Besser, Wilhelm Friedrich - Die Mission, der Kirche Schuldigkeit

Besser, Wilhelm Friedrich - Die Mission, der Kirche Schuldigkeit

Die Gnade unser HErrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Das Wort der Schrift, welches unsrer Predigt zu Grunde liege, lautet im Briefe St. Pauli an die Römer, Kap. 1, V. 14-16, also: Ich bin ein Schuldner beide der Griechen und der Ungriechen, beide der Weisen und der Unweisen. Darum, so viel an mir ist, bin ich geneigt, auch euch zu Rom das Evangelium zu predigen. Denn ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen.

In Christo Geliebte! Habt ihr Alle ein Ja und Amen zu diesem apostolischen Worte? Spricht ein Jeder von euch in seinem Herzen: Wahrlich ja, das ist das Evangelium; das ist es mir geworden. Weil ich glaube, so hat es der heilige Geist mir versiegelt, und ich selber, ein seliger Mensch, versiegle es nun mit freudigem Bekenntnis, dass es Wahrheit ist, was der Geist hier zeugt durch den Apostel: das Evangelium von Christo ist eine Gotteskraft zur Seligkeit.

O wohl uns, wenn wir mit solcher Christenerfahrung dem apostolischen Worte begegnen! Und so viele unser lebendige Zeugnisbriefe sind von der seligmachenden Kraft des Evangelii, die sind Leute, welche Sinn und Odem haben, ein Missionsfest zu feiern, das heißt, ein Fest zu Ehren des Gottes unsers Heils, zum Preise Seiner großen Heilstat, dass Er die Heiden berufen hat ins Reich Seines lieben Sohnes, dass das Evangelium auch zu uns gekommen, bei uns geblieben, durch uns ausgegangen ist und noch ausgeht in alle Welt. Jesus Christus lasse denn unser Fest sich gefallen als Sein Fest! Er wecke uns das Ohr, zu hören Sein Wort an uns, und neige dann Seine Hand, die wir Ihm füllen wollen, gnädig zu unsern Missionsgelübden.

Der heilige Paulus entdeckt uns in unserm Text sein Herz, eines Missionars Herz: seine Neigung, den Heiden das Evangelium zu predigen, ist Gehorsam, seine Missionsarbeit Bezahlung einer Schuld. Wie er anderswo (1 Kor. 9,16) sagt: „Dass ich das Evangelium predige, darf ich mich nicht rühmen, denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“ Er musste es tun: wie Christus Seine Schafe herführen muss, so muss es der Diener Christi auch tun. Er musste es „Liebe, die tun, als ein Gebundener der Liebe Jesu, mich hat gebunden an ihr Joch mit Leib und Sinn; Liebe, die mich überwunden und mein Herz hat ganz dahin:“ in dem Sinne musste er, konnte es ja nicht lassen, er so wenig wie Petrus und Johannes. Nichts konnte er wider die Wahrheit, Alles für die Wahrheit (2 Kor. 13,8). Seht, meine Lieben, so steht auch die heilige Kirche, die Inhaberin des Evangelii von Christo, zu den Heiden: eine Schuldnerin der Heiden ist sie, und dass wir Mission treiben, ist kein selbsterwähltes, „überleies1)“ Werk, sondern unsre einfache Pflicht und Schuldigkeit. Wer es nicht tun wollte, veruntreute anvertrautes Gut.

Die Mission, der Kirche Schuldigkeit:

das predige uns heute unser Text, und zeige uns dies Beides:

  1. Der evangelische Reichtum der Kirche macht sie zur Schuldnerin der Heiden;
  2. sie hat ihre Schuld zu bezahlen mit dem Werke ihrer Mission.

1.

