Spurgeon, Charles Haddon - Das 6. Wort: Sieg

Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er : „Es ist vollbracht!“ und neigte das Haupt und verschied.
Joh. 19,30

Liebe Brüder, ich möchte eure Aufmerksamkeit besonders auf die außerordentliche Klarheit des Geistes lenken, die unseren Heiland in seiner Todesstunde auszeichnete. Häufig ist es so, dass Schmerzen und Stöhnen den Geist verwirren, wenn die letzte Stunde kommt, so dass der Sterbende nicht mehr in der Lage ist, seine Gedanken zu sammeln oder auf einen bestimmten Gegenstand lenken zu lassen und sich verständlich auszudrücken. Wir können von einem Sterbenden jedenfalls keine besonderen Gedächtnisleistungen oder tief schürfenden Erörterungen schwieriger Probleme erwarten. Aber die letzten Taten des Erlösers wiesen ein hohes Maß an Weisheit und Klugheit aus, obwohl er außerordentliche Folterqualen erlitt.

Wie deutlich erfasste er das Wesentliche! Wie klar las sein sterbendes Auge jene göttlichen Zeichen, in deren Geheimnis gar zu gerne die Engel gedrungen wären! Ihm war offenbar, was die Weisen verwirrte und die Seher in Erstaunen versetzte. Alles erfüllte sich an seinem Leibe. Auch sollten wir die geistige Kraft und Geschlossenheit nicht übersehen, mit der er erfasste, was die Schatten der Vergangenheit und die helle Gegenwart verbindet. Nicht vergessen dürfen wir die außerordentliche geistige Leistung, die darin bestand, die zahlreichen Zeremonien und Opfer der alttestamentlichen Zeit in einem einzigen Gedanken zusammenzufassen, die Fülle der prophetischen Aussagen als eine geschlossene Offenbarung zu begreifen, alle Verheißungen schließlich auf sich selber zu beziehen -und dann von dem allem zu sagen: „Es ist vollbracht! Es ist in mir vollendet!“

Welche geistige Beweglichkeit befähigte ihn dazu, sämtliche Jahrhunderte der Prophetie zu überblicken, den ungeheuren, ewigkeitsschweren Raum des Bundes zu durchdringen und die ewige Herrlichkeit vorauszusehen? Und all dies, während Scharen der Feinde ihn verspotteten, während er mit Händen und Füßen ans Kreuz genagelt war! Welche geistige Kraft muss der Retter besessen haben, um die Hochgebirge des Todeskampfes zu überwinden, die sich bis an den Himmel erhoben! In welch einmaliger Geistesverfassung muss er sich während der Kreuzigung befunden haben, wenn es ihm gegeben war, das gesamte Werk der Inspiration zu überblicken!

Es kann sein, dass wir diesen Bemerkungen an sich keine große Bedeutung zumessen. Doch ich meine, ihr Wert liegt in gewissen Schlüssen, die wir daraus ziehen können. Manchmal begegnete uns die Äußerung: „Wie konnte Christus in so kurzer Zeit Schmerzen erleiden, die den ewigen Qualen der Hölle entsprechen! „Unsere Antwort: Wir sind nicht in der Lage zu ermessen, wozu der Sohn Gottes in einem winzigen Augenblick fähig ist; viel weniger können wir beurteilen, was er während seiner Erdentage und in seinem Todeskampf zu tun und zu leiden vermochte.

Menschen, die vom Tode des Ertrinkens gerettet wurden, versicherten häufig, dass der Geist des Ertrinkenden außerordentlich aktiv ist. Jemand, der erst nach allerlei Bemühungen gerettet werden konnte, sagte, dass sein ganzes Leben an ihm vorüberzuziehen schien, während er sank, und dass ihm die kurze Zeit im Wasser wie zwanzig Jahre vorgekommen war. Auch der phantastische Bericht über die Entrückung Mohammeds ist kein schlechtes Beispiel. Der Prophet behauptet, ein Engel habe ihn nach Jerusalem entrückt, und auf dem Wege dorthin sei er durch alle sieben Himmel geschritten und habe ihre Wunder gesehen. Dies alles aber habe sich in so kurzer Zeit vollzogen, dass sie ein Gefäß mit Wasser, an das der Engel beim Abflug versehentlich gestoßen hatte, bei der Rückkehr gerade noch vor dem Umstürzen bewahren konnten. Es ist möglich, dass der Traum dieses Epileptikers, der sich für einen Propheten Gottes hielt, nur wenige Sekunden dauerte.

Der Verstand des sterblichen Menschen ist so beschaffen, dass er-wenn Gott es so will-unter bestimmten Umständen das Denken von Jahrhunderten in einem Augenblick erfassen kann. In einem Augenblick kann er klären, wofür wir viele Jahre Forschung nötig hielten. Darum glauben wir, dass es für den Heiland, der am Kreuz über eine außerordentliche Verstandesschärfe verfügte, durchaus möglich war, in zwei oder drei Stunden nicht nur die Schmerzen von Jahrhunderten zu erdulden, sondern auch das Maß an Leiden der ewigen Verdammnis. Jedenfalls können wir nicht sagen, dass es unmöglich sei. Wenn die Gottheit menschliches Wesen angenommen hat, dann ist dieses Menschentum zu allen Leiden fähig. So wie Christi Füße einst in der Lage waren, auf dem See zu wandeln, so war sein Leib nun fähig, in größte Wassertiefen einzutauchen und ungeahnte Schmerzen zu erdulden. Ich bitte dich, versuche nicht die Leiden Christi mit deiner begrenzten, beschränkten Vernunft zu messen, sondern glaube, dass Gott den Leiden Christi den gleichen Rang einräumt wie den Leiden aller Generationen. Es kann sich bei dem Todeskampf Christi nicht um eine Kleinigkeit gehandelt haben. Er ertrug so viel, wie er als menschgewordener Gottessohn ertragen konnte. Es blieb ihm nichts erspart.

Der nun folgende Teil unserer Predigt wird, daran zweifele ich nicht, noch deutlicher machen, worum es mir geht. Lasst uns zunächst auf den Text hören und ihn zu verstehen suchen. Lasst uns dann über das Gehörte staunen, und drittens: Lasst es uns weitersagen!

