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Psalm 130

Psalm 130

130:1 Ein Lied im höhern Chor. Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir.

130:2 Herr, höre auf meine Stimme, laß deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!

130:3 So du willst, HERR, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen?
Wenn ein Mensch aus der Tiefe zu dem HErrn ruft, wie im Anfang dieses Psalms gesagt wird, und ihm Gott bei einer innerlichen oder äußerlichen Noth die Augen geöffnet hat, so erkennt er, daß wenn der HErr Sünde zurechnen will, Niemand vor Ihm, dem HErrn, bestehen könne. Er ist heilig, allwissend, und hat eine große Macht. Wenn Er Sünde zurechnet, so kann Er mit zeitlichem Unglück und mit der Hölle strafen. Wer kann alsdann vor Ihm bestehen? Niemand kann’s. Ein Jeder wird zu Schanden und muß vergehen.
Und doch gibt es blinde und stolze Leute genug, die mit ihren Sünden, deren sie wenige begangen zu haben meinen, vor Gott bestehen wollen. Weil sie gelind von sich denken, so meinen sie, Gott denke auch so von ihnen. Weil sie das Gesetz verkehrt auslegen, so meinen sie, Gott habe es auch in diesem leichten und seichten Sinn gegeben. Weil sie unter den Menschen Lob und Achtung genießen, so bilden sie sich ein, sie werden in Gottes Gericht auch gut durchkommen. Ihre Tugenden und gottesdienstlichen Uebungen, welche doch nicht rechter Art sind, rechnen sie hoch an: ihre Vergehungen und Fehler aber halten sie für Kleinigkeiten; als ob sie das HErrn Sinn erkannt hätten, und wüßten, wie der große und heilige Gott sie und andere Menschen richten werde. Solche Leute werden bestützt und zu Schanden werden, wenn sie am Tage der Heimsuchung und des Gerichts werden inne werden, daß Gottes Gedanken gar anders seien, als ihre Gedanken, daß Sein Gericht gar anders ausfalle, als sie sich eingebildet haben, daß vor Ihm ihre Spinnewebe nicht zu Kleidern, und ihr Gewirk nicht zur Decke tauge (Jes. 59,6.), daß ihr ganzes Thun, weil es nicht aus der rechten Quelle geflossen, verwerflich sei, und sie nach Seinem Urtheil elend, arm, jämmerlich, blind und blos seien. Was ist nun zu thun? Man rufe aus der Tiefe zum HErrn. Man bitte um Vergebung und Gnade. Wie aber? Wenn der Betende derselben nicht alsbald vergewissert wird? Alsdann soll er sagen: ich harre des HErrn, meine Seele harret, meine Seele wartet auf den HErrn von einer Morgenwache bis zur andern. Was hat er für einen Grund, zu harren und zu warten? Das Wort Gottes, weßwegen er sagen soll: ich hoffe auf Sein Wort. Was soll er aber thun, wenn er Gnade erlangt hat? Er soll den HErrn fürchten, denn bei Ihm ist die Vergebung, daß man Ihn fürchte. Man fürchtet Ihn alsdann freilich nicht mehr so, wie ein Sclave, der ein böses Gewissen hat, seinen strengen HErrn fürchtet, sondern man fürchtet Ihn als einen Gott, bei dem viel Vergebung ist, und vor dessen Augen man Gnade und Friede gefunden hat. Man fürchtet Ihn aber, man verehrt Ihn, man ist Ihm unterthänig, damit man Seine Gnade nicht wieder verscherze, und das Schicksal jenes Knechts nicht erfahre, dem zehntausend Pfunde geschenkt worden waren, und dem hernach diese ganze schon geschenkte Schuld wieder aufgerechnet wurde, weil er seinem Mitknecht nicht vergab. Dank und Lob sei also unserm Erlöser, daß Er uns den Zugang zur Gnade erworben, und den Weg zum ewigen Leben eröffnet hat.(Magnus Friedrich Roos)

