Roos, M. Magnus Friedrich - Andachten zum Psalter

Roos, M. Magnus Friedrich - Andachten zum Psalter

Ps. 3

Ich liege und schlafe, und erwache, denn der HErr erhält mich.
Ps. 3,6.

David schrieb dieses, da er vor seinem Sohn Absalom flohe, und noch in keiner befestigten Stadt angekommen war. Indem er nun mit seiner kleinen Mannschaft auf dem Feld sich lagern mußte, so hätte er von den vielen Hunderttausenden, die sich umher wider ihn auflehnten, überfallen und umgebracht werden können; ja zuerst wäre ein kleines Heer von zwölftausend Mann genug gewesen, den David bei der Nacht zu überfallen, seinen Anhang zu zerstreuen und ihn zu tödten, wie der kluge Ahitophel 2 Sam. 17,1.2.3. davor hielt. David wußte seine Gefahr, und betete; als er aber eine Nacht oder etliche Nächte vor allen feindlichen Ueberfällen bewahrt geblieben war, so sagte er: ich liege und schlafe, und erwache, denn der HErr erhält mich. Das zeitliche Leben der Knechte und Mägde Gottes stehet unter einer besonderen göttlichen Bewahrung. So lange Gott sie zu Seinem Dienst brauchen will, erhält er auch ihr Leben. In einer jeden Nacht, und so auch an einem jeden Tag könnte einem Jeden ein Unfall begegnen, der seinem Leben ein Ende machte: der HErr aber erhält ihn. Paulus sagte: er sei immer als ein Sterbender und lebe doch 2 Kor. 6,9.; und 2 Kor. 4,10.11.: wir tragen um allezeit das Sterben des HErrn Jesu an unserem Leibe, auf daß auch das Leben des HErrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde; denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen; auf daß auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Fleische. Man hat also nicht nöthig, bei dem Dienst, den man dem HErrn Jesu leisten soll, seinen Leib allzu ängstlich zu schonen, oder bei der Empfindung seiner Schwachheit allzu furchtsam zu sein, weil das Leben Jesu an demselben offenbar werden, und ihn erhalten soll, bis die rechte Stunde erscheint, in welcher man diese Hütte ablegen, und in die himmlische Wohnung eingehen soll. Uebrigens ist es unsere Schuldigkeit, Gott für die Bewahrung unseres Leibes und Lebens täglich zu danken, und besonders an jedem Morgen Seine Güte zu preisen, die uns und alle die Unsrigen, ja auch unsere Wohnung und Habe, in der vergangenen Nacht, da wir als Schlafende den Todten ähnlich waren, und gar keine Vorsichtigkeit beweisen konnten, bewahret hat. Sollte uns auch ein Unfall in einer Nacht begegnen, so dürfen wir ihn als eine Bestrafung wegen unserer Trägheit ansehen, bei welcher wir die Bewahrung, die wir in vielen andern Nächten genossen hatten, nicht hoch genug geschätzt, und Gott nicht gehörig dafür gedankt, oder etwa nicht auf’s Neue darum gebeten haben. Der HErr Jesus schlief auch. Er schlief einmal in einem Schiff, das nahe am Untersinken war, und wachte doch ohne Furcht auf. Er schlief auch zu andern Zeiten in großen Gefahren, weil man Ihm oft nachstellte, und blieb doch voll Zuversicht. Er schenke uns von Seinem Glauben, und lasse uns die Bewahrung, die Ihm der Vater erzeigt hat, auch widerfahren. Seine heilige Nachtruhe heilige und segne unsern Schlaf, damit wir jeden Morgen zu Ihm sagen können: wenn ich erwache, bin ich noch bei Dir, und alsdann auch für den Schutz Gottes, der uns im Schlaf erhalten hat, fröhlich danken können.

Ps. 8

Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast Du eine Macht zugerichtet.
Ps. 8,3.

Diese Worte werden von Christo Matth. 21,16. angeführt, nachdem jüdische Kinder im Tempel zu Jerusalem zu Seiner Ehre geschrieen hatten: Hosianna dem Sohn Davids. Denn da die Hohenpriester und Schriftgelehrten zornig und neidisch zu Ihm sagten: hörest Du auch, was diese sagen? so sprach Er zu ihnen: ja, habt ihr nicht gelesen: aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast Du Lob zugerichtet. Junge Kinder sind Unmündige, ob sie gleich reden können; unter diesen konnten aber auch Säuglinge sein, denn die jüdische Mutter, deren sieben Söhne um des Glaubens willen hingerichtet wurden, hielt dem jüngsten derselben vor, sie habe ihn bei drei Jahren gesäuget, 2 Macc. 7,28. Was Ps. 8,3. eine Macht genannt wird, heißt Matth. 21,6. Lob. Wenn man nun beide Worte zusammennimmt, so entsteht der Begriff von einem Lob, welches mit Macht ausbricht, und sich durch kein saures Gesicht, durch keine Drohung und Lästerung zurückhalten läßt. Es gereichte zum Lob des HErrn Jesu, daß die jungen Kinder schrieen: Hosianna dem Sohn Davids. Sie huldigten Ihm dadurch als ihrem König, ja sie priesen Ihn als den Messias, weil von Seinem Einzug zu Jerusalem Ps. 118,24.25.26. geweissagt war: dieß ist der Tag, den der HErr machet; lasset uns freuen und fröhlich darinnen sein. O HErr hilf (das ist Hosianna), o HErr laß wohl gelingen. Gelobet sei, der da kommt im Namen des HErrn. Die Kinder wurden also nach dem Vorgang anderer rechtschaffener Israeliten im Tempel durch einen göttlichen Antrieb fröhlich, und riefen dem HErrn Jesu die Worte: Hosianna dem Sohn Davids zu; da hingegen die Hohenpriester und Schriftgelehrten finster und grimmig waren, weil der Feind, der rachgierige Satan, ihre Herzen erfüllt hatte, der aber durch das Geschrei der Kinder überwunden und zurückgetrieben wurde.
Lasset uns aus dieser Geschichte lernen, wie kleine Kinder keine unbedeutenden Personen im Reich Gottes seien, wie sie göttlicher Gnadenwirkungen fähig seien, und wie ihr Beten, Loben und Danken, welches durch denselben Geist erregt wird, ein wichtiger Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens sei. Man errichtet heutiges Tags viele Erziehungsanstalten, und schreibt viele Bücher von der Erziehung der Kinder: es scheint aber, die Anweisung zur Anbetung und zum Lob des HErrn Jesu werde allzuviel dabei vergessen, und man rechne viel zu wenig auf die Wirkungen des Heiligen Geistes in den Seelen der Kinder und auf die Empfindungen, welche sie von der Wahrheit auch ohne einen tiefsinnigen Beweis bekommen. Alte Leute haben mit Aergernissen, Zweifeln, Menschenfurcht und gefährlichen Lüsten zu kämpfen, und müssen deßwegen, wenn sie aus der Taufgnade gefallen sind, mit einem ernstlichen Kampf zu der Gnade und Wahrheit durchbrechen. Wer nun Kinder in der Auferziehung auch dazu anstrengen will, irret sehr. Sie glauben leicht, sie freuen sich leicht. Die Wahrheit findet bald bei ihnen Eingang. Zu ihrem himmlischen Vater und zu ihrem göttlichen Erlöser fassen sie bald eine Zuversicht. Sie loben Ihn, wenn Andere schweigen; sie bekennen Seinen Namen, wenn Furcht, Neid, Haß, Mißmuth und Zweifel Andere stumm macht. Nicht die Kunst, sondern Gott selbst macht sie durch das Evangelium, wenn man’s ihnen treulich vorsagt, zu Seinem Lob tüchtig. Alte müssen umkehren, und wie die Kinder werden, wenn sie in’s Reich Gottes eingehen wollen.

Ps. 13

Ich will dem HErrn singen, daß Er so wohl an mir thut.
Ps. 13,6.

Ein Christ ist gegen die Leiden, die auf ihn zudringen, nicht unempfindlich, und wird durch dieselben zuweilen sehr in die Enge getrieben und tief niedergedrückt. Er begehrt sich auch durch eine leichtsinnige Zerstreuung seiner Gedanken und weltliche Lustbarkeiten über die Empfindung seines Elends nicht wegzusetzen, und verstellt sich nicht, wenn er traurig ist, sondern betet, redet und handelt so, wie es der Zustand seiner Seele mit sich bringt. Er sucht aber doch den rechten Ausgang seiner Traurigkeit sehnlich. Er bestrebt sich, aus der Dunkelheit in das helle Licht, aus der Tiefe in die Höhe des Glaubens, und aus der Enge in einen weiten Raum zu kommen. Wie erreicht er aber diesen Zweck? Durch’s Gebet und durch einen ringenden Glauben, dem Gott mit Seiner Gnade und Hülfe zur rechten Zeit begegnet. Dieses Alles lehret der 13. Psalm, in welchem David zuerst klagte und fragte: HErr, wie lange willst Du mein so gar vergessen? Wie lange verbirgst Du Dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele, und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Er betete auch: Schaue doch, und erhöre mich, HErr, mein Gott. Erleuchte meine Augen, daß ich nicht im Tode entschlafe. Daß nicht mein Feind rühme, er sei mein mächtig worden, und meine Widersacher sich nicht freuen, daß ich darniederliege. Bi daher war David niedergeschlagen, und rief aus der Tiefe zu Gott; nun erleuchtete aber Gott seine Augen, wie er gebeten hatte, nun wurde sein Glaube gestärkt, nun wurde seine Seele aufgerichtet; darum konnte er zuletzt sagen: ich hoffe aber darauf, daß Du so gnädig bist; mein Herz freuet sich, daß Du so gerne hilfest. Ich will dem HErrn singen, daß Er so wohl an mir thut. Zuerst kam also eine neue Hoffnung in seine Seele, darnach Freude, und aus der Freude entstand das Gelübde: ich will dem HErrn singen. Zuerst dachte er daran, daß der HErr gnädig sei, darnach, daß Er nicht nur helfen werde, sondern auch gern helfe, und endlich, daß Er nicht nur aus der Noth helfe, sondern auch wohlthue, oder die Wohlfahrt der Seinigen schaffe und befestige.
Dieser Psalm bestraft mich wegen meines Eigensinns, mit welchem ich oft allzulang im Trauern und Klagen verharrt bin, und den Ausgang aus der Traurigkeit und dem Klagen, welchen David oft bald gefunden hat, nicht auch gesucht habe. Wenn ich meine Klagen bei mir selbst behalten und hundertmal in Gedanken wiederholt habe, so bin ich nicht heiter worden; und wenn ich nur bei mir selbst oder nur bei Menschen Hülfe gesucht habe, so ist mir nicht geholfen worden. Wenn ich aber meine Klage vor dem HErrn ausgeschüttet, wenn ich Ihn mit einer demüthigen Vertraulichkeit gefragt habe: warum? wenn ich Ihn als meinen Gott um Trost und Hülfe gebeten habe, so ist meine Seele wieder heiter worden. Anstatt der traurigen Schreckbilder ist mir die Gnade Gottes vor’s Gesicht gekommen; meine Traurigkeit ist in Freude und meine Klage in einen Lobgesang verwandelt worden. HErr, lehre mich durch Deinen guten Geist diesen Ausgang aus der Schwermuth immer bald suchen und finden, und vergib mir den hartnäckigen Unglauben, womit ich mich oft wider Deinen Willen verfinstert und gequält habe. Meine Klage und mein Lobgesang komme in Dein gnädiges Angedenken um des Fürsprechers Jesu Christi willen. Amen.

Ps. 18

Herzlich lieb habe ich Dich, HErr.
Ps. 18,2.

Als David von der Hand seiner Feinde und von der Hand Sauls errettet war, so überdachte er seinen zurückgelegten Lauf vor dem HErrn, und weil bei der Gesetzgebung auf dem Berg Sinai die deutlichste Offenbarung Gottes, die man zu seiner Zeit wußte, geschehen war, so erinnerte er sich derselben, und beschrieb sie V. 8 – 16. Nun war zwar dasjenige, was Gott auf dem Berg Sinai redete, wenn man das Verheißungswort: Ich bin der HErr, dein Gott, wegließ, ein verdammendes Gesetz, ein tödtender Buchstabe für den Sünder, und Alles, was man dabei sah, waren schreckende Zeichen. Wenn man aber, wie David, Alles zusammennahm, wenn man das Liebliche und das Schreckliche, die Verheißung und die Gebote in Einen Blick zusammenfaßte, so war Alles erträglich und heilsam. Man erkannte alsdann, daß Gott ein starker, eifriger Gott sei, er doch geliebt sein wolle, und dessen Gebote man halten müsse und könne. Nun sagte David: Gott hat Sich so auch an mir bewiesen, wie Er Sich auf dem Berg Sinai geoffenbart hat; Er hat mit Seiner Stärke mich Schwachen gestärkt und mich aus großen Nöthen herausgerissen. Er ist in Seinem Eifer meinen starken Feinden schrecklich geworden, und hat sie gestürzt. Er hat dabei auf mein Verhalten gesehen und mir Gutes gethan, weil ich Seine Gebote halte; Er ist hingegen gegen diejenigen verkehrt, oder handelt denjenigen gerade entgegen, die in ihnen selbst verkehrt sind. Auf Ihn will ich bei der Lauterkeit meines Herzens ferner Alles wagen u.s.w. Die Summe aber von allen Eindrücken, welche David bei dieser Betrachtung bekam, ist diese: Herzlich lieb hab’ ich Dich, HErr.
Ich bin ein Christ und habe auch die Offenbarungen Gottes vor Augen, welche zu Bethlehem, zu Nazareth, an allen Orten, da Jesus gewohnt und gewandelt hat, insonderheit aber auf dem Verklärungsberg, an und auf dem Oelberg, in der Stadt Jerusalem und auf dem Hügel Golgatha, endlich aber zu Jerusalem bei der Ausgießung des Heiligen Geistes geschehen sind. Hier offenbarte sich Gott auch als ein starker eifriger Gott, denn Seine Kraft führete Alles aus und Sein Eifer zeigte sich an Seinem Sohn, der ein Fluch für mich wurde, zur Ueberwindung der Sünde und des Satans. Es war aber noch mehr Licht dabei, als auf dem Berg Sinai. Die Liebe Gottes erschien viel heller, die Versöhnung der Welt geschah durch das rechte Opfer, worauf man schon lange gewartet hatte. Christus war ein sichtbare Bild des unsichtbaren Gottes und ein wesentlicher Abdruck des Gesetzes. Es wurde deutlich entdeckt, daß nichts Fleischliches, Sichtbares und Vergängliches, keine Ceremonie, kein Land, keine steinernen Tempel die Menschen glücklich machen, sondern daß das Reich des Messias ein Himmelreich sei, und daß alle Vorzüge der Glaubigen geistlich und himmlisch seien. Wie Sich nun Gott in Christo geoffenbart hat, so will Er von mir erkannt sein. nach dieser neutestamentlichen Offenbarung, welche die alttestamentliche nicht umstößt, sondern ergänzt und erklärt, will Er meine und meiner Mitchristen Führung einrichten. Er thut es auch, und ich soll, wenn ich meinen zurückgelegten Weg betrachte, sagen: Herzlich lieb habe ich Dich, HErr. ich habe Dich lieb wegen der Erlösung, welche Du durch Deinen eingebornen Sohn ausgeführt, und wodurch Du Dich auf’s Deutlichste als Liebe geoffenbart hast. Ich habe Dich aber auch lieb wegen der treuen und heilsamen Führung, die Du mir bisher hast widerfahren lassen und endlich auch wegen der mir geschenkten Hoffnung eines ewigen Lebens.

Ps 19

Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes, und das Gespräch meines Herzens vor Dir, HErr mein Hort und mein Erlöser. Ps. 19,15.

David hatte eine Betrachtung über den Himmel und die Sonne angestellt, und mit dieser das helle klare Wort Gottes verglichen, welches die ganze Welt, wo es gepredigt und angenommen wird, erleuchtet. Nachdem er hierauf dieses Wort Gottes hoch gepriesen hatte, that er V. 13. 14. etliche Bitten an Gott, und beschloß endlich den Psalmen mit den Worten: laß Dir wohlgefallen die Rede meines Munde, und das Gespräch oder die Betrachtung meines Herzens vor Dir, HErr mein Hort und mein Erlöser. Indem er den Psalmen schrieb, redete sein Mund nichts, er drückte aber den Beschluß desselben so aus, wie er sich für denjenigen schickte, der diesen Psalmen liest, und mit dem Munde ausspricht, und die darin enthaltene Betrachtung so in sich hinein nimmt, daß sie eine Betrachtung seines Herzens heißen kann. Die Rede des Mundes kann Gott wohlgefallen, wenn sie nichts al Wahrheit enthält, und zugleich eine Betrachtung des Herzens ausdrückt, folglich keine heuchlerische Rede ist. Vor Gott soll diese Betrachtung des Herzens angestellt werden; so daß man seine Gegenwart dabei sich vorstellt und fühlt, und von Seinem Geist geleitet wird. Auf diese Weise sind auch die in diesem Buch enthaltenen Betrachtungen gedacht und geschrieben worden, wiewohl sie nicht so rein und unfehlbar sind, wie die Psalmen Davids, und wenn der Leser sie lesend ausspricht, und zu Betrachtungen seines eigenen Herzens macht, so soll er auch mit seinem Geist vor Gott sein, und Seiner göttlichen Unterweisung, die ihm durch die in diesem Buch enthaltenen Wahrheiten widerfahren kann, bei sich Raum geben. Wer redet und schreibt, was er selbst nicht glaubt, ist ein boshafter Betrüger; und wer Amts oder Ruhms halber Wahrheiten redet und schreibt, und darüber auch mit seiner Vernunft Betrachtungen anstellt, aber so, daß daran sein Herz oder sein Innerstes keinen Antheil nimmt, und Gottes wirksame Gegenwart nicht empfindet, betrügt sich selbst, indem er meint, er glaube etwas, das er doch nicht von Herzen glaubt. Aus seinem eigenen Munde wird er dereinst gerichtet werden. David nannte hier Gott seinen Hort und seinen Erlöser. Das Wort Hort bedeutet eigentlich einen Felsen, auf welchem ein Mensch zu derjenigen Zeit, da die jetzigen kriegerischen Werkzeuge noch nicht erfunden worden waren, seine Sicherheit finden konnte. Indem also David Gott seinen Hort nannte, so bekannte er, daß Gott ihn beschirme, und gegen die Stolzen, von denen er V. 14. redete, und gegen alle seine Feinde in Seinen Schutz nehme. Er nannte Ihn aber auch seinen Erlöser, weil er glaubte, daß Er das ihm angethane Unrecht räche, und ihn aus einer jeden Noth, in die er gerathe, wieder errette. Auch ich darf den HErrn meinen Hort nennen, und mich dadurch der Furcht erwehren. Ich darf ihn meinen Erlöser nennen, und wenn ich es glaubig thue, so wird mich die Ungeduld und Zaghaftigkeit in keiner Noth überwältigen. Mein Mund soll Ihn bekennen, und was mein Mund redet, soll mein Herz glauben, und beides soll vor Ihm geschehen, so daß mich Sein Licht erleuchte, und Seine Kraft leite. Was Er 1 Mos. 17,1. zu Abraham gesagt hat, gilt auch mir. Ich bin der allmächtige (allgenugsame) Gott, wandle (schreibe, rede, denke, leide, und thue deine Werke) vor Mir, und sei fromm.

Ps. 25

Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Uebertretung: gedenke aber mein nach Deiner Barmherzigkeit um Deiner Güte willen. Ps. 25,7.

Wer ist, der nicht nöthig hätte, also zu beten? In der Jugend ist man unerfahren, leichtsinnig, feurig, und empfindet alle Reizungen zur Sünde sehr lebhaft. doch regt sich die Taufgnade bei Christen eine Zeit lang, widerstrebt der Sünde, und läßt das Kind nicht ohne Scham und Angst bleiben, wenn es sich übereilt hat. Weil aber die Versuchungen stärker wachsen, so kommt kein getauftes Kind durch, es sei denn, daß es auch nach dem Beispiel Christi an Weisheit und Gnade bei Gott und Menschen wachse, und zu der kleinen Geisteskraft, die es von der Taufe her in sich hat, eine größere aus der Fülle Jesu Christi bekomme. Wenn aber ein Kind die Empfahung dieser größern Kraft versäumt, folglich nicht ernstlich betet, nicht wacht, das Wort Gottes nicht fleißig hört, liest und betrachtet, dagegen aber sich zu bösen Gesellschaften schlägt, und an dem thörichten und muthwilligen Beginnen der Weltkinder sich vergafft: so verliert es die Taufgnade, wird mit Lastern befleckt, fällt von einer Sünde in die andere, und weicht mit seinem Herzen von Gott ab. Dieses ist das klägliche Schicksal der meisten getauften Kinder, und so mag es auch ehemals mit den meisten Kindern der Israeliten gegangen sein. David, der vielleicht in seiner Jugend vielen andern Kindern und Jünglingen vorzuziehen war, wurde von dem Geist Gottes zu derjenigen Zeit an die Sünden seiner Jugend gemahnt, da er Ps. 25,16.17.18. beten mußte: wende Dich zu mir, und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß, führe mich aus meinen Nöthen. Siehe an meinen Jammer und Elend, und vergib mir alle meine Sünden. Da er also um die Vergebung aller seiner Sünden bat, so bat er auch um die Vergebung seiner Jugendsünden, deren er sich eben damals mit Reue und Scham erinnerte; da er in der Jugend selbst in seinem Gemüth flüchtig darüber weggegangen war. Es gibt also Stunden, in welchen Gott auch frommen und begnadigten Personen die Sünden ihrer Jugend, und so auch andere ehemalige Uebertretungen zu ihrer Zermalmung und Demüthigung vor die Augen stellt, und sie darnach auf’s Neue kräftig überzeugt, wie nöthig ihnen die Gnade und ein Erlöser sei. In diesem Fall aber soll ein Jeder bitten: gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Uebertretung. Gedenke ihrer jetzt nicht, und gedenke ihrer nicht am Tage des allgemeinen Weltgericht, daß Du sie mir zurechnetest. Gedenke aber meiner nach Deiner Barmherzigkeit um Deiner Güte willen. Weil Du ein gütiger Gott und Vater, ja die Liebe bist, so gedenke meiner, der ich einsam und elend bin, nach Deiner Barmherzigkeit. Erzeige mir Hülfe, wenn mir Hülfe nöthig ist, schenke mir Licht und Kraft zum Sieg über alle Versuchungen; gedenke meiner, wenn ich sterbe, daß Du meine Seele sanft aus dem Leib heraushebest und aufnehmest. Gedenke meiner nach Deiner Barmherzigkeit, wenn Du die Welt richten wirst, daß Du mir alsdann keinen zornigen Vorhalt wegen meiner Sünden machest, sondern mir mit allen Auserwählten das ewige Erbe aus Gnaden schenkest. O Gott! gedenke auch meiner auf diese Weise am besten. Amen.

Ps. 29

Bringet dem HErrn, ihr Gewaltigen, bringet her dem HErrn Ehre und Stärke; bringet her dem HErrn Ehre Seines Namens.
Ps. 29,1.2.

