Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Drittes Kapitel

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Drittes Kapitel

Eine dritte in sich ziemlich zusammenhängende und abgerundete Gedankenreihe tritt uns in diesem Kapitel entgegen, eine Gedankenreihe, wie sie sich stützt auf einen dritten Versuch Salomos oder vielmehr dessen, der ihn redend einführt, mitten in der Eitelkeit der Dinge festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Salomo war zuerst den Weg der Weisheit dieser Welt gewandert und hatte auf diesem Wege den Frieden nicht gefunden. Er hatte dann den Weg des Genusses und der Arbeit für Genuß eingeschlagen; auch dieser Weg half ihm nicht aus der Eitelkeit heraus, wohl aber erhob auf diesem Wege am Ende der Glaube seine Stimme und predigte, daß, was der Mensch auf seinen Wegen nicht finde, Gott denen gebe, die ihn lieben. Diesen Wink des Glaubens nimmt Salomo nun bei seinem dritten Versuche auf; er schlägt noch einmal den Weg der Weisheit ein, aber läßt ihn sich beleuchten von dem Lichte des Glaubens. Nicht auf jede Parthie des Weges fällt das Licht der Gottseligkeit, doch aber auf die größere Hälfte des Weges; und es entsteht so folgende Reflexion: Es ist allerdings Alles unter dieser Sonne eitel, denn es ist Alles zeitlich; aber Gott hat allem Menschlichen die Zeiten gesetzt und geordnet, derselbe Gott, der dem Menschen die Ewigkeit ins Herz gegeben. Sieht der Mensch nur mitten in der Eitelkeit auf die Vorsehung Gottes, so muß sich der Schmerz über die Eitelkeit besänftigen; und versenkt sich der Mensch nur in die Ewigkeitsahnungen seines Herzens, so verliert die Eitelkeit der Dinge für ihn viel von ihrem Fürchterlichen. In einzelnen Fällen freilich wird es sehr schwer sein, sich aus dem Schmerz über die traurige Wirklichkeit herauszureißen; allein der Gedanke, daß auch die schlimmsten Zeiten wohlgemeinte Schickungen der Vorsehung sind und sich nach Gottes Vorsehung endlich wenden müssen, bringt auch über die schwerste Anfechtung hinüber. Ohne Gott ist der Mensch nichts und sinkt auf die Stufe des Viehs, aber in Gott und mit Gott wird er hoch erhoben durch das Gedenken an die Vorsehung in der Zeit und an die Ewigkeit, die über der Zeit ist. - Das Absehen des Verfassers bei dieser dritten Gedankenreihe ist offenbar das, sein im Elende und unter tiefster Demüthigung durch heidnischen Druck seufzendes Volk zu trösten. Leidende, Unterdrückte, Seufzende werden noch heute dieses Kapitel zu ihrem reichen Tröste lesen.

V. 1. Ein Jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde.

Es klingt zwar ähnlich, ist aber durchaus nicht dasselbe, ob man sagt: Alles ist vergänglich und eitel; oder ob man sagt: Alles hat seine Zeit und Stunde. Alles ist eitel und vergänglich - so spricht der Verstand, wenn er das flüchtige Leben in der Welt ohne Beziehung auf Gott ansieht und auffaßt. Alles hat seine Zeit und Stunde - so spricht der Verstand, der sich vom Glauben hat lehren lassen, daß es einen Gott giebt, der für ein Jegliches die Zeit gesetzt hat. Alles Vornehmen unter dem Himmel hat seinen von Gott festgesetzten Zeitpunkt. „Er ändert Zeit und Stunde,“ spricht auch Daniel 2, 21 von Gott. Gott der Herr bestimmt Jedem den Zeitpunkt, wo es eintritt, und die Frist, die es dauert. Welt und Leben sind also trotz aller Eitelkeit doch kein wüstes Durcheinander; über allem Thun und Handthieren des Menschen steht die gewaltige Hand Gottes, die Alles ordnet und versieht, und die auch hineingreift und eingreift nach vorbedachtem Rath und Plan. So flüchtig die Welt, so eilend das Leben ist, unter dem Gesichtspunkte der göttlichen Vorsehung gewinnt doch Alles ein andres Ansehn, als das der puren Eitelkeit; aus dem wirren Durcheinander bunter Zufälligkeiten des Augenblicks taucht ein großer zusammenhängender Weltplan auf. An diesem Vermögen die Unternehmungen der Menschen nichts ändern; sie sind und bleiben daher an und für sich eitel. Aber wer sich dem Gotte hingiebt, der Alles ordnet und bestimmt, dem wird die Zeit eine Gnadenzeit und jede Stunde eine Stunde fröhlichen und dankbaren Aufblicks auf den Herrn.