130:4 Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte.
Der HErr ist nicht wie ein Mensch, der nur dasjenige ansieht, was vor Augen ist: Er siehet das Herz an, in welchem viel Arges steckt, aus welchem viele böse Gedanken kommen, und viele böse Lüste aufsteigen, aus dessen Ueberfluß der Mund oft mit bösen Reden überläuft und welches die Quelle vieler bösen Werke ist. Er weiß, daß uns Seine Herrlichkeit oder Sein Ebenbild mangelt, und daß wir in den Pflichten, die wir Ihm leisten sollen, von der Kindheit an sehr Vieles schuldig bleiben. Er ist heilig, und hat sehr hohe Rechte an uns wegen der Schöpfung, wegen der Erlösung, und wegen der Taufe. Wer ist, der Seinen Rechten oder Forderungen eine Genüge geleistet hätte? Wer kann also bestehen, wenn Er Sünde zurechnen und nicht vergeben will; da Er Seiner Zurechnung mit Seiner strafenden Macht den Nachdruck geben kann? Niemand kann alsdann bestehen; sondern ein jeder Sünder muß in diesem Fall verstummen, vergehen, zu Schanden werden, und in die ewige Pein gehen. Was ist also zu thun? Nichts als daß der Sünder seine Schuld und Strafwürdigkeit bekenne und um Vergebung bitte. Und wohl uns, daß bei Gott Vergebung ist! Wohl uns, daß wir zu Ihm sagen dürfen: wo ist so ein Gott, wie Du bist, der die Sünde vergibt, und erlässet die Missethat den Uebrigen Seines Erbtheils; der Seinen Zorn nicht ewiglich behält; denn Er ist barmherzig! Mich. 7,18. Um diese Vergebung sollen alle diejenigen bitten, welche Seiner Güte froh werden wollen; und wenn sie hier derselben theilhaftig werden, so werden die großen Wasserfluthen des göttlichen Zorns, wenn sie kommen, nicht an dieselben gelangen, Ps. 32,6. Von dieser Vergebung, welche bei Gott ist, zeugt das Wort Gottes reichlich, und deßwegen sagte David Ps. 130,5.: ich harre des HErrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf Sein Wort. Wer also um Vergebung der Sünden bittet, soll seine Hoffnung oder Zuversicht auf das Wort Gottes setzen, welches uns nicht nur von der zum Vergeben geneigten Güte Gottes vergewissert, sondern auch (wie vornämlich in den Schriften des neuen Testaments geschieht9 den Grund derselben entdeckt, welcher ist das Blut Jesu, das vergossen worden ist für Viele zur Vergebung der Sünde. Auf dieses Wort und auf andere evangelische Zeugnisse soll man sogar wider die Gedanken und Empfindungen des eigenen Herzens hoffen. Wenn das unglaubige Herz Nein sagt, das ist, wenn es ihm däucht, es sei bei Gott keine Vergebung, so sagt das Wort Gottes> Ja, und dieses Ja gilt mehr als jenes Nein. Ja, wenn der Satan mit lügenhaftem Einsprechen der Seele alle Hoffnung und alles Vertrauen nehmen will, so soll man sich besinnen, daß ein Wort Gottes vorhanden sei, welches mit wahren und freundlichen Worten bezeugt, daß bei Gott um des Fürsprechers Jesu willen Vergebung sei. So hoffe also meine Seele auf den HErrn, denn bei Ihm ist die Gnade, und die nun vollendete Erlösung kommt den Sündern, die mit Reue und Glauben zu Ihm kommen, zu Statten.(Magnus Friedrich Roos)


