Loserth, Johann - Doktor Balthasar Hubmaier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren - Einleitung.

Loserth, Johann - Doktor Balthasar Hubmaier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren - Einleitung.

Über die Anfänge der Wiedertaufe sind wir bisher in wenig ausreichender Weise zumeist durch die Schriften heftiger Gegner der Wiedertäufer unterrichtet worden. Auch aus den vor einigen Jahren veröffentlichten Geschichtsbüchern der Wiedertäufer wird man kaum zu einer richtigen Ansicht ihrer älteren Geschichte gelangen. Ohne in das Wesen der Sache einzugehen, die tieferen Beweggründe darzulegen, von denen die Stifter ihrer Lehre geleitet waren, den Zusammenhang zu erörtern, in welchen sie zu den früheren Widersachern der alten Kirchenlehre gestanden, und den Einfluss zu betonen, den diese auf sie geübt haben, berichten sie in dürftiger Weise meist nur über äußerliche Dinge und vornehmlich über die Leiden der Gemeinde und ihrer einzelnen Mitglieder.

Anno 1524 und 1525 nach Christi Geburt - so melden sie - ist Gottes Wort und Evangelion von Jesu Christo in ganz Deutschland ankommen - nach dem Bauernkrieg. Wie man in den alten Chroniken und Historien findet, ist Germanien oder Deutschland also wild und grob und unerbaut und ungelehrt an Leuten gewesen, mit groben Sitten und Bräuchen, wie kaum irgend ein Ort oder eine Provinz in der Welt. Man hat auch nirgends gelesen, dass irgend ein Apostel oder Jünger Christi in dieses Land gekommen wäre, wiewohl sie sonst in ferne Gegenden und Länder und weit übers Meer zogen, um Gottes Wort zu verkünden. Vielleicht ist eben dieses Deutschland von Gott ausersehen worden, sein Wort in diesem letzten Zeitalter der zerstörlichen Welt zu entdecken und zu verkünden.

Nachdem bisher wohl einige Völker gewesen, die einen guten Anfang der christlichen Lehre gehabt und ihrer viele den Namen Christi mit ihrem Blute besiegelt und bezeugt haben, so ist das Licht der Wahrheit doch durch die Tyrannei der römischen Kirche wiederum ausgetilgt worden und erloschen. Weil aber Gott den Menschen nicht zum Verderben, sondern zu seinem Wohle geschaffen und großes Mitleid mit ihm getragen, so hat er den hellen Schein und Glanz göttlicher Wahrheit wiederum aufzublasen begonnen zur Zeit Karls V. im Anfange seiner Regierung. Erasmus von Rotterdam, eine Zierde der deutschen Nation, hat zwar des Papstes Missbrauch höflich und artig in seinen lateinischen Büchern gestupft, der Luther aber der römischen das Gewändlein hinten und vorn gar aufgedeckt. Aber was soll man sagen: der Luther hat ein altes Haus niedergebrochen, aber kein anderes an dessen Stelle gesetzt. Mit ihm ist Ulrich Zwingli angekommen, das Papsttum niederzuringen, doch hat er sich bald mit Luther des Sakramentes halber entzweit, und sind aus ihnen beiden zwei rohe Völker entsprungen, die in nichts besser waren denn die früheren. Es ist mit ihnen nicht anders gewesen, als ob man einen alten Sessel flickt, in welchem das Loch nur größer wird: sie haben dem Papst den Krug aus der Hand geschlagen, die Scherben aber darinnen behalten. Eine Neugeburt des Lebens sah man bei keinem von ihnen.

Derohalben haben Thomas Münzer, Johannes Denk, Ludwig Hetzer und andere gelehrte Männer diesem Handel tiefer nachgedacht und gefunden, dass die Kindertaufe und der brotene Götze unchristlich seien. Die christliche Kirche müsse ein heiliges, reines, von den Gräueln dieser Welt abgesondertes Volk sein, das ein Leben nach der Regel Christi führt. Zu solch herrlichem Werk hat Gott Männer im Schweizerland erweckt; unter diesen sind Balthasar Huebmer, Conrad Grebl, Felix Manz und Georg von Thur gewesen. Denen hat Gott Eifer, Muth und Herz gegeben, sich mit einander über die göttlichen Zeugnisse der Schrift zu besprechen: Fleisch und Blut, menschlicher Fürwitz hat sie nicht getrieben, denn sie haben gar wohl gewusst, was sie darum werden erdulden müssen. Sie haben erkannt, dass man aus göttlicher Predigt einen rechten in der Liebe tätigen Glauben erlernen und erst auf diesen die christliche Taufe empfangen solle. Weil aber dazumal kein verordneter Diener solches Werts vorhanden war, ist Georg vom Hause Jacob, genannt Blaurock, aufgestanden und hat um Gottes Willen den Konrad Grebl gebeten, er möchte ihn taufen. Wie das geschehen, haben die anderen gleichermaßen von Georg begehrt und fingen an den Glauben zu lehren und zu halten. Damit ist die Absonderung von der Welt und ihren bösen Werken angebrochen und fortgewachsen.

