unschuldige Lamm Gottes.
Doch das schlimmste und bitterste Leid geschah ihm dadurch, dass auch sein Jünger Petrus mit den Wölfen geheult hat. Das ging so zu: Petrus und Johannes waren bald von ihrer Flucht in Gethsemane zurückgekehrt und der Schar von ferne gefolgt. Ihre brave Liebe konnte nicht anders. Johannes, obwohl ein armer Fischer, war doch zufällig im Hause des Kaiphas bekannt und hatte ungehindert Zutritt. So ist es ihm möglich geworden, sich immer in der Nähe des HErrn Jesu zu halten und alles zu sehen und zu hören, was mit ihm geschah. Durch seine Vermittlung wurde auch Petrus von der Türhüterin eingelassen. Ach, wäre er lieber draußen geblieben! Er tritt in den weiten, viereckigen, von Seitengebäuden umschlossenen Hofraum. In der Mitte desselben haben die Soldaten ein Kohlenfeuer angezündet, denn es war kalt. Ach, in dieser kalten Nacht hatte Jesus blutigen Schweiß vergossen! Petrus stellte sich mit an das Feuer. Er tat, als wäre er einer ihresgleichen. Das war unvorsichtig. Er hätte aus dem 1sten Psalm bedenken sollen, wie gefährlich und ansteckend schlechte, gottlose Gesellschaft ist. Er wachte und betete nicht. Johannes ist's in diesem Stücke besser gelungen. Er hat sich wohl bis in die Nähe des Sitzungssaales vorgewagt, aber hat sich vorsichtig gehalten. Gott wollte es so haben, denn er sollte Zeuge sein vom Gericht seines Herrn. Indes es gibt solche Naturen, die ohne sonderliche Anfechtungen von der Welt durchkommen. Andere brauchen sich nur zu zeigen, so fällt alles über sie her. Solchen ist doppelte Vorsicht nötig. Petrus aber vertraute seiner natürlichen Liebe zu viel; er will beweisen, dass er doch nicht so schwach ist, wie der HErr ihm zutraute. Er will zeigen, dass er der Petrus ist, auf den der HErr sich verlassen kann, und obwohl vom HErrn darüber gewarnt, wacht er doch nicht. Darum ficht ihn der Satan an. Es sollte so sein. Durch diesen Fall ward offenbar, dass man ohne Jesum nichts kann - auch kein Felsenmann. Hören wir, wie der Teufel den Petrus anficht. Es heißt hier: Die Magd des Hohepriesters, die Türhüterin, welche, nachdem sie die vordere Tür verschlossen, nun zu den Leuten in den Hof trat, um sich mit ihnen zu unterhalten, sah Petrum bei dem Lichte, da er sich wärmte, und sprach: Und du warst auch mit dem Jesu von Galiläa. Hier gebraucht der Teufel eine geringe Dienstmagd, um Petrus zum Falle zu bringen. Jetzt ist es noch so. Christus wird jetzt auch besonders von Knechten und Mägden und anderen dergleichen Leuten verlästert. Wer sich nun ohne Ursache und ohne Bereitschaft, mit Jesu zu leiden und ihn zu bekennen, darunter begibt, verrät bald den HErrn, ohne es zu wollen. Als nun Petrus so plötzlich gefragt wird: Bist du nicht auch dieses Menschen Jünger einer? da leugnete er. weh! Eine dreifache Lüge entschlüpft seinem unbewachten Munde: Er sagt erstlich: Weib, ich bin‘s nicht. Zum andern: Ich kenne ihn nicht! und drittens: Ich weiß auch nicht, was du sagst. Ein entsetzlicher, unglaublicher Fall nach solchem Vorgange in Gethsemane, wo er aus brennender Liebe sein Leben für Jesum in den Tod gab.
Es ist dies wohl der tiefste Fall, den die Bibel von einem Kinde Gottes berichtet. Denn bedenkt noch einmal: Petrus war zum ersten wiederholt gewarnt. Dennoch begibt er sich eigenwillig in Gefahr. Zweitens: Er war Zeuge des bittersten Leidens Jesu, der eben vor seinen Augen ein gutes Bekenntnis ablegte; und er verlässt ihn in der Not. Drittens: Es war ihm noch während der Zeit der Versuchung, die wohl über eine Stunde währte, Gelegenheit zum Besinnen gegeben, aber trotzdem fällt er immer tiefer.
