Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - November

Am 1. November.

Mit jedem Morgen lässest du, o Gnadenreicher, die Sonne deiner Barmherzigkeit aufgehen über Alles, was da lebet auf Erden. Wie freut sich Alles des neuen Lebens, das du ausgießest durch die ganze Schöpfung! Auch mich hast du gestärkt mit deiner Kraft und genährt mit deiner Güte. So flehe ich denn zu dir, der du die Vögel unter dem Himmel speisest und die Lilien auf dem Felde' kleidest: „unser täglich Brod gieb uns heute!“ Armuth und Reichthum gieb mir nicht, laß mich aber das mir beschiedene Theil dankbar hinnehmen; ich möchte sonst im Ueberfluß dein vergessen und in der Dürftigkeit an deiner Hülfe verzweifeln. Nur was ich bedarf, das wollest du mir geben, mein lieber himmlischer Vater! Vor Mangel und Noth, vor Kummer und Sorgen bewahre mich und die Meinen! Dazu segne meine Mühe und Arbeit, meinen Stand und mein Gewerbe. Dabei verleihe mir, mein Vater einen gefunden Leib und ein zufriedenes Herz. Dank und Preis dir für diesen Segen in irdischen Gütern. O nimm ihn nicht von mir und erhalte mich gesund an Leib und Seele. Auch die Meinen wollest du bewahren vor Krankheit, Mißmuth und Ungenügsamkeit. Laß uns friedsam bei einander wohnen und einander mit aller Demuth und Sanftmuth, mit Geduld und Freundlichkeit begegnen und täglich wachsen in der Liebe. Sei du unser Führer und Regierer, unser Schild und Hort, unser Herr und Vater. Dann wird es uns an keinem Gute mangeln und wir werden reich werden in allen Stücken an aller Lehre und in aller Erkenntniß. Wo Glaube und Liebe, Friede und Eintracht wohnen, da bist du, Herr, mitten unter uns und giebst zu allem Guten das Beste, deinen Segen. Amen.

Am 2. November.

So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und so ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder, mit. Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein Jeglicher nach seinem Theil.“ 1. Cor. 12, 26 und 27.

Durch den Glauben und in der Liebe sind wir auf's Innigste verbunden mit unserm Herrn Jesu Christo. Die dem Herrn anhangen, sind mit ihm ein Herz und eine Seele. Er kommt zu den Armen und Kranken, zu den Mühseligen und Beladenen, zu den Sorgenvollen und Kummerbeschwerten. Seufze ich im Elend und allein Leid geht Niemand zu Herzen, so wendet er sich zu mir in herzlichem Mitleid und erquicket mich mit seiner Liebe. Das erwecket in mir Vertrauen und Hoffnung, giebt Geduld und Standhaftigkeit, und erhebet das Herz zur Heimath des Friedens, wo abgetrocknet werden alle Thränen und wo wir in seliger Gemeinschaft mit Christo leben und mit allen Engeln und Auserwählten den Ewigen anbeten im Geist und in der Wahrheit.

Aber schon hienieden soll unsere Verbindung mit Christo, dem Haupte der Gemeinde, kund werden durch eine herzliche Liebe gegen die Brüder. „Ein neu Gebot gebe ich euch, sprach er zu den Seinen, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebet habe, auf daß auch ihr einander lieb habet. Dabei wird Jedermann erkennen, daß Ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt.“ Joh. 13, 34 und 35. Der Herr weiset uns hin auf die Verweiseten und Verlassenen, auf die Armen und Nothleidenden, auf die Mühseligen und Beladenen und was wir einem derselben thun in christlicher Liebe, das haben wir ihm gethan. Wer ein Kind aufnimmt in meinem Namen, spricht er, der nimmt mich auf. So machen wir uns theilhaftig der Heiligen Nothdurft, so sehen wir in dem Niedrigsten und Aermsten den Miterlöseten durch Christum, nehmen des Nächsten Wehe zu Herzen und weinen mit den Weinenden. Darum will ich meines Nächsten Leid mein Leid sein lassen, und es soll mir wehe thun, als duldete ich es selbst. Ein Glied, das seines Mitgliedes Schmerzen nicht fühlt, ist abgestorben. Hat doch Jesus unser Elend auf sich genommen und ein tiefes Mitleid mit unserm Jammer und unsrer Noth gehabt. Wie könnte ich denn kalt bleiben bei solcher Liebe und Christum verläugnen in meinem armen Mitbruder! Ein besonderer Gegenstand meiner sorgenden Liebe sollen Diejenigen sein, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die noch fern sind vom Reiche Gottes oder durch ein sündiges Leben abgefallen sind von Dem, der sie theuer erkauft hat. Ach, erhalte mein Herz mild und theilnehmend, du lieber himmlischer Vater, auf daß es nicht erstarre in Selbstsucht, sondern mit dem barmherzigen Samariter sich aufschließe für die in Armuth und Noth versunkenen Brüder. Amen.

Am 3. November.

Gott ist der wahre Inbegriff des Lebens, von dem, durch den und in dem Alles lebet, was in Wahrheit selig lebt. Gott, ist das vollkommene Gute und Schöne, von dem, durch den und in dem Alles ist, was gut und schön genannt wird. Gott, an den zu glauben uns eine Ermunterung, auf den zu hoffen unser Trost, den zu lieben uns ein Band der Gemeinschaft ist. Gott, der du dich suchen heißest, dich finden lässest und dem Anklopfenden aufthust! Gott, vor dem die Abkehr ein Fallen, Bekehrung zu ihm ein Auferstehen, in dem zu bleiben ein Feststehen ist. Gott, den Niemand verliert, als durch Betrug der Sünde, den Niemand sucht, als der Gewarnte, den Niemand findet, als der Geheiligte, Gott, den zu kennen Leben, dem zu dienen Herrschen ist, dessen Lob zu verkünden der Seele Heil und Freude ist. Dich lobe ich mit Herz und Lippen und aus allem Vermögen; ich benedeie dich und bete dich an, ich danke deiner Milde und Güte für alle deine Wohlthaten und singe zur Ehre deines Namens: Heilig, heilig, heilig ist der Herr! Ich stehe zu dir, heilige Dreieinigkeit, komme zu mir und mache mich zum würdigen Tempel deiner Ehre. Den Vater bitte ich durch den Sohn, den Sohn durch den Vater, und den heiligen Geist durch den Vater und Sohn, daß alle Sünde mir ferne bleibe und dagegen alle Tugenden mir eingepflanzt werden. Unendlicher Gott, von dem, durch den und in dem Alles geschaffen ist, Beides das Sichtbare und Unsichtbare, weil du alle deine Werke trägst und mit deinem Wesen 'erfüllst, sie beschirmst und behütest, behüte auch mich, das Werl deiner Hände, der ich auf dich hoffe und deiner Barmherzigkeit traue. Sei du mein Wächter hier und allenthalben, jetzt und immer, zu Hause und draußen, vor und hinter mir, über und unter mir, von allen Seiten daß keine Stelle an mir den Nachstellungen meiner Feinde bloß sei. - Du bist der allmächtige Gott, der Wächter und Beschirmer Aller, die auf dich hoffen, ohne den Niemand dein Eigenthum, Niemand vor Gefahr sicher sein kann. Du bist Gott, und außer dir ist kein andrer Gott, weder oben im Himmel, noch unten auf Erden; du schaffest große, wunderbare, unerforschliche Dinge, deren keine Zahl ist. Dir gebühret Lob, Ehre und Preis; dir singen alle Engel deines Himmels und alle Fürstenthümer Loblieder. Wie dem Schöpfer, die Schöpfung, dem Herrn die Sclaven, dem Könige die Krieger; so singen sie ohne Aufhören dein Lob, so erhebt dich, heilige und untrennbare Dreieinigkeit, alle Creatur, und alle Geister loben dich. Amen.

Am 4. November.

Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke und viel thörichter und schädlicher Lüste, welche versenken die Menschen in's Verderben und Verdammniß.“ 1. Tim. 6, 8.

Der Christ ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, nach Eigenthum zu streben. Niemand verachte und verdamme den Reichthum. Gott selbst ist der Allerreichste und sein Segen macht unermeßlich reich. Treue Haushalter sollen wir sein über die Güter, die Gott uns gegeben und nach weisen Absichten verschieden ausgetheilt hat; wir sollen das verliehene Pfund nicht im Schweißtuche bewahren, sondern damit wuchern zu Nutz und Frommen unserer Brüder.

Aber unser Herz müssen wir nicht hängen an Geld und Gut, im Besitz desselben nicht das Glück unseres Lebens suchen. Verdammlich ist die unordentliche, ungezähmte Lust, reich zu werden, da man Tag und Nacht darauf sinnet und dichtet, wie man viel Gold und Silber zusammentrage. Wer sein Knie beugt vor dem irdischen Mammon, vor dem Götzen dieser Zeit, der verliert Gott aus seinem Herzen und Leben, der treibt eine schnöde Abgötterei und fällt aus einer Sünde in die andere.

Die höheren Güter des Geistes, der Segen eines frommen Herzens, der Friede eines gerechten Lebens, die stille Einfalt häuslicher Glückseligkeit werden gering geachtet, und nur, was Geld erwirbt, die Güter mehrt und die Schätze häuft, wird gesucht, geschätzt und erstrebt. Damit verfällt der Geizige aus einer Thorheit in die andere, giebt das Edelste und Beste, das Wohlgefallen Gottes, seinen guten Namen, den Frieden seines Gewissens hin für feiles Geld. Er nähret den Neid und die Mißgunst in seinem Herzen, sieht mit scheelen Augen auf die größeren Güter des Nachbars und freut sich, wenn diesen ein Unfall trifft. Der Geizige wird so verstrickt und verwirrt in seinen Begierden und Anschlägen, daß er sich nie wieder herausfinden kann aus dem Sündennetz. In seinem Innern trocknet allmählig die Quelle edler Handlungen, guter Gesinnung und theilnehmender Liebe aus und er erstarret in kalter Selbstsucht. Ruhig kann er den Schiffbruch seines Bruders mit ansehen, ja seine Brust wird gehoben von stiller Freude, wenn das wogende Meer einige Trümmer des gescheiterten Schiffes an seine Ufer wirft. Der böse Dämon des Goldes, der seine Augen geblendet und sein Herz bethört hat, treibt ihn in steter Angst und Unruhe durch's Leben und steht mit Hohn in der einsamen Stunde des Todes an seinem Sterbelager. Fort aus der Welt, die alle seine Schätze umfaßt und hin in die Ewigkeit, die keine Güter und keine Freuden für ihn hat. Armer, armer Mensch mit all deinen Reichthümern! Wir haben nichts mit in die Welt gebracht, und es ist offenbar, wir werden auch nichts mit hinausnehmen. Darum, mein Gott, „Armuth und Reichthum gieb mir nicht, laß mich aber mein bescheiden Theil Speise dahinnehmen. Ich möchte sonst, wo Ich zu satt würde, dich verläugnen und sagen: wer ist der Herr? Oder wo ich zu arm würde, möchte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen.“ Spr. Sal. 30, 8 und 9. Ich will nicht hoffen auf den ungewissen Reichthum, sondern auf den lebendigen Gott. Amen.

Am 5. November.

Der Herr ist Gott, der uns erleuchtet.“ Ps. 118, 27.

Gott, erleuchte meine Seele,
Mit dem Licht der Ewigkeit!
Nimm hinweg von meinen Augen
Alle Nacht und Dunkelheit;
Rühre die erwachten Sinne
Mit dem Geist des Lebens an;
Mache dieses Leibes Glieder
Deinem Willen unterthan.

Leite meinen Schritt am Morgen
Auf den Weg des Friedens hin,
Daß ich vor dir geh' und wandle,
Und am Abend bei dir bin.
Führe mich auf rechter Straße,
Wo ich Jesu Füße seh',
Daß ich nicht die Spur verlasse
Und in das Verderben geh'!

Herr, du siehst mich allenthalben,
Allerorten, wo ich bin;
Wo ich wandle, wo ich bleibe,
Richtet sich dein Auge hin
Wie die Sonne dort vom Himmel
Auf den Kreis der Erde schaut,
Und in jedes Tröpflein leuchtet,
Das im niedern Grase thaut.

Dort, wohin den Blick ich richte,
Ist die Gegenwart des Herrn;
Seinem Geist und Angesichte
Ist das Fernste nicht zu fern.
Nahm' ich Flügel gleich den Winden,
Flög' an's Meer, so bleibst du nah;
Bettet' ich mir in der Tiefe
Tiefsten Grund, so bist du da.

Großer Gott, laß deine Nähe
Allezeit mir tröstlich sein;
Laß vor deinem Angesichte
Nicht verschmachten mein Gebein.
Laß mich Trost und Gnade finden
In dem Glanze deiner Macht;
Halte mich in deinen Händen,
Wenn mein Geist zu dir erwacht.

Sieh' herab vom höchsten Sitze
Auf dein Volk in dieser Welt;
Neige deines Scepters Spitze
Ueber Jacob's Wanderzelt.
Laß von deinem Angesichte
Segen strömen auf die Flur;
Mach', o Gott, in deinem Lichte
Fröhlich alle Creatur'!

Laß dein Antlitz mit uns gehen
In dem Wandel dieser Zeit,
Bis einst unsre Füße stehen
Auf den Höh'n der Ewigkeit.
Laß in dieser Wallfahrt Gränzen
Deine Hand uns nahe sein,
Bis einst unsre Häupter glänzen
In der Klarheit Widerschein.

Herr! dein Wort ist Ja und Amen,
Gott, erhöre mein Gebet,
Weil ich bitt' in dessen Namen,
Der zu deiner Rechten steht!
Dein Erbarmen hat kein Ende; -
Sieh herab auf dieses Haus;
Breite deine Segensbände
Ueber deinen Kindern aus!

Amen!

Am 6. November.

„Thut Buße und glaubet an das Evangelium!“ Marc. 1, 15.

Dies war der Zuruf, mit welchem der Erlöser beim Beginn seines Lehramts Alle einlud zu dem Reiche Gottes, das er aufrichten wollte auf Erden. Ohne die Buße mögen wir auch Christum nicht finden, das Bedürfniß der Erlösung nicht fühlen, seine Hülfe und Gnade nicht begehren. Denn was ist sie anders, als jener tiefe Schmerz über unsere sündlichen Begierden und Thaten, als jene entschlossene Umkehr vom Bösen zum Guten, als jene beharrliche Bekämpfung der Sünde, die uns unablässig ruft, reizet, locket und irre führt, als jene freudige Hingebung des ganzen Lebens an den Erlöser, der uns frei machen will von dem Joche des vergänglichen Wesens und uns erheben will zu der Freiheit der Kinder Gottes. Darum ruft auch Paulus der versammelten Menge zu: „So thut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünde vertilget werde.“ Apost. Gesch. 3, 19. Hat das Wort von der Erlösung Wurzel gefaßt in unserer Seele und uns die Herrlichkeit offenbart, die in Jesu Christo ist; ist das Gemüth ergriffen von der Ahnung des höhern Lebens, zu welchem wir berufen sind durch das Evangelium des Friedens, damit wir nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Hausgenossen des himmlischen Reiches sind; ist uns im Herzen aufgegangen die freudige Zuversicht zu dem Vater im Himmel, der die gefallene Welt durch den eingeborenen Sohn wieder zu sich emporheben will; ergreift und erfüllt uns der Glaube an die versöhnende Kraft des Erlösers, an die Göttlichkeit seiner Lehre, an die Wahrhaftigkeit seiner Verheißungen: dann erscheint uns das gesamte Leben in der Verklärung der göttlichen Gnade, das Ziel unserer gedachten Wallfahrt im Himmel; dann erkennen wir, daß diese Welt uns nichts geben und nichts nehmen könne, was unsere tiefste Liebe und unsern heißesten Schmerz verdiene; dann fühlen wir uns aufgefordert, unablässig zu wachen und zu beten, damit wir nicht in Anfechtung fallen, sondern unsern Beruf für das ewige Leben immer fest im Auge behalten; dann trachten wir darnach, als Kinder Gottes das Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung, davonzutragen, damit nichts Verdammliches mehr an uns gefunden werde. O daß ich in dieser Buße immer wandeln und erbauet werden möchte auf den allerheiligsten Glauben, der uns gegeben ist! Bei aller Freudigkeit zu Gott soll doch jeder Tag für mich ein Bußtag sein. Amen.

Am 7. November.

Ach der armen Seele, welche Christum nicht sucht, noch liebt; sie bleibt dürre und elend. Der verliert seine Lebenszeit, welcher dich, mein Gott, nicht liebt. Wer zu leben sucht nicht um deinetwillen, o Herr, der ist nichts und für nichts zu achten. Wer dir zu leben sich weigert, der ist todt und wer in dir nicht weise ist, der ist ein Narr.

O du Allerbarmherzigster, ich befehle mich dir, ich ergebe mich dir, ich stelle mich gänzlich dir anheim, durch welchen ich bin, lebe und Weisheit besitze. Auf dich traue ich, hoffe ich, durch welchen ich wieder auferstehe, lebe und ruhe. Dich ersehne ich, dich liebe ich und bete dich an, mit welchem ich bleiben, herrschen und selig sein werde.

Die Seele, welche dich nicht sucht noch liebt, liebt die Welt, dient den Sünden und ist den Lastern unterworfen; sie ist niemals ruhig, niemals sicher. O Allgütigster, laß dir meine Seele allezeit dienen, laß mich in dieser meiner Pilgerschaft allezeit nach dir seufzen, laß mein Herz in deiner Liebe glühen, laß meine Seele in dir, mein Gott, ruhen, laß sie dich anschauen, dir dein Lob singen in Jubeltönen und laß dies meinen Trost sein in dieser meiner Verbannung.

Laß meine Seele unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht finden vor der Gluth der weltlichen Gedanken, laß mein Herz in dir Rast halten, das Herz, welches gleich dem großen Meere von Fluthen schwellt. O Gott, der du reich bist an allen köstlichen Speisen himmlischer Sättigung, o du allerreichster Gnadenspender, gieb dem Müden Speise, sammle den Zerstreuten, befreie den Gefangenen und heile den Zerrissenen. Siehe, er stehet vor der Thür und klopfet an. Ich bitte dich durch deine herzliche Barmherzigkeit, nach der du uns besucht hast, du Aufgang aus der Höhe, laß der Seele, die da anklopft, doch aufthun, daß sie mit freien Tritten zu dir eingehe und in dir ruhe und von dir erquickt werde mit dem Himmelsbrode. Denn du bist das Brod und die Lebensquelle, du Licht der ewigen Klarheit, du bist Alles, da von dir, so dich liebhaben, ihr rechtes Leben schöpfen. Amen.

Am 8. November.

Bedenk' ich deine große Treue,
Bedenk' ich meine tiefe Schuld,
Dann fühl' ich heiße Scham und Reue,
Und preis in Demuth deine Huld.

Ich bin nur Staub, aus Staub geboren,
Bin irdisch und verweslich noch,
Und bin zur Herrlichkeit erkoren,
Bin himmlisch auch und ewig doch.

O Vater, deine große Liebe,
Wie kann ein Mensch sie je versteh'n!
Gieb, daß ich mich in Demuth übe,
Den Weg, den du mich führst, zu geh'n.

Die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Reue, die Niemanden gereuet; die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod.“ 2. Cor. 7, 10.

Je lebendiger das Gefühl der eigenen Unwürdigkeit sich in uns regt; je treuer das Bild des bisherigen Lebens vor unsere Seele tritt; je tiefer die Traurigkeit greift, die unser Herz über verlorene Stunden und vergeudete Kräfte erfüllt: desto drückender und peinlicher wird für uns der Gedanke an die verflossenen Tage. Die Zeit, die dem freien, ehrenreichen Dienste des Herrn gehörte, wurde der schmachvollen Knechtschaft der Sünde geopfert. Die Kräfte, die zu heiligen Zwecken Gottes geübt und genützt werden sollten, sind zur Befriedigung irdischer Wünsche und Begierden gemißbraucht worden. Unreine Gedanken statt frommer Neigungen, verderbliche Irrthümer statt heilsamer Erkenntnisse, quälende Vorwürfe statt süßen Bewußtseins, Thränen der Gekränkten statt der Segnung beglückter Brüder: das ist der traurige Ertrag verlorener Tage. Und welche Schmerzen stehen uns noch bevor? Welche Ernte wird der bösen Saat entkeimen? Welche traurige Folgen früherer Verirrungen wird die Zukunft uns bringen? Was auch die eigene Klugheit von der Verderbtheit, von der Schwachheit, von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur sagen, was der Verstand von der Macht des Beispiels, von dem Geiste der -Zeit, von der Heftigkeit des Temperaments vorbringen mag: ach, des Herzens tiefe Traurigkeit, den Schmerz der Reue kann sie nicht mildern. Aber ein Strahl der Hoffnung fällt in die Nacht seiner Traurigkeit; eine milde, versöhnende Stimme füllt den Aufruhr seines Innern. „Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ Dies ist die Stimme des treuen Hirten, der dem verlorenen Schäflein nachgehet, der es aus der Wüste heimführt zu den grünen Auen, auf welchen seine Herde Nahrung die Fülle findet. Er hat sein Leben gegeben zur Versöhnung für Viele; er hat unsere Sünden geopfert an seinem Leibe auf dem Holze; er ist des Gesetzes Ende, wer an ihn glaubet der ist gerecht. Durch ihn haben wir Zugang zu Gott und Ruhe für unsere Seele. So halte denn fest in deiner seligen Gemeinschaft, mein barmherziger Heiland, und verleihe mir in tiefer Traurigkeit deinen Trost und Frieden. Amen.

Am 9. November.

Ich trete mit Freudigkeit zu deinem Gnadenstuhl, o Ewiger, der du mir deine Barmherzigkeit gewährest auf die Zeit, wenn Hülfe mir noth sein wird. Herz und Hände erhebe ich voll Dankes zu dem Throne deiner göttlichen Majestät, von dem wir so unzählige Wohlthaten zugeflossen sind während der ganzen Zeit meines Lebens und auch in der vergangenen Nacht. Du bist allezeit meine Stärke und Schutz, mein Erretter und Tröster, mein Vater und Fürsorger gewesen. In der Finsterniß warst du mein Licht, in der Gefahr mein Beschützer, in der Schwachheit mein Helfer, in der Verfolgung meine Burg, in der Verzagtheit mein trostreicher Hort.

Ja, Herr, du hast Großes an mir gethan und dein Aufsehen bewahret meinen Odem. Sollte ich dir denn nun auch nicht mein Herz zum Eigenthum, mein Leben zu deinem Dienste geben! Wollte ich noch wo anders Rath, Trost, Hülfe und Rettung suchen! Nein, auf dich will ich schauen, mit dir an die Arbeit gehen, zu dir meine Hände erheben, auf dich all meine Hoffnung setzen.

Gieb mir Gnade, o Gott, daß ich diesen ganzen Tag in deinem Lichte wandle und alle Werke der Finsterniß fliehe. Stehe mir bei, daß ich verläugne alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig lebe in dieser Welt. Laß mich anziehen herzliches Erbarmen, Sanftmuth, Freundlichkeit, Demuth und Geduld, hingegen den alten Menschen ausziehen mit seinen Werken, Ungerechtigkeit, Falschheit, Zwietracht, Uneinigkeit und Bosheit. Weihe dir selbst mein Herz zu einem Tempel und laß ihn durch keine arge Gedanken, durch keine leichtsinnige Reden oder böse Handlungen entweiht werden. Gieb mir Waffen des Lichts in die Hände, zu streiten wider die Macht der Sünde. Stärke, kräftige, gründe mich durch dein Wort immer mehr zu einem ungefärbten, festen und lebendigen Glauben und mache mich immer tüchtiger zum Erbtheil der Heiligen im Lichte: Laß unverwandt mich hinsehen auf die Krone der Gerechtigkeit, die nach deines Sohnes Verheißung am Ziele winkt. Segne und behüte meinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

Zu dir, an dem mein Glaube hält,
Soll auch in dem Geräusch der Welt
Sich still mein Herz erheben,
Bin ich vereinigt nur mit dir,
Wirst du in aller Unruh' hier
Mir Fried' und Ruhe geben.
Einst, Herr, hoff' ich,
Dich zu loben,
wo dort oben
für die Frommen
Wird der ew'ge Morgen kommen.
Amen!

Am 10. November.

Wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ Röm. 11, 34.

Oft sind die Wege der Vorsehung sehr dunkel und verborgen; sie hüllen sich vor unsern blöden Augen in Nacht und Finsterniß und kein Sterblicher vermag sie zu durchsuchen. Gott beschließt nach seiner großen Barmherzigkeit, sich des armen, verirrten, sündenvollen Menschengeschlechts zu erbarmen und ihm in seinem eingeborenen Sohn einen .Heiland und Erlöser zu senden, und er läßt es geschehen, daß dieser sein Sohn, der heilig, gerecht und von den Sündern abgesondert war, verfolgt, geschmähet, gemartert und an's Kreuz geschlagen wird. Gott will eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen, einen neuen Bund stiften und das Reich des Lichtes und der ewigen Gnade gründen - und gleichwohl gestattet er, daß dieses Reich angegriffen und bekämpft, die Herolde seines Evangeliums verfolgt und getödtet werden. Gott rüstet Jesum mit dem heiligen Geist und mit Kraft, und erfüllet seine Apostel mit hoher Begeisterung, mit Muth und Wundergaben: und doch müssen sie vor ihren Verfolgern fliehen, die Gemeinden zerstört sehen und das Blutgerüst besteigen, als das heilige Werk kaum begonnen war. Das Reich der Finsterniß seien einen Triumph nach dem andern, und die Freunde des Herrn sehen mit Schmerz und Wehe in diese grausame Zerstörung. Und diesen Schmerz empfinden wir noch immer, wenn wir die Tugend verfolgt, das Recht gebeugt, den Glauben verspoltet und das Land des Friedens verwüstet sehen. Immer noch wiederholen sich die Greuel des Krieges, die Schrecken der Gewalt, die Angriffe der Bosheit, die Spöttereien des Unglaubens, und es ist nicht abzusehen, wohin das Alles noch führen werde. Doch unerforschlich sind Gottes Gerichte. Was wir für das letzte Ziel halten, ist oft nur ein Ruhepunkt; was wir den höchsten Zweck nennen, ist nicht selten nur ein Mittel, ein Entwickelungs- und Durchgangspunkt zu einer höhern Vollendung; was wir als hoch, wichtig und entscheidend ansehen, ist oft nur eine unbedeutende, schnell vergehende Erscheinung. Die ewige Weisheit führet aus der Nacht den Tag, aus dem Winter den Frühling, aus dem Kriege den Frieden, aus der Zerstörung eine heilige Ordnung, aus dem Tode das Leben, aus der Kreuzesnoth die ewige Herrlichkeit. Dabei sind tausend Jahre vor Gott wie ein Tag, der gestern vergangen ist. Oft erst nach Jahrhunderten rechtfertigt Gott seine Wege und Gerichte. Späte Geschlechter ernten in Frieden den Segen, zu dem setzt im Sturm die Saat ausgestreuet wird. Wir verehren jetzt in tiefer Demuth die Wege des Herrn in dem Schicksale Jesu und seiner Kirche, und unsere Nachkommen werden die Früchte von der blutigen, thränenreichen Aussaat unserer Zeit genießen. Darum, mein Gott, unterwerfe ich mich deiner gewaltigen Hand und bete dich in Demuth an, auch wo ich deine Wege nicht verstehe. Amen.

Am 11. November.

Erkennet doch, daß der Herr seine Heiligen wunderlich führet; der Herr erhöret uns, wenn wir ihn anrufen. Er bringet uns zwar in Trübsal, aber führet doch Alles herrlich hinaus.“ Ps. 4, 4.

Sind mir auch des Herrn Wege dunkel, so führen sie doch alle zu einem glücklichen Ziele. Gott ist heilig und fördert in seinem unermeßlichen Reiche das wachsende Heil und die höhere Seligkeit aller Geister. Alle sollen zur Erkenntniß der Wahrheit und zum Schauen seiner ewigen Herrlichkeit gelangen. Die Alles durchschauende, Alles regierende Vorsehung kann in den Mitteln zu heiligen Zwecken nimmermehr irren. Zahllos sind die Wege, zahllos die Umstände und Personen, die sie zur Ausführung ihres Willens braucht. Reichthum und Armuth, Hoheit und Niedrigkeit, Gesundheit und Krankheit, Krieg und Friede, Verlust und Gewinn, Glück und Unglück, Leben und Tod - Alles dient nach Gottes weisem Plan zur Veredelung, Ausbildung und Erhöhung in Weisheit und Herrlichkeit für seine Menschenkinder. Sen gnädiger Wille heißt: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott.“ 3 Mos. 19,2. „Es hilft keine Weisheit, kein Verstand, kein Rath wider den Herrn.“ Spr. Sal. 16, 9. Was schon in früheren Zeiten der fromme Joseph sprach, als er sich seinen Brüdern entdeckte, die ihn zum Sclaven verkauft hatten: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott hat es gut gemacht, wie es jetzt am Tage ist, zu erhalten viel Volks“, - das erfahren Alle, die auf den Gang des Lebens achten; das erfuhr insbesondere der Sohn Gottes, der auf dunklem, blutigem Wege die Erlösung des Menschengeschlechts vollenden mußte. Welch ein neues, lichtes, herrliches Leben erstand aus der Schmach des Kreuzes, aus der Finsternis) des Grabes! So führen die Wege Gottes immer zu einem erhabenen Ziele. Auf dieses Ziel will ich hoffend blicken, wenn mir die Wege der Vorsehung rauh und dornig scheinen; wenn das, was sie veranstaltet oder zuläßt, für mich mit Gefahren und Leiden verbunden ist; wenn Zeiten der öffentlichen Noth kommen und Stürme des Unglücks die Rube der Länder, das Wohl der Völker erschüttern.

Ich will für die Zukunft nicht ängstlich sorgen, sondern meine Schicksale der weisen und huldreichen Regierung Gottes ruhig überlassen. Ich will dem Herrn meine Wege befehlen und alle meine Anschläge legen in seinen Rath. Wie er den jungen Raben sein Futter giebt, und die Lilien auf dem Felde kleidet, so sorgt er auch väterlich für die Menschenkinder und leitet das Schicksal eines Jeden mit Weisheit und Güte. Alle Haare auf meinem Haupte sind gezählet und die Gedanken meiner Seele sind ihm nicht verborgen. „Der Herr schauet vom Himmel und siehet aller Menschen Kinder; von seinem festen Throne siehet er auf Alle, die auf Erden wohnen. Er lenket ihnen allen das Herz und merket auf alle ihre Werke.“ Ps. 53, 13-15.

In deine Hand befehle ich
Mein Wohlsein und mein Leben.
Mein hoffend Auge schaut auf dich,
Dir will ich mich ergeben.
Sei du mein Gott,
Und einst im Tod
Der Fels, auf den ich traue,
Bis ich dein Antlitz schaue.
Amen!

Am 12. November.

Verwundert euch nicht, meine Brüder, ob euch die Welt hasset.“ 1. Joh. 3, 1.3.

Der liebe Apostel redet zu Solchen, die, wie er, von dem Herrn errettet sind aus dieser argen Welt, die mit ihm in Christo Jesu ihr Ein und Alles haben, denen die gliedliche Gemeinschaft am Leibe Christi das Köstlichste ist. Daß die Welt solche Kinder Gottes schmäht, haßt und verfolgt, darüber dürfen wir uns nimmermehr verwundern. Die Feindschaft der Bösen ist ein Erbstück der Frommen von Alters her bis auf diesen Tag, und es wird so bleiben, so lange Kains und Abels Art auf Erden zusammenwohnet; der Hast der Welt ist ein ausdrückliches Vermächtniß des Herrn an seine Jünger. Hat sie nicht Christum, der sie doch bis in den Tod geliebt, zuvor gehaßt? Und hat er, der ewige Sohn Gottes, den Seinen nicht schon zuvor gesagt: „So euch die Welt hasset, so wisset, daß sie mich vor euch gehasset hat, wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das ihre lieb, dieweil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch erwählet, darum hasset euch die Welt.“ (Joh. 15, 18.) Wie könnte es auch anders sein? Die Kinder dieser Welt trachten nach dem, was auf Erden, die Gläubigen nach dem, was droben ist, jene nach Gold, diese nach Gott; jene nach Ehre vor den Menschen, diese nach Ehre vor Gott; jene rühmen sich ihrer Sünden, diese bereuen sie Tag und Nacht; jene hassen das Licht, diese die Finsterniß. Kann auch ein Dornstrauch Trauben tragen? Mag man auch Feigen lesen von den Disteln? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsterniß? Was dem gefunden Auge wohlthätig und erwünscht, das ist dem kranken Auge schmerzlich und zuwider. Der bloße Wandel der Frommen straft schon die Sünde, enthüllt die Bosheit und offenbart das Verderben fleischlich gesinnter Menschen. Es ist der Welt unleidlich, daß die Kinder Gottes anders sein sollen, als sie ist; wer besser und seliger ist, der ist ihr ein Dorn im Auge, den haßt sie. Darum wird dieser Haß der Welt auch gewissermaßen ein Kennzeichen der Christen, wenn auch kein untrügliches, denn mancher, der viel Haß erfährt, ist deshalb doch kein Christ, und für einen Augenblick verbirgt sich zuweilen der Haß gegen die wahren Christen, wie der Gemeinde zu Jerusalem geschah, die eine Zeit Gnade hatte bei allem Volke.

Wollen wir uns der Gnade Gottes getrösten, so dürfen wir der Welt Freundschaft nichts achten, wollen wir den Himmel haben, so müssen wir diese Welt und ihren Dienst fahren lassen. Der Menschen Haß kann uns doch Gottes Gnade nicht rauben. Der Herr wird uns zu Ehren bringen aller Bosheit zum Trotz, er wird unsere Gerechtigkeit hervorbringen wie das Licht und unser Recht wie den Mittag.

Ist Gott für mich, so trete
Gleich Alles wider mich!
So oft ich ruf' und bete,
Weicht Alles hinter sich.

Hab' ich das Haupt zum Freunde
Und bin geliebt bei Gott:
Was kann mir thun der Feinde
Und Widersacher Rott'?
Amen!

Am 13. November.

In der Angst der Welt will ich nicht klagen,
Will hier keine Ehrenkrone tragen,
Wo mein Herr die Dornenkrone trug, -
Will nicht hier auf Rosenpfaden wallen,
Wo man ihn, den Heiligsten von Allen,
An den Stamm des Sünderkreuzes schlug.

Gieb mir, Herr, nur für die Lebensreise
Deine Wahrheit, die den Weg mir weise,
Und den Geist, der diesen Weg mich führt.
Gieb ein Herz, das gern sich führen lasse
Auf der graden, schmalen, steilen Straße,
Die dein heil'ger Fuß einst selbst berührt!

Mache mich im Glauben immer treuer,
Und des Glaubens Frucht, das heil'ge Feuer
Ungefärbter Liebe, schenke mir!
Ohne sie könnt' ich nicht weiter schreiten;
Zu der Liebe kann nur Liebe leiten,
Sie nur führt mich durch die Welt zu dir.

Freundlich hast du mich zu dir gerufen,
Lieber Herr, doch sind noch viel der Stufen,
Die zum Himmel ich ersteigen muß.
O so reiche deinem schwachen Knechte
Aus dem Himmel deine Gnadenrechte, -
Unterstütze, leite meinen Fuß!

Und recht hoffnungsvoll in deinen blauen,
Schönen, fernen Himmel laß mich schauen,
Wenn ich von der Wallfahrt müde bin:
Daß ich hier im tiefen Thal der Schmerzen
Einen festen Frieden hab' im Herzen,
Einen klaren, himmelsfrohen Sinn.

Ja, ich bin ein Fremdling hier auf Erden,
Muß hier tragen mancherlei Beschwerden,
Bin ein Pilger, arm und unbekannt;
Und das Kreuz ist meiner Wohlfahrt Zeichen,
Bis ich werd' mein Kanaan erreichen,
Das ersehnte, liebe Vaterland.

Amen!

Am 14. November.

Wachset in der Gnade und Erkenntniß unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi.“ 2. Petr. 3, 18.

Das Evangelium dringt auf allen Blättern auf Fortschritt und Wachsthum im Guten auf Bereicherung christlicher Erkenntniß und Einsicht, auf fortgehende Reinigung und Besserung des Herzens und Lebens, auf zunehmende Entwickelung und Bildung aller geistigen Fähigkeiten und Kräfte zur möglichsten Aehnlichkeit mit Gott. Wir sollen uns von der Wahrheit und Göttlichkeit des christlichen Glaubens immer lebendiger und fester überzeugen, immer verständiger werden, was des Herrn Wille sei, das Wort Gottes unter uns reichlich wohnen lassen, vollkommen werden, wie unser Vater im Himmel auch vollkommen ist. So wird' unser Glaube mehr Kraft, unsere Erkenntniß mehr Gewißheit, unsere Liebe mehr Lauterkeit, unsere Gesinnung mehr Gottseligkeit, unsere Hoffnung mehr Freudigkeit und unser ganzes Leben mehr Werth, Gehalt und Wirksamkeit erhalten. Christus wird zu uns kommen und Wohnung bei uns machen, wird unsern Geist erleuchten, unser Herz veredeln und uns seines ewigen, heiligen, seligen Friedens theilhaftig machen.

Ach, wer doch zu dieser seligen Gemeinschaft mit Gott durch Jesum Christum, zu diesem Frieden mit sich selbst, zu diesem ernsten und festen Trachten nach dem, was dort oben ist, gelangen könnte! Aber das Leben im Staube kann die Herrlichkeit Gottes nicht fassen, die Klarheit des ewigen Lichtes nicht ertragen, die Seligkeit der Vollendeten nicht schauen. Erst wenn die Bande des irdischen Lebens gelost sind und die freie Seele sich erbebt zur Heimath des ewigen Friedens, dann werde ich es können und meine Seele wird voll unaussprechlicher Wonne mit einstimmen in das große? Hallelujah der Auserwählten. Wie glücklich, daß ich dies weiß, daß ich es vorempfinden kann in heiliger Ahnung, daß mir in Christo der Weg und das Leben, die Erlösung und Heiligung gegeben. An Ihn will ich mich halten, von Ihm lernen, mit Ihm die Welt überwinden. Ihn umfassen in der Todesstunde, mit Ihm treten zum Throne des Ewigen.

Laß mich, Jesu, für und für
Dich in meinem Herzen tragen.
Könnt' ich doch in Wahrheit sagen,
Jesus Christus lebt in mir!
Dann hätt' ich das rechte Leben;
Alles, Alles wäre mein.
Christus, der sich mir ergeben,
Würde dann mein Reichthum sein.
Mich erleuchtete sein Licht,
Wenn das Herz im Tode bricht.
Amen!

Am 15. November.

Ein mit Gottes Liebe erfülltes Herz denkt allewege: Wann werde ich einmal zu Gott kommen? Wann werde ich die Welt verlassen? Wann werde ich einmal von meiner sterblichen Hütte erlöset werden, daß ich den wahren Frieden finden möge?

Dies Herz und sein Verlangen ist immer auf die himmlischen Dinge gerichtet. Ein solcher Mensch mag sitzen oder gehen oder ruhen oder sonst etwas thun, so ist doch sein Herz nimmer von Gott abgewandt. Er vermahnt alle Menschen zu der Liebe Gottes, er empfiehlt allen Menschen diese Liebe und erweist allen Menschen mit Herz, Hand und Mund, wie süß die Liebe Gottes sei, wie die Liebe dieser Welt aber bitter und schädlich sei.

Er verachtet alle weltliche Pracht und schilt die zeitliche Leibessorge und beweiset, wie thöricht es sei, wenn man das Vertrauen auf vergängliche Dinge setze. Er verwundert sich über der Menschen Blindheit, die solche Dinge lieben, verwundert sich auch darob, daß nicht alle Menschen diese vergänglichen und unbeständigen Güter verlassen wollen. Er meint, es sollte Jedermann süß achten, was ihm schmeckt, Jedermann gefallen, was ihm lieb ist, allen Menschen bewußt und kund sein, was er erkennet.

Er sieht stets den Herrn seinen Gott an mit Augen des Glaubens, und von solch geistlicher Betrachtung wird er lieblich erquickt, je länger, je lieblicher. Denn wie ihm Gott das liebenswürdigste und lobenswürdigste Gut ist, also ist er ihm auch das Süßeste; und dies betrachtet er allezeit, Amen.

Am 16. November.

Die Gottlosen haben keinen Frieden.“ Jes. 48, 22 und 57, 21.

Wohl können die Gottlosen still und ruhig scheinen; denn Verblendung sündigt und weiß es nicht, Verstockung weiß und fühlt es nicht. Aber das schuldbeladene Herz hat keinen Frieden. Die Schuld begleitet uns zu den Geschäften, die uns zerstreuen, zu den Freuden, die uns ergötzen, in die geselligen Kreise, die uns erheitern sollen. Sie mahnt uns im Kreise liebender Freunde, in der Einsamkeit des Kämmerleins, in dem Heiligthum Gottes. Sie setzt sich mit uns zu Tische, begleitet uns auf Reisen und verscheucht vom nächtlichen Lager Schlaf und Ruhe. Um bei wachem und zartem Gewissen Frieden zu haben, müßten wir uns entweder frei wissen von Schuld und Sünde, frei von allen Gebrechen unserer sündlichen Natur; oder wir müßten ein Mittel haben, die Schuld zu tilgen, das Gesetz zu befriedigen, das Gewissen zu beruhigen, die Strafe zu wenden und den gerechten Richter in einen barmherzigen Vater umzuwandeln. Zu jenem Freisein von aller Schuld, zu dem stillen Seelenfrieden, zu der klaren, heitern, kindlichen Unschuld können wir bei unserer Sündhaftigkeit nimmer gelangen. Den Weg zum Frieden, das Mittel der Beruhigung und Versöhnung zeigt uns allein das Evangelium in dem Wort: „Das ist je gewißlich wahr und ein theuer, werthes Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“ 1 Tim. I, 15. Wenn wir dieses Wort mit unerschütterlicher Zuversicht ergreifen, und wir uns in tiefem Schmerz über unsere Sünden niederwerfen unter dem Kreuze Dessen, der um unserer Missethat willen verwundet, und um unserer Sünde willen zerschlagen ist, der die befleckte Menschheit gereinigt hat durch sein Blut: dann schweigt die verklagende Stimme, dann heilet die blutende Wunde, dann erhebt sich das zagende Herz in fröhlicher Hoffnung, dann ziehet der Friede Gottes ein in unsere Brust. Selbst die fortgehenden Wirkungen ehemaligen Unrechts können den wunderbaren Frieden nicht stören, der uns aus dem Kreuze Christi erblühet.

Wohl beschleichet noch eine gewisse Wehmuth das aufgerichtete Herz, aber eine Wehmuth, die Freude, Hoffnung und kindliche Zuversicht gebiert. Mit frohem Glaubensmuth rufen wir aus: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben, der auferwecket ist, der zur Rechten der Majestät erhöhet ist, um mich zu vertreten.“ Wir halten uns an den Unsichtbaren, als sähen wir ihn, und führen ein göttliches Leben wie Henoch und Noah, d. h. wir leben in Gott und mit Gott, wandeln vor seinen Augen, in seiner Kraft und Gnade, in der Lebens- und Liebesgemeinschaft mit ihm, sind seiner Nähe, seines Friedens, seiner Liebe theilhaftig. Herr, ich hoffe auf deine Gnade und flehe um deinen Beistand und Segen. Amen.

Am 17. November.

Alle Dinge hast du den Füßen des Menschen unterworfen, auf daß sich allein der Mensch dir ganz unterwürfe; und auf daß der ganze Mensch dein wäre, hat er über alle deine Werke bisher geherrscht. Alle sichtbaren Dinge hast du um des Leibes willen erschaffen, den Leib aber um der Seele willen, und die Seele um deinetwillen, daß sie dir allein dienen und dich allein lieben sollte. Sie soll dich zum Trost haben und die andern Dinge, so hienieden sind, zu ihrem Dienste; denn Alles, was im Kreise des Himmels beschlossen liegt, ist geringer, als die menschliche Seele, welche erschaffen ist, daß sie das höchste Gut, so droben ist, besitzen und durch seinen Besitz selig werden soll, wofern sie ihm anhanget und die Gemeinschaft mit allen untersten vergänglichen Dingen verachtet. Sie wird klärlich sehen das Angesicht der ewigen Unsterblichkeit jener höchsten Majestät, der sie so fleißig nachgetrachtet hat.

Dann wird sie der allerbesten Güter genießen im Haus des Herrn, gegen welche gehalten alle die Dinge, die wir hier sehen, für gar nichts zu achten sind. Das sind eben die Dinge, welche kein Auge gesehen, kein Ohr gehöret hat, und die in keines Menschen Herz gekommen sind, welche Gott bereitet hat Denen, die ihn lieben. Und diese Güter wirst du, o Herr, gewißlich der Seele geben. Mit diesen erfreuest du auch täglich die Seelen deiner Knechte, du Seelenfreund!

Was verwundere ich mich darüber, o Herr, mein Gott? Du ehrest also dein Bild und Gleichnis darnach sie erschaffen sind. Auch hast du unserm Leib, der doch noch verweslich und in Unehren ist, verliehen, die Klarheit des Himmels zu sehen durch deine dienstbaren Geschöpfe Sonne und Mond, die nicht müde werden, auf dein Geheiß Tag und Nacht deinen Kindern zu dienen. Du hast unserm Leib gnädiglich gegeben die reine Luft, auf daß er Odem schöpfen möchte; du hast ihm erschaffen mancherlei Getöne, daß er hören sollte; viel liebliche Gerüche, daß er riechen; unterschiedliche wohl schmeckende Dinge, daß er sie kosten sollte. Allen leibhaftigen Dingen hast du ihr gebührliches Maaß gegeben, damit er sie mit der Hand fassen könnte. Die arbeitsamen Thiere hast du ihm als Gehülfen seiner Nothdurft geschenkt, dazu die Vögel der Luft und die Fische im Meere, und die Früchte der Erde hast du ihm zur Erquickung gegeben. Die Arzenei hast du aus der Erde erschaffen um aller und jeder menschlichen Gebrechen und Mängel willen, du hast für ein jedes Uebel einen besonderen Trost verordnet, ihm damit zu begegnen; denn du bist gnädig und barmherzig, und bist unser Werkmeister wie ein Töpfer, weißt wohl, was für ein Gemächte wir sind: wir alle sind wie Leimen in deiner Hand! Amen.

Am 18. November.

Darum, meine lieben Brüder, seid fest und unbeweglich, und nehmet immer zu in dem Werke des Herrn; sintemal ihr wisset, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ 1. Kor. 15, 58.

Das ist die rechte Liebestreue,
Die fest an ihrem Heiland hängt,
Und ohne Unterlaß auf's Neue
IM Allem ihm zu dienen denkt;
Die im Geringen und im Kleinen
Es recht genau und ernstlich nimmt,
Und wissentlich auch nicht in einen,
Wenn noch so kleinen, Fehler stimmt.

Denn wiss', o Seele, daß des kleinsten
Gehorsams nicht der Herr vergißt,
Weil bei dem kleinsten Dienst am reinsten
Das Herz von eitler Selbstsucht ist.
Fang' an, im Kleinen dich zu üben,
Die kleinste Sünde hass' und scheu'!
Denn im Gehorsam wächst das Lieben,
Aus kleiner Treu' wird große Treu'.

Wenn du die groben Sünden meidest
Aus Furcht vor Schmach, und ohne Scheu
Die kleinen Mängel an dir leidest,
Das ist noch keine Liebestreu'!
Das heißt noch nicht, den Herren lieben,
Sich ihm aus allen Kräften weih'n;
Das heißt noch folgen seinen Trieben,
Theils Herr, theils Christi Jünger sein.

Denn wer sich ganz des Herren nennet,
Der folgt ihm immer, und der flieht
Das Kleinste, was vom Heil ihn trennet,
Und einer Sünde ähnlich sieht.
Er sucht in Allem Christi Ehre,
lind wie in Allem allezeit
Er sich in dessen Bild verkläre,
Dem er als Jünger sich geweiht.

Bei jedem Werk, zu allen Stunden
Ist seine größte Sorg' allein,
Von seinem Herrn getreu erfunden,
Gehorsam seinem Wort zu sein. -
Für ihn verschmäht er keine Plagen,
Kein Ungemach, kein Leid und Kreuz;
Es ist ihm schon genug zu sagen:
Mein lieber Herr will's und gebeut's!

O Herz, nach solcher Liebestreue
Verlange, trachte, ringe ernst,
Damit du täglich und auf's Neue
Ihn durch Gehorsam ehren lernst!
Nicht bloß im Großen, - im Geringen
Sei ihm zu dienen auch bedacht,
So wird dem ernsten Fleiß gelingen,
Was Trägheit dir unmöglich macht,

O sage nicht: in großen Proben
Will ich wohl treu vor ihm besteh'n!
Das hörst du Petrum auch geloben,
Und mußt ihn dennoch weinen sehn.
Drum lerne recht die Treu' im Kleinen,
In kleinen kämpfen übet dich,
So wirst du bald wie Petrus weinen
Um große Untreu' bitterlich!

Amen!

Am 19. November.

Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ' die Thür zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der in's Verborgene siehst, wird dir's vergelten öffentlich.“ Matth. 6, 6.

Dies die Aufforderung Christi zu stillen, einsamen Andachtsübungen. Wie sehr es auch dem frommen Herzen Bedürfniß ist, mit der versammelten Gemeinde Gott anzubeten in seinem Heiligthum und auf den Flügeln gemeinsamer Andacht aufgehoben zu werden zu dem Ewigen und Unvergänglichen: so fühlt sich doch der Geist oft hingezogen zu der stillen, einsamen Beschäftigung mit Gott und zum ernsten Nachdenken über das Wort des Lebens. Begab sich doch unser Herr Jesus selbst in den Tagen seines Erdenwandels öfters in die Stille, um mit seinem himmlischen Vater allein zu sein, sich ganz in ihn zu versenken und mit ihm zu verbünden, sich zur Erfüllung seines Heilandsberufes zu stärken, und zu seinem himmlischen Vater zu beten.

Hat doch jeder Mensch sein besonderes Anliegen und Bedürfniß, das aus seiner Gemüthsart, aus seiner sittlichen Verfassung, aus besonderen Umständen hervorgehet. So geht er auch gern den eigenen Empfindungen, Wünschen und Bestrebungen nach, die dadurch erweckt werden, und äußert sie in kindlicher Demuth vor Dem, der unser Herz kennt, unsere- Seufzer hört, unser Flehen versteht, unser Schicksal leitet und und unserer Schwachheit aufhilft. Dadurch wird der Gedanke an Gott ein herrschender Gedanke in unserer Seele, und die Erhebung des Herzens zu Ihm, dem Quell aller Weisheit und Kraft, alles Trostes und aller Freude, wird uns bei jeder Veranlassung leicht und natürlich.

Bald werden fromme Gedanken und gottselige Empfindungen mitten unter den Geschäften und Zerstreuungen des Tages unsere Seele erfüllen und uns über manche täuschende Versuchungen der Thorheit und Sünde hinwegführen; bald werden ernste und anhaltende Betrachtungen über Gott und seine Herrlichkeit, über seine Heilsabsichten und Gnadenführungen uns beschäftigen und unserm Glauben Nahrung und Stärkung geben; bald werden wir dem Vater im Himmel unser bekümmertes, sorgenvolles, beladenes Herz aufschließen und ihn um Trost, Linderung, Beistand und Hülfe für uns und Andere anflehen; bald werden uns die empfangenen Wohlthaten und die Segnungen der ewigen Liebe zum Danke und Preise begeistern; dann wieder das Gefühl unserer Vergehungen und Sünden unser Herz mit Schmerz und Reue erfüllen, heilige Entschlüsse erwecken und uns zu Dem führen, der die Gefallenen aufrichtet, die Beladenen erquicket und die Verirrten zurechtführt.

Darum sind mir diese stillen Morgenstunden so lieb und werth, und mein Herz freuet sich, wenn es vor Gott steht. Alles um mich ist noch so still und schweigsam; das geschäftige Leben hat noch nicht begonnen; leise nahet sich der Tag mit seinen hellen und dunkeln Stunden, mit seinen Freuden und Leiden: da bin ich allein mit meinem Gott und bete zu meinem himmlischen Vater im Verborgenen, und er giebt mir Trost und Muth und Freudigkeit in die Seele, und leitet mich an seiner Hand durch alle Tage des Lebens bis in die letzte Stunde und über dieselbe hinaus bis zur seligen Ewigkeit Amen.

Am 20. November.

Der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.“ Ps. 21, 9.

Brich an, du holdes Morgenlicht,
Daß sich die Welt erquicke;
Ermuntre nun mein blöd' Gesicht
Durch deine Strahlenblicke!
Mein Geist, wach' auf
Zum frischen Lauf,
Und schick' zur Arbeit wieder
Die ausgeruhten Glieder!

O, treuer Wächter Israel!
Sei dankbarlich geehret,
Daß du die Nacht an Leib und See!'
Mir deinen Schutz gewähret.
Dich preis' ich, Gott,
Daß Angst und Noth
Durch dein getreues Lieben
So fern von mir geblieben.

Ich lag in sanfter Ruh' und Rast,
Und kann mit neuer Stärke
Ergreifen die bestimmte Last
In meines Amtes Werke.
Mein Gott, gieb du
Die Kraft dazu,
Damit ich deinen Willen
Mit Freuden mög' erfüllen!

Erleuchte mich durch deinen Geist,
Der weislich mich regiere,
Daß ich, wie es dein Wort mich heißt,
Ein christlich Leben führe.
Behüte mich
Auch gnädiglich
Vor Brandmal im Gewissen
Und Sündenfinsternissen.

Der Satan samt der argen Welt
Will täglich mich berücken;
Er hat sein Garn mir aufgestellt,
Mich Armen zu bestricken.
Ach Gott, mein Schutz,
Wend', ihm zum Trutz,
Von mir Gefahr und Schaden,
Und schirme mich in Gnaden!

Gieb, daß ich in gelass'ner Ruh'
Und bei gesundem Leibe
Bring' diesen Tag mit Freuden zu,
Und unbeschädigt bleibe!
Sei meinem Stand
Und Vaterland
Heut' und all'zeit zugegen
Mit reichem Himmelssegen!

Erhalte deine Kirchgemein',
Und die dein Zeugniß lieben;
Du wollest selbst ihr Labsal sein,
Wenn sie sich je betrüben.
Hilf uns den Tag
Mit aller Plag'
Und Mühe überwinden;
Herr, laß uns Gnade finden!

Dir, o du Vater, Sohn und Geist,
Sei hier mit Engelzungen
Für deine Treu', die du beweis'st,
Lob, Ehr' und Preis gesungen.
Ach, hilf mir hin
Zu dem Gewinn
Der ew'gen Himmelsgaben,
Dann sollst du's himmlisch haben!

Amen!

Am 21. November.

Wir sind Christi theilhaftig geworden, wenn wir anders den Anfang seines Wesens bis an's Ende festhalten.“ Hebr. 3, 14.

Wie könnte ich froher leben auf Erden und getroster einst sterben, als wenn ich lebe im Glauben des Sohnes Gottes! Ich habe ja dann Alles, was mich erfreuen, trösten, stärken und selig machen kann. Ich habe Licht auf dem Wege des Lebens, denn ich folge Dem, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Wer Ihm nachfolget, der wird nicht wandeln in Finsterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben. In meiner Schwachheit werde ich gehoben und getragen durch die Kraft, welche Himmel und Erde erfüllet mit dem Odem des Lebendigen. In meiner Trübsal tritt der große Dulder zu mir, der in seinem heiligen Leben und Dulden, in seiner welterlösenden Liebe den Kelch der Leiden ergriff und das schwere Kreuz hinauftrug auf Golgatha. Bei allem Wechsel des Schicksals, bei allen Schlägen des Unglücks füllt sich die Seele mit Zuversicht und kindlicher Freudigkeit, weil ich durch Christum in Gott einen gnädigen Richter habe, der die Traurigkeit in Freude, den Kampf in den Sieg, den Tod in das Leben verwandelt.

Darum bin ich auch im Tode getrost, hoffe nichts als Gutes, Gnade und Vergebung, Kraft und Stärke, Hülfe in der Noth, Errettung im Tode, ewiges Leben und himmlische Seligkeit. In Christo sind mir gegeben alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß Gottes. Wenn er mich frei macht von Trug und Wahn, von der Sünde Joch, von den Fesseln der Eitelkeit, von dem Druck des Lebens, so sehe, dulde, thue ich Alles im Lichte der ewigen Wahrheit. „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, spricht der Herr (Joh. 8, 31 ff.), so seid ihr meine rechten Jünger; ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen. Wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht; der Knecht aber bleibet nicht immer im Hause, der Sohn aber bleibet ewiglich. So euch nun der Sohn frei machet, so seid ihr wahrhaftig frei.“ Damit ich nun ewig bleibe in des Vaters Hause, und die Stätte finde, die mir Christus in demselben bereitet hat, so will ich auf Ihn sehen, den Anfänger und Vollender meines Glaubens, will die Sünde meiden und in Allem gesinnt sein, wie Jesus Christus auch war. Mit diesem Entschluß und Gedanken will ich jetzt an mein Tagewerk gehen, allezeit wandeln, leben und sterben. Hilf mir dazu, treuer Gott und Heiland, um deines Namens willen. Amen.

Am 22. November

Geduld ist euch noth, auf daß ihr den Willen Gottes thut und die Verheißung erlanget.“ Hebr. 10, 36.

Wie Christus, der große, heilige Dulder, selbst Geduld übte im Gehorsam gegen seinen himmlischen Vater, in Nachsicht bei den Fehlern und Schwachheiten seiner Jünger, in Großmuth gegen seine Feinde und Widersacher, so machte er auch uns diese Tugend zur Pflicht, um unserer Seelen Seligkeit zu bewahren. „Durch Geduld, sagt er, werdet ihr eure Seelen erhalten.“ Luc. 21, 19. Eben so dringend empfiehlt Paulus die Geduld und zählt sie unter die Früchte des Geistes. Gal. 5, 22. Er hält sie dem Timotheus vor als das Ziel, dem er nachjagen soll.- 1 Tim. 6, 11; betrachtet sie als das schönste Gewand, das die Auserwählten, Heiligen und Geliebten anziehen sollen (Col. 3, 12); ermahnt den Titus, den Alten zu sagen, daß sie eben so kräftig in der Geduld wie im Glauben sein sollen (Tit. 2, 2); er sagt den Corinthern, daß sich unser Heil darin offenbare, wenn wir leiden in Geduld, und empfiehlt ihnen, in allen Dingen sich als Diener Gottes zu beweisen in großer Geduld (2 Cor. 1, 6 und 6, 4). Besonders aber ist die Geduld nothwendig in Noth und Trübsal, in Verfolgung und Krankheit. Da vermehret Ungeduld Leid und Schmerzen. Auch da müssen wir sehen auf den Anfänger und Vollender unseres Glaubens und von ihm lernen sanftmüthig und von Herzen demüthig zu werden.

Was ist schöner als Geduld?
Unter ihren Lorbeerblättern
Zittert man vor keinen Wettern,
Freut sich nur bei Gottes Huld.
Nichts ist schöner als Geduld.

Nichts ist selt'ner als Geduld!
Dieses Lamm wird bei viel Herden
Nur umsonst gesuchet werden.
Fleisch und Blut ist daran Schuld.
Nichts ist selt'ner als Geduld.

Nichts ist schwerer als Geduld!
Denn man will nicht gleich die Plagen
Mit gelassnem Herzen tragen,
Ob man sie gleich selbst verschuld't.
Nichts ist schwerer als Geduld.

Nichts ist nöth'ger als Geduld!
Will man nicht sein Herze fressen,
Muß man manchen Schmerz vergessen
Und vertrau'n des Höchsten Huld.
Nichts ist nöth'ger als Geduld.

Nichts ist stärker als Geduld!
Sie wird auf der Feinde Schanzen
Ihre Siegesfahne pflanzen,
Trotzt im wildesten Tumult.
Nichts ist stärker als Geduld.

Nichts ist edler als Geduld!
Laß, mein Gott, in allen Leiden
Mich in diese Tugend kleiden.
Die Geduld hat deine Huld.
Nichts ist edler als Geduld.

Amen!

Am 23. November.

Wir warten auf ein Leben, welches Gott geben wird Denen, so im Glauben stark und fest bleiben vor ihm.“ Tob. 2, 17 und 18.

Wie dankbar bin ich dir, mein Gott, für das Leben, in welches mich deine. Allmacht und Güte gerufen, für den neuen Tag, zu welchem du mich heute geweckt hast! Ich will ihn Neulich benutzen zum Wachsthum an Weisheit, Glaubenskraft und Gottseligkeit. Aber . aus der Dunkelheit der Erde sehne ich mich nach der Herrlichkeit des Himmels, nach den Freuden und Wonnen des ewigen Lebens. Hier unten ist viel Trübsal und Noth, viel Jammer und Herzeleid, viel Ungerechtigkeit und Bosheit, viel Streit und Hader, viel Unruhe und Angst.

Darum warten wir eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnet. Dahin will uns Christus der Herr führen, der dem Tode die Macht genommen und Leben und unsterbliches Wesen an's Licht gebracht, der dem Sünder Hülfe und Rettung, dem Bußfertigen Gnade, dem Zagenden Muth, dem Schwachen Beistand, dem Kämpfenden Sieg verleiht, den wir einst in des Vaters Reich sehen werden in seiner überschwenglichen Kraft und Herrlichkeit.

In Ihm ist uns der Himmel aufgethan; in Ihm überstrahlet die Majestät des Herrn die Erde. Ich bin nun nicht mehr der Mensch von Erde, der schwache Wurm im Staube, ein Kind der Zeit und eine Beute des Todes; ich bin ein Kind Gottes, ein Erlöseter durch Jesum Christum, ein Erbe des Himmels, ein Genosse der heiligen Engel. Von oben her sendet mir Christus seinen Frieden bei dem äußern Streit, bringet Trost in meine Bedrängniß, Hülfe in meine Schwachheit, Freudigkeit in mein verzagtes Herz. In Ihm vergesse ich alle Noth der Erde und in den heiligen Augenblicken der Andacht erfüllt eine unaussprechliche Seligkeit meine erleuchtete Seele,

Da ist mir's, als ob der Himmel mit all seinen Engeln und Seligen sich zu mir herabsenkte und mit seiner vollen Herrlichkeit und Liebe in mein Herz einzöge; da ist mir's, als ob das Pilgerkleid des irdischen Leibes schon ausgezogen und abgelegt wäre und als ob ich von der Erde auf den Händen der himmlischen Boten in's ewige, selige Leben emporgetragen würde. Und so wird's einst wirklich sein, wenn der Tod die irdischen Bande löset, welche unsere Seele an diese Leibeshütte fesseln. Darauf freue ich mich und harre im Lande der Prüfung unter Arbeit und Sorge, unter Müh' und Beschwerde der seligen Herrlichkeit, die einst an nur offenbar werden wird durch meinen Herrn Jesum Christum.

Wenn es einst will Abend werden,
Und der Lebenstag sich neigt,
Wo dem blöden Aug' auf Erden
Nirgends sich ein Helfer zeigt:
Bleibe dann an meiner Seite,
Gieb mir Sieg im letzten Streite,
Daß ich bis zum Ende treu
Jener Krone würdig sei.
Amen!

Am 24. November.

Wohlan, die ihr nun saget: heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt und wollen ein Jahr da liegen und handthieren und gewinnen, die ihr nicht wisset, was morgen sein wird; denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währet, darnach aber verschwindet er. Dafür solltet ihr sagen, so der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das thun.“ Jac. 4, 11-15.

o sollten wir Alles legen in die Hand des Allmächtigen und seiner allwaltenden Vorsehung vertrauen. Wir müssen vorsichtig wandeln wie die Weisen, Alles prüfen und das Beste wählen, zum guten Werke alle uns verliehenen Kräfte gebrauchen und Zeitumstände verständig benutzen, dann aber dem Herrn unsere Wege befehlen, Alles seiner väterlichen Leitung anheimstellen und des Ausgangs wegen unbekümmert sein. Des Herrn Rathschluß mag uns dunkel und wunderbar scheinen, er ist doch heilig und gut. Der Weg Gottes ist im Meer, und sein Pfad in großen Wassern; man spüret den Fuß Gottes nicht und schauet nicht in die Tiefe. Fürwahr, er ist uns ein verborgener Gott und wohnet im Dunkeln. 1 Kön. 8, 12. Jes. 45, 15. Niemand weiß, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes. Er ist der Heilige und Alleingewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnet in einem Lichte, da Niemand zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat noch sehen kann. Mit diesem Bekenntnis, begnügt sich aber der schwache Mensch nicht. Wenn er Gottes wunderbares Regieren nicht begreift, so will er verzweifeln, und stehet mit ängstlichen Sorgen in die Zukunft. So verzagte auch der fromme Melanchthon auf dem Reichstage zu Augsburg an dem Gelingen des großen Werkes der Reformation, und der glaubensvolle Luther schreibt ihm: „Das Ende und Ausgang der Sachen quält Euch, weil Ihr's nicht begreifen könnt. Ich aber sage Euch, wenn Ihr's begreifen könntet, wollte ich an der Sache kein Theil haben, viel weniger ihr Haupt und Anfänger sein. Gott hat dieselbe an einen Ort gesetzet, den Ihr weder in Eurer Rhetorik noch Philosophie findet. Dieser Ort heißt Glaube, in welchem alle Dinge stehen, die wir weder sehen noch begreifen können. Wer dieselben will sichtbar, scheinlich und begreiflich machen, wie Ihr thut, der hat Herzeleid, Sorgen und Kleinmüthigkeit davon, wie Ihr das denn empfinden müßt. Der Herr hat gesagt, er wolle wohnen in dichter Verborgenheit und die Menschenkinder führen nach seinem Rath und Willen. Gott soll's aber thun nach Eurem Willen und soll Euch Alles gar sein und verständlich offenbaren, und da das nicht geht, wollt Ihr jammern und verzagen. Hätte Moses es wollen begreifen, wie die Israeliten durch's rothe Meer kommen sollten, sie säßen wohl jetzt noch in Aegypten. Der Herr mehre in Euch den Glauben und dann wird Euch kein Teufel und die ganze Welt nichts thun.“ Das will ich auch mir gesagt sein lassen und in keiner Noth verzagen. Ist der Weg auch rauh, die Nacht dunkel, die Trübsal groß und der. Schmerz gewaltig: der Herr führet doch Alles herrlich hinaus. Amen.

Am 25. November.

Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein.“ Offenb. Joh. 21, 4. Was mag uns bei der Trauer um unsere Entschlafenen kräftiger trösten, als die Gewißheit: Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen. Ihr Leid ist in Freude, ihr Kampf in Sieg, ihr Glaube in Schauen verwandelt. Ihre Seligkeit wird nicht mehr gestört durch den Wechsel der Dinge, durch den Schmerz der Krankheit, durch den Jammer der Sünde, durch das Wehe der Erde. Eine heiligt, himmlische Freude erfüllt ihre unsterbliche Seele. Da wird auch der Tod nicht mehr sein. Das Bitterste, was uns die Erde giebt, ist der Tod, der Sünde Sold. Alles Lebendige wird ergriffen von den Schrecken desselben. Die Schmerzen und Leiden, die ihm oft vorhergehen; die unwiderstehliche Gewalt, mit der er auch die besten und edelsten Menschen aus unseren Armen reißt; der Anblick der Verwesung, das Dunkel des Grabes, die Auflösung, Zerrüttung und Vernichtung, die wir auf dieser Erde in stetem Wechsel vor uns sehen: ach, wessen Seele erfüllte das nicht mit einer tiefen, täglich sich erneuenden Traurigkeit? Dort aber blühet ein ewiger Frühling und leuchtet Alles in vergänglicher Schönheit. Ueber unsere Lieben hat der Tod keine Macht mehr.

Dort wird auch kein Leid mehr sein, noch Geschrei, noch Schmerzen. So lange wir leben, ist unser Herz beschwert mit Sorgen, sind wir dem Gesetz der Veränderung unterthan, fühlen wir die Schwäche und Gebrechlichkeit unserer Natur, haben wir Gefahren zu fürchten, Verluste zu tragen, Unglückliche zu beweinen. Eigenes und fremdes Leid erfüllt uns mit Traurigkeit. Ungestörtes und ungetrübtes Glück wird uns hienieden nicht zu Theil. Wohin wir uns wenden, hören wir Klagen, Seufzer, Geschrei, Ausbrüche des Schmerzes. Unsere im Herrn Entschlafenen hat der Bote Gottes, den Frommen ein Friedensbote, heimgeführt in das Land des Friedens und der ewigen Freude, wo Selige sich begegnen mit dem Himmelsgruße und Alle sich vereinigen zum Lobe und Preise des Allerhöchsten. „Lob und Ehre, und Weisheit, Dank, Preis und Kraft und Starke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hallelujah! Amen.“ Offenb. Joh. 7, 12,

Wird das nicht Freude sein,
Wenn, die uns Gott genommen,
Uns dort entgegen kommen
Und jauchzend holen ein?

Wenn man wird froh umfassen,
Was weinend wir verlassen,
Wird das nicht Freude sein?
Amen!

Am 26 November.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist.“ Röm. 14, 17.

Was sollte es uns frommen, wenn wir von außen mit aller Anmuth geschmückt einhergingen, unser Inneres aber wäre durch Sünde und Ungerechtigkeit befleckt, so daß man die Spuren göttlicher Abkunft nicht wieder erkennte! Oder, wie könnte uns Speise und Trank wahre Erquickung bieten, wie könnte überhaupt irgend ein irdischer Genuß uns wohlthun, wenn unser ganzes Herz von der Bitterkeit nie verlöschender Gewissensbisse und dem Bewußtsein unserer Verdammniß vor Gott erfüllt wäre! Wie könnte dem Menschen äußere Macht, die Fülle irdischer Güter, die Herrlichkeit dieser Welt Freude gewähren, wenn er im Dienste der Sünde dahinlebte und nur am Staube der Niedrigkeit haftete! Wie könnte er das Auge aufheben zu dem heiligen, gerechten Gott, der sein nicht spotten läßt, sondern geben wird einem Jeglichen nach seinen Werken! Wo ist die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; die reine, makellose, wie sie vor dem Lichte der Heiligen erscheinen darf; die Gerechtigkeit, dabei man nicht nur vor Menschen das Haupt aufrecht tragen, sondern auch zu Gott getrost aufblicken kann? Ach, wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollen. Wenn wir auch Alles gethan haben, was die Pflicht gebietet, so sind wir doch unnütze Knechte gewesen. Darum ist das Reich Gottes Gerechtigkeit, uns zum Trost und zur Seligkeit, d. h. zur gnadenreichen Zusicherung, daß wir bei Gott, dem ewigen Richter, durch Jesum Christum gerechtfertigt sind, daß wir vor der Stunde des Todes und vor der künftigen Rechenschaft nicht erzittern und erschrecken, sondern der Gnade des himmlischen Vaters gewiß sein dürfen. Christus ist der Einzige, der dem Willen Gottes ein volles Genüge gethan, der Gott gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Um seiner Gerechtigkeit willen hat Gott Wohlgefallen an Denen, die Christum im Glauben erfassen, und nimmt sie als seine Kinder gnädig an. Wir haben die Verheißung des Herrn: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden!“ Matth. 5, 6. Mit dieser Gerechtigkeit kommt auch das Rechtthun. Wer sich von Gott begnadigt weiß, wird nun auch Gottes Gaben gewissenhaft anwenden, die Kräfte seines Leibes, die Fähigkeiten seines Geistes, die Güter des Lebens, die ihm anvertraut sind, zur Ehre Gottes gebrauchen, und die Gelegenheit zu nützlicher Thätigkeit, die ihm dargeboten wird, sorgsam benutzen. Er wird wirken und schaffen für die Seinigen, für die Menschheit, für das Reich Gottes, und auf seiner Arbeit wird der Segen des Höchsten ruhen. Er trachtete zuerst nach des Ewigen Gerechtigkeit; nun fällt ihm auch das Andere ohne sein Zuthun und Mitwirken zu. Amen.

Am 27. November.

Das Reich Gottes ist auch Friede und Freude im heiligen Geist. Unter den Segnungen des Friedens wird das Wohl der Völker, wie das Glück jedes Hauses gegründet und gesichert. Wo Gerechtigkeit und Friede sich küssen, da gedeihen alle Güter des Lebens, da entwickelt sich still und sicher alles Edle und Schöne. Und diesen Frieden, ja einen noch höhern und schönern als den irdischen, giebt das Reich Gottes, das Christus gestiftet hat und das er regieret in alle Ewigkeit. Die Liebe wohnet und waltet segnend in diesem Friedensreiche. Sie vereinigt die Herzen, veredelt die Geister, mildert das Wehe der Erde, hilft den Bedrängten, stärket die Schwachen und tröstet die Betrübten. Das Reich Gottes ist eine Friedenshütte, wo aller Neid und Streit, aller Haß und Groll verstummt, und wo wir einen Vorschmack empfinden jenes himmlischen Friedens, der droben walten wird am ewigen Sabbath.

Das Reich Gottes ist Freude im heiligen Geist, d. h. geistliche, heilige, dauerhafte Freude. Das ist des Christen Freude, daß er überall Gott stehet, erkennet, empfindet und liebet; daß er sich von seinem Wesen erfüllt, von seinem Geiste erleuchtet, von seiner Liebe erquickt fühlt. Nicht durch unsere Kraft werden wir erhoben zu dieser himmlischen Freude, Es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, in dem Geiste, der das ganze innere Wesen des Menschen umwandelt, ihm Augen und Ohren aufschließt, daß er überall den Ewigen sieht, überall den Ruf des himmlischen Vaters hört, sein Wort versteht und in Christo den Weg, die Wahrheit und das Leben erkennt. Gebet und Andacht, freudigen Gehorsam und lebendigen Glauben, herzliche Hingabe an Christum und Treue bis in den Tod wirket der heilige Geist durch das Wort und durch die Sacramente in uns. Durch ihn werden wir berufen, erleuchtet, geheiligt und erhalten werden im rechten einigen Glauben. O gieb mir, mein Gott, diesen Tröster, den heiligen Geist, damit er mich in alle Wahrheit leite und zu allem Guten stärke. Laß mich in deinem Reiche immer sicherer wohnen, immer freudiger arbeiten, immer segensreicher wirken. Verleihe mir auch heute dazu deinen gnädigen Beistand.

Herr, mich dürstet nach dem Segen,
Den dein theures Wort verheißt;
O komm' gnädig mir entgegen,
Gieb mir deinen heil'gen Geist,
Der im Herzen dich verkläret,
Und mir Licht und Kraft gewähret,
Der mein Herz mit Trost erfüllt,
Göttlich allen Jammer stillt.

Gieß' ihn tief in meine Seele,
Mache durch ihn Alles licht,
Daß ich sehe, wo ich fehle,
Aus dir nehme, was gebricht;
Daß er mich beständig treibe
Und ich immer in dir bleibe
Durch der Liebe Wunderkraft,
Die dein Geist vermehrt und schafft.

Amen!

Am 28. November.

Der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig.“ Ps. 100, 5.

Ach Gott und Herr, du Lebenslicht,
Du Hort des Heils ohn' Ende!
Ich komme vor dein Angesicht,
Und beuge Knie und Hände;
Ich lobe dich
Demüthiglich
In dieser Morgenstunde,
Aus meines Herzens Grunde.

Herr, Alles ist in deiner Hand,
Was uns die Erde bringet;
Dein ist das Meer, dein ist das Land,
Die Höhe dir lobsinget.
bist mein Gott,
Du hilfst aus Noth;
Du kannst mir Alles geben,
Mein Schild, mein Fels, mein Leben!

Ach, Herr, dein Ohr kehr' doch zu mir,
Erhör' mein sehnlich Flehen!
Denn meine Hülfe steht bei dir,
Mein' Augen auf dich sehen.
Du hast bewacht
Mich diese Nacht,
Drum will ich dich jetzt preisen,
Dir kindlich Dank erweisen.

Ach Gott, vergieb durch deinen Sohn
Mir alle meine Sünde,
Und gieb, daß ich vor deinem Thron
Schutz und Erbarmen finde.
Hilf, daß ich mag
Auch diesen Tag
In deinen Wegen wallen
Nach deinem Wohlgefallen!

Regiere Willen und Verstand
Mit deines Geistes Lichte,
Und mache stets mit deiner Hand
Des Feindes List zunichte.
Behüte mich,
Herr, gnädiglich,
Und segne was ich thue,
Mit Freude, Heil und Ruhe.

Nimm weg mein steinern Herz von mir,
Damit ich werd' bekehret;
Ein neues Herz gieb mir dafür,
Das kindlich dich verehret.
O daß dein Knecht
Allzeit dein Recht
Mit ganzem Herzen hielte,
Und nie mit Sünden spielte!

Behüte mich vor Stolz und Pracht,
Wenn du mit Gut mich segnest;
Und wenn du Kreuz mir zugedacht,
Und mir mit Zucht begegnest:
Hilf, daß ich sei
Ganz still dabei,
Und auch von Noth umgeben,
Zunehm' am innern Leben.

Ach, Herr, erhöre, Herr, steh' auf!
Vergiß nicht deiner Armen!
Vernimm ihr Fleh'n und merke drauf
Mit himmlischem Erbarmen.
Behüt' uns wohl,
Mach' trostesvoll,
Die in der Kammer weinen
Und still vor dir erscheinen.

Es segne uns Gott unser Gott,
Und geb' uns seinen Frieden;
Er helfe uns aus aller Noth;
Und soll's einst sein geschieden,
So hilf, Herr Christ,
Zu jener Frist,
Uns aus, kraft deiner Leiden,
Zu ew'gen Himmelsfreuden.

Amen!

Am 29. November.

„„Faß dich nicht klug dünken, Jedermann zu tadeln. Wer Alles zum Besten ausleget, der macht ihm viel Freude, und wer das Beste zur Sache redet, von dem redet man wiederum das Beste.“ Sir. 6, 1 und 5.

Wie schwer ist es, Jemanden richtig zu beurtheilen! Es gehört dazu eine genaue Kenntniß seiner Denk- und Handlungsweise, seiner Lage und Verhältnisse, seiner Erziehung und Schicksale, seiner gemachten Erfahrungen und seiner erduldeten Leiden. Und doch, wie rasch ist das Urtheil über die Gesinnung und die That eines Menschen ausgesprochen; wie unbedachtsam wird der Stab der Verdammung gebrochen; wie. lieblos ist oft der Tadel, mit welchem man Mängel und Gebrechen des Nächsten rügt! Es ist sehr traurig, zu bemerken, daß der Mensch das Schlimme so gern glaubt, an der Herabsetzung des Nächsten seine Freude hat, üble Gerüchte so geschäftig weiter verbreitet und auch den unschuldigsten Handlungen böse Absichten unterlegt. Wir sollten Alles erst prüfen, des Nächsten Rechtfertigung hören, die Umstände wohl erwägen, ehe wir uns ein Urtheil erlauben. Und selbst, wo der Schein gegen unsern Mitbruder spricht, wo er von einem Fehl übereilt worden wäre, sollen wir ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und Alles zum Besten kehren. Aber wie viel Unheil wird in der Welt verbreitet, wie viel Zwietracht in Familien, wie viel Haß, Mißgunst, Bitterkeit in die Herzen der Menschen gebracht durch Lästerung, Klatscherei, Ohrenbläsern und Verleumdung! „Sie kommen, daß sie schauen, sagt schon David (Ps. 41, 7.), und meinen es doch nicht von Herzen, sondern suchen etwas, das sie lästern mögen, gehen hin und tragen's aus.“ Schon ein zweideutiges Wort, eine geheimnißvolle Miene, ein vielsagendes Stillschweigen, ein spöttisches Lächeln, ein boshaftes Aber ist oft hinreichend, die schlimmsten Gerüchte zu veranlassen und das Ansehen eines unschuldigen Mannes zu untergraben. „Wer mit den Augen winket, spricht Sirach (27, 25 f.), der hat Böses im Sinn. Vor dir kann er süß reden und lobet sehr, was du redest; aber hinterwärts redet er anders und verkehret dir deine Worte. Ich bin keinem Dinge so feind, als einem solchen, und der Herr ist ihm auch feind.“ Darum will ich vorsichtig sein in meiner Rede, bedächtig in meinem Rathe, behutsam in meinem Tadel; ich will nicht jedem Gerüchte glauben, das Gehörte nicht geschäftig weiter verbreiten und des Nächsten Schwäche nicht ohne Noth aufdecken; ich will nicht bezeugen, was ich nicht genau und zuverlässig kenne, und Anklagen und Beschuldigungen, deren Ungrund mir einleuchtet, nachdrücklich widerlegen; ich will den Gefallenen nicht noch tiefer niedertreten, sondern ihn liebreich aufrichten und auf den rechten Weg führen; ich will jeden Menschen so lange für gut und ehrlich halten, bis ich nicht die sprechendsten Zeugnisse vom Gegentheil habe, ich will auch Den, der gefehlt und geirrt hat, entschuldigen und gegen bösen Leumund vertheidigen.

Immer und überall soll die Liebe mich leiten und der Geist Jesu Christi mich regieren. Dazu, starke und befestige mein Herz, du Allerhöchster! Amen.

Am 30. November

So trete ich denn wieder vor dein Angesicht, o barmherziger Gott, mit meinem Gebete, bringe dir mein Morgenopfer und ergebe mich in deinen gnadenreichen Schuß und Willen. Ich danke dir für die Ruhe dieser Nacht, für den erquickenden Schlaf, für die Erhaltung des Lebens, für die neugestärkten Kräfte und für die Freudigkeit des Geistes, mit der ich erwacht bin. Es ist Alles das Geschenk deiner großen Gnade und deiner ewig waltenden Liebe. Schön ist das Leben, wenn es durch deinen Geist geheiligt, herrlich die Bestimmung desselben, wenn es deinem Dienste geweihet ist.

O durchdringe mich mit deinem Odem, erfülle mein Herz mit deinem Geiste, starke mich im Kampf für stecht und Wahrheit, gieb mir Muth und Vertrauen bei Trübsal und Noth. Nie glücklich, wie sicher, wie selig bin ich, wenn du bei mir bist, mich beschützest und leitest nach deinem Rath! Zu dir stehet meine Hoffnung und Zuversicht, du treuer Gott und Vater, du werdest mich gnädig erhalten, weise regieren, mächtig beschützen, vor dem Bösen bewahren, zum Guten stärken und mich segnen durch Jesum Christum. Ich weiß nicht, was mir gut und heilsam ist und was ich mir vom Irdischen erbitten soll. Du kennest meine Wege, willst meine Wohlfahrt und wirst mir geben, was zu meinem Besten dient. Aber darum bitte ich inbrünstig, mein Gott, daß du mir Weisheit und Verstand, Kraft im Glauben, Trost in Trübsal und ein dir ergebenes und gehorsames Herz verleihen wollest. Ich weiß nicht, was mir heute, was mir im Laufe künftiger Tage begegnen wird; aber das weiß ich und deß tröste ich mich, daß mir unter deiner Aufsicht und Leitung nichts geschehen kann, als was du vorhergesehen und verordnet hast. Und so geschehe denn auch an mir dein guter und gnädiger Wille. Wie macht es mein Herz so ruhig, getrost und gewiß, daß ich mich von dir geschützt, geliebt und geleitet weiß. Was will mich nun schrecken auf des Lebens Bahn, was mich beängstigen in der Stunde der Noth?

Herr, wie du willst, so schick's mit mir
Im Leben und im Sterben,
Mein Herz allein verlangt nach dir;
Herr, laß mich nicht verderben.
Erhalt' mich nur in deiner Huld;
Sonst wie du willst. Gieb mir Geduld!
Dein Wille ist der beste.

Amen.

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