Schlatter, Adolf - 05. Die Wunder der Bibel

Die Christenheit bittet jedermann: lies die Bibel. Darauf antwortet mancher: wie viele Wunder erzählt sie! was soll ich mit Wundergeschichten anfangen? Das erste, was wir mit einer Geschichte anzufangen haben, ist, daß wir sie aufmerksam lesen und uns deutlich-machen, was sie unserem Auge zeigt.

Warum erzählt die Bibel Wunderbares? Gott spricht und tut sich kund. Er zeigt mir die Natur: sieh, das ist mein Werk! und er zeigt mir den Menschen mit seinem wunderbaren Leib: sieh, das ist mein Werk! und er zeigt mir die nicht weniger wunderbare Seele des Menschen mit ihrer rastlosen und vielgestaltigen Lebendigkeit: sieh, das ist mein Werk. Damit ist uns aber das Wunder sichtbar geworden. Denn Schöpfung ist Wunder. „Er sprach, da geschah es„; das ist die Formel, die das wunderbare Geschehen beschreibt. „Er sprach“; das ist das Hervortreten eines göttlichen Gedankens, und dieser ist eins mit dem göttlichen Willen, und dieser ist eins mit der wirkenden Kraft. Darum ist das göttliche Wort eins mit der vollbrachten Tat; es setzt ins Dasein, was es will. Diesen Vorgang muß jeder wunderbar heißen; denn er ist völlig von unserem eigenen Denken, Wollen und Wirken verschieden, und ebenso verschieden ist er von allem, was durch die zur Natur miteinander vereinten Kräfte geschieht. Unser Wirken ist an das gebunden, was wir empfangen haben, und kann nur das bewegen, was schon vorhanden ist. Weil wir niemals schöpferisch wirken, können wir auch nie begreifen, wie Schöpfung geschieht. Unser Denken ist fest mit unserem Handeln zusammengebunden und uns dazu gegeben, damit wir wollen und handeln. Um etwas zu begreifen, müssen wir es machen; können wir es nicht machen, so begreifen wir es auch nicht. Darum erzählt uns das göttliche Wort, das uns den Schöpfer offenbart, ein Wunder.

Gott spricht aber nicht nur über die Natur mit uns, sondern auch über das, was wir Menschen selber sind und nicht sind, empfangen haben und werden sollen, tun und nicht tun. Denn Gottes Wort stellt uns mit unserem persönlichen Leben in seine Gegenwart. Dazu sendet er uns seine Boten, die er mit seinem Wort begabt. Damit, daß der Bote Gottes, „der Prophet„, zu uns kommt, ist uns wieder ein Wunder gezeigt. Zuerst geschieht das Wunder im Propheten selbst. Er empfängt eine Gewißheit, die er sich nicht selbst erwarb.

Sie wird ihm gegeben, und darum hat sie nur er, und die anderen haben sie nicht. Begabung, die uns mit der Erkenntnis Gottes begnadet, ist aber ein Wunder. Man kann Gaben nicht fordern, nicht erzwingen, nicht künstlich bewirken, etwa wie wir einen natürlichen Vorgang dadurch herbeiführen, daß wir die dazu nötigen Bedingungen herstellen. Der Quell, aus dem die Begabung strömt, ist Gnade, und die Gnade handelt ungezwungen in ihrer eigenen Vollmacht, weil sie Gottes selbsteigener gebender Wille ist. Die Bibel erzählt uns also darum Wundergeschichten, weil sie uns den gnädigen Gott zeigt. In dieser Form tritt das Wunder in der Bibel z. B. bei Abraham auf: „Der Herr sprach zu Abraham.“