„Ich bin ein Schuldner beide der Griechen und der Ungriechen, beide der Weisen und der Unweisen,“ schreibt der Apostel. Wann, wodurch ward er zum Schuldner? Wir wissen, was ihm begegnete auf dem Wege nach Damaskus. Als der HErr ihm alle seine Schuld vergab, da machte Er ihn zum Schuldner aller Menschen; als er die Kraft des Evangelii, welches Ananias ihm predigte, an seinem Herzen erfuhr, da ward er zum Schuldner aller derer, welche selig werden sollen durch den Einen Glauben samt ihm. Nicht ein eisernes Kapital war ihm das Evangelium, sondern ein Pfund, empfangen mit dem Gebote: „Handle damit;“ nicht eine rare Pflanze zum Einlegen in ein Herbarium, um gelehrte Abhandlungen darüber zu schreiben, sondern ein lebendiges Reis zum Einpflanzen in die Herzen der Menschen „Frucht zu schaffen,“ wie er im vorhergehenden Verse sagt, das war sein Gesuch und seine Luft. Durch und durch ist seine Predigt von Christo ein Erfahrungszeugnis des Glaubens, dessen Grundton lautet: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren“ (1 Tim. 1,16.). Dass ihn, den „vornehmsten Sünder,“ Jesus Christus selig gemacht aus allerfreiester Gnade, das machte ihn zum Schuldner aller Sünder, die errettet werden sollen durch denselbigen Ruf, welcher in Sauls von Tarsus verfinsterte Seele drang. So ist es Gottes Rat und Ordnung. Nicht die Engel, die größere Macht und Gewalt haben, sondern begnadigte Menschen tun Gottes größte Werke, die Werke, durch welche auch den Fürstentümern und Herrschaften im Himmel die mannigfaltige Weisheit Gottes kund wird, nämlich an der Gemeinde (Ephes. 3,10.). Ihre Macht und Gewalt ist, dass sie predigen: „Mein Heiland will dein Heiland werden“ - so ist Gottes Kraft in den Schwachen mächtig. Haushalter über Gottes Geheimnisse sind evangelische Prediger, und gesegnet ist ihr Haushalten, wenn sie zugleich sind selige Nutznießer der Gottesgeheimnisse, die mit Paulo ermahnen: „Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die also wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbilde“ (Phil. 3,17). Auf dem Boden erlebter Gnade und Wahrheit erwuchs dem heiligen Apostel jenes Verständnis, wovon er an die Epheser (Kap. 3,4) schreibt: „Ihr könnt merken mein Verständnis des Geheimnisses Christi,“ des Geheimnisses nämlich, dass die Heiden Mitgenossen seien der Verheißung in Christo durch das Evangelium, dass es nur Einen Weg gebe für Juden und für Heiden zum Seligwerden, den Weg des Glaubens, welchen zu finden ihm selber gelungen war durch die gnädige Gabe der mächtigen Kraft Gottes, und welchen allen Menschen zu offenbaren sein köstliches Amt geworden. Meine Brüder, wenn wir durch den Glauben die Vergebung aller unsrer Schuld an Gott empfangen, so werden wir durch die Liebe, in welcher der Glaube tätig ist, zu Schuldnern aller Menschen: so ist's insgemein in unserm Christenleben, so ist's insonderheit in Betreff der Geschäfte der barmherzigen Liebe, welche wir schulden unsern unter die Mörder gefallenen Nächsten, den Heiden. Die Mission ist unsre Schuldigkeit.