V. 2. Geboren werden. Sterben, pflanzen, ausrotten, das gepflanzt ist, hat seine Zeit.

In diesem und den folgenden Versen wird der erste Vers detaillirt, das „ein Jeglicher“ und „alles Vornehmen“ wird in 28 Theile zerlegt: Des Menschen Anfang und des Menschen Ende hat seine bestimmte, geordnete Zeit und Stunde, und nicht minder das, was er anfängt und was er endet. Daß Anfang und Ende unseres Lebens in Gottes, des Allwaltenden, Hand stehen, giebt uns eine gewisse Sicherheit mitten in aller Flüchtigkeit des Hebens. Aus diesem Gefühle gottseliger Sicherheit heraus singt David im 139. Psalme V. 13-16: „Du hast meine Nieren in deiner Gewalt, du warest über mir in Mutterleibe. Ich danke dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin. Wunderbarlich sind deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl. Es war dir mein Gebein nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward; da ich gebildet ward unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war; und waren alle Tage auf dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und derselben keiner da war.“ Das Pflanzen und das Ausrotten des Gepflanzten ist ein Bild aller Thätigkeit des Menschen überhaupt; das Pflanzen bezeichnet den Beginn der Arbeit, das Ausrotten das Ende: der Mensch kann mit seinen Bestrebungen doch nie über das von Gott bestimmte Maaß der Zeit hinaus; der Mensch ist, indem er pflanzt, nur ein Werkzeug Gottes, und sobald Gott es bestimmt, werden die Pflanzen wieder ausgerottet. Aus dieser Erwägung entspringt das fromme Abhängigkeitsgefühl, das sich in alle seinem Thun und Lassen von der göttlichen Weltregierung getragen weiß - ein Gefühl, das vor andern geeignet ist, den Schmerz über die Eitelkeit der Dinge zu dämpfen. Ist für meine Wiege und mein Grab, ist für all' mein Thun und Lassen mir Zeit und Stunde von dem ewigen Gotte bestimmt, was kann ich dann Besseres thun, als mich an das Erbarmen des Allmächtigen lehnen und beten:

A und O, Anfang und Ende, Nimm mich, Herr, in Deine Hände Wie ein Töpfer seinen Thon; Meister, laß Dein Werk nicht liegen, Hilf mir beten, wachen, siegen, Bis ich steh' vor Deinem Thron.

V. 3. Würgen hat seine Zeit, Heilen hat seine Zeit, brechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit.

Würgen und Brechen bezeichnen Einwirkungen der feindlichen Mächte auf das Leben, Heilen und Bauen dagegen die sanften Gegenwirkungen der freundlichen Mächte auf das Leben. Wie das Thun und Lassen seine Zeit und Stunde hat, so auch das Leiden und das Getröstetwerden. Nur der Unverstand kann aus diesem Verse einen Freibrief für Würger und Mörder herauslesen; die kurzen und knappen Ausdrücke sind doch klar genug, um dahin verstanden zu werden: Ist irgendwann einmal eine Zeit des Würgens und des Brechens, die Einem das eitle Leben ganz und gar verleiden möchte, nur Kopf und Herz oben behalten, auch für das Würgen und Brechen giebt es ein: Bis hieher und nicht Weiter! und es kommen die Stunden des Heilens und des Bauens. Die Zeit der persischen Herrschaft war für Israel eine solche Zeit des Würgens und des Brechens, die Zeit der Makkabäer dahingegen eine Zeit des Heilens und Bauens; die volle Zeit des Heilens und Bauens brach aber erst an mit dem Advent Jesu Christi, da durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes der Retter erschien, der Balsam hatte für die tiefsten Wunden und der sich selbst zum Eckstein legte für einen Bau, der da bleibet.