Wir hören auf den Text und suchen ihn zu verstehen

Der Sohn Gottes wurde Mensch. Er lebte ein untadeliges Leben, ein Leben völliger Selbstverleugnung. Zeitlebens wurde er von den Menschen verachtet und zurückgewiesen; er kannte Sorgen und Schmerz. Zahllos waren seine Feinde, nur wenige Freunde hatte er, und die verließ ihr Mut. Schließlich fiel er in die Hände derer, die ihn hassten. Man nahm ihn fest, als er betete. Man stellte ihn vor ein geistliches und vor ein weltliches Gericht. Man verkleidete ihn, um sich über ihn lustig zu machen; dann riss man ihm die Kleider wieder vom Leibe, um ihn der Schande preiszugeben. Im Spott erwies man ihm Referenz wie einem König, um ihn dann an der Martersäule auszupeitschen. Es wird zugegeben, dass er unschuldig ist und doch liefert der Richter ihn aus, der ihn vor seinen Verfolgern hätte schützen sollen. Man zerrt ihn durch die Straßen Jerusalems, das bereits die Propheten tötete, und ist bereit, nun auch das Blut des Meisters aller Propheten zu vergießen. Man schleppt ihn an den Ort der Kreuzigung, mit Nägeln wird er an das erbarmungslose Holz genagelt. Die Sonne brennt auf ihn hernieder. Wundfieber lässt seinen Leib erschauern. Gott verlässt ihn, gibt ihn auf. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Darin liegt alle Angst der Welt beschlossen. Während er da hängt im tödlichen Kampf mit Sünde und Satan, bricht sein Herz, versagen seine Glieder ihren Dienst. Der Himmel gibt ihn auf, denn die Sonne ist verhüllt mit Dunkelheit. Die Erde will ihn nicht haben, denn die Jünger verließen ihn und flohen (vgl. Matthäus 26,56).

Nach allen Seiten schaut er sich um, aber es gibt keine Hilfe. Wohin er auch blickt, niemand ist da, um seine Last und seine Schmerzen zu teilen. Einsam tritt er die Weinkelter; nicht einmal seine eigenen Leute sind bei ihm. So geht er den Weg, Schritt für Schritt, unermüdlich, bereit, den Kelch bis zur Neige zu leeren, der nicht an ihm vorübergehen kann, soll der Wille des Vaters geschehen. Schließlich der Ruf: „Es ist vollbracht!“, und er gibt seinen Geist auf. Hört doch, ihr Christen, hört diesen Triumphruf, der noch heute dieselbe Frische und Kraft hat wie vor Jahrhunderten! Vernehmt ihn in der Heiligen Schrift und von den Lippen des Erretters. Gottes Geist öffne euch die Ohren, dass ihr hört und versteht!

Was meinte der Heiland mit dem: „Es ist vollbracht“? Zunächst, dass nun alle Vorbilder, Verheißungen und Prophetien restlos erfüllt sind in ihm. Wer den griechischen Text unseres Berichtes kennt, stellt fest, dass das Wort „Vollbracht“ zweimal darin wiederkehrt. Schon im 28. Vers findet es Sich: „danach, da Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, auf dass die Schrift erfüllt würde, spricht er: ›Mich dürstet!‹“ und im 30. Vers heißt es: „Es ist vollbracht!“ Das zeigt ganz deutlich, dass unser Herr die Erfüllung der Schrift meinte. Als er rief: „Es ist vollbracht!“, war die ganze Heilige Schrift, vom ersten bis zum letzten Buch-das Gesetz, die Propheten und die Schriften-in ihm erfüllt. Es gab keinen einzigen kostbaren Stein der Verheißung, angefangen vom ersten Smaragd an der Schwelle von Eden 1) bis zum letzten Saphir des Maleachi 2), der nicht Aufnahme gefunden hätte in dem Brustschild des wahren Hohenpriesters. Es gibt kein Vorbild, kein Bild in der Sprache der Bibel, vom Goldenen Kalb bis zur Turteltaube, vom Ysop bis zum Tempel Salomos, das sich nicht in ihm erfüllte. Es gibt keine Weissagung, ob sie nun an den Ufern des Chebar oder des Jordan gesprochen wurde, keinen Traum weiser Männer, ob empfangen in Babylon, Samaria oder Judäa, die nicht von Christus bis zum Letzten erfüllt wurden.

Ist das nicht wunderbar, dass eine solche Fülle von Verheißungen, Prophetien und Vorbildern, die offensichtlich sehr verschiedenartig sind, sich erfüllt haben soll in einer einzigen Person? Sieh einmal von Christus ab, gib das Alte Testament irgendeinem gelehrten Mann und sage ihm: „Nehmen Sie dieses, es ist ein Problem für Sie. Setzen Sie sich hin, entwerfen Sie eine ideale Persönlichkeit, in der sich all das erfüllt, was hier vorausgesagt wird. Vergessen Sie nicht, es muss ein Prophet sein wie Moses und ein Kämpfer wie Josua, er muss die Funktionen Aarons übernehmen und die Qualitäten Melchisedeks haben, er muss zugleich David und Salomo sein, Noah und Jona, Juda und Joseph. Er darf nicht nur das Opferlamm sein, der Sündenbock, die Turteltaube oder der Priester, der opfert, er muss ebenso der Altar, die Stiftshütte, der Gnadenstuhl und das Schaubrot sein.“ Um den Gelehrten noch mehr zu verwirren, erinnern wir ihn an die Prophezeiungen, die einander offensichtlich widersprechen, so dass es undenkbar erscheint, sie könnten sich in einem Menschen erfüllen. Etwa diese: „Alle Könige werden ihn anbeten; alle Heiden werden ihm dienen“ (Ps. 72,11) Und: „Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn nichts geachtet“ (Jes. 53,3). Von ihm muss es heißen: „Sieh, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären“ (Jes. 7,14). Er muss ohne Flecken und Fehler sein, andererseits muss er als der herausgestellt werden, auf den der Herr all unsere Sünden legt. Er soll der einzig Herrliche sein, ein Sohn Davids, und zugleich eine Wurzel aus dürrem Erdreich (vgl. Jes. 53,2).