Oder ist Paulus verschollen? Gilt sein Wort: „Ich bin ein Schuldner“ nicht mehr? Er ist gestorben, und lebt noch: er lebt in dem Worte seines Zeugnisses, in der Kirche, welche bleibt in der Apostel-Lehre. Wir, teure Glaubensgenossen, wir haben Pauli Erbschaft angetreten, beides ist unser geworden, ihr seliges Recht und ihre heilige Pflicht. Soll anders fein sein unser Ruhm, dass wir von Gottes Gnaden reich gemacht sind im Verständnis des Geheimnisses Christi, dass „Christus unsre Gerechtigkeit“ die Sonne ist, welche unsre Kirche durchleuchtet, so muss solch Verständnis zu merken sein in unserm kirchlichen Tun, womit wir einhergehen nach der Regel: „Ich bin ein Schuldner der Heiden.“ Aber würde Luther Amen hierzu sagen, hörte er uns reden? Jawohl, meine Lieben! Durch den Dienst Luthers hat Gott Seine Kirche zur zahlungsfähigen Schuldnerin der Heiden gemacht, denn helle machte Zion ihren Leuchter und fand ihr Herz wieder zu den Werken der ersten Liebe, als sie diesen Wächter singen hörte, und sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte „ein ewiges Evangelium“ (Offb. 14,6). Zwar Martin Luther selbst ging nicht und sandte nicht zu den Heiden: den jüngsten Tag sah er wittern über dieser Grundsuppe der Welt. Die Geduld unsers Gottes ist die Ursache des Verzuges in der Wartezeit, worin wir stehen und Zeit haben, das Evangelium zu verkündigen allen Völkern. Mögen wir mit Sems Pietät zudecken die Fehle mancher unsrer Väter, welche die Schuldnerschaft der Kirche an die Heiden nicht erkannt haben: verwerflich aber sind die Gründe, womit sie ihre Nichtverpflichtung zur Mission zu beweisen suchten, im höchsten Grade verwerflich ist die Behauptung, der Missionsbefehl Jesu Christi: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!“ gehe ausschließlich die Personen der Apostel an. Geht denn die Verheißung: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ uns nichts an? Da sei Gott für! Ist aber die Verheißung unser, so ist auch das Gebot unser. O dass wir doch mit Wohltun verstopften den Mund der törichten Menschen, ob wir ihn öffnen möchten, Gott zu loben samt uns! Man schilt uns, wir machten „die reine Lehre“ zu einem Götzen fleischlichen Ruhmes und zu einer Ruhebank redereichen aber tatenarmen Kirchentums. Selig sind wir, so sie daran lügen! Nimmer müsse mit Recht von uns gesagt werden, wir wären Meister im Verschreiben von Heils-Rezepten, aber Stümper im Darreichen der Heilsarznei; wir wären fleißig im Stimmen der Posaune, welche des Evangelii deutlichen Klang gibt, aber faul im Blasen der Posaune zur Versammlung aller Völker auf Zion; wir wüssten schön und einstimmig den Ehrenkranz zu preisen, welchen die Braut Christi trägt, nämlich das lautere Bekenntnis der Wahrheit, aber im Eifer, die Braut mit solchem Kranze zu schmücken und Christo zuzuführen aus der ganzen Welt, wären wir lässig und uneinig. Nein, so Hässliches und Schändliches müsse nicht von uns gesagt werden, oder wenn es sein soll doch nur von Lästerern. Wir sind Schuldner, so laute unsere tatsächliche Widerlegung, Schuldner aller Menschen, welche das Evangelium von Christo nicht kennen. Und wir schämen uns des Evangelii von Christo nicht: schämen uns desselben nicht vor der Welt, der es eine Torheit ist, und die einst Paulum in Athen einen Lotterbuben nannte. Was die „Zivilisation“ und falschberühmte „Kultur“ nimmer vermag, die Menschheit zu bilden nach dem Bilde Gottes, das vermag die Erneuerungskraft des Evangelii. Wir schämen uns desselben nicht vor den Pharisäern, denen es ein Ärgernis ist und die einst Paulum in Jerusalem einen Lästerer des väterlichen Gesetzes nannten; was keine „Verfassung,“ keine imposante „Einheit“ und keine Kultuspracht vermag, das Reich Gottes in den Herzen der Menschen aufzurichten, das vermag das Wort vom Kreuz, das Evangelium von Dem, der ein König in Banden war und dennoch ein König ist. Bleibt nur das Zeugnis der Wahrheit unser Besitz, so bleiben wir wohl die Armen, die doch Viele reich machen. Wir schämen uns des Evangelii von Christo nicht, des Evangelii, welches Paulus gepredigt hat und ohne welches kein anderes ist, des ganzen unhalbierten Evangelii, und wollen nach diesem Wege, den sie eine Sekte heißen, dem Gotte unserer Väter dienen auch im Missionsdienste, mit Beweisung des Geistes und der Kraft.