Diese Worte sind eine Anrede an die Söhne der Gewaltigen, das ist an Leute, die von einem vornehmen Stamm herkommen, und unter den Menschen geehrt und mächtig sind. Diese Personen werden gewarnt, ihre Herrlichkeit und Macht sich selber nicht zuzueignen, folglich nicht sich selber zu vergöttern und vergöttern zu lassen, sondern dem HErrn Ehre und Stärke zu bringen, das ist, demüthig zu bekennen, daß Er allein herrlich sei und gepriesen zu werden verdiene, und daß Er allein stark sei. Als ein Beweis der Herrlichkeit und Stärke Gottes werden in diesem Psalmen der Donner, der Sturmwind, und die Sündfluth angeführt, bei welchen großen Bewegungen in der Natur die Könige und Fürsten und alle Herrlichen und Starken unter den Menschen niemals etwas hindern oder fördern konnten, sondern immer erkennen mußten, daß ein herrlicher und starker Gott über ihnen sei, und sie, und Alles, was sie haben, in einem Augenblick verderben könne. Auch beruft sich David V. 10. 11. darauf, daß Gott ein ewiger König sei, und daß Er nicht nur herrlich und stark in Sich selber sei, sondern auch Seinem Volk Kraft gebe, und es mit Wohlfahrt segne. Was nun David hier im Geist den Söhnen der Gewaltigen befiehlt, hat er selbst beobachtet, wie der Psalter beweist. Nirgends wird aber so deutlich und vollständig erzählt, wie er dem HErrn Ehre und Stärke gegeben habe, als 1 Chron. 29,10. u.ff. David, der König Israels, der Beherrscher vieler heidnischen Länder, der Sieger in vielen Kriegen, der reiche König über ein reiches Volk, stand als ein Greis unter den Häuptern und Fürsten, Kämmerern, Offizieren und tapferen Männern Israels, und hatte eine ungeheure Menge von Gold, Silber, Erz und Eisen vor sich, welche zum Bau des Tempels von ihm und seinen Gewaltigen zusammengelegt war. Er freute sich hoch, und lobete Gott, und sprach vor der ganzen Gemeinde: gelobet seiest Du HErr Gott Israels, unsers Vaters, ewiglich. Dir gebühret die Majestät und Gewalt, Herrlichkeit, Sieg und Dank. Denn Alles, was im Himmel und auf Erden ist, ist Dein. Dein ist das Reich, und Du bist erhöhet über Alles zum Obersten. Dein ist Reichthum und Ehre vor Dir. Du herrschest über Alles: in Deiner Hand stehet Kraft und Macht: in Deiner Hand stehet es, Jedermann groß und stark zu machen – denn was bin ich? was ist mein Volk? – denn von Dir ist Alles kommen, und von Deiner Hand haben wir Dir’s gegeben, u.s.w. Dieses heißt, Gott Herrlichkeit und Stärke geben. Dieses heißt anbeten im heiligen Schmuck. Alle Menschen sollen dem König David hierin nachfolgen. Alle sollen erkennen, daß Gott allein wegen Seines Wesens und wegen Seiner Werke gepriesen zu werden verdiene, daß Er allein mächtig, allein weise sei, allein Unsterblichkeit habe, und Niemand gut sei, als Er. Alles Gute in den Geschöpfen ist Sein Werk und Seine Gabe. Wie billig ist’s also, daß man Ihn wegen Allem preise! Von Ihm, durch Ihn, zu Ihm hin sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Nicht nur ihre Söhne der Gewaltigen, sondern auch ihr Völker: bringet her dem HErrn, bringet her dem HErrn Ehre und Macht, bringet her dem HErrn die Ehre Seinem Namen, bringet Geschenke, und kommet in Seine Vorhöfe (die zur Zeit des Neuen Testaments allenthalben sind, wo man Gott anbetet), betet an den HErrn im heiligen Schmuck, es fürchte Ihn alle Welt, saget unter den Heiden, daß der HErr König sei! Ps. 96,7-10.

Der Gott der Ehren donnert.
Ps. 29,3.

Es gibt Geschöpfe, aus welchen Seine wohlthuende Güte, andere, aus welchen Seine Weisheit und Ordnungsliebe, andere, aus welchen Seine erquickende Freundlichkeit, und wiederum andere, aus welchen Seine mit Ehrfurcht zu bewundernde Macht und Stärke vorzüglich hervorleuchtet. Von dieser Gattung sind insonderheit die großen Wasser, weßwegen Gott Ps. 29,3. der HErr auf großen Wassern genannt wird. Mit diesen großen Wassern stehen die Wolken in Verbindung, als welche großentheils aus den Dünsten entstehen, die aus großen Wassern in die Höhe steigen. Eben diese Wolken aber werden oft auch die Behälter, worin sich die Materie sammelt, aus welcher nach Seinem Befehl der Donner und Blitz entsteht. Wenn es also donnert, so soll man denken: der Gott der Herrlichkeit donnert. Elihu, der Freund Hiobs, redete fein davon, da er Hiob 37,2.3.4.5. sagte: Lieber! höret doch, wie Sein Donner zürnet, und was für Gespräch aus Seinem Munde ausgeht. Er siehet unter allen Himmeln, und Sein Blitz scheinet auf die Enden der Erde. Demnach brüllet der Donner, und Er donnert mit Seinem großen Schall, und wenn Sein Donner gehöret wird, so kann man’s nicht aufhalten. Gott donnert mit Seinem Donner greulich, und thut große Dinge, und wird doch nicht erkannt. Elihu nennt den Donner ein Gespräch, das aus Gottes Munde geht. Was spricht Er nun, wenn Er donnert? Er spricht zu den Menschen: Ich bin der HErr, der Allmächtige, euer Leben und eure Güter sind in Meiner Gewalt. Ich bin ein starker und eifriger Gott, ein HErr, der zu fürchten ist, Mich soll man anbeten, Mir soll man dienen. Was sind die Könige und alle Gewaltigen der Erde gegen Mich? Wenn Ich donnere, wer will’s hindern? Wenn Ich mit dem Strahl tödte, wer will’s abwenden? Ja, wer will vorher merken, wen dieser treffen werde? So erkennet also, daß Niemand Meinen unbegreiflichen Gerichten widerstehen, und Meiner Hand entrinnen könne. Und gleichwie Meine Blitze auf der Erde helle machen: also ist Alles bloß und entdeckt vor Meinen Augen u.s.w. Man bedenke auch, was Hiob 38,25.33.34.35. steht.
Diese Betrachtungen stehen einem Christen wohl an, wenn es donnert und blitzt, und es ist zu wünschen, daß sie einem Jeden einen tiefen Eindruck geben. Es gibt aber Leute, die bei den Donnerwettern in eine übertriebene Furcht, in ein angstvolles Entsetzen gerathen, und nicht wissen, wo sie sich verbergen sollen. Solche Leute sollten aber die Ursache dieser Furcht und Angst nicht in dem Rasseln des Donners, nicht in dem Glanz des Blitzes, nicht in der Leichtigkeit der Lust, nicht in ihrem Blut und in ihren Nerven allein suchen, sondern vornehmlich in ihrem Gewissen, welches ihnen heimlich sagt, daß sie vor dem heiligen Gott noch nicht bestehen können, und zu einem schnellen Tod noch nicht geschickt seien. Wo wollen sie denn am jüngsten Tag hinfliehen: wenn die Himmel mit großem Krachen vergehen, und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden? Wollen sie alsdann zu den Bergen und Felsen sagen: fallet auf uns, und verberget uns vor dem Angesicht deß, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes? Lasset uns lieber in der Gnadenzeit Gnade bei dem Gnadenthron Christi suchen, und mit dem Gebet und der Betrachtung des Worts Gottes anhalten, bis anstatt der Furcht, die da Pein hat, der Friede Gottes und die völlige Liebe in unsern Herzen regieret. Glaubige und begnadigte Christen dürfen denken, der Gott welcher donnert, sei ihr Vater, und dieser Name kann die jagende Furcht vermindern, oder völlig wegnehmen.

Ps. 30

Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude.
Ps. 30,6.

Weil auf dem Erdboden immer viel Jammer ist, so wird auch ohne Zweifel der gegenwärtige Abend von vielen Menschen mit Weinen zugebracht, und dieses Weinen kann auch in der Nacht, welche einbricht, von Einigen fortgesetzt werden. Wenden sie sich aber unter ihrem Weinen zu Gott, dürsten sie dabei nach Seinem Trost, schütten sie ihr Herz in ihrer Betrübniß vor Ihm aus, so kann es geschehen, daß am nächsten Morgen eine Freude in ihrem Herzen anbricht, wenn nämlich der Heilige Geist ihre Herzen durch einen evangelischen Zuspruch kräftig tröstet, und sie etwa auch eine Hülfe in der Nähe oder von Weitem erblicken läßt. Auf diese Weise kann der obenstehende Spruch nach dem Buchstaben an Einigen erfüllt werden. Ohne Zweifel darf er aber auch als ein Sprüchwort oder als eine verblümte Rede erklärt werden. Man weint zuweilen auch des Morgens oder Mittags, wie denn auch David Ps. 55,18. sagt: des Abends, Morgens oder Mittags will ich klagen und heulen, so wird der HErr meine Stimme hören. Man mag aber zu einer Tageszeit weinen, zu welcher man will, so darf man an das Wort gedenken: den Abend lang währet das Weinen; aber des Morgens die Freude. Wenn man weinet, so ist’s gleichsam Abend. Die Sonne scheinet nicht mehr, Finsterniß nimmt die Seele ein, und diese stellt sich vor, der Zorn Gottes breche nun über sie aus. Allein dieses Alles währet nicht lange: der Zorn Gottes währet einen Augenblick, und nach dem Abend der Traurigkeit folgt wieder ein Morgen der Freude. Jener Augenblick wird bei der Vergleichung mit heiteren Stunden, noch mehr aber in der Vergleichung mit der freudenvollen Ewigkeit berechnet und erkannt: und gleich wie der Abend von dem Morgen nicht weit entfernt ist, also ist auch die Zeit des Weinens von der Zeit der Freude, da die Sonne gleichsam wieder aufgeht, und der HErr Sein Antlitz wieder leuchten läßt, nicht weit entfernt. Zwar denkt zuweilen ein weinender Mensch, er könne nimmer aufhören zu weinen, und ein Trauernder, er wolle nimmer aufhören zu trauern: ist er aber ein wahrer Christ, und hat der Heilige Geist das Regiment in seiner Seele, so kann er seinen Vorsatz nicht ausführen, er kann’s nicht hindern, wenn ihm der Heilige Geist dasjenige, worüber er geweint hat, auf einer heiteren oder wenigstens erträglichen Seite vorstellt: ja er muß es leiden, wenn dieser göttliche Geist ihm den Sack gleichsam auszieht, und ihn mit Freuden gürtet, wie von David V. 12. gesagt wird. Nur ein steifer Eigensinn kann das Trauern, welches alsdann ein unglaubiges Murren wider Gott ist, ganze Monate und Jahre durchsetzen. An einem Glaubigen aber wird immer das Wort erfüllt: den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude. Wenn er auch die Freude und Wonne nicht ergreifen kann und mag, so ergreift die Freude und Wonne ihn, wie Jes. 35,10. gesagt wird: und wenn er seinen Mund zum Heulen und Klagen lange genug gebraucht hat, so macht der HErr selbst seinen Mund wieder fröhlich (Ps. 103,5.), daß er des HErrn Lob aussprechen, und Ihm fröhlich singen kann. Bei der Aufnahme in die selige Ewigkeit wird einem Christen ein heiterer Morgen der Freude anbrechen, auf den kein trauriger Abend mehr folgen wird. Man wird zwar alsdann dasjenige, worüber man bei Leibesleben geweint hat, wie Abraham Luk. 16,25., etwas Böses nennen; doch aber mit Gottes Führung zufrieden sein, und nimmer weinen können, weil Gott alle Thränen von den Augen abwischen wird.

Ps. 31

In Deine Hände befehle ich meinen Geist: Du hast mich erlöset, HErr, Du treuer Gott.
Ps. 31,6.

Fast eben diese Worte hat der sterbende Erlöser am Kreuz ausgesprochen, und ein jeder Christ darf sie Ihm nachsprechen. David war noch ein junger Mann, als er seinen Geist in die Hände Gottes befahl, denn er that es damals, da ihm Gott eine wunderbare Güte in einer festen Stadt, nämlich in der Stadt Kegila, bewiesen, wie 1 Sam. 23. erzählt wird, da es ihm aber auch sehr wehe that, daß seine Nachbarn sich seiner schämten, seine Verwandten sich vor ihm scheueten, und Alle, die auf den Gassen ihn sahen, vor ihm flohen, damit sie nicht durch das Gespräch mit ihm, als einem in die Ungnade des Königs gefallenen Mann, unglücklich, und in eben diese Ungnade verwickelt würden. Er war auch damals in einer großen Lebensgefahr; denn es schalten ihn nicht nur Viele übel, sondern rathschlagten auch mit einander, und gedachten ihm das Leben zu nehmen: wobei er denn inne werden mußte, daß diejenigen, denen er Gutes gethan hatte, seiner vergaßen, und ihn wie ein zerbrochenes Gefäß gleichsam wegwarfen, V. 12.13.14. Hiebei machte dann die Bekümmerniß seinen Leib schwach und krank, da ihn ohnehin auch seine Missethat innerlich anfocht, und es däuchte ihn, es gehe mit ihm dem Sterben zu. Er sagte aber unter vielen Aeußerungen eines ringenden Glaubens V. 16. zu Gott: meine Zeit steht in Deinen Händen, Du kannst mich erhalten und kannst mich sterben lassen, und V. 6.: in Deine Hände befehle ich meinen Geist, Du hast mich erlöset, HErr, Du getreuer Gott. Wir lernen hieraus, daß, wenn wir unsern Geist in die Hände Gottes befehlen wollen, wir es nicht auf die letzten Augenblicke unsers Lebens aufschieben sollen, wiewohl es auch alsdann nach dem Beispiel Christi geschehen soll, sondern daß wir es auch vorher und zwar mehrmals thun sollen. Wir haben nicht nöthig, uns etwas Besonderes auf die Ewigkeit auszubitten: hat es doch auch der sterbende Erlöser nicht gethan. Wenn nur unser Geist in Gottes Hände kommt, und als eine Ihm übergebene Beilage bis an den Tag der Auferstehung von denselben umschlossen und bewahrt wird, so kann uns genügen. In den Händen Gottes wird unser ermüdeter Geist ruhen, da wird ihn keine Qual anrühren. Indem wir aber unsern Geist in die Hände Gottes befehlen, so kann die Erinnerung der mannigfaltigen Erlösung, die uns schon von dem treuen Gott widerfahren ist, unsern Glauben stärken. David erfuhr eine solche Erlösung in der Stadt Kegila, und lobte Gott wegen derselben in den letzten Versen dieses Psalms; war aber schon vorher mehrmals eine gleiche Erlösung inne worden, auf die er sich V. 6. berief. Er nannte hiebei Gott einen treuen oder wahrhaftigen Gott; denn er erfuhr, daß Gott dasjenige, was Er ihm durch den Propheten Samuel bei der Salbung und auch sonst in Seinem Wort und durch innerliche Ansprachen verheißen hatte, treulich erfülle. Auch Jakob sprach 1 Mos. 32,12. zu Gott: Du hast gesagt: Ich will dir wohl thun, u.s.w. und erfuhr hernach, daß Gott wahrhaftig sei. Er hat auch mich erlöst, und wird mich auch aus der Todesnoth erlösen. Ich befehle meinen Geist in Deine Hände, HErr, Du getreuer Gott.

Ich aber, HErr, hoffe auf Dich, und spreche: Du bist mein Gott.
Ps. 31,15.

David klagte Ps. 31. über große Nöthen, die ihn betroffen haben, und sagte unter Anderem V. 11.12.13.14.: mein Leben hat abgenommen vor Betrübniß, und meine Zeit vor Seufzen: meine Kraft ist verfallen vor meiner Missethat, und meine Gebeine sind verschmachtet. Es gehet mir, daß ich bin eine große Schmach worden meinen Nachbarn, und eine Scheu meinen Verwandten: die mich sehen auf den Gassen, fliehen vor mir. Mein ist vergessen im Herzen, wie eines Todten: ich bin worden wie ein zerbrochen Gefäß; denn Viele schelten mich übel, daß Jedermann sich vor mir scheuet: sie rathschlagen mit einander über mich, und denken, mir das Leben zu nehmen. Nach dieser Klage sagt er: ich aber, HErr, hoffe auch Dich, und spreche. Du bist mein Gott. Ich lerne aus diesen Worten Davids, daß ein Mensch sehr betrübt und doch glaubig sein könne. Die Betrübniß über zugestoßene Nöthen kann mit dem Bewußtsein begangener Sünden vermengt sein: und doch kann und darf der Mensch auf den HErrn hoffen. Weil Christus in Seinem letzten Leiden von allen Menschen, auch von Seinen Jüngern verlassen worden ist, so soll ein Christ sich nicht weigern, auch in einen solchen Stand der Verlassung einzutreten. Meine Nachbarn, meine Verwandten können sich mir entziehen: hingegen darf ich zu dem HErrn sprechen: Du bist mein Gott. Er will mich nicht verlassen noch versäumen. David wurde von den gottlosen Hofleuten Sauls gescholten, und bezüchtiget, er stelle dem König, der sein Schwäher war, nach dem Leben, und wolle durch Mord und Aufruhr sich auf den königlichen Thron schwingen. Diesen Verläumdern glaubten viele sonst redliche Leute, und David konnte ich nicht genug rechtfertigen. Man sahe, daß er in des Königs Ungnade stehe, und ein Jeder, der ihm freundlich begegnete, und ihm Gutes thun würde, des Königs Zorn wider sich erwecken könne, wie der Hohepriester Ahimelech. David mußte also ein zeit lang auf den ehrlichen Namen Verzicht thun, und leiden, daß Leute, die sonst seine Freunde gewesen waren, vor ihm flohen, oder eilends abwegs gingen, wenn er ihnen begegnete, und ihn scheueten, wenn er mit ihnen zu thun haben wollte. Man vergaß seiner wie eines Todten, dem man nichts Gutes mehr erzeigt, weil man durch Verläumdungen wider ihn eingenommen war, oder den Zorn Sauls fürchtete, und wollte nichts mehr von ihm wissen. Er war wie ein zerbrochenes Gefäß, das man wegwirft. Leute, die an dem Grimm Sauls Antheil nahmen, und sich ihm gefällig machen wollten, rathschlagten sogar über ihm, und gedachten ihm das Leben zu nehmen. Wie gut war’s, daß er unter diesen Umständen sagen konnte: ich aber, HErr, hoffe auf Dich, und spreche: Du bist mein Gott! Für alle Schmach und Gefahr war ihm also sein Gott der beste Ersatz, die einige Zuflucht; und fürwahr der HErr, auf den David hoffte, und der sein Gott war, rettete seine Ehre, schützte sein Leben, und half ihm aus allen Nöthen. Auch ich soll unter meinen gegenwärtigen und künftigen Leiden auf Gott hoffen, und sprechen: Du bist mein Gott. Ich werde dieses nie lauterer thun, als wenn mich Gott von Menschen verlassen, oder wenigstens inne werden lassen wird, daß Menschenhülfe kein nütze sei.

Meine Zeit stehet in Deinen Händen.
Ps. 31,16.

Auch meine Zeit stehet in Deinen Händen, Herr mein Gott, wie die Zeit Deines Knechts David. Du hast die Zeit meiner Geburt bestimmt, daß sie in denjenigen Theil der Weltzeit hat fallen müssen, in den sie gefallen ist, und daß ich an den Begebenheiten, die indessen in der Welt vorgekommen sind, einigen Antheil habe nehmen können. Dank sei Dir gesagt, daß Du meine Geburt in die Zeit des Neuen Testaments, in die angenehme Zeit, in den Tag des Heils hast fallen lassen, und daß auch zu dieser meiner Zeit das Evangelium in der Weltgegend, wo ich wohne, helle scheinet. Meine Zeit steht auch sofern in Deinen Händen, daß Du bisher durch Deine Vorsehung bestimmt hast, wie lange ich an einem jeden Ort bleiben soll, und mein Bleiben noch jetzt bestimmest. Wenn Dein Angesicht nicht mit mir gehet, so führe mich nicht von hier weg. Meine Zeit stehet in Deinen Händen: doch lässest Du mir die Freiheit, in dieser meiner Zeit Gutes oder Böses zu thun, fleißig oder träg zu sein, und überhaupt die Zeit so oder anders anzuwenden. Doch bietest Du mir Licht und Kraft an, Gutes zu thun. Du lehrest, tröstest, züchtigest und leitest mich, wenn ich darauf merken will. Du willst meine Zeit zu einer Saatzeit machen, auf welche eine gesegnete Ernte folgen können. Soll ich auch zuweilen mit Thränen säen, so willst Du durch Deine Gnade verschaffen, daß ich dagegen mit Freuden ernte. Meine Zeit stehet nach ihrer ganzen abgemessenen Währung in Deinen Händen. Arbeiten, Krankheiten und andere Zufälle hätten mich schon lange aufgerieben, wenn meine Zeit nicht in Deinen Händen stünde. Du aber, o Gott, erhieltest mich bisher, weil meine Zeit noch nicht abgelaufen war, und wirst mich auch so lange erhalten, bis die rechte Stunde meiner Entlassung von meinem Dienst kommen wird, die Du allein weißest. Verleihe Gnade, daß alsdann mein Wille dem Deinigen nicht widerstrebe, und ich also gern und im Frieden dahin fahre. Meine Zeit steht in Deinen Händen; daß aber ein Segen auf dieser meiner Zeit liegt, daß mir darin an der Seele und am Leib viel Gutes widerfährt, und daß sie eine ewige Seligkeit nach sich ziehen kann, habe ich den zweiunddreißig Jahren und etlichen Monaten zu danken, die Dein lieber Sohn auf der Erde zugebracht hat. Von dieser an sich kurzen aber höchst wichtigen Lebenszeit meines Heilandes ergieße sich der Segen noch ferner auf meine Lebenszeit, der Segen, welcher den Fluch wegnehme, den meine Sünden verdienten, und mir die Gaben, welche das Leben erleichtern und heiligen können, verschaffe. Meine Zeit stehet in Deinen Händen: aber Du, Jehovah, bist außer und über alle Zeit. Bei Dir ist keine Veränderung, welche sonst die Zeit macht. Dir ist immer Alles gegenwärtig. Unermeßlich weit unter Dir, der Du Dir immer gleich bleibst, fließen die Weltzeiten und die Lebenszeiten einzelner Menschen dahin: das Heute wird zu einem Gestern bei den Geschöpfen; bei Dir ist ein beständiges Heute. Was willst Du aber mir armem Erdenwurm, dessen irdisches Leben einer Hand breit ist, geben? Ewiges Leben willst Du mir geben durch Christum, Deinen Sohn! Hallelujah!

Ps. 34

Da dieser Elende rief, hörete der HErr, und half ihm aus allen seinen Nöthen.
Ps. 34,7.

David betete, wenn es ihm wohl ging; er betete, wenn er Krieg führte, wenn er Friedensgeschäfte verrichtete, wenn er bei Freunden oder Feinden war. Das Wort, welches Gott durch Assaph geredet hat: rufe Mich an in der Noth, erfüllte er treulich, und Gott erfüllte auch an ihm Seine Verheißung: du sollst mich preisen. Jetzt ist die Welt voll eitler Einbildung. Man verläßt sich auf die geschickte Anstrengung menschlicher Kräfte. Jeder sucht sich selber zu helfen: Gottes aber gedenkt man nicht, Ihn rufet man nicht an, Ihm schreibt an nichts zu, als ob Er die Regierung der Welt aufgegeben hätte. Wenn etwas mißlingt, so denkt man nur an die menschlichen Fehler, die dabei gemacht worden, und nicht an die Unterlassung des Gebets, und auch nicht an die Hand Gottes, welche den Rath der Menschen zu ihrer Demüthigung, weil er nicht in Seine Regierung paßte, zu nichte gemacht habe. David war ein sehr fähiger und kluger Mann; gleichwie er aber Ps. 146,3. selber vor dem Vertrauen auf Fürsten warnte, also setzte er auch sein Vertrauen nicht auf sich selbst, sondern auf den HErrn seinen Gott, den er fleißig anrief. Als er auf seiner Flucht vor dem König Saul zu Gath unter den Philistern in eine große Gefahr kam, verhärtete er sein Herz nicht selber gegen den Tod, und sann nicht auf Lügen, um sich durchzuschlagen, sondern rief den HErrn an, und dieser hörte ihn, und half ihm aus allen seinen damaligen Nöthen. Er half ihm freilich durch ein seltsames und demüthigendes Mittel, indem Er ihm eine Krankheit zuschickte, die seinen Verstand verrückte, aber auch diese Krankheit nahm Er ihm wieder ab, sobald die Gefahr vorbei war, und ließ sie nicht wieder kommen. Hernach konnte David auf sich selber gleichsam deutend sagen: da dieser Elende rief, hörte der HErr. Auch mir ist das Anrufen des HErrn erlaubt und befohlen. Wenn ich meine Umstände an diesem Morgen überdenke, so erkenne ich, daß ich in dieser und jener Noth stecke, auch weiß ich nicht, was mir noch weiter auf dem Weg meiner Wallfahrt begegnen werde. Es erwecke und stärke mich aber heute und täglich der Geist der Gnaden und des Gebets, daß ich als ein Elender, der sich selber nicht zu rathen und zu helfen weiß, den himmlischen Vater im Namen Jesu Christi anrufe, und von Ihm Unterweisung, Kraft, Trost und heilsame Schickungen Seiner Vorsehung, oder mit Einem Wort Hülfe erbitte. Zu Seiner Ehre, und damit andere Elende zum glaubigen Beten aufgemuntert werden, soll ich sonderlich am Ende meines Laufs rühmen: da dieser Elende rief, hörte der HErr, und half ihm aus allen seinen Nöthen. Wie aber, wenn ich dieses rühme, und doch die letzte Noth, welche bei dem Sterben entsteht, noch vor mir habe? Wenn ich an diese gedenke, so soll ich vorher beten: hilf mir in meiner letzten Noth, und aus der bisherigen Erhörung meines Gebets, und der oftmaligen Hülfe, die mir von Gott widerfahren ist, den getrosten Schluß machen, daß Er auch meine Bitte in Ansehung der letzten Noth erhören, und mich alsdann aus allem Uebel erlösen, und mir zu Seinem himmlischen Reich aushelfen werde. Wer den Namen des HErrn anruft, soll selig werden, Röm. 10,13.