Doch sehen wir wieder auf das Lamm Gottes. Während Petrus verleugnet, bekennt Jesus. Seht durch die Säulenhalle in den offenen Saal. Da steht Jesus vor dem unbefugten Richter. Der fragt ihn um seine Jünger und um seine Lehre. Er tut, als wisse er gar nichts von Jesu Lehre, die doch das ganze Land erfüllte. Er will Jesum zu einem verächtlichen Aufwiegler und Winkelprediger machen - zu einem falschen Propheten, der nach dem Gesetze den Tod verdiente. Der Heuchler! Er wusste wohl, dass der hohe Rat vor drei Jahren, als Jesus mit königlicher Majestät die Krämer und Wechsler aus seines Vaters Hause getrieben, eine Deputation an Jesum gesandt hatte, die ihn nach seiner göttlichen Vollmacht fragte. Der HErr hatte sich damals auf das Zeugnis Johannes des Täufers berufen. Sie hatten es stillschweigend anerkannt, und er hatte dazu ein Beglaubigungszeichen seiner göttlichen Sendung gegeben: Brechet diesen Tempel und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Er redete aber von dem Tempel seines Leibes. Sie hatten diesen Sinn auch recht wohl verstanden. Das sehen wir deutlich aus ihren eigenen Worten, die sie nachher zu Pilatus sprechen: Verwahre sein Grab, denn dieser Betrüger hat gesagt, er wolle am dritten Tage auferstehen.
Hier war es nötig, dass der HErr eine Antwort gab, denn er musste sein heiliges Amt rechtfertigen, darum sagt er: „Ich habe allezeit gelehrt in der Schule und im Tempel, da alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Winkel geredet. Was fragst du mich darum? Frage die darum, die es gehört haben, was ich gesagt habe.“ Diese Antwort traf auch etliche der Herren Richter, die selbst seine Predigten gehört hatten. Das stachelt ihr Gewissen. Darum war eine augenblickliche Verlegenheit. Da geschah es, dass einer von den dabeistehenden Dienern - vielleicht auf ein geheimes Zeichen seiner Herren - Jesu einen Backenstreich gab und sprach: Antwortest du so dem Hohepriester? Furchtbarer Augenblick! Der Sohn Gottes in sein heiliges Angesicht geschlagen, vor dem einst die ganze Welt erzittern wird! Welche Frechheit in Gegenwart des hohen Rates! Welche rohe Auskunft, wo man keine Rechtsgründe mehr hatte? Schon hier im ersten Verhöre die schändlichste Parteilichkeit und unanständige Rohheit. Doch, liebe Christen, ist es unserm Meister so ergangen, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch jetzt und zu aller Zeit, gegen Christi Jünger selten ein ordentliches, gerechtes Gericht gehalten wird. Von dem Knechte aber war's Übermut und Heuchelei, um den Oberen zu gefallen. So ist's auch jetzt noch. Leute, die sonst nicht sonst so schlimm, schimpfen doch, ihren gottlosen Brotherren zu Gefallen, mit auf die Frommen und schlagen noch Christum ins Angesicht. Achtet aber auf das Benehmen des HErrn. Er antwortet: Habe ich übel geredet, so beweise es, dass es unrecht sei. Es war ihm der ungerechte Vorwurf gemacht, er habe sich unehrerbietig gegen die geistliche Obrigkeit betragen. Den Vorwurf kann der HErr nicht stillschweigend auf sich ruhen lassen. Er gibt eine sanfte und gerechte Antwort, und gibt damit zugleich dem Worte in seiner Bergpredigt: „dass man, auf den linken Backen geschlagen, auch den rechten darbieten solle,“ die rechte Erklärung und Begrenzung. Wir lernen auch hieraus: Man soll der Obrigkeit die Wahrheit sagen, jedoch in rechter demütiger Ehrerbietung. Das kann nur ein wahrer Christ. Seht dagegen die jetzigen Demokraten an, wie sie frech sich erheben gegen alle geistliche und weltliche Obrigkeit. Der rohe Knecht hier ist noch besser als die heutigen Demokraten. Er hält noch, wenn auch in verkehrter Weise, auf göttliches Ansehen und Autorität der Obrigkeit!
Den Backenstreich aber hat der gehorsame Jesus für uns Ungehorsame und auch für alle Rebellen unserer Zeit empfangen. Das merket! Unterdes hatte sich der Hohe Rat bei Kaiphas versammelt. Es war etwa gegen zwei Uhr morgens. Hannas sendet deshalb Jesum dahin. Der gebundene Jesus wird aus dem einen Flügel des Palastes in den andern geführt. Ein neuer Triumphzug des Satans. Ach, seht auch hierbei: So hätten wir herumgeschleppt werden müssen für unsere Üppigkeit und Pracht. Jesus geht an unserer Stelle ins Gericht.