Die Geschichtsbücher legen in dem folgenden alles Gewicht auf die neuerliche Taufe der Erwachsenen; aber diese war keineswegs der Stein, an dem die Einigkeit unter den Reformfreunden in Zürich zerschellte. Die Wiederherstellung der Zustände des Urchristentums war bekanntlich das Stichwort aller reformatorischen Bestrebungen in der Kirche seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts. Ein Joachim von Floris ebenso wie Petrus Waldes und Franz von Assisi suchen die Erneuerung des apostolischen Lebens in der wirksamen Beobachtung der Gebote Christi, in freiwilliger Armut und evangelischer Vollkommenheit. Denselben Zielen strebte Wiclif zu. Das Gesetz Christi, d. i. die Bibel, hielt er für völlig ausreichend zur Leitung der geistlichen und weltlichen Dinge. Man weiß, wie seine Schüler auf böhmischem Boden seine Ideen in die Wirklichkeit umgesetzt haben. Jene Umgestaltung strebten auch die Täufer an. Was wusste die alte Kirche von Zins und Wucher und geistlichen Pfründen? Die Jünger Christi bekleideten kein gewinnbringendes. geistliches Amt und führten kein Schwert. Ihre Waffe ist Geduld, ihr Bannstrahl die brüderliche Strafe und die Ausschließung aus der Gemeinde. Auch den Brüdern der Gemeinde Gottes ist alle weltliche Regierung, der Gebrauch der Gewalt und des Schwertes untersagt. Die Wiedertaufe ist ihnen, wie schon Zwingli erkannte, nur die Fahne, unter welcher sie die Absonderung vollzogen und bezüglich deren sie sich im Einklang mit dem Evangelium wussten: Die hl. Apostel haben die Taufordnung Christi in allen Dingen getreulich gehalten und keinen zum Lehramte, zur Taufe und zur Gemeinde Christi zugelassen, er sei denn belehrt, bekehrt und gläubig geworden.

Der neuen Gemeinde fielen nicht bloß - und daraus erklärt sich wohl ihre außerordentlich rasche Ausbreitung die Reste älterer kirchlicher Oppositionsparteien, sondern auch alle die zahlreichen Elemente zu, welche sich in ihren an die bisherigen Wortführer der Reformation geknüpften Hoffnungen so bitter getäuscht fanden. Bullinger findet es bemerkenswert, dass die Wiedertäufer auf dem von den Evangelischen beackerten Boden am ehesten und tiefsten Wurzel schlagen, und die Wiedertäufer geben das zu: sie haben sich die Kraft zuerkannt, das von Luther und Zwingli begonnene Werk der Wiederherstellung der Kirche zum rechten Ziele zu führen, das Reich Gottes, d. h. eine politische und soziale, sittliche und religiöse Neuordnung zu begründen.

