Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 33. Von der Erkenntnis aus dem Herzen.
Es ist von großer Wichtigkeit, dass nach dem Sinne der heiligen Schrift Erkenntnis und Irrtum nicht bloß dem Verstandesgebiete angehören, sondern sittliche Begriffe sind. Ja, die Klugheit erscheint zuweilen geradezu als eine Tugend und die Unvernunft als ein Laster. Johannes soll „die Ungläubigen bekehren zu der Klugheit der Gerechten,“1) und wir sollen bedenken, dass wir sterben müssen, „auf dass wir klug werden.2) Torheit begehen und sündliches Wesen treiben ist dem Propheten Jeremia ein Begriff,3) und wenn es im neuen Testamente heißt: „von Innen, aus dem Herzen des Menschen gehen. heraus böse Gedanken, Ehebruch, Hurerei, Mord, Dieberei, Geiz, Schalkheit, List, Unzucht, Schalksauge, Gotteslästerung, Hoffart, Unvernunft ;“4) so tritt die Unvernunft gewiss nur deswegen unter lauter Lastern auf, weil sie selbst ein Laster ist. Überhaupt sind nach biblischer Lehre Liebe und Licht, Selbstsucht und Finsternis innigst verwandt, bringen sich gegenseitig hervor und fließen in einander. Dass das Herz unter dem Einfluss der Erkenntnis steht, ist wohl auch auf weltlichem Gebiete unbestritten. Aber die Schrift dreht dieses Verhältnis auch um, indem sie den Ursprung der Erkenntnis aus dem Herzen hervorhebt.
Ihr ist vor Allem die Heiligung Quelle der Erkenntnis. „So Jemand will Gottes Willen tun,“ spricht Christus, „der wird inne werden, ob meine Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“5)
„Wer nicht lieb hat“ - sagt Johannes „der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.“6) Paulus erklärt ausdrücklich, dass man die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten kann7), und der Brief an die Hebräer ruft auf: „Jagt nach der Heiligung, ohne welche Niemand den Herrn sehen wird.“8) Wie wär's auch möglich, Gott zu erkennen, ohne Gott verwandt zu sein! Wird das Tier je dich begreifen, o Mensch! Nein, „Niemand weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist. Also auch weiß Niemand, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes.9) „Gott wird“ wie Irenäus sagt „ohne Gott nicht erkannt.“ In demselben Grade, in welchem dein Geist göttlicher wird, schreitest du fort in der Erkenntnis Gottes, und Nichts ist wahrer, als das Wort Hugos: „Je größer die Liebe, desto größer ist auch die Erleuchtung; denn das Feuer leuchtet um so heller, je mehr es brennt.“ - Nun ist das Rätsel gelöst, dass weltliche Menschen in geistlichen Sachen so unverständig sind. Ihre Seele ist ungöttlich; wie kann sie Göttliches erkennen! „Meine Augen werden Ihn schauen und kein Fremder!10) ruft Hiob. Wie wollen die Unheiligen Gott schauen! Sie sind Gott fremd. O mache mich, Herr, teilhaftig der göttlichen Natur. Solches Wesen allein ist tauglich zum Spiegel, in dem Dein Bild erglänzt. Solches Wesen allein sieht in sich selber Dich! Darum ermannt sich David in Deiner Kraft zu dem Rufe : „Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit; ich will satt werden wenn ich erwache nach deinem Bilde!“11) Und darum verheißt der Herr: „Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“12)
Herr, nun weiß ich, dass ich Buße vor Dir tun soll auch für meine Irrtümer. Ich habe sie verschuldet. Bei den Heiligen bist du heilig und bei den Frommen bist du fromm; bei den Reinen bist du rein, und bei den Verkehrten bist du verkehrt!“13) Wie viel erhabener würden meine Vorstellungen von Dir sein, wenn ich Dir ähnlicher wäre! Heilige mich; dann erleuchtest Du mich! Treib den Schalk aus meinem Herzen, dann kann auch das Auge meiner Erkenntnis kein Schalk sein!