Schmecket und sehet, wie freundlich der HErr ist.
Ps. 34,9.

Jehovah unser Gott ist nicht nur ein HErr, dem man dienen, nicht nur das höchste Wesen, das man anbeten soll, sondern Er ist auch ein Licht, das erleuchtet, ein Leben, das belebt, eine Liebe, die erquicket. Er ist allein gut, und weil Er gut ist, so will Er sich mittheilen, und zu genießen geben. Man kann Ihn fühlen und finden: man kann schmecken und sehen, wie freundlich Er ist. Man kann endlich, wie die Schrift sagt, in Seine Freude eingehen, und in Seine Ruhe hinein kommen. David war bei dem König Achis oder Abimelech zu Gath in einer großen Gefahr, da er auf der Flucht zu ihm gekommen war: weil sich die Philister erinnerten, daß er derjenige sei, der ihrem Volk vorher im Krieg großen Schaden gethan habe, und ihn deßwegen gefangen nehmen oder tödten wollten. Er selbst gerieth in eine große Furcht, und bekam einen gichtischen Anfall, wie ein Mensch, der die fallende Krankheit hat. Er rief aber auch als ein Elender zum HErrn, und der HErr erhörete ihn, und half ihm aus allen seinen Nöthen, wie 1 Sam. 21. ausführlich erzählt wird. Er bemerkte hiebei einen besondern Beistand von einem guten Engel, und sagte deßwegen Ps. 34,8.: der Engel des HErrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten, und hilft ihnen aus. Es blieb aber dabei nicht, sondern er bekam auch in seiner Seele, die vorher mit einer großen Furcht erfüllt gewesen war, eine erquickliche Empfindung der Freundlichkeit Gottes, die er auch andern Menschen gönnte, und deßwegen V. 9. sagte: schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist, aber auch von nun an in seinen Psalmen mehrmals sagen konnte: danket dem HErrn, denn Er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich.
Davids Beispiel lehrt uns, daß eine Seele durch tiefe Zermalmungen tüchtig gemacht werde, die Freundlichkeit Gottes zu sehen und zu schmecken. Er war schon vorher ein Israelit ohne Falsch und ein redlicher Verehrer seines Gottes, aber auch ein munterer Hofmann und geschäftiger Kriegsheld gewesen: nun wurde er zu Gath geläutert, wie Jakob bei seinem nächtlichen Kampf mit dem Sohn Gottes, und bekam neue geistliche Empfindungen und Einsichten. Lasset uns also die Wege Gottes verstehen, und Seine Schmelztiegel nie ängstlich fürchten oder hassen.\\Das Evangelium wird 1 Petr. 2,2. Milch genannt, weil es für den Geist lieblich und kräftig ist; eine vernünftige Milch, weil es eine Wahrheit enthält, welche die göttliche Weisheit herausgegeben hat, und die mit einer erleuchteten Vernunft gefaßt werden muß; eine lautere Milch, weil es nichts als Wahrheit enthält, und mit keinem Irrthum vermengt ist. Durch dieses Evangelium gibt sich die Freundlichkeit des HErrn Jesu zu schmecken, und wer dieselbe geschmeckt hat, ist nach demselben Evangelio noch weiter begierig, um die Freundlichkeit Jesu noch mehr zu schmecken. Schmecken, daß der HErr freundlich sei, ist das einige wahre Wohlleben auf Erden, die einige Erquickung für das Herz, die einige Arznei für den Kummer, das einige Labsal im Kampf, und der wahre Vorschmack des ewigen Lebens. Wer die Freundlichkeit des HErrn noch nie geschmeckt hat, hat noch keinen guten Tag in seinem Leben gehabt. Man schmeckt sie aber, wenn man den HErrn wie David anruft, oder, wie Petrus 1 Petr. 2,4. geschrieben hat, zu Ihm kommt, da man dann nach der vernünftigen lautern Milch, das ist nach dem wahren Evangelio, welches kräftig und lieblich ist, noch weiter begierig sein muß, daß man durch dieselbe zunehme. So sei denn dieses Anrufen und Kommen unsere tägliche und liebste Uebung.

Ps. 36

Wie theuer ist Deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten Deiner Flügel trauen.
Ps. 36,8.

Ein Mensch ist in dem großen Weltraum ein schwaches kleines Geschöpf, und alle Menschenkinder machen zusammen ein immer geschäftiges Heer aus, das aber leicht vertilgt werden könnte. Wenn die Sonne und die Erde näher zusammenrückten, so würde das menschliche Geschlecht plötzlich verschmachten und verbrennen. Wenn alle Wolken ihr Wasser auf einmal fallen ließen, und das Wasser des Abgrunds über sich stiege, so würden alle Menschen ersaufen, und so könnte das menschliche Geschlecht durch andere Unordnungen, die bei den großen Weltkörpern, oder bei den Elementen entstehen könnten, schnell vertilgt werden. Aber auch unter den Menschen gibt es so viele böse, grimmige, stolze, geizige und grausame, daß, wenn diese nach der Argheit ihrer Herzen, und durch den Antrieb des Teufels, der ein Mörder von Anfang ist, zusammenträten, alle frommen Leute durch sie vertilgt werden könnten. Auf diesen Fall hat David Ps. 36. eigentlich gesehen, indem er von Gottlosen redete, bei denen keine Gottesfurcht sei. Er sagt von denselben V. 3.4.5.: sie schmücken sich untereinander selbst, daß sie ihre böse Sache fördern und Andere verunglimpfen. Alle ihre Lehre ist schädlich und erlogen; sie lassen ich auch nicht weisen, daß sie Gutes thäten, sondern sie trachten auf ihrem Lager nach Schaden, und stehen fest auf dem bösen Wege, und scheuen kein Arges. Da er nun diese Leute, von deren Stolz man untertreten, und von deren Hand man gestürzt werden könnte (V. 12.), betrachtet hatte, so wandte er seine Augen auf Gott und sagte: wie theuer ist Deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten Deiner Flügel trauen, oder zuversichtlich wohnen! Er bewunderte also die Güte Gottes, welche die Menschen unter den Menschen schütze. Er schrieb es dem Schatten der Flügel Gottes, das ist der mächtigen und treuen Bewahrung Gottes zu, daß Menschen ohne Furcht wandeln und schlafen können. Gott bedeckt die Menschen mit Seiner Allmacht, wie ein Vogel seine Jungen mit seinen Flügeln, und deßwegen leben die Menschen unter Menschen und unter bösen Geistern in einer vergnüglichen Sicherheit. Man verläßt sich gemeiniglich auf den Schutz der Obrigkeit: allein diese Obrigkeit hat selber den Schatten der Flügel Gottes oder den göttlichen Schutz gegen ihre eigenen Unterthanen nöthig; denn wenn Gott Seine Hand nicht über jene hielte, so würde sie von diesen, wenn sie sich in einem Aufruhr vereinigten, leichtlich verschlungen.
Ich will mich also auch heute erinnern, daß ich mein Leben dem Schutz Gottes allein zu danken habe. In Ansehung der Nachtruhe kann ich mit David Ps. 4,9. sagen: ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn allein Du, HErr, hilfest mir, daß ich sicher wohne, und in Ansehung meines Lebens und Wandels bei der Tageszeit: ich gehe oder liege, so bist Du um mich, und siehest alle meine Wege, Du schaffest es, was ich vor oder hernach thue, und hältst Deine Hand über mir, Ps. 139,3.5. Ist es nun einmal dem großen Gott gefällig, meinem Gehen und Liegen, meinem Wandeln und Arbeiten auf der Erde ein Ende zu machen, und mich in die himmlischen Gewahrsame aufzunehmen; so soll ich wohl zufrieden sein und Ihm dafür danken. Ich werde aber ohne Zweifel im Himmel auf meinen Lebensweg mit hellen Augen zurücksehen, und besser als jetzt erkennen, durch was für Gefahren mich der treue Gott durchgebracht, und unter was für Nachstellungen Er mich behütet habe, und werde Ihm dafür Lob und Dank sagen.

Ps. 39

Ich will schweigen, und meinen Mund nicht aufthun, Du wirst’s wohl machen.
Ps. 39,10.

David war krank, da er den Vorsatz faßte zu schweigen und seinen Mund nicht aufzuthun, denn er sagt V. 11.12. ohne Zweifel in der Absicht auf sich selbst. wende Deine Plage von mir, denn ich bin verschmachtet von der Strafe Deiner Hand. Wenn Du Einen züchtigest um der Sünde willen, so wird seine Schöne verzehret, wie von Motten. Ach HErr, wie gar nichts sind doch alle Menschen! In dieser Krankheit nun wurde er wegen seines unzeitigen Eifers, den er je und je mit Reden ausgelassen hatte, bestraft. Er bekennt nämlich V. 4.: sein Herz sei entbrannt worden in seinem Leibe, und wenn er daran gedacht habe, daß gottlose Leute vor seinen Augen frei herumlaufen und viel Böses thun, so sei er entzündet worden, und habe mit seiner Zunge geredet. Ob er nun gleich nicht einsehen konnte, daß er den Gottlosen damit Unrecht gethan habe, so erkannte er doch, daß sein Eifer ein ungeduldiger und unzeitiger Eifer gewesen sei, und daß er mit seiner Zunge gesündiget habe, weil er ein Gericht ausgesprochen, das ihm nicht gebührte. Er nahm sich also in seiner Krankheit vor, sich ferner zu hüten, daß er nicht mehr so mit seiner Zunge sündigte und seinen Mund zu zäumen, wenn er schon den Gottlosen müßte vor sich sehen. Er bat auch Gott, daß Er ihn von der Betrachtung der Gottlosen, welche ihn entzündet, oder in einen heftigen Eifer hineingetrieben hatte, abführen, und in die heilsame Betrachtung seiner Sterblichkeit hineinleiten möchte, und nachdem er V. 7. noch einmal einen Blick auf die Gottlosen gethan, und sie als Leute, die wie bald verschwindende Schattenbilder herumlaufen, sich viel vergebliche Unruhe machen und sammeln, ohne zu wissen, wer es kriegen werde, mitleidig angesehen hatte, so faßte er auf’s Neue den Vorsatz: ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, Du HErr, wirst’s wohl machen, oder: Du HErr hast’s gemacht und durch eine heilige Zulassung die Welt so eingerichtet, daß in derselben viele Gottlose vor den Frommen herumwandeln und ihren Theil in dem irdischen Leben empfangen sollen: warum soll ich also darüber zürnen? Ich lerne hieraus, warum Gott auch mich und Andere zuweilen durch Krankheiten vom gewöhnlichen Umgang mit Menschen und von den Geschäften wegreiße, und in die Stille führe. Er will uns nämlich alsdann etwas entdecken, das wir vorher nicht erkannt hatten; Er will uns über etwas bestrafen, worüber Er uns damals, da wir’s thaten, nicht alsbald bestrafen konnte. Doch kann Er auch in gesunden Tagen ein solches Gericht über den Menschen halten, welches aber jedesmal eine demüthige Aufmerksamkeit erfordert. Habe ich mich also auch in einem unzeitigen Eifer und unbefugten Gericht über Gottlose vergangen, so wolle Er mir’s gnädiglich entdecken und vergeben. Ueberhaupt wolle Er gegen mir bei Seiner Gnade sein, wie das Feuer eines Goldschmieds und wie die Saife der Wäscher, und mich reinigen und läutern wie Gold und Silber, damit ich ihm in Gerechtigkeit dienen könne, Mal. 3,.2.3. David war ein junger Mann, da er den 39. Ps. verfertigte, weil er sonst nicht von der Verzehrung der Schöne geschrieben hätte. Das jugendliche Feuer und die Kälte des Alters bringe der HErr bei den Seinigen durch die Zucht des Heiligen Geistes in die rechten Schranken.

Ps. 40

Ich bin arm und elend: der HErr aber sorget für mich.
Ps. 40,18.

Mit Erstaunen denke ich daran, daß dieses Worte des eingebornen Sohnes Gottes, des Heilands der Welt, sind; denn Sein sind auch diejenigen Worte, die V. 7.8.9. stehen, wo Er zu Seinem himmlischen Vater sagt: Opfer und Speisopfer gefallen Dir nicht; aber die Ohren hast Du mir aufgethan (um Deine Gebote als Dein Knecht zu hören), Du willst weder Brandopfer noch Sündopfer; da sprach Ich: siehe, Ich komme, im Buch steht von Mir geschrieben; Deinen Willen, Mein Gott, thue Ich gerne, und Dein Gesetz habe Ich in Meinem Herzen. Zwar stehen auch V. 13. die Worte: es haben Mich Meine Sünden ergriffen: es ist aber sehr begreiflich, daß Christus unsere Sünden angesehen hat; gleich wie wir Seine Gerechtigkeit für die unsere halten dürfen. Der Sohn Gottes sagte also, als Er im Stand der Erniedrigung lebte, bei Sich selbst: Ich bin arm und elend. So fühlte Er Sich nach Seiner menschlichen Natur, und so sahe Er Sich selber an. Obschon die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig in Ihm wohnte, so leerte Er Sich doch in Ansehung ihrer erquickenden und stärkenden Einflüsse in die menschliche Natur so aus, daß Er Sich selber oft als arm und elend fühlen konnte: denn bei diesem Gefühl war Sein Gehorsam, Sein Vertrauen auf den himmlischen Vater, und Seine Geduld erst recht schätzbar, und Alles, was Er dachte und that, hatte denjenigen Werth, den es zur Erlösung des menschlichen Geschlechts haben sollte. Er war von Herzen demüthig, da Er sagte: Ich bin arm und elend, aber nicht kleinmüthig; denn Er sprach zugleich: der HErr aber sorget für Mich, oder denket an Mich. Dieser HErr war Sein himmlischer Vater, von dem Er Sich bei Seiner tiefsten Erniedrigung rathen, befehlen, helfen, führen und geben ließ. Es däuchte Ihn bei Seiner tiefen Demuth etwas Großes zu sein, daß Jehovah, Sein himmlischer Vater, an Ihn denke; denn Er sagte Ps. 8,5. in der Absicht auf Sich selbst: was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, und des Menschen Sohn, daß Du Dich sein annimmst? Er war aber auch dieses treuen und liebreichen Angedenkens in einem festen Vertrauen gewiß, und ging mit diesem Seinem Vertrauen in Sein tiefes letztes Leiden hinein; da Ihm dann auch Seine Feinde das Zeugniß gaben: Er habe Gott vertrauet.
Ich bin auch arm und elend, und wünsche, es immer besser zu erkennen und völliger zu fühlen. Alle eitle Größe, aller betrügliche Reichthum der eigenen Gerechtigkeit, alle alberne Ruhmsucht, alles thörichte Wohlgefallen an mir selbst, wie auch aller Trost, den ich in den Geschöpfen zu finden meine, werde in mir immer gründlicher zerstöret und zernichtet; damit ich arm im Geist und elend nach meiner eigenen wahren Einsicht und Empfindung werde. Bei dieser Einsicht, bei diesem Gefühl kann es mir innerlich wohl sein: denn es ist eben nicht nöthig, daß der Unglaube die Armuth und das elend zu einer Ursache eines quälenden und verfinsternden Unmuths mache; denn ich darf (Gott sei Lob!) um Jesu willen, dessen Gerechtigkeit mein ist, auch sagen: der HErr sorget für mich, der HErr denket an mich: und daran kann mir in meinem ganzen Leben, und auch bei meinem Sterben genügen.

Ps. 42

Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist. Ps. 42,12.

Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben; folglich auch dieses, daß ein Christ, wie David, betrübt werden könne wegen der Leiden, die auf ihm liegen, und unruhig wegen der Dinge, die er wünscht, und zur selbigen Zeit nicht haben kann. David sagte Ps. 42,4.: meine Thränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: wo ist nun dein Gott? und V. 10.11.: ich sage zu Gott, meinem Fels: warum hast Du mein vergessen? Warum muß ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich dränget? Es ist als ein Mord in meinen Gebeinen, daß mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: wo ist nun dein Gott? Es mögen aber diese oder andere Ursachen der Betrübniß und Thränen bei einem Christen entstehen, so darf er sich derselben nicht schämen, weil auch Christus betrübt gewesen ist und geweint hat, und weil nicht die Betrübniß, sondern die Furcht dem Glauben zuwider ist. David war ferner wegen des Orts seines Aufenthaltes unruhig; denn er mußte sich wegen des Aufruhrs, den sein leiblicher Sohn Absalom wider ihn erweckt hatte, am Jordan, am Berg Hermon und Misar aufhalten, und hatte ein unruhiges Verlangen, dem erquicklichen Gottesdienst auf dem heiligen Berg Zion, wo die Bundeslade war, beizuwohnen. So wünscht oft ein Christ, da oder dort zu sein, diese oder jene Veränderung seiner Umstände zu erleben, diesen oder jenen Genuß zu erreichen; aber indem er es wünscht, hat er es nicht, es steht auch nicht in seiner Macht, seinen Wunsch zu erfüllen, und er sieht vielleicht auch kein Mittel vor sich, wodurch er erfüllt werden könnte. Was ist nun da zu thun? Die Welt spottet und sagt: wo ist nun dein Gott? Auch kann der Versucher sprechen: hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Ja, segne Gott und stirb, oder: hilf dir selber, oder: dieses und jenes will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Ein redlicher Christ aber sagt durch den Beistand des Heiligen Geistes zu sich selber: was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist. Die Frage: was betrübst du dich? ist gleichsam ein Verweis, den man sich selber gibt, wie denn freilich keine Betrübniß und Unruhe bei dem Sünder ohne Tadel ist. Auch verwundert sich der Mensch, der diese Frage an seine eigene Seele tut, daß sie der Betrübniß und Unruhe so lange nachgehängt habe, da doch ein Ausweg vorhanden sei, auf welchem sie jener und dieser entgehen könne. Welches ist aber dieser Ausweg? Das Harren auf Gott, oder das Warten mit einer auf Gott gesetzten Zuversicht. Was man nicht hat, soll man hoffen, und auf das, was nicht ist, warten, und sich dabei auf Gottes Güte, Treue, Allmacht, und auf die Wahrheit Seiner Verheißungen, die in Christo Jesu Ja und Amen sind, verlassen. Man sagt also zu sich selber mit einer ruhigen Gewißheit: ich werde Gott noch danken, daß Er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist. V. 6. sagt David: ich werde Ihm noch danken, daß Er mit hilft mit Seinem Angesicht, welches Er über mir wird leuchten lassen, und welches auf meine Feinde sehen wird, 1 Petr. 3,12. Hier aber sagt er: ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist, Er wird mir also helfen, daß ich es sehen werde, und mein trauriges Angesicht dadurch heiter werden wird, und ich werde erfahren, daß mein Gott, wegen dessen die Welt spöttisch fragt, wo Er sei, wahrhaftig mein Gott sei.

Ps. 43

Daß ich hineingehe zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist.
Ps. 43,4.

So bald David König über das ganze Volk Israel war, ließ er die Lade Gottes, deren man zu Sauls Zeit wenig achtete, von Kiriath Jearim auf den Berg Zion tragen, und richtete den Gottesdienst mit größtem Fleiß an, den er sich auch zur großen Erquickung seines Geistes zu Nutz machte. Da er nun hernach von seinem gottlosen Sohn Absalom und dessen Anhang, den er Ps. 43,1. ein unheiliges Volk nannte, vertrieben wurde, so that ihm die Entfernung von der Lade und dem Altar Gottes sehr weh. Sein königliches Haus, seine schöne Residenz, und was er Liebliches zu Jerusalem hatte, wollte er gern entbehren, aber dieses wünschte er, daß ihn das Licht und die Wahrheit Gottes leiten, und zu Seinem heiligen Berg und zu Seiner Wohnung bringen möchten, daß er hinein gehen könne zu dem Altar Gottes, zu dem Gott, der seine Freude und Wonne war. Wenn also David zu dem Altar Gottes hinein ging, so ging er zu dem Gott hinein, der seine Freude und Wonne war. Er wußte wohl, daß Gott allgegenwärtig sei, und hat solches Ps. 139. und anderswo selber bezeugt. Er hat auch in der Flucht vor Saul und Absalom, da er vom Altar Gottes entfernt war, zu Gott gebetet, und gewußt, daß Er ihm nahe sei und ihn erhöre; allein bei dem Altar empfand er die Gegenwart Gottes viel merklicher als anderswo, weil Gott nach Seiner Verheißung über der Bundeslade wohnte, folglich Seine Gegenwart den wahrhaftigen Anbetern zu empfinden gab, wenn sie nahe bei der Bundeslade beteten. Deßwegen gingen auch die rechtschaffenen Israeliten gern in die Stiftshütte und hernach in den Tempel zu beten, und Gott nannte selbst den Tempel nicht eben ein Opferhaus, sondern ein Bethaus für alle Völker, Jes. 56,7. Luk. 19,46. Der HErr Jesus selbst liebte den Tempel, und hielt sich gern darin auf.
Jetzt ist kein solcher Tempel auf Erden, und wenn wir je einen Ort suchen wollten, wo die Gegenwart des Sohnes Gottes vorzüglich gespürt würde, so müßten wir einen solchen suchen, wo Zwei oder Drei oder Mehrere versammelt sind in Seinem Namen, oder wo Sein Evangelium verkündigt, und die Taufe und das heilige Abendmahl gehalten wird. Wenn man aber auch Gott in der Einsamkeit anbeten will, so hat man nicht nöthig, auf diesen oder jenen Berg, an diesen oder jenen Ort zu gehen, sondern man soll nur den ewigen Gott, der ein Geist ist, im Geist und in der Wahrheit anbeten. Wer in sein Kämmerlein geht, um darin so anzubeten, geht hinein zu Gott, oder nahet zu Gott, und empfindet, daß Gott lebendig, gut, freundlich, heilig sei, und daß Er das Herz von seiner Schwermuth befreien, und mit Sich selbst erfreuen könne. Eine solche Viertelstunde ist besser als viele Tage, die man im Geräusch der Welt zubringen muß.
Läßt sich aber das göttliche Wesen auf eine so erquickliche Weise von uns empfinden, wenn wir auf Erden als im Vorhof stehen, und im Glauben zu Ihm nahen, was wird’s sein, wenn wir vor Seinem Thron stehen, Seine Herrlichkeit sehen, und Ihm in Seinem himmlischen Tempel Tag und Nacht dienen werden? Welchen Genuß der göttlichen Güte wird das neue Jerusalem in sich fassen! Lasset uns jetzt das von Christo erworbene Gnadenrecht des Zugangs zu Gott unter dem Beistand des Heiligen Geistes fleißig brauchen, so wird uns der HErr Jesus dereinst zu Sich nehmen, daß wir ewiglich seien, wo Er ist.

Ps. 49

Er tröstet sich dieses guten Lebens, und preiset’s, wenn Einer nach guten Tagen trachtet.
Ps. 49,19.