Unter den Heiden, als deren Schuldner Paulus sich bekennt, hebt er die zu Rom besonders hervor. Rom, der Mittelpunkt der Weltmacht, war seiner apostolischen Laufbahn Ziel und Ende. Nach Europa beschieden durch den Hilferuf des makedonischen Mannes, den er dort zu Troas am Meer im Gesicht sah, wandte er sein Angesicht mit starker Neigung gen Rom, und die Engelgewalten, welche der Weltmächte geheime Meister sind, haben es zu Wege gebracht, dass er nach Rom transportiert werden musste von heidnischer Land- und Seemacht. Er war geneigt, den Heiden zu Rom seine Schuld zu bezahlen, und die Welt wurde gezwungen, diese Bezahlung zu fördern. Auch wir, liebe Brüder, erfreuen uns einer deutlichen Leitung und klaren Berufung Gottes auf unserm Missionswege. Nicht gemacht haben wir unsre ostindische Mission, wir haben sie geerbt. Durch die Geschichte, welche Gott gewirkt hat, ist unsrer Kirche Schuld an die Heiden zu einer Schuld vornehmlich an die Heiden in Ostindien, an die Tamulen, geworden. Ein tamulischer Mann war es, der vor König Friedrich IV. von Dänemark evangelisch geöffnete Augen trat und rief: „Komm herüber und hilf uns!“ und am nächsten neunten Juli werden es 150 Jahre, dass die Füße der ersten beiden Boten, die jener edle Pfleger der Kirche rüsten half, die Coromandelküste in Tranquebar betraten. Wir sind Schuldner der Tamulen, beide der Arier und der Un-Arier, beide der weisen Brahminen und der unweisen Parias. Wir müssen ihnen das Evangelium predigen : wehe uns, wenn wir uns weigerten! Wir würden untreu erfunden werden.

Der evangelische Reichtum unsrer Kirche macht sie zu einer Schuldnerin der Tamulen; zu einer Schuldnerin der Weisen, sie die Wahrheit zu lehren, welche den Unmündigen geoffenbart wird, zu einer Schuldnerin der Unweisen, das Wort ihnen zu bringen, welches die Albernen weise macht. Die Zeit würde mir zu lang, wollte ich davon reden, wie Zug um Zug unser Christenreichtum der tamulischen Heidenarmut gegenüber steht. Als vorhin die Gemeinde mit Einem Munde unsern allerheiligsten Glauben bekannte, erinnerte es mich daran, dass das erste Schriftstück, welches je mit tamulischen Buchstaben gedruckt worden, eben das apostolische Glaubensbekenntnis war, welches im Jahre 1712 von Halle aus nach Tranquebar gesandt wurde. Seht, so viele Artikel unsers Glaubens, eben so viele Artikel unsrer Schuld an die Heiden, welche keinen Gott haben, der als Gott des Heils in Heilstaten sich offenbart, welche Ihn nicht kennen, der unser Schöpfer, Erlöser und Tröster ist. Brüder, wir sind Glieder der heiligen Kirche, Gottes Hausgenossen; wir sitzen am Tisch des großen Abendmahls, da uns Alles bereit ist in dem Einigen, welches wir umsonst empfangen: Vergebung der Sünden. Bis zum Schwören können wir's wissen, dass wir gerecht sind vor Gott, im Glauben an die Heilstat, für uns geschehen, und an die Heilstat, an uns geschehen: im Glauben an Jesum Christum, für uns am Kreuz gestorben, an den Namen des dreieinigen Gottes, auf welchen wir getauft sind. Wir kommen täglich und bitten: „Vergib uns unsre Schuld,“ und täglich und reichlich spricht das Evangelium uns zu: „Die Sünden sind euch vergeben in Jesu Namen.