Ich wage zu behaupten: Wenn die größten Geister aller Zeiten sich zusammensetzen würden, um dieses Problem zu lösen, um einen anderen gültigen Schlüssel für alle Zeichen und Verheißungen zu finden, sie bemühten sich vergeblich. Ich sehe sie vor mir, die gelehrten Männer, wie sie über diesen Hieroglyphen brüten. Einer von ihnen schlägt eine Lösung vor, sie erklärt zwei oder drei Zeichen, aber dann geht es nicht mehr weiter, das nächste Zeichen lässt sich damit nicht erschließen. Ein anderer Gelehrter schlägt einen anderen Schlüssel vor, aber der versagt gerade dort, wo er am nötigsten gebraucht wird; so geht es weiter, ein Versuch nach dem anderen scheitert. Die wundervollen Zeichen, denen Mose in der Wüste auf die Spur kam, bleiben unerklärt, bis einer auftritt und erklärt: „Das Kreuz Christi und der eingeborene Sohn Gottes, der Mensch wurde-das ist die Lösung!“ auf einmal ist alles klar, die Zeichen lassen sich lesen, jedes Kind versteht sie. Hochgelobter Herr und Heiland! In dir sehen wir alle Dinge erfüllt, von denen Gott in alten Zeiten durch die Propheten sprach. In dir nimmt all das Gestalt und Wesen an, das Gott vor Zeiten andeutete im Dunst rauchender Opfer. Ehre sei deinem Namen! „Es ist vollbracht“ - alles ist in dir zusammengefasst.

Doch die Bedeutung dieser Worte reicht noch weiter! Nicht nur die Zeichen, Prophezeiungen und Verheißungen wurden in Christus erfüllt, alle Opfer der alten jüdischen Kultgesetze finden ebenso sehr ihre Erklärung wie ihr Ende. Sie sind erfüllt - erfüllt in ihm.

Stell dir vor, die Heiligen schauten vom Himmel herab auf die Erde, um zu sehen, was dort geschehen ist-Abel und seine Freunde, die schon lange vor der großen Flut in die Herrlichkeit aufgenommen wurden. Sie beobachten, wie Gott einen Stern nach dem andern am Himmel aufleuchten lässt. Eine Verheißung nach der anderen wirft helles Licht hinein in das dichte Dunkel der Erde. Sie sehen Abraham kommen; sie nehmen mit Verwunderung wahr, wie Gott dem Abraham Christus in der Person des Isaak offenbart. Sie staunen wie die Engel und möchten das Geheimnis ergründen. Von den Zeiten Noahs, Abrahams, Isaaks und Jakobs an, sehen sie Altäre rauchen-Zugeständnisse der Schuld des Menschen-,und die Geister vor dem Thron sprechen: „Wann werden diese Opfer ein Ende finden? Wann wird kein Blut mehr vergossen werden?“ Doch die blutigen Opfer nehmen zu. Es sind immer wieder Menschen da, deren spezielle Aufgabe es ist, Opfer darzubringen. Aaron, die Hohenpriester und Leviten opfern jeden Morgen und jeden Abend ein Lamm; daneben gibt es zahlreiche Opfer zu besonderen Gelegenheiten. Stiere stöhnen, Widder bluten, Tauben flattern, und während all dieses geschieht, rufen die Heiligen: „O Herr, wie lange noch? Wann wird das Opferwesen ein Ende finden?“ Jahr für Jahr tritt der Hohepriester hinter den Vorhang, der Heiliges und Allerheiligstes voneinander trennt, und besprengt mit Blut den Gnadenstuhl, die Bundeslade. Im kommenden Jahr wird er dasselbe tun - und dann wieder und immer wieder. David opfert Hekatomben, Salomo schlachtet Zehntausende. Hesekiel vergießt Ströme von Öl, Josia spendet das Fett von Tausenden von Tieren, und die verstorbenen Gerechten sagen: „Wird das niemals aufhören? Wird das Opfern niemals ein Ende finden? Muss immer wieder an die Sünde erinnert werden? Kommt nicht bald der letzte Hohepriester? Wird nicht das Priestergeschlecht Aarons bald die Arbeit ruhen lassen, weil sie erledigt ist?“ Noch nicht, noch nicht! Ihr Geister der Gerechten, auch nach der Rückführung des Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft nimmt die Schlachtung der Opfer ihren Fortgang.

Doch siehe, er kommt! Haltet Ausschau! Werdet nicht müde! Er kommt und schließt die Generationen von Priestern ab. Dort steht er! Er trägt keinen leinenen Ephod, keine klingelnden Glöckchen umsäumen sein Gewand, keine blinkenden Juwelen zieren seinen Brustschild, sondern angetan mit Fleisch und Blut der Menschen steht er da. Sein Kreuz ist sein Altar, sein Leib und seine Seele sind das Opfer, er selber ist der Priester, und siehe! vor seinem Gott bringt er seine eigene Seele dar hinter dem Schleier undurchdringlicher Dunkelheit, die ihn vor den Blicken der Menschen verborgen hält. Um sein eigenes Blut darzubringen, tritt er hinter den Schleier, sprengt es aus und kommt dann aus der finstersten Dunkelheit hervor, schaut nieder auf die erstaunte Erde und hinauf zu dem erwartungsvollen Himmel und ruft: „Es ist vollbracht! Es ist vollbracht!“ Das, wonach ihr alle euch so lange schon gesehnt habt, ist erreicht und für immer erfüllt.

Zweifellos wollte der Heiland mit diesem Wort sagen, dass er einen vollkommenen Gehorsam vollbrachte. Zur Rettung der Menschen war es notwendig, das Gesetz Gottes zu halten, denn niemand kann das Angesicht Gottes sehen, wenn er nicht vollkommen und gerecht ist. Christus nahm es auf sich, das Gesetz anstelle seines Volkes zu erfüllen und jeder einzelnen Vorschrift Folge zu leisten, so dass es unverletzt war. Während seiner ersten Jahre auf Erden befolgte er das Gesetz persönlich, indem er Vater und Mutter ehrte. Während der Jahre seines öffentlichen Wirkens gehorchte er Gott vor allen Augen, indem er diente und sich im Dienst aufopferte. Wenn du wissen möchtest, wie das Leben eines Menschen aussieht, das vollkommen übereinstimmt mit dem Gesetz Gottes, dann schaue Christus an.