Erleuchtete Christen sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Sie suchen ein himmlisches Vaterland, sie warten auf eine Stadt, die einen Grund hat, und deren Schöpfer und Baumeister Gott ist. Sie jagen nach einem vorgesteckten Ziel, einem Kleinod nach, welches ihnen die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu vorhält. Hingegen sind die Kinder dieser Welt irdisch gesinnt, machen den Bauch zum Gott, suchen ihre Ehre in ihrer Schande, und sehen ein gutes Leben auf Erden, und gute Tage unter den Menschen (obschon ihr Mund zuweilen anders redet), für das höchste Ziel ihrer Wünsche an. Dieses ist der Sinn der vornehmen und niedrigen, der gelehrten und ungelehrten, der reichen und der armen Welt, insofern sie im Argen liegt, da dann nur dieser Unterschied wahrzunehmen ist, daß Einige die Hochachtung und den Ruhm, worin sie bei Andern zu stehen meinen (wiewohl sich’s oft gar anders verhält, und ihre Meinung ein leerer Traum ist9, allen andern Vergnügungen vorziehen, Andere aber sinnliche Vergnügungen, welche sie bei der Unzucht oder bei dem Essen und Trinken empfinden, den Vorzug einräumen. Wenn nun der Weltmensch sich ein solches Ziel vorgesteckt hat, so wendet er auch die Mittel an, dasselbe zu erreichen. Reichthum, Ehrenstellen, Gunst der Mächtigen, Künste, Wissenschaften, ja auch das Wort Gottes, insofern man’s predigt oder schreibt, däucht ihn ein Mittel zu sein, Ehre unter den Menschen, oder fleischliche Vergnügungen, oder beides zugleich zu erjagen. Hat er nun seinen Zweck einiger Maßen erreicht, so tröstet er sich dieses guten Lebens: kommt er aber in vielen Stücken zu kurz, so preiset er’s wenigstens, wenn Andere nach guten Tagen trachten, und hält solche Leute für weise, und, wenn sie ihren Zweck erreichen, für glücklich. Was sagt aber der Heilige Geist zu diesem Allem? Er sagt V. 11.: man wird’s sehen, daß solche Weisen doch sterben, sowohl als die Thoren und Narren, die nichts zuwege bringen, umkommen, und müssen ihr Gut, das vornehmste Mittel, gute Tage zu erlangen, Andern lassen, V. 13.: Sie können nicht bleiben in ihrer Würde, welche auch ein Hauptstück des guten Leben ist, sondern müssen davon wie ein Vieh, das dem Tod widerstrebet, und ihn doch leiden muß, ohne eine Hoffnung des ewigen Lebens zu haben, V. 15.: Sie liegen in der Hölle wie Schafe, die in dem Pferch eingesperret sind, und nicht ausbrechen können, ihr Trotz muß vergehen, in der Hölle müssen sie bleiben, V. 18.: Ein reicher und vornehmer Weltmensch wird nicht in seinem Sterben mitnehmen, und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren, V. 20.21.: Solche Leute fahren ihren Vätern in das Behältniß der Todten nach, und sehen das Licht des Lebens nimmermehr. Kurz, wenn ein Mensch in der Würde ist, und hat keinen Verstand zu geistlichen und ewigen Dingen, so fährt er davon, wie ein Vieh. Ist’s also nicht erwiesen, daß dieser Leute Thun lauter Thorheit ist? Ach Gott, erleuchte mich und meine Mitmenschen, daß wir durch den Glauben an Deinen Sohn zur Seligkeit weise werden!

PS. 57

Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, daß ich singe und lobe.
Ps. 57,8.

Jakobus sagt K. 5,18. leidet Jemand, der bete; ist Jemand gutes Muths, der singe Psalmen; und lehret dadurch, daß ein Jeder seine gottesdienstlichen Uebungen nach seinem Zustand einrichten soll. Als Jemand der Esrahite den 88. Psalm schrieb, der unter allen Psalmen, die nicht von Christo handeln, den traurigsten Inhalt hat, so war sein Herz nicht bereit zu singen und zu loben, sondern eine sehr tiefe Klage vor Gott auszuschütten. Auch Davids Herz war oft zu einem traurigen Ton gestimmt. Er rief aus der Tiefe, er klagte, weinte und heulte, wenn es ihm so zu Muth war, und verstellte sich vor Gott nicht. Als er aber einmal vor Saul in eine Höhle geflohen, und darin vor seiner Nachstellung beschirmt worden war, so sagte er: mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, daß ich singe und lobe. Er ermunterte sich auch V. 9. noch weiter mit den Worten: wache auf meine Ehre (das ist meine Zunge), , wache auf, Psalter und Harfe, frühe will ich aufwachen und setzte V. 10. hinzu: HErr, ich will Dir danken unter den Völkern, ich will Dir lobsingen unter den Leuten. Wenn man den ganzen Psalter betrachtet, so kann man sagen, daß er einem Concert ähnlich sei, worin viele Stimmen und Töne sich hören lassen. Es sind darin das fröhliche Lob Gottes, und die tiefsten Klagen, auch viele gemäßigte Ausdrücke eines Bittenden und Dankenden enthalten. So weit nun die Andacht in dem Psalter ausgedehnt ist, so weit darf sich auch unser Geist ausbreiten, wenn er’s anders vermag. Ein trauriger Christ wird zuweilen noch trauriger, wenn er wahrnimmt, wie Andere in einer geistlichen Freude und vergnügten Heiterkeit reden und beten: er soll aber bedenken, daß auch in dem Psalter viele Ausdrücke eines traurigen Herzen vorkommen, und daß dieselben auch vom Heiligen Geist eingegeben worden seien, und noch jetzt Gott wohlgefallen. Deßwegen sollen aber auch fröhliche Christen die traurigen nicht verachten. Aufrichtigkeit ist Gott angenehm. Niemand nehme vor Gott eine erzwungene Form an, Niemand äffe Andere mit Gewalt nach. Jesus selbst freuete Sich einmal im Geist, und redete als ein Fröhlicher. aber am Oelberg war Er betrübt bi in den Tod, und verbarg Seine Betrübniß nicht, sondern redete als ein Trauriger, und geberdete Sich als ein Trauriger. Kein Christ wird, wenn er der Wirkung des Heiligen Geistes bei sich Raum gibt, immer fröhlich und immer traurig sein. Keiner wird sein Herz immer bereit finden, zu singen und zu loben: es wird aber auch keiner aufgelegt sein, immer zu ächzen und zu klagen. David sagte einmal, da er eine durstige Seele hatte, und sich in einem trockenen und dürren Lande aufhielt: das wäre meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich Dich mit fröhlichem Herzen loben sollte, Ps. 63,6. Sein Herz war auch ein andermal fröhlich, und bereit, Gott zu singen und ihn zu loben. Dieses Alles aber wirkt und gibt der ewige Geist Gottes, der die Seele eines Gerechten in Seiner Gewalt und Bearbeitung hat, wie der Töpfer den Thon. Im Himmel ist zuweilen eine Stille, zuweilen eine feierliche und gemeinschaftliche Anbetung. Hier lassen sich diese, dort jene Schaaren hören. Es gibt auch da Musiken nach der himmlischen Art, wie Johannes in der Offenbarung gemeldet hat. Ich will singen und loben, wenn mein Herz dazu bereit ist, und bitten und klagen, wenn ich dazu aufgelegt bin.

Ps. 64

Und alle Menschen, die es sehen, werden sagen: das hat Gott gethan, und merken, daß es Sein Werk sei.
Ps. 64,10.

Gott regiert die ganze Welt, und es geschieht in derselben nichts ohne Seinen wohlgefälligen oder zulassenden Willen; doch ist Seine Hand nicht bei allen Seinen Werken in gleichem Grad offenbar. Wenn eines Gottlosen Seele in die Hölle fährt; so sieht es Niemand, und die Sterblichen dürfen sich gemeiniglich nicht einmal erkühnen zu sagen: Gott habe sie in die Hölle verschlossen. Auch werden Viele in der Welt gestraft; weil aber ihre Sünden und der Bezug der Strafe auf dieselben nicht genug bekannt sind, so kann man die Gerechtigkeit Gottes dabei nicht mit einer klaren Einsicht preisen. Es gibt aber auch Fälle, da man es thun kann. Wenn gottlose Leute, dergleichen diejenigen waren, die David Ps. 64. beschreibt, ihre Zungen geschärft hatten, wie ein Schwert, und mit ihren giftigen Worten gezielet, wie mit Pfeilen, daß sie den Frommen heimlich schossen, und auf ihn plötzlich ohne alle Scheu schossen, V. 4.5., Gott aber hernach sie auch wieder plötzlich schießt, daß es ihnen wehe thut, und ihre eigene Zunge sie fället, V. 8.9., und wenn sie vorher kühn gewesen waren mit ihren bösen Anschlägen, und gesagt, wie sie Stricke legen wollen, und gesprochen: wer kann sie sehen? V. 6., und hernach ihr Unglück so sichtbarlich ausbricht, daß ihrer spotten kann, wer sie siehet V. 9., wenn diese oder dergleichen Begebenheiten geschehen: so können alle Menschen, die es sehen, nicht nur die Frommen und Erleuchteten, sondern Alle, die ein Gewissen und einen richtigen Verstand haben, sagen: das hat Gott gethan, und merken, daß es Sein Werk sei. Sonst glaubt man, daß Gott bei allen Seinen Werken gerecht sei: in solchen Fällen aber kann man’s deutlich merken und wahrnehmen, und Gott desto herzlicher darüber preisen. Wer eine namhafte Reihe von Jahren in der Welt durchleben muß, kann viele Beispiele von dieser Art unter vornehmen und geringen Leuten wahrnehmen. Große und kleine Tyrannen läßt Gott oft wieder in die Hände harter und unbarmherziger Menschen fallen; Blutgierige und Falsche dürfen ihr Leben nicht auf die Hälfte bringen; Hurer und Ehebrecher werden an ihren Leibern und mit einer wehthuenden und schmählichen Armuth gestraft; Leute, die unrecht Gut gesammelt haben, büßen es selber wieder ein, oder hinterlassen es solchen Erben, welche dessen nicht froh werden. Ueberhaupt nimmt man in der Regierung Gottes diese zwei Grundgesetze wahr: mit eben dem Maß, da ihr mit messet, wird man euch wieder messen Luk. 6,38., und: Ich der HErr dein Gott bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missethat an den Kindern bis in’s dritte und vierte Glied, die mich hassen, 2 Mos. 20,5.: wenn nämlich der Haß Gottes, den die Väter ausgeübt haben, von den Kindern fortgesetzt wird. Uebrigens muß man warten können, wenn man’s sehen will, und dabei an das höchste Recht Gottes gedenken, nach welchem es Ihm frei steht, die Gottlosen heimlich oder öffentlich, in dieser Welt oder nur in jener Welt zu strafen. Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes fallen, denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Darum sollen wir Gnade suchen und haben, und durch dieselbe Ihm dienen, Ihm zu gefallen mit Zucht und Furcht, wie Paulus Hebr. 12,28. ermahnt. Auch heute führe mich der Geist Gottes auf ebener Bahn, und erhalte mein Herz bei dem Einigen, daß ich Seinen Namen fürchte.

Ps. 71

Verwirf mich nicht im Alter, verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde.
Ps. 71,9.

Der einundsiebenzigste Psalm enthält alle Begebenheiten, welche in dem Lebenslauf eines Christen, welcher ein ziemliches Alter erreicht, vorkommen, nebst den geziemenden Bitten, welche sich auf dieselben beziehen. Unter solchen Bitten ist auch diese: verwirf mich nicht im Alter, verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde. Ein Christ siehet sich bis in sein Alter ungeachtet aller Werke, die er gethan hat, als einen Sünder und unnützen Knecht an, und hat deßwegen Ursache zu bitten: verlaß mich nicht im Alter. Auch ist er immer mit sichtbaren und unsichtbaren Feinden umgeben, und hat deßwegen nöthig, Gott zu bitten: verlaß mich nicht. Die Schwachheit des Alters, welche sich in dem Abnehmen der Leibeskräfte, im Abgang der Munterkeit und Hurtigkeit, im Nachlaß des Gedächtnisses, und in einer gewissen Ungeschicklichkeit, sich in die heranwachsende neue Welt zu schicken, wie auch in einer gewissen Ermüdung bei der langen und oft vergeblichen Arbeit äußert, drängen ihn heftig zu diesen Bitten. Das Alter hat seine eigenen Versuchungen, und es hat schon wackere Christen gegeben, welche im Alter eine gewisse Abnahme der Geisteskräfte, der Brauchbarkeit und der Treue gezeigt haben, und in diese oder jene Thorheit hineingerathen sind, ob sie gleich nicht alle Gnade verloren haben. Ach der HErr stärke und bewahre einen jeden Christen, der alt wird, daß er wie ein Baum bleibe, der an den Wasserbächen gepflanzt ist, und seine Frucht zu seiner Zeit bringt, dessen Blätter nicht verwelken, und dessen Werke wohl gerathen, Ps. 1,3. Auch erfülle Er an einem Jeden, was Ps. 92,13-16. steht: der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Ceder auf Libanon. Die gepflanzt sind in dem Hause des HErrn, werden in den Vorhöfen unsers Gottes grünen. Und wenn sie gleich alt werden; werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein; daß sie verkündigen, daß der HErr so fromm ist, mein Hort, und ist kein Unrecht an Ihm.
Man soll alle Alten ehren, 3 Mos. 19,32. Der Jünglinge Stärke ist ihr Preis, und graues Haar ist der Alten Schmuck, Spr. 20,29. Insbesondere aber ist eine alte, durch viele Erfahrungen geübte, und durch vieljährige Leiden geläuterte Frömmigkeit etwas sehr Ehrwürdiges. Man sollte sich billig frühzeitig bekehren, damit man eine solche reife Frömmigkeit erreichen möge. Solche alten Väter und Christen klagen und murren nicht mehr wie die Jungen, sondern verkündigen, daß der HErr so fromm, und kein Unrecht an Ihm sei. Sie verkündigen den Arm Gottes Kindeskindern, und Seine Kraft denen, die heranwachsen, Ps. 71,18. Junge Christen aber sollen ich solche ehrwürdigen Väter in Christo durch Fragen und Hören, und durch eine ehrerbietige Beobachtung ihres Sinnes und Wandels zu Nutze machen. Uebrigens ist ein alter Christ immer demüthiger als ein junger, und bittet deßwegen sehnlicher, aber auch zuversichtlicher als dieser, daß ihn Gott nicht verwerfen und verlassen möge. Nun der HErr ist treu und barmherzig, und antwortet auf diese Bitte Jes. 46,4.: Ich will euch tragen bis in’s Alter, und bis ihr grau werdet. Ich will es thun. Ich will heben und tragen und erretten.

Auch verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde, bis ich Deinen Arm verkündige Kindeskindern.
Ps. 71,18.

Der einundsiebzigste Psalm ist die Lebensbeschreibung eines jeden frommen Israeliten oder Christen, worin theils nach der Art eines Bekenntnisses, theils aber durch Bitten dasjenige ausgedrückt wird, was in einem gottgeheiligten Lebenslauf vorzukommen pflegt. Unter Anderem bittet der Verfasser dieses Psalmen: verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Das Alter hat nämlich seine eigenen Beschwerden und Versuchungen. Es faßt die Jahre in sich, wovon man sagt: sie gefallen mir nicht. Die junge Welt, welche die Alten um sich sehen, gefällt diesen auch nicht, weil sie gemeiniglich neue Meinungen und Sitten hat, deren diese nicht gewohnt sind. Das Gedächtniß wird schwach, die Kräfte lassen nach, die Arbeit geht mühsamer und langsamer von statten, und was man lange gesehen, gehört und getrieben hat, entleidet nach und nach. Daraus kann dann leicht Ungeduld, mürrisches Wesen, Unachtsamkeit, Trägheit und Gleichgiltigkeit gegen die Gebete Gottes entstehen. Auch meint man an vielen Alten einen Hang zum Geiz zu bemerken, welcher den Schein der klugen Vorsorge für ihre Nachkommen annimmt, und aus den Fehlern, die man vorher bei dem unvorsichtigen Geben gemacht hat, entstehen kann. Man hat also nöthig zu bitten: verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Dein Trost erquicke mich im Alter, der Geist der Liebe mache mich liebreich und mild, und Deine Kraft belebe mich, daß die Abnahme des natürlichen Lebens keine Abnahme des geistlichen Lebens mit sich führe. Kann ich im Alter weniger Werke thun, als vorher, so müssen dagegen durch die Wirkung deiner Gnade meine letzten Werke besser denn die ersten werden. Dein Wort sei mir immer kräftig, daß ich auch im Alter wie ein Baum sei, der an den Wasserbächen gepflanzt ist, der seine Frucht zu seiner Zeit bringt, und dessen Blätter nicht verwelken, und daß, was ich mache, wohl gerathe. Dein Geist erinnere mich an alles Nöthige, und bilde auch im Alter meinen Sinn und Wandel so, daß ich den Jungen nicht zum Aergerniß werde, sondern vielmehr Deinen Arm, das ist Deine bewahrende, stärkende, tröstende, heilende, siegende und Alles wohl machende Kraft, meinen Kindeskindern, und den Enkeln derer, die mit mir aufgewachsen sind, zu ihrer Erbauung verkündigen könne. Solche geistreiche alte Männer wurden Abraham, Isaak, Jakob, Mose, Josua, David und fast alle Apostel, ja auch viele andere Christen zu allen Zeiten, deren Reden und Werde von den Jungen mit Ehrerbietung beobachtet, und im Angedenken behalten werden sollen; da hingegen das Beispiel des Salomo anzeigt, wie man noch im Alter in eine schädliche Abnahme der Geisteskraft hinein gerathen, und Andern ärgerlich werden könne. Lasset uns den gegenwärtigen Tag wohl anwenden, und auf’s Künftige nicht sorgen, aber doch beten. Der HErr, der Allmächtige, wird nicht müde, nicht matt: auch ist Er treu und Seine Güte währet ewiglich. Wenn ich bete: verwirf mich nicht in meinem Alter; verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde, so antwortet Er: Ich will euch tragen bis in’s Alter, und bis ihr grau werdet. Ich will es thun, Ich will heben und tragen und erretten. Jes. 46,4.

Ps. 81

Thue deinen Mund weit auf, laß Mich ihn füllen.
Ps. 81,11.

Als Joas der König in Israel den Propheten Elisa in seiner tödtlichen Krankheit besuchte, und wegen des elenden Zustandes, worein sein Königreich durch die Syrer gerathen war, vor ihm weinte, so hieß ihn der Prophet zuerst einen Pfeil gegen Morgen abschießen, und sagte: dieser Pfeil bedeute das Heil, welches der HErr dem Volk Israel wider die Syrer verleihen werde. Hernach hieß er ihn mit den übrigen Pfeilen die Erde schlagen; der König aber, der wohl merken konnte, daß dieses Schlagen auch wieder etwas Gutes bedeute, schlug dreimal, und hörte alsdann auf. Hierauf wurde der Mann Gottes Elisa zornig über ihn, und sprach: hättest du fünf- oder sechsmal geschlagen, wo würdest du die Syrer geschlagen haben, bis sie aufgerieben wären; nun aber wirst du sie dreimal schlagen, 2 Kön. 13,14-19. Durch diese Geschichte wird angezeigt, daß die Menschen oft allzu kleinmüthig seien, und von Gott mehr erbitten könnten als sie thun. Er sagt deßwegen zu dem Volk Israel und zu einem jeden Christen, der in dem Stammbaum Israels durch die Taufe und den Glauben eingepfropft ist: thue deinen Mund weit auf, laß Mich ihn füllen. Er redet hier so freundlich, wie eine Mutter mit ihrem kleinen Kind reden kann, dem sie zu essen gibt, und von dem sie begehrt, daß es seinen Mund weit aufthun soll, damit sie ihm viel darreichen könne. Der Mund unserer Seele ist ihre Begierde, und das weite Aufthun dieses Mundes geschieht mit einer großen Zuversicht. Wir dürfen Gottes nicht schonen; denn Er ist unermeßlich reich, und unendlich gut, auch vermag das Verdienst und die Fürbitte Seines Sohnes unbegreiflich viel bei Ihm. Wir dürfen mit einem großen Vertrauen viel von Ihm begehren und bitten.
Gott hat uns die Ewigkeit in’s Herz gegeben, wie Salomo Pred. 3,11. sagt, das ist, Er hat dem Menschen ein Verlangen nach ewigen Gaben und nach einer unaufhörlichen Seligkeit eingepflanzt. Lasset uns also unsere Begierden über das kurze irdische Leben hinausstrecken, lasset uns um ein ewiges Leben, um ein unvergängliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbe bitten. Lasset uns nicht weniger bitten, als daß unser Loos in der Ewigkeit auf’s Liebliche falle, und wir eine unaufhörliche Sättigung aller unserer Begierden aus Ihm als einer unerschöpflichen Quelle bekommen.
Gott hat den Menschen zur Gemeinschaft mit Sich selber erschaffen. Er selber will ihn bewohnen, besitzen, erfüllen, erfreuen, erleuchten, beleben, regieren und sättigen. Er will seines Herzens Trost und sein Theil sein. So lasset uns also bitten, daß Er Sich uns selber gebe, daß Er komme und Wohnung in uns mache, daß Er Seinen Geist in uns ausgieße, daß Er unser Schild und unser großer Lohn sei.
Aber wir haben oft und viel und schwer gesündigt, die zehntausend Pfund (Talente) mit welchen unsere Sünden verglichen werden, sind eine große Summe. Auch stecken wir in vielen und mancherlei Nöthen, und insonderheit steht uns die letzte Todesnoth, welche gemeiniglich tief ist, bevor. Viele Pflichten liegen auch auf uns, die wir als Christen und als Knechte und Mägde Gottes in unsern Aemtern und Ständen erfüllen sollen, und diese vielen Pflichten erheischen vieles Licht, große Kraft, und überhaupt genugsame Geistesgaben. Laßt uns aber um Vergebung unserer vielen Sünden und mit einem weit aufgethanem Mund um alle Errettung und Gaben, deren wir bedürfen, bitten. Lasset uns auch in der Fürbitte unsern Mund weit aufthun. Gott will ihn füllen.

Ps. 84

Ich will lieber der Thüre hüten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten.
Ps. 84,11.

David hatte au dem Stamm Levi Thürhüter zur Hütte des Stifts bestellt, 1 Chron. 10,24. und gegen das Ende seiner Regierung noch ausdrücklich verordnet, dass 4000 Leviten das Thürhüteramt auch bei dem Tempel, den Salomo bauen würde, abwechslungsweise verwalten sollten. Diese Thürhüter waren zwar keine vornehmen und angesehenen Männer, hatten aber diesen Vortheil zu genießen, dass sie, alldieweil sie unter den Thoren des Hauses Gottes Wache hielten, die schönen Gottesdienste des HErrn immer anschauen, die Psalmen Davids bei einer lieblichen Musik anhören, und durch die vielen Israeliten, welche zum Beten in das Haus Gottes gingen, zum Beten erweckt werden, ja im Gebet sich mit ihnen vereinigen konnten. Der Prophet, welcher den vier und achtzigsten Psalmen vielleicht nach Davids Tod gemacht, hatte ein großes Belieben an dem Hause Gottes, und sagte deßwegen V. 2.3.: wie lieblich sind Deine Wohnungen, HErr Zebaoth! Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des HErrn, mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Er bezeugt V. 4., dass, wenn er in das Haus Gottes, und zu den Altären Gottes komme, so sehe er sich selbst als einen Vogel an, der nun ein Haus, und als eine Schwalbe, die ihr Nest gefunden habe, da sie Junge hecken könne, es sei ihm also innig wohl, er fühle eine sanfte Ruhe in seiner Seele. Er sagt ferner, V. 1., Ein Tag in Deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend. Ich will lieber der Thüre hüten, und also das geringste Amt verwalten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten. Wir lernen hieraus, daß rechtschaffene Israeliten und unter denselben auch die Propheten den öffentlichen Gottesdienst sehr hoch geschätzt und im Tempel einen besondern geistlichen Genuß gefunden haben. Jetzt ist kein Haus Gottes von dieser Art auf Erden. Aber wo Zwei oder Drei, oder auch Mehrere im Namen Jesu versammelt sind, da ist Er mitten unter ihnen. Da ist also Seine Wohnung oder Sein Haus. Ja wenn auch ein einzelner Christ, wie Jakob zu Bethel, die Gegenwart Gottes besonders deutlich empfinden, zu Ihm nahen, vor Ihm das Herz ausschütten, und die Kraft Seines Evangeliums empfinden kann, so kann er wie Jakob sagen: hier ist nichts Anderes, denn Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels, 1 Mos. 28,17. Ein Tag so zugebracht ist besser denn sonst tausende. Es ist auch besser, in der Einsamkeit, oder auch in der Gemeinschaft mit Andern den HErrn anbeten und Seine Gnade durch sein Wort und durch die heiligen Sakramente genießen, denn lange in der Gottlosen Hütten wohnen, wo man leichtlich zerstreuet und befleckt werden kann, oder wenigstens durch das Böse, das man sehen und hören muß, betrübt wird. Alle, die gerne in den Hütten der Gottlosen wohnen, und daselbst dasjenige, was man Lustbarkeiten und Herrlichkeiten heißt, begierlich einschlucken, diese Alle wissen nichts von der innigen Seelenruhe, und von der erquicklichen Empfindung der Liebe Gottes, welche die Kinder des Höchsten zu den Füßen Jesu insgeheim genießen. Wie herrlich wird’s im himmlischen Hause Gottes hergehen!

Ps. 92

Es ist ein köstlich Ding, dem HErrn danken, und lobsingen Deinem Namen, Du Höchster. Ps. 92,2.