Das göttliche Wort gibt aber denen, die mit ihm begnadigt sind, nicht nur Erkenntnisse, sondern eine Sendung, die sie zu einem Werk beruft. Ihr Auftrag entsteht nicht nur aus der natürlichen Lage des Menschen und kann deshalb nicht nur mit den natürlichen Mitteln ausgeführt werden. Sie haben in Kraft ihrer Sendung den göttlichen Willen zu tun und können dies nur deshalb, weil Gottes allmächtige Gnade für sie und durch sie wirksam wird. Darum tragen die Boten Gottes den Wunderglauben in sich; denn sie sind mit ihrem Wirken völlig auf Gottes schaffende Gnade gestellt. So wird uns das Wunder z. B. in Moses Geschichte gezeigt. Dabei entsteht aus dem Beruf, den Menschen das göttliche Wort zu sagen, notwendig ein Kampf. Denn Gottes Gedanken und die des Menschen, Gottes Wille und der des Menschen stehen gegeneinander. Diesen Kampf führt der Prophet einzig mit dem göttlichen Wort; auf ihm allein beruht seine Macht sowohl im Verkehr mit der Welt, die ihm widersteht, als vor seinen Hörern, deren Vertrauen er gewinnen muß. So stehen in der Geschichte Moses der Mensch und der Träger des göttlichen Worts gegeneinander, der Pharao, stolz auf seine Macht mit Heer und Waffen, und Mose mit dem Wort, aus dem das Wunder entsteht, weil Gottes strafende Macht sein Wort wirksam macht. Aber auch aus der Sendung Moses an sein Volk entsteht für ihn ein Kampf, weil sein Wort das weit überragt, was im menschlichen Vermögen liegt. Hat er wirklich die göttliche Sendung? Darum verbinden sich mit dem Wunder der inwendigen Erleuchtung auch sichtbare Wunder, „Zeichen„, die seine Sendung beglaubigen. Diese Zeichen geschehen nicht nur um der Hörer willen, um ihr Widerstreben zu überwinden und den Glauben in ihnen zu erwecken, sondern dienen auch dem Propheten selbst und stärken die ihm innerlich gegebene Gewißheit, damit er von ihr in seinem Handeln ohne Schwankung getragen sei. Sodann beruft auch die menschliche Not den göttlichen Boten zum Wunder. Da ihm die göttliche Gnade seine Sendung gab, wird er für die Nöte, mögen sie groß oder klein sein, zum Helfer, und er macht den ihn sendenden Gott dadurch offenbar, daß er in schöpferischer Macht zu helfen vermag. So wird uns Mose nicht nur als der gezeigt, der über Pharao und die Ägypter die Plagen bringt, sondern auch als der, der dem dürstenden Volk das Wasser verschafft und es mit seiner Gebetsmacht gegen die raubenden Horden der Wüste schützt.

Die Bibel zeigt uns aber noch etwas Größeres als die Empfänger des göttlichen Wortes, die als seine Boten zu den Menschen reden. Größer als sie ist der Sohn Gottes, der das göttliche Wort nicht nur hörte, sondern ist, und nicht nur eine zeitweilige Sendung hatte, sondern das ewige Werk Gottes wirkt. Daher wird Gottes schöpferisches Wirken nirgends so sichtbar wie an ihm, sowohl in seinem Anfang im Weihnachtswunder als in seinem Ausgang im Oster-wunder, und es zeigt sich nicht weniger groß in seinen heilenden Taten, durch die er uns gesagt hat, daß sein Wort uns gegen alles schützt, was uns verdirbt, sei es menschliche Schuld oder satanische Geister oder von der Natur uns bereitete Not, Sturm, Hunger, Siechtum, Tod.

Weil das Wunder ein schöpferischer Vorgang ist, ist es kein Gegenstand für unsere Wissenschaft. Nur sein Endergebnis ist in die sichtbare Welt hineingestellt, nicht der wunderbare Vorgang selbst. Der Finger Gottes, der ihn hervorbringt, wird nie gesehen. Auch für unsere Erkenntnis hat das Wunder freilich die größte Bedeutung, aber nicht deshalb, weil es die Naturgeschichte mit neuen, merkwürdigen Kapiteln vergrößerte, sondern deshalb, weil es unseren Blick auf Gott richtet und uns mit packender Kraft zum Bewußtsein bringt, was wir sagen, wenn wir von Gott sprechen, was es bedeutet, daß wir durch ihn und für ihn leben. Während das Wunder keine Beschreibung und Erklärung zuläßt, sondern immer Geheimnis bleibt, hat es in jeder Zeit das künstlerische, poetische Vermögen des Menschen aufs stärkste erregt. Es faßt uns ja an der tiefsten Stelle unseres inwendigen Lebens, erweckt in uns das große Hoffen und die alles durchleuchtende Freude und gibt unserem Willen ein Ziel, das alles, was wir sind und tun, beherrscht. Hier, im Zentrum unseres Wollens, entspringen aber die Quellen der poetischen Kunst. Je mehr die Berichte der Zeit nach von den Ereignissen entfernt sind, um so leichter bekommen sie die Gestalt eines erhabenen Gedichts. Das trifft sicher für manche alttestamentliche Erzählungen, vielleicht auch für einige neutestamentliche Berichte zu. Am Eingang der Bibel steht die Erzählung, wie Gott die Welt geschaffen habe. Sie spricht die Erkenntnis, daß Gott der Schöpfer des Weltbaus ist, nicht nur so aus, wie es z. B. oft in den Psalmen geschieht: „Der Herr hat den Himmel und die Erde gemacht!“, sondern betrachtet die einzelnen Teile des Weltbaus im Licht der Gottesgewißheit und erzählt, wie in den sechs Tagen der ersten Woche das Wunderwerk der Natur entstanden sei. Daß sich die Schöpfung nicht so zugetragen hat, wie sie hier erzählt wird, ist gewiß. Das durch seinen Gott zum Volk verbundene Israel hat mit unvergänglicher Verehrung die Erinnerung an Mose festgehalten, an den, der es aus Ägypten ausführte, ihm das Gesetz brachte und es durch die Wüste geleitete, und er dies alles deshalb vermochte, weil er „Gottes Knecht„ war, „treu in seinem ganzen Hause“. So wird die Erinnerung an Mose zur Verherrlichung der göttlichen Größe, und dies hat bei den verschiedenen Erzählern in verschiedener Weise zur dichterischen Darstellung jener Ereignisse geführt. Fragen wir dagegen, ob sich der Auszug aus Ägypten in dieser Weise zugetragen habe, so ist mit Bestimmtheit zu sagen: nein. Es haben nicht 600000 Männer 40 Jahre lang in der Wüste vom Manna gelebt.