Man muss die Ursachen, weshalb sie so viele Feinde hatten, nicht bloß bei diesen, sondern auch in ihnen selbst suchen. Während sie sich selbst für die auserwählte Gemeinde hielten, sich Gottes Kinder und dessen hl. Gemeinde nannten, geißelten sie die Zustände aller Stände in bitterster Weise und machten den Reformierten die heftigsten Vorwürfe darüber, dass sie nicht besser seien als die Papisten selbst. Wenn sie Calvin eine Bestie, einen Wolf und falschen Propheten, Zwingli den alten Drachen und seine Genossen die sieben Häupter des Drachen nennen, so darf man freilich nicht vergessen, dass sie von ihren Gegnern nicht anders behandelt wurden. Gegen sie wandten sich fast alle anderen Reformatoren. Verhältnismäßig milde lauten die Äußerungen Luthers: Ketzereien, sagte er im Jahre 1527, kann man mit keinem Eisen zerhauen, mit keinem Feuer verbrennen und in keinem Wasser ertrinken. Zwingen und dringen mit Gewalt, will ich niemanden, denn der Glaube will willig, ungenötigt und ohne Zwang angezogen werden. Nehmt Euch ein Exempel von mir: Ich bin den Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben. Sonst habe ich nichts getan. Auf die finstere Tat Calvins gegen Servetus hinweisend, sagt er, dass in solcher Weise sich auch die Mordtaten der Inquisition rechtfertigen ließen. Man lasse sie, sagt er von den Schwarmgeistern, zu denen er bekanntlich zunächst die Wiedertäufer rechnete, getrost und frisch predigen, was sie können und wider wen sie wollen, denn es müssen Sekten sein: das Wort Gottes muss zu Feld liegen und kämpfen. Sonst spricht er von den Schwärmern freilich viel ungünstiger: Man sagt vom Pfau, er habe ein englisch Gewand, einen diebischen Gang und einen teuflischen Gesang. Dieser Vogel ist ein rechtes Bild der Ketzer, denn alle Rottengeister können sich fromm, heilig und als Engel stellen, aber sie kommen einhergeschlichen, drängen sich ein, ehe sie zum Predigtamt berufen werden, und wollen lehren und predigen, aber sie haben einen teuflischen Gesang, das ist Lügen. Er missbilligt aber, dass man so elende Leute verbrenne: Mit Feuer werde man nur wenig gegen sie ausrichten. Ein Gutachten der Wittenberger Theologen, dass man die Wiedertäufer mit dem Schwerte richten möge, unterzeichnet er freilich mit den Worten: placet mihi Luthero. Mit Melanchthon, Bugenhagen und Cruciger empfahl er dem Landgrafen von Hessen die Todesstrafe gegen die Wiedertäufer (capite plectendos), und so wurden denn auch in Sachsen die Wiedertäufer an Leib und Leben gestraft.

Sein Hass gegen diese schien doch, wie schon vorlängst bemerkt wurde, von einer Seite betrachtet, mehr etwas blindes, als durch Vernunft und Christentum gerechtfertigtes an sich zu tragen, denn dass sie die Taufe der Kinder verwarfen, weil Kinder noch nicht zum Glauben erwacht seien, konnte er nach seiner eigenen Lehre nicht unverzeihlich finden, wie denn auch mehrere seiner Schüler in diesem Punkte zweifelhaft wurden. Dass die Wiedertäufer in ihrem Leben den ersten Christen sich annähern wollten, den Eid verwarfen und dgl. war Übertreibung, aber kein Verbrechen.

Melanchthon verlangte in seinen späteren Jahren die Ausrottung der Wiedertäufer und die Hinrichtung der Verstockten. Dass sie auszutilgen seien, war ein von den Schweizer Reformatoren durchaus gebilligter Grundsatz. Bullinger verteidigt ihn mit sechs Beweisgründen und beruft sich hierbei ungeschickterweise auf die Gesetze der Kaiser Theodosius und Honorius, wiewohl es näher gelegen wäre, sich einfach auf die jüngsten kaiserlichen Mandate zu beziehen. Das Dekret vom 4. Jänner 1528 erinnert daran, dass nach geistlichem und weltlichem Rechte auf die Wiedertaufe die Todesstrafe gesetzt sei, und das kaiserliche Mandat vom 23. April 1529 bestimmt, dass alle und jeder Wiedertäufer und die Wiedergetauften, Manns- und Weibspersonen verständigen Alters vom natürlichen Leben zum Tod durch Feuer, Schwert oder dgl. nach Gelegenheit der Personen ohne vorhergehende Inquisition der geistlichen Richter gerichtet und gebracht werden sollen. Demgemäß sprechen sich auch die Augsburgische Konfession und der Reichsabschied zu Augsburg vom Jahre 1530 gegen die Wiedertäufer aus und wurde in allen Gegenden Deutschlands wider sie eingeschritten.

