Schlatter, Adolf - 06. Der Gott der Patriarchen und der Propheten

Schlatter, Adolf - 06. Der Gott der Patriarchen und der Propheten

Zwei Testamente hat die Bibel; vor dem Neuen steht das Alte Testament. „Tut doch das Alte Testament weg„, raten uns viele; „warum sollen wir die jüdischen Bücher lesen? Die Juden gehören zu einer anderen Rasse als wir.“ Diese Einrede hätte siegreiche Schlagkraft, so daß wir unbedingt gehorchen müßten, wenn wir das Alte Testament dazu lesen sollten, damit wir Juden würden. Denn diejenigen Merkmale unseres leiblichen und seelischen Lebens, die wir unsere „Rasse„ heißen, besitzen die unverwüstliche Festigkeit, die die Natur allem gibt, was sie hervorbringt. An unserer Rasse zu künsteln, den Versuch zu machen, ihre Merkmale von uns abzustreifen und uns dafür die einer anderen Rasse einzuüben, wäre ein peinliches und schädliches Unternehmen. Damit ginge die Wahrhaftigkeit unter. Ein Deutscher, der sich in einen Juden verkleidet, wäre nur ein Komödiant. Wie kann man aber auf diesen Gedanken geraten, wenn man das Alte Testament gelesen hat?

Wozu macht es uns mit Abraham bekannt? Damit wir uns benehmen wie Abraham, ihn nachahmen und ihn uns zu unserem Ideal erwählen, dem wir uns gleichbilden? Erzählt es uns dazu von Josuas Kämpfen, damit auch wir Kanaaniter ausrotten? und von David dazu, damit wir ein Jerusalem erobern und uns darin eine Königsburg bauen? So wäre es, wenn die Bibel ein Gesetzbuch wäre, von Menschen dazu verfaßt, damit sie die Herren aller würden und alle ihrem Willen unterwerfen und nach ihrem Bild gestalten. Es hat stolze Arier gegeben, die nach diesem Rezept ihre Bücher schrieben zur Verkündigung ihrer Ideale, zur Verbreitung ihrer Wissenschaft, zum Preis ihres vornehmen Menschentums. Aber öffne doch die Bibel; dann hörst du sogleich: sie spricht zu uns von Gott. Sie spricht von Adam, damit wir wissen, daß Gott den Menschen gemacht hat, und spricht von Abraham, damit wir lernen, daß Gottes Wort zum Menschen kam, und von Josua, damit wir hören, daß Gott eine Gemeinde geschaffen hat, die ihm geheiligt ist, und daß er ihr ihre Verfassung und ihre Heimat gab, und von David, weil die zu Gott berufene Gemeinde durch sein Königtum die Einigung bekam.

Indem die Bibel von Gott spricht, spricht sie freilich beständig von den Menschen. Denn sie entwirft von Gott nicht ein Phantasiebild, das ihn wie ein Ding, wie eine „Substanz“ beschreibt, an der allerlei Merkmale hängen, so daß wir ihn dadurch erkennen könnten, daß wir seine Eigenschaften aufzählen. Sie meint auch nicht, daß sie uns Gott dadurch offenbaren könne, daß sie uns aus unserer Welt durch den Schwung dichtender Phantasie heraustrage, als ob wir Gott jenseits der Welt in seinem Himmel betrachten könnten. So zeigt sie uns Gott, wie wir ihn allein erkennen können, so nämlich, wie er mit uns Menschen umgeht, zu den Menschen spricht, ihnen seinen Willen zeigt und ihnen ihr Schicksal gibt. Dessen bewußt werden, was Gott aus uns Menschen macht, das heißt ihn erkennen. Diese Menschen waren damals Juden, also von anderer und, wie man sagt, geringerer Rasse als wir. Allein Menschen waren sie unzweifelhaft, und das Große und Unvergängliche ist das, was Gott an ihnen tat.