Wird durch die poetische Haltung der Wunderberichte das Wunder zu einer willkürlichen Erfindung der Phantasie, zum Märchen? Nein, denn Gott ist kein Märchen, und die Schöpfung ist kein Märchen, und der Eingang des göttlichen Worts in den Menschen ist kein Märchen, und Jesus ist kein Märchen. Das sind Wirklichkeiten im höchsten Sinn; ungleich wirksamer als irgend etwas, was in der Natur geschieht, wirksamer als die größten Weltkörper oder irgendeine Anhäufung lebendiger Zellen, die wir einen Leib oder ein Gehirn heißen.

Wenn wir wegen der Unerklärbarkeit des Wunders oder wegen der Überschwenglichkeit der Wunderberichte das Wunder aus unseren Gedanken streichen, so bringt das unserem ganzen geistigen Besitz große Wandlungen. Es ziemt sich, ernsthaft zu erwägen, was wir verlieren, wenn uns das Wunder verlorengeht. Woran denken wir dann noch, wenn wir von Gott sprechen? Wir können die Kenntnis Gottes nur durch das empfangen, was uns als Gottes Werk sichtbar ist. Das ist, wenn uns das Wunder als unglaublich gilt, die Natur. Ist sie nicht unendlich, die Versichtbarung eines unerschöpflich reichen Gedankens, die Wirkung einer durch keine Schwankung gehemmten Kraft? Es wäre töricht, wollten wir um des Wunders willen die Natur schelten. Sie ist das Fundament unseres Lebens, die erste und stets vorhandene Weise, wie uns das göttliche Wirken erfaßt und macht. Aber alles Natürliche hat sein Merkmal daran, daß ihm die Weise, wie es wirksam wird, völlig vorgeschrieben ist; es ist an sein Gesetz gebunden. Das ist die Ehre der Natur und ihre Stärke, aber auch ihre Grenze. Deshalb hat sie das nicht in sich, was uns das persönliche, inwendige Leben gibt. Überschreitet unser Blick die Natur nicht, so steht über uns eine unpersönliche Macht, die zu unserem eigensten Leben keine andere Beziehung hat als die, daß wir ihr völlig unterworfen sind. Die Verkürzung der Gottesgewißheit, die sich Gott als ein Ding, eine Kraft, vielleicht noch als einen Gedanken, eine Idee vorstellt, tritt leicht ein, wenn unser Blick nur die Natur erreicht. „Sieh auf, über die Natur hinauf„, das ist die Mahnung, die das Wunder kräftig an uns richtet. Wer sie zu hören vermag, hat Großes empfangen.