V. 4. Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit, Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit.

Weinen und Klagen entspricht dem Würgen und Brechen des vorigen Verses, Lachen und Tanzen dem Heilen und Bauen. Wie das Drängen der Dränger seine Zeit hat, so auch die Klage über die Drangsal; wie auf das Würgen und Brechen das Heilen und Bauen folgt, so auf das Weinen und Klagen das Lachen und Tanzen.

Gott kennt die rechten Freudenstunden,
Er weiß wohl, wann es nützlich sei;
Wenn er uns nur hat treu erfunden
Und wertet keine Heuchelei,
Es kommt Gott, eh' wir's uns versehn,
Und lasset uns viel Gut's gescheh'n.
Denk' nicht in deiner Drangsalshitze,
Daß Du von Gott verlassen sei'st
Und daß der Gott im Schooße sitze,
Der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel
Und setzet Jeglichem sein Ziel.

V. 5. Steine zerstreuen hat seine Zeit und Steine sammeln hat seine Zeit; Herzen hat seine Zeit und Fernen vom Herzen hat seine Zeit.

Handelten die vorigen Verse mehr vom Wechsel von Freud' und Leid im Allgemeinen, so schildert dieser Vers, daß auch Freud' und Leid in Haus und Herzen seine von Gott verordnete Zeit hat. Steine zerstreuen, ein Hauswesen auflösen - so schmerzlich es ist, es ist zeitlich; wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hülf' mit Macht herein, und es kommt die Zeit des Steinesammelns, der Wiederaufrichtung des Hauswesens. Hiob verlor Alles, was er hatte, und gewann schließlich Alles doppelt wieder. Aber man soll nun hinwiederum nicht meinen, daß das Wohlsein in der Mitte lieber Hausgenossen uns das ewige Gut ersetzen könne; o nein, auch herzliche Liebe der Unsern hat Ihre Zeit; die sich heute herzen, müssen vielleicht morgen schon das Fernen vom Herzen erfahren. Wie manches Herz, mit dem wir einst in frommer Liebe verbunden waren, schlägt nicht mehr, und wir können nur noch in stiller Wehmuth seinen Todestag als seinen himmlischen Geburtstag feiern. Und wie manches Herz schlägt zwar noch, aber nicht mehr für uns. Man denke an Jakob und Laban. Wer muß nicht mit dem Dichter bekennen:

Ach, ich hab' ihn auch gefühlt
Labans kalten Blick,
Wenn die Liebe, abgekühlt,
sich zog zurück;
Wenn ein Herz, das liebewarm
Einst an meinem schlug,
Plötzlich kalt und liebearm
Sprach: Es ist genug!