“ Das Leben, das wir haben im Glauben an Seinen Namen, das essen und trinken wir mit dem Munde in dem Leib und Blut des Lebendigen, der da tot war am Kreuze für uns. Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir sollen Gottes Kinder heißen, vielgeborne Brüder des eingebornen Sohnes! Wir dienen unserm Gott und Heiland in Seinem Reich, ohne Furcht der Angst, mit der Furcht des kindlichen Geistes, welche in der Liebe ist, und freuen uns unsers Heils mit Zittern, doch auch mit großer Gewissheit, als die gehorsamen Kinder, deren Gang gewiss ist im Lichte des Wortes am dunkeln Orte, und wissen ohne Zweifel, dass unsre Werke um Christi willen, des eigen wir sind, Gott gefallen in allen Ständen, darein Er uns gesetzt, in jedem Beruf, darein Er uns berufen hat. „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib: denn ihr seit allzumal Einer in Christo Jesu“ (Gal. 3,28). Heilig, selig ist die Freundschaft und Gemeinschaft, die wir haben und darinnen uns erlaben! Und diese heilige Gemeinschaft der Glieder untereinander, eine Gemeinschaft mit dem Einen Haupte Seines Leibes, wird vollendet werden am Tage der Auferstehung zum ewigen Leben, auf dessen Erscheinung wir hoffen. Mit Fried und Freud fahren wir dahin: Jesus Christus wird uns aushelfen zu Seinem himmlischen Reiche. Steht es wahrhaftig so um uns? Stehen wir im Glauben, im Herzensbesitz des himmlischen Guts der Kirche, in der Erfahrung der Gotteskraft des Evangelii zur Seligkeit? Nun, dann erkennen wir uns ja als Schuldner der Elenden, die kein Leben in sich haben, keinen Frieden, keine Freude, keine Hoffnung, als Fremde von den Testamenten der Verheißung und den Amen-Taten der Erfüllung; die nicht ein Volk sind, weil sie nicht Gottes Volk sind, keine Gemeinde, weil keine Gemeinde der Heiligen, nicht Ein Leib vieler Glieder, sondern ein in Kasten zerrissener Leichnam, dem das Leben in der Liebe entwichen ist, die mit dem heillosen Verderben, mit dem ganzen ungeheuern Unglück, zeitlichem und ewigem, worein sie sich gebracht haben, es bezeugen müssen, dass in keinem Andern Heil ist als in dem Einen Namen, den sie nicht kennen. Ja, dann haben die verlornen Tamulen Anwartschaft auf unsre Hilfe, dass ihnen geholfen werde aus der Finsternis, worin ihre Füße zum Tode hinunterlaufen. Gott hat kein Gefallen an ihrem Tode, sondern wartet, wartet noch in Geduld auf ihre Bekehrung, und uns ist's befohlen, ihre Errettung zu wirken, so lange es Tag ist wir haben, was sie selig machen kann, das Evangelium von Christo, dem Zerstörer der Werke des Teufels, dem starken Heilande, der auch eherne Türen zerschlägt und eiserne Riegel zerbricht. Was wollen wir tun?