Wie Luther, Melanchthon, Bugenhagen und die Schweizer und Straßburger Reformatoren, so gaben auch zahlreiche Konsistorien, wie jene von Lüneburg, Ulm, Tübingen u. s. w. ihre Gutachten dahin ab, dass die Wiedertäufer durch Leib- und Lebensstrafe auszurotten seien. So hat auch Beza das Töten der Ketzer verteidigt. Doch gab es vom Anfang her Stimmen, welche das gewalttätige Verfahren gegen die Wiedertäufer missbilligten. Erasmus entwickelt in einer eigenen Schrift die Unterschiede in dem Vorgehen gegen die Ketzer und deren Behandlung in alter und neuer Zeit: Bis zum Jahre 400 hätten die Christen nirgends kaiserliche oder weltliche Hilfe wider die Ketzer angerufen. Als aber vor der Unsinnigkeit der Donatisten niemand sicher war, ist zuletzt von den Bischöfen beschlossen worden, Hilfe wider die unleidlichen Bösewichter anzurufen. Dem hl. Augustinus habe das nicht gefallen. Er meinte, es gezieme den Bischöfen nicht, andere Waffen, als das Wort Gottes, das Gebot, den Bann und die Absonderung von der Gemeinde zu gebrauchen. Jetzt wüten diese Gnadenmeister weit über den Inhalt der kaiserlichen Mandate, so dass Kaiser und Bischöfe dieser Wut wehren müssen. Ehe noch die Universitäten aufgekommen, hat man wider die Ketzer einzig und allein mit dem Worte Gottes gefochten, jetzt, so alle Welt voll ist von neuen hohen Schulen, geschieht es fast mit Artikeln, Papier und Feuer. Bis zum Jahre 800 hat man keine Ketzer verbrannt, nach der Zeit gilt als Recht, dass man sie verbrenne. In den Dekreten stehe wohl, dass man rückfällige Ketzer dem weltlichen Arm überliefern solle: es haben aber die Glossenschreiber von selbst hinzugefügt, auf dass man sie verbrenne. Wann ist je den Pelagianern und Jovinianern auf kaiserlichen Befehl eine Strafe auferlegt worden. Jetzt schleift man flugs zum Feuer, wer etwa zweifelt, ob der Bapst des Fegefeuers Gewalt hat. Dem Berengarius, der von der Wahrheit des Leichnams Christi geschrieben, ist kein Leid geschehen, jetzt erheben die Mönche ein eitel Geschrei, schleppen den Beschuldigten zum Thurm, disputieren nach ihrer Weise, schreiben die Artikel aufs Papier und bereiten das Feuer.

Brenz spricht sich in einem Gutachten über das Verfahren der Obrigkeiten gegen die Wiedertäufer in echt christlichem Sinne gegen ihre Bestrafung mit dem Schwert aus. In ähnlichem Sinne äußern sich Hedio, Johann Agricola, Otto Brunfels und einige andere Zeitgenossen. Am 25. Jänner erklärte der Nürnberger Rechtsgelehrte Hepstein: Das Hinrichten der Wiedertäufer nütze nichts, wie es die Augsburger erfahren hätten. Leute, welche sich früher verborgen hätten, drängen sich jetzt herzu, wie man namentlich in Österreich sehe, wo auch die jungen Mädchen herzulaufen. Im März 1554 erschien eine Schrift gegen die von Calvin und Konsorten gebilligte peinliche Verfolgung der Ketzer; sie ist mit großem Geschick verfasst und wendet sich mit zahlreichen Beweisstellen aus den Schriften der angesehensten Theologen der Protestanten, ja Calvins selbst, gegen die Verfolgung Andersdenkender durch den Magistrat.

Eine Entschuldigung für das Vorgehen des jungen protestantischen Staates sucht man in den revolutionären Bestrebungen des damaligen Anabaptismus, die mit dem Bauernaufstande zusammenhingen. Freilich wird hier oft übersehen, dass keiner von den Wortführern des Anabaptismus - denn Münzer kann erwiesenermaßen als solcher nicht gelten - an dem Bauernaufstande teilgenommen, wogegen eine erhebliche Anzahl gut evangelisch gesinnter Prädikanten in diesen verwickelt war und blutig gestraft wurde.