V. 6. Suchen hat seine Zeit und Verlieren hat seine Zeit, behalten hat seine Zeit und Wegwerfen hat seine Zeit.

Suchen und Verlorengehnlassen (so heißt es wörtlich) werden durch Behalten und Wegwerfen näher erläutert und bestimmt. Die Rede geht von den Personen zu den Dingen über. Wenn der Mensch liebe Personen, deren Freundschaft er lange gesucht und bewahrt, dadurch verliert, daß sie sich selbst von ihm „fernen“, so verliert er liebe Dinge, um die er sich lange bemüht und die er lange gern bewahrt, endlich dadurch, daß er ihrer selber überdrüssig wird und sie wegwirft. Die Dinge dieser Erde sind auch Dinge dieser Zeit; mit der Zeit verändert sich ihr Werth vor unsern Augen. Dinge, für die wir als Kinder schwärmten, legen wir in der Jugend schon still beiseit; und mancher Kranz, den wir in der Jugend wanden, entlockt uns im Alter kaum noch ein Lächeln. Wer gewohnt ist, ein Tagebuch zu führen, blättre einmal in den Blättern, die er vor 10 Jahren geschrieben, und er wird kaum begreifen, wie er dies und jenes damals hat suchen und behalten können, wofür er doch jetzt nur ein Kopfschütteln hat, und wie Vieles er in 10 Jahren hat verloren gehn lassen und als Tand weggeworfen. Wohl dem, der darum die Dinge dieser Zeit gebraucht, als gebrauche er sie nicht, und sich desto fleißiger mit den Dingen beschäftigt, die einer höheren Weltordnung angehören und ewig sollen sein.

V. 7. Zerreißen hat seine Zeit und Zunähen hat seine Zeit, Schweigen hat seine Zeit und Reden hat seine Zeit.

Das Zerreißen und Zunähen der Kleider war unter Israel das Zeichen der Trauer und des Aufhörens der Trauer; das Schweigen war ebenfalls ein Zeichen tiefer Trauer: von Hiobs Freunden steht geschrieben: Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm, denn sie sahen, daß der Schmerz sehr groß war; mit dem Ende der Trauer und des Schmerzes findet sich auch die Sprache wieder. Der Verfasser lebte unter einem trauernden Geschlechte, darum kommt er immer wieder auf den Gedanken zurück, daß auch irdische Trauer nichts Ewiges ist, sondern ihre Zeit hat.

Zuletzt geht's wohl dem, der gerecht auf Erden
Durch Christi Blut und Gottes Erbe war;
Es kommt zuletzt das angenehme Jahr,
Der Tag des Heils, an dem wir fröhlich werden,

V. 8. Lieben hat seine Zeit und Hassen hat seine Zeit, Streit hat seine Zeit und Friede hat seine Zeit.

Liebe und Haß, Streit und Friede sind in beständigem Wechsel auf Erden begriffen. Damit sollen sich trösten, die unter dem Haß und Streit zu leiden haben, und in guter Zuversicht der Liebe und des Friedens warten. Warten - dies Wort sollen im Leide alle diejenigen sich zur Loosung machen, die da wissen, daß Alles seine Zeit hat. Vergeblich und umsonst ist es, in kümmerlichen Zeiten sich aus sich selbst ein schöneres, befriedigendes Dasein zu schaffen; nur durch Stillesein und Hoffen können wir stark sein.

V. 9. Man arbeite, wie man will, so kann man nicht mehr ausrichten.

Wörtlich: Was ist der Vortheil dessen, der etwas thut, dafür daß er sich mühet? Es ist das eine Frage, und die Antwort ist: Ein Mensch, der, losgerissen von Gott, auf seine eigne Hand die Welt und sein Leben verbessern will, der richtet nichts aus; wie gewonnen, so zerronnen. Wenn die Zeit da ist, wird ausgerottet, was er gepflanzt hat, und er selbst muß von hinnen fahren, wie ein Schatten. Nur wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

V. l0. Daher sah ich die Mühe, die Gott den Menschen gegeben hat, daß sie darinnen geplaget werden.

Ohne Gott ist alles Arbeiten und Sichplagen eine unselige Mühe, ähnlich wie das Werk des Sisyphus, von dem die alten Heiden erzählten, daß er sich Tag und Nacht quäle, einen Felsblock auf einen Berg zu wälzen, aber jedesmal, wenn er den Stein bald bis zur Höhe habe, stürze er wieder mit Donnergepolter herab. Die Geschichte von Sisyphus ist eine Fabel; aber daß die Steine immer wieder herunterrollen, wenn man sie glaubt, bald zur Höhe zu haben, ach das ist keine Fabel. Gott selbst in seiner strafenden Gerechtigkeit, die doch auch zugleich lockende Gnade ist, hat es so eingerichtet, daß die Sünder ohne Ihn nichts ausrichten, sondern nur dann etwas ausrichten können, was bleibenden Werth hat, wenn sie sich zu Ihm bekehren. Wo das geschieht, verwandelt sich die Plage in frohe Arbeit, und diese Arbeit hat Segen. Denn die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und jenes Lebens.

