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1. Korinther, Kapitel 4

1. Korinther, Kapitel 4

4:1 Dafür halte uns jedermann: für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Daß wir so etwas von uns selbst sagen, macht die Sache noch nicht zur Wirklichkeit, sondern wir sollen so leben und arbeiten, daß andere diesen Eindruck von uns bekommen: Dieser Mensch ist kein Menschenknecht, sondern redet in Christi Vollmacht, und er hausiert nicht mit Menschenfündlein, sondern verwaltet Gottes heimliche Schätze, die der Welt verborgen sind. Gilt das Wort in erster Linie auch den Predigern, so ist doch von solcher Regel kein wahrhaft gläubiger Christ ausgenommen, der seines Herrn Wort in den Mund nimmt. Von Christo her zu andern Menschen gesandt, die Hände gefüllt mit den geheimnisvollen Schätzen Gottes: Friede, Vergebung, Reinheit und Kraft, Trost und Freude! Lege diesen Maßstab nicht immer an die Predigt deines Geistlichen, sondern an dein eigenes Leben. Können die andern, die dich näher kennen lernen, den Eindruck nicht verwinden: dieser Mann handelt in Christi Auftrag und teilt Gottes Gaben aus? Oder bleibt alles an deinem eigenen Wesen und Denken haften? Dann verlierst du den Anspruch auf den Trost Christi, wenn dir Trost am nötigsten sein dürfte und wenn du Kraft brauchst, wird die Ebbe in deiner Gedankenkasse offenbar.
Herr Jesus, ich fürchte mich vor mir selbst und dem Meinen. Lehre mich deinen Willen erkennen und ausrichten. Offenbare mir zuerst deine Geheimnisse, daß ich sie kund tun kann als dein Wort und damit wirken kann dein Werk. Amen.(Samuel Keller)

4:2 Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden.
Untreue löscht alle andern guten Eigenschaften eines Mannes aus, der einen Vertrauensposten bekleidet. Er kann sich mit keinem Lob über andere Leistungen oder Erfolge gegen den Blick der Vernichtung wappnen, womit sein Herr am Tage des Gerichts den Überführten straft:„Untreue!“ Wenn man im geistlichen Dienst seine Ehre, seinen Vorteil, seine Anerkennung, seine Bequemlichkeit sucht und nicht das Interesse seines Herrn, wird man untreu erfunden. Die Gefahr, sich über diesen Punkt selbst zu täuschen, ist bei den Eifrigsten und Erfolgreichsten am größten. Da mischen sich in die gesteigerte Tätigkeit so leicht falsche Triebe. Menschen, die einen loben und beräuchern, verwirren das klare Selbstgericht, und allmählich wird man ein Opfer aller dieser falschen Vorstellungen. An andern sehen wir bisweilen, wie ihre Vielseitigkeit sie verdirbt; über uns selbst können wir im gleichen Augenblick ganz verblendet bleiben. Da ist es noch ein Segen, wenn vielleicht ein feindlicher Tadel, der uns zuerst nur verletzt, uns die Augen öffnet und wir den Abgrund erkennen, an dem wir wandeln. Nur nicht im unklaren, wem unsere Treue gehört.
Herr Jesu, es steht zu viel auf dem Spiel für meine arme Seele und meine Arbeit. Erbarme dich meiner und hilf mir nach deiner Barmherzigkeit. Strafe meine Untreue jetzt und vergib mir. Mach du mich treu. Amen.(Samuel Keller)


