Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - Mai

Am 1. Mai.

Ich glaube an dich von ganzem Herzen, o König des Himmels und des Erdkreises Herr; ich verehre dich als Vater, Sohn und Geist, dreifach den Personen, einig dem Wesen nach. Du bist der wahre, allmächtige Gott, unkörperlich, unsichtbar und unbegrenzter Natur. Nichts ist über dir oder unter dir, was größer wäre als du.

Du bist allerseits vollkommen ohne Mängel, groß ohne Ausdehnung, ewig ohne Zeit, bist Leben ohne Tod, stark ohne Schwäche, wahrhaftig ohne Trug. Du bist ohne Raum, überall gegenwärtig, ohne Theilung, überall ganz, ohne Regung erfüllest du Alles, ohne Bewegung übersteigest du Alles, ohne Ruhe bleibst du in Allem, ohne Bedürfniß schaffest du Alles, ohne Mühe regierest du Alles.

Keinen Anfang hast du, und machst doch aller Dinge Ansänge, keine Veränderung trifft dich und bringst doch alle Veränderungen hervor. In deiner Größe bist du unendlich, in deiner Kraft allmächtig, in deiner Güte unerreichbar, in deiner Weisheit unerforschlich. Gerecht zeigst du dich in deinen Gerichten, geheimnißvoll in deinen Gedanken, wahrhaftig in Worten, heilig in Werken, reich an Mitleid, geduldig gegen Fehlende, gnädig gegen Reuige.

Du bist immer das ewige und endlose Wesen, das kein Wille wandelt und keine Nothwendigkeit vernichtet, das von keinem Unglück niedergebeugt, von keinem Glück erhoben wird. Nicht trägt dir Vergessenheit etwas davon, nicht bringt dir Gedächtniß etwas wieder; das Vergangene entschwindet dir nicht, die Zukunft zieht dir nicht entgegen.

Nicht diente dir ein Ursprung zum Anfang, nicht die Zeit zum Wachsthum, kein Zufall kann dir ein Ende fetzen; sondern vor der Zeit, in der Zeit und nach der Zeit lebtest du in Ewigkeit, und es ist dir beständiges Lob und ewiger Ruhm, unvergleichbare Gewalt und immerwährende Herrschaft bis in die unendliche und unermüdliche und unermeßliche Ewigkeit. Amen!

Am 2. Mai.

Diesem Hause ist Heil widerfahren.“ Luc. 19, 9.

O selig Haus, wo man dich aufgenommen,
Du wahrer Seelenfreund, Herr Jesu Christ;
Wo unter allen Gästen, die da kommen,
Du der gefeiert'ste und liebste bist;
Wo Aller Herzen dir entgegenschlagen,
Und Aller Augen freudig auf dich sehn;
Wo Aller Lippen dein Gebot erfragen,
Und Alle deines Wink's gewärtig stehn.

O selig Haus, wo Mann und Weib in einer,
In deiner Liebe eines Geistes sind,
Als Beide eines Heils gewürdigt, Keiner
Im Glaubensgrunde anders ist gesinnt;
Wo Beide unzertrennbar an dir hangen,
In Lieb' und Leid, Gemach und Ungemach,
Und nur bei dir zu bleiben stets verlangen
An jedem guten, wie am bösen Tag.

O selig Haus, wo man die lieben Kleinen
Mit Händen des Gebets an's Herz dir legt,
Du Freund der Kinder, der sie als die Seinen
Mit mehr als Mutterliebe hegt und pflegt; -
Wo sie zu deinen Füßen gern sich sammeln
Und horchen deiner süßen Rede zu,
Und lernen früh dein Lob mit Freuden stammeln;
Sich deiner freu'n, du lieber Heiland, du!

O selig Haus, wo Knecht und Magd dich kennen,
Und wissend, wessen Augen auf sie sehn,
Bei allem Werk in einem Eifer brennen,
Daß es nach deinem Willen mag geschehn;
Daß deine Diener, deine Hausgenossen,
In Demuth willig und in Liebe frei,
Das Ihre schaffen froh und unverdrossen,
In kleinen Dingen zeigen große Treu'.

O selig Haus, wo du die Freude theilest, -
Wo man bei keiner Freude dein vergißt!
O selig Haus, wo du die Wunden heilest,
Und Aller Arzt und Aller Tröster bist;
Bis Jeder einst sein Tagewerk vollendet,
Und bis sie endlich Alle ziehen aus,
Dahin, woher der Vater dich gesendet,
In's große freie, schöne Vaterhaus.

Amen.

Am 3. Mai.

Herr, deine Güte reichet, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. Wie theuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel wohnen. Sie werden trunken vor den reichen Gütern deines Hauses, du tränkest sie mit Freude wie mit einem Strome.“ Ps. 36, 6, 8 und 9. Wer mag sie ermessen, die Tiefe der göttlichen Barmherzigkeit und die Fülle seiner Güte! Mein Leib und Leben, mein Herz und Geist, der Himmel und die Erde geben Zeugniß davon. Wo Gott weilt, da wandelt die Liebe; denn Gott ist die Liebe.

Wie es in dem Wesen der Sonne ist, überall hin die Strahlen ihres Lichtes auszubreiten, weil sie voll Lichtes ist; so gehen auch von Gott ewige Ströme der Liebe aus durch die ganze Schöpfung, weil er die Liebe ist. Wie die in der Erde verborgene Kraft im Frühjahr hervordringt aus der dunklen Scholle und das Erdreich umkleidet mit wundersamer Schönheit, so dringt des Ewigen Liebe aus seinem Vaterherzen und schmücket unser Leben mit Zeugnissen seiner Huld und Gnade. Gottes Liebe ist in der nährenden Kraft des Brotes und in dem lieblichen Safte der Traube; in dem Pulsschlage meines Herzens, vor Allem aber in dem Worte meines Heilandes. Eines Menschen Barmherzigkeit gehet allein über seinen Nächsten; aber Gottes Barmherzigkeit gehet über alle Welt. Er strafet und züchtiget, er lehret und pfleget wie ein Hirte seine Heerde. Er erbarmet sich Aller, die sich ziehe n lassen und fleißig Gottes Wort hören. Sir. 18, 12-14. Gott lässet seine Sonne scheinen über die Guten und Bösen und regnen über die Gerechten und Ungerechten. Doch wer seine Gaben annimmt und durch seine Güte sich zur Buße leiten läßt, der schmecket und fühlet erst recht, wie freundlich der Herr ist, der erlanget die Kindschaft und wird göttlichen Geschlechts. In seinem Herzen entzündet sich die Dankbarkeit und Gegenliebe, dem Herrn das schönste Opfer. Wie kann man doch unter Gottes großem, weitem Himmelsbogen hinweggehen, wie kann man von den Strahlen seiner Sonne erwärmt werden, wie kann man Speise und Freude reichlich und täglich aus des Herrn Hand empfangen, und doch verschlossen bleiben gegen solche Liebe und Barmherzigkeit. Sein Wohlthun erhält, seine Fürsorge speiset und tränket, sein Schutz bedecket, sein Rath leitet, sein Trost erquicket, seine Macht stärket, seine Gnade erfreuet uns ohn' all' unser Verdienst und Würdigkeit. Und wir wollten unser Herz verstocken und unsern Mund verschließen! Nein, es soll meines Herzens Freude und Wonne sein, dich mit fröhlichem Mund zu loben, deine Güte zu preisen am Morgen, und deine Barmherzigkeit am Abend.

In deine Hand befehle ich
Mein Wohlsein und mein Leben,
Mein hoffend Auge blickt auf dich,
Dir will ich mich ergeben.
Sei du mein Gott,
Und einst im Tod
Der Fels, auf den ich traue,
Bis ich dein Antlitz schaue.

Amen.

Am 4. Mai.

Ps. 104.

Lobe den Herrn, meine Seele, Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich, du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast, du breitest aus den Himmel, wie einen Teppich. Du wölbest es oben mit Wasser, du fährest auf den Wolken, wie auf einem Wagen und gehest auf den Fittigen des Windes. Der du machest deine Engel zu Weiden und deine Diener zu Feuerflammen. Der du das Erdreich gründest auf seinen Boden, daß es bleibet immer und ewiglich. Mit der Tiefe deckest du es, wie mit einem Kleide, und Wasser stehen über den Bergen. Aber von deinem Schelten fliehen sie, von deinem Donner fahren sie dahin. Die Berge gehen hoch hervor, und die Breiten setzen sich herunter, zum Orte, den du ihnen gegründet hast. Du hast eine Grenze gesetzet, darüber kommen sie nicht und müssen nicht wiederum das Erdreich bedecken. Du lässest Brunnen quellen in den Gründen, daß die Wasser zwischen den Bergen hinfließen; daß alle Thiere auf dem Felde trinken, und das Wild seinen Durst lösche. An denselben sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. Du feuchtest die Berge von oben her, du machest das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz der Menschen, daß du Brot aus der Erde bringest. Und daß der Wein erfreue des Menschen Herz, und seine Gestalt schön werde vom Oele, und das Brot des Menschen Herz stärke. Daß die Bäume des Herrn voll Safts stehen, die Cedern Libanons, die er gepflanzt hat. Daselbst nisten die Vögel, und die Reiher wohnen auf den Tannen. Die hohen Berge sind der Gemsen Zuflucht, und die Steinklüfte der Kaninchen. Du machst den Mond, das Jahr danach zu theilen, die Sonne weiß ihren Niedergang. Du machst Finsterniß, daß es Nacht wird, da regen sich alle wilde Thiere. Die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raube und ihre Speise suchen von Gott. Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Löcher. So gehet dann der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Ackerwerk, bis an den Abend. Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt es ohne Zahl, beides große und kleine Thiere. Daselbst gehen die Schiffe, da sind Walisische, die du gemacht hast, daß sie darinnen scherzen. Es wartet Alles auf dich, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. Wenn du ihnen giebst, so sammlen sie; wenn du deine Hand aufthust, so werden sie mit Gut gesättiget. Ich will dem Herrn singen mein Lebenlang, und meinen Gott loben, so lange ich bin. Lobe den Herrn, meine Seele, Hallelujah!