Petrus aber ging aus dem inneren Vorhofe in den vorderen Vorhof, entweder um sich aus dem Hause zu entfernen oder um seinen HErrn nicht aus den Augen zu verlieren. Ach Herzen - hatte er ihn schon fast verloren! Es kräht ein Hahn, nicht vom Hofe des Hohepriesters, denn die Hühner galten den Juden für unrein, weil sie im Unrat scharren und Unreines fressen; sondern wahrscheinlich von dem benachbarten Hofe des römischen Landpflegers. Der erste Hahnenschrei geschieht aber früh um 2 Uhr, der zweite um 3 Uhr. Petrus achtet nicht darauf. Bei dieser Gelegenheit sieht ihn eine andere Magd, welche die zweite innere Tür des Hausflurs hütete und von der ersten Magd wohl im Vorbeigehen die Neuigkeit erfahren hatte, dass zwei Jünger Jesu in den Palast gekommen seien. Auch sie hebt abermals an zu sagen, zu denen, die dabei standen: Dieser war auch mit Jesu von Nazareth. Ja, als er an das Feuer zurückgeht, sprechen mehrere: Bist du nicht auch seiner Jünger einer? Mit neuer Macht tritt die Versuchung an ihn heran. Jetzt hätte er bekennen sollen: „Ja, ich bin Jesu Jünger“, und hätte getrost abwarten sollen, was über ihn erginge. Aber nein, er tut einen noch tieferen Fall. Er leugnete zweimal hintereinander und schwur dazu: Ich kenne den Menschen nicht. Welcher schneidende Gegensatz gegen das gute Bekenntnis, welches er einst im Namen aller Jünger ablegte: Wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Seht hieraus, wie übel es mit uns stünde, wenn die Kirche Christi auf den Menschen Petrus gegründet wäre. Doch wir sehen mit Schauder noch tiefer in den Abfall seines gewiss rechtschaffenen Herzens. Es heißt hier: „Und über eine kleine Weile, bei einer Stunde, bekräftigte es ein anderer mit denen, die da standen und sprach: „Wahrlich, du bist auch deren einer, denn du bist ein Galiläer, und deine Sprache verrät dich.““ Ja, ein Diener des Hohepriesters, ein Freund des Malchus, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, erkennt ihn und ruft: Sah ich dich nicht im Garten bei ihm? Da erreichen die Fluten der Versuchung ihren höchsten Grad. Er hat keine Kraft mehr zu widerstehen. Schon über eine Stunde ist er in seiner Sünde beharrt. Das erste Krähen des Hahnes hat er überhört. Immer tiefer sinkt er. Sein Lügen hilft ihm nichts. Seine platte galiläische Mundart verrät ihn. Er wird erkannt. Es ist merkwürdig, dass ihn die Feinde nicht sogleich ergreifen. Doch Jesus schützt in der größten Not die Seinen; und jetzt sollte auch keiner die große Ehre haben, mit dem einigen Mittler und Heilande gemeinsam zu leiden. Petrus war's auch dies Mal nicht wert. Hört nur die furchtbaren Worte: Da fing er an sich zu verfluchen und zu verschwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr sagt. Entsetzlich! Er hat den Sohn Gottes gelästert. Er hat den Fluch Gottes selbst auf sich herabgewünscht!
Schon jubelt der Teufel und glaubt ihn auf immer gefangen zu haben. Doch des HErrn Barmherzigkeit hat noch kein Ende. Denn alsbald, da er noch redete, gegen 3 Uhr morgens, krähte der Hahn zum andern Male und der HErr, der eben, nachdem im Saale das Todesurteil über ihn gesprochen worden, unter Hohn und Getümmel der Knechte in den Hof herabgeführt wird, um daselbst von dem Gesinde misshandelt zu werden und so seinem armen Petrus nahe kam, wandte sich um und sah Petrum an. Der treue Gott gebraucht hier einen Hahn als Bußprediger. So gebraucht er ja noch jetzt die Kreatur, dass sie uns zur Buße rufen muss. Ach, so oft du einen Hahn krähen hörst, denke daran! Petrus war tief, sehr tief gefallen, aber dennoch hatte sein Glaube noch nicht ganz aufgehört. Das bewirkte Jesu Fürbitte im hohepriesterlichen Gebet. (Joh. 17.) Der HErr hatte ihm zuvor gesagt: „Simon, Simon, der Satan hat dein begehrt. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre; und wenn du dich einmal bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Also noch war er nicht ganz abgefallen. Noch war Erneuerung möglich. Sonst wäre er noch tiefer in die Hölle gesunken als Judas, - zur großen Freude des Teufels. Der HErr aber wendet sich. Die Verleugnung seines lieben Petrus war der bitterste Tropfen in seinem Leidenskelch; das Wort: „Ich kenne den Menschen nicht“ war der schmerzhafteste Stich in das Herz Jesu.