Nach unserer Denkweise, die Torheit ist, sagen wir, Paulus sei ein Original gewesen, sogar ein Genie. Er hat in der Tat vieles gesagt, was vor ihm keiner sagte, und war bei mancher Gelegenheit ein Anfänger, der Neues schuf. Das ergab sich aus seinem Grundsatz, mit dem Wort dahin zu gehen, wo es noch unbekannt war. Weil er die Gemeinde auf einem noch unberührten Boden baute, musste er manches Neue erdenken und tun. Paulus lehnte aber diese Weise, sein Wirken zu betrachten, ab. Er selber sieht in sich einzig den Verwalter, und dieser erwirbt nicht neuen Besitz, sondern macht fruchtbar, was ihm übergeben ist. Die Art und der Umfang des Guts, das er zu verwalten hat, hängt nicht vom Verwalter ab. Darum gab es für Paulus nur eine einzige Pflicht, die, treu zu sein. Das ist Gottes Ordnung für uns alle. Vor allem Erwerben steht das Empfangen und daraus ergibt sich für uns das Ziel, an das wir mit heiliger Pflicht gebunden sind. Verdirb nicht, was du empfangen hast. Freilich ist es wahr, dass die Zeit sich bewegt und die Geschichte nicht stille steht, auch nicht die eines jeden Einzelnen. Wir kommen in neue Lagen und tun Gottes Willen nur dadurch, dass wir unsere Vernunft erneuern. Was gestern richtig war, ist es nicht auch heute. Aber die unzerstörbare Bedingung für jeden neuen Schritt der Christenheit ist, dass sie das ihr Gegebene nicht zerstöre, sondern wirklich besitze, und sie besitzt es nur dann, wenn sie es fruchtbar macht. Wer da hat, dem wird gegeben. Ich kann nicht neue Gabe empfangen, wenn ich das, was mir gegeben wurde, missachte und entkräfte. Wenn Paulus nur die eine Verpflichtung anerkannte, treu zu sein, so stand ihm die Herrlichkeit Jesu vor seinem Auge. Was Jesus uns gebracht hat, bedarf keiner Ergänzung und Verbesserung durch den Apostel oder durch die Christenheit. Weil Paulus an Jesus glaubte, kam es ihm nicht in den Sinn, ein Original zu sein mit dem Anspruch, dass er über Jesus emporwachse. Er empfand das Verwerfliche einer solchen Einbildung deshalb stark, weil er Gottes Willen zu tun hatte. Das stellt ihn vor die Geheimnisse Gottes, in die wir nicht eindringen, als verfügten wir über sie. Darum zeigt er sich und der ganzen Christenheit kein anderes Ziel als das, dass sie treulich verwalte, was Jesus ihr erworben hat.
Dein Geheimnis, Vater, steht auch über meinem Leben. Es ist das Geheimnis Deiner Gnade. Bewahre meine Gedanken, dass sie sich nicht an Deinem Geheimnis vergreifen, und schaffe in mir das reine Herz, das Dir für das dankt, was du mir gabst, und es treulich braucht nach Deinem Willen. Amen. (Adolf Schlatter)

4:3 Mir aber ist's ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht.
Das hat mancher dem großen Apostel nachgesprochen, der weniger Grund dazu gehabt hat als er. Denn es gehört doch ein tadelloses Gewissen und ein unbeflecktes Herz dazu, seinen menschlich-befangenen, engherzigen Richtern mit einem solchen Wort entgegentreten zu können. Paulus lehnt sie alle im voraus ab. Aber daß er sich auch selbst nicht richten wolle, könnte befremdlich klingen, wenn man nicht aus dem folgenden Verse den Grund erfahre. Weil der Herr allein richtig seines Knechts Arbeit beurteilt und gerecht rechten wird, hat es nach beiden Seiten keinen besonderen Sinn, wenn Paulus von seinem eigenen Gericht viel abhängig machen wollte. Beurteilt er sich zu gut, dann könnte diese Selbsttäuschung ihm schaden - fällt seine Zensur in kleinmütiger Stunde zu schlecht aus, könnte er alle Lust zur Weiterarbeit verlieren. Gott ist größer als unser Herz. Wollen wir stets im Blick auf sein genaues, aber gerechtes Urteil leben und arbeiten, dann wird der Weg lichter und leichter. Für die Fehler und Schwachheiten, die uns unterlaufen, gibt es bei demselben Richter nur eine wundersame Vergebung, wenn er die Aufrichtigkeit des Herzens vorfindet. Laßt uns nicht nach Menschen uns richten, sondern nur auf Jesum schauen.
Herr Jesus, du bist uns zum Richter und zum Retter bestellt. In deinen Händen wollen wir bleiben. Mach du es mit uns nach deiner Güte und Treue. Verlaß uns jetzt nicht in der Arbeit, damit wir dich nicht zu scheuen brauchen am Tage des Gerichts. Amen.(Samuel Keller)