Am 5. Mai.

Gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum.“ Eph. 1, 3. Ich erscheine, du lieber himmlischer Vater, vor dem Thron deiner Gnade, um zu dir das Herz zu erheben und dich zu bitten um Alles, was mir nach deinem Willen gut und heilsam ist. Ich danke dir aus dem Grunde meines Herzens für alle Segnungen und Wohlthaten, die du mir ohne mein Verdienst und Würdigkeit fort und fort erweisest. Erwecke mich durch die Kraft des Heiligen Geistes zu rechtschaffener Buße, zu lebendigem Glauben und zu herzlicher Liebe. Erfülle mein Herz mit deinem Trost und entferne aus demselben alle sündige Gedanken und eitle Bestrebungen.

Gieb mir den Geist der Weisheit, des Raths und der Kraft, und erhalte mich fest bei dem Einen, daß ich deinen Namen fürchte und dir diene mit meinem ganzen Leben und Wandel. Behüte mich vor Verführung, vor den Lockungen der Sünde, vor böser Gesellschaft und einem hoffärtigen Leben. Du mußt mir beistehen im Kampfe, wenn ich nicht unterliegen soll; du mußt mein Herz regieren, wenn nicht eitle Dinge es erfüllen sollen. Ach, wie ist's doch ein so köstlich Ding, mit seinem Gott reden zu dürfen, wie ein Kind mit seinem Vater redet, sich durch seine Obhut geschützt zu wissen bei allen Gefahren und seiner Liebe gewiß zu sein auch bei Fehltritten und Irrthum. Das danke ich dir und deinem Evangelium, Herr Jesu Christ, der du die Sonne der Gerechtigkeit, der Brunnquell aller Gnaden bist. Sei mein Geleitsmann durch alle Stunden dieses Tages und erhalte mich auf dem Wege des Heils und der Gottseligkeit. Sei mein Tröster in aller Widerwärtigkeit, mein Beschützer in allen Gefahren, mein Vorbild in allen Tugenden, ein Friedensbote bei allem Streit und Hader. Geh' mit mir an die Arbeit, zu den Freuden und Sorgen, zu den Mühen und Erquickungen des Tages. Du bist mein Hirt und ich bin ein Schäflein deiner Heerde. Du weidest mich auf einer grünen Au und führest mich zum frischen Wasser. Du erquickest meine Seele und führest mich auf rechter Straße um deines Namens willen. Amen!

Am 6. Mai.

Ihr waret wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ 1. Petr. 2, 25. Dies Wort richtet der Apostel an die Seelen, die Christo ihrem Heilande nachfolgen. Einst waren sie wie die ohne Hirten umherirrenden Schafe, denen Alles gebricht, Speise und Trank, Schutz und Pflege. Einst schwebten sie in der größten Gefahr und befanden sich in einem trostlosen Zustande. Sie hatten damals keinen Anhalt an Gott, trugen die schwerste Last, die Last der Sünde, und konnten sich selbst weder rathen noch helfen. Dieser lies dem Gelde, Jener der Ehre, ein Andrer der Lust dieser Welt nach. Sie hatten wohl Ungemach und Trübsal, aber kein Kreuz, kein Leiden um Christi willen.

Wie ist das Alles durch die Macht her göttlichen Gnade anders geworden! Sie haben Jesu Stimme gehört und sind zu ihm geeilet; sie sind zu Christo, dem guten Hirten, der Leben und volles Genüge giebt, bekehrt worden, stehen mit ihm in der innigsten Lebens- und Liebesgemeinschaft, haben an ihm einen treuen Bischof, der allenthalben auf sie sieht, sie zu schützen und bei ihm zu erhalten. Täglich und stündlich schmecken und sehen sie, wie freundlich und barmherzig er ist, und wie so gut sie es bei ihm haben. Er hat ihnen den Himmel in ihre Herzen gesendet, und ihr Wandel ist schon im Himmel. Und wenn nun dieser Hirt durch finstere Thäler sie führt, sie weichen nicht von Dem zurück, der den Seinen das ewige Leben giebt. Denn kann es wohl zu schwer, zu hart, zu dunkel werden, was er ordnet? Ist er nicht bei uns alle Tage bis an der Welt Ende? Tröstet er, der göttliche Seelsorger, uns nicht mitten im Kreuz mit seiner Gnade und Liebe? Erquickt er uns nicht in den Stunden der Anfechtung mit dem süßen Troste seines Wortes? Ist's nicht Seligkeit, mit Christo leiden und in Geduld nach dem ewigen Leben trachten, um endlich die Krone des ewigen Lebens zu empfangen?

So will ich denn bei dir. bleiben, Herr Jesu Christ; unter deinem Hirtenstabe bin ich sicher vor allem Schaden und aller Gefahr. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, so bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Theil. Amen.

Am 7. Mai.

Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselbigen muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden.“ Joh. 10, 16. Dies Wort weiset uns hin auf die allumfassende Gnade, mit welcher der Herr Christus seine Heerde mehrt. Scharf ist sein Auge in der Nähe: er kennt das Bedürfniß jedes der Seinigen; scharf auch sein Auge in der Ferne: er sieht Solche, die entweder niemals unter seiner Heerde waren, oder dieselbe verlassen haben.' Ganze Völker wandeln noch in der Irre: die Heiden, die noch nichts von dem guten Hirten wissen, die noch in Finsterniß und Todesschatten sitzen, mögen sie keinen Mangel spüren, oder verschmachten in der öden Wüste, müde vom fruchtlosen Umherirren, zerstochen von den scharfen Dornen, bedroht von dem räuberischen Wolfe. Sie sollen der Heerde Christi beigesellet werden. Dazu hat er seine Apostel und Evangelisten abgeordnet, dazu sein Wort in den Mund seiner Boten und seinen Segen auf ihren Beruf gelegt, dazu erweckt er noch heute in seiner Kirche Herzen, die willig das heilige Werk der Mission treiben, und dankbar mit Gebet und Almosen helfen, daß des guten Hirten Absicht erreicht wird.

Am 8. Mai.

Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missethat.“ Ps. 103, 8; 145, 8. Ach, wollte Gott überall die traurigen Folgen unserer Vergehungen eintreten lassen, das menschliche Geschlecht wäre längst untergegangen in selbstbereitetem Verderben. Seine Gnade läßt oft auf eine Menge unserer Verirrungen gar keinen fühlbaren Schaden folgen. Der Verlust unseres Vermögens, unserer Ehre, unserer Gesundheit, unseres Lebens, wohl manchmal durch unser Verhalten verdient und verschuldet, ist ohne unser Zuthun durch eine höhere Fügung abgewendet worden. Die Strafen vieler Vergehungen treten erst spät und langsam ein. Gottes Mühle geht langsam, aber sie mahlt klein. Mancher Leichtsinnige begeht eine Thorheit über die andere, mancher Verwegene setzt die gefährlichsten Wagstücke wiederholentlich fort, mancher Bösewicht verübt immer noch dasselbe Verbrechen, ehe er entdeckt und bestraft wird. Wie lange währt es, ehe sich die Zerrüttungen zeigen, die so oft mancher Unmäßige, so mancher Wüstling durch wildes Stürmen in seine Gesundheit vorbereitet hatte! Es zeigen sich die Vorboten der künftigen Zerrüttung, es ergehen Warnungen an den sichern Sünder. Gott läßt ihn manche Blicke thun in den Jammer, der seiner wartet: aber Jahre lang verzieht die Strafe, oft erst am Ende des Lebens bricht es mit voller Macht hervor. Gott ist ein langer Borger, aber ein gewisser Zahler. Ja, der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit; er vergiebt Missethat und Uebertretung: aber er lässet auch Niemand ungestraft, sondern suchet die Missethat der Väter heim an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. 4. Mos. 14, 18.

Herzuführen und selig machen will der Herr aber auch alle die, welche zwar seinen Namen tragen, aber in heidnischem Unglauben und heidnischen Sünden dahin leben. Er läßt sich an ihnen nicht unbezeugt: sie hören seine Hirtenstimme in den Stunden des Glückes und der Freude, in den Tagen der Noth und der Trübsal. Mit dem Stab Sanft und mit dem Stab Wehe klopft er an ihren Herzen an, um sie aus der Irre eines verfehlten Lebens, aus der Oede eines verlornen Daseins zu erretten und sie zu führen auf seinen grünen Auen und zu seinen frischen Wassern. Und wir werden es sehen, und unser Herz wird sich freuen, mit unaussprechlicher Freude: Eine Heerde, Ein Hirte! Alle wird er zu sich ziehen und sie werden unter sich selbst nicht mehr entzweiet sein. Der Friede, den er am Kreuze erworben, wird zum Friedensbande seiner ganzen Heerde werden.

Erkenne mich, mein Hüter,
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell aller Güter,
Ist mir viel Guts gethan.