Es ist immer ein zweifelhaftes Unternehmen, wenn die eine Rasse sich mit der anderen vergleicht und sich als die höhere einschätzt. Dazu müßte sich zuerst feststellen lassen, was das eigentlich ist, was wir unsere „Rasse„ heißen. Das bleibt uns aber völlig verhüllt und ist in die verborgenen Gründe versenkt, in denen die Natur unser Leben entstehen läßt. Zu einer Untersuchung, was unsere Rasse im Unterschied von der jüdischen sei, gibt uns aber die Bibel keinen Anlaß. Denn sie macht es völlig gewiß, daß unser Anteil an Gott niemals schon durch das entsteht, was uns die Natur verlieh, und ebenso gewiß, daß das, was uns gottlos macht, aus Gottes Gegenwart verstößt und seiner Gnade beraubt, nie schon in dem besteht, was uns die Natur versagt. Wer meint, seine Rasse, die arische, sei die allerbeste, er sei durch seine Herkunft, die ihm den Anteil an unserem Volkstum gibt, vor den anderen Völkern bevorzugt, der sei, was er durch seine Rasse ist, freue sich an seiner natürlichen Ausrüstung und sei für sie dankbar. Er ist aber durch seine Rasse noch längst nicht ein Mensch, und noch weniger ist er durch sie ein Mensch Gottes. Denn zum menschlichen Leben gehört mehr als nur die natürliche Veranlagung. Keine Anlage schützt unser Denken vor dem Wahn und unseren Willen vor der Verderbnis zur wilden Eigensucht, und keine natürliche Ausrüstung verschafft uns die Gabe der göttlichen Gnade. Als Glied der Rasse sind wir ein Produkt der Natur. Eben dazu ist uns die Bibel, sowohl ihr Altes als ihr Neues Testament, gegeben, damit sie uns zeigt, wie wir mehr werden als Produkte der Natur, nämlich Gottes Knechte und Gottes Kinder, die Gottes Willen tun. Das werden wir nicht schon durch unsere Herkunft und unseren Anteil am deutschen Volkstum. Wer das behauptet, kennt nur seinen eigenen Willen und leugnet Gott. Ob ein Hund ein Pudel oder ein Jagdhund oder ein Schäferhund ist, das ist seine Rasse. Aber für jeden Hund hat es die allergrößte Wichtigkeit, welchem Herrn er gehört. Ebenso hat es für jeden Menschen in jeder Rasse entscheidende Wichtigkeit, welchem Herrn er gehört. Der arischen Rasse angehören und seiner Eigensucht verknechtet sein und dem Teufel dienen, ist kein vorteilhaftes Geschäft. Der Rasse nach Semit sein und Knecht Gottes sein, ihn kennen und ihm dienen, das ist höchste Ehre und größte Vollmacht und hat aus Semiten die Träger des Segens für alle Völker gemacht.

Noch hinderlicher als die Verschiedenheit der Rasse scheint manchen die andersartige Kultur zu sein, in die uns das Alte Testament hineinführt. Es zeigt uns in der Tat eine andere Welt als die unsrige. Das hat zur Folge, daß uns vieles im Alten Testament nur durch Unterricht verständlich wird und vieles für immer unverständlich bleibt. Schon die völlig andere Sprache und Schrift bereiten uns große Schwierigkeiten, die auch der Sprachkundige nicht ganz beseitigen kann. Es gibt im Alten Testament manches Wort, das nicht mehr gedeutet werden kann. Schon mancher Lehrer hat deshalb geklagt, daß viel kostbare Zeit nötig sei, um die Kinder in diese vergangene Welt einzuführen, während es schon eine übergroße Aufgabe sei, sie in derjenigen Welt heimisch zu machen, in der sie zu leben haben. Diese Schwierigkeiten werden aber weit dadurch überwogen, daß uns das Alte Testament zeigt, wie wir Kultur gewinnen.