„Darum, so viel an mir ist,“ schreibt Paulus, „bin ich geneigt, auch euch zu Rom das Evangelium zu predigen.“ Wir kennen die herzliche apostolische Neigung, die den Schuldner der Heiden beseelte: williglich tat er, was zu tun er schuldig war, mit völliger Hingabe an den Dienst am Evangelio, ein Ganzopfer dem HErrn Jesu Christo. „Im Geist gebunden,“ das war sein Stand. „Ich halte mein Leben auch nicht selbst teuer,“ sagt er (Apostelg. 20,24), „auf dass ich vollende meinen Lauf mit Freuden, und das Amt, das ich empfangen habe von dem HErrn Jesu, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.“ Seht, meine Lieben, das ist die Schuldigkeit der Kirche, welche die Predigt und den Glauben des heiligen Paulus bewahrt, unsre Schuldigkeit, die wir reich gemacht sind mit apostolischem Reichtum: so viel an uns ist, aus allem Vermögen, das Gott darreicht, sollen wir arbeiten an dem Werke, welches die Predigt des Evangelii zu den Heiden trägt, und sollen Gott - der fröhliche Geber lieb hat - bitten um herzliche Geneigtheit, zu tun, was uns befohlen ist. Die Missionsgeschichte der Kirche von Anfang an ist getragen worden von der Kraft der Liebe Gottes in Christo, welche ausgegossen in die Herzen der Gläubigen die erwidernde Liebe wirkt, welche stärker ist als der Tod und das Menschenherz geneigt macht, über dem Beruf zu sterben, Seelen für das Lamm zu werben. Wem verdanken wir, unser deutsches Volk, das Evangelium? Wir verdanken es dem unsterblichen heiligen Geiste, der bei Christi Gemeinde bleibt ewiglich, und der denselben glühenden Liebeseifer, der den Apostel Paulus zum lebendigen Brandopfer darstellte, entzündet hat in den Männern, welche unsern heidnischen Vätern das Evangelium gepredigt haben. Wenn man hört, wie das Wort: „Darum, so viel an mir ist, bin ich geneigt, auch euch zu Rom das Evangelium zu predigen,“ neu geworden ist in den gottverlobten Herzen der irischen Mönche, welche das Brot des Lebens über das Meer her uns zugetragen haben; wie ein Columban, der Evangelist der Franken und Alemannen, zu seines Lebens Losung den Spruch erwählte: „Wer da glaubt an das Blut der Verschonung, der schont sich selber nicht,“ und mit Gewalt des Glaubens, der Nichts unmöglich ist, was Gott will, das Himmelreich an sich und in die Herzen der Barbaren riss - wenn man darauf sich besinnt, und dagegen bedenkt die Lauigkeit, die Halbheit, den Kleinglauben, womit wir unsere Missionsarbeit zu tun pflegen: o, dann ist's zum Erstaunen, wie geduldig und langmütig unser GOtt ist, der nicht mit uns handelt nach unsern Sünden und noch nicht mit uns hadert, wie wir's verdienten, nach dem Gerichtsspruche: „Verflucht sei, der des HErrn Werk lässig tut“ (Jer. 48,10).