Amen!

Ach, Herr, mein Gott, bist du nicht auch gegen mich so langmüthig und geduldig! hast du dich nicht auch bei meinen Vergehungen und Sünden so gnädig erwiesen! Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmet, so erbarmest du dich auch über mich. O mein Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Deine Langmuth und Geduld soll mich nicht sicher machen, sondern mich warnen und bessern. Ich will gedenken an den Tag der Rechenschaft und an den Zuruf der Schrift: „Verachtest du den Reichthum seiner Güte, Geduld und Langmüthigkeit! Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und die Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.“ Röm. 2, 4 und 5. Nein, diese Gnade soll mir ein Herz machen zu Gott, soll mich hinziehen zu dem Heiligen und Gerechten und soll mir ein gläubiges Vertrauen zu Gott erwecken. Laß mich, o Herr, durch deine Langmuth und Güte erinnert werden an die große Wahrheit, die ja jeder Athemzug meines Lebens predigt: Wie hat doch der Herr die Leute so lieb! Amen!

Am 9. Mai.

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Veste verkündiget seiner Hände Werk.“ Ps. 19, 1.

Die Morgensonne gehet auf,
Erfreut, zu wallen ihren Lauf.'
Kein Bräutigam kommt so geziert,
Wie sie die goldnen Strahlen führt.

So viel der Himmel Sterne zählt,
Ist sie vor allen auserwählt;
Es muß ein großer Herrscher sein,
Der ihr ertheilt den goldnen Schein.

Die Himmel rühmen Gottes Ehr'
Und geben uns die schöne Lehr',
Daß wir ihn auch mit unserm Mund
Hoch preisen sollen alle Stund.

Der Sonnen Lauf nie stille steht
Und ohne Säumen weiter geht;
So sollen wir ohn' Unterlaß
Ihr folgen auf der Himmelsstraß'.

Herr! deine Gnade, Güt' und Treu
Ist alle Morgen bei uns neu,
Erleucht' uns Herz und Angesicht
Mit deinem Wort, dem Himmelslicht.

So wollen wir dir allezeit
Hier danken in der Christenheit,
Und dort mit deiner Engel Schaar
Dich fröhlich loben immerdar.

Amen!

Am 10. Mai.

Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum.“ Röm. 5, 1. Es ist etwas Großes und Seliges um den Frieden mit Gott. Wohin wir aber greisen mögen, in unser Herz, in unser Leben, den Frieden, der wirklich Friede ist, werden wir uns da nicht herausholen. Wir mögen thun, was wir wollen, an den besten Gedanken, Worten und Werken findet das Gesetz immer etwas, daran es uns verdammt, denn das Gesetz ist geistlich und gut, wir aber sind fleischlich unter die Sünde verkauft.

Wie mögen wir nun das theure, unschätzbare Gut des Friedens finden? Welche sind die, die sich freuen können: Wir haben Frieden mit Gott? Es sind die, die da rühmen können: Wir sind gerecht worden durch den Glauben. Das ist ein seiner Ruhm, der vor Gott gilt, und der da bleibet, weil er einen ewig festen Grund hat. Denn dabei rühmen wir ja nicht uns, sondern den Reichthum der göttlichen Barmherzigkeit und gründen uns auf das theure Verdienst unseres Herrn Jesus Christus. Er hat die Handschrift zerrissen, die wider uns zeugte, und sich selbst für unsere Sünden dahingegeben. Wer an Jesum Christum glaubt, der ist gerecht. Bin ich in ihm und er in mir, so habe ich Frieden. Angst und Unruhe, Sorge und Qual haben ein Ende, denn Gottes Verhältniß zu mir, und damit mein Verhältniß zu Gott hat sich wesentlich verändert. Er gedenkt meiner Sünden nicht mehr und ist mir so gnädig und freundlich, als hätte ich alle Gerechtigkeit gleichwie Christus erfüllet. In seinem lieben Sohn werde ich angenehm vor dem Vater und darf auch vor dem Tage des Gerichts nicht erschrecken. Von solchem Frieden wissen die Gottlosen nichts. Sie haben keinen Frieden, sie sind wie ein ungestümes Meer, das nicht stille sein kann und dessen Wellen Koth und Unflath auswerfen. (Jes. 54, 20.) Mein Gott, bewahre mich vor dem Frieden der Gottlosen und wecke mich auf aus der gefährlichen Ruhe, darein mich der Betrug der Sünde gebracht hat. Hilf, daß ich von Herzen begehre nach der Gerechtigkeit, die allein vor dir gilt, und die da kommt aus dem Glauben an deinen lieben Sohn.

Deinen Frieden gieb uns, Herr,
Laß uns deinen Frieden,
Daß die Glaubenswanderer
Nicht im Lauf ermüden!
Schritt vor Schritt
Wall' er mit,
Daß vor seinem Wehen
Müh' und, Angst vergehen!

Amen!

Am 11. Mai.

Ich danke dir, lieber Gott, für deinen gnädigen Schutz in der vergangenen Nacht, ja auch für alle die Wohlthaten, die ich wegen meines vielfachen Undanks nicht erkannt habe. Ich halte es für ein Geschenk, daß du mir Manches nicht anvertrauet hast, wovon du vorausgesehen, daß ich es mißbrauchen möchte. Ich bitte dich aber, mache mich folgsam, wachsam und treu. Gieb, daß ich an mir selbst verzage und mich auf dich allein verlasse, mich dir völlig ergebe von ganzem Herzen in all meinem Thun und Lassen. Gieb mir ein immer betendes Herz, auch unter meiner Arbeit, auch in meinem Umgang, damit, was ich rede und thue, im Namen deines Sohnes von mir geschehe.

O daß mein Gang heute diesen Tag ein neuer und gewisser Schritt zum Himmel sei! Erwecke dazu mein Herz und zeuch es himmelan! Schleuß es zu vor allem Tande der Welt. Laß meine Sinne nicht verrückt werden durch durch die Schlange des Schalkheit oder Eitelkeit von der Einfalt im Glauben. Gieb mir Gnade, daß gleich jetzo beim Erwachen mein Gebet recht vom Herzen gehe. Erfülle mich frühe mit deiner Kraft. Laß mich den ganzen Tag über vor dir bleiben mit wahrer Innigkeit. Dein guter Geist schaffe und wirke Alles selbst in mir, was dir gefällig ist, durch Jesum Christum, deinen Sohn! Amen.

Am 12. Mai.

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sage ich freuet euch.“ Phil. 4, 4. Mit welcher Mühe und Anstrengung jagen so viele Menschen der Freude nach! Wie viel Aufwand, Arbeit und Sorge, wenn sie sich eine frohe Stunde bereiten wollen! Und kommt der mühsam erworbene, der theuer erkaufte Tag rauschenden Vergnügens, welche Leere bei aller Pracht, wie viel Langeweile bei aller Zerstreuung, wie viel Verdruß bei aller Freundlichkeit! Und wie schnell dorren jeder Weltfreude die Wurzeln ab! Sitzt doch der Wurm der Vergänglichkeit in dem blüthenreichen Kelche. Ja, alles Fleisch ist wie Heu, und alle Herrlichkeit der Menschen ist wie des Grafes Blume; das Gras ist verdorret, die Blume ist abgefallen. .

Wahre Freude hat ihre Wurzel in Gott geschlagen, und keine Zeit und kein Tod kann daran rühren. Einer ist's, der allein das Herz fröhlich und selig machen kann: das ist unser Herr und Heiland. Ach, wer wollte sich über ihn nicht freuen, über ihn, in welchem erschienen ist die Freundlichkeit und Leutseligkeit unseres Gottes, in welchem wohnte die Fülle der Gottheit leibhaftig und welcher war das allerlieblichste und huldreichste Bild der Gottheit, an welchem Menschen und Engel ihre Lust sahen, das Bild der lautersten Wahrheit, der fleckenlosesten Heiligkeit, der süßesten Liebe, der holdseligsten Güte, der unüberwindlichen Kraft und Stärke!

Die Freude über ihn, den Erlöser von Sünde und Tod, den Herzog unserer Seligkeit, sie verwelkt nicht mit der Jugend, hängt nicht ab vom Wechsel des Glücks, vergeht nicht mit der Welt und ihrer Lust, sondern sie erquickt uns auch in bösen Tagen, labt noch im letzten Stündlein und folgt uns in die Ewigkeit, weil sie aus der Ewigkeit stammt. Ihr ist's vergönnt, vom mühseligen Erdenleben aus einen Blick in den Himmel zu werfen, von der unsichern Gegenwart aus in eine gewisse Zukunft voll Seligkeit schauen zu dürfen. Stephanus sieht um sich ein wüthendes Volk, welches Steine aufhebt, um ihn zu tödten, und sein Herz ist doch freudig, denn er sieht den Himmel offen und Jesum stehen zur Rechten Gottes. Paulus sieht finstere Kerkerwände und verschlossene Thüren, fühlt die Ketten und Banden an Händen und Füßen, und sein Herz ist doch freudenhell, denn er sieht auch jenseits den Herrn Jesum Christum und Kronen in seiner Hand.

Die Freude im Herrn ist ein Vorschmack der ewigen Himmelsfreude, die größer sein wird, als daß sie gemessen, überflüssiger, als daß sie gezählt, unendlicher, als daß ihr Ziel gesetzt, und köstlicher, als daß sie könne geschätzt werden. Dort werden wir lieben ohne Maaß, schauen ohne Verdruß und uns erfreuen ohne Ende. Welt, ich lasse dir deine Freude, wie sehr sie auch prange, wie weit sie auch leuchte, wie laut sie auch rufe, wie hoch sie sich auch rühme!