Sein Leben bedurfte keiner Vervollkommnung mehr, wohl aber sein Gehorsam bis zum Tode. Wer Gott dienen möchte, muss nicht nur bereit sein, seine Seele und alle seine Kräfte einzusetzen, solange er lebt, sondern er muss sein Leben selbst drangeben können, wenn Gottes Ehre es verlangt. Unser vollkommener Stellvertreter vollendete sein Werk mit seinem Tod; deshalb erklärte er, dass er jede Verpflichtung erfüllt hatte: „Es ist vollbracht!“ Ja, ruhmreiches Lamm Gottes, es ist vollbracht! Du bist in allen Stücken versucht worden wie wir, und doch hast du in keinem Stück gesündigt! Es war vollbracht, denn der letzte Pfeil aus dem Köcher Satans war auf dich abgeschossen worden; die letzte gotteslästerliche Einflüsterung, die letzte verderbliche Versuchung galt dir; der Fürst dieser Welt hat dich vom Kopf bis zum Fuß unter die Lupe genommen, innerlich und äußerlich, aber er fand keinen schwachen Punkt. Nun ist die Probe bestanden. Du hast das Werk vollendet, das dein Vater dir anvertraute. Es ist so vollendet, dass selbst die Hölle dir keinen Fehler nachweisen kann. Und nun sagst du im Blick auf deinen vollkommenen Gehorsam: „Es ist vollbracht!“ Wir, dein Volk, glauben fröhlich, dass es so ist.

Brüder und Schwestern, das ist auch mehr, als wir sagen könnten, wenn Adam keinen Sündenfall begangen hätte. Wenn wir uns heute im Garten Eden befänden, könnten wir uns doch niemals einer vollendeten Gerechtigkeit rühmen, weil ein Geschöpf seinen Gehorsam niemals erfüllen kann. Solange ein Geschöpf lebt, muss es gehorchen, und solange wir einen freien Willen haben, stehen wir in der Gefahr, unsere Verpflichtung zum Gehorsam zu verletzten. Wenn Adam vom ersten Tage an bis heute im Paradiese gewesen wäre, so könnte er doch morgen fallen. Wenn Adam, die Krone der Schöpfung, sich selbst überlassen bliebe, es gäbe keine Garantie dafür, dass er nicht doch noch entthront würde. Aber Christus der Schöpfer, der die Schöpfung vollendete, hat auch die Erlösung vollendet. Gott kann mehr nicht fordern. Das Gesetz ist in allen seinen Teilen befriedigt worden. Die Gerechtigkeit, wenn wir sie noch so weit fassen, kann ihm keine weitere Stunde des Gehorsams abfordern. Es ist getan, es ist vollständig, der letzte Faden ist geknüpft, das Gewand ist fertig von oben bis unten. Lasst uns darum fröhlich sein, denn unser Herr will mit seinem Todesschrei sagen, dass die vollkommene Gerechtigkeit, mit der er uns beschützt und bedeckt, vollendet ist.

Ferner will unser Heiland sagen, dass es ihm gelungen ist, die Gerechtigkeit Gottes zufriedenzustellen. Die Schuld war nun bis zum letzten Pfennig bezahlt. Der eine, der sich am Kreuz opferte, vollbrachte die Sühne und die Versöhnung ein für allemal und für immer. Da war der Kelch, gefüllt mit höllischem Trank! Der Erretter trank ihn aus-nicht einen Schluck und dann wieder eine Pause-,sondern er leerte ihn, bis kein Tropfen mehr übrig blieb für sein Volk. Die fürchterliche, mit zehn Striemen versehene Peitsche des Gesetzes fuhr auf seinen Rücken nieder, kein Hieb blieb übrig für die, denen der Tod Jesu galt. Die gewaltige Artillerie der Gerechtigkeit Gottes hat sämtliche Munition verschossen; auf Kinder Gottes kann kein Schuss mehr abgegeben werden. Dein Schwert steckt wieder in der Scheide, Gerechtigkeit! Dein Donnerrollen ist verklungen, Gesetz! Für die auserwählten Sünder ist keine Sorge, kein Schmerz und kein Kampf mehr zu bestehen, denn Christus hat das alles für seine Geliebten ertragen. „Es ist vollbracht!“

Brüder, in der Hölle ließe sich das nicht sagen. Wenn wir gezwungen würden, Gottes Gerechtigkeit in der Hölle Genugtuung zu verschaffen, könnten wir niemals sagen: „Es ist vollbracht!“ Christus hat die Schuld bezahlt, die mit ewigen Qualen nicht zu bezahlen wäre. Verlorene Seelen würden heute noch ebenso leiden wie in vergangenen Tagen, aber Gottes Gerechtigkeit wäre nicht zufriedengestellt, seinem Gesetz wäre noch immer nicht Genüge getan. Wenn Ewigkeit auf Ewigkeit verstreichen würde, da es in der Zeit nicht zu schaffen ist, der letzte Pfennig würde niemals bezahlt werden können, die Strafe würde doch immer noch Sünder treffen, die keine Vergebung erlangt haben. Aber Christus hat vollbracht, was alle Flammen der Hölle in alle Ewigkeit nicht tun könnten: Er hat dem Gesetz Genüge getan, er hat es gebührend geehrt, und nun ruft er vom Kreuz herab: „Es ist vollbracht!“

Als Jesus rief: „Es ist vollbracht!“, hatte er die Macht Satans, der Sünde und des Todes vollkommen zerstört. Er hatte den Kampf für die Erlösung unserer Seelen aufgenommen gegen alle unsere Feinde. Er stieß auf die Sünde. Fürchterlich, schrecklich! Die nahezu allmächtige Sünde brachte ihn an das Kreuz. Aber gleichzeitig schlug Christus die Sünde ans Kreuz. Beide hingen sie an einem Stamm-die Sünde und ihr Vernichter. Die Sünde tötete Christus, aber in seinem Tode vernichtete Christus die Sünde.