Es werden etliche Dinge, die sich bei einem wahren Christen finden sollen, in der heiligen Schrift köstlich genannt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hülfe des HErrn hoffen, Klagl. Jer. 3,26. Der verborgene Mensch des Herzens unverrückt mit sanftem und stillem Geist ist köstlich vor Gott, 1 Petr. 3,4. Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, Hebr. 3,9. Der Weg der Liebe ist köstlicher, als alle besonderen Gaben, welche mit einem Unterschied von Gott ausgetheilt werden, oder hat einen Vorzug vor denselben. Es ist aber auch ein köstlich Ding, dem HErrn danken, und lobsingen Deinem Namen, Du Höchster, des Morgens Deiner Gnade, und des Abends Deiner Wahrheit verkündigen. Dieses Danken und Lobsingen ist köstlich, weil dadurch Gott recht deutlich und ausdrücklich Ehre gegeben wird, und weil das Ziel, worauf alle gottesdienstlichen Uebungen und alle Werke der Geschöpfe hinausgeführt werden, dieses ist, dass in allen Dingen Gott gepreiset werde durch Jesum Christ, 1 Petr. 4,11. Es ist köstlich, weil es dasjenige, worauf Gottes Augen mit Wohlgefallen sehen, bei den Menschen voraussetzt, nämlich den Glauben, und es ist auch darum köstlich, weil das Herz des Menschen dadurch aufgeheitert und über den düstern Nebel der Bekümmernisse erhoben wird. Endlich ist es auch deßwegen köstlich, weil es die eigentliche Vorübung auf den Himmel ist, als in welchem, wie die Offenbarung Johannis lehrt, in dem höchsten und völligsten Verstand erfüllt werden wird, was Ps. 84,5. gesagt ist: wohl denen, die in einem Hause wohnen, die loben dich immerdar! Man hat nicht nöthig, zu fragen, für was man dem HErrn danken, und weßwegen man Seinem Namen lobsingen solle. Man darf nur an Seine Gnade denken, welche alle Morgen neu ist, sich durch den Schutz, den man in der Nacht genossen, deutlich erwiesen hat, und etwa auch durch die evangelischen Zeugnisse, an welche der Heilige Geist die Glaubigen oft Morgens früh bei dem Erwachen mahnt, der Seele klar und kräftig worden ist. Am Abend soll man daran denken, wie Gott die Wahrheit Seines Worts durch allerhand Erweisungen bestätigt, und sich in Seinen Werken so erzeigt habe, wie Er sich in Seinem Wort geoffenbart hat, wie denn V. 5.6. gesagt wird: Herr, Du lässest mich fröhlich singen von Deinen Werken, und ich rühme die Geschäfte Deiner Hände. HErr, wie sind Deine Werke so groß! Deine Gedanken sind sehr tief. Wenn man bei dieser Betrachtung der göttlichen Gnade und Wahrheit auch erkennt, was man selber sei, nämlich ein schwaches Geschöpf, ein elender, unwürdiger Sünder, ein Mensch, der nichts thut, woran nicht ein Fehler klebt, und dessen Gedanken, Worte und Werke oft ganz böse sind, bei dem also aller Ruhm, wie Paulus Röm. 3,27. sagt, aus ist – wenn man dieses bedenkt, so kann man desto lauterer dem HErrn danken und Seinem Namen lobsingen, des Morgens Seine Gnade und des Nachts Seine Wahrheit verkündigen.
So will ich denn auch jetzt dem HErrn danken, der ist, und der war, und der sein wird, und Deinem Namen, Du Höchster, der Du allein weise, allein mächtig und allein gut bist, in meinem Herzen lobsingen. Ich will glauben und verkündigen, daß der HErr fromm ist, und ist kein Unrecht an Ihm (V. 16.). Ich will Dich erhöhen mein Gott, Du König, und Deinen Namen loben immer und ewiglich. Ich will Dich täglich loben, und Deinen Namen rühmen immer und ewiglich.

HErr, Du lässest mich fröhlich singen von Deinen Werken.
Ps. 92,5.

Groß sind die Werke des HErrn, wer ihrer achtet, hat eitel Lust daran, Ps. 111,2. Wer kann die großen Thaten des HErrn ausreden, und alle Seine löblichen Werke preisen? Ps. 106,2. Er hat sie alle weislich geordnet, Ps. 104,24. Sie sind groß und wundersam, Off. Joh. 15,3. Die Werke Seiner Hände sind Wahrheit und Recht, Ps. 111,7. Seine Gedanken sind dabei sehr tief: aber ein Thörichter glaubt das nicht, und ein Narr achtet solches nicht, Ps. 92,6.7. Aber einen Gerechten, der erleuchtet ist, und das Ende vieler Werke Gottes geduldig auswartet, lässet Gott fröhlich singen von Seinen Werken, und rühmen die Geschäfte Seiner Hände, Ps. 92,5. Ein Thor rühmt seine eigenen Werke, aber ein Gerechter singt fröhlich von den Werken Gottes. Werke Gottes heißen die Geschöpfe, Ps. 8,4.7. 103,22., und die Veränderungen, welche Er durch Seine Vorsehung in der Welt macht, Ps. 66,5. Das Werk der Erlösung war ein großes und wundersames Werk, das aus vielen einzelnen Thaten und Leiden Christi bestand. Was Gott in den Seelen der Menschen zu ihrer Zurechtbringung thut, ist auch ein gutes Werk Gottes, Phil. 1,6., welches aus unzählig vielen einzelnen Werken besteht. Endlich wird’s ein sehr großes Werk sein, wenn Gott den ersten Himmel und die Erde vergehen lassen, und das Meer zernichten, dagegen aber einen neuen Himmel und eine neue Erde machen wird. Alsdann wird Er sagen: es ist geschehen, siehe, Ich mache Alles neu, Off. Joh. 21,1.5.6. Alle diese Werke Gottes sind ein Gegenstand der Bewunderung, eine Ursache des Lobes Gottes, und eine würdige Materie zu einem fröhlichen Gesang, wenn man dazu erweckt und geschickt ist.
Nun HErr, lasse mich auch fröhlich singen von den Werken Deiner weisen und gnädigen Vorsehung. Lasse mich dieselben an mir und den Meinigen, und an vielen Andern, die ich lieb habe, sehen. Mache mich verständig, darauf zu merken, und geduldig, sie auszuwarten; denn das Ende Deiner Werke ist besser als ihr Anfang. Lehre mich aber auch fröhlich singen von Deinem großen Schöpfungswerk, und von dem heilsamen Erlösungswerk, welches Dein lieber Sohn ausgeführt hat, und öffne mein Verständniß, damit ich diese Deine Werke hochschätze und Deine daraus hervorleuchtende Macht, Weisheit und Güte fröhlich erkenne. Laß mich aber auch Dein gutes Werk der Heiligung und den Fortgang derselben in mir und den Meinigen und in vielen Andern fröhlich wahrnehmen, weil dasselbe zu Deiner Ehre gereicht, und zu unserm Heil höchst nöthig ist. Endlich gib mir auch fröhliche Aussichten in der Hoffnung auf die Vollendung der Heiligung, auf den Tag Jesu Christi, auf mein ewiges Vaterland, auf das herrliche Erbe, daß Du Deinen Kindern geben wirst, damit ich also fröhlich auch in der Hoffnung und geduldig in Trübsalen sei. Verwandle meine Traurigkeit in Freude, sobald es mir nützlich ist, und bewahre mich, daß ich mich in jener nicht im Unglauben wider Deinen Willen fest setze. In jener Welt will ich mit einer völligen Freude von Deinen Werken singen; wenn Du mich von allem Uebel wirst erlöset, und Alles neu gemacht haben.

PS. 102

Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen, und verschmähet ihr Gebet nicht.
Ps. 102,18.

Das werde geschrieben auf die Nachkommen: und das Volk, das geschaffen soll werden, wird den HErrn loben, Ps. 102,19. Weil dann auch wir Nachkommen derjenigen sind, welche zur Zeit des Propheten lebten, der diesen Psalmen gemacht hat, so sollen wir dafür halten, daß seine Worte auch für uns geschrieben seien; und weil wir zu einem Volk gehören, das nach Seiner Zeit geschaffen worden ist, so sollen wir den HErrn wegen der Erfahrung Seiner Barmherzigkeit, mit welcher Er Sich zum Gebet der Verlassenen wendet, loben. Ein Mensch kann leicht in Umstände gerathen, in welchen er sich als verlassen fühlt. Der Prophet, der diesen Psalmen gemacht hat, war selber in solchen Umständen; wie die Ueberschrift und V. 7. und 8. anzeigen. Wenn begangene Sünden den Menschen drücken, wer will ihm helfen? Wenn er ein Anliegen hat, das er Niemand klagen darf, wer will ihn trösten? Wenn er an ein Amt gebunden, oder in einen bürgerlichen, oder ehelichen, oder häuslichen Stand gesetzt ist, wo drückende Umstände, die nicht zu ändern sind, ihn beschweren, wer will ihm heraus helfen? Wenn er einen unheilbaren Schaden an seinem Leibe hat, wer will ihn heilen? Wenn er dem Tode nahe ist, und sterben soll, wer will sich seiner annehmen? In allen solchen Leiden kann er viele Menschen um sich haben, und doch wie ein einsamer Vogel auf dem Dache sein. Er kann Freunde um sich haben, und doch verlassen sein; weil Menschenhülfe kein nütze ist. Was bleibt aber zum Trost übrig? Etwas sehr Großes, das genug ist, die Seele aufzurichten und zu erquicken. Der HErr wendet sich zum Gebet der Verlassenen, und verschmähet ihr Gebet nicht. Denn der HErr schauet von Seiner heiligen Höhe, und siehet vom Himmel auf die Erde, daß Er das Seufzen der Gefangenen höre, und losmache die Kinder des Todes, V. 20.21. Als das Volk Israel in den babylonischen Ländern gefangen war, und unter dem Druck der Heiden nach und nach vertilgt werden sollte, so war es von allen Menschen verlassen. Selbst Daniel, der doch am babylonischen Hof ein großer Herr war, durfte es nicht wagen, seinen König um die Freiheit der Israeliten zu bitten. Er bat aber Gott um diese Freiheit, Dan. 9., und andere Israeliten beteten ohne Zweifel auch, und der HErr hörte das Seufzen der Gefangenen, und machte die Kinder des Todes los. Eben dieses geschieht auch bei einzelnen Personen, und unter andern Umständen. Verlassene sind, wenn sie beten, diejenigen Personen, an denen sich Gott durch Erhörung und Gewährung ihres Gebets besonders verherrlichen kann. Eben deßwegen, weil sie verlassen sind, ist ihr Gebet brünstig und anhaltend, und wenn geholfen ist, so fällt die Ehre dem großen Gott ungetheilt zu, der Dank ist lauter, und das Lob steigt aus der Tiefe der Demuth in die heilige Höhe.
So lasset uns denn, weil wir die Erlaubniß zum Beten, und die Verheißung von der Erhörung des Gebets haben, in solchen Leiden, worin wir von aller menschlichen Hülfe verlassen sind, unverzagt und ohne Grauen sein. Dünkt es uns, Gott sei ferne von uns, so wird Er Sich nach Seiner Verheißung zu unserem Gebet wenden. Dünkt uns unser Gebet zu schwach und schlecht zu sein, so wird Er’s doch um Christi unsers Fürsprechers willen nicht verschmähen. Gelobet sei Gott, der unser Gebet nicht verwirft, noch Seine Güte von uns wendet!

Ps. 103

Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat.
Ps. 103,2.

Die Menschen vergessen die Wohlthat Gottes viel eher als ihre Leiden, und wenn sie auch fröhlich sind, so unterlassen sie gemeiniglich das Lob Gottes, und denken nicht daran, daß alles Gute, das sie genießen, von Ihm herkomme. David hat deßwegen seine Seele, das ist sich selbst zum Lob Gottes aufgemuntert, und sich gleichsam selber ermahnt, nicht zu vergessen, was der HErr ihm Gutes gethan habe. Was war denn das Gute, das der HErr ihm erzeigt hatte? Er sagte zu sich selbst V. 3. u.ff.: der HErr vergibt dir alle deine Sünden, und heilet alle deine Gebrechen; Er erlöset dein Leben vom Verderben, und krönet dich mit Gnade und Barmherzigkeit; Er macht deinen Mund fröhlich, daß du wieder jung wirst wie ein Adler. Hernach rühmt er auch allgemeine Gnadenerweisungen Gottes, und sagt: der HErr schaffet Gerechtigkeit und Gericht Allen, die Unrecht leiden, er hat Seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel Sein Thun, barmherzig und gnädig ist der HErr, geduldig und von großer Güte u.s.w. Es ist wunderbar, daß David dieses Alles, sonderlich aber, was V. -5. steht, zu sich selber gesagt hat, als ob er und seine Seele zwei Personen wären, da doch seine Seele selber dieses Alles dachte und sagte. Allein die Menschen sagen oft etwas zu sich selber, wenn sie Gedanken ausbilden, welche sie selber angehen. Wie Mancher würde auch vor der ehrbaren Welt beschämt, wenn er die Gedanken heraussagte, die er von sich selber hat, oder zu sich selber sagt, indem er sich in seinen eingebildeten Tugenden, Gaben, Verdiensten und Vorzügen spiegelt, und bei dem Anblick seiner Werke gleichsam wie Nebucadnezar, Dan. 4,27., sagt: dieß ist die große Babel, die ich erbauet habe zu Ehren meiner Herrlichkeit. Wer aber Gott nicht verherrlicht, und sich selber Herrlichkeit nimmt, begeht eine große Sünde. David war, da er seine Seele zum Lob Gottes aufmunterte, sich seiner Sünden und Gebrechen bewußt. Diese allein waren sein eigen. Jene vergab ihm der HErr, und diese heilete Er: alles Gute aber schreibt er dem HErrn zu. Nach dieser Weise ist die ganze Bibel eingerichtet, und wer nicht wüßte, daß sie ein heiliges und göttliches Buch sei, könnte es daraus erkennen, daß sie überall Gott allein die Ehre gibt, den Menschen aber und allen Geschöpfen den niedrigen Stand unter Gott anweist, der ihnen gebührt. So lobe denn, meine Seele, nie dich selbst, sondern den HErrn, und gleichwie du deines ausgestandenen Leides lange nicht vergessen willst, also vergiß auch nicht, was der HErr dir Gutes gethan hat. Danke Ihm für dieses Gute, und laß deine Zuversicht zu dem HErrn, und deine Hoffnung, die sich auf’s Künftige erstreckt, dadurch gestärkt werden. Ich bin es nicht allein, der den HErrn lobet, denn ich darf wie David, V. 20.21.22., nicht als ein Gebietender, sondern als Einer, der sein Wohlgefallen und seine Uebereinstimmung bezeugt, sagen: lobet den HErrn, ihr seine Engel – lobet den HErrn, ihr Seine Heerschaaren – lobet den HErrn alle Seine Werke an allen Orten Seiner Herrschaft. Und in Verbindung mit diesen Allen: lobe den HErrn, meine Seele!

Wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, so erbarmet sich der HErr übe die, so Ihn fürchten.
Ps. 103,13.

Indem sich Gott in Seinem Wort mit einem Vater vergleicht, ja den Namen Vater Sich selber beilegt, so hat Er uns auch dadurch einen Weg zur Erkenntniß Seiner bahnen wollen, weil doch bekannt genug ist, was ein Vater und ein väterliches Herz unter den Menschen sei. Nun ist zwar ein Vater, dergleichen einer Eli war, kein ächtes Bild des himmlischen Vaters, auch ist ein tyrannischer Vater, der seine Kinder erbittert und muthlos macht, kein solches Bild: aber ein treuer Vater, der mit Weisheit, Treue und Geduld, mit Gelindigkeit und heilsamer Strenge für seiner Kinder Heil besorgt ist, kann ein solches Bild heißen; wiewohl wir doch an die Rede Christi Matth. 7,11. und Luk. 11,13. gedenken sollen, in welcher Er alle irdischen Väter arge Menschen heißt, und ihnen den Vater im Himmel unendlich weit vorzieht. Was ist aber die vornehmste Eigenschaft eines väterlichen Herzens? Dieses ist’s, daß sich ein Vater über seine Kinder erbarmet; da denn David sagt: eben so erbarmt sich der HErr über die, so Ihn fürchten. Diese Erbarmung wird Ps. 103. ausführlich erklärt. Der HErr siehet bei denselben die Sünden als Sünden an, und liebt die Missethaten nicht; wenn aber der Mensch zur Gottesfurcht umkehrt, so vergibt Er, so heilet Er die Gebrechen. Er züchtiget zwar, hingegen handelt Er nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missethat. Versuchungen und Kreuz verhängt Er so über uns, daß Er dabei unsere Schwachheit in die Rechnung nimmt. Er kennet, was für ein Gemächt wir sind, Er denket daran, daß wir Staub sind. Seine Gnade währet länger als unser Leben, sie währet auf Kindeskinder hinaus, sie währet ewig. Dieses heißt väterlich gehandelt. Wer sollte nicht einer solchen Behandlung froh sein? Fürchten muß man aber den HErrn, wenn man eine solche Behandlung genießen will; denn wer freventlich sündigt, wer Seine Güte mißbraucht, wer Seine Worte hinter sich wirft, wird nach den strengen Rechten des Gesetzes, worin sich Gott als ein starker eifriger Gott, und als der allerhöchste HErr über Alles offenbaret, gerichtet und gestraft. Hier gibt’s einen Zorn, hier gibt’s Feuerflammen, hier gibt’s ein ewiges Verderben. Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes fallen. So wollen wir denn in der Furcht Gottes wandeln, und heute nichts reden oder thun, welches unserm Nächsten den Anlaß geben könnte, zu uns zu sagen: und du fürchtest dich auch nicht vor Gott. Die Furcht des HErrn ist der Weisheit Anfang. Die Furcht des HErrn hasset das Arge, die Hoffart, den Hochmuth, und bösen Weg, Spr. Sal. 8,13. Gleichwie der Vatername Gottes ein kindliches Vertrauen bei uns erwecken soll, also soll der Name HErr (Jehovah) uns in eine tiefe Ehrfurcht setzen. Gott ist allein derjenige, der ist, und der war, und der sein wird. Wir aber haben unser schwaches Wesen Seinem Willen zu danken. Er bleibet wie Er ist, wir vergehen. Auch Seine Gerechtigkeit ist unveränderlich. Weil wir nun denjenigen als Vater anrufen, der als der Ewige und Unveränderliche ohne Ansehen der Person richtet nach eines Jeglichen Werk, so sollen wir unsern Wandel, so lange wir hier wallen, mit Furcht führen, 1 Petr. 1,17.

Ps. 110

Der HErr sprach zu meinem HErrn: setze Dich zu Meiner Rechten.
Ps. 110,1.

Es war eine große Herablassung der göttlichen Liebe, daß den Menschen zuweilen geoffenbart wurde, was in der heiligen Dreieinigkeit eine göttliche Person zu der andern sprach. Die Worte: setze Dich zu Meiner Rechten u.s.w. sind Worte, die Gott der Vater zu dem Messias Seinem Sohn spricht. Ps. 2,7.8.9. redet der Sohn Gottes selber, und führt die Worte an, die der Vater zu Ihm gesprochen habe; und eben dieses thut Er auch Jes. 49,6.8. Reden des Sohnes Gottes mit Seinem himmlischen Vater kommen Ps. 22.10.69.109. Zach. 1,12. Matth. 11,25.26. Joh. 17. Luk. 23,34.46. vor. Hingegen ist dasjenige, was Ps. 110,2-7. steht, und wo der Redende sich sowohl von dem Vater als von dem Sohn unterscheidet, und Anderes von dieser Art, eine Rede, worin sich der Heilige Geist als eine besondere göttliche Person geoffenbart hat. Die Worte des Vaters: setze Dich zu Meiner Rechten, kann man als eine Antwort auf das Begehren des Sohnes ansehen, der Joh. 17,5. zu Ihm sagte: verherrliche Du Mich bei Dir selbst mit der Herrlichkeit, die Ich bei Dir hatte, ehe die Welt war, denn zur Rechten des Vaters sitzen, heißt so bei dem Vater sein, wie das wesentliche Wort bei Gott war, ehe die Welt gewesen war. Und welch’ eine Herrlichkeit kann größer sein, als die Herrlichkeit desjenigen, der sich setzen darf zur Rechten der Majestät in der Höhe, Hebr. 1,3., oder zur Rechten auf dem Stuhl der Majestät im Himmel, Hebr. 8,1., oder zur rechten Hand Gottes Mark. 16,19.? Wer so weit erhöht ist, ist so hoch als der Vater, ist ein so großer König, als der Vater auf Seinem Stuhl oder Thron ist; seine Majestät ist der Majestät des Vaters gleich. Er hat also eine göttliche Herrlichkeit, wie die Herrlichkeit war, die das wesentliche Wort schon vor der Schöpfung bei Gott gehabt hat. Man kann ferner die Worte des Vaters: setze Dich zu Meiner Rechten als eine Antwort ansehen auf das Heischen des Sohnes, welches der Vater selber von Ihm begehrt hatte, da Er Ps. 2,8 zu Ihm sprach: heische von Mir, so will Ich Dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigenthum; auch kann man eine Erklärung derselben Matth. 28,18. Phil. 2,9.10.11. finden. Man kann aber auch das Sitzen Jesu Christi zur Rechten als einen Gegensatz gegen den Stand Seiner Erniedrigung betrachten. In diesem Stand war Er ein Pilgrim, Er arbeitete, ER kämpfte, Er diente. Nun sitzt Er aber, nun ruhet Er, nun herrscht Er über Alles, nun hat Er Freude die Fülle.
David nennt in diesen Worten den Messias, der sonst auch sein Sohn hieß, seinen HErrn, und freilich ist der Messias, ungeachtet der Abstammung von ihm, sein und aller Geschöpfe HErr, weil Er nicht nur wahrhaftiger Gott und der Schöpfer aller Dinge ist, sondern weil Er auch als Menschensohn von Mutterleibe an die höchste Würde, und das Recht, über Alles zu herrschen, hatte, durch das Sitzen zur Rechten Gottes aber zum völligen Genuß dieser Würde und zur völligen Ausübung Seines Rechts nach dem Wohlgefallen Seines Vaters gelangt ist. Er ist auch mein HErr. Ich bete Ihn an, und bin gern Sein Unterthan und Sein Eigenthum. Unter allen Dingen, die der Vater unter Seine Füße gethan oder geordnet hat (Eph. 1,22.), will ich auch gerne sein. Er bewahre mich aber selber, daß ich nie zum Schemel Seiner Füße oder unter Seine Füße gelegt werde, denn dieses ist nur das Loos Seiner Feinde, Ps. 110,1. 1 Kor. 15,25. Es müsse auch in unsern Tagen geschehen, was der Heilige Geist V. 3. gesagt hat: nach Deinem Sieg wird Dir Dein Volk williglich opfern im heiligen Schmuck; Deine Kinder werden Dir geboren, wie der Thau aus der Morgenröthe.

Ps. 117

Lobet den HERRN, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker!
Ps. 117,1.