Was ist sie denn, die eifrig begehrte und hoch gefeierte Kultur? Sie entsteht durch die Aneignung der Natur, die sie unseren Bedürfnissen dienstbar macht. Wir verwerten das, was uns die Natur darreicht, für unser inneres Leben und geben diesem dadurch Sichtbarkeit und Wirksamkeit. Wann entsteht Kultur? Dann, wenn uns Gott seinen Willen erkennbar macht und wir ihn tun. Sie ist eine der Gaben, die uns Gottes gebende Hand darreicht, nachdem sein gnädiges Wort zu uns gekommen ist. Daraus entsteht der wache, freie, forschende Blick in die Natur, für den die Welt hell wird, und das führt uns zusammen in die feste Verbundenheit, die uns die Volksgemeinschaft und den Staat verschafft. Das stellt uns das Alte Testament eindrücklich dar. Daraus, daß Israel seinen Gott fand, entstand sein Volkstum. Mit dem gesicherten Verhältnis zu Gott erhielt er auch ein gesichertes, geordnetes Verhältnis zur Natur. Spuk, Astrologie, Zauber, die wilde Erotik, Kindermord, Sklavenjagden und dergl. verschwanden. Der Boden, der die Ernte trug, wurde heilig, und die natürlichen Lebensbedingungen und die sie schaffende Arbeit standen unter Gottes Schutz. Die Gemeinschaft zwischen den Stammesgenossen wurde fest, und die Stämme wuchsen zusammen zum Volk. Es bekam ein klares, gerechtes Recht, das ihm den Frieden sicherte, und einen gemeinsamen Gottesdienst, aus dem die Schrift erwuchs, die zum gemeinsamen Erbe aller ward. In seiner mit schweren Ereignissen gefüllten Geschichte hat Israel aber auch das reichlich erfahren, daß uns die Kultur nicht nur Güter schafft, sondern auch zerstörende Wirkungen hat. Sie lassen sich von keiner Kultur fernhalten, weil uns die Natur nicht gegen unsere verwerflichen Begehrungen schützt. Aber der Kampf gegen das Unheil, das aus der Kultur entsteht, wurde in Israel tapfer geführt, denn das göttliche Wort war bei ihm. Gewalttat der Könige, Obmacht der Reichen, die das Land in ihren Besitz bringen, Ehrlosigkeit und Schutzlosigkeit der Armen, Käuflichkeit der Rechtspflege, Eigennutz der Priester standen immer wieder unter dem Gericht derer, die das göttliche Wort in der Gemeinde verwalteten.

Wir lesen freilich das Alte Testament nicht richtig, wenn wir es nur benützen, um Kulturstudien zu machen. Sein großes Thema ist nicht die Frage, wie der Mensch aus der Welt für sich eine wohnliche Heimat mache, sondern das ist die Frage des Alten Testaments, wie der Mensch den Weg Gottes gehe. Nicht Anleitung, um die Welt zu gewinnen, sondern Anweisung, Gott zu gehorchen, ist das Kernwort des Alten Testaments. Wenn aber jemand nach Kultur begehrt — und wir müssen nach ihr begehren und können sie uns bereiten, wenn wir den Weg Gottes gehen, und sollen und können eine Volksgemeinschaft erreichen, die uns eint, stärkt und schützt —, dann gibt ihm das Alte Testament einen unschätzbaren Unterricht.

Wir müssen aber noch vom Hauptwort des Alten Testaments reden, nicht nur von der jüdischen Rasse und der jüdischen Kultur, sondern von der jüdischen „Religion“. Sollen wir nicht Christen sein, und ist uns das Judentum dazu eine Hilfe? Bringt es nicht die Christenheit in Gefahr, daß sie sich wieder zu dem, was schon vor dem Christentum bestand und was von Jesus verworfen wurde, zurückwende? War es nicht doch eine inkonsequente Halbheit, wenn die Jünger Jesu zwar sich von der jüdischen Gemeinschaft trennten und die Kirche Jesu selbständig aufbauten und dennoch den wichtigsten Teil des jüdischen Besitzes, die alten heiligen Schriften, in die neue Gemeinde hinübertrugen?