So trat der zweite Feind heran, Satan. Er attackierte Christus mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mächten. Er rief Zehntausende von allen Ecken und Enden des Weltalls auf und rief ihnen zu: „Auf, erhebt euch, oder ihr seid verloren! Da steht unser großer Feind, der mir den Kopf zertreten will. Los, wir wollen ihn in die Ferse stechen!“ Sie schossen ihre höllischen Pfeile in sein Herz, sie gossen Kessel mit kochendem Inhalt über ihn aus, sie spritzten ihr Gift in seine Adern, sie schleuderten ihm ihre verderblichen Ansinnen ins Gesicht, sie zischten ihre teuflischen Fürchterlichkeiten in sein Ohr. Allein stand er da, der Löwe vom Stamme Juda, gehtzt von allen Hunden der Hölle. Unser Kämpfer wich nicht zurück, er gebrauchte seine heiligen Waffen und schlug nach rechts und nach links in der Kraft und Hilfe Gottes. Da kamen die feindlichen Heermächte heran, Salve auf Salve wurde auf ihn abgegeben. Kein Bühnengewitter, sondern ein Donnerrollen, das die Pforten der Hölle erschüttern konnte. Der Held ging Schritt für Schritt vor, brachte ihre Reihen in Verwirrung, trieb seine Feinde auseinander, brach Bogen und Speere entzwei, verbrannte Streitwagen mit Feuer, während er rief: „Im Namen Gottes werde ich euch vernichten!“ Schließlich, Fuß an Fuß, stand er Satan gegenüber, und nun kämpfte David mit Goliath. Nicht lange dauerte der Kampf, undurchdringlich war die Dunkelheit um die Kämpfenden her, aber er, sowohl Gottes wie Marien Sohn, wusste, wie der Feind zu treffen war. Er schlug auf ihn ein mit göttlichem Zorn, bis er, aller Waffen beraubt, die feurigen Pfeile gelöscht und den Kopf des Gegners zerschmettert hatte; er schrie: „Es ist vollbracht!“ und schickte den blutenden und heulenden Feind in die Hölle. Wir können uns vorstellen, wie der Erretter ihn verfolgte und ihm nachrief: „Verräter!“ Wie der Blitz überholte er seinen Feind, packte ihn mit beiden Händen und fesselte ihn mit schweren Ketten. Die Engel brachten den königlichen Wagen aus himmlischen Höhen und banden den Gefangenen dahinter. Treibt die Pferde die ewigen Hügel hinauf! Ihr vollkommenen Geister, kommt Christus entgegen! Singt dem Sieger, der Tod und Hölle hinter sich herzieht, der die Gefangenschaft gefangen führt! „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“ (Ps. 24,7). Doch halt! Bevor er eintritt, lasst ihn sich seiner Bürde entledigen. Sieh! Er nimmt den Feind und schleudert ihn hinunter durch pechschwarze Nacht in den Abgrund der Hölle, wo er, mit gebrochenen Gliedern, verletzt und aller Macht und seiner Krone beraubt, für immer heulend liegen wird.

So also überwand unser Herr die Sünde und den Satan, als er rief: „Es ist vollbracht“ Nicht weniger vollständig besiegte er den Tod. Der Tod kommt gegen ihn heran, wie ein Dichter es beschreibt, er schießt seinen feurigen Pfeil auf den Heiland ab, der Pfeil durchschlägt den Körper des Heilands, mit seiner Spitze sitzt er im Kreuz fest. Als der Tod versucht, den Pfeil wieder herauszuziehen, verliert dieser seine Spitze. Was soll der Tod tun? Er ist entwaffnet. Daraufhin befreit Christus einige Gefangene des Todes: „Denn viele Heilige standen von den Toten auf und wurden von vielen gesehen“ (vgl. Mat. 27,52f.). Dann richtet Christus das Wort an den Tod. „Tod, ich nehme dir deine Schlüssel fort; für eine kleine Weile noch musst du die Gräber bewachen, in denen meine Heiligen schlafen sollen, aber gib mir die Schlüssel heraus.“ Und siehe! Heute steht der Retter da mit den Schlüsseln des Todes an seinem Gürtel, er wartet auf die Stunde, die keiner kennt, wenn die Trompete des Erzengels erschallen wird wie die Silbertrompete des Halljahres. Dann wird er ausrufen: „Lass mir meine Gefangenen frei!“ Es werden sich die Gräber öffnen kraft des Todes Christi, und die Heiligen werden wieder leben in Herrlichkeit und in alle Ewigkeit.

Lasst uns hören und staunen!

Wir wollen nun herausfinden, was die Worte „Es ist vollbracht“ erstaunliches ausrichteten. Damit ratifizierte Christus den Bund. Der Bund war schon vorher unterzeichnet und versiegelt, alle Dinge waren wohl geordnet, doch als Christus rief: „Es ist vollbracht!“, war der Bund doppelt garantiert. Nachdem das Blut aus dem Herzen Christi das göttliche Dokument besprengt hatte, konnte es nicht mehr widerrufen werden; keine seiner Anordnungen konnte gebrochen und keine seiner Bedingungen gelöst werden. Du weißt, worum es in diesem Bund, in diesem göttlichen Vertrag geht: Gott verpflichtet sich, Christus zum Zwecke der Erlösung zur Verfügung zu stellen. Alle, die Christus sich durch die Arbeit seiner Seele erwirbt, sollen ein neues Herz und einen neuen Geist haben. Wer von Sünden reingewaschen ist, soll durch Christus Zutritt zum ewigen Leben haben.