Diese reiche Geduld Gottes, die zur Buße leitet, werden unsre Brüder in Tranquebar am kommenden 9. Juli, dem 150 jährigen Jubelfesttage unsrer Ostindischen Mission, preisend verkündigen, und wir wollen uns heute dieses Lobpreises teilhaftig machen. Unter den Schrifttexten, welche die Brüder für ihre Jubelfeier bestimmt haben, ist der 118te Psalm, der in der Tat eine treffliche Summa alles dessen enthält, was Gott uns und was wir Gott zu sagen haben an diesem Tage. „Dankt dem HErrn, denn Er ist freundlich, und Seine Güte währt ewiglich“: ja, so sage mit Israel unsre Kirche im Hinblick auf ihre Mission! Oder nicht so? Ist die Frucht, die wir geschafft haben, allzu gering und dürftig, als dass wir die Güte des HErrn loben sollten? Freilich ist sie gering! Einhundertfünfzig Jahre - und ein so kleines Häuflein von Gewonnenen, und dies kleine Häuflein nur mit mattem Morgenschimmer leuchtend in der tamulischen Nacht. Aber weg, weg mit allen Gedanken, welche lästerlich sind, weil sie dem Evangelio von Christo seine Kraft und Gott Seine Liebe ableugnen wollen. „Nein, Du mein Gott, hast keine Schuld, Du, Du hast Nichts verschlafen.“ Der Name Gottes ist geheiligt worden im Tamulenlande seit 150 Jahren. Ob wir verstocken oder seligmachen sollen durch unsre Predigt, verstocken die Unbußfertigen, seligmachen die Gläubigen, „ist das nicht bei Mir verborgen und versiegelt in Meinen Schätzen?“ spricht der HErr (5 Mos. 32,34); und geneigt sein, das Evangelium zu predigen, auch wo es ein Geruch des Todes zum Tode werden soll, das ist Jesaja-Gehorsam. Doch fälschlich würden wir uns trösten, wollten wir alle Schuld der Geringheit an Lebensfrucht unsrer Ostindischen Mission den Heiden aufbürden. Wie würde es heute stehen im Tamulenlande, wäre unsre Kirche treu gewesen im Tun ihrer Missionsschuldigkeit, hätten die Kinder fleißig begossen, was die Väter fleißig gepflanzt hatten? Als Bartholomäus Ziegenbalg seinen Segenslauf selig beschloss, hörte man ihn sagen: „wie hell, wie hell wird es mir vor den Augen!“ und nach einer Weile: „Ich kann nicht mehr sprechen: Gott lasse das, was ich geredet habe, gesegnet sein!“ Das hat Gott getan. Er hat an Heidenseelen, deren Zahl Ihm bekannt, das Evangelium von Christo als kräftig zur Seligkeit erwiesen, und ist wacker gewesen über dem prophetischen Worte, womit Ziegenbalg die Neue Jerusalemskirche in Tranquebar weihte: „Darum siehe, nun will Ich sie lehren, und Meine Hand und Gewalt ihnen kund tun, dass sie erfahren sollen, Ich heiße HErr“ (Jer. 16,31). Er hat das Werk Seiner Hände nicht gelassen, trotz der Untreue Seiner faulen Knechte, welche das Schweißtuch, das Ziegenbalg und seine Mitarbeiter zum Abwischen von Schweiß und Tränen gebrauchten, lieber zum Einwickeln des anvertrauten Pfundes anwandten. Er hat mit bleibendem Segen die Arbeit der Väter unsrer Mission gekrönt, so dass davon noch heute die Fußstapfen der Nachfolger Ziegenbalgs triefen: eines Benjamin Schulz, eines Schwarz, eines Fabricius. Er hat die Kleinode unserer Kirche: ihren Katechismus, ihre Lieder, ihre Gebete wie Samenkörner ins Tamulenvolk gesät, welche aufgehen nach 150 Jahren wie der Weizen Ägyptens. Er hat in der Zeit, als die lutherische Kirche daheim konnte, was sonst eine Mutter nicht kann: ihres Kindes vergessen, diesem Kinde eine Amme bestellt in der englischen Kirche, und endlich, als die Mutter nach hartem Schlafe erwachte, das „Talitha kumi!“ hörend, als wir wieder lernten, dass alle Stücke der heilsamen Lehre, die unsrer Kirche vertraut ist, zum Evangelio gehören, welches wir den Heiden nicht halb, sondern ganz schuldig sind, - da hat Er die mütterliche Stimme wieder ertönen, die lautere Muttermilch wieder fließen lassen auch ihren tamulischen Kindern. „Das ist vom HErrn geschehen, und ist ein Wunder vor unsern Augen. Ich werde nicht sterben, sondern leben, und des HErrn Werk verkündigen. Der HErr züchtigt mich wohl, aber Er gibt mich dem Tode nicht.“