V. 11. Er aber thut Alles fein zu seiner Zeit und lasset ihr Herz sich ängsten, wie es gehen soll in der Welt; denn der Mensch kann doch nicht treffen das Werk, das Gott thut, weder Anfang noch Ende.

Der Anfang dieses Verses heißt wörtlich: Alles thut er fein zu seiner Zeit; auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gegeben, ohne die der Mensch doch nicht kann u. s. w. Ueber allen Unternehmungen der Menschen steht die unwandelbare Ordnung Gottes, der Alles thut zu seiner Zeit, Alles im richtigsten und günstigsten Zeitpunkt nach seinem unerforschlichen, aber immer weisen Rathschluß vollzieht. Sehr richtig sagt Jesus Sirach 39, 21 und 40: „Alle Werke des Herrn sind sehr gut, und was er gebietet, das geschehet zu rechter Zeit - daß man nicht sagen darf: Es ist nicht Alles gut; denn es ist ein Jegliches zu seiner Zeit köstlich.“ Freilich wer so sprechen und denken will, wer treffen will das Werk, das Gott thut d. i. wer es allezeit treffend, zu treffend, passend, köstlich finden will, der muß mitten in der Zeit das Ewigkeitsgefühl pflegen, das Gott in jede Menschenbrust gepflanzt hat. Gott hat uns mit dem unvertilgbaren Gottesbewußtsein zugleich ein unvertilgbares Ewigkeitsbewußtsein in den Geist gelegt, daß unsere Seele „sich in dieser Leibeshöhle nach etwas Unendlichem lenkt.“ Die Welt ist uns zu klein, wir brauchen Ewigkeiten. Dieses Ewigkeitsbewußtsein soll unter dem Gefühl der Unbeständigkeit alles Irdischen geweckt und gestärkt werden. Nur im Lichte der Ewigkeit wird uns der bunte und unaufhörliche Wechsel der Zeit erträglich - und begreiflich; die Zeit erhält für uns Ewigkeitsgehalt, wir wenden uns in der Macht des Geistes den Kräften der zukünftigen Welt zu und nützen diese Zeit, die kurze Zeit auf Erden, für die große, ernste Ewigkeit.

V. 12. 13. Darum merkte ich, daß nichts Besseres darinnen ist, denn fröhlich sein und ihm gütlich thun in seinem Leben. Denn ein jeglicher Mensch, der da isset und trinket und hat guten Muth in aller seiner Arbeit: das ist eine Gabe Gottes.

Hat Gott die Fäden des zeitlichen Lebens in seiner Hand und webt Er sie zusammen für das ewige Leben, dann ist es fromm und weise zugleich, in der kindlichen Hingabe an seine Vorsehung froh zu genießen, was Er beschieden, und gern zu entbehren, was Er versagt. Ebenso wenig wie im 24. Verse des vorigen Kapitels wird in diesen Versen leichtsinnige Genußsucht gepredigt, vielmehr genügsame Gottesfurcht. Es ist eine Gabe Gottes, guten Muth zu haben durch alle Wechsel und Wandelungen dieses mühseligen Lebens hindurch; Er giebt sie seinen Kindern, die von Ihm erbitten, was ihnen mangelt.

V. 14. 15. Ich merkte, daß Alles, was Gott thut, das besteht immer; man kann nichts dazu thun, noch abthun; und solches thut Gott, daß man sich vor ihm fürchten soll.