Christus dagegen verpflichtet sich: „Vater, ich will deinen Willen tun, ich will das Lösegeld auf Heller und Pfennig bezahlen, ich will dir vollkommen gehorchen und dir Genüge tun.“ Falls nun der zweite Teil des Vertrages niemals erfüllt worden wäre, wäre auch der erste Teil ungültig geworden, aber Jesus sagte: „Es ist vollbracht!“ Damit blieb auf seiner Seite nichts mehr zu tun übrig, und nun kommt alles darauf an, dass der andere Vertragspartner seine Zusagen einhält. Es ist Gottes „Ich will“ und Gottes „Sie sollen“ „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben; ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun“ (Hes. 36,26f.). „Ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet; von all eurer Unreinigkeit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen“(Hes. 36,25). „Die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen“(Jer. 46,16). An diesem Tag wurde der Bundesvertrag ratifiziert.

Als Christus sagte: „Es ist vollbracht!“, wurde sein Vater geehrt und die göttliche Gerechtigkeit voll entfaltet. Schon immer liebte der Vater sein Volk. Denke nicht, Christus starb, um Gott dazu zu bringen, dass er liebt. Schon vor Grundlegung der Welt liebte er uns, aber das Wort „Es ist vollbracht“ beseitigte die Schranken, die dem Vater im Wege waren. Gott wollte als ein Gott der Liebe armselige Sünder segnen; nun konnte er es als ein Gott der Gerechtigkeit tun. Von diesem Tage an gefällt es Gott, Sünder bei sich aufzunehmen. Als Christus sagte: „Es ist vollbracht!“, wurde auch er selber verherrlicht. Denn nun empfing er die herrlichste Krone. Nun ließ ihm der Vater Ehrungen zuteil werden, die er vorher nicht gekannt hatte. Als Gott war er bereits geehrt, aber als Mensch wurde er verachtet und zurückgewiesen. Doch nun durfte Christus für alle Zeiten als Gott und als Mensch auf dem Thron seines Vaters sitzen, gekrönt mit Ehre und Majestät. Damit stand uns auch der Heilige Geist zur Verfügung. Nun hatte der Geist, den Christus verheißen hatte, eine neue, außerordentliche Möglichkeit, in die Herzen der Menschen zu gelangen und dort Wohnung zu nehmen, und die Menschen ihrerseits hatten Zugang zu den Wohnungen Gottes. An jenem Tage, als Christus rief: „Es ist vollbracht!“, gingen erstaunliche Wirkungen auf den Himmel aus. Von nun an stand die Mauer aus Edelsteinen fest, das Licht der Perlentore der Stadt leuchtete siebenfach heller als das Tageslicht. Vor diesem Ereignis wurden die Frommen gewissermaßen auf Kredit gerettet. Sie wurden in das himmlische Reich Gottes aufgenommen, weil Gott Vertrauen hatte zu seinem Sohn Jesus. Hätte Christus sein Werk nicht vollendet, so hätten sie die leuchtenden Sphären des Himmels wieder verlassen und jeder für sich die Last der Sünde verantworten müssen. Wenn es mir erlaubt ist, meiner Phantasie die Zügel schießen zu lassen, möchte ich andeuten, was für eine Erschütterung es für den Himmel bedeutet hätte, hätte Christus sein Werk nicht vollendet: Die Steine der Mauern hätten sich gelöst; die Bastionen wären, so erstaunlich massiv sie waren, umgestürzt wie bei einem Erdbeben. Aber Christus sagte: „Es ist Vollbracht!“ Schwur, Bund und Blut befestigten den Wohnort der Erlösten, machten ihre Wohnungen sicher, sicherten ihnen das ewige Gut und forderten sie auf, sich auf den unerschütterlichen Felsen zu stellen.

Ja, noch mehr! Der Ruf „Es ist vollbracht!“ wirkte sich auf die düsteren Höhlen und Tiefen der Hölle aus. Satan riss in ohnmächtiger Wut heulend an den Ketten: „Ausgerechnet der hat mich überwunden, den ich besiegen wollte. Meine Hoffnungen sind dahin! Niemals mehr wird ein Auserwählter Gottes in einem Gefängnis enden. Niemals mehr wird ein Bluterkaufter Christi in meiner Behausung landen.“ und verlorene Seelen trauerten und Klagten: „Es ist vollbracht! Wenn selbst Christus, der Stellvertreter, nicht freikam, bevor er die auf ihn gelegte Strafe bis zum Äußersten ausgekostet hatte, dann werden wir niemals freikommen.“ Der Siegesruf war ihr Totenglöckchen. Sie riefen: „Wehe uns! Die Gerechtigkeit, die es dem Heiland nicht erlaubte, billig davonzukommen, wird uns niemals freilassen. Mit ihm ist es vollendet, darum wird es für uns kein Ende mehr geben.“

An jenem Tage breitete die Sonne ein Licht über die Erde, das diese noch nicht gekannt hatte. Die Gipfel ihrer Hügel erstrahlten in der aufgehenden Sonne. Obwohl ihre Täler immer noch in der Dämmerung liegen, obwohl die Menschen ziellos hin und her wandern und am Mittag tasten, als ob es Nacht sei, erhebt sich die Sonne und wandert den Himmel hinauf, um niemals wieder unterzugehen. Bald werden ihre Strahlen den dichten Nebel und die dunklen Wolken durchdringen. Jedes Auge wird ihn sehen, und jedes Herz wird froh werden in seinem Licht. Das Wort „Es ist vollbracht“ festigte den Himmel, erschütterte die Hölle, tröstete die Erde, erfreute den Vater, verherrlichte den Sohn, vermittelte den Geist und sicherte allen Erwählten einen ewigen Bund.

Lasst es uns weitersagen!