Zur Zeit der Gesetzgebung sagte der HErr zu dem Volk Israel: werdet ihr Meiner Stimme gehorchen, und Meinen Bund halten, so sollt ihr Mein Eigenthum sein vor allen Völkern, denn die ganze Erde ist Mein; und ihr sollt Mir ein priesterliches Königreich und ein heiliges Volk sein, 2 Mos. 19,5.6. Es gehörte auch diesem Volk die Kindschaft, und die Herrlichkeit (der Wohnung Gottes), und der Bund, und das Gesetz, und der Gottesdienst, und die Verheißung, Röm. 9,4. Was aber die Heiden anbelangt, so sagte man: so thut der HErr keinen Heiden (wie er Israel thut), noch lässet sie wissen Seine Rechte, Hallelujah! Ps. 147,20. Zwar wurden einzelne Heiden je und je unter das Volk Israel aufgenommen, wie die Rahab und die Ruth, oder auch ohne diese Aufnahme an den wahren Gott glaubig, wie der Syrer Naeman; auch hat der HErr einmal der Stadt Ninive durch den Propheten Jonas predigen lassen, allein der Vorzug Israels blieb doch groß, und das Gute, das Jonas zu Ninive angerichtet hatte, verlosch bald wieder; hingegen weissagten die Propheten mehrmals, daß den Heiden zur Zeit des Messias Heil widerfahren werde. Der Heilige Geist rief ihnen deßwegen lange vorher zu: lobet den HErrn, alle Heiden. Ja es wird Ps. 72,11. geweissagt: alle Könige werden den Heiland der Welt anbeten, alle Heiden werden Ihm dienen. Was hievon noch nicht erfüllet ist, wird in der zukünftigen Zeit erfüllet werden. Paulus theilte die bekannten Heiden zu seiner Zeit, Kol. 3,11., in Griechen, Ungriechen und Scythen ein. Die Griechen waren die gesitteten Menschen in dem römischen Reich, die weisesten unter den Heiden. Ungriechen waren Heiden, deren Regiment und Hauswesen auch noch ordentlich eingerichtet war, welche aber die feinen Sitten, Künste und Wissenschaften der Griechen nicht unter sich hatten, und von diesen für Fremde geachtet und verachtet wurden. Scythen waren wilde Heiden, die keine gewissen Wohnungen hatten, und fast ein thierisches Leben führten. Diese drei Gattungen von Heiden, unter denen die erste Luk. 14,21., die zwei letzteren aber Luk. 14,23. geschildert sind, findet man noch jetzt auf dem Erdboden in großer Menge; es sollen aber alle den HErrn loben um Seiner Barmherzigkeit willen, weil Er ihnen Allen Seinen Sohn als ihren Erlöser gegeben hat. Auch sollen diese Heiden (folglich auch wir, die wir von Ungriechen abstammen) nicht meinen, daß sie nur Gäste und Fremdlinge im Reiche Gottes sein dürfen, sondern sie sollen Bürger mit den heiligen Israeliten und Gottes Hausgenossen sein. Sie sollen Miterben sein, und mit eingeleibt und Mitgenossen der Verheißung Gottes in Christo durch’s Evangelium sein, Eph. 2,19. 3,6. Sie sollen unter die Zweige des israelitischen Oelbaums eingepropft, und der Wurzel und des Safts im Oelbaum theilhaftig werden, Röm. 11,17. Sie sollen nämlich von Gott behandelt werden, als ob sie Nachkommen Abrahams wären, und zu seinem Samen gehörten, für den dieser geistliche Stammvater aller Glaubigen sehr große Verheißungen empfangen hat, und sollen auch des verheißenen Geistes als des fruchttreibenden Saftes theilhaftig werden. Niemand soll im Reich Gottes seine natürliche Abstammung oder sein äußerlicher Stand schaden: denn da ist nicht Grieche, Jude, Beschneidung, Vorhaut, Ungrieche, Scythe, Knecht, Freier; sondern Alles und in Allen Christus, Kol. 3,11. Christus macht Alle ehrlich und Gott angenehm. Gelobet sei der HErr für Seine Barmherzigkeit, mit welcher Er Sich zu uns Heiden gewandt hat! Auch heute soll das Lob Gottes in meinem Munde sein.

Ps. 118

Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich.
Ps. 118,2.

Kein Ausspruch kommt so oft in dem Psalter vor als dieser: Seine Güte währet ewiglich. Auch im Ps. 118. kommt er fünfmal vor, und da dieser Psalm ein Theil des Lobgesangs gewesen ist, welchen der Heiland mit seinen Jüngern nach Seiner letzten Ostermahlzeit gesprochen hat, so dürfen wir dafür halten, daß nie Jemand mit einem so reinen Glauben, mit einem so völligen Vertrauen, und mit einer so tiefen Ehrerbietung, wie Jesus damals, von dem himmlischen Vater gesagt hat: Seine Güte währet ewiglich. Das Volk Israel durfte und sollte aber immer so sagen, das Haus Aaron, oder der ganze Haufe der Priester, und alle Unbeschnittenen, die den HErrn fürchteten, und noch nicht zu der Gemeinde Israels gehörten, durften in dieses Lob Gottes einstimmen, weil die Güte Gottes auch über sie ausgebreitet war. Was hindert’s also, daß nicht auch wir an diesem Morgen mit einem frohen und glaubigen Herzen zu dem HErrn sagen: Seine Güte währet ewiglich. Es kommt zwar in unserem Lebenslauf manchmal eine Angst vor, es sind Feinde um uns herum, und wir müssen Züchtigungen des HErrn erdulden; wie denn aller dieser Dinge auch Ps. 118. Meldung geschieht: allein das Lob, welches man Gott wegen Seiner ewig währenden Güte gibt, wird dadurch nicht zernichtet, ja nicht einmal eingeschränkt. Die Güte Gottes ist eine wunderliche Güte, wie sie denn Ps. 17,7. 31,22. so genannt wird. Sie thut weh, wenn sie wohl thun will, sie nimmt, wenn sie geben will; sie tödtet, wenn sie lebendig machen will, sie erniedrigt, wenn sie erhöhen will. Mit Christo ging sie selbst so um, und es war ein Wunder vor der Menschen Augen, Ps. 118,22.23. Die Güte Gottes ist wie die Sonne, welche sich zuweilen hinter die Regenwolken verbirgt, damit das Erdreich Schatten und Feuchtigkeit bekomme. Ob man aber gleich alsdann die Witterung eine böse Witterung zu nennen pflegt, so ist sie doch eine gute und nützliche Witterung: auch wird die Sonne durch die Regenwolken nicht ausgelöscht, und kommt hinter denselben bald wieder mit einem angenehmen Glanz hervor. Ebenso verhält es sich auch mit der Güte Gottes. Lasset uns also die Güte Gottes unter den Abwechslungen der Freude und des Leids, die es in unserer Wallfahrt gibt, als eine fortwährende Güte erkennen und preisen. Sie währet ewig. Sie währet bis an’s Ende unsers Lebens, ja sie hat gar kein Ende. Menschen sind wankelmüthig, Fürsten sind veränderlich und sterblich, darum wird V. 8.9. gesagt: es ist gut auf den HErrn vertrauen, und sich nicht verlassen auf Menschen; es ist gut auf den HErrn vertrauen, und sich nicht verlassen auf Fürsten. Indem wir aber von Gott sagen: Seine Güte währet ewig, sollen wir uns mit Vertrauen zu dieser Güte wenden, sie preisen, für dieselbe danken, und uns dem HErrn so ergeben, daß Er Seine Güte nicht nur durch leibliche Gaben, sondern auch durch Vergebung der Sünden, durch Sendung Seines Geistes in unsere Herzen, und durch die Schenkung eines unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbes nach dem ganzen Inhalt Seines Gnadenbundes oder Testaments offenbaren könne. Die ewig währende Güte Gottes soll für uns die Quelle eines ewigen Lebens und einer unaufhörlichen Seligkeit sein. Nun Du bist mein Gott, ich danke Dir: mein Gott, ich will Dich preisen. Danket dem HErrn, ihr, meine Mitchristen, denn Er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich.

Du bist mein Gott, ich danke Dir, mein Gott, ich will Dich preisen.
Ps. 118,28.

Es ist etwas Erquickliches, wenn man glaubig zu Gott sagen kann: Du bist mein Gott. Was ist Gott? Was bedeutet das Wörtlein mein? Kein menschlicher Verstand kann die Antworten auf diese beiden Fragen vollkommen ausdenken. Gott ist ein unermeßliches gutes Wesen. Er ist ein Licht, und in Ihm ist keine Finsterniß, Er ist Liebe, Er ist Vater, Erlöser, König, Fürsprecher, Haupt, Hirte, Bräutigam, Tröster. Wenn man nun zu allen diesen Namen das Wörtlein mein setzen kann, welch’ eine Wonne, welch’ ein Trost ist das! Das Wörtlein mein deutet an, daß Gott Sich gegen mich so beweiset, wie Sein Name anzeiget, oder daß ich Ihn so erkennen und genießen darf, wie Er Sich in Seinem Wort geoffenbaret hat. Dreimal sagte die Sulamith im Hohenlied: mein Freund ist mein, zweimal setzte sie hinzu: und ich bin sein; das drittemal aber: und er hält sich auch zu mir, oder: er hat eine Neigung zu mir. Christus sagte mehrmals zu den Menschen: euer Vater, und hieß sie beten: unser Vater, und sprach nach Seiner Auferstehung: Ich fahre auf zu Meinem Vater, und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott. Die Apostel reden oft in ihren Briefen von unserm HErrn Jesu Christo; und obschon der Heilige Geist niemals unser Geist genannt wird, so wird doch von Ihm gesagt, daß Er uns gegeben, und in unsere Herzen gesandt werde. Alle diese Ausdrücke zeigen an, daß die Erkenntniß und die Verehrung des Dreieinigen Gottes bei uns nicht trocken und kaltsinnig bleiben dürfe, sondern daß sie mit einer glaubigen Zueignung und Annahme und zugleich mit einem Genuß verbunden sein solle. Darauf folgt Ruhe der Seele, Geistesstärke, Ergebenheit an Gott, Vereinigung mit Gott, Verlangen nach einem noch völligeren Genuß, und bei der Anbetung Gottes viel Dank gegen Gott, und viel Lob Gottes; wie denn auch in dem obenstehenden Spruch gesagt wird: ich danke Dir mein Gott, ich will Dich preisen, und hernach: danket dem HErrn, denn Er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich. Ich will mich auch am Anfang dieses Monats freuen, daß der HErr mein Gott ist, und Ihm danken. Ein Reicher mag ich freuen, wenn er sein Geld und seinen Hausrath und seine liegenden Güter ansehen, und davon sagen darf: dieses Alles ist mein, ein Andrer mag ich seiner Gönner und seiner Lieblinge freuen: ich freue mich dessen, daß der HErr Sich nicht schämet, mein Gott zu heißen, und daß ich durch Christum, den verworfenen Stein, der zum Eckstein geworden ist, das Gnadenrecht erlangt habe, Ihn meinen Gott zu nennen. Jetzt erkenne und genieße ich Ihn ungefähr so, wie man die Sonne bei dem dicksten Nebel erkennt und genießt. Man sieht sie nicht, man genießt auch ihren Glanz nicht völlig, doch weiß man, daß sie über dem Horizont sei, fühlt etwas von ihrer Wärme, und genießt etwas von ihrem Licht. In der seligen Ewigkeit aber wird der Nebel vergangen sein. Alsdann wird die Herrlichkeit Gottes den Gerechten wie eine unvergleichlich reine und unermeßliche Sonne leuchten, und sie werden sie unmittelbar und ohne Verletzung ihrer Augen sehen, und viel näher als jetzt zu ihr hingerückt sein. Alsdann wird völlig klar sein, welch’ eine unendliche Seligkeit es sei, wenn man zu Gott sagen kann: Du bist mein Gott. Hallelujah.

PS. 119

Oeffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder in Deinem Gesetz.
Ps. 119,18.

Wenn in dem Psalter von dem Gesetz des HErrn die Rede ist, so ist das ganze geoffenbarte und geschriebene Wort Gottes, oder die Bibel, wie man sie damals hatte, gemeint. Die Bibel als das göttliche Lehrbuch enthält Wunder, welche zu sehen Augen nöthig sind, die Gott öffnet. Ist es nicht etwas Wunderbares und Geheimnißreiches, daß schon in den ersten Büchern der Bibel von Gott als dem Einigen geredet wird, und daß doch schon 1 Mos. 1. gesagt wird: lasset Uns Menschen machen, ein Bild das Uns gleich sei, als ob es Mehrere wären, die dieses sagten, und daß zuweilen ein Engel des HErrn erschien, der als Gott bei sich selbst schwur, und als Gott redete, und daß auch des Geistes Gottes besonders Meldung geschieht? Ist nicht die Schöpfung etwas Wunderbares und Unbegreifliches, und nach der Schöpfung die Zulassung des Sündenfalles und so vieles Bösen, das Gott mit Gewalt hätte hindern können? Wie geheimnißvoll waren die Verheißungen, daß des Weibes Samen der Schlange den Kopf zertreten, und daß durch den Samen Abrahams alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollen, und daß dem Helden (Schiloh), der von Juda entspringen sollte, alle Völker anhangen werden! Was hat ein Verständiger über die Opfer für Betrachtungen anstellen können, als welche ein unvernünftiger Gottesdienst gewesen wären, wenn sie keine vorbildliche Bedeutung gehabt hätten? Gott hat nach der Anzeige der heiligen Schrift gerechte Leute immer gesegnet, geliebt und gepriesen, aber auch oft in die Hände der Gottlosen übergeben, wie schon an Abel zu sehen war. Er hat hingegen Gottlose mit vieler Langmuth getragen, zuletzt schon einige in dieser Welt scharf gestraft, andere aber im Glück sterben lassen. Er hat den Menschen Vieles geboten, verheißen und gedroht, das sich vorher kein Mensch hätte in den Sinn kommen lassen. Er hat die Gerechten in tiefe Nöthen gerathen lassen, und ihnen wieder wunderlich geholfen. Sind dieses nicht Wunder im Gesetz oder Lehrbuch Gottes, wie es schon zu Davids Zeiten vorhanden war? Wer will aber den wunderbaren Rath Gottes ergründen oder genug preisen, nach welchem das wesentliche Wort, da die Zeit erfüllet ward, Fleisch geworden ist, und die Erlösung des menschlichen Geschlechts am Kreuz vollbracht hat? Hier erschien eine göttliche Thorheit, die doch weiser war als die Menschen sind, und eine göttliche Schwachheit, die doch stärker war als die Menschen sind. Welche Wunder leuchten aus der Pflanzung und Erhaltung der christlichen Kirche heraus, die in den Geschichten der Apostel und in der Offenbarung Johannis beschrieben sind? Nun möchte man denken: alle diese Wunder oder Geheimnisse sind schon lange von den Schriftauslegern gezeigt, und erklärt worden, daß ein Jeder sie verstehen kann. Warum bat aber David, welcher die Bibel in seiner Muttersprache leichter als wir lesen konnte, den HErrn: öffne mit die Augen, daß ich sehe die Wunder in Deinem Gesetz? Ach dieses Sehen ist nicht Jedermanns Ding, nämlich das Sehen mit Gewißheit und mit einem tiefen Eindruck, oder das Sehen, welches Bewunderung, Furcht Gottes, Lob Gottes, und Vertrauen auf Gott nach sich zieht. Die Menschen fahren über die wichtigsten Zeugnisse der heiligen Schrift mit ihren blinden Augen hinüber. Blinde Gelehrte arbeiten in der Bibel wie in einem Bergwerk, um mit der Wahrheit ihren eigenen Ruhm herauszugraben. Wem aber Gott die Augen des Verständnisses durch Seinen Geist öffnet, der siehet Wunder in der Bibel, und demüthiget sich dabei mit seinem Verstand und Willen, betet den hohen und erhabenen Gott an, und wird weise zur Seligkeit.

Deine Rechte sind mein Lied in meinem Hause.
Ps. 119,54.

David oder ein anderer Prophet, welcher den 119. Psalm geschrieben hat, sahe das göttliche Wort, welches er in diesem Psalmen hoch rühmte, auf verschiedenen Seiten an, und gab ihm deßwegen verschiedene Namen. Er nannte es oft geradezu das Wort oder die Rede Gottes, da er denn Gott sich als den unendlichen Geist vorstellte, welcher Sich durch Reden zu den Menschen herabgelassen und ihnen Vieles geoffenbaret hat. Er redet auch von den Zeugnissen Gottes, und erinnerte sich bei diesem Wort, daß der wahrhaftige Gott von dem, was ist, und war, und gewesen ist, und von demjenigen, was geschiehet, geschehen war, und geschehen sollte, in Seinem Wort gezeuget habe. er gedenkt auch der Gebote Gottes, und stellte sich dabei Gott als einen gebietenden HErrn vor, ingleichen des Gesetzes oder der Lehre Gottes, da denn Gott als der treueste Lehrer der Menschen gepriesen wird. Er redet auch von den Befehlen oder Heimsuchungsgeboten Gottes, und scheint durch diesen Namen diejenigen Verordnungen, Tröstungen und Drohungen Gottes anzudeuten, welche nicht allgemein lauten, sondern in der Anwendung auf besondere Fälle und Personen, da Gott gleichsam eine besondere Visitation anstellte, ausgesprochen worden, übrigens aber bei einer weisen Anwendung von einem allgemeinen Nutzen sind. Er redet ferner von den Gerichten oder gerichtlichen Aussprüchen Gottes, worin Gott als Richter über die Menschen ein gnädiges oder strenges Urtheil gefällt, und ihre Werke gelobt oder gescholten hat. Endlich thut er auch der Rechte oder Satzungen Gottes Meldung, wodurch der ewige und unveränderliche Gott gewisse Säulen und Grundfesten hingestellt hat, welche kein Widerspruch und keine Gewalt umstoßen kann. Von diesen Rechten nun sagt er V. 54., sie seien sein Lied in seinem Hause. Der Prophet stellt sich also als einen Hausvater vor, und sagt, daß in seinem Haus von den Rechten Gottes Vieles gesungen, und geredet werde: und so soll es in einem jeden Hause hergehen. Nicht der blinde Eigensinn des Hausvaters oder der Hausmutter, auch nicht der störrige Sinn der Kinder und Ehehalten, sondern die unbeweglichen Grundsätze, die Gott festgestellt und ausgesprochen hat, sollen das Haus regieren. Auch soll ein Haus, das dem HErrn geheiligt ist, nicht nach den Sitten der eitlen Welt, und nach den Aussprüchen derer, die der böse Geist treibt, eingerichtet sein. Die göttlichen Grundsätze sollen darin gelten, von denselben soll man, anstatt fauler Geschwätze oder Zänkereien, singen und sagen, aus denselben sollen alle Hausgenossen ihre Weisheit schöpfen. Auch sollen dieselben für Alle bei den täglichen Beschwerden die Trostquelle sein. Wohl dem Hause, in dem es also hergeht! In demselben mangelt es an Ordnung, Liebe, Zucht, Heiterkeit und Segen nicht. Soll es aber in einem Hause also hergehen, so muß insonderheit der Hausvater wie David gesinnt sein, der Ps. 101., nachdem er V. 2. gesagt hatte: ich handle vorsichtig und redlich bei denen, die mir zugehören, und wandle treulich in meinem Hause, V. 6.7. hinzusetzt: meine Augen sehen nach den Treuen im Lande, daß sie bei mir wohnen, und habe gern fromme Diener. Falsche Leute habe ich nicht in meinem Hause, die Lügner gedeihen nicht bei mir.

Zu Mitternacht stehe ich auf, Dir zu danken für die Rechte Deiner Gerechtigkeit.
Ps. 119,62.

In stillen und schlaflosen Nachtstunden kann Vieles zwischen Gott und der Seele vorgehen. Zur Tageszeit soll der Wandel vor Gott, die Anbetung Gottes, und das Anhangen an Ihn und die Ausrichtung Seines Willens beobachtet werden: doch ist der Mensch dabei auch mit irdischen Dingen beschäftigt, und dem Umgang mit Menschen ausgesetzt, welcher ihm oft zur Versuchung wird. Aber in den stillen Nachtstunden ist der Mensch in dem zugeschlossenen Kämmerlein, worin er zu seinem Vater verborgener Weise beten, und Seine Wirkungen in der Seele ungestört empfahen kann. Hier kann ihn der Heilige Geist bestrafen, trösten, lehren, tiefer und höher führen, und ihn entweder zu dem Dienst, den er Gott ferner leisten soll, auf’s Neue gürten, oder zu seinem nahen Ende zubereiten. Hier kann aber auch der Mensch Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für Gott bringen, wenn er vom Geist Gottes dazu erweckt ist. Der HErr Jesus blieb auf einem Berg im Gebet zu Gott über Nacht. Zur Nachtzeit wurde Er verklärt. Zur Nachtzeit kämpfte Er am Oelberg. Diejenigen insonderheit sollen die Nachtstunden zum Heil ihrer Seele wohl benutzen, welche wegen ihres äußerlichen Standes unruhige Tage haben. David sagte zu Gott, Ps. 119,62.: zu Mitternacht stehe ich auf, Dir zu danken für die Rechte Deiner Gerechtigkeit. Es war ihm also nicht genug, auf seinem Lager zu wachen, sondern er stand auch auf. Und was that er alsdann? Er dankte Gott für die Rechte Seiner Gerechtigkeit. Er dachte hiebei an die Rechtssprüche, die in der Bibel stehen, worin Gott nach Seiner wesentlichen Gerechtigkeit das Böse verbietet, und das Gute gebietet; und diese richterlichen Aussprüche waren ihm so gar nicht verhaßt, daß er vielmehr Gott dafür dankte; denn er konnte V. 102. sagen: ich weiche nicht von Deinen Rechten, denn Du lehrest mich, und V. 106.: ich schwäre, und will’s halten, daß ich die Rechte Deiner Gerechtigkeit halten will. Er dachte überdieß daran, wie Gott selber die Rechte Seiner Gerechtigkeit oft in die Erfüllung gebracht, und sagte deßwegen mit einer Danksagung gegen Gott: wenn ich bedenke, wie Du von Anbeginn an gerichtet hast, so werde ich getröstet. Wir, die wir zur Zeit des Neuen Testaments leben, sollen Gott insonderheit für die Rechte Seiner Gerechtigkeit danken, die Er in Christo geoffenbart und thätlich erwiesen hat; denn Er hat Ihn zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in Seinem Blut vorgestellt, daß Er durch den Glauben als ein Gnadenstuhl erkannt würde, auf daß Er allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum, Röm. 3,25.26. Christus hat auch als Mittler alle Rechte der Gerechtigkeit für uns erfüllt, damit wir durch Ihn gerecht würden, und durch Ihn als Gerechte einen Zugang zu Gott haben möchten. Dafür hat man denn Gott insonderheit zu danken; und sich dessen im Glauben zu trösten, und dazu wolle der liebe Heiland um Seiner heiligen Nächte willen unsre Nachtstunden segnen. Wer aber freilich die Sonne mit einem unversöhnlichen Herzen hat untergehen lassen, oder mit einem Gemüth, das mit Sorgen oder bösen Lüsten angefüllt ist, zu Bett geht, oder wohl gar auf seinem Lager nach Schaden zu trachten pflegt, ist dazu nicht tüchtig. Der Geist der Gnaden und des Gebets wohne und wirke in uns bei Tag und bei Nacht, und mache uns tüchtig, in die Stadt zu kommen, wo keine Nacht mehr sein wird.

Ich bin Dein, hilf mir.
Ps. 119,94.

So betete David, oder ein anderer Prophet, der diesen Psalm geschrieben hat, und so darf ich auch beten. Ich bin Dein, HErr mein Gott, weil Du mich erschaffen hast, und ich ein Werk Deiner Hände bin. ich bitte also mit der Ansprache, die ein Geschöpf an seinen Schöpfer machen darf: hilf mir, Deinem armen, dürftigen, gebrechlichen Geschöpf. Ich bin Dein, HErr Jesu, denn Du hast mich theuer erkauft, Du hast mich mit Deinem Blut erkauft, nun bin ich nicht einmal mein selbst. Das Recht, das ich über mich zu haben meinte, ist dein und in Deinen Händen, ich trete es auch Dir williglich ab, ich stelle mein ewiges Schicksal als Dein Leibeigener in deine Hände: aber nun hilf mir als dem Deinigen, sorge für mich, schütze mich, leite mich, und labe mich Elenden mit Deinen Gütern, ohne die mich ein ewiger Mangel quälte. Ich bin Dein, weil ich auf Deinen Namen, o Dreieiniger Gott, getauft, und von Dir hernach auch durch Dein Wort berufen worden bin, um Dein Kind und Knecht zu sein. Du hast mir auch in Deinem Wort theure Verheißungen gegeben, und diese Verheißungen mir durch die Taufe und hernach durch die Gnade des Beruf zugeeignet: nun hilf mir, wie Du verheißen hast, hilf mir, denn ich suche Deine Befehle, und indem ich sie zu verstehen und zu halten trachte, so hoffe ich, Du werdest auch die Verheißung Deiner mannigfaltigen Hülfe, deren ich sehr bedürftig bin, und welche an Deine Befehle überall angeheftet ist, an mir erfüllen, und mich auf den Weg des schwachen aber willigen Gehorsams nicht zu Schanden werden und verderben lassen. Ich bin Dein; weil ich aber aus sündlichem Samen gezeuget bin, und eine sündliche Eigenliebe und allerhand Unreinigkeit in mir habe, so lässest Du mich oft einen geistlichen und leiblichen Mangel fühlen, Du wirfst mich nach dem Recht, das Du über mich hast, oft in einen Ofen des Elend hinein, Du gehest wunderlich mit mir um, daß mir oft um Trost und Hülfe bange wird, aber hilf mir, o mein Gott weil ich Dein bin. Du bist allein mein Trost und mein Nothhelfer, zu Dir habe ich Zuflucht. Ich begehre kein Fleisch für meinen Arm zu halten, und finde auch kein Leben und keine Hülfe in meiner eigenen Hand, Du aber, HErr, hilf mir von Tag zu Tag nach dem Bedürfniß meiner Seele und meines Leibes; errette mich aus allen Nöthen, bewahre mich vor dem Argen, sende Dein Licht und Deine Wahrheit, daß sie mich leiten. Hilf mir, himmlischer Vater, durch Deinen eingebornen Sohn, den Du als einen Helden aufgestellt hast, der helfen soll, Ps. 89,20., und der Jesus, Heiland, Seligmacher oder Helfer heißt. Hilf mir durch Ihn und um Seinetwillen auch von demjenigen Uebel, welches die Verdammniß nach sich ziehet, nämlich von der Sünde, weil Er darum in die Welt gesandt worden ist, daß Er Sein Volk selig mache von ihren Sünden. Hilf mir bis an’s Ende, und endlich erlöse mich aus allem Uebel und hilf mir aus zu Deinem himmlischen Reich. Dieses Alles thue, o himmlischer Vater, um Deines Sohnes Jesu Christi willen!