Meines Lebens beste Freude
Ist der Himmel, Gottes Thron,
Meiner Seele Trost und Weide
Ist mein Jesus, Gottes Sohn;
Was mein Herze recht erfreut,
Ist in seiner Herrlichkeit.

Amen!

Am 13. Mai.

O Seele, die Gottes Güte befreiet hat aus traurigen Banden, da sie dir Ruhe schaffte von deiner Mühe und von deiner Plage und von der harten Knechtschaft, in welcher du warest, wunderbar dünkt es dir, wie es dir nun leicht wird, da zu entsagen, wo es zuvor unmöglich schien; wunderbar, wie das Joch alter Gewohnheit verschwunden ist, wunderbar, wie schnell böse Gedanken weichen, denen du bisher mit fast zwingender Nothwendigkeit folgtest. Eigne dir daher das Wort an, was gegen Babels König geschrieben steht; jauchze mit Freuden, rufe mit Staunen! Wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Täglich stellte mir der Geist schändlichen Gelüstes nach und forderte der Uneinigkeit Sold, da war keine Kraft zur Abwehr, kein Vermögen zum Widerstande; wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Der Geist des Zornes überfiel mich und trieb mich zu Worten der Bosheit, bald schwieg ich bitter, bald sprach ich tobend; wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Der Geist des Unmuths nahm mir allen Frieden hinweg, ich schauderte vor der Einsamkeit, haßte Muhe, stürzte mich in mannigfache Zerstreuungen; wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Der Geist der Traurigkeit zehrte alle Seelenfreude auf, in Groll brachte er mich und wollte mich in Verzweiflung stürzen; wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Der Geist des Stolzes durchdrang mein ganzes Herz; gehorchen mochte ich nicht, herrschen wollte ich; in hohen Gedanken ging ich einher, verachtete Andere und stellte mich über sie; wie hat's nun ein Ende mit dem Dränger, ein Ende mit der Bedrückung! Aber ist's etwa durch meine Kraft, ist's durch meinen Arm geschehen? Nein, der Herr hat den Stab der Bösen, die Ruthe der Feinde gebrochen, der Herr ist es, der den Kriegern steuert, Herr ist sein Name. Gelobt seist du, Herr Jesu, daß du uns nicht versuchen lässest über unser Vermögen. Amen!

Am 14. Mai.

Herr, höre auf mein Wort, merke auf meine Rede, vernimm mein Rufen, ich will vor dir beten. O, du gnädiger und barmherziger Gott! ich lobe und preise dich in dieser Morgenstunde, daß du mich nicht allein von meiner Jugend an so väterlich ernährt und bewahret hast, sondern daß du auch diese vergangene Nacht mein Schutz und Beistand bist gewesen; also, daß ich zu deinem Lobe wiederum gesund von meinem Lager ausstehen und das angenehme Tageslicht anschauen kann. Herr des Lebens, was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und das Menschenkind, daß du dich seiner annimmst? Ich wußte im Schlafe nichts von mir selbst. Aber dein Aufsehen hat meinen Odem bewahret. Du hast mich und mein Haus mit deiner Wache umgeben. Du hast mich durch sanfte Ruhe erquicket, welche vielleicht viele Kranke, Betrübte, Geängstigte haben entbehren müssen, da ich mir keines Vorzugs vor ihnen, noch irgend eines Verdienstes an mir bewußt bin, da ich vielmehr manche deiner Wohlthaten undankbar angesehen und unweise genossen habe.

Ich verspreche dir aber in dieser Frühe, dir mit Leib und Seele zu dienen. Ich habe mir vorgesetzt, daß mein Mund heute nicht übertreten soll. Ich will meinem Fuß den Weg zur Sünde wehren. Mein Auge soll nicht schauen nach Verbotenem. Ich will meine Hände nicht ausstrecken zur Ungerechtigkeit, und mein Ohr abwenden von loser Lehre und bösem Geschwätz, als welches gute Sitten verderbt. Hingegen will ich mich, o dreieiniger Gott, zu deinem Dienst ergeben. Wohne in mir, heilige, leite und reinige mich immer mehr durch deine Gnade, laß mich hingehen, wo ich ein gutes Beispiel und holdselige Worte vernehme. Segne meine Arbeit und mein Vertrauen. Segne und bewahre mich und die Meinigen in Zeit und Ewigkeit. Amen!

Am 15 Mai.

„Was wir bitten, werden wir von ihm nehmen.“ I Joh. 3, 22.

Mein Gott, ich bitte nicht,
Daß du in diesem Leben
Mir Freuden, Ehre, Macht
Und Reichthum wollest geben;
Die Güter dieser Welt
Erfreu'n nur kurze Zeit,
Ich möchte selig sein
Für alle Ewigkeit.

Mein Gott, ich bitte nicht,
Daß du mich woll'st bewahren
Vor Leiden, Gram und Schmach,
Vor Mangel und Gefahren:
Die Leiden dieser Welt
Betrüben kurze Zeit,
Und wer sie trägt, gewinnt
Die ew'ge Herrlichkeit.

Mein Gott, ich bitte nur,
Du wollest treu mich leiten,
Und für den Himmel mir
Die Seele zubereiten;
O, gieb ihr, was ihr frommt,
Und nicht, was ihr gefällt,
Und mach' die Arme reich
An Gütern jener Welt.

Mein Gott, das bitte ich
In Jesu Christi Namen;
O, neig' dich meinem Flehn
Und sprich ein gnädig Amen.
In deine Hand befehl'
Ich, Vater, meinen Geist,
Aus der ihn keine Macht,
Selbst Grab und Tod nicht reißt.

Amen!

Am 16. Mai.

Es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen.“ Röm. 3, 23. Daß die Menschheit nicht so ist, wie sie aus der Hand des Allmächtigen hervorgegangen, daß sie durch den Ungehorsam gegen Gott, mit sich selbst zerfallen, ihre ursprüngliche Reinheit und Lauterkeit verloren und in Zerrüttung und Elend gerathen ist: davon zeugen die Widersprüche und Gegensätze, die wir in unserer Natur finden. Im Innern ist ein steter Kampf: wir schwanken zwischen der Wahl des verlockenden Bösen und des erkannten Guten; das Fleisch gelüstet wider den Geist und der Geist gelüstet wider das Fleisch, also daß wir die Werke des Geistes nicht vollbringen. Selbst ein Paulus sagt: „Das Gute, das ich will, das thue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das thue ich. Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüthe und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz. O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Röm. 7, 19 f. Das Christenthum belehrt uns über den Ursprung und über die Natur unseres Verderbens, aber es bietet uns auch die Hand, um uns wieder aufzurichten von unserm Fall und uns zur ursprünglichen Schönheit und Würde wieder zu erheben. Es verlangt dazu Buße und Demuth, Glauben, Liebe und festes Vertrauen. Auch der beste Mensch, der alle seine Wege nach dem Willen Gottes zu ordnen sucht, muß die Mangelhaftigkeit seiner Tugend und die Schwäche seines vereitelten Herzen empfinden. Wie oft wird der von Fehlern übereilt und zur Uebertretung der göttlichen Gebote verleitet! Wie oft denk, wünscht, begehrt und thut er, was vor Gott nicht recht ist und was der innere Richter nicht billigt! Wir müssen immer mit David beten: „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Vergieb mir, Herr, auch die verborgenen Fehler.“ Ps. 19, 3. So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns; so wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergiebt und reiniget uns von aller Untugend. 1 Joh. 1, 8 und 9. Jac. 1, 14 und 7 5. Darum will ich mit jedem Morgen fromme Vorsätze und heilige Gelübde erneuen, aber ich will auch meiner Schwäche und Sündhaftigkeit eingedenk sein, will wachen und beten, damit ich nicht in Anfechtung falle, und mit Dank und Freude des Herrn Gnade zur Besserung und Erneuung des inwendigen Menschen annehmen. Gieb mir Waffen in den Streit, du siegreicher Held! Amen.

Am 17. Mai.

Will Jemand mir nachfolgen, spricht der Herr, der verläugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Luc. 9, 23.

Zu dieser Selbstverläugnung haben wir täglich Veranlassung. Wir müssen allezeit bereit sein, unsern Willen dem Willen Gottes aufzuopfern, nicht blos in großen und wichtigen Dingen, sondern auch bei kleinen Anlässen unseres Lebens, die häufig vorkommen. Zu dem Ende müssen wir gewissenhaft forschen nach dem Willen Gottes und des Apostels Ermahnung zu Herzen nehmen: „Stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern lasset euch umwandeln durch Erneuung eures Sinnes, daß ihr prüfen möget, was da sei der Wille Gottes, was gut, ihm wohlgefällig und vollkommen sei.“ Röm. 12,2. Diese Prüfung erfordert große Unbefangenheit; wir müssen sie vor dem Angesichte Gottes anstellen, auf daß unser Auge einfältig sei, und ihn ernstlich anflehen, daß er durch seinen Geist uns in alle Wahrheit leite, wie der heilige Sänger flehte: Thue mir kund den Weg, auf dem ich wandeln soll. Lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott, dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.„ Ps. 142, 8 und 10. So werden wir auch unserm Heiland immer ähnlicher, dessen tägliche Speise es war, den Willen dessen zu thun, der ihn gesandt hatte. Obgleich der Unterschied immer noch unendlich groß bleiben wird zwischen der uns vorleuchtenden Sonne der Gerechtigkeit und ihrem Widerschein, der wie Thautropfen auf Blumen die Herzen der Frommen bestrahlt, so soll doch in ihnen sich spiegeln mit aufgedecktem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn, und sie sollen umgewandelt werden in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern durch den Geist des Herrn. 2 Cor. 3, 18. O daß Christus immer mehr in meinem Herzen verkläret würde und mir seinen Beistand verliehe zu einem gottseligen Leben im Gehorsam gegen meinen himmlischen Vater! Ein Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erden und ist geduldig darüber, bis daß er empfahe den Morgen- und Abendregen. So will auch ich bei den Uebeln des Lebens geduldig sein und mein Herz stärken durch den Hinblick auf den heiligen Dulder, der sein Kreuz gelassen trug zur Höhe des Golgatha.