Die ihr Christus im Glauben angenommen habt als euer „Alles in allem“, erzählt es jeden Tag, dass es vollbracht ist! Geht und sagt es denen, die sich quälen, weil sie meinen, Gott durch die eigne Leistung des Gehorsams und der Kasteiung zufriedenstellen zu können. Seht da drüben den Mann, der sich gerade auf sein Nagelbett werfen will. Halt ein, Freund! Wozu willst du bluten? „Es ist vollbracht!“ dort steht ein Fakir, der seinen Arm ausgestreckt hält, bis die Nägel durch das Fleisch wachsen, und sich quält mit Fasten und Entsagung. Hör auf, hör auf, du irregeleiteter Mensch, dich zu quälen! „Es ist vollbracht!“ in allen Teilen der Erde gibt es Menschen, die durch Vernachlässigung des Leibes und der Seele die Sünde aus der Welt schaffen zu können meinen. Eilt zu ihnen, gebietet diesem Wahnsinn Einhalt. Sagt ihnen: „Warum tut ihr das? Es ist doch vollbracht!“ alle Leiden, die Gott fordert, hat Christus schon erlitten. Allen körperlichen Schmerz, den das Gesetz zu seiner Genugtuung verlangte, hat Christus längst auf sich Genommen. „Es ist vollbracht!“ geht zu den Priestern, die, dem Volk den Rücken zukehrend, Tag für Tag das so genannte Opfer der Heiligen Messe darbringen-sie nennen es ein Opfer; ruft ihnen zu: „Hört auf, Priester, hört auf! Es ist Vollbracht!“ Gott verlangt und nimmt kein anderes Opfer an als das, das Christus am Kreuz für alle Zeiten darbrachte.

Geht zu den Landsleuten, die sich zwar Protestanten nennen, im Grunde aber Papisten sind; die der Meinung sind, sich selber Gott angenehm machen zu können mit ihren Gaben und ihrem Gold, mit ihren Gebeten und ihren Gelübden, mit ihren Gottesdiensten und ihren Andachten, mit ihrer Taufe und ihrer Konfirmation. Sagt Ihnen: „Hört auf, es ist vollbracht! Gott verlangt das nicht von euch. Er hat genug empfangen. Warum wollt ihr eure Lumpen auf das wunderbare Leinen der Gerechtigkeit Christi heften? Warum wollt ihr euren falschen Pfennig dem köstlichen Lösegeld hinzufügen, das Christus an das Schatzhaus Gottes gezahlt hat? Hört auf mit euren Leiden, mit eurem Tun, mit euren Begehungen, denn es ist vollbracht. Christus hat alles schon getan.“

Dieses eine Wort genügt, um den Vatikan aus seinen Angeln zu heben. Das ganze Papst- und Priestertum geht in die Luft wie ein Felsen, unter dem man Tonnen von Sprengstoff zur Explosion brachte. Dieses eine Wort ist ein Donnerschlag gegen alle menschliche Gerechtigkeit. Dieses zweischneidige Schwert genügt, um deine guten Werke und deine frommen Schaustellungen zu zerhauen.

„Es ist vollbracht!“ Warum verbessern wollen, was vollendet ist? Warum ergänzen wollen, was vollständig ist? Die Bibel ist abgeschlossen. Wer noch etwas hinzufügen will, dessen Name wird aus dem Buch des Lebens gestrichen; der wird keinen Zugang haben zur Heiligen Stadt. Das Versöhnungswerk Christi ist vollendet. Wer noch etwas hinzufügen will, den erwartet das gleiche Schicksal. Nachdem ihr dieses frohe Wort allen Nationen und Stämmen gesagt habt, sagt es auch den Verzweifelnden. Sie liegen auf den Knien und schreien: „Gott, was kann ich tun, um meine Fehler wieder gutzumachen?“ Ruft ihnen zu: „Es ist vollbracht!“ Die Wiedergutmachung hat schon stattgefunden. „Gott“, rufen sie, „wie kann ich es schaffen, dass du mich armen Wurm annimmst?“ Sagt ihnen: „Es ist vollbracht!“ Ihre Gerechtigkeit ist schon vollendet. Sie brauchen nichts mehr hinzuzufügen, nachdem es vollbracht ist.

Geht zu den Verzweifelten, die sich aufgegeben haben und stumpf auf Tod und Verdammnis warten: „Ich kann der Sünde nicht entrinnen, ich kann dem Strafgericht nicht ausweichen.“ Sagt ihnen: „Sünder, der Weg des Heils ist ein für allemal gefunden.“

Und wenn ihr Christen trefft, die von Furcht und Zweifel hin- und hergerissen werden, sagt ihnen: „Es ist vollbracht!“ Jawohl, es gibt Hunderte und Tausende, die eine echte Bekehrung erlebt haben und doch nicht wissen, dass es vollbracht ist. Sie haben keine Ahnung davon, dass sie sicher sind. Sie wissen nicht, dass es vollbracht ist. Wenn sie heute Glauben haben, dann fürchten sie für morgen Unglauben. Sie wissen nicht, dass es vollbracht ist. Sie hoffen, dass Gott sie annehmen wird, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, und vergessen, dass Gott sie längst angenommen hat. Gott nimmt einen Sünder, der erst vor fünf Monaten an Christus zu glauben begann, ebenso an, wie einen Frommen, der ihn schon achtzig Jahre gekannt und geliebt hat. Die Annahme hängt nicht davon ab, dass wir Menschen irgend etwas tun oder fühlen, sondern einzig und allein von dem Werk Christi-und das ist vollendet!

Ihr Ärmsten! Einige von euch lieben den Erretter, aber blind. Ihr meint, ihr müsstet erst das sein und jenes erlangen, bevor ihr euch eurer Errettung gewiss sein könnt. Heute noch könnt ihr Gewissheit haben. Wenn ihr an Christus glaubt, seid ihr errettet. „Aber ich fühle mich so Unvollkommen.“ Gewiss, aber Gott sieht nicht deine Unvollkommenheiten an, er deckt sie zu mit der Gerechtigkeit Christi. Zwar sieht er sie; aber nur um sie zu entfernen, nicht um sie dir in Rechnung zu stellen. „Ja, aber ich bin nicht so, wie ich sein sollte.“ Und wenn schon! Gott interessiert sich nicht für das, was du aus dir selber schaffst, sondern für das, was du in Christus bist.