Was Gott thut, das stehet da; und was er thun will, das muß werden: denn er trachtet und jaget ihm nach. Der 16. Vers lautet wörtlich: Was geschehen ist, das war längst; und was geschehen soll, das ist auch längst geschehen, und Gott sucht das Vergangene wieder hervor. Gottes Thun und des Menschen Thun werden gegen einander abgewogen; Gottes Thun ist ewiges, des Menschen Thun ist zeitliches Thun. Der Mensch für sich und losgelöst von Gott kann nichts Beständiges zu Wege bringen; bringt er etwas zu Wege, was den Schein des Neuen hat, so zeigt sich bald bei näherem Zusehen, es ist schon längst dagewesen; Gott holt das Vergangene hervor - nämlich zur Vergleichung des scheinbar Neuen, damit der Mensch immer wieder inne werde: An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd'. Wer dieser Erkenntniß sich nicht verschließt, wird sich nicht länger mit. Mühen und Ringen um Unbeständiges abgeben, sondern, der Ewigkeit zupilgernd, unterwegs einfach Alles, was Gott ihm zur Zehrung reicht, mit Dank hinnehmen. Aber das Böse, was geschieht, die Ungerechtigkeiten, die sich auf Erden vollziehn, wie soll der fromme Weise dieselben sich reimen, wie soll er zu ihnen sich stellen? Darauf antworten die beiden folgenden Verse.

V. 16. 17. Weiter sahe ich unter der Sonne Stätte des Gerichts, da war ein gottlos Wesen, und Stätte der Gerechtigkeit, da waren Gottlose. Da dachte ich in meinem Herzen: Gott muß richten den Gerechten und Gottlosen; denn es hat alles Vornehmen seine Zeit und alle Werke.

Wörtlich: Weiter sahe ich unter der Sonne: der Ort des Rechts, da ist die Bosheit, und der Ort der Gerechtigkeit, da ist der Böse. Und ich sprach in meinem Herzen: Den Gerechten und Bösen wird Gott richten, denn Zeit für alles Verlangen und über jedes Werk ist dort. Nicht nur gegen die Eitelkeit, auch gegen die Ungerechtigkeit in dem eitlen Leben giebt der Blick auf den Herrn der Zeiten Trost. Israel hatte unter heidnischer Gewalt und Tyrannei zu leiden; die Obrigkeit, bei der alle Unterdrückten Recht finden sollten, übte selbst Unterdrückung. Das Volk war darüber voll Grimms und Aengstens; aber der Verfasser lehrt sein Volk, die Augen aufzuheben zu dem Herrn, dessen gewaltige Hand die Seinen nur darum demüthigt, auf daß er sie erhöhe zu seiner Zeit. Gott läßt keine Sünde ungestraft, auch nicht den Mißbrauch der obrigkeitlichen Gewalt; er hat dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, seine vergeltende Gerechtigkeit wird dereinst einen großartigen Wechsel der Plätze herbeiführen; er wird einst mit den gottlosen Gewalthabern reden in seinem Zorn und mit seinem Grimm wird er sie schrecken.

Es sind ja Gott sehr schlechte Sachen
Und ist dem Höchsten Alles gleich,
Den Reichen klein und arm zu machen,
Den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann,
Der bald erhöhn, bald stürzen kann.

So soll also das Volk Gottes wissen, daß ihm die Zukunft gehört, daß das Leiden der Unterdrückung seine Zeit hat, wie Alles in der Welt; darum soll und kann es denn seine Herzen in Geduld fassen und des Endes harren.

V. 18. Ich sprach in meinem Herzen von dem Wesen der Menschen, darinnen Gott anzeiget und lasset es ansehen, als wären sie unter sich selbst wie das Vieh.