Sehen wir über der Natur den Allmächtigen, der ihr Schöpfer und Regierer ist, so liegt auf ihr Gottes Glanz, und sie wird uns zur Heimat, in der wir uns frei und froh bewegen. Wenn sie aber das letzte und einzige ist, was uns beherrscht, dann wird aus ihr und damit auch aus uns selbst ein dunkles Rätsel. Denn die Natur verleiht uns nicht nur ihre heilsamen Gaben, sondern auch die selbstischen Triebe, durch die wir ihre Gaben verderben und für uns in Unheil verwandeln. Durch das, was die Natur aus uns macht, entsteht auch unsere Schuld. Sind wir allein auf die Natur verwiesen, dann enden für uns Rat und Hilfe. Deshalb hat es guten Grund, daß sich in einem großen Teil der Menschheit die Überzeugung befestigt hat, die Natur sei unser Feind und die Flucht aus ihr unser Heil. Hier gibt es nur einen, der helfen kann, Gott, „der dir alle deine Sünden vergibt“. Wovon sprechen wir aber, wenn wir von Vergebung reden? Sie ist ein Wunder, ein schöpferischer Akt, der das Alte beendet und Neues setzt, den Fall wendet, so daß aus ihm das Aufstehen wird, an die Stelle der Entzweiung die Versöhnung setzt und die gebrochene Gemeinschaft neu herstellt. Fällt das Wunder, dann rollt der Stein, der ins Fallen kam, unaufhaltsam in die Tiefe, und unsere Zukunft ist dann nichts anderes als die gesetzmäßig gebundene Fortsetzung unserer Gegenwart.

Die Vergebung empfangen wir durch das Wort, das die Gnade zu uns spricht, und der, der uns dieses Wort gesagt hat, ist Jesus. Was wird aus ihm, wenn das Wunder wegfällt, dasjenige, durch das er ward in seinem irdischen Leben und in seiner himmlischen Hoheit und dasjenige, durch das er uns sein Vermögen zeigte, uns in Gottes Kraft zu helfen? Zwar ist ihm sein Platz in der Geschichte gesichert, und der Satz, er habe nicht gelebt, rennt trotzig gegen gesicherte Tatsachen an. Ebenso gewiß ist aber, daß er sein Handeln nicht nach den natürlichen Maßstäben eingerichtet hat. Er ließ mit allem, was er sagte und tat, mit seinem Gebot und seiner Verheißung und seinem Kreuz, die Grenzen hinter sich, die uns durch die Natur gezogen sind. Denn er sah die Natur nie isoliert von Gott und verwies den Menschen nie an sich selbst und gründete sein eigenes Handeln nie auf das, was er bei sich selber fand. Immer rechnete er mit dem wirkenden Gott, und sein Gott war die allmächtige Gnade, die sich im Wunder offenbart. Nimmt man ihm das Wunder, so kann man ihn mit wechselnden Stimmungen betrachten; man kann ihn wegen der kräftigen Färbung seiner Phantasie bewundern oder ihn wegen der krankhaften Verzerrung seines Weltbildes bedauern und verachten. Immer aber sinkt er als ein Träumender in die Vergangenheit hinab. Es hat aber große Folgen, ob wir abgewandt von Jesus oder im Anschluß an ihn unser Leben führen.

Damit ist ausgesprochen, wie man des Wunders gewiß werden kann. Alles, was mich Gottes gewiß macht, alles, wodurch mir Jesus seine Heilandsmacht zeigt, macht mich auch des Wunders gewiß. Das ist der einzige rechtmäßige Weg, auf dem man zur Gewißheit über das Wunder gelangen kann.