4:4 Denn ich bin mir nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist's aber, der mich richtet.
Bei den Korinthern wurde die Frage aufgeworfen, ob Paulus oder Kephas, oder Apollo der theuerste Mann Gottes sei, und die Beantwortung dieser Frage trennte die Gemeinde in verschiedene Parteien. Paulus sahe den Schaden, der ihr aus dieser Trennung erwachsen war, und gab sich deßwegen Mühe, sie wieder zu vereinigen. Aber wie? durch Verkleinerung Anderer, und Erhebung seiner selbst? Nein; dafür, sagte er, halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse, nun suchet man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden, V. 1.2. Mehrere, ja alle Diener Gottes kommen in Ansehung ihres Berufs und ihrer Bestimmung mit einander überein, aber in Ansehung ihrer Gaben und ihrer inneren Vorzüge nicht; jedem liegt aber ob, daß er mit seinen anvertrauten Talenten wuchere für den HErrn, der ihn gedungen hat. Aber das Maß der Treue, oder die inneren Vorzüge des einen gegen den andern bestimmen, das ist etwas, das nicht Menschen, sondern Gott allein, der Herzen und Nieren prüfen kann, Ps. 7,10., zusteht. Paulus wollte deßwegen nicht sich selbst richten, keine genaue Vergleichung zwischen sich und Andern anstellen, nicht seine Verdienste gegen die Verdienste Anderer abwägen. Er konnte zwar von sich sagen, daß ihm Barmherzigkeit widerfahren sei (1 Tim. 1,13.), er war also seines Gnadenstandes gewiß, er konnte sich sogar, wenn sein Apostolisches Amt angefochten wurde, mit aller Freimüthigkeit in die Reihe der hohen Apostel setzen, und seiner Leiden, die ihm die Verkündigung des Evangeliums zugezogen, und seiner göttlichen Offenbarungen rühmen (2 Kor. 11.). Er wußte, daß er auch bei dem größten Theil der korinthischen Christen bei einer Untersuchung seiner Verdienste nichts verlieren würde, und daß er vor einem jeden menschlichen Gerichtstag bestehen könne. Aber dadurch, sagt er, bin ich doch nicht gerechtfertigt. Das höchste und allein gültige Urtheil ist dadurch noch nicht über mich gefällt. Ich will mich nicht selbst richten, richtet auch ihr nicht vor der Zeit, der HErr ist’s aber, der mich richtet. Der Beifall der Menschen war also durchaus nicht der Zweck seiner Handlungen, weil dieser doch nicht den Werth derselben entscheidet, auch setzte er sich selbst nicht zum Richter über Andere, weil er dieß für einen Eingriff in die Rechte Gottes hielt, die außer Ihm Niemand ausüben konnte. Aber das war sein Augenmerk, daß er in seinem Beruf alle mögliche Treue bewies, um sich mit heiterer Zufriedenheit dem gerechten und gnädigen Urtheil Gottes überlassen zu können. Wer sich rühmen will, der rühme sich des HErrn, denn darum ist Einer nicht tüchtig, daß er sich selbst lobet, sondern daß ihn der HErr lobet, 2 Kor. 10,17.18. Und das muß überhaupt das Augenmerk des Christen sein, daß er von dem HErrn gelobet werden möchte. Den Beifall der Menschen betrachtet er immer für eine zufällige Nebensache, und durchaus nicht für den Zweck seines Daseins und seiner Bemühungen. Treue ist er seinem Gott schuldig, und das Bewußtsein, diese ausgeübt zu haben, macht ihn unabhängig von dem Tadel oder Lob der Menschen; er wartet ruhig auf den Tag, da der HErr einem Jeglichen geben wird nach seinen Werken, Röm. 2,6.(Magnus Friedrich Roos)