Meine Brüder, reizt es uns nicht, heute mit ganzem Ernste dem Apostel nachzusprechen: „Wir sind geneigt, so viel an uns ist, euch im Tamulenlande das Evangelium zu predigen“? Wollen wir nicht dem HErrn neue Treue geloben in dem Werke, das uns befohlen ist, damit geschehe, was wir vorhin, Gott bittend, opferten: „Herr Gott, sei mit uns, wie Du gewesen bist mit unsern Vätern,“ und über unsere Mission komme der Segen Mose über Affer: „Affer sei gesegnet mit Söhnen, er sei angenehm seinen Brüdern und tunke seinen Fuß in Öl; Eisen und Erz sei an seinen Schuhen, dein Alter sei wie deine Jugend“ (5 Mos. 33,24). Ja, so sei es! Als Gottes begnadigte Schuldner wollen wir an den Heiden, die Anweisung auf uns haben, Ihm unsere Schuld bezahlen, mit geneigtem Gemüt, so viel an uns ist, aus allen Kräften Leibes und der Seele.

„Ich bin geneigt“: so spricht die herzliche Hingabe an das befohlene Werk des Amts. Des HErrn Jesu liebstes Verlangen, dass das Feuer Seines Geistes brenne auf Erden, unser liebstes Wünschen soll es sein. Dazu gehört, dass wir uns gerne bekümmern um Freude und Leid der Mission, vor Allem aber, dass unser Missionswerk geschehe im Gehorsam des Glaubens. „Ach, dass du könntest glauben!“ so beantwortet der HErr deine missmutige Klage über die spärlichen Siege des Evangelii unter den Heiden. Die Berge der Heilshindernisse in der Heidenwelt wird kein Arm von Fleisch wegheben; aber der Glaube wird es tun, der wie ein Senfkorn ist, klein von Ansehen, doch groß an Kraft. Der Glaube wird es tun, der nicht zweifelt an Gottes Verheißung, sondern Geduld wirkt, Geduld, welche fest bleibt bis ans Ende, bis zum Empfangen des Abendregens, der die köstliche Frucht der Erde, die Fülle der Heiden, hervorlocken wird in Einem Augenblick. Seid geduldig, liebe Brüder, und stärkt eure Herzen, denn die Zukunft des HErrn ist nahe! - Mit Geduld und Sammlung, mit nüchternem Gemerk auf die Hände des HErrn, lasst uns arbeiten am Missionswerke der Kirche, so viel an uns ist, ohne uns zu schonen, ohne unserm Gott etwas vorzuenthalten, was Er würdigen will Seines Dienstes. Wenn nur uns gehört das Wort Jesu von der Salbung Mariens: „Sie hat getan, was sie tun konnte,“ dann bekümmere uns Niemand, auch unser eigen Herz schweige mit Verdammen und Verzagtmachen! So viel an uns ist: tröstliche Worte für alle Aufrichtigen! Tröstlich für die Witwen mit ihren Scherflein, die gesegnet sind, weil sie Opfer sind; tröstlich für alle ernstlichen Beter des Vaterunsers, deren Herz hineilt zu den Heiden unter der Bitte: „Dein Reich komme!“ während ihr Fuß daheim seinen gottgewiesenen Platz hat; tröstlich für alle Gemeinden und alle Pastoren, welche die Missionare draußen für Arbeiter an ihrer Statt halten, wie die Philipper den Epaphroditus (Phil. 2,30), für die ausgestreckten Arme des ganzen Leibes der Kirche, und für sie sorgen in gliedlicher Gemeinschaft. So viel an uns ist schreckliche Worte für alle Trägen und Unlauteren! Schrecklich für die Reichen in dieser Welt, welche den Gotteskasten der Mission mit einem Kainsopfer abfinden und dazu ihren Geiz noch selbstgefällig drucken lassen in den Missionsberichten; schrecklich für die Pharisäer, welche selber nicht sind bei ihrem Gebete und Gott zumuten, Er solle dabei sein und sich's gefallen lassen; schrecklich auch für die Vorteilischen, welche dem Missionsdienste die Männlein der Herde“ missgönnen, und für die eigennützigen Jünglinge, welche die Frage des HErrn und Seiner Kirche: „Wer will unser Bote sein?“ gar nicht im Herzen bewegen, sondern von vornherein sprechen: „Ich kann nicht kommen.“

Teure Missionsgemeinde! Gottes Wort hat uns gemahnt zur Bezahlung unsrer Schuld, und hat uns bezeugt, dass wir können, was wir sollen, denn nicht aus unserm Vermögen haben wir zu bezahlen, sondern aus dem gefüllten Schatze göttlicher Gaben und Gnaden. „Gebt ihr ihnen zu essen,“ sprach Christus zu den Jüngern, als Er das hungernde Volk in der Wüste sah; und sie gaben aus Seinen Händen (Luk. 9,13 f.). Es tut uns ja wohl zu singen: „Er ist bei uns wohl auf dem Plan, mit Seinem Geist und Gaben!“ Die Mission müsse des Zeugnis geben! Unsre Apologie bekennt, dass „die Arbeit der Heiligen sei ein Streiten Christi zum Triumph über den Teufel.“ Darum nehmt immer zu in dem Werke des HErrn: es kann ja nicht vergeblich sein! Umkommen müssen Alle, die dem müssen HErrn feind sind; die Ihn aber lieb haben, müssen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Macht (Richt. 5,31).

Dem HErrn aber sei Dank für Seine unaussprechliche Gnade, dass Er Seines Streitens und Siegens Werk in Seinen Gläubigen belohnen will mit der unverwelklichen Krone der Ehren. Wenn dereinst Sein Volk prangen wird in dem Missionsschmucke, davon Jesaja sagt (49,18), dann mögest auch du, Gemeinde des HErrn, nicht leer vor des Königs Angesichte erscheinen, sondern umgeben von dem Lobgesange hindurcherretteter Tamulen, denen du zur Seligkeit geholfen hast durch das Evangelium. Amen.

1)
wie mancherlei, vielerlei eine Form von „lei“, bedeutet etwa überflüssig, wurde jedoch auch als unnötig verwendet
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