Wenn bei Gott keine Vergebung wäre, folglich Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit keiner Begnadigung des Sünders Raum ließe, so würde kein Mensch selig. Das Gegentheil der Vergebung ist die Zurechnung der Sünden; nun fragt aber der Prophet V. 3.: so Du willst, HErr, Sünde zurechnen: HErr wer wird bestehen? und verneint diese Frage, wie ein jeder Leser erkennen kann. Daß aber bei Gott Vergebung ist, und daß wir unter den zwölf Artikeln des christlichen Glaubens auch diesen haben dürfen: ich glaube eine Vergebung der Sünden, haben wir dem Sohn Gottes Jesu Christo zu danken, der für unsere und der ganzen Welt Sünde eine Versühnung worden ist, und Sein Blut für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat. In Ihm hat ein Glaubiger die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Wem Gott die Sünden vergibt, dem vergibt Er nicht nur einige, sondern alle, obschon der Sünder selbst die Vergebung einiger Sünden schwerer und später glauben kann, als die Vergebung der übrigen. Wem aber Eine Sünde vergeben ist, dem sind alle vergeben; denn der Sünder kann nicht zugleich unter der Gnade und unter dem Zorn Gottes stehen, und, weil das Verdienst Christi der Grund dieser Vergebung ist, dasselbe aber sich auf alle Sünden bezieht, so müssen einem Jeden, der es glaubig ergreift, alle Sünden vergeben werden. Sind aber die Sünden vergeben, so ist auch die eigentliche Strafe erlassen, denn was vergeben ist, rügt der Richter nicht mehr. Doch richtet Gott diese Vergebung der Sünden so ein, daß man Ihn auch nach derselben kindlich fürchten muß. Denn Er vergibt erstlich die Sünden Niemand, dem Er sie nicht vorher so unter die Augen gestellt hat, daß bei ihm ernstliche Schrecken, eine tiefe Betrübniß, eine aufrichtige Scham, ja ein redliches Geständniß, daß er die Verdammniß verdient habe, entstehen müssen. Hier offenbart sich also Gott dem Menschen, wie auf dem Berg Sinai geschah, in Seiner heiligen Strenge, und läßt den Menschen fühlen, was die Sünde für eine drückende Schwere habe. Wer nun dieses Alles erkannt und gefunden hat, kann und soll hernach sein Lebenlang die Sünde hassen und Gott fürchten, ob ihm schon Gnade widerfahren ist, und kann und soll den Rückfall in die Sünde und den Verlust der Gnade für ein unaussprechliches und unergründliches Uebel halten. Kurz zu sagen: wer die Frage, die Ps. 130,3. steht, in sich selbst hat beantworten müssen, wird hernach selber erkennen, warum V. 4. die Furcht Gottes mit der Vergebung der Sünden verbunden sei. Aber auch im Stand der Gnade hält der Geist der Gnade den Menschen in Seiner Zucht, und lehrt ihn seinen Wandel mit Furcht führen, weil er Den zum Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet. Verheißungen und warnende Drohungen umgeben ihn täglich, und erhalten seinen Gang auf der richtigen Bahn. Ueberdieß halten ihn die Züchtigungen des Höchsten, welche der Begnadigung keinen Eintrag thun, in den Schranken, erneuern oft in ihm ein schmerzliches Angedenken der begangenen Sünden, und drücken ihn zuweilen in die Tiefe hinab, von welcher der Prophet V. 1. redet, da er denn freilich auf’s Neue einsehen lernt, wie der HErr zu fürchten sei. Nun HErr, vergib mir alle meine Sünden, und erhalte mich bei dem Einigen, daß ich deinen Namen fürchte.(Magnus Friedrich Roos)

130:5 Ich harre des HERRN; meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.

130:6 Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern.

130:7 Israel, hoffe auf den HERRN! denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm,