Ps. 126

Wenn der HErr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.
Ps. 126,1.

Es ist dieses der Anfang eines von den Liedern im höhern Chor, oder eines von den Liedern, welches die Israeliten unterwegs sangen, wenn sie auf die Feste nach Jerusalem hinauf gingen. Sie sind alle kurz, und von einem Inhalt, der dem gemeinen Volk faßlich war. Ps. 126. dachten die Israeliten daran, daß ihre Nachkommen einmal nach den Weissagungen Mosis und anderer Propheten als Gefangene werden weggeführt, aber auch wieder aus dieser Gefangenschaft erlöset werden, und beteten V. 4. schon voraus um diese Erlösung. Doch weissagte der Prophet, der diesen Psalm verfertigte, diese Erlösung werde so unvermuthet und mit so vergnüglichen Umständen verbunden sein, daß die Israeliten wie die Träumenden sein werden: Sie werden nicht wissen, ob sie die Nachricht von dieser Erlösung glauben sollen, oder ob’s ihnen nur davon träume: wie es auch dem Jakob ging, da man ihm die unverhoffte Nachricht brachte, daß sein Sohn Joseph lebe, 1 Mos. 45,26. Alsdann, sagt der Prophet weiter, wird unser Mund voll Lachens sein, wie der Mund Abrahams und der Sara, als sie die unverhoffte und fast seltsame Verheißung bekamen, daß sie als alte Leute, welche die Hoffnung, ein Kind zu zeugen, aufgegeben hatten, einen Sohn bekommen werden, der zum Angedenken dieses fröhlichen und Gott wohlgefälligen Lachens Isaak genannt werden sollte, 1 Mos. 17,17. 18,12. 21,3.6.7. Unsere Zunge, sagt der Prophet ferner, wird alsdann voll Rühmens von Gottes Treue und Barmherzigkeit sein. Da wird man sagen unter den Heiden: der HErr hat Großes an ihnen gethan, und wir werden auch sagen: der HErr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich u.s.w. Wenn wir nun die Geschichte mit dieser Weissagung vergleichen, so können wir leichtlich erkennen, daß diese genau erfüllt worden sei. Das Reich der Chaldäer war sehr mächtig, und Babel, die Hauptstadt desselben, war eine sehr große, reiche und feste Stadt. So lange jenes Reich stand, und diese Stadt mächtig war, war keine Hoffnung der Erlösung für Israel vorhanden. Gott erweckte und stärkte endlich den persischen König Cores, daß er mit dem medischen König Darius das chaldäische Reich überwältigte, und Babel einnahm. Wem die Weissagung Jesajä K. 44,28 – 45,13. bekannt war, der konnte wissen, daß dieser Cores der Gefangenschaft Israels ein Ende machen werde: allein diese Weissagung scheint wenigen Israeliten bekannt gewesen zu sein. Plötzlich erschien aber der sehr gnädige und großmüthige Befehl des Cores, der Esr. 1. aufgezeichnet ist, und der mit der Uebergabe der kostbaren Tempelgefäße verbunden war. Alsdann geschahe, was Ps. 126. geweissagt worden war.
Auch bei andern Völkern, ja bei einzelnen Christen schickt Gott zuweilen eine unvermuthete Erlösung und Hülfe: die größte aber ist diejenige, durch welche Gott aus allem Uebel erlöset, und zu Seinem himmlischen Reich aushilft. Die Krankheit, die gemeiniglich vorhergeht, ist auch ein Gefängniß, Hiob 42,10. Das Gefängniß macht die Erlösung, und die Noth die Hülfe besonders werth und angenehm, und wenn die Erlösung und Hülfe unvermuthet kommt, und herrlicher erscheint, als man gehofft hatte, so kommen alle die Bewegungen des Geistes vor, die Ps. 126. beschrieben sind. Lasset uns die Thränensaat nicht scheuen; denn es folgt eine fröhliche Ernte darauf.

Wenn der HErr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.
Ps. 126,1.

Als das jüdische Reich von den Chaldäern überwältigt wurde, welches schon im vierten Jahr des Königs Jojakim geschah, so wurden einige Juden und unter denselben auch der Prophet Daniel nach Babel geführt. Noch mehrere wurden sieben Jahre hernach mit dem König Jojachin weggeführt, die allermeisten aber eilf Jahre hernach, als das ganze Reich Juda zerstört und Jerusalem mit dem Tempel verbrannt wurde. Der König zu Babel hatte bei diesem Wegführen ohne Zweifel die Absicht, zu verhüten, daß die Juden nicht wieder von ihm abfielen, welches geschehen wäre, wenn sie in ihrem Lande bei einander gewohnt hätten; Gott aber wollte sie dadurch wegen ihres Ungehorsams züchtigen. In ihrem guten Lande waren sie übermüthig gewesen, und hatten Abgötterei und große Greuel getrieben: nun mußten sie als arm und verachtet unter den Heiden wohnen, und sich von ihnen drücken und verspotten lassen. Rechtschaffene Israeliten betrübte der Mangel des erwecklichen öffentlichen Gottesdienstes, dem sie vorher auf dem Berg Zion beigewohnt hatten, am meisten. Da hatte man geopfert und gebetet, und die Psalmen Davids gesungen: da war die Wohnung Gottes bei den Menschen. Nun lag der Tempel in der Asche und der Berg Zions wüste. Die weggeführten Israeliten, welche an den Wassern Babels, am Euphrat, Tigris und andern Strömen, wohnen mußten, weineten, wenn sie an Zion dachten. Ihre Harfen hingen sie ungebraucht an die Weiden, die darinnen waren. Und wenn die Chaldäer, welche sie hart behandelten, und ihnen den Rückweg in ihr Vaterland verwehrten, sie singen und anstatt des Heulens fröhlich sein hießen, wenn sie sogar sagten: Lieber, singet uns ein Lied von denen, die man auf dem Berg Zion zu singen pflegte: so sagten sie: wie sollten wir des HErrn Lied singen im fremden Lande? Ps. 137,1-4. Dieser traurige und schmähliche Zustand währte 70 Jahre von dem vierten Jahr Jojakims, oder 5 Jahre von der Zerstörung Jerusalems an gerechnet. Nachdem aber diese Jahre verflossen waren, erlöste Gott die Gefangenen Zions durch den persischen König Kores, nachdem derselbe die große Stadt Babel eingenommen hatte. Es geschahe dies so unvermuthet, daß die Israeliten bei der ersten Nachricht wie Träumende waren, und nicht wußten, ob sie dieselbe glauben dürfen. Ob sie sich nun gleich in den chaldäischen Ländern angebaut und ihre Nahrung zum Theil auf einen guten Fuß gesetzt hatten, so eilten sie doch mit Freuden in ihr Vaterland, um ihren Tempel als die Wohnung Gottes unter ihnen wieder zu erbauen; denn ein Volk ohne einen Tempel war damals ein verachtetes Volk.
Zu unserer Zeit wohnen fromme Christen als zerstreute Fremdlinge in der Welt. Ihr öffentlicher Gottesdienst bedarf keiner so großen Zurüstung wie der jüdische, doch ist das Wohnen unter den Gottlosen, die den Frieden hassen, immer eine beschwerliche Sache. Es gibt aber ein himmlisches Zion und ein himmlisches Jerusalem, deren Hebr. 12,22. Offenb. 14,1.2. Meldung geschieht. Wer dahin entrückt werden wird, wird voll Freude und Lob Gottes sein, und die besseren Zeiten auf Erden Andern gern überlassen.

Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.
Ps. 126,5.

Thränen sind von verschiedener Art, und es sind nicht alle zu loben; man kann aber mit Thränen so säen, daß eine fröhliche Ernte darauf folgt. David säete so, da er in der Buße sein Lager mit seinen Thränen netzte, und auch zu einer andern Zeit, da Thränen seine Speise Tag und Nacht waren, weil man täglich zu ihm sagte: wo ist nun dein Gott? Ps. 42,4. Viele Juden säeten in der babylonischen Gefangenschaft mit Thränen, da sie ihre Sünden und ihr Elend beweinten, und zugleich Gott um Vergebung und Hülfe baten. Petrus säete mit Thränen, da er nach seinem Fall hinausging und bitterlich weinte; auch alle Apostel säeten so, da sie zur Zeit des Leidens Jesu weinten und heulten, alldieweil die Welt sich freute. Paulus säete auch nach einer andern Weise mit Thränen, da er die Leute in Asien Tag und Nacht mit Thränen ermahnte, Ap. Gesch. 20,31. Johannes weinte sogar im Stand der Entzückung, Offenb. 5,4. Auf eine jede solche Thränensaat folgte eine fröhliche Ernte in dem gegenwärtigen und in dem zukünftigen Leben. In dem gegenwärtigen Leben wird man nach den Thränen getröstet, in dem zukünftigen aber wird eine völlige Freudenernte folgen. Die Thränen selber, insofern sie aus Wasser bestehen, das aus den Augen fließt, sind etwas Geringes und Unkräftiges: allein der Drang der Seele zu Gott, das Verlangen nach Ihm, die unaussprechlichen Seufzer, welche der Heilige Geist dabei in dem Herzen bildet, und alles Gute, das hernach noch weiter daraus folgt, sind eigentlich der edle Samen, welche ein Weinender auf den Acker trägt, und mit Thränen gleichsam ausstreut; worauf er hernach zur Erntezeit mit Freuden kommt, und seine Garben oder die Frucht des Samens bringt.
So will ich mich denn der Bedrängnisse und der Thränen, die nach Gottes heiligem Rath in meinem Lebenslauf vorkommen, nicht weigern und nicht schämen, und mich nur befleißigen, bei den Thränen einen guten Samen zu säen. Niemals müssen Thränen bei mir fließen, deren Ursachen nichts als Zorn und Ungeduld wären. Nie müssen meine Augen Thränenquellen sein, ohne daß ich dabei vor Gott weinte, in Seinen Schoß gleichsam hinein weinte, und zu Ihm sagte: wann tröstest Du mich? Wenn ich aber Bußthränen, Thränen des Mitleids, der Liebe, oder der Wehmuth über die Bosheit der Welt vergießen, und bei der Empfindung meiner Drangsal betend und seufzend weinen werde, so weiß ich, daß Du, Gott, meiner um Deines Sohnes willen, der auch geweint hat, gnädig gedenken, und mir Armen Trost und Hülfe erzeigen werdest. Ja ich weiß, daß Du mein Elend ansiehest, und erkennst meine Seele in der Noth. In jener Welt aber wirst Du alle Thränen von meinen Augen abwischen, wie Du zweimal, Offenb. 7,17. und Kap. 21,4., versprochen hast. Die Thränensaat ist kurz: die Freudenernte wird ewig sein.

Ps. 130

So Du willst, HErr, Sünde zurechnen: HErr, wer wird bestehen?
Ps. 130,3.

Wenn ein Mensch aus der Tiefe zu dem HErrn ruft, wie im Anfang dieses Psalms gesagt wird, und ihm Gott bei einer innerlichen oder äußerlichen Noth die Augen geöffnet hat, so erkennt er, daß wenn der HErr Sünde zurechnen will, Niemand vor Ihm, dem HErrn, bestehen könne. Er ist heilig, allwissend, und hat eine große Macht. Wenn Er Sünde zurechnet, so kann Er mit zeitlichem Unglück und mit der Hölle strafen. Wer kann alsdann vor Ihm bestehen? Niemand kann’s. Ein Jeder wird zu Schanden und muß vergehen.
Und doch gibt es blinde und stolze Leute genug, die mit ihren Sünden, deren sie wenige begangen zu haben meinen, vor Gott bestehen wollen. Weil sie gelind von sich denken, so meinen sie, Gott denke auch so von ihnen. Weil sie das Gesetz verkehrt auslegen, so meinen sie, Gott habe es auch in diesem leichten und seichten Sinn gegeben. Weil sie unter den Menschen Lob und Achtung genießen, so bilden sie sich ein, sie werden in Gottes Gericht auch gut durchkommen. Ihre Tugenden und gottesdienstlichen Uebungen, welche doch nicht rechter Art sind, rechnen sie hoch an: ihre Vergehungen und Fehler aber halten sie für Kleinigkeiten; als ob sie das HErrn Sinn erkannt hätten, und wüßten, wie der große und heilige Gott sie und andere Menschen richten werde. Solche Leute werden bestützt und zu Schanden werden, wenn sie am Tage der Heimsuchung und des Gerichts werden inne werden, daß Gottes Gedanken gar anders seien, als ihre Gedanken, daß Sein Gericht gar anders ausfalle, als sie sich eingebildet haben, daß vor Ihm ihre Spinnewebe nicht zu Kleidern, und ihr Gewirk nicht zur Decke tauge (Jes. 59,6.), daß ihr ganzes Thun, weil es nicht aus der rechten Quelle geflossen, verwerflich sei, und sie nach Seinem Urtheil elend, arm, jämmerlich, blind und blos seien. Was ist nun zu thun? Man rufe aus der Tiefe zum HErrn. Man bitte um Vergebung und Gnade. Wie aber? Wenn der Betende derselben nicht alsbald vergewissert wird? Alsdann soll er sagen: ich harre des HErrn, meine Seele harret, meine Seele wartet auf den HErrn von einer Morgenwache bis zur andern. Was hat er für einen Grund, zu harren und zu warten? Das Wort Gottes, weßwegen er sagen soll: ich hoffe auf Sein Wort. Was soll er aber thun, wenn er Gnade erlangt hat? Er soll den HErrn fürchten, denn bei Ihm ist die Vergebung, daß man Ihn fürchte. Man fürchtet Ihn alsdann freilich nicht mehr so, wie ein Sclave, der ein böses Gewissen hat, seinen strengen HErrn fürchtet, sondern man fürchtet Ihn als einen Gott, bei dem viel Vergebung ist, und vor dessen Augen man Gnade und Friede gefunden hat. Man fürchtet Ihn aber, man verehrt Ihn, man ist Ihm unterthänig, damit man Seine Gnade nicht wieder verscherze, und das Schicksal jenes Knechts nicht erfahre, dem zehntausend Pfunde geschenkt worden waren, und dem hernach diese ganze schon geschenkte Schuld wieder aufgerechnet wurde, weil er seinem Mitknecht nicht vergab. Dank und Lob sei also unserm Erlöser, daß Er uns den Zugang zur Gnade erworben, und den Weg zum ewigen Leben eröffnet hat.

So Du willst, HErr, Sünde zurechnen, HErr, wer will bestehen`? denn bei Dir ist die Vergebung.
Ps. 130,3.4.

Der HErr ist nicht wie ein Mensch, der nur dasjenige ansieht, was vor Augen ist: Er siehet das Herz an, in welchem viel Arges steckt, aus welchem viele böse Gedanken kommen, und viele böse Lüste aufsteigen, aus dessen Ueberfluß der Mund oft mit bösen Reden überläuft und welches die Quelle vieler bösen Werke ist. Er weiß, daß uns Seine Herrlichkeit oder Sein Ebenbild mangelt, und daß wir in den Pflichten, die wir Ihm leisten sollen, von der Kindheit an sehr Vieles schuldig bleiben. Er ist heilig, und hat sehr hohe Rechte an uns wegen der Schöpfung, wegen der Erlösung, und wegen der Taufe. Wer ist, der Seinen Rechten oder Forderungen eine Genüge geleistet hätte? Wer kann also bestehen, wenn Er Sünde zurechnen und nicht vergeben will; da Er Seiner Zurechnung mit Seiner strafenden Macht den Nachdruck geben kann? Niemand kann alsdann bestehen; sondern ein jeder Sünder muß in diesem Fall verstummen, vergehen, zu Schanden werden, und in die ewige Pein gehen. Was ist also zu thun? Nichts als daß der Sünder seine Schuld und Strafwürdigkeit bekenne und um Vergebung bitte. Und wohl uns, daß bei Gott Vergebung ist! Wohl uns, daß wir zu Ihm sagen dürfen: wo ist so ein Gott, wie Du bist, der die Sünde vergibt, und erlässet die Missethat den Uebrigen Seines Erbtheils; der Seinen Zorn nicht ewiglich behält; denn Er ist barmherzig! Mich. 7,18. Um diese Vergebung sollen alle diejenigen bitten, welche Seiner Güte froh werden wollen; und wenn sie hier derselben theilhaftig werden, so werden die großen Wasserfluthen des göttlichen Zorns, wenn sie kommen, nicht an dieselben gelangen, Ps. 32,6. Von dieser Vergebung, welche bei Gott ist, zeugt das Wort Gottes reichlich, und deßwegen sagte David Ps. 130,5.: ich harre des HErrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf Sein Wort. Wer also um Vergebung der Sünden bittet, soll seine Hoffnung oder Zuversicht auf das Wort Gottes setzen, welches uns nicht nur von der zum Vergeben geneigten Güte Gottes vergewissert, sondern auch (wie vornämlich in den Schriften des neuen Testaments geschieht9 den Grund derselben entdeckt, welcher ist das Blut Jesu, das vergossen worden ist für Viele zur Vergebung der Sünde. Auf dieses Wort und auf andere evangelische Zeugnisse soll man sogar wider die Gedanken und Empfindungen des eigenen Herzens hoffen. Wenn das unglaubige Herz Nein sagt, das ist, wenn es ihm däucht, es sei bei Gott keine Vergebung, so sagt das Wort Gottes> Ja, und dieses Ja gilt mehr als jenes Nein. Ja, wenn der Satan mit lügenhaftem Einsprechen der Seele alle Hoffnung und alles Vertrauen nehmen will, so soll man sich besinnen, daß ein Wort Gottes vorhanden sei, welches mit wahren und freundlichen Worten bezeugt, daß bei Gott um des Fürsprechers Jesu willen Vergebung sei. So hoffe also meine Seele auf den HErrn, denn bei Ihm ist die Gnade, und die nun vollendete Erlösung kommt den Sündern, die mit Reue und Glauben zu Ihm kommen, zu Statten.

Bei Dir ist die Vergebung, daß man Dich fürchte.
Ps. 130,4.

Wenn bei Gott keine Vergebung wäre, folglich Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit keiner Begnadigung des Sünders Raum ließe, so würde kein Mensch selig. Das Gegentheil der Vergebung ist die Zurechnung der Sünden; nun fragt aber der Prophet V. 3.: so Du willst, HErr, Sünde zurechnen: HErr wer wird bestehen? und verneint diese Frage, wie ein jeder Leser erkennen kann. Daß aber bei Gott Vergebung ist, und daß wir unter den zwölf Artikeln des christlichen Glaubens auch diesen haben dürfen: ich glaube eine Vergebung der Sünden, haben wir dem Sohn Gottes Jesu Christo zu danken, der für unsere und der ganzen Welt Sünde eine Versühnung worden ist, und Sein Blut für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat. In Ihm hat ein Glaubiger die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Wem Gott die Sünden vergibt, dem vergibt Er nicht nur einige, sondern alle, obschon der Sünder selbst die Vergebung einiger Sünden schwerer und später glauben kann, als die Vergebung der übrigen. Wem aber Eine Sünde vergeben ist, dem sind alle vergeben; denn der Sünder kann nicht zugleich unter der Gnade und unter dem Zorn Gottes stehen, und, weil das Verdienst Christi der Grund dieser Vergebung ist, dasselbe aber sich auf alle Sünden bezieht, so müssen einem Jeden, der es glaubig ergreift, alle Sünden vergeben werden. Sind aber die Sünden vergeben, so ist auch die eigentliche Strafe erlassen, denn was vergeben ist, rügt der Richter nicht mehr. Doch richtet Gott diese Vergebung der Sünden so ein, daß man Ihn auch nach derselben kindlich fürchten muß. Denn Er vergibt erstlich die Sünden Niemand, dem Er sie nicht vorher so unter die Augen gestellt hat, daß bei ihm ernstliche Schrecken, eine tiefe Betrübniß, eine aufrichtige Scham, ja ein redliches Geständniß, daß er die Verdammniß verdient habe, entstehen müssen. Hier offenbart sich also Gott dem Menschen, wie auf dem Berg Sinai geschah, in Seiner heiligen Strenge, und läßt den Menschen fühlen, was die Sünde für eine drückende Schwere habe. Wer nun dieses Alles erkannt und gefunden hat, kann und soll hernach sein Lebenlang die Sünde hassen und Gott fürchten, ob ihm schon Gnade widerfahren ist, und kann und soll den Rückfall in die Sünde und den Verlust der Gnade für ein unaussprechliches und unergründliches Uebel halten. Kurz zu sagen: wer die Frage, die Ps. 130,3. steht, in sich selbst hat beantworten müssen, wird hernach selber erkennen, warum V. 4. die Furcht Gottes mit der Vergebung der Sünden verbunden sei. Aber auch im Stand der Gnade hält der Geist der Gnade den Menschen in Seiner Zucht, und lehrt ihn seinen Wandel mit Furcht führen, weil er Den zum Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet. Verheißungen und warnende Drohungen umgeben ihn täglich, und erhalten seinen Gang auf der richtigen Bahn. Ueberdieß halten ihn die Züchtigungen des Höchsten, welche der Begnadigung keinen Eintrag thun, in den Schranken, erneuern oft in ihm ein schmerzliches Angedenken der begangenen Sünden, und drücken ihn zuweilen in die Tiefe hinab, von welcher der Prophet V. 1. redet, da er denn freilich auf’s Neue einsehen lernt, wie der HErr zu fürchten sei. Nun HErr, vergib mir alle meine Sünden, und erhalte mich bei dem Einigen, daß ich deinen Namen fürchte.

Ps. 139

HErr, Du erforschest mich, und kennest mich.
Ps. 139,1.

Gott hat nicht nöthig, nach und nach durch Fragen oder angestellte Versuche etwas zu erforschen, denn es ist Alles bloß und entdeckt vor Seinen Augen; wenn aber Seine Erkenntniß sich auf dasjenige beziehet, das sonst den Menschen, ja allen Geschöpfen verborgen ist, und überdieß Sein Licht dasjenige, das verborgen gewesen war, den Geschöpfen entdeckt und offenbaret, so wird es ein Erforschen genannt. Kein Mensch kennt sich selber so, wie Gott ihn kennt. Es gibt aber Augenblicke, Stunden und Tage, wo Gott das wesentliche Licht in der Seele helle macht, und derselben etwas von Seiner Erkenntniß mittheilt. Alsdann thut der Mensch Blicke auf sich selbst. Alsdann wird ihm der Rath seines eigenen Herzens in Ansehung seiner Worte und Werke offenbar. Er fühlt zugleich entweder das freundliche Wohlgefallen oder den scheltenden Ernst des HErrn. Er wird gebeugt, klein, demüthig vor dem HErrn, und die Eigenliebe und Weltliebe wird von seinen Werken genauer als vorher weggeschmelzt. Dieses ist das Strafen und Züchtigen, wovon der HErr Jesus Off. Joh. 3,19., oder das Rechnen und Rechten, wovon Er Matth. 18,23. und Jes. 1,18. redet. So etwas hatte David erfahren, und sagte deßwegen: HErr, Du hast mich erforschet, Du hast das Verborgene meiner Seele mit Deinem Licht beleuchtet und aufgedeckt, und hast mich erkannt, und mir den rechten Bescheid über meinen Zustand gegeben. Er wünscht aber, eben dieses noch mehr zu erfahren, und bat deßwegen in den letzten Versen dieses Psalmen darum.
Bei einem solchen göttlichen Erforschen muß der Mensch freilich stehen, und nicht fliehen, aufmerken, und sich nicht zerstreuen. Wenn auch ein scharfes Rügen damit verbunden wäre, und die Angst seines Herzens groß würde, so soll er doch nicht meinen, daß nun über seine Person ein unabänderliches Urtheil der Verdammung gesprochen werde. Muß er sich auch als einen Gottlosen und als einen Heuchler ansehen: wohlan, die Gnadenzeit währet noch: er kann noch Gnade finden, es ist im Reich Gottes für ihn noch Raum da. Bei den Gerechtfertigten aber ergeht die göttliche Strenge nicht über ihre Personen oder über ihren ganzen Zustand, sondern nur über die Unreinigkeit, die ohne ihr Wissen noch in ihnen ist, und auch an ihren Worten und Werken klebt. Der HErr schilt sie, wie man ein Kind schilt, dessen Untugenden man haßt, das man aber zugleich doch liebt, und durch das Schelten nicht verderben, sondern bessern will.
Bei der herrlichen Zukunft des HErrn wird ein Jeder in seiner eigentlichen sittlichen Gestalt offenbar werden. Der HErr bewahre uns, daß wir alsdann nicht zu Schanden werden, und erforsche und läutere uns in der Gnadenzeit nach Seiner großen Barmherzigkeit. Laßt uns also nur darauf bedacht sein, daß wir vor Ihm Gnade finden, und Ihm wohlgefallen, übrigens aber in der Welt im Angedenken des HErrn Jesu und nach dem Beispiel Seiner theueresten Knechte mit einer stillen Gelassenheit durch Ehre und Schande, durch böse und gute Gerüchte gehen. Der HErr kenn uns: der HErr ist’s, der uns richtet. Dieses soll uns nicht schrecklich sein, denn es ist besser, in die Hände des HErrn fallen, als in die Hände der Menschen, weil Er barmherzig ist, die Menschen aber das rechte Maß nie treffen. Er ist uns aber auch nahe. Er ist allenthalben um uns. Wenn etwas Gutes von uns geschieht, so schafft Er’s durch Seinen Geist: Ihm gebührt also die Ehre, auch hält Er bei den täglichen Gefahren, denen unser leibliches und geistliches Leben ausgesetzt ist, Seine Hand über uns, und schützet uns. Gebt unserm Gott die Ehre!