Dennoch hat er noch einen Blick für seinen armen Petrus. O, könnte ich diesen Blick beschreiben! Vergeblich, kein Maler auf Erden kann ihn malen. Aber sieh, was er wirkt. Petrus hatte das Binden seines HErrn mit angesehen; er hat gesehen, wie man ihm ins Angesicht schlug. Aber dies, so wenig wie seine eigene Lebensgefahr, hat ihn zur Buße erweckt. Selbst der Hahnenschrei erschreckt ihn nicht. Dieser Blick aber aus Jesu Augen, voll schmerzlicher Anklage, voll Liebe und Erbarmen, durchbohrt und zerschmelzt sein Herz. Da gedachte Petrus an das Wort Jesu, als er zu ihm gesagt hatte: Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Jetzt erst fährt dieses Wort des HErrn wie ein Blitz durch seine Seele und erweckt ihn. Der Teufelsbann ist gelöst. Er bekommt Kraft sich loszureißen. In der Größe seines Schmerzes sieht er keine Feinde mehr, kennt keine Gefahr mehr, fürchtet keinen Tod mehr, weil er den Tod selbst im Herzen trägt. Niemand darf ihn aufhalten, denn Gottes Gnaden-Engel geleitet ihn. Er ging hinaus von der Stätte seiner Schmach und weinte bitterlich. Wohl ihm, er weint um seine Sünde! Selig sind die Leidtragenden, denn sie sollen getröstet werden. Da geht er hin - sein Angesicht voll Scham verhüllend - durch die dunklen Straßen Jerusalems. Ach, noch dunkler tut sich vor ihm auf der Abgrund seines sündigen Herzens! Er wäre gewiss verzweifelt, wie Judas - aber die freundliche himmlische Gnadengewalt jenes Heilandsblickes begleitet und hält ihn - und nach drei Tagen soll seine Seele genesen.
Wir aber, liebe Christen, wollen noch einmal diesen Abschnitt der Leidensgeschichte unserer Seele wie einen Spiegel vorhalten und folgende sechs Sätze der Anwendung mitnehmen:
- Erkennt, dass wir alle verlorene Sünder sind und dass das Lamm Gottes jene Bande allein an unserer Statt und für uns getragen.
- Erkennt, dass Jesus Gottes Sohn dass er kein Winkelprediger, und dass sein Wort, sein ganzes Wort, die reine Wahrheit ist. Darum frage dich, wie es mit deiner Ansicht über die Bibel, die heiligen Sakramente und die heilige Absolution steht, und wisse: das Christentum kommt allewege ans Licht. (Joh. 3.)
- Merke: den Backenstreich Jesu hast du verdient für deine vielen Übertretungen des 4ten Gebotes.
- Wisse, der Petrus bist du, der du sprichst: „Ich habe Jesum lieb,“ und rechnest dich zu den Gläubigen, und wachst doch nicht über dich; - wärmst dich am Feuer der Weltkinder - gehst ohne Not in Gesellschaft der Gottlosen - und verleugnest oft durch Reden, und öfter noch durch Schweigen, deinen HErrn.
- Siehe, noch jetzt steht Jesus vor dem Gerichte der Welt. Bist du nicht auch seiner Jünger einer? Der Hahn hat schon oft gekräht. Willst du dich nicht bekehren?
- Jetzt sieht dich Jesus an. Zerbrich, altes Herz! Reiß dich los aus deinen alten Verhältnissen. Wahre bitterliche Bußtränen können allein Gottes Zorn löschen.
Bete mit mir:
Schlage Jesu an mein Herz,
Rühre mein Gewissen,
Damit aus der Sünde Schmerz
Heiße Tränen fließen.
Blicke mich wie Petrum an,
Dass ich in mich schlage,
Dass ich mag gedenken d'ran
Und doch nicht verzage.
Weck' mich durch den Glockenschall
Aus dem Schlaf der Sünden,
Lass für meiner Sünden Schuld
Mich Erbarmung finden.
Und nimm mich zu Gnaden auf;
Meinen Glauben stärke,
Dass mein ganzer Lebenslauf
Sei voll Tugendwerke.
Dein Blut sei mein Lebenssaft
Und mein Trost im Leiden,
Meiner Seele Stärk' und Kraft,
So sterb' ich mit Freuden;
In der Stunde letzter Not,
Wollst du mein gedenken
Und ein selig End' im Tod
Mir, o Jesu, schenken.
Amen.