Tief beschämt sehe ich zu Paulus auf. Ein Wirken, das keinen Flecken in das Gewissen legt, eine Arbeit, die durch ein langes Leben hindurch fortgesetzt wird und nicht bloß dem menschlichen Urteil ohne Furcht gezeigt werden kann, sondern sich auch im Urteil des eigenen Gewissens als rein erweist, das hat einzigartige Größe und ist so schön, dass es uns fast unglaublich scheint. Aber diese Schönheit zerränne und verwandelte sich in ein hässliches Bild, wenn Paulus mit Bewunderung sich selbst beschaute und mit dem Freispruch, den sein Gewissen ihm gewährt, zufrieden wäre. Er fährt aber fort und erklärt, dass er damit nicht gerechtfertigt sei. Dass wir versuchen, uns selbst zu rechtfertigen, das hieß Paulus Sünde und an dieser Sünde beteiligt er sich nicht. Sein eigenes Urteil gilt nichts; denn das des Christus allein entscheidet. Er steht ja in Dienst Jesu und arbeitet nicht für sich, sondern für ihn. So hat auch einzig Christus die Macht und das Recht, über ihn zu urteilen und zu erklären, dass er seinen Knecht lobe und sein Werk heilige als in Treue getan, wie sie von dem gefordert wird, der das Gut seines Herrn zu verwalten hat. Dächte er anders, machte er aus seinem guten Gewissen seine Gerechtigkeit, wie könnte er noch mit Freude auf sein Wirken sehen? Dann hätte er den Standort des Glaubens verlassen und sich auf sich selbst zurückgebeugt, um sich in sich den Stützpunkt zu bereiten, der ihm den festen Stand gewähren soll. Dann hätte er, während er doch den anderen Jesus als ihren Herrn verkündigte, sich selbst dem Herrn entzogen, für sich gearbeitet und sich an die Stelle Jesu gesetzt. Hätte ich Recht, wenn ich sagen würde, es sei schwer, in dieser Stellung zu verharren, und es sei kaum begreiflich, dass Paulus das ausgehalten habe, ohne wund zu werden? Würde ich es hart heißen, dass wir uns nicht die Rechtfertigung bereiten können, weder aus dem Zeugnis des Menschen noch aus dem Lob unseres eigenen Gewissens, so hätte ich wieder vergessen, was der Glaube ist und wo er uns den Ort vor Gott anweist. Wie könnte Paulus deshalb wund, schwach und geängstigt sein, weil einzig Jesus ihn rechtfertigen kann? Er glaubt ja an seinen Herrn und kennt seine Gnade. Dadurch erweist er sich als gläubig, dass er nichts als gültig ehrt als allein das Urteil Jesu. Indem er sich nicht nur über das Urteil der anderen, sondern auch über sein eigenes Gewissen erhebt, bleibt er bei dem Satz, dass es keine Gerechtigkeit für uns gebe als den Glauben allein, und diesen Satz hieß Paulus den köstlichen Kernsatz des seligmachenden Evangeliums.
Mache mich frei, Herr, dass ich nicht auf das Urteil der Menschen lausche. Wende mich zu Dir, damit ich nicht selber den Wert meines Lebens messe und die Frucht meiner Arbeit festzustellen suche. Auf Dein Urteil zu warten, ist Freude und Friede; denn ich weiß ja, dass Du gnädig bist. Amen. (Adolf Schlatter)

4:5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.
Bis dahin nicht richten! Oh, wie wäre das so schön! Und doch ist das nicht nur so ein frommer Wunsch des Apostels, wie wenn ein Kind seufzt: „Ach, daß doch alle Tage Sonnenschein wäre!“, sondern es ist eine berechtigte Mahnung. Jetzt ist die Zeit zum Einladen und Werben; wenn Jesus wiederkommt, ist die Zeit zum Richten. Er wird solches Gericht vollziehen; was mischst du dich in sein Vorrecht, indem du jetzt über deinen Bruder zu Gericht sitzest, ob er „entschieden“ oder „mit dem Geist getauft“ sei? Dein Urteilsspruch hat soviel Kraft wie das Lallen unmündiger Kinder; wozu belastest du mit einer solchen unnützen Sache dein Gewissen und des Bruders Herz. Lehrer und Führer der Unmündigen müssen freilich wachen, ob sich nicht eine seelengefährliche Lehre einschleichen will. Aber davon ist hier nicht die Rede, sondern von dem unberufenen, lieblosen Aburteilen über den Nächsten, worin viele ihre vornehmste Stärke haben. Wenn wir Gläubigen frei wären von solcher üblen Unart des Richtens, brauchte der Herr nicht so manche Demütigung über uns kommen zu lassen. Wollen wir schon durchaus richten, so lasset uns ein jeder sich selbst richten. Das hat eine Verheißung.
Lieber Heiland, vergib uns all unser liebloses, voreiliges Richten und mache den Schaden gut, den wir damit etwa schon angerichtet haben. Schenk uns tragende, schweigende Liebe zu den Brüdern aus deinem Schatz von Liebe. Amen.(Samuel Keller)

4:6 Solches aber, liebe Brüder, habe ich auf mich und Apollos gedeutet um euretwillen, daß ihr an uns lernet, daß niemand höher von sich halte, denn geschrieben ist, auf daß sich nicht einer wider den andern um jemandes willen aufblase.