Man wird bemerken, dass die Geschichtsbücher der Wiedertäufer den Beginn der Wiedertaufe ausdrücklich in die Zeit nach dem Bauernkriege verlegen, wie um öffentlich darzutun, dass sie mit den Bauern keine Gemeinschaft hegten. Nichtsdestoweniger ist ihnen der Bauernkrieg durchaus verderblich geworden. Indem nun eine jede Neuerung auf religiösem Gebiete als Beginn des Umsturzes auf politischem Gebiete hingestellt wurde, gelang es den älteren Parteien, den Arm der Obrigkeit für sich zu gewinnen und mit ihrer Hilfe wuchtige Schläge gegen die radikaleren Reformer zu führen. Von nun an wurde der Name Wiedertäufer gleichbedeutend mit Sektierer, Separatist oder Schwarmgeister, wie sie Luther zu nennen liebte. Wessen Meinung mit der herrschenden Lehre in Widerspruch stand, der wurde nun als Wiedertäufer bezeichnet und viele Leute unter diese gesetzt, die daran keinen Teil hatten.

Manche Zeitgenossen sprechen sich hierüber bitter genug aus: Wer, sagt Witzel, von Gott, vom christlichen Leben gegen die gottlosen Sitten der Zeit etwas sagt, der muss der ärgste Wiedertäufer sein, und manche glauben, diese Brandmarkung nicht anders als durch häufige Trinkgelage fliehen zu können. Denn so weit hat diese evangelische Freiheit die Welt gebracht, dass jeder, der sich nicht mit trunkenen Schweinen im Kothe wälzen, d. h. sodomitisch leben will, vielmehr mit der Lebensbesserung Ernst macht, ein Wiedertäufer sein muss. Weil die Evangelischen, sagt ein älterer Forscher, die Wiedertäufer mit dem Schwerte bestraften, konnte man jemanden damit in Leibes- und Lebensgefahr bringen, wenn man ihn zu den Wiedertäufern rechnete. Nun weisen es die Geschichten jener Zeiten klärlich, dass unter den Neuevangelischen viele nicht lautere, wahre Christen gewesen. Die Leute hörten zwar gern das Evangelium predigen, ließen es aber dabei bewenden. Wenn man ihnen dann sagte, dass die Kenntnis der reinen Lehre noch nicht genug wäre zur Vollkommenheit des Christentums und dass die Sakramente zwar Gnadenmittel wären, ohne den tätigen Glauben aber und die Liebe kein Mensch selig würde, und dass die Reformation der Lehre auch eine wahrhafte Reformation des Herzens und des Lebens mit sich bringen müsse, so stand das den meisten Menschen nicht an; da hieß es dann: Diese Leute achten die Sakramente gering, wären Wiedertäufer, Schwärmer, Fanatiker u. dgl. mehr.

Gegen solche Missverständnisse sind schon die Zeitgenossen eines Denk, Hubmaier u. a. aufgetreten. So wurde auch Schwenkfeld für einen Wiedertäufer gehalten: des Kindertaufs halben, schreibt er an Johann Bader, der gibt mir wahrlich gar nichts zu schaffen. Ich hab auch mein Lebtag von Kindertauf mit Niemand je geredet. Wie ich nun des Kindertaufs halben in's Geschrei kommen, wie zuvor des anderen Sakraments halben, das ist Gott bekannt und sei ihm befohlen. Darum irret ihr gewisslich daran, dass ihr meinet, der Eifer wider den Kindertauf sei größer bei mir, denn ihr gedacht habt. Ich weiß, was Schadens der Kindertauf ins Christentum eingeführt hat. Ihr habt zwei Schlösser, damit ihr euren heiligen Kindertauf zu erhalten vermeint: Die Beschneidung der Juden und die Versehung der Christen. Darauf setzet ihr allen euren Grund und verstehet doch derselben keines recht. Die Beschneidung haltet ihr entweder für eine Konsekration, damit die Kinder Gott aufgeopfert wurden, oder für ein Symbolum regenerationis, so es doch allein ein Zeichen war eines figürlichen Volkes und deutet auf die Zukunft Christi im Fleische … Ihr könnt in Wahrheit nicht sagen, dass weder ich, oder auch, soviel mir bewusst, irgend ein Wiedertäufer die Kinder verdammt habe. Sie sagen, dass sie alle selig seien. Haltet ihr, dass den Kindern die Seligkeit durch den Wassertauf gegeben werde, so solltet ihrs frei anzeigen und aus der heiligen Schrift beweisen. Da hättet ihr doch erst Ursach', wider den Geist der Wiedertäufer zu schreien und zu schreiten. Wiewohl ich kein Wiedertäufer, noch auf ihre Weise getauft bin, kann ich doch aus eurem Schreiben spüren, dass ich deshalb bei euch nicht ohne Verdacht bin: Sollten aber die alle Wiedertäufer sein, die vom Kindertauf nichts halten, so sind jetzt überall Wiedertäufer.