Christentum ist Anschluß an Jesus. Es gibt keinen anderen Maßstab, um zu beurteilen, was christlich sei. Wer dem Wort Jesu gehorcht, ist Christ; wer es ablehnt, ist es nicht. Jesus aber war Jude. Er war es nicht nur seiner Herkunft nach, sondern auch nach seinem Ziel; er hat für Israel gelebt. Derjenige Vorgang, der uns den Willen und das Werk Jesu in seiner leuchtenden Herrlichkeit offenbart, ist Jesu Kreuz. Was aber Jesus damals tat, als er ans Kreuz gegangen ist, bleibt uns völlig verborgen, wenn wir nicht begreifen: er starb in Jerusalem. Der jüdische Hohepriester urteilte, er sei des Todes schuldig. Um das zu würdigen, müssen wir wissen, was ein jüdischer Hoherpriester gewesen ist, was der Tempel, den er verwaltete, bedeutete, und wie die Gemeinde, für die er den Gottesdienst besorgte, entstand und was ihr geheiligtes Erbe war. Der Römer, der das Urteil an Jesus vollzog, war der in Judäa regierende Mann. Für die Juden hing er die Inschrift an das Kreuz Jesu: „Der König der Juden.„ „Wir können nicht verstehen, was er tat, wenn wir nidit wissen, was ein Jude hoffte, wenn er vom „König der Juden, dem Christus Gottes“, sprach, und warum diese Hoffnung ihn von allen Völkern schied. Alle, die um das Kreuz standen, die spottenden Rabbinen und die stumm gewordenen, erschütterten Jünger, waren Juden. Was Gott für sie bedeutete, was sie an Jesus haßten und was sie an ihm liebten, warum sie ihn den Zerstörer oder den Erlöser Israels nannten, ihn verfluchten oder den Sohn Gottes hießen, das bleibt dem völlig verborgen, der nicht weiß: in der Seele dieser Männer stand das Bild Abrahams, Moses und der Propheten und erklang mit verpflichtender Gewalt das Gebot des Gesetzes und mit zündender Macht die Verheißung der Propheten. Juden waren die Banditen, die zugleich mit Jesus starben, der Trotzige, der vom Christus die rettende Machttat forderte, und der Gläubige, der auf die königliche Offenbarung des neben ihm Gekreuzigten hoffte und sich von ihm das ewige Leben erbat. Banditen, die auf Gottes Reich warten und nach der Auferstehung von den Toten verlangen, wer kann das verstehen, wenn er nicht Israels Geschichte kennt? Aber nicht nur die Umgebung Jesu war jüdisch, sondern er selbst ist Jude mit allem, was er denkt und tut. Er ist es, wenn er mit den Psalmworten betet, wenn er klagt, daß Gott ihn verlassen habe, und dem Schacher das Paradies aufschließt, wenn er die Herrlichkeit seiner neuen Ankunft verkündigt, wenn er sich den Sohn Gottes nennt, der in der Gewißheit des ewigen Lebens stirbt, und die Gerechtigkeit Gottes vertritt, die die Sünde richtet und dem Sünder vergibt, und die allmächtige Gnade offenbart, durch die Gott die Welt mit sich versöhnt. Das ist alles Geschichte, nichts nur erdacht, nicht nur ein Gedanke mit zeitloser Verschwommenheit, sondern alles gelebter Gedanke, gewollte und vollbrachte Tat. In der Geschichte wächst aber jeder neue Schritt aus dem vorangehenden heraus, und der neue Schritt kann weder getan noch verstanden werden ohne das, was vor ihm geschah. „Was uns aber der Ausgang Jesu zeigt, gilt ebenso vollständig von seinem Anfang, von der Weihnachtsgeschichte und von allem, was Jesus sagte und tat. Wer nichts Jüdisches hören und von einem Juden nichts empfangen will, der lasse Jesus fahren. Wenn wir ihn aber fahren lassen, was haben wir dann noch für eine „Religion“? Eins ist gewiß, daß wir, wenn wir uns von Jesus scheiden, nicht mehr Christen sind.

Aber die vielen Irrtümer des Alten Testaments! so sagen die, die es kritisieren. So, wie sich die Natur den Männern des Alten Testaments zeigte, war sie viel kleiner als das, was uns an der Natur sichtbar geworden ist. Sie kannten die Unendlichkeit des Weltenraums und die Größe der Weltkörper nicht. Für sie standen am Himmel die Sonne, der Mond und die Sterne, und die Vögel und die Wolken flogen „im Himmel“, und unter der Erdscheibe ruhte in unergründlicher Tiefe das Meer. Sie wußten auch nichts von der unberechenbaren Dehnung der Zeit, während deren die Erde steht und der Mensch auf ihr lebt, und hatten längst nicht dieselbe Kenntnis von der Wunderbarkeit des pflanzlichen und tierischen Lebens wie wir. Das alles steht auch in der Schöpfungsgeschichte 1. Mose l nidit. Aber keiner von uns kann wahrer von Gottes Schaffen reden, als es dort geschieht, und wenn einer von uns weiß, daß Gott die Welt geschaffen hat, so hat er es durch die Bibel gelernt. Die Darstellung Moses und seines Werkes, wie sie das zweite und fünf te Buch Moses gibt, steht in beträchtlicher Entfernung von dem, was damals geschah. Was es aber heißt, Knecht Gottes sein, auf Gott trauen, Gott gehorchen, sich vor keinem Menschen fürchten und im Dienste Gottes für sein Volk sorgen, das müssen wir alle von Mose lernen, von dem Mose, wie ihn die in Israel lebendige Erinnerung uns zeigt. In unserem Volk gibt es nichts, auch nicht Luthers Leben und Dienst, was uns so klar und so vollständig zeigte, was es heißt: Gott gehorchen und ihm dienen als sein Kecht.