4:7 Denn wer hat dich vorgezogen? Was hast du aber, daß du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als ob du es nicht empfangen hättest?
Warum sind deine Augen geöffnet, und warum ist dein Herz bewegt? Warum bist du zu dem Bilde Christi erneuert, während andere, die du kennst, selbst vielleicht Glieder deiner Familie, ihrer natürlichen Finsternis und den Banden der Sklaverei der Sünde überlassen blieben? Warst du besser als irgend einer von ihnen? Nein, in keiner Weise; der einzige Grund dieses Unterschiedes, den du angeben könntest, ist der, den der Herr Jesus selbst bezeichnet: „Vater, also ist es wohlgefällig gewesen vor dir.“ (Mat. 11,26).
Alle Gaben, die du empfängst, die Verheißungen, die du ergreifst, so wie die täglichen Kämpfe, die du bestehst, sind die erfahrungsmäßigen Beweise dieser freien Gnade Gottes. Sie finden allerdings statt unter der Mitwirkung deines Willens; dennoch wirkt nach der Schrift Gott das „Wollen“ und das „Vollbringen“, und beides hängt nicht von den freiwilligen Anstrengungen des Menschen ab, sondern es ist das unmittelbare Werk Gottes des heiligen Geistes, „nach dem Wohlgefallen seines Willens“ (Eph. 1,5)
Wenn du dieser Vorstellung von der unumschränkten Macht Gottes die süßen Beziehungen hinzufügst, die er mit seinem Volk unterhält, dann wird sich in deinem Herzen die tiefste Ehrfurcht mit unbedingtem Vertrauen, die aufrichtigste Demut mit völliger Gewißheit, die wachsamste Tätigkeit mit willenloser Überlassung vereinigen; und was dann auch die Stellung sein möge, in die dich die göttliche Vorsehung versetzt hat, welchem Kreuz, welchen Feinden und welchen Prüfungen du zu begegnen berufen sein magst: Du wirst stets mit heiliger Freude daran denken, daß Gott der Herr, „der aller Welt Richter ist“ (1.Mo. 18,25, „der alle Dinge wirkt nach dem Rat seines Willens“ (Eph. 1,11), auch dir Recht schaffen wird.
Wir finden in einer auffallenden Weise die Ausübung dieser freien und unumschränkten Macht in dem Amt unseres Herrn Jesu auf der Erde. Seht ihn an im Geiste, wie er auf einen Berg steigt und diejenigen ruft, die er ausgewählt hatte; hört, wie er Wind und Meer, ja selbst die bösen Geister bedroht, und merkt, wie sie ihm gehorchen; steht still, um seine erhabene macht zu bewundern, durch die er alle Krankheiten heilt, der Blinden Augen öffnet, Tote auferweckt usw., und ihr werdet zweifelsohne erkennen, daß, „wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, also auch der Sohn macht lebendig, welche er will“ (Joh. 5,21). Ganz gewiß ist die Ausübung dieser freien Gnade einer der hervorragendsten Züge seines Amtes, und die Wirkung dieser Lehre auf das fleischliche Herz des Menschen war damals dieselbe, wie sie es auch heute noch ist; noch immer offenbart sich dieselbe Gesinnung bei ihnen, wie weiland in Nazareth: „Als sie das hörten, wurden sie voll Zorns.“ (Luk. 4,28) (Hermann Heinrich Grafe)

4:8 Ihr seid schon satt geworden, ihr seid schon reich geworden, ihr herrschet ohne uns; und wollte Gott, ihr herrschtet, auf daß auch wir mit euch herrschen möchten!

4:9 Ich halte aber dafür, Gott habe uns Apostel für die Allergeringsten dargestellt, als dem Tode übergeben. Denn wir sind ein Schauspiel geworden der Welt und den Engeln und den Menschen.

4:10 Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christo; wir schwach, ihr aber seid stark; ihr herrlich, wir aber verachtet.

4:11 Bis auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und sind nackt und werden geschlagen und haben keine gewisse Stätte

4:12 und arbeiten und wirken mit unsern eigenen Händen. Man schilt uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir's; man lästert uns, so flehen wir;

4:13 wir sind stets wie ein Fluch der Welt und ein Fegopfer aller Leute.

4:14 Nicht schreibe ich solches, daß ich euch beschäme; sondern ich vermahne euch als meine lieben Kinder.

4:15 Denn obgleich ihr zehntausend Zuchtmeister hättet in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn ich habe euch gezeugt in Christo Jesu durchs Evangelium.

4:16 Darum ermahne ich euch: Seid meine Nachfolger!

4:17 Aus derselben Ursache habe ich auch Timotheus zu euch gesandt, welcher ist mein lieber und getreuer Sohn in dem HERRN, daß er euch erinnere meiner Wege, die in Christo sind, gleichwie ich an allen Enden in allen Gemeinden lehre.

4:18 Es blähen sich etliche auf, als würde ich nicht zu euch kommen.
„Herr eures Glaubens bin ich nicht“, sagte Paulus den Korinthern. Diesen Gedanken stieß er als verwerflich von sich. Wie könnte ein Mensch, und wenn er ein Apostel wäre, über den Glauben des anderen Herr sein wollen? Das wäre Raub an Gott. Weil unser Glaube Gott gehört, sollen wir ihn Jesus geben und niemand sonst. Als es aber in Korinth solche gab, die sagten: Paulus braucht nicht mehr zu uns zu kommen; wir haben ihn nicht mehr nötig, nannte er das aufgeblähte Eitelkeit, vor der er ernstlich warnt. Ähnliche Gedanken gehen mit versuchlicher Kraft durch unsere Zeit. Wozu soll ich immer wieder mein Neues Testament öffnen, warum beständig Paulus zu mir reden lassen? Kann ich mein Leben nicht selber ordnen? Habe ich nicht Augen, die mir zeigen, was geschehen muss, Glauben und Geist, die mich auf Gottes Weg erhalten? Ich muss in der Gegenwart leben und das erkennen, was jetzt richtig und heilsam ist. Ist es nicht die Schwäche der Christenheit, dass sie nur die apostolischen Worte wiederholt und nicht von dem zeugen kann, was Gott heute an uns tut? An solchen Gedanken ist das freilich wahr, dass wir arm und zum Dienst nicht tauglich wären, wenn wir nichts zu sagen hätten als Bibelsprüche und von Gott nichts wüssten als das eine, dass er vor langer Zeit den Aposteln sein Wort gegeben hat. Wenn ich so in der Bibel heimisch würde, dass mir die Gegenwart fremd bliebe, dann hätte sie mir noch nicht gezeigt, dass Christus mir zum Herrn gegeben ist. Ebensowenig entsteht aber aus echtem Glauben Hochmut, der sich selbst genug sein will und auf den Apostel nicht mehr hören mag. Eitelkeit entsteht nicht aus dem Glauben, sondern gedeiht nur da, wo er fehlt. Habe ich gelernt, auf Gottes Hand zu achten, dann nehme ich wahr, dass er den Boten Jesu ein Amt gegeben hat, das niemand wiederholt und keiner entbehren kann. Dann höre ich die Stimme des guten Hirten, der durch den Dienst des Paulus die Seinen führt.
Ich kann nicht bei mir selber weise sein, lieber Herr. Du sprichst zu mir durch die, die Du mit Deinem Wort begnadet hast. Dafür danke ich Dir und bitte Dich: schenke Deiner Christenheit ein offenes Neues Testament, ein waches Ohr für das, was Deine Boten sagen. Amen. (Adolf Schlatter)

4:19 Ich werde aber gar bald zu euch kommen, so der HERR will, und kennen lernen nicht die Worte der Aufgeblasenen, sondern die Kraft.