In genauerer Uebersetzung: Ich sprach in meinem Herzen: wegen der Menschenkinder geschieht solches, damit Gott sie reinige und damit sie sehen, daß sie Vieh sind für sich. Die schweren Leiden, die für das Volk Gottes das Joch der Fremdherrschaft mit sich brachte, waren vorher aus dem Gesichtspunkte der Zeitlichkeit betrachtet; jetzt werden sie in ihrer Zweckmäßigkeit angeschaut. Die Gewalthaber, die Israel drückten, so ungerecht, so sündig sie waren, waren dennoch Geißeln Gottes, die der Herr mit großer Absichtlichkeit gebrauchte, um sein Volt zu reinigen und zu läutern. Unter den Sündern Israels ragte hervor die hochmüthige, stolze Gesinnung; Hochmuth aber muß gänzlich ausgerottet sein in einer Seele und in einem Volke, in dem der ewige Gott sein Nahesein kund geben soll; denn Gott widerstehet den Hoffärtigen und giebt nur den Demüthigen Gnade. Israel sollte demüthig werden, darum führte Gott es in das tiefe Elend. Dem Gethier des Feldes, das vom Jäger gejagt und erlegt wird, ohne sich schützen und retten zu können, wurden sie gleich, die sich so riesengroß gedünkt hatten als Kinder Abrahams, als auserwähltes Volk, wird Jeder gleich, der sich seinem Gott und seiner Obhut durch Eigendünkel und Hoffart entzieht. Man hat es dem Verfasser unsers Buches vielfach übel gedeutet, daß er die Menschen in ihrer Gott-Verlassenheit mit dem Vieh vergleicht; und namentlich sind die Ohren der Christen unsrer Tage so zart und empfindlich geworden, daß sie von einem solchen Vergleiche nicht gerne hören. Aber es ist nichts mit diesem ästhetischen Christenthum, das feiner ist, als die Bibel; die Bibel giebt durchaus nichts auf den Satz: „Man soll den Menschen nicht mit einem Thiere vergleichen,“ sondern vergleicht Menschen, ja sogar den großen Gott sehr oft mit Thieren. Der Heiland wird in der Bibel ein Lamm genannt und ein Löwe; von dem Herrn Zebaoth wird gesagt: Der Herr wird aus Zion brüllen; David bekennt: Ich bin ein Wurm und kein Mensch. Und ganz ähnlich wie in unserm Verse spricht Habakuk 4, 14 von den Menschen, die der Herr schlägt um ihres Hochmuths willen. „Du lässest die Menschen gehn, wie Fische im Meer, wie Gewürm, das keinen Herrn hat.“ Man soll einmal darüber nachdenken, daß die Sprache Canaans, die von den Gläubigen unsrer Tage gesprochen wird, im Ganzen und, Großen viel feiner und viel weicher und viel weichlicher ist, als die Sprache der heiligen Schrift.

V. 19. Denn es gehet dem Menschen, wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch; und haben Alle einerlei Odem; und der Mensch hat nichts mehr, denn das Vieh, denn es ist Alles eitel.

Der Mensch, nach Gottes Ebenbild geschaffen, steht hoch über dem Gethier, und Elihu Hiob 36, 11 sagt sehr wahr und schön: „Gott hat uns gelehrter gemacht, denn das Vieh auf Erden und weiser, denn die Vögel unter dem Himmel.“ Aber der Mensch in seinem Abfall von Gott befindet sich auf einer schiefen Ebene, die zur Bestialität hinabführt, und je größer die Gottentfremdung ist, desto breiter drückt sich der Stempel des Thieres dem Menschen auf, wie das die Kinder Korah Psalm 49, 21 sagen: „Wenn ein Mensch in der Würde ist und hat keinen Verstand, so fähret er davon wie ein Vieh.“ Die Missionare wissen davon aus den Heidenländern manches Lied zu singen, aber auch mancher getaufte Christenmensch, der seinen Taufadel mit Füßen zertritt, versinkt in bestialisches Wesen. Für die, die sich selbst durch ihre Sünden ihrem Gott entfremden, ist vor Allem das Ende des menschlichen Lebens, wo dem Menschen der Odem gerade so gut ausgeht, wie dem Thier, wenn es stirbt, der Gipfel aller selbst verschuldeten Demütigung. Am Ende besonders sind die Gottlosen gleich dem Vieh, das ohne alle Ahnung vom Tode überfallen wird, „das in Lust und Freuden spielet und den nahen Tod nicht fühlet.“