Die Wiedertäufer sind mir deshalb desto lieb, weil sie sich um die göttliche Wahrheit etwas mehr, als viele der Gelehrten bekümmern. Wer Gott im Ernst suchet, der wird ihn finden. Dass ihr sie blinde Winkeltäufer und des Teufels Märtyrer heißt, das werdet ihr vor Gott verantworten. Ihr sollet von solchem schweren Eifer wider die armen Leute bei Weiten abstehen. Deshalb sag ich frei, wenn ich soviel Ursach, die Wiedertäufer umzubringen gegeben hätte, als Ihr und andere mit Eurem fleischeifrigen, unchristlichen Ausschreiten getan habt, so könnt es mein Gewissen in Ewigkeit nicht überwinden; ich müsst darüber vor Gott eine ernste Buße tun. Dass Ihr aber Euch damit entschuldigen wollet, als ob sie Euch dazu hätten verursacht, das ist gar nichts geredet, und Ihr macht Eure Sache vor Gott und der Welt nur noch ärger: denn es soll keine Ursache so groß sein, dass einer seinem Nächsten dadurch den Tod wünsche.

Damit will ich aber etliche irrige Wiedertäufer oder deren Vorsteher keineswegs entschuldigt haben. Ich sehe auf das, was Euch als einem gottergebenen Manne zugestanden hätte.

Nun kann ichs nicht leugnen, sagt Schwenkfeld in einem anderen Schreiben, da der Landgraf Philipp von Hessen seine Ansicht über die Kindertaufe vernehmen wollte, dass ich den Kindertauf nicht halte für den Tauf Jesu Christi, sondern für ein Menschengesetz und noch nicht glauben kann, dass die Apostel unmündige Fleischkinder getauft haben. Ob ich nun gleich vom Kindertauf noch nicht soviel halten kann, so will ich mich doch daneben bedinget haben, dass ich darum kein Wiedertäufer bin, auch allen ihren Tauf für unrecht halte, weil das Reich Gottes nicht in äußerlichem Taufen oder Wiedertaufen, sondern in Jesu Christo und im wahren lebendigen Glauben ist. Man hält sich an rein äußerliche Dinge: Man forscht mehr, wann die Taufe eingesetzt, wem sie zuständig ist und ob man die Kinder taufen oder nicht taufen solle, als was das Wesen der Taufe sei, was für Nutz und Wirklichkeit sie in sich habe. Billiger wäre es zu forschen, wie wir mit dem hl. Geiste innerlich im Herzen getauft und vor Gott rechtschaffene Christen würden.

Als dann erst die Kunde von den anabaptistischen Gräueltaten in Münster erscholl, wurden Leute, die damit nichts zu schaffen hatten, noch verdächtiger und verhasster, sie mochten noch so fromm und unschuldig sein. Zweifellos, sagt Bullinger, hat der treugütige Gott durch den Münster'schen Handel aller Welt und insbesondere seinen Auserwählten den großen Betrug aufdecken wollen, der hinter der Wiedertaufe verborgen ist. Gott hat allen Dienern des Wortes die Augen öffnen wollen, desgleichen allen Fürsten und Obrigkeiten, dass sie mit größerer Aufmerksamkeit gegen diese zuwenden, heimlichen und arglistigen Wölfe wachen und mit rechtem Vorbedacht den bösen Sachen zuvorkommen, damit sie nicht hernach, wenn die Wiedertäufer genugsam gefasst und gerüstet sind, ihre Untreue und falsche Geistlichkeit, die in Wahrheit eine große Grausamkeit ist, erfahren müssen. Und gegen den Einwand: Nicht alle Täufer sind den Münster'schen gleich, erwidert Bullinger: Ja, wer darf auch den jetzigen, die sich gar unschuldig stellen, vertrauen, oder wer will uns versichern, dass sie nicht auch, wenn sie eine schickliche Gelegenheit zu haben vermeinen, zu solchen wütenden Tieren werden, wie es die Münster'schen geworden sind. Auch diese haben sich im Anfang so mild und gütig, geistlich und friedlich gestellt wie die jetzigen Täufer und haben ebenso nur die gemeinen täuferischen Artikel gelehrt und gehalten. Erst lehren sie, der Christ soll nicht in der Obrigkeit sitzen, keine Waffen tragen u. dgl., wenn aber erst dies alles in ihre Hand gekommen, dann ist es recht, den Harnisch anzulegen, zu den Waffen zu greifen, Rat- und Zeughaus einzunehmen, und ist ihnen auch recht in der Obrigkeit zu sitzen und selbst Bürgermeister und Rat zu sein. Mich bedünket, der wiedertäuferische Geist habe sich „ein Fahrt“ sehen lassen, damit ein jeder an seinen Früchten zu erkennen vermag, was an ihm sei und dass ihren glatten Worten und Gleißnereien nicht zu vertrauen ist. Auch um der Ursach willen ist die Täuferei zu schelten, weil sie das Evangelium so stinkend gemacht hat, und wird mancher als Täufer hingerichtet, der mit der Wiedertaufe nichts zu schaffen hat.