4:20 Denn das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.
Was bedarf ich mehr als Gottes Wort? Mit ihm ist mir alles gegeben. Durch Sein Wort kommt Sein Reich zu mir. Gottes königliche Gnade regiert mich dadurch, dass sein Wort mich erfasst. Kein Dank ist zu stark dafür, dass uns das Wort gegeben ist, kein Lob zu überspannt, das die Herrlichkeit des Wortes preist. Gott ist das Wort. Wenn ich aber vom Wort nur Lust zum Denken und Geschicklichkeit im Sprechen empfange, also aus dem Wort bloß Worte mache, so habe ich das Wort nicht gehört und seine Wirkung nicht empfangen. Gott ist das Wort. Gottes ist aber die Kraft; daher ist sein Wort Kraft und besteht sein Reich, das durch sein Wort zu mir kommt, nicht in Worten, sondern in Kraft. Ich hätte dem Wort mein Innerstes verschlossen, wenn mein Glaube nur dadurch ans Licht träte, dass ich weiß, wie Gott sich zu mir verhält, und davon reden kann. Mich will das Wort fassen, nicht nur meine Zunge, nicht nur mein Gehirn und den Apparat, mit dem ich denke, nicht nur mein Bewusstsein, sondern mich mit dem, was Kraft in mir ist, und mit dem, was Mangel an Kraft, Schwäche, Sünde und Tod in mir ist. Das will es heilen und in mein nichtiges, verwerfliches und totes Wesen Gottes Kraft hineintragen, weshalb es keinen echten Hörer des Wortes gibt, der nicht sein Täter wird. Wenn ich mich der Kraft des Wortes entziehe, so halte ich meinen eigensüchtigen Willen fest, der sich Gott nicht unterstellen will, und ich bleibe an meinen natürlichen Trieb gebunden und decke über diesen Jammer den Glanz der von Jesus mir gesagten Worte, als ob mir geholfen wäre, wenn ich mit Worten verleugne und verhülle, was mich verdirbt. Ich kann Gottes nicht gewiss sein und kann ihn auch keinem anderen zeigen, wenn sich nicht seine Kraft an mir und durch mich offenbart. Darin liegt der Grund, dass keine Theologie uns helfen kann, wenn sie nichts ist als Theologie.
Ich will, Vater, meine Not nicht vor Dir verbergen; Du kennst sie ja. Worte habe ich reichlich; aber Worte sind nicht das Merkmal Deines Reiches. Durch das, was uns fehlt, leitest Du uns zum Bitten. Darum bitte ich Dich: behüte mich vor aller Einbildung, die in Worten schwelgt und mache mich zum Täter Deines Worts. Ich bin nur ein irdenes Gerät. Du aber legst auch in das irdene Gerät den Schatz Deiner Kraft. Darum bitte ich Dich in Jesu Namen. Amen. (Adolf Schlatter)

4:21 Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist?
Welch ein Vorbild der Geduld, der Welt und der ihn vielfach betrübenden korinthischen Gemeinde gegenüber, war doch der heilige Apostel Paulus! O mein Gott, mit demüthigem Seufzen flehe ich Deine Gnade an, daß Du auch mir wahre und aufrichtige Geduld verleihen mögest! Mein Fleisch verlangt immer das, was ihm angenehm ist; es weigert sich aber, Widerwärtiges geduldig zu ertragen. Ich bitte Dich, Du wollest diese Leidenschaft des Fleisches in mir mächtig unterdrücken und meine Schwachheit durch die Stärke der Geduld stützen. O Christe Jesu, Lehrer der Geduld und des Gehorsams, unterweise mich innerlich durch den heiligen Geist, daß ich von Dir lerne den Eigenwillen verläugnen, und das Kreuz, das Du mir auferlegt hast, geduldig tragen! Du hast Schwereres für mich gelitten, als Du auflegest; und ich habe härtere Strafen verdient, als Du zu tragen giebst. Eine Dornenkrone und des Kreuzes Last hast Du getragen, Blut hast Du geschwitzt und die Kelter des Zorns um meinetwillen getreten: warum sollte ich mich daher weigern so wenig Leiden und Angst geduldig zu übernehmen? warum weigern, Deinem Trauerbilde in diesem Leben gleichförmig zu werden? Ewige Strafen habe ich mit meinen Sünden verdient; warum sollte ich die väterliche Züchtigung in dieser Welt nicht ertragen? Zur Prüfung, nicht zur Verwerfung geschieht es, daß Du mich durch mannichfache schwere und bittere Erfahrungen übest. So viel Du an Kreuz und Trübsal auferlegst, so viel theilst Du auch an Licht und Trost mit; und nicht sowohl die Züchtigung, als die Vergeltung wird vermehrt. Die Leiden dieses Lebens sind nicht werth jenes himmlischen Trostes, den Du in diesem Leben zugleich einflößest, und jener himmlischen Herrlichkeit, die Du für die Zukunft verheißest. Ich weiß, daß Du bei mir bist in der Noth; warum sollte ich mich daher nicht vielmehr über die Gegenwart Deiner Gnade freuen, als mich über die mir auferlegte Bürde des Kreuzes betrüben? Führe mich, durch welchen Weg Du willst, bester Meister und Herr, ich will Dir durch Dornen und Hecken folgen, ziehe und halte mich nur, daß ich folgen kann! Ich neige mein Haupt, daß Du die Dornenkrone darauf setzest, in der gewissesten Ueberzeugung, daß Du einst die Krone der ewigen Herrlichkeit darauf setzen wirst. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

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