130:8 und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.1) 2)
Ach, lieber Vater, aus meiner Sündentiefe rufe auch ich jetzt zu Dir, höre mich armen Sünder, erhöre mein Geschrei, das ich zu Dir erhebe; ich will mein Herz vor Dir ausschütten und Dir bekennen, wie ich so schwer gesündigt und Dich so oft und sehr erzürnt habe. Ich bin durch Deine Gnade ein wenig zu mir selbst gekommen, habe mein sündliches Leben erforscht, und finde nichts bei mir als ein verfinstertes Herz voller Sünden, ein Gewissen, das die Anklage großer Missethaten beschwert und mich zu ernstlicher Buße dringend auffordert.
Ich weiß kein Laster, damit ich mich nicht auch befleckt finde, als mit Zorn, Hoffahrt, Unbeständigkeit, Unsauberkeit des Mundes, Lästerung und Schmähungen, Ungehorsam, ärgerlichen und bösen Sitten, Uebermuth, Betrug, Halsstarrigkeit, Nachlässigkeit im Guten; ich bin von Jugend auf nicht recht geneigt gewesen zu Einigkeit und Frieden; ich habe meinem Nächsten nicht willig und gern gedient; ich bin fertig gewesen, mit meiner Zunge zu reden, wozu ich wenig Grund gehabt habe, und geschickt, meinen Nächsten zu übervortheilen, freventlich zu richten; zänkisch, spöttisch, undankbar, lügenhaft; und daß ich’s gar heraussage, so finde ich mich, lieber Gott, aller Sünden schuldig und deswegen würdig der ewigen Verdammniß. Meine Sünde ist mir zur Sünde geworden, Deine Pfeile stecken in meinem Gewissen, und in meinem Herzen ist lauter Jammer und Noth.
Aber, Herr, Du sagst, Du wollest nicht den Tod des Sünders, sondern daß er Buße thue, sich bessere und lebe. Du sprichst, daß Dir auch kein Opfer besser gefalle, als ein zerknirschtes Herz. So nimm nun an, o Herr, mein armes, betrübtes und zerschlagenes Gewissen; erbarme Dich über mich armen Sünder um Deines lieben Sohnes willen, und wirf alle meine Sünden in die Tiefe des Meers, auf daß derselben in Deinem strengen Gericht nicht mehr gedacht werde, und gieb mir Gnade, daß ich mich hinfort davor möge hüten und nach Deinem Willen leben. Denn was hülfe mir alle Vergebung, wenn sie nicht auch eine Heilung von der Sünde wäre und einen Schrecken und Haß derselben bewirkte? Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


Dies ist der sechste Bußpsalm und zugleich ein köstlicher Betpsalm, der aus rechter Davidischer Andacht und rechtem Verstand Davids gehet. Denn er bekennt, daß niemand durch eigene Werke und Gerechtigkeit, sondern allein durch Gnade und Vergebung der Sünde, die Gott in Christo verheißen hat, gerecht seyn und werden könne. Auf solche Verheißung und solches Wort bauet er und tröstet er sich, ermahnet auch das ganze Israel, es solle ebenso thun und lernen, daß bei Gott der Gnadenstuhl und die Erlösung sey; - Israel könne und müsse durch Ihn allein von allen Sünden ledig, das ist durch Vergebung (sonst wäre es nicht Gnade) gerecht und selig werden; - wo das nicht geschieht, werde es wohl in der Tiefe bleiben und vor Gott nimmermehr bestehen können. - Siehe, das ist ein rechter Meister und Doctor der heiligen Schrift, der hat verstanden, was das heiße: „des Weibes Same soll der Schlange den Kopf zertreten“ (1. B. Mos. 3.), und - „durch Deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden“ (1. B. Mos. 12. und 22). Darum stecken solche Verheißungen und Weissagungen von Christo beide in diesem Vers: „Er wird Israel erlösen ans allen seinen Sünden.“ Auf diesen Vers und aus ihm gehet der ganze Psalm, welcher übrigens so eingerichtet ist, daß die flehentliche Bitte um Erhörung gleich vornenan steht - und in derselben zugleich die Gewissensangst vorgestellt, auch die Hilfe bei Gott dawider gesucht und die Beweggründe der Erhörung angebracht werden, nämlich diese: daß niemand bestehen könnte, wenn Gott Sunde zurechnen wollte, - ingleichen, daß Gott allein Sünde vergeben könne, - und daß die geängstete Seele mit großem Verlangen auf solche gnädige Vergebung der Sünden warte. Darnach werden andere Glieder der Kirche Gottes auch ermahnet, daß sie gleichfalls auf den HErrn in ihrer leiblichen und geistlichen Noth hoffen sollen. Zuletzt wird das gläubige Vertrauen zu Gott in allen Bußfertigen kräftig gestärkt - mit der Versicherung, daß Gott das geistliche Israel erlösen werde aus allen seinen Sünden.
Ach ja, du barmherziger Gott, bringe uns zur wahren Buße, - erhalte uns im festen Glauben, - erhöre unser Gebet, wenn wir Dich um die Vergebung unserer Sünde anrufen, - und vergib uns dieselbigen nach Deiner großen Güte - durch Jesum Christum. Amen. (Veit Dieterich)

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