Viel heftiger noch als die Anklagen Bullingers sind jene, welche von Seiten der Anhänger Luthers ausgegangen sind. Wenn sie von ihren Gegnern als Schwärmer der verderblichsten Art bezeichnet werden, weil sie durch das angebliche, in ihnen erschienene Reich Gottes auch die bürgerliche Ordnung bedrohten, so kann das wohl von den Münster'schen Separatisten gelten, nicht aber von den älteren und jüngeren Abzweigungen, die mit jenen meistenteils zusammengeworfen werden. Man übersieht meistenteils, dass erst, als der blutigen Verfolgung der Wiedertäufer in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre die gemäßigten Elemente unter ihnen zum Opfer gefallen waren, jene Richtung zum Siege gelangte, an deren Verirrungen dann später die ganze Partei zugrunde gegangen ist.

Gegen die offenkundigen Übertretungen der Feinde der Wiedertäufer tut es Noth, mehr als dies bisher geschehen ist, auf ihre eigenen Quellen zurückzugehen. Leider ist von ihren bedeutendsten Schriften der weitaus größte Teil noch ungedruckt und von den zahlreichen Gemeinordnungen, Bekenntnissen, Artikeln, Episteln und Sendbriefen, Rechenschaften, Schulordnungen u. dgl. noch so gut wie nichts bekannt. Erst wenn diese Materialien genügend erforscht und gesichtet sind, wird eine unparteiische Darstellung der Geschichte der Wiedertäufer geschrieben werden können.

In den folgenden Blättern wurden nur einige Bausteine hierzu zusammengetragen. Sie betreffen das Leben Hubmaier's, den die Wiedertäufer für eine ihrer stolzesten Säulen gehalten haben und dessen Schriften bei ihnen stets im besonderem Ansehen standen. Auch über sein Leben und seine Lehren gehen die Ansichten älterer und neuerer Schriftsteller weit auseinander, Während die einen wie Eck und Fabri in ihm den Begründer der Wiedertaufe gesehen haben, galt er anderen für den Anstifter des großen Bauernaufstandes von 1524 und 1525. Die folgende Darstellung soll ersichtlich machen, dass Hubmaier weder auf religiösem noch auf gesellschaftlichem Boden extremen Lehrmeinungen huldigte. Er war wohl die hervorragendste Persönlichkeit in den Reihen der Schweizer Taufgesinnten, ein Mann, der unter seinen Genossen durch feinere Bildung ebensosehr, wie durch seine Milde und Besonnenheit hervorragte. Von seinen Lehren wurden einzelne missverstanden, und gegen sie kämpften die Theologen der alten und neuen Lehre nicht nur mit dem Schwerte des Geistes, sondern riefen auch die Gewalt der Obrigkeit, für deren Erhaltung auch Hubmaier einstand, zu Hilfe. Dass er die Gottheit Christi jemals geleugnet, ist einfach unwahr, und selbst ein Oecolampadius will daran nicht glauben, ungeachtet es ihm Fabri geschrieben. Die Gütergemeinschaft will er dahin verstanden wissen, dass ein guter Christ dem Nächsten, der Mangel habe, mitteilen soll. In der Lehre vom Abendmahl hat man ihn bis zum letzten Moment für einen Anhänger Zwingli's gehalten und dass seine Lehre von der Taufe konsequenter durchgeführt ist, als jene Zwingli's und dem Wortlaut der Schrift entsprechender ist, wird selbst von Anhängern Zwingli's nicht geleugnet. Hubmaier suchte, wie dies jüngstens noch gesagt wurde, den freien Willen zu retten, denn Gott verlange des Menschen eigene Tat. Wie die Augen unser sind und doch nicht durch uns gemacht, also ist die Arbeit des guten Willens und Wirkens auch unser, aber nicht als aus uns. Wie das Auge des Menschen Geschicklichkeit hat, das Licht zu sehen, es aber nicht zu sehen vermag, ohne dass das Licht sich in das Auge trägt, also sieht der Mensch das Licht des Glaubens, wenn es sich durch Gottes Wort in die Seele trägt. Das innere Sehen ist eine Gnade Gottes, wie das äußere eine Gabe des Lichtes, aber nicht des Menschen eigene Wirksamkeit.