Die, denen das Alte Testament Not bereitet, klagen aber nicht nur über seine wissenschaftliche Unfertigkeit, sondern auch über seine UnSittlichkeit. Es ist ein hervorstechendes, wesentliches Kennzeichen des Alten Testaments, daß es die geschlechtliche Wildheit als den Feind des Menschen beschreibt, der ihm zum Unheil wird. Das Elend, das die hamitischen Völker verdarb, wird dadurch erklärt, daß Harn, der Sohn Noahs, den Vater verlachte, weil er sich in der Trunkenheit entblößt hatte. Als Sodoms Schuld beschreibt der Bericht die geschlechtliche Unnatur, und die ägyptische Herrin versucht mit List und Gewalt, Josef zum geschlechtlichen Verkehr zu zv/ingen. Benjamin verliert einen großen Teil seiner Mannschaft, weil es die geschlechtliche Wildheit übt und verteidigt, und aus demselben Grund kehrt der Jammer in die Königsburg Davids ein. Heute sollte aber auf deutschem Boden dafür das Verständnis vorhanden sein, daß diese Haltung des Alten Testaments ihm nicht Sdiande und Schwäche, sondern Ehre und Stärke gibt. Denn heute sollten wir alle es wissen, daß die geschlechtliche Not ein grimmiger und mächtiger Feind ist, der uns verdirbt. Wenn wir erwägen, was die Not so groß werden ließ, so kommt auch dies in Betracht, daß die vorangehende Zeit im Namen der Kultur und der Sittlichkeit alles, was mit der Vaterschaft und Mutterschaft des Menschen zusammenhängt, dem Licht entzog und verheimlichte. Dieser angebliche Anstand war unheilvoll. Das Alte Testament hat recht, daß das Böse ins Licht gestellt werden muß, weil es im Dunklen gedeiht. Damit es sterbe, ist freilich noch mehr erforderlich, als daß es beleuchtet wird. Denn der verwerfliche Wille wird nur dadurch überwunden, daß uns der gute Wille gegeben wird, und die Heilung unserer eigensüchtig verdorbenen Liebe bringt uns erst die Befreiung von unserer selbstischen Sucht. Von ihr werden wir dadurch frei, daß wir den Willen Gottes erkennen und tun, und dazu hilft uns die Bibel in ihren beiden Testamenten, auch durch ihr Altes Testament.

Ein großer Teil des Alten Testamentes ist Kriegsgeschichte. Mit dem Einzug Israels in Palästina verbindet sich die Vernichtung der Kanaaniter, und durch lange Jahrhunderte hindurch stand Israel mit seinen Nachbarn in hartem Kampf. Die Leidenschaft wurde dabei heiß, und aus dem Kampf wurde oft ein grausames Töten. Die alt-testamentlichen Erzähler schelten das nicht. Sie feiern Jael, weil sie den feindlichen Krieger verriet und im Schlaf tötete, und entehren David nicht, weil er den Widerstand der Edomiter grausam brach. Dennoch ist das Alte Testament die Botschaft vom Frieden. Nicht als der kampflustige Held zieht Abraham nach Palästina, um es zu erobern, sondern als der, der auf die Erfüllung der göttlichen Verheißung wartet, und die Trennung von den verwandten Stämmen geschieht im Frieden. Ebensowenig rächt Mose mit dem Schwert an den Ägyptern ihre Bedrückung; er wird ohne Waffen zum Befreier des Volkes, und in den späteren Zeiten entstehen die Kämpfe immer unter dem Zwang der Not, weil die Existenz und damit auch der heilige Beruf des Volkes gefährdet war. Wenn das Neue Testament bei der Geburt des Christus verkündet: nun ist auf der Erde Friede, weil der Kampf des Menschen mit dem Menschen dann endet, wenn der Christus gegenwärtig ist und regiert, so bringt es auch damit die alttestamentliche Botschaft zur Vollendung. In beiden Testamenten erhält die Friedensbotschaft dieselbe Begründung: der Zwist zwischen Gott und der Menschheit ist aufgehoben, und deshalb stellt sich zwischen dem Menschen und dem Menschen der Friede her.