Bleib' bei mir, Herr, verlaß mich nicht,
Erleuchte mich mit deinem Licht;
Geh' du den Lebensweg voran,
Und führ' auch heut' mich himmelan.

Amen!

Am 18. Mai.

Stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, der wohlgefällige und vollkommene Gotteswille.“ Röm. 12, 2. Gnädiger und liebreicher Gott, mein Fels, meine Burg und mein Erretter, ich erhebe in dieser Morgenstunde meine Stimme zum Thron deiner Gnade und danke dir, daß du die vergangene Nacht deine Flügel über mich ausgebreitet und Leib und Seele vor Unfall und Schaden bewahret hast. So lässest du einen Tag meines Lebens nach dem andern erscheinen, auf daß ich mich zur Ewigkeit vorbereiten und meine Seele dir zur Wohnung und zum Eigenthum ergeben soll. Du hast mich erschaffen zum ewigen Leben und willst auch mir aushelfen zu deinem himmlischen Reiche.

O so laß mich auch diesen Tag dazu anwenden, daß ich schaffe selig zu werden mit Ernst und Wachsamkeit, mit Furcht und Zittern. Das Leben ist so kurz, und die Aufgabe desselben so groß; die Tage eilen so schnell dahin, und keine Macht bringt die verlorenen zurück. Ach, das erfüllt mein Herz mit Unruhe und meine Seele mit banger Besorgniß. Wenn du nach den guten Thaten und nach den christlichen Gesinnungen fragst: Herr, was soll ich dir da bringen? Meine Tugend ist wie ein befleckt Kleid und meine Frömmigkeit voll Dornen und Disteln. Wie wollte ich meine Augen zu dir erheben können, wenn du mir nicht in Christo als der Gnadenreiche und Barmherzige nahe getreten wärest! Ach, zu dir komme ich, mein göttlicher Erlöser, der du ja das verlorene Schäflein mit Hirtentreue suchst und es auf deinen Schultern heimträgst zur Heerde. Laß mich in deine Fußtapfen treten und in Allem gesinnt sein, wie du es auch warst. So werde ich gesichert sein vor den Verführungen der Welt und vor den Verlockungen des eigenen Herzens. Stehe mir bei in meinem Berufe, erwecke in mir gute Gedanken und halte mir vor das Ziel meiner künftigen Seligkeit. Wie wandelt's sich an deiner Seite so sicher, so friedlich, so gefahrlos. Darum, mein Heiland, lasse ich dich nicht, du segnest mich denn. Gieb mir deinen Geist, den Geist der Liebe und der Kraft, der Demuth und des Gehorsams, auf daß ich mit dir die Welt überwinde und einst deine Herrlichkeit schaue. Amen!

Am 19. Mai.

Der Name Jesu ist ein Licht. Im Lichte dieses Namens hat uns Gott berufen zu seinem wunderbaren Lichte. Wie hat jenes Licht geglänzt und aller Augen mächtig getroffen, als es aus Petri Munde wie ein Blitz hervorzuckte und dem Lahmen die Füße und Knöchel festigte! Strömte es nicht Feuerflammen aus, da er sprach: Im Namen Jesu Christi, stehe auf und wandle!

Doch der Name Jesus ist auch eine Speise. Wirst du nicht so oft gestärkt, als du seiner gedenkest? Was erquickt den müden Sinn mehr, was stählt mehr für die Tugend, was stößt reinere Empfindungen ein? Alle Speise der Seele ist trocken, wenn sie nicht mit diesem Oele vermischt, fade, wenn sie nicht mit diesem Salze gesalzen wird. Schreibst du etwas, so lese ich es ungern, wenn ich den Namen Jesu nicht finde. Besprichst du etwas, so habe ich keinen Geschmack daran, wenn ich von Jesu nichts höre. Jesus ist Honig im Munde, Klang im Ohr, Jubel im Herzen.

Aber er ist auch Arznei. Ist Jemand von uns traurig, der fasse nur Jesum in's Herz und lasse ihn über die Lippen treten und bei dem Aufgange des Lichtes seines Namens muß alles Gewölk sich zertheilen und das heitere Antlitz des Himmels wiederkehren. Empfindet Jemand seines Herzens Härtigkeit, den Hochmuth seiner Seele und sind seine Thränen vertrocknet; nur Jesus! darf er rufen, und ein reichlicher Strom wird hervorquellen. Wem hätte dieser Name, wenn er in Gefahren herum wankte und zitterte, nicht neue Kraft gegeben und die Furcht vertrieben? Wem hätte er in Zweifeln und Bedenklichkeiten nicht die sichere Straße gezeigt? Nichts hält den Zorn so zurück, schlägt den Stolz so nieder, heilt die Mißgunst so gründlich, hemmt den Strom der Schwelgerei so sicher, tilgt die Flamme der Leidenschaft besser aus, löscht den Durst des Geizes völliger und verscheucht, alles unreine Gelüst gewisser. Denn wenn ich Jesum nenne, so stelle ich mir einen Mann vor sanften, demüthigen Herzens, gütig, nüchtern, keusch, barmherzig, ehrbar und heilig, der zugleich allmächtiger Gott ist, so daß er mich durch sein Beispiel und seinen Beistand heilen und kräftigen kann. Das Alles klingt zugleich in meiner Seele, wenn der Name Jesu erschallt.

Am 20. Mai.

Wenn ihr stille bliebet, so wäre euch geholfen. Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Jes. 30, 15. Die Welt ist voll Unruhe, das Leben wird täglich zerstreuender, Eins reißt das Andere fort in den rauschenden Strom endloser Bewegung, Eins erregt und verwirrt das Andere in dem lauten Gewühl. Und alles Rennen und Jagen geht nur auf das Gegenwärtige, Niemand hat Zeit, an das zu denken, was vergangen, und an das, was zukünftig ist.

Willst du zum Frieden kommen, o Seele, zu wahrer beseligender Freude, so mußt du zuweilen aus der ruhelosen Welt weggehen, um allein zu sein, wie Jesus; mit ihm eine Höhe suchen, wo du dem Himmel näher bist und ungestört von dem besinnungraubenden, herzbethörenden Getöse in den dumpfen, düstern Thälern.

Aus der Saat der stillen Stunden, da wir des Herrn Angesicht gesucht und seiner Stimme gelauscht, reift eine köstliche Ernte für unser inneres Leben. Der Geist Gottes verkündigt uns da Mancherlei, was weder wir selbst noch die andern Menschenkinder uns gern sagen. Er redet von Stunden, die wir nutzlos zu-. gebracht, von Kräften, die wir vergeudet, von Gnadenrufen, die wir überhört, von Versäumnissen und Uebertretungen, die wir vorher kaum bemerkt, oder doch nicht in ihrer Schwere gebührend erkannt haben. Da erblicken wir in dem Auge des Herrn unser eigenes Bild, wie es uns die rasche, flüchtige Welle des Lebens nie zeigt. Aber so tief wir uns in solchen Augenblicken beschämt fühlen, so leuchtet doch auch sein heiliges Angesicht zugleich so väterlich und freundlich, so tröstlich und friedevoll, daß aus den Thränen des Schmerzes Thränen der Freude werden.

O das sind selige Stunden, die der, der sie genossen hat, nicht um alles Gold, nicht um die höchste Luft der Erde hingeben würde. Stille Feierstunden geben die rechte Weibe, die rechte Kraft, den rechten Muth zum irdischen Leben mit seinen Arbeiten und Kämpfen, mit seiner Lust und seiner Last, denn die Fülle göttlicher Stärke, die man da empfangen, läßt nicht zu träger Ruhe und behaglichem Genusse kommen, sondern treibt mit Macht in die Werke des Berufs hinein. Christus bleibt nicht in der stillen Zurückgezogenheit der Wüste und läßt sich auch auf der einsamen Höhe des Tabor keine Hütte bauen, sondern steigt wieder herab zu den Menschen, um ihnen wohl zu thun, um für sie zu leiden und zu sterben.

So will ich auch in die Stille mit ihm gehen zu dir, mein treuer Gott und Vater. Mein Herz ist oft so unruhig in mir. Mache es stille, o Herr, du bist ja der, der das Brausen des Meeres stillt und das Toben seiner Wellen. Sammle mein Sinnen aus der Zerstreuung und laß meine Seele ruhen in dir, du höchstes Gut! Laß mich auch mit stillem Wesen arbeiten und führe mich endlich zu der seligen Stille des ewigen Sabbaths droben bei dir. Amen!