V. 20. Es fähret Alles an Einen Ort; es ist Alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub.

Weitere Ausführung des Elends eines Menschen, der keinen Gott und keine Ewigkeit kennt. Der Eine Ort, an den Alles fährt, ist der Ort der Todten, das Todtenreich, das Land des Dunkels. Im Lichte der Propheten und des Evangeliums erkennen wir eine scharfe Scheidung zwischen den Aufenthaltsörtern der abgeschiednen Gerechten und Ungerechten. Wir finden den reichen Mann in der Hölle und in der Qual und Lazarum im Schooße Abrahams. In unsrer Stelle aber wird allein der Eindruck des äußerlichen Anblicks wiedergegeben, und da erscheint kein Unterschied; sie fahren Alle, wenn sie sterben, in die Grube und in das Land des Schweigens und der Vergessenheit. Als vom Staube genommen zerfallen sie wieder in Staub. Wahrlich Gott macht es uns eigentlich sehr leicht, uns als Staub vom Staube zu fühlen, da er selbst uns recht gründlich als Staub behandelt. O würden wir nur Alle Staub; Staub wird nicht verletzt. Erst muß der Mensch eine Null werden, dann kann der Herr ihn gebrauchen.

V. 21. Wer weiß, ob der Geist der Menschen aufwärts fahre und der Odem des Viehes unterwärts unter die Erde fahre?

Ein Vers, der aus seinem Zusammenhang gerissen, wie materialistische Verzweiflung klingt. Aber wenn man dem Verfasser unsers Buchs die Gerechtigkeit widerfahren läßt, sein Buch im Zusammenhange zu lesen und zu beurtheilen, so wird man es wohl lassen müssen, ihm Materialismus unterzuschieben, ihm, der erst wenige Verse zuvor bekannt hatte, daß Gott dem Menschen die Ewigkeit in's Herz gegeben und der 12, 7 so stark bezeugt: „Der Staub muß wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, aber der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ In Bezug auf menschliches Wissen und Sehen kann gesagt werden, etwas sei zweifelhaft, was doch dem Glauben unumstößlich gewiß ist. Der Verfasser will in unserm Abschnitt zur Demüthigung seiner Volksgenossen die niederschlagende Parallele zwischen dem Menschen, der keinen Gott hat, und dem Vieh bis an die Grenze fortführen, und das thut er in diesem Verse, dessen Pointe ist: Kein Gottloser kann aus und durch sich selbst, weil er losgelöst ist von dem ewigen Gotte, die Gewißheit der Unsterblichkeit haben.

V. 22. Wiederum sahe ich, daß nichts besseres ist, denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit, denn das ist sein Theil, denn wer will ihn dahin bringen, daß er sehe, was nach ihm geschehen wird?

Ist dem so, daß auch das schwerste Leiden verhüllte Gnade ist, uns zu unsrer Demüthigung geschickt und daß alle Bestrebungen ohne Gott in die Grube und in den Staub und in die unseligste Ungewißheit auslaufen - nun dann ist der dankbare und einfältige Genuß dessen, was Gott uns in der Gegenwart gegeben, das Einzige, was sich für ein frommes und weises Gemüth ziemt. Je tiefer die Einsicht wird in die Vorsehung Gottes, der allem Dinge seine Zeit und sein Maaß giebt, der Leiden sendet, um die Sinne für die Ewigkeit zu sammeln, der erniedrigt, um erhöhen zu können, desto mehr wird zum Lebensmotto das Verslein:

Ich nehm' es, wie Er's giebet,
Was Ihm von mir beliebet,
Dasselbe hab' ich auch erkiest.

Amen.

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