Stehe es mit Jesus, wie es stehen mag, um der Natur willen, sagen viele, müßt ihr auf das Wunder verzichten, weil es ihre Ordnung erschüttert und ihre Gesetzmäßigkeit durchbricht. Es gibt in der Tat einen Wunderglauben, der das natürliche Fundament unseres Lebens leugnet und Unordnung in die Natur hineinzutragen versucht. Wenn ich von einem Knochen oder sonst einem heiligen Ding eine wunderbare Wirkung erwarte, dann habe ich der Natur den Gehorsam versagt und die verständige Regelung des Lebens preisgegeben. Diese Art von Wunderglauben ist in allen Religionen und auf allen Stufen der Kultur verbreitet. Es wird überall gezaubert, und es ist schwierig, den Zauberer auszurotten. Auch auf dem deutschen Boden ist es uns noch nicht gelungen, mit dem Zauber fertig zu werden; überall, wo man das Christentum verloren hat, bekommt er neue Macht. Nach dem falschen, phantastischen, zaubernden Wunder greift der Mensch deshalb, weil er den Druck der Natur spürt und sich deshalb, weil sie uns mit hartem Zwang einengt und tötet, gegen sie zur Wehr setzt. Gegen dieses Wunder, das die Natur bestreitet und unseren Verstand zerrüttet, gibt es nur einen Schutz, nicht die Aufklärung, die uns den Verlauf der natürlichen Vorgänge deutet — sie macht uns von dem, was uns bedrückt, nicht frei —, sondern das Wunder der Schrift. Denn in der Bibel gibt es nur einen Wundertäter, weil es nur einen Schöpfer gibt, und dieser Eine ist Gott. Von Gottes Wunder zu fürchten, es bringe die Natur in Unordnung, das wäre eine kindische Sorge. Er, der das Wunder wirkt, schuf und erhält auch die Natur. Sie liegt unverletzlich, wohlgeborgen und sicher in seiner Hand und dies gerade dann, wenn er in der Herrlichkeit seiner allmächtigen Gnade gibt, was uns die Natur nicht geben kann und nicht geben soll, auch dann, wenn er nach dem letzten, höchsten Ziel seiner Gnade „den neuen Himmel und die neue Erde„ schafft; auch dies hat mit „Weltuntergang“ und Zerstörung der Natur nichts zu tun, sondern ist dazu das volle Gegenteil; denn dies ist die Verklärung und Verherrlichung der Natur.

Was kann euch, werden wir gefragt, am Wunder liegen, wenn ihr doch nichts anderes begehrt und erlebt als das, was die Natur euch schenkt? Ihr stellt euch nicht wie Jesus vor ein Grab, in dem eine Leiche schon vier Tage lag, und ruft den Toten wieder heraus. Das heißt ihr unmöglich; denn die Natur läßt es nicht zu. Was bedeuten denn die biblischen Wunder für euch praktisch, wenn ihr selbst keine Wunder tut? Sie geben uns aber unschätzbar Großes auch für unseren Verkehr mit der Natur, nicht das, daß wir das Wunder nachahmen, wiederholen und anderes erleben wollten, als was uns durch die Natur gewährt wird, sondern das, daß uns die Natur heilig, lieb und heilsam wird. Das ist uns die Natur nur dann, wenn uns Gott über ihr sichtbar ist. Echte Natürlichkeit ist ein hohes Ziel. Wir bedürfen Schutz gegen die Unnatur, in die wir notwendig geraten, sowie wir in die Natur hinuntersinken und nichts mehr haben, als was sie uns gibt. Wir danken es Jesus, daß er zum Beginn seines Leidens am Grab des Lazarus den Tod überwand, nicht deshalb, weil wir nicht sterben wollten oder Tote wieder beleben möchten, sondern deshalb, weil wir begehren, verständig, tapfer und freudig in der Natur zu leben und getrost durch sie zu sterben, und das können wir deshalb, weil Gott uns den gegeben hat, der sich eben damals, als er selbst in den Tod ging, als den Geber des Lebens erwiesen hat.

Es kommt auch vor, daß das Wunder um der Vernunft willen abgelehnt wird. Denn es ist ein Geheimnis, zu dem wir keinen Zugang haben. Darum ist es, sagen sie, eine Beleidigung unserer Vernunft, die das Recht hat, alles zu begreifen, ein Angriff auf die Wissenschaft, die verkürzt wird, wenn es Dinge gibt, an die sie nicht rühren darf. So spricht aber nur die hoffärtige Eigensucht des Menschen, die sich über alles erhebt und sich alles Untertan machen will. Dieser Dünkel stirbt freilich im Anblick der Wunderbarkeit Gottes, und daß er stirbt, das ist nicht die Zerstörung unserer Vernunft, sondern der Weg in die Vernünftigkeit. Er scheitert auch keineswegs erst am Wunder, sondern schon an der Natur. Denn auch der Natur ist das Geschäft übertragen, unseren Stolz zu zerbrechen, weil auch sie in jedem Vorgang ein Geheimnis bleibt, das wir nie ganz enthüllen. Die Pflicht, die uns deshalb geschenkt ist, weil wir Augen haben, die wahrnehmen, und Verstand besitzen, der urteilen soll und begreifen kann, besteht darin, daß wir das, was uns gezeigt wird, sehen, damit wir das, was uns gegeben ist, treu und richtig verwalten. Dazu verhilft uns nichts sicherer und wirksamer als der Blick auf Gott. Denn das Wort des Psalmisten hat volle Richtigkeit: „In deinem Licht sehen wir das Licht.„

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