Am 21. Mai.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.“ Joh. 16, 23. Wer giebt uns sündebefleckten Menschenkindern das Recht, mit dem schönen, innigen Vaternamen vor den Heiligen zu treten, vor dem die Engel sich neigen und auch der Himmel nicht rein ist? Wer giebt uns 'die selige Gewißheit in's Herz, daß auf unser Rufen Gottes Ja und Amen herabkommt? Kein Anderer als der, welcher in jenen heiligen Abendstunden vor seinem Leiden zu seinen Jüngern das Wort der Mahnung und Verheißung sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.“ Was heißt nun: im Namen Jesu beten? Es heißt bitten als ein Christ, oder als Einer, der durch den Glauben an Jesum Christum Gott zum Vater hat und auf dem theuren Verdienste Jesu Christi stehet. Solch eine Seele tritt vor Gott mit dem Gedanken und dem Gefühl: Siehe, Herr, ich weiß wohl, daß ich nichts bin vor deiner ewigen Majestät, 'als Staub und Asche, und daß ich vor deinem heiligen Auge als ein armer Sünder stehe, nicht werth deiner Gnade und Gaben; aber ich komme vor dein Angesicht nicht im Vertrauen auf mich selbst, sondern auf das Geheiß deines lieben Sohnes, der mich bei dir vertritt, und mit der Gebetsanweisung, die er mir auf deine Liebe ausgestellt hat; so wollest du denn deine Augen nicht auf mich als auf einen solchen Sünder wenden, sondern auf das Angesicht deines lieben Sohnes Jesu Christi und sei mir um seinetwillen gnädig und barmherzig sein.

Der Grund, d'rauf ich mich gründe,
Ist Christus und sein Blut,
Das machet, daß ich finde
Das ewig wahre Gut.
An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd',
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe werth.

Wer in Jesu Namen betet, der tritt vor den Thron der Gnade nicht mit Bitten um die eiteln, vergänglichen Dinge dieser Zeit, nicht mit Bitten der Selbstsucht, des Eigennutzes und des trotzigen Muthes, der schreibt dem Herrn nicht die Art der Hülfe vor, sondern richtet sein Gebet auf Jesu Sache, auf Gottes Ehre mit dem Namen, der über alle Namen ist, anklopft an die Himmelsthüre, der darf der Erhörung gewiß sein und wird allezeit mit getrockneten Augen, mit leuchtendem Angesicht, mit getröstetem Herzen, mit vollen Händen es bestätigen, daß Gott nahe ist Allen, die ihn anrufen, die ihn mit Ernst anrufen.

Herr, lehre du mich also beten,
Wie es dir lieb und wohlgefällig ist!
Laß mich nie anders vor dich treten,
Als daß ich hab' im Herzen Jesum Christ.
Ach, mache mich nur von mir selber frei,
Daß Christus Alles mir. in Allem sei!

Amen!

Am 22. Mai.

Herr, unser Gott, du ewiges Licht, Schöpfer aller Creatur, du Quelle der Barmherzigkeit, du Meer der Güte, du unergründlicher Abgrund der Leutseligkeit: laß leuchten über uns das Licht deines Antlitzes! Herr, scheine in unsere Herzen, du wahrhaftige Sonne der Gerechtigkeit, und erfülle mit deiner Lieblichkeit unsere Seelen. Erleuchte unsern Verstand und behüte alle unsere Sinne. Lehre uns allezeit an deine Gerichte denken und von ihnen reden und dich ohn' Unterlaß als unsern Herrn und Wohlthäter bekennen. Richte nach deinem Willen die Werke unsrer Hände und leite uns auf rechtem Wege, daß wir thun mögen, was dir wohlgefällig und angenehm ist, damit auch durch uns Unwürdige dein heiliger Name verherrlicht werde.

Gedenke, o Herr, nach deiner Barmherzigkeit deines ganzen Volkes, Aller, die mit uns beten und aller unsrer Brüder, die zu Lande oder zu Meer oder wo sonst in deinem weiten Reich deiner Gnade und Hülfe bedürfen. Rette uns durch deine starke Hand, segne dein Volk und heilige dein Erbe. Schenke Frieden deinem Volke und deiner Kirche. Nimm an unser Gebet und Flehen, und schenke uns Glauben, der nicht zu Schanden wird, zuversichtliche Hoffnung und ungeheuchelte Liebe. Segne unsern Eingang und Ausgang, unsere Gedanken, Worte und Werke, auf daß wir das ewige Leben erlangen, wo wir uns freuen werden mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Dir sei Preis und Lob in Ewigkeit. Amen!

Am 23. Mai.

Sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Math. 6, 34. Nichts kann klarer und verständlicher sein, als dieses Wort des Herrn Christus. Sorgen dürfen wir, wenn wir nicht heidnisch sorgen, ja sorgen sollen wir. Auch den andern Morgen, auch das andere Jahr müssen wir in Bedacht nehmen, denn kein Haushalt kann bestehen, wenn man nicht im Frühjahr für den Herbst und Winter sorgt. Doch ist es thöricht, wenn wir auf unsere Vorsorge bauen und den kommenden Morgen, oder das kommende Jahr regieren wollen. .Macht Gott diese unsere Anschläge zu nichts, so sind wir wie verlassen und fallen in die tiefe Grube der Sorge wieder hinein. Wissen wir doch nicht einmal, ob wir den nächsten Tag erleben, wie können wir ihn in unsrer Gewalt haben?

Also gilt es, heute frisch vor die Hand zu nehmen, was Gott uns zu thun giebt, und in kindlichem Glauben seiner väterlichen Leitung zu folgen. Gott sitzt im Regimente und führet Alles wohl. Was wollen wir uns plagen um den morgenden Tag, den Gott schon versehen hat? Haben wir nicht denselben Gott, den wir heute haben, auch morgen noch? Warum zu der Plage des heutigen Tages die Plage des morgenden Tages hinzunehmen und doppelte Last tragen, da schon die einfache Last uns zu viel werden will? Warum nicht Ruhe haben wollen, wo der Herr uns Ruhe bereiten will? O wir kurzsichtigen Menschen! wenn nun morgen kommt, so finden wir es ganz anders, als wir gedacht. Gott hat den Weg schon vorher geebnet und läßt uns fröhlich unsere Straße ziehen. So wollen wir denn unser Werk in Gottes Hand legen und nicht zu viel in die Zukunft sehen

Es gehe nun, wie es wolle, es geht jedenfalls nur, wie Gott will.

Laß fahren deine Sorgen, du änderst nicht dein Loos;
Das Heut' ist dein, das Morgen trägt Gott in seinem Schooß.
Und wie er's wird gestalten, ergründen kannst du's nicht;
Doch glaubst du an sein Walten, so gehst du auch im Licht.
Und was er dir mag senden, du trägst es still und gern;
Kommt es doch aus den Händen des besten aller Herrn.
Nie kann dein Morgen trübe, dein Abend dunkel sein,
Denn deines Gottes Liebe giebt ihnen hellen Schein.

Amen!

Am 24. Mai.

Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Matth. 28, 18. So sprach der Fürst des Lebens, der siegreich aus dem Grabe hervorgegangen war, zu seinen Jüngern, bevor er von ihnen schied, um verherrlicht und verklärt heimzukehren zu der Herrlichkeit, die er beim Vater hatte, ehe denn ,der Welt Grund gelegt ward. Und dies Wort muß all die Seinen mit hoher, freudiger Glaubenszuversicht erfüllen, also, daß sie in keiner Noth, in keiner Anfechtung dieser Welt verzagen dürfen. Ihm, den sein getreues Lieben hernieder getrieben hat vom Himmel auf diese arme Erde, ihm, der willig sein heiliges Leben für uns in den bittersten Tod gegeben, ihm, dem wahrhaftigen Gott und wahrhaftigen Menschen, ihm ist die unendliche, ewige Herrschaft über Alles im Himmel und auf Erden gegeben, und Keiner ist mächtiger denn er, unser Erlöser und Bruder. Das ist der Lohn seines Gehorsams und seiner Leiden im Stande seiner Erniedrigung. (Phil. 2, 9.)

Nun regiert er Alles so, wie es uns gut und heilsam ist. Wie sollten wir darum nicht still ergeben auch alles Kreuz und alle Trübsal dahinnehmen, da wir wissen, daß Er Alles sendet und daß ohne Ihn uns Nichts widerfahren kann! „Jesus, der versuchet ist allenthalben, gleich wie wir, doch ohne Sünde, auf daß er helfen könne Denen, die da versuchet werden,“, er kann und wird uns helfen in allen Versuchungen dieser Welt und uns mit Kraft ausrüsten, in den bösen Stunden Widerstand zu leisten und das Feld zu behalten. In aller Schwachheit können wir zu seiner Gottes-Allmacht unsere Zuflucht nehmen. Denn zu den Hauptwerken seiner göttlichen Macht, zu seinen vornehmsten Reichsgeschäften gehören die mancherlei kleinen Angelegenheiten unseres Herzens. Ueber alle Herrlichkeit, Macht und Gewalt des Himmels gehen ihm die theuren Seelen, um die er gearbeitet, und die er mit seinem Blute erkauft hat. Ihre Namen stehen alle in seinem Herzen geschrieben, und sein Auge ruhet ohne Unterlaß auf ihnen. Was auch seine Feinde hienieden ersinnen und ausführen mögen, wie gewaltig auch das Reich der Finsterniß sich erheben mag: der Herr der Herrlichkeit, welcher sein Reich am Kreuze in großer Schwachheit erworben hat, wird dasselbe wohl zu behalten wissen auf dem Throne seines Vaters in der Macht Gottes. Es muß Ein Hirt und Eine Heerde, es muß ein neuer Himmel und eine neue Erde werden, auf welcher Gerechtigkeit wohnt, denn der Mund der Wahrheit hat's verheißen, und Christus wird herrschen, bis alle Feinde geleget sind zum Schemel seiner Füße.