Was ist am Alten Testament das Alte, weshalb uns ein neues gegeben wurde? Das alte umschloß die zu Gott berufene Gemeinde in den Grenzen dieses einen, kleinen Volkes und erbaute sie darum auf dem natürlichen Grund des jüdischen Volkstums. Welche Überhebung! sagen seine Ankläger. Niemand wird im Alten Testament Gottes Offenbarung gewährt als den Juden; sie, sagt es, seien einzig das erwählte Volk und dadurch von der ganzen übrigen Welt getrennt. War nun nicht der Antisemitismus, der sofort hervortrat, als sich die Juden auch bei den Griechen ansiedelten, die gerechte Antwort auf diese Anmaßung? Ist das überhaupt noch derselbe Gott wie der, den uns Jesus zeigt? Wird nicht Gott, weil er nur Israel gehört, zum Diener seiner nationalen Ziele und bekommt er nicht die Züge des jüdischen Zorns? Gebärden sich nicht die streitbaren Helden Israels als die Vertreter der göttlichen Gerechtigkeit, als die Werkzeuge seines rächenden Zorns? Das wird auch im Gebet der Frommen sichtbar, da sie dann, wenn sie Unrecht und Gewalttat leiden, laut und mit starker Zuversicht die strafende Gerechtigkeit Gottes anrufen und von ihm die Vernichtung ihrer Feinde erbitten.

Daß sich an Gottes Gabe unsere Eigensucht steigern und verhärten kann, daß wir dazu fähig sind, den Glauben zum Übermut zu verderben, das wird uns von beiden Testamenten gesagt. Das ist auch die Erfahrung der Christenheit nicht weniger als die der Judenschaft. Auch dies ist gewiß, daß jeder, der die Schuld der anderen vor Gott geltend macht und gegen sie den göttlichen Zorn anruft, gegen sich selber auf der Hut sein muß, damit er nicht das Bild Gottes nach seinem eigenen Bild gestalte. Wer Jesu Wort empfangen hat, das ihm das Zürnen unmöglich, dagegen das willige Leiden und Vergeben des Unrechts möglich macht, der würde widersinnig handeln, wenn er deshalb „Rachepsalmen„ betete, weil solche im Psalter stehen. Besser aber ist es, daß der, der Gewalttat leidet und die schwere Pflicht hat, Unrecht zu tragen, mit dem Psalmisten bete, als daß er gar nicht bete. Die, die den Frieden brechen, waren nie Beter, sondern immer solche, die nicht wirklidi beteten, immer Atheisten, die ihren eigenen Machtwillen anbeteten. Es hat noch keiner, der die Geduldsregel Jesu, Matthäus 5, 38 f., im Herzen trug, das Alte Testament gescholten. Denn jeder, der vom Hassen frei geworden ist, kennt sein eigenes Herz und weiß, daß sein Vermögen, zu vergeben, zu leiden und nicht zu vergelten, die freie Gabe der Gnade ist, nicht der Wille der Natur, sondern das Werk des Geistes.

Wenn sich diese Einreden gegen den Menschen wenden, der sich an seiner Begabung berauscht und durch sein Zürnen vergiftet, steht ihnen eine ernste Wahrheit zur Seite. Wenn sie aber das Alte Testament bekämpfen, wenden sie sich gegen den Gang der Geschichte und die sie gestaltende Regierung Gottes und werden dadurch zur kindischen Phantasterei. Es ist sinnlos, einen anderen Gang der Geschichte auszudenken als den, der geschah, eine andere Offenbarung Gottes zu erfinden, etwa eine solche, die nicht zuerst den Juden zuteil wurde, sondern gleich die ganze Menschheit ergriff. Wir haben unsere „Religion“ nicht zu erfinden nach unseren Einfällen, die mit sogenannten „Möglichkeiten„ spielen. Eine von uns konstruierte Religion ist Gottlosigkeit. Wir haben auf Gottes Werk zu achten, wie es geschehen ist, und damit, daß er innerhalb der Menschheit die zu ihm berufene Gemeinde schuf, zuerst so, daß er ihr die volkstümliche Begrenzung gab, dann aber in der Kraft der Sendung Jesu und seines Kreuzes so, daß die weltweite Gemeinde entstand, ist jedem, wer er sei und wo er wohne, der Zugang zur göttlichen Gnade gewährt.

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