Komm, ich will mich neben dich stellen, während der Sturm heraufzieht; denn wir fürchten uns nicht. Wie die Blitze auch zucken! Wir zittern nicht. Wie furchtbar auch der Donner rollt! Wir sind nicht beunruhigt. Warum nicht? Liegt es an uns selber, dass wir heil davonkommen? Nein, wir stehen am Fuß des Kreuzes, jenes kostbaren Kreuzes, das wie ein Blitzableiter den tödlichen Blitz auf sich lenkt und unschädlich macht. Wir sind in Sicherheit. Stürme nur, tobendes Gesetz! Sende deine schrecklichen Blitze aus, vergeltungssüchtige Gerechtigkeit! Wir schauen dem Toben der Elemente ruhig und gefasst zu, denn unter dem Kreuz sind wir sicher.

Komm mit mir. Ein königliches Mahl ist bereitet. Der König selber sitzt zu Tisch. Die Engel bedienen. Tritt mit mir ein. Welch ein festlicher Saal! Wir nehmen Platz. Wir essen und trinken-aber dürfen wir es überhaupt? Unsere Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges, zerlumptes Kleid-wie können wir es wagen, hier einzutreten? Weißt du es wirklich nicht? Weil die zerlumpte Kleidung uns nicht mehr gehört. Wir haben unserer eigenen Gerechtigkeit den Abschied gegeben und sind unsere Lumpen los. Jetzt tragen wir die königlichen Kleider unseres Heilands. Von Kopf bis zu Fuß sind wir in Weiß gekleidet, ohne Flecken oder Fehler. Wir stehen im vollen Sonnenlicht-abstoßend und angenehm zugleich. Abscheulich in uns selbst, aber herrlich in ihm. Verdammt um Adams willen, aber angenommen in dem Geliebten. Wir fürchten und schämen uns nicht, mit den Engeln Gottes zusammen zu sein und mit dem Herrlichen selbst zu reden. Wir haben keine Angst davor, mit Gott zu sprechen und ihn unseren Freund zu nennen.

Schließlich und zu guter Letzt: Sünder, ich weiß nicht, wo ihr seid, aber Gott kann euch finden. Ihr wart trunksüchtig, habt Gott gelästert, wart Diebe, Schufte, seid in jeden Stall gekrochen, habt euch im Schmutz gewälzt. Wenn du heute deine Sünde verabscheust, dann glaube an den, der sagte: „Es ist vollbracht!“ Lass mich deine Hand fassen. Wir wollen uns zusammen aufmachen, du und ich, und sagen: „Hier sind zwei arme Seelen, nackt und bloß, guter Herr. Wir können unsere Blöße nicht bedecken.“ Er wird uns kleiden, denn es ist vollbracht. „Aber, Herr, ist das Gewand auch lang genug für Sünder wie wir und weit genug für Gesetzesbrecher wie wir?“ „Ja, es ist vollbracht.“ „Aber wir müssen uns waschen, Herr! Gibt es ein Mittel, das die scheußlichen schwarzen Flecken wegnimmt?“ „Ja, seid gewaschen in meinem Blut!“ „Müssen wir unsere Tränen nicht dazugeben?“ „Nein, wirklich nicht, es ist vollbracht; das ist genug.“ „Nun, Herr, du hast uns gewaschen und gekleidet, aber wir möchten gerne von innen heraus völlig rein sein, damit wir nicht mehr sündigen. Herr, lässt sich das machen? “„Ja, lasst euch waschen mit dem Wasser, das aus meinen Wunden fließt.“ „Herr, ist auch genug Wasser vorhanden, um nicht nur meine Schuld, sondern auch mein Schuldbewusstsein wegzunehmen?“ „Ja, es ist vollbracht!“ - Jesus Christus ist deine Heiligung ebenso wie deine Erlösung.

Kind Gottes, in diesem Augenblick kann dir die vollkommene Gerechtigkeit Christi zugesprochen werden. Du wirst dich darüber freuen mit einer nie zuvor gekannten Freude. Sünder, willst du Christus haben oder nicht? „Ja, ich möchte schon, aber ich bin es nicht wert.“ Christus legt keinen Wert auf Würdigkeit. Alles, was er sucht, ist deine Bereitschaft. So hat er sich einmal ausgedrückt: „Wer da will, der komme“ (vgl. Off. 22,17). Wenn er dir die Bereitschaft gegeben hat, dann darfst du jetzt an das vollendete Werk Christi glauben. „Ja“, sagst du, „aber er kann mich nicht meinen.“ Doch, denn er sagt: „Wen dürstet, der komme “(Off. 22,17). Hast du Verlangen nach Christus? Möchtest du von ihm gerettet werden? „Wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“(Off. 22,17).

Dass ich dich nötigen könnte, einzutreten! Großer Gott, du machst den Sünder willig, sich retten zu lassen. Er will sich zugrunde richten; nur wenn du seinen Willen änderst, wird er kommen. Ewiger Geist, Quelle des Lichts, des Lebens, der Gnade, komm herab und führe den Fremdling heim. „Es ist vollbracht!“ Sünder, Gott hat alles getan. „Es ist vollbracht!“ Sünder, dir bleibt nichts mehr zu tun übrig. „Es ist vollbracht!“ Christus braucht nicht mehr zu bluten. „Es ist vollbracht!“ Du brauchst nicht mehr zu weinen. „Es ist vollbracht!“ Gott, der Heilige Geist, braucht nicht mehr zu zögern, weil du unwürdig bist; und du brauchst nicht zu zögern wegen deiner Hilflosigkeit. „Es ist vollbracht!“ Jeder Anstoß ist aus dem Wege geräumt; das Tor ist geöffnet, die eisernen Riegel sind zerbrochen, die metallenen Tore sind geborsten. „Es ist vollbracht!“ Komm und sei willkommen! Der Tisch ist gedeckt. Die gemästeten Kälber sind zubereitet. Die Ochsen sind zubereitet. Sieh! Hier ist der Bote. Kommt von den Straßen und kommt von den Hecken! Komm, so verkommen du auch bist. Und wenn du dich selbst hassen musst, komm! Jesus bittet dich. Willst du es nicht versuchen? Geist Gottes, wir bitten dich, wiederhole du die Einladung und rufe mächtig viele Herzen herbei um Jesu willen! Amen. 

1)
Spurgeon denkt wahrscheinlich an 1. Mose 3,13
2)
gedacht ist wohl an Maleachi 3,23 f.
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