Jesus Christus herrscht als König,
Alles wird ihm unterthänig,
Alles legt ihm Gott zu Fuß.
Alle Zunge soll bekennen,
Jesus sei der Herr zu nennen,
Dem man Ehre geben muß.

Amen!

Am 25. Mai.

Ohne mich könnet ihr nichts thun.“ Joh. 15, 5.

Was in dem Herrn du thust, das wird gelingen!
Die Ehre ihm, dann ist der Segen dein!
Er giebt das rechte Wollen und Vollbringen,
Er will im Großen stets wie im Geringen
Der Herr und Schöpfer aller Werke sein.
Die Händ' an's Werk, die Herzen himmelan!
So wird allein ein gutes Werk gethan.

Es ist auch vor dem Herrn nichts so geringe,
Daß er nicht hülfreich dir zur Seite steh',
Dir Kräfte gebe, daß es wohl gelinge
Und selbst zu einem solchen End' es bringe,
Daran dein Auge seine Freude seh'.
Rufst du bei Wem seinen Beistand an,
Dann wird auch Alles herrlich abgethan.

Er weiß das Herz in Freude zu erhalten,
Scheint dir die Arbeit mühevoll und schwer;
Er läßt dich nicht beim kalten Werk erkalten,
Scheucht von der Stirn des Unmuths kalte Falten;
Er giebt Geduld, giebt Fleiß und noch viel mehr.
Das Kleinste, was dem Kleinsten du gethan,
Sieht er, als ob es ihm geschehen, an.

Und ist er bei dir, dann zerstreut er immer
Die Kräfte dir, o nein, er sammelt sie,
Verbreitet einen freudehellen Schimmer
Auf deiner Hände Werke, daß dir immer
Zur Lust die Last, zur Freude wird die Müh'.
Für das, was deine Hand mit ihm gethan,
Wird stets dein Herz von ihm den Lohn empfahn.

Wie selig ist's, vor Augen ihn zu haben,
Mit ihm zu reden jetzt und allezeit, -
An einem Zuspruch Sinn und Herz zu laben,
Sich zu getrösten seiner Gnadengaben,
Stets froh zu sein bei seiner Freundlichkeit,
So froh, daß es die Welt nicht fassen kann,
Wie leicht du deine Arbeit abgethan!

Amen!

Am 26. Mai.

Einen neuen Freudengruß bietet uns jetzt die Schöpfung. Wiedergekommen ist die Zeit des Keimens, Knospens und Blühens. Wiedererwacht ist die Fröhlichkeit der Geschöpfe auf den Fluren und in den Wäldern, und frisches Leben durchströmt alle Adern der Natur. Welche Lust, welches Jauchzen auf allen Wegen und Stegen! Das Lied der Lerche begrüßt den jungen Tag, und hell wölbt sich der Himmel über der geschmückten Erde. Es wehen linde Lüste, es erquickt uns der Anblick der grünen Felder und laubbekränzten Höhen. Und doch vermag all diese sichtbare Herrlichkeit, die um uns her ausgebreitet ist, die Seele nicht zu befriedigen, noch ihren Drang und Durst zu stillen.

Laß dich nicht den Frühling täuschen,
Herz, der dich mit Lust umringt,
Wo mit wonnigen Geräuschen
Wald und Flur von Leben klingt!

Willst du bis zum Schöpfer dringen,
Wende vom Erschaffnen dich;
Willst du dich in's Leben schwingen:
Einer zeigt als Führer sich,

Der an solchem Frühlingsmorgen
Hinter sich ließ die Natur,
Und, dem ird'schen Blick verborgen,
In der Himmel Himmel fuhr.

Den Blick nach oben! Aufwärts die Herzen! Christus hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Er hat die Schwachheit des Fleisches wie Gewölk von sich abgestreift und sich geschmückt mit dem Kleide der Herrlichkeit. Der verklärte Menschensohn hat die Dornenkrone vertauscht mit der Himmelskrone. Emporgestiegen ist die Sonne, verstärkt und ausgebreitet hat sie ihre Strahlen über die Erde hin, und nichts mag sich verbergen vor ihrer Hitze. Zurückgekehrt zum Sitze der Weisheit ist die Weisheit Gottes, wo Alle das Gute erkennen und lieben. Erhöhet ist der Menschensohn über Sichtbares und Unsichtbares, über Thronen und Herrschaften in dieser und jener Welt, erhöhet als der Selige und Gewaltige, vor dem sich alle Kniee beugen sollen, welche im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, von dem alle Zungen bekennen sollen, daß er der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters.

Wunderbar, wie sein Eintritt in diese Welt, wunderbar, wie die ganze Erscheinung des Sohnes Gottes im Fleische, mußte auch seine Heimkehr sein zu der Herrlichkeit, die er bei dem Vater hatte, ehe denn der Welt Grund gelegt ward! Der Fürst des Lebens konnte nicht wieder sterben, nachdem er einmal siegreich aus dem Grabe hervorgegangen. Der Tod hatte hinfort keine Gewalt über ihn, unvergänglich war das Leben, das er an's Licht gebracht hatte. Verherrlichter König, der du sitzest zur Rechten der Kraft Gottes, verherrliche dich auch an meinem Herzen. Laß es deine Wohnung sein und bleiben, daß ich dich liebe, dir getrost nachwandle und das himmlische Ziel erreiche. Dir sei Ehre und Ruhm und Dank und Anbetung von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

Am 27. Mai.

Die vierzig Tage der Freude sind vorüber. Gesegnete Stunden waren es gewesen, die die Jünger in der Gemeinschaft mit dem geliebten Meister verleben durften, mit ihm, der wie ein Gast aus einer höheren Welt zu verschiedenen Malen in die Mitte der Seinen trat, .in verklärter Leiblichkeit vor ihren Augen stand, vom Reiche Gottes mit ihnen redete und ihnen köstliche Verheißungen und hohe Aufträge ertheilte.

Die Stunde des Abschiedes ist gekommen. Ist's zu verwundern, daß das Herz der Elfe! voll Trauerns ist? Was war der Herr ihnen gewesen! Er hatte sich heruntergegeben zu ihnen, den Sündern, hatte ihre Armuth mit ihnen getheilt, ihrer Unwissenheit sich angenommen, ihre Schwächen mit Geduld getragen, ihre Fehler ihnen mit Sanftmuth verziehen; eine freundliche Rede, ein Herz voll Liebe hatten sie allezeit bei ihm, dem treuen Heiland, gefunden. Nun schickt er sich zu seinem Heimgang an. Es ist eine frühe Stunde des Tages; über Jerusalem ist kaum erst die Morgendämmerung angebrochen; in seinen Gassen ist's noch still, und Keiner denkt daran, daß der Allerheiligste, der über diese Erde gewandelt, zum Vater zurückkehrt. Der auserwählte Ort der Himmelfahrt ist der Oelberg, dieselbe Stätte, die der Herr mit seinem blutigen Schweiße getränkt, dieselbe Höhe, auf der die Jünger Zeugen gewesen waren seiner Schmach und Niedrigkeit. Um nun auf all den Segen seines Tagewerks das Siegel zu drücken, hebt er die Hände, die er in Gethsemane in heißem Gebetskampfe gerungen und am Kreuz auf Golgatha ganz willig ausgestreckt, auf über seine Jünger und segnet sie: Alles, was er von Ewigkeit gehabt, was er in der Zeit durch Leiden, Tod und Auferstehung erworben, das reicht er ihnen kräftiglich dar.

So ist die Segensgeberde die letzte, welche die Erde von ihm sah, so denkt er bei seiner Auffahrt mehr an die Seligkeit der Menschen, als an seine eigne Herrlichkeit. Und er ward aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn vor der Jünger Augen weg. Er kommt heim zum Vater. Wie werden ihn die himmlischen Heere begrüßt haben als ihren König, wie werden alle Seligen vor ihm sich geneigt haben in anbetendem Entzücken!

Nun hat er uns aufgethan und zugesprochen das Vaterland, das Vaterhaus im Himmel: „ Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch Die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.

Zeuch uns nach dir,
Herr, für und für,
Und gieb, daß wir nachfahren
Dir in dein Reich,
Und mach' uns gleich
Den auserwählten Schaaren.

Amen!

Am 28. Mai.

Unser Wandel ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes Jesu Christi, des Herrn.“ Phil. 3, 20.

Himmelan geht unsre Bahn;
Wir sind Gäste nur auf Erden,
Bis wir dort in Kanaan
Durch die Wüste kommen werden.
Hier ist unser Pilgrimsstand,
Droben unser Vaterland.

Himmelan schwing dich, mein Geist!
Denn du bist ein himmlisch Wesen
Und kannst das, was Erde heißt,
Nicht zu deinem Zweck erlesen.
Ein von Gott erleucht'ter Sinn
Kehrt zu seinem Ursprung hin.

Himmelan! Die Welt kann dir
Nur geborgte Schätze geben;
Deine himmlische Begier
Muß nach solchen Gütern streben,
Die uns bleiben, 'wenn die Welt
In ihr erstes Nichts zerfällt.

Himmelan! ich muß mein Herz
Bei dem Herrn im Himmel haben,
Denn es kann mich anderwärts
Kein so großer Reichthum laben,
Weil ich schon im Himmel bin,
Wenn ich nur gedenk' an ihn.