Von Hubmaier's kirchlichen Gegnern und seinen persönlichen Feinden darf man ein unbefangenes Urteil über ihn nicht erwarten, selbst wenn sie nicht, wie dies leider bei Zwingli und Fabri gar häufig der Fall ist, aus trüben Quellen schöpfen. Sie nehmen wider ihn mit wenigen Ausnahmen eine solche Stellung ein, die eine ruhige und gerechte Würdigung des Charakters des Widersachers nicht zulässt und mit einem Maßstab prüft, welcher dem eigenen Ideenkreise entnommen ist, gleichwohl aber für objektive Wahrheit gelten soll. Dem einen, wie Capito, ist er ein ruhmsüchtiger, turbulenter und wütender Mensch (gloriosulus turbulentus et furiosus vir), dem zweiten, wie Gynoräus, ein Mensch von erheuchelter Demuth (homo simulatae humilitatis), dem dritten, wie Stumpf, der Bickelmeister der Wiedertäufer und ein Erzketzer, dem Zwingli ist er der Häuptling der Täufer und zwar der arroganteste von ihnen (stolidorum Catabaptistarum aut summus aut certe arrogantissimus), an dem er nichts anderes wahrgenommen habe, als eine zügellose Neuerungs- und Ehrsucht. Bullinger nennt ihn unstet und wankelmütig in seinen Überzeugungen ein Urteil, das im Hinblick auf Hubmaier's Haltung im Züricher Wiedertäuferprozess nicht ganz ungerecht ist. Günstiger urteilt über ihn Fabri, der in Übereinstimmung mit Eck wenigstens der hohen geistigen Begabung Hubmaiers (Eck nennt ihn electi spiritus hominem et eruditione procellentem) gerecht wird, worin ihm übrigens Bullinger und Frank beipflichten, wie ihn auch de Vatt einen höchst beredten und in hohem Grade gebildeten Menschen (eloquentissimum et humanissimum virum) nennt. An Gelehrsamkeit und Scharfsinn übertraf er seine Gegner, wie Zwingli, bei weitem; und auch in sittlicher Beziehung stand er ohne Makel da, was bei der damaligen Zügellosigkeit und Verderbnis hoch anzuschlagen ist und nicht von allen Herolden der evangelischen Freiheit behauptet werden kann. Mit einer Gewandtheit und Konsequenz, die seine Gegner mitunter zur Verzweiflung brachte, wusste er seine Lehrsätze zu verteidigen und nur, was er nach sorgsamer Prüfung für wahr erkannte, hielt er für untötlich und trat dafür mutvoll in die Schranken. Die Wahrheit, sagt er, ist untötlich, und wie wohl sie sich etwas lang fahen lässt, geißeln, krönen, kreuzigen und ins Grab legen, so wird sie doch am dritten Tage wieder siegreich auferstehen, regieren und triumphieren. Nichts vermochte ihn, sich zu jenen äußersten Lehren zu bekennen, welche einzelne Taufgesinnte schon dazumal predigten: wie er von dem Kommunismus nichts gehalten hat, so hat er sich auch von allen chiliastischen Schwärmereien frei zu halten gewusst; bis an seine Ende hat er die sittliche Freiheit des Menschen standhaft verteidigt. Gleichwohl ist auch er von einer gewissen Schwärmerei nicht völlig frei zu sprechen, noch weniger ist zu verkennen, dass nicht selten dünkelhafter Hochmuth, leidenschaftliche Heftigkeit oder Bitterkeit seine Feder geführt hat. In den letzten Schriften Hubmaiers wird man indes hievon kaum mehr eine Spur entdecken. Jedenfalls zeugt die beherzte Art, wie er in den Tod ging, von einer starken Seele.

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