Ps. 143

Lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen, denn Du bist mein Gott. Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.
Ps. 143,10.

David beschreibt Ps. 143. ein sehr großes Gedränge, worein er gerathen sei, und klagt über einen Feind, der seine Seele verfolge, sein Leben zu Boden schlage und in’s Finstere lege, wie die Todten in der Welt. Er bekennt, sein Geist sei in ihm geängstet, und sein Herz sei in seinem Leibe verzehret, das ist, es sei kein Muth und keine Kraft mehr in ihm. Seine Seele war wie ein dürres Land, sein Geist, das ist seine Munterkeit und sein Muth, verschwand, und es däuchte ihn, daß es mit ihm der höllischen Grube zugehe. Auch wurde ihm seine Sündhaftigkeit so vor die Augen gestellt, daß er V. 2. beten mußte: HErr gehe nicht in’s Gericht mit Deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht. Es scheint nicht, daß die Sünde, die er mit der Bathseba begangen, oder ein anderer schwerer Sündenfall diesen Zustand und diese Klagen verursacht habe; auch war der Feind, dessen er V. 3. Meldung thut, kein sichtbarer Feind; denn ein solcher hätte den David nicht so muthlos und finster machen können; wiewohl er doch hernach V. 9. 12. der sichtbaren Feinde, aber mit Heiterkeit und Muth, und so, daß er ihren Zudrang nicht so fürchterlich beschreibt, Meldung thut. Der Feind, dessen er V. 3. gedenkt, ist ohne Zweifel der Satan, und Alles, worüber David in dem ersten Theil dieses Psalmen klagt, war, kurz zu sagen, eine schwere geistliche Anfechtung. Was soll nun ein Christ thun, wenn ihn eine solche Anfechtung überfällt? Er soll sich des David und anderer Heiligen erinnern, denen es auch so gegangen ist. Er soll nach ihrem Beispiel beten, seine Noth klagen, seine Sündhaftigkeit eingestehen, und bitten, daß Gott mit ihm nicht in’s Gericht gehe, sondern ihm Gnade erzeige. Weil aber seine Seele finster ist und er den Weg nimmer siehet, auf dem er wandeln soll, soll er auch bitten: thue mir kund den Weg, darauf ich gehen soll, denn mich verlanget nach Dir. Weil der Christ seine Unwissenheit erkennet, soll er bitten: HErr, lehre mich thun nach Deinem Wohlgefallen, denn Du bist mein Gott, und weil er seine Schwachheit empfindet: Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn. Die Worte: denn Du bist mein Gott, zeigen an, daß in solchen Anfechtungen ein Glaubensfünklein in der Seele übrig bleibe, welches der Feind mit allen seinen Fluthen nicht auslöschen kann. Uebrigens dienen solche Anfechtungen dazu, daß der Mensch sein Unvermögen nach allen Theilen besser erkennen und fühlen lernt, und hernach Gott desto lauterer die Ehre geben kann, wenn etwas Gutes in ihm und durch ihn gewirkt wird. Auch helfen sie zum geistlichen Wachsthum, denn der Mensch lernt in denselben einsehen, daß er bei dem bisherigen Maß des geistlichen Lichts und Lebens nicht stehen bleiben dürfe, weil es zum Sieg über die Macht der Finsterniß dießmal nicht zureichend sein will. Er bittet also: HErr, lehre mich, Dein guter Geist führe mich; und bekommt hernach eine neue Unterweisung und eine neue Erfahrung des kräftigen Beistands des Heiligen Geistes. Das Wohlgefallen Gottes erquickt ihn hernach wieder, und indem ihn der gute Geist auf der ebenen Bahn der Gebote Gottes führet, so wird er mit Wonne inne, daß sein Weg nicht (wie er in der Anfechtung gemeint hatte) der Hölle, sondern dem Himmel zugehe.

Ps. 145

Der HErr ist groß, und sehr löblich, und Seine Größe ist unaussprechlich.
Ps. 145,3.

Der HErr ist ein großer König über alle Götter, Ps. 95,3., das ist über alle Engel und Regenten, deren jeder in seinem Maße auch groß ist. Er hat eine große Güte, Ps. 145,7.; eine überschwängliche Kraft, Eph. 1,19.; Er ist groß von Rath, und mächtig von That, Jer. 32,19. Mit solchen Ausdrücken lehrt die heilige Schrift, daß Gott die höchste und unumschränkte Gewalt über Alles habe, und daß alles Gute in Gott unendlich und unermeßlich sei. Eben deßwegen ist Er aber auch sehr zu loben. Wenn es möglich wäre, daß ein vernünftiges Wesen Gott erkennete und anschaute, welches noch keine Wohlthat von Ihm empfangen hätte, so müßte es doch Gott wegen Seiner Größe, oder wegen Seiner unermeßlichen Vortrefflichkeit und Herrlichkeit loben: wie viel mehr sollen es Seine Geschöpfe thun, welche ihr Wesen und Alles, was sie genießen, von Ihm empfangen haben. Doch soll Niemand, der den HErrn lobt, meinen, er könne Seine Größe erforschen, folglich durch menschliche Worte genugsam erklären. Es ist in Gott eine Tiefe, die Niemand ergründen, eine Höhe, die Niemand übersehen kann. Es gibt einen unerforschlichen Reichthum Christi, Seine Liebe übertrifft alle Erkenntniß. Kein erschaffener Geist, sondern der Geist Gottes erforscht alle Dinge, auch die Tiefe der Gottheit. Wenn ich also die Güte, die Kraft, die Weisheit Gottes als groß erkenne, so soll ich glauben, daß dieses Alles noch größer sei, als ich’s erkenne, und wenn meine Erkenntniß wächst und endlich vollkommen wird, so wird Gott noch immer größer bleiben, als meine Erkenntniß. Wie thöricht ist’s also, wenn die Menschen wollen Gottes Rathgeber sein, oder wenn sie außer demjenigen, das Er geoffenbart hat, errathen wollen, was Ihm gezieme, oder was Er thun werde und wolle. Hier macht Gott zu Nichte die Weisheit der Weisen, und verwirft den Verstand der Verständigen. Er macht die Weisheit der Welt zur Thorheit (1 Kor. 1,19.20.), weil Er gar anders handelt, als die Welt meint, daß Er handeln werde und solle, welches durch nichts deutlicher erwiesen worden, als durch die Erlösung des menschlichen Geschlechts, von welcher Niemand gedacht hätte, daß sie durch die Kreuzigung des Sohnes Gottes werde ausgeführt werden. Ach daß wir immer Licht genug hätten, Gott allein als unaussprechlich groß zu erkennen. Es gibt ja wohl auch große Leute in der Welt, an denen sich Viele so vergaffen, daß sie Gottes dabei vergessen. Haben diese großen Leute etwas von Gaben und Gewalt, so soll man sie deßwegen in gewissem Maße verehren, aber auch erkennen, daß es nur in Gottes Hand stehe, Jemand groß und stark zu machen (1 Chron. 30,12.). Uebrigens ist die von Gott abhängende Größe der Menschen gegen der göttlichen Größe für nichts zu rechnen. Es verfehlen auch viele Großen in der Welt ihres Zwecks; sie wägen weniger denn nichts in der Wage Gottes; sie sind Herren über andere Menschen, und Knechte der Sünde und des Satans. Und wie viele Thoren gibt es, die, ohne eine Gewalt zu haben, sich einbilden, an Weisheit groß zu sein, und bei dieser Einbildung verloren gehen! Das göttliche Licht zeige uns Alles in seiner wahren Gestalt, und, wenn dieses geschieht, so werden wir Gott in traurigen und fröhlichen Tagen loben, Ihn über Alles fürchten und lieben, und auf Ihn unser höchstes Vertrauen setzen. Es ist nicht nöthig, daß wir Alles, was in Gott ist, erforschen und aussprechen können, denn auch dieses, daß Seine Größe unaussprechlich ist, gereicht zu Seiner Ehre und unserer heilsamen Demüthigung.

Der HErr erhält Alle, die da fallen, und richtet auf Alle, die niedergeschlagen sind.
Ps. 145,14.

Es wird in diesem Spruch die große Barmherzigkeit und Treue gerühmt, welche der HErr als König gegen Fallende und Niedergedrückte beweist; denn unmittelbar vor diesen Worten sagt David zu Ihm: Dein Reich ist ein ewiges Reich, und Deine Herrschaft währet für und für. Gott hat Unterthanen in Seinem Reich, die fallen, und solche erhält oder unterstützt Er, Er siehet niedergeschlagene oder gebückte Unterthanen, und diese richtet Er auf. Von den Gottlosen wird oft gesagt, daß sie fallen. Die Bösen, sagt David Ps. 27,2., müssen anlaufen und fallen, und Ps. 36,13.: laß sie, die Uebelthäter, daselbst fallen. Israel und Ephraim sollen fallen um ihrer Missethat willen; auch soll Juda sammt ihnen fallen, Hos. 5,5. Hingegen sagt der Messias Ps. 118,13.: man stößet mich, daß Ich fallen solle, aber der HErr hilft Mir; und David Ps. 125,1.: die auf den HErrn hoffen, werden nicht fallen; Ps. 145,14.: der HErr unterstützt in Seinem Reich Alle, die da fallen. Fallen heißt also nicht eine Missethat begehen, denn man fällt um der Missethat willen, die man begangen hat. Fallen heißt auch nicht in’s Leiden hineingerathen, denn wer hat mehr gelitten als der Messias, dem doch der HErr geholfen hat, daß Er nie fiel? Und wer ist, der nicht bei dem Vertrauen auf Gott Vieles zu leiden hätte? Was ist also dieses Fallen? Derjenige fällt, der sich durch seine Thorheit und Missethat eine Schmach oder ein Unglück zuziehet, folglich, wenn er leidet, denken muß: das habe ich mir selber durch mein Versehen zugezogen. So fiel Christus nie, und die auf den HErrn hoffen, fallen nicht, gleichwie Johannes sagt: sie sündigen nicht, und ziehen sich also kein Unglück durch ihre Sünden zu. Gleichwie aber Johannes ebenfalls sagt: ob Jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater; und: so unser Herz verdammt, so ist Gott größer denn unser Herz u.s.w., also sagt auch David: ob Jemand von den Reichsgenossen des HErrn fällt: so erhält und unterstütz ihn der HErr, und läßt ihn nicht in’s Verderben gerathen. Man bedenke, in was für ein Gedränge Abraham gerathen, da er von seinem Weib die Unwahrheit gesagt, und was für Leiden sich David durch seine Flucht zu den Philistern zugezogen; der HErr vergab ihnen aber, und half ihnen wieder. Und so fällt der Gerechte siebenmal, und stehet wieder auf, weil er doch ein Gerechter bleibt, und nicht aus dem Reich Gottes hinaus fällt; aber die Gottlosen versinken im Unglück, das sie sich selber zugezogen haben, Spr. 24,16. Der Gottlose wird fallen durch sein gottloses Wesen, Spr. 11,5. Er wird fallen, wenn er sich durch seine Gottlosigkeit ein zeitliches Unglück zubereitet, er wird aber auch am Ende seines Lebens in die Hände des lebendigen Gottes fallen. Wie gut ist es hingegen, ein Reichsgenosse Gottes zu sein! Er unterstützt diejenigen, die da fallen, ob sie schon nicht ohne Schuld sind, und richtet auf, die niedergeschlagen sind, oder gebückt einhergehen. Er richtet sie durch Seinen Trost und Seine Hülfe auf. Gelobet sei Gott, der ewige König, der alle Fallenden in Seinem Reich erhält, und alle Niedergeschlagenen aufrichtet!

Gott thut Seine Hand auf, und erfüllet Alles, was lebet, mit Wohlgefallen.
Ps. 145,16.

Es ist nicht recht, wenn man bei der Empfahung und dem Genuß der leiblichen Nahrung nur auf die Erde und die menschliche Arbeit siehet, und des Schöpfers dabei vergißt. Freilich müssen die Pflanzen, welche uns und den Thieren zur Nahrung dienen, aus der Erde wachsen, und das Feld muß gebaut werden: wer hat aber die Kraft in die Erde gelegt, nach welcher sie nahrhafte Gewächse hervorbringen kann? Wer hat die Erdgewächse so gemacht, daß ein jegliches seinen Samen bei sich selber hat, um sich fortpflanzen zu können? Wer hat in die Natur der Thiere, deren Fleisch ein Theil unserer Nahrung ist, die Kraft gelegt, nach welcher sie Junge zeugen? Wer läßt den Regen und Thau auf die Erde fallen? Wer gibt Sonnenschein und Wärme? Wer tödtet durch die Kälte das Ungeziefer? Wer gibt Kräfte und Verstand zur Arbeit? Dieses Alles muß man dem gütigen Schöpfer zuschreiben, und deßwegen Alles als Seine Gabe mit Danksagung empfahen und genießen. Wollen die Menschen Seiner vergessen, und die Nahrung ihrem Fleiß zuschreiben, so mahnt Er sie plötzlich durch einen Mißwachs, den ihr Fleiß nicht zurücktreiben kann, oder durch eine Seuche, die Er unter sie oder das Vieh schickt, daran, daß an Seinem Segen Alles gelegen sei, und sie ihre Nahrung Ihm zu danken haben.
Gott thut als ein gütiger Geber in jeglichem Jahr Seine Hand auf, und wenn Er die Menschen nicht aus gerechten Ursachen mit einer Hungersnoth straft, so erfüllt Er gewöhnlicher Weise Alles, was lebet, mit Wohlgefallen. Er gibt also die Nahrung so reichlich, daß Alles, was lebet, erfüllt, das ist, gesättigt werden kann, wie auch die Armen unter den Menschen inne werden. Er gibt sie mit einer ausgebreiteten Güte Allem, was lebet. So gewiß es ist, daß Er nicht Alles, was lebet, in den Himmel aufnimmt: so gewiß erfüllet Er Alles, was lebet, mit der leiblichen Nahrung. Er gibt dem Vieh sein Futter, und Nahrung auch den undankbaren und boshaftigen Menschen: ja, es gibt Gottlose, denen Er Reichthum und Ehre gibt. Dazu soll man nicht scheel sehen, denn diese Abfertigung, welche den Gottlosen, die nichts Weiteres verlangen, widerfährt, macht sie nicht einmal auf der Erde ganz glücklich, zu geschweigen, daß sie mit dem ewigen, himmlischen Erbe in eine Vergleichung käme. Gott sättigt aber Alles, was lebet, mit Wohlgefallen, so daß Er gerne gibt, und mit Wohlgefallen zusieht, wenn wir Seine Gaben mäßig und mit einer heitern Seele genießen. Paulus sagt 2 Kor. 9,7.: einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Es ist aber Gott, der Licht und Liebe ist, das Urbild aller fröhlichen Geber. Er läßt Menschen und Vieh ihr Kreaturenrecht, dessen David Ps. 145,9. gedenkt, gern genießen. Lasset uns bei dem Fleiß, und der Klugheit und Treue, welche wir auf die zeitlichen Güter wenden müssen, Gott vertrauen. Lasset uns der Danksagung nicht vergessen, und bei dem Genuß des ewigen, himmlischen Tisches, dessen Tischgebet Meldung thut, eingedenk bleiben. Lasset uns auch als Gottes Nachfolger Andere gern sättigen, ja den HErrn Jesum selbst in Seinen geringsten Brüdern mit Seinen Gaben speisen und tränken.

Der HErr ist nahe Allen, die Ihn anrufen.
Ps. 145,18.

Es wird in diesem Psalm die unaussprechliche Größe Gottes, Seine Gewalt, Seine herrliche schöne Pracht, Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit, und Sein ewiges Reich hochgepriesen. Bei solchen Vorstellungen könnte aber ein schwacher Menschenverstand stocken und ungewiß sein, wessen er sich zu dem großen und gewaltigen Gott versehen, und wie er Ihm begegnen solle; darum zieht David Alles wieder in eine faßliche Enge zusammen, indem er sagt: der HErr ist nahe Allen, die Ihn anrufen. Bleibe also nicht mit einer Betäubung vor dem großen und herrlichen Gott stehen, begehre auch Seine Größe und Herrlichkeit nicht zu übersehen. Genug ist’s, wenn du einen heilsamen Eindruck zur Furcht Gottes V. 19. davon bekommst. Ruhe Ihn aber an als deinen Gott und HErrn, und als deinen Vater. Rufe Ihn mit Ernst oder in der Wahrheit an, so daß dein Mund und dein Herz, und beide mit dem geoffenbarten Willen Gottes übereinkommen, und dein Vertrauen auf Seine Verheißungen, die in Christo Jesu Ja und Amen sind, gegründet sei. Rufe Ihn an, denn der unaussprechlich große und herrliche Gott ist nahe denen, die Ihn anrufen. Er ist ihnen nahe nach Seiner Allgegenwart, und bedarf also nicht, daß sie laut schreien: Er ist nahe, und weiß also, was sie bitten, und es ist auch ihr Seufzen und stilles Verlangen Ihm nicht verborgen. Er ist aber so nahe, daß sie Sein göttliches Wesen, welches lauter Licht und Liebe ist, fühlen können. In diesem Verstand naht Er sich zu ihnen, wenn sie sich anbetend zu Ihm nahen. Die Anrufung Gottes ist also das gewisseste Mittel, eine Empfindung von dem göttlichen Wesen zu bekommen, und wenn diese Empfindung auch eine Bestrafung und Zermalmung in sich faßt, so ist sie heilsam; wenn sie aber erquicklich ist, so ist sie der Himmel auf der Erde, und ein Vorschmack des ewigen Lebens. Freilich wenn man nur mit seinem Munde zu Gott naht, und mit den Lippen Ihn ehrt, mit dem Herzen aber ferne von Ihm bleibt, so kann sich Gott der Seele nicht als ein wahrer Gott offenbaren, und man lebt gleichsam ohne Gott in der Welt. Die wahrhaftigen Anbeter aber, die Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten, empfinden, daß Gott als ein lebendiger Geist ihnen nahe sei. Die Israeliten empfanden dieses Nahesein Gottes am völligsten im Tempel, wo Gott Seine Wohnung hatte, und gingen deßwegen, um ihrer Schwachheit aufzuhelfen, sehr gern in den Tempel, um darin zu beten: allein David hat seinen Ausspruch nicht an den Tempel, oder die Stiftshütte gebunden, welche ohnehin von Vielen wegen der Entfernung nur selten besucht werden konnten, sondern überhaupt gesagt: der HErr ist nahe Allen, die Ihn anrufen. Er hat aber auch V. 19. hinzugesetzt: Er thut, was die Gottesfürchtigen begehren, Er höret ihr Schreien und hilft ihnen. Neben der Erquickung also, die man durch das anbetende Zunahen zu Gott erlangt, hat man auch eine Erhörung des Gebets und eine thätige Hülfe von Ihm zu erwarten. Wer sollte also nicht die Anrufung Gottes und das Bitten für eine höchst schätzbare Uebung des Glaubens, und die Erlaubniß dazu für eine sehr große Wohlthat halten?

Ps. 147

Singet um einander dem HErrn mit Danken, und lobet unsern Gott mit Harfen. Der den Himmel mit Wolken bedecket, und gibt Regen auf Erden.
Ps. 147,7.8.

Als David den Gottesdienst, wie er in der Stiftshütte und hernach in dem Tempel getrieben werden sollte, einrichtete, so verordnete er drei Propheten, nämlich Assaph, Heman und Jeduthun, als Vorsteher derjenigen, welche Psalmen singen und auf Instrumenten dabei spielen mußten. Die musikalischen Sänger waren in 24 Haufen eingetheilt, und zu jedem derselben waren Zwölf gerechnet, welche eine Woche lang ihren Dienst in der Stiftshütte und hernach im Tempel verrichten mußten, da dann nach 24 Wochen die Reihe wieder an die Ersten kam. Alle waren Leviten, und einige derselben Kinder oder Nachkommen des Korah, der sich in der Wüste wider Mose und Aaron empört hat, s. 1 Chron. 26. Auf diesen musikalischen Gottesdienst wird gezielt, so oft in den Psalmen der Harfen, Psalter, Cymbeln und Posaunen Meldung geschieht. Bei einigen Psalmen wird in der Ueberschrift das Instrument namhaft gemacht, auf welchem man bei Absingung derselben musiziren sollte. Bei dem Anbruch des neuen Testaments hat Christus nichts dergleichen angeordnet, wiewohl doch Kol. 3,6. der Psalmen und Lobgesänge und der geistlichen lieblichen Lieder Meldung geschieht. Von den Engeln wird nie gesagt, daß sie singen; doch werden ihnen Trompeten zugeschrieben. Hingegen hatten die 24 Aeltesten im Himmel, als Johannes sie sah, Harfen, und sangen ein neues Lied, Off. 5,8.9. Auch hörte Johannes Kap. 14,2.3. eine große Stimme als der Harfenspieler, die auf ihren Harfen spielten, und ein neues Lied vor dem Throne Gottes sagen. Andere standen am gläsernen Meer im Himmel, und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied Mosis, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes, Offenb. 15,2.3. Wer zu diesen Schaaren kommen soll, hat nicht nöthig, das Singen und Musiziren auf Erden kunstmäßig zu lernen, denn der Heilige Geist wird eine vom Leib entkleidete Seele, wenn alle Unordnung in ihr aufgehoben ist, gar bald tüchtig machen, bei dem himmlischen Singen und Musiziren mit anzustehen. Indessen sollen wir schon auf Erden dem HErrn singen und danken, und, wenn es sein kann, unsere Seele durch geziemende musikalische Töne dabei aufmuntern lassen. Er thut uns täglich viel Gutes. Er bedeckt unter Anderem den Himmel mit Wolken, und läßt regnen auf Erden, damit das Gras für das Vieh und die Frucht für die Menschen wachsen könne. Den Werth dieser Wohlthat erkennt man nie besser, als wenn eine Dürre, welche einen Mißwachs verursacht hat, vorhergegangen ist. Viel kostbarer ist der Gnadenregen, dessen Ps. 68,10. Meldung geschieht; denn nachdem David V. 8.9. gesagt hatte: Gott, da Du vor Deinem Volk herzogest, da Du einhergingest in der Wüste, Sela, da betete die Erde, und die Himmel troffen vor diesem Gott in Sinai (als dass Gesetz da gegeben wurde), vor dem Gott, der Israels Gott ist. Weiter fährt David fort: Nun aber (da die Zeit des neuen Testamentes gekommen ist) gibst Du, Gott, einen Gnadenregen, und Dein Erbe, das dürr ist, erquickest Du. Was dieser Gnadenregen sei, wird Jes. 44,3. angezeigt. Gott lasse denselben auch auf mich und die Meinigen reichlich fallen, und uns, die wir ein dürres Erdreich sind, dadurch erquickt und fruchtbar werden.

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