Himmelan! ruft er mir zu,
Wenn ich ihn im Worte höre;
Das weist mir den Ort der Ruh,
Wo ich einmal hingehöre.
Hab' ich dieses Wort bewahrt,
Halt' ich auch einst Himmelfahrt.

Himmelan wird mich der Tod
In die rechte Heimath führen,
Da ich über alle Noth
Ewig werde triumphiren.
Jesus geht mir selbst voran,
Daß ich freudig folgen kann.

Himmelan! Ach himmelan!
Das soll meine Losung bleiben!
Ich will allen eiteln Wahn
Durch die Himmelslust vertreiben.
Himmelan steht nur mein Sinn,
Bis ich in dem Himmel bin.

Amen!

Am 29. Mai.

Paulus erklärt die Zeit, in der er lebte, für eine böse Zeit (Eph. 5, 16), für eine Zeit, in der es schwer hält, auf dem rechten Pfad zu bleiben, weil der Mensch so vielen bösen Beispielen, die er täglich vor sich sieht, und dem verderblichen Geiste der Zeit, der ihn unablässig reizt und lockt, nur mit großer Anstrengung widerstehen konnte. Insbesondere aber war es für die Christen eine böse Zeit. Das Evangelium, zu dem sie sich bekannten, fand Widerspruch und Verfolgung; man suchte die Sündhaftigkeit Derjenigen, die sich dafür erklärten, auf mancherlei Weise zu ermüden und sie zum Abfall zu bewegen; sie wurden von Vielen verkannt und ungerecht beurtheilt, von Anderen für Thoren gescholten, vor Gericht gestellt, ins Gefängniß geworfen, ihrer Güter beraubt, ja selbst zum Tode geführt. Darum ermahnt der Apostel die Christen, sie möchten vorsichtig wandeln nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen, und die Zeit zur Befestigung ihres Glaubens und zur Läuterung ihrer Tugend benutzen.

Aber hat nicht, auch unsere Zeit ihre Gefahren und Versuchungen? Müssen wir nicht auch jetzt wachen und beten, daß wir nicht in Anfechtung fallen? Müssen wir nicht auch jetzt klaren Auges, festen Schrittes, ernsten Sinnes wandeln nach dem hohen, himmlischen Ziel? Wir sehen auch heute noch die Wahrheit verkannt, die Unschuld verfolgt, das Recht gebeugt, den Glauben verspottet. Noch heute ist das Evangelium von' Christo dem Einen eine Thorheit, dem Andern ein Aergerniß. Wir leben in Zeiten großer Aufregung und Umwälzung, in welchen die Gemüther sich leicht verwirren, das Auge getrübt, von dem Wege des Rechts und der Wahrheit bald abgeleitet wird. Da ist es schwer, sich vor den schädlichen Einflüssen des Zeitgeistes auf Denkart und Charakter zu bewahren; schwer, den guten Grundsätzen und der erkannten Wahrheit in allen Stücken treu zu bleiben; schwer, bei allem Stolz, Leichtsinn und hoffärtigen Wesen besonnen, demüthig, weise, keusch und züchtig zu bleiben.

Doch Gott, der uns in diese Zeit gesetzt hat, läßt sich uns nicht unbezeugt und stehet uns bei im redlichen Kampfe gegen die finsteren Mächte einer bösen Zeit. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Auch die schlimmste Zeit trägt Segen in sich für Den, der sie nur auskaufen, uns zum Besten nützen will. Schätze der Erfahrung können wir da sammeln, unsere Kräfte kennen und gebrauchen lernen, wie sonst nie.

Darum will ich dem Leichtsinne Ernst, dem Trachten nach sinnlicher Lust Freude an Gott und seinen Werken, dem Spott und Unglauben treue Anhänglichkeit an Christum und sein Evangelium, der Unruhe und dem Ehrgeiz den Frieden Gottes und ein demüthiges Herz entgegenstellen. Mit Ruhe und Besonnenheit, mit Geduld und Vorsicht will ich auf dem Wege der Ordnung und des Friedens wandeln. Dazu bedarf ich deines Beistandes, du Allerhöchster, um den ich dich bitte im Namen Jesu Christi. Amen!

Am 30. Mai.

O himmlisches Jerusalem, heilige Gottesstadt, wie glanzvoll, wie glorreich, wie erhaben bist du! Beglückt wird meine Seele sein, beglückt in Ewigkeit, wenn es mir vergönnt sein wird, deine Herrlichkeit zu schauen, deine Pracht, deine Thore, Mauern, Straßen und viele Wohnungen, deine edlen Bürger und deinen König in seinem Schmucke. Denn deine Thore sind aus köstlichen Perlen, deine Mauern aus Edelgestein, in deinen goldenen Straßen ertönt ein liebliches Hallelujah ohne Unterlaß; in deine sapphirnen Wohnungen tritt kein Befleckter.

Herrlich bist du und lieblich in deinen Ergötzlichkeiten, o Mutterstadt Jerusalem! Nichts von dem, was wir in diesem hinfälligen Leben leiden und sehen, ist in dir zu finden. Keine Finsterniß ist da, keine Nacht, kein Wechsel der Zeiten. Nicht scheinet in dir Kerzenlicht, nicht Mondesglanz oder Sternenschimmer; sondern Er, der da ist Gott aus Gott, Licht vom Lichte, erleuchtet dich immerdar. Da sitzt er, der erhabenste König, in der Mitte, und seine Knechte stehen rings um ihn her. Da sind die preisenden Engelchöre, da die Gesellschaft der himmlischen Bürger. Da begehen sie ein süßes Freudenfest, Alle, die von der trauervollen Pilgerschaft zur ewigen Heimath zurückkehren. Da steht der Propheten weissagender Chor, da die Zwölfzahl der Apostel, da die Siegesschaar unzähliger Märtyrer, da die würdevolle Versammlung der heiligen Bekenner. Da sind die heiligen Frauen, die die Lust dieser Welt und die Schwäche ihres Geschlechts überwunden haben, da Jünglinge und Jungfrauen, die ihre Jahre in reinen Sitten verlebten, da sind Schafe und Lämmer, die den Fallstricken dieser Welt entronnen, nun alle frohlocken in den eigenen Wohnungen. Einer glänzt immer Herrlicher, als der Andere; aber Eine Freude durchströmt Alle. Dort herrscht volle und vollkommene Liebe, weil Gott Alles in Allem ist. Den schauen sie unaufhörlich und in seiner Liebe erglühen sie durch sein Anschauen. All ihr Thun, ohne je schwach und matt zu werden, ist das Lob Gottes.

Heil mir, wenn auch ich nach Ablegung dieser Leibeshülle jene himmlischen Lieder hören darf, welche von den Schaaren seliger Geister zum Lobe des ewigen Königs gesungen werden! Heil mir, wenn ich auch selbst mit einstimmen und vor meinem Könige stehen darf, ihn zu schauen in seiner Herrlichkeit, wie er verheißen hat: Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch Die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, und wiederum: Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein! und abermal: Wer mich liebet, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. Amen.

Am 31. Mai.

Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu dir.“ Ps. 65, 3.

Das walte Gott, ich bin erwacht, ich habe frische Kräfte,
Und gehe, wie mich Gott bedacht, zu dem Berufsgeschäfte;
Das sei, o Vater, Sohn und Geist,
Der seit der Tauf' mein Bund'sgott heißt,
In deinem großen Namen.

Herr Jesu, laß auf ebner Bahn mich deinen Geist stets leiten;
Wir stoßen oft an Steinen an, laß meinen Fuß nicht gleiten.
Geh' du mir vor und zeuch mir nach;
Und führst du mich durch Noth und Schmach,
So hilf mir muthig folgen.
Unselig geht's die Straße hin, die zur Verdammniß führet,
Und wo man, bei der Welt Gewinn, die Seele doch verlieret.

Wie selig geht's dem Himmel zu,
Durch kurze Noth zur langen Ruh,
Durch Trauern zu den Freuden!
Herr, gieb mir Weisheit und Verstand, dies reiflich zu erwägen:
Der Fluch hängt an dem Sündenstand, am Christenthum der Segen;
Zwei Wege geht man nicht zugleich,
Der schmale führt zum Himmelreich;
Der breite zum Verderben.

O, mein Herz, hang doch Jesu an, der führt dich ein zum Leben;
Er ist's, der selig machen kann, die ihm sich ganz ergeben.
Ja, Jesu, dir geb' ich mich hin,
Wie ich von dir ergriffen bin,
So laß es mich ergreifen.
Was ich mir vornehm' oder thu', das sei zu deinen Ehren.
Sieh du selbst meinen Tritten zu, und laß dein Wort mich lehren;
Irr' oder fall' ich, greif nach mir
Und halt' mir stets das Kleinod für,
Daß ich nach dem mich strecke.

Schau ich die Welt, wie sie, berauscht, noch scherzt mit dem Verdammen
Und Erde um den Himmel tauscht, ganz sorglos von den Flammen:
Gieb, daß ich nicht zurücke seh,
Sprich mir wie Loth zu: „Eile, geh'
Und rette deine Seele!“
Herr, ich empfehl' mich deiner Huld in meiner Zeit auf Erden;
Laß deine göttliche Geduld zur Seligkeit mir werden;
Sei bei mir in der Sterbensnotha
Und führe mich auch durch den Tod
Zu Lebens-Wasserbrunnen.

Amen!

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