Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - XX. Der Judaskuß

Das wundersame Vorspiel des Lebens Jesu, wie es, einer Luftspiegelung vergleichbar, in dem Lebensgange seines königlichen Ahnherrn David sich uns darstellt, führt sogar auch die lebendigen Typen der hervorragendem Persönlichkeiten der evangelischen Geschichte an uns vorüber, und zeigt uns z. B., wie in Jonathan einen Johannes, in Abisai einen Petrus, in Saul einen Herodes, so in Ahitophel einen Judas. Ahitophel stand, wie wir wissen, dem Könige als sein erster Staatsrath vor Andern nahe, und genoß das unbedingte Vertrauen seines Herrn. „Wenn Ahitophel einen Roth ertheilte,“ sagt die Geschichte, „das war, als hätte man Gott um etwas gefragt.“ Aber diese bevorzugte Stellung wurde dem selbstsüchtigen und von unbegrenztem Ehrgeize gestachelten Menschen zu Strick und Falle. Nach immer höheren Dingen trachtend, fühlte er sich bald sogar auch durch die Stellung, die er als erster Diener der Krone einnahm, nicht mehr befriedigt. War es doch immer noch eine Dienerstellung. Als nun Absalom den Schild der Empörung gegen seinen eignen Vater erhob, da warf, in der Hoffnung mit dem ausgebrochenen Aufruhrsturme, wer weiß, bis zu welcher Höhe der Macht und Herrlichkeit hinan zu steuern, auch Ahitophel die Maske der Scheinheiligkeit, sammt derjenigen seiner erheuchelten Treue und Ergebenheit gegen David ab, und schlug sich in himmelschreiendem Undank auf die Seite der Meuterer. Der Herr aber wußte des Nichtswürdigen in seiner Klugheit zu erhaschen. „Er schickte es also,“ meldet die Geschichte, „daß der Rath Ahitophels vernichtet wurde.“ Sobald aber der Verräther seine herrschsüchtigen Anschläge scheitern und sich in diesem Schiffbruch von Gott gerichtet sah, erfaßte ihn die Verzweiflung, und des Lebens überdrüssig, sattelte er seinen Esel, zog heim in seine Stadt, beschickte sein Haus, und machte seinem Leben durch den Strick ein Ende. - Doch hiervon haben wir früher bereits geredet.

Als eine dem Ahitophel ähnliche Erscheinung begegnet uns in der Geschichte Davids Joab, der Sohn Zeruja, ein Mann des glühendsten Ehrgeizes und der ungezügeltsten Herrschsucht. Blieb er in dem Aufruhr Absaloms seinem Könige und Herrn auch treu, so schloß er sich doch nachmals dem Kronprätendenten Adonia an. - Seine Judasnatur trat aber sonderlich in seinem Handel mit Amasa zu Tage. Diesem hatte der König die Anwartschaft auf die Oberfeldherrnwürde verliehen. Das ertrug ein Joab nicht. Er glaubte sich dadurch an seiner Ehre auf das empfindlichste gekränkt. Amasa war fortan der Gegenstand seines bittersten Hasses, und wie er ihn aus dem Wege räume, der Gedanke, der ihn Tag und Nacht beschäftigte. Bald genug fand er Gelegenheit, seinen geheimen Mordplan auszuführen. Amasa, mit einer königlichen Mission betraut, begegnet ihm bei dem großen Stein zu Gibeon. Joab, seiner ansichtig geworden, eilt, wie 2. Sam. 20, 9 u. 10 berichtet wird, unter der Maske der Freundschaft auf ihn zu, beut ihm mit einem „Geht's dir wohl, mein Bruder?“ erheuchelten Friedensgruß, umarmt ihn, und stößt, während er ihn mit der rechten Hand beim Bart faßt, um ihn zu küssen, mit der linken das heimlich gezogene Schwert ihm in den Leib, daß sein Eingeweide herausquoll und mit seinem Blute sich auf die Erde schüttete, und er auf der Stelle des Todes erblich.

Entsetzlich ist es, daß wir Veranlassung haben, mit der Erinnerung an so treubrüchige Buben, wie die genannten, eine Betrachtung einzuleiten, deren Mittelpunkt ein Vertrauter des Königes aller Könige, ein Apostel ist. Aber wir haben sie. - Möge es dem Herrn gefallen, die Betrachtung, zu der wir schreiten, wie zur Mehrung unsres Abscheus wider die Sünde überhaupt, so insonderheit zur Verschärfung unsrer Wachsamkeit über das eigene so leicht zu berückende und zu verstrickende Herz gereichen lassen! -

Matth. 26, 48-50. Marc. 14, 44. 45. Luc. 22, 48.

Und sein Verräther hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Welchen ich küssen werbe, bei ist's, den greifet, und führt ihn gewiß. Und da er kam, nahete er sich zu Jesu und trat alsobald zu ihm, ihn zu küssen, und sprach: Gegrüßet seist du, Rabbi! und küssete ihn. Jesus aber sprach zu ihm: Mein Freund, warum bist du gekommen? - Juda, verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?

Gibt es einen erschütternderen und herzergreifendem Auftritt, als den verlesenen? Wo begegneten sich je das unbedingt Gute und das vollendete Böse, der Himmel und die Hölle in unverdecktern und schneidendern Gegensätzen, als hier? Das beschauende Herz droht den gewaltigen Eindrücken, welche es von dem Ueberschwange göttlicher Liebe auf der einen, und der Fülle satanischer Bosheit auf der andern Seite hier empfängt, schier zu erliegen. Eine Scheidescene ist's, vor der wir stehen, und zwar der traurigsten und verhängnißvollsten eine, welche die Welt gesehn hat. Jesus und sein Apostel Judas gehn für immer auseinander. Kommt, sehen wir zuvörderst, wie diese Trennung vor sich geht; und vernehmen wir dann das Lebewohl, das der Herr dem unglückseligen Jünger nachruft.

Diene unsre Erwägung uns zum Sporne, von ganzem Herzen an den uns hinzugeben, der unsre einige Zuflucht vor dem Zorn, dessen Scheidebrief dagegen nichts Anderes, als eine Anweisung auf die ewige Verdammniß ist.

1.

Noch einmal richten wir den Blick auf die Schaar, die wir an der Schwelle des Oelbergsgartens den Herrn überfallen sahen. So eben hat sie sich aus dem Staube, in den das „Ich bin's!“ des Herrn sie niederwarf, wieder aufgerichtet. Unter den Dahingeschmetterten war auch Judas. Man sollte denken, diese erneuerte Offenbarung der Majestät Jesu werde das verlorene Kind endlich wie ein letztes Noth- und Feuerzeichen von seinem Verrätherwege haben abschrecken müssen, Und wer weiß auch, wozu es, ob auch aus knechtischer Furcht nur, mit ihm gekommen wäre, wenn er jetzt nicht von Zeugen umgeben gewesen, und mit seiner sogenannten Ehre dabei nicht ins Gedränge gerathen wäre. Er hatte aber einmal die Anführerrolle übernommen; und als welch' ein Schwächling würde er in den Augen seiner hohen Gönner und Helfershelfer erschienen sein, hätte er dieselbe nicht entschlossen durchgespielt! Schauerliche Verblendung, aus der Konsequenz auch im Bösen eine Tugend machen zu wollen! Judas fachte die vielleicht auf Augenblicke gedämpfte Flamme seiner Erbitterung gegen den Herrn dadurch in seinem Herzen wieder an, daß er sich die bekannten Vorgänge bei der Salbung zu Bethanien und dem letzten Abendmahle in Jerusalem in's Gedächtniß zurückrief. Genug, mit einem, freilich mehr erzwungenen, als wirklich vorhandenen Heldenmuthe steht er dort an der Spitze der Meutererbande wieder vor uns. Ein erheucheltes „Vorwärts!“ liegt in seiner Haltung; aus seinen scheuen Blicken aber, wie aus dem krampfhaft verbissenen Munde und dem unruhigen Muskelspiele des blassen Angesichts spricht etwas Anderes. Doch er hat sein Wort verpfändet, und den Vertrag mit dem Teufel abgeschlossen. Das Verrätherzeichen muß erfolgen. Die Hölle rechnet auf ihn, und würde um keinen Preis auf den Triumph verzichten, den Nazarener durch einen seiner eignen Apostel sich in die Hände gespielt zu sehen. - Seiner Vertrautesten einer also wird sein Verräther! - Man hat von dieser schauerlichen Thatsache tausendmal gelesen und gehört; und doch, so oft man sich's wieder vorsagt, steht man aufs neue bestürzt, als vernähme man's zum ersten Male. O, was dieser Judas unserm Herzen zu schaffen macht! Welche schauerliche Räthsel-Erscheinung schreitet in seiner Person durch die evangelische Geschichte! Welche Aufgaben überweiset er der Seelenkunde zur Lösung, und in welch' Gedränge bringt er uns nicht blos mit unserer Dogmatik, sondern selbst mit unserm Glauben!

Bevor wir in seinem Verrätherkusse die reife Höllenfrucht seines innern Verderbens anschauen, werfen wir noch einmal einen flüchtigen Rückblick auf den Entwickelungsgang seines innern Lebens. Zu seiner Wiege treten wir im Geist. Zu Carioth erblickt ein Söhnlein das Licht der Welt. Vater und Mutter heißen's mit Freuden willkommen.

Vielleicht lesen sie an seiner Wiege arglos einen Psalm; den 103ten etwa oder den 128sten. Doch wehe, diese wären nicht die rechten. Lesen sollten sie - ach, wenn sie es ahnten, - Psalm 41, und drin die Worte: „Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brod aß, tritt mich mit Füßen,“ lesen Psalm 109, und da die Worte: „Seiner Tage müssen wenig werden, und sein Amt und Bisthum müsse ein Anderer empfangen. Er wollte den Fluch, der wird ihm auch kommen; er wollte des Segens nicht, so wird er auch fern von ihm bleiben; und er zog an den Fluch wie ein Hemd, und der Fluch ist in sein Inwendiges gekommen wie Wasser, und wie eine geriebene Salbe in seine Gebeine.“ Diese Psalmen sollten sie recitiren, und dazu, ach! ein Stück des 22sten. O, wenn sie es wüßten, daß das die Lieder seien für diese Wiege! - Das Kind wird in den Tempel gebracht, dem Priester übergeben, mit dem Sakrament versehn. Ach, was will dies Kind im Heiligthum des Herrn?! An ihm wird das Sakrament nicht haften. Was steht geschrieben Psalm 69? „Seine Behausung müsse wüste werden und es sei Niemand, der darinnen wohne.“ Und was lesen wir Apostelgesch. 1, 20? Ach, was wir da lesen, das steht von diesem Kinde geschrieben! - Das Unglückskind! - Uns schaudert. Seine Eltern wittern nichts. Wie sollten sie etwas ahnen? Der Knabe wächst gedeihlich auf. Er ist der stillern, der ernsteren und der vielversprechenden einer. Er zeigt mancherlei Anlagen, und selbst, wie man zu sagen pflegt, Anlagen zur Religion. Wäre er ein gewöhnlicher Mensch gewesen, wie wäre er in den auserlesenen Kreis der Apostel hineingerathen? Nachdem Jesus aufgetreten, scheint Judas, an menschlichem Maßstabe gemessen, vor Andern befähigt, dessen großartige Zwecke fördern zu helfen. Er bietet sich dem Meister an, und Gott der Herr vertritt ihm die Straße nicht, sondern läßt ihn herzu. Der Heiland nimmt ihn gehorsam als einen vom Vater ihm Gegebenen unter seine Flügel, und macht ihn sogar zum Führer ihrer gemeinschaftlichen Kasse. Nun ist Judas ein Christ, und mehr als dies. Niemand weiß von ihm anders, als daß er ein wahrer Jünger, ein andächtiger und hochbegabter Mensch, und jedenfalls ein bedeutender Charakter sei. Nur der Herr Jesus durchschaut ihn bald, und findet in seinem Innern noch etwas Anderes. Er gewahrt in ihm eine böse Wurzel, die aber in unserm Herzen auch gefunden wird, und somit nicht gerade etwas Außergewöhnliches ist. Geiz ist die Wurzel, und zwar das Wort in seiner weiteren Bedeutung genommen: Geldgeiz und Ehrgeiz; mit einem Worte: Egoismus, d. i. die allen natürlichen Menschen gemeinsame sündliche Richtung auf die ausschließliche Befriedigung, Erhebung und Verherrlichung des eignen Ich. Was den Judas in die Gemeinschaft mit Jesu führte, war höchst wahrscheinlich mit die Hoffnung, im Reiche dieses wunderthätigen Meisters einmal eine Rolle zu spielen. An bösem Zündstoff fehlte es mithin in Juda Innerem nicht. Den ersten Versuchungsfunken wirft die Kasse in sein Herz. Judas wird ein Dieb. Er vergreift sich an dem fremden Gut ein Mal, und abermals, und wieder, und - er verschweigt es. Mein Gott, warum bekennt er's nicht und thut nicht Buße? Ja, daß er dies nicht thut, wird eben sein Unheil. Aber gestände er, so wäre ja seine Ehre dahin, und sein Gelddurst bliebe ungestillt. So bleibt die Last auf seinem Gewissen liegen. Von Stund an ist sein Verhältniß zu Jesu ein verändertes. Die Gegenwart des Heiligen wird ihm unbequem; denn wie ein heller Spiegel wirft seine Reinheit die eigne Schwärze ihm zurück. Aber wenn er diese seine Schwärze erkennt, warum beugt er sich nicht, und entrinnt dem Fluche? Ja, daß er dies eben nicht thut, ist unser Kummer und sein Fluch. Um keinen Preis gäbe er sein Inneres bloß. Es mochte manchmal des Herrn Wort ihm wie ein Donner in's Gewissen schlagen; aber er überwand des Wortes Wucht, und gewann eine immer größere Uebung in solchem Ueberwinden. Er argwöhnte manchmal, daß Jesus ihm mißtraue; aber dann schmeichelte er sich mit der Hoffnung, er könne ein Wort, einen Blick des Meisters falsch gedeutet haben. Doch der Argwohn reicht schon hin, sein Herz dem Herrn Jesu zu entfremden, ja schon eine gewisse Bitterkeit gegen Ihn ihm einzuflößen. Endlich, bei Gelegenheit der Salbung in Maria's Hause, wirds dem Judas sonnenklar, der Herr habe wirklich ihn ergründet. Verhängnißvoller Moment! Was begibt sich? Alle Gift- und Geiferblasen in Judas Herzen ergießen sich. - Wie, und noch thut er nicht Buße? Nein, er entbrennt vielmehr in wildem Rachedurst gegen den, der ihn zu durchschauen, und noch dazu vor den andern Jüngern bloßzustellen wagte. Mein Gott, warum schlägt er nicht noch an seine Brust, und errettet seine Seele? - Ach, Brüder, er ist schon des Satans Beute, und stürzt, statt Buße zu thun, jetzt durch die Nacht dahin zu den Hohenpriestern, um, ihr wißt wozu, sich ihnen anzubieten. Nichtsdestoweniger wagt er sich noch einmal in die Nähe Jesu und den Apostelkreis zurück. Wozu das? Etwa um jetzt Bekenntniß abzulegen, und reumüthig sein Inneres zu erschließen? - Hofft es nicht. In die Larve eines Unschuldigen vermummt tritt er daher, und setzt sich, als wäre nichts geschehn, mit den Uebrigen zu Tische. Da spricht Jesus ernst und feierlich: „Wahrlich, ich sage euch, Einer unter euch wird mich verrathen.“ Und die Jünger fragen nach der Reihe, unendlich bestürzt: „Herr, bin ich es, Herr, bin ich es?“ Nur Einer fragt nicht mit, sondern tastet mit erheuchelter Unbefangenheit in die Schüssel. Da lüftet Jesus den Schleier ganz, und spricht: „Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verrathen.“ - Nun entgegnet Judas halb trotzig, halb verzagt: „Bin ich es, Rabbi?“ - „Du sagest es“, spricht Jesus. Denkt, welch' ein Augenblick! Was gibt es nun? Sinkt Judas erschüttert Ihm zu Füßen und schreit um Erbarmung? - Nein; vielmehr fährt jetzt der Satan vollends in ihn. Mein Gott, warum thut er denn nicht noch Buße? - Ach, daß er auch jetzt noch sein Herz verhärtet, ist eben sein Untergang. Er schlägt in seinem Wahnsinn eher Alles in die Schanze, als sein Ich. Statt zur Buße sich zu bequemen, eilt er, mit Höllenplänen schwanger, durch die finstere Nacht dahin, und stehet den Meister erst in dem Momente wieder, in welchem er demselben heute als der Führer jener Meutererbande begegnet. Er ist nun ganz des Abgrundsfürsten. Schauerlicher Entwicklungsgang! Vor Allem darum so schauerlich, weil Judas von Haus aus kein Bösewicht vor andern, sondern ein Mensch war wie wir, derselben Natur mit uns theilhaftig. Er machte nur sein Ich zu seinem Gott, und das in bleibender, beharrlicher Weise. Hört's, ihr Mammonsknechte, ehe auch euch der Satan gänzlich hinnimmt! - Er wollte mit seinem verborgensten Herzensgrunde nicht an's Licht. Vernehmt's, ihr verstockten Pharisäer, und erzittert. - Er scheute vor dem Gedanken zurück, als ein um Gnade bettelnder Sünder zu Jesu Füßen zu erscheinen. Ihr eigengerechten, ungebeugten Geister, nehmt es zu Herzen und fahrt zusammen! Er gedachte sich lieber durchzulügen, als sich bloßzugeben. Merkts, ihr übertünchten Gräber, daß dies der Weg zur Hölle ist! Es verdroß ihn und erfüllte ihn mit Unmuth, wenn Jesu Blick und Wort ihm in's Gewissen fuhr. Erschreckt vor eurem Stande, wenn es euch auch also ergeht! Es kochte allmälig ein giftiger Brodel von Grimm, von Widerwillen und bittrer Galle gegen Jesum in ihm auf. Ach, wo dergleichen sich entzündet, da ist des Teufels Werk schon weit gediehen. Ja, wo man, ob auch seiner Sünde überführt, dennoch kein armer Sünder sein, noch Jesum für sein Eins und Alles halten will, da ist dem Teufel breite, ebene Bahn gemacht, und es steht die Hölle da schon sperrweit offen! -

Aber konnte Judas überhaupt noch selig werden, nachdem sein Untergang geweissagt war? O Brüder, sein Untergang wäre nie geweissagt worden, hätte Gott vorausgesehn, daß Judas das ihm dargebotene Heil ergreifen werde. - Aber mußte nicht jetzt die Schrift erfüllet werden, nachdem sie einmal des Judas Loos verkündet hatte? - Sie mußte freilich, wie Jesus selbst bezeugt; aber des Judas Schuld wird dadurch nicht vermindert. - Wäre es denn jenem Menschen nicht besser gewesen, er wäre nie geboren worden? - Allerdings, viel besser, wie dies Jesus selbst bezeugt. Aber stand es denn nicht bei Gott, die Geburt des Unglückseligen zu verhindern? - Welche Frage! Was sollte bei Gott unmöglich sein? - Aber warum, du Grundbarmherziger, ließest du ihn doch das Licht der Welt erblicken?! - Ja, fragt nur so; eure Frage kehrt als Echo zu euch zurück. - Und warum, nachdem er geboren war, versetztest du, Gott aller Gnade, ihn in die Nähe deines Sohnes, in dessen Lichte er nur zum Tode reifte? - Ja, fragt nur; euer Warum verhallt in den Firnen der Ewigkeit. - Und du, leutseligster der Menschenkinder, Jesu, warum vertrautest du gerade ihm, dem versuchungsfähigsten der Zwölfe, den Beutel an? - O, lasset ab von eurem Fragen, lieben Brüder! Hienieden schweigt der Himmel über euren „Warums“. Einst wird er Antwort geben. Wollt ihr aber hier schon Antwort, so hört; aus Gottes Wort tönt sie euch entgegen, und lautet: „Schaffet mit Furcht und Zittern, daß ihr selig werdet!“ Hiernach thut. Im Uebrigen die Hand auf den Mund gelegt, und fest vertraut, daß Gott gerecht sei in allen seinen Gerichten, und heilig in allen seinen Wegen! -

Doch zurück zu dem Schreckensauftritt in unserm Texte! Es ist wahr, durch das freie Hervortreten Jesu und seine majestätische Selbstoffenbarung war das verabredete Verrätherzeichen überflüssig geworden. Nichtsdestoweniger verstand sich die Rotte nicht dazu, dem Judas dasselbe zu erlassen, nachdem es mit den dreißig Silberlingen bezahlt worden war, und weil's den Meuterern zu einer Art Gewissenserleichterung gereichen konnte. „Löse dein Wort!“ winkten ihre Blicke ihm zu; und Judas, theils um sich die Ehre seines erheuchelten Heldenthums zu retten, theils um den entmuthigenden Eindruck zu verdingen, den das niederschmetternde Machtwort des Meisters in ihm hervorgerufen, theils auch, um in schwächlicher Feigheit durch das mit schmeichlerischem Gruß verknüpfte Liebeszeichen wo möglich den Arm des Heiligen in Israel gegen sich zu entwaffnen, - (denn er zitterte innerlich vor Seinem Zorn, und das zu den Häschern gesprochene: „Greifet ihn, führet ihn sicher,“ erscheint nur als Ausfluß seiner Furcht und Sorge, und nicht, wie Manche es haben deuten wollen, als Ironie, die den Sinn gehabt hätte: „Es wird euch doch nicht gerathen, ihn zu halten,“) - schreitet er unter der Larve vertrauter Befreundung auf den Herrn zu, bewillkommt ihn mit der Formel herzlichen Wohlwollens: „Gegrüßet seist du“, spricht mit erheuchelter Zärtlichkeit sein „Rabbi“, und wagt es, einer giftgeschwollenen Natter gleich, die aus einem Rosengehege hervorzischt, die heiligen Lippen des Menschensohnes unter dem Beifallsrufe der Hölle mit seinem Verrätherkusse zu beflecken! -

Dieser Kuß ist das Ruchloseste und Verabscheuungswürdigste, was im finstern Bereiche menschlicher Sünde und Entartung je zu Tage trat. Auf dem Boden nicht etwa der teuflischen, sondern der menschlichen Natur, ist, wenn auch nicht ohne dämonische Einflüsse, denen jedoch mit freier Entscheidung Raum gegeben war, jener Frevel erwachsen, und darum seiner ganzen Verruchtheit nach unserm Geschlechte als solchem zuzurechnen. Er entschleiert, als die vollständig erschlossene Blüthe desselben, den „Schlangensamen“, den wir, gleichviel, ob er zur Entfaltung gelangte, oder noch unentwickelt in uns schlummere, sämmtlich auf dem Grunde unsres Wesens tragen. Uns Alle verdammt er; stellt aber damit zugleich die unbedingte Notwendigkeit einer Sühne, Vermittlung und Genugthuung zur Rettung unsrer Seelen außer Frage. Der Judaskuß bleibt im Gebiete der Moral der Schild mit dem Medusenantlitz, vor welchem der Pelagianer mit seiner Theorie von des Menschenherzens natürlicher Güte erstarren muß. Es ist jener Kuß das unauslöschliche Brandmal an der Stirn der Menschheit, durch das ihr ganzer Tugendstolz das Gepräge des Wahnwitzes und der Lächerlichkeit erhält. Und möchte jener Kuß des Verräthers nur der einzige seiner Art geblieben sein! Aber in geistiger Weise hat Jesus denselben bis zu dieser Stunde tausendfältig zu erleiden. Denn Ihn heuchlerisch mit dem Munde bekennen, während man mit dem Wandel lästerlich ihn bloßstellt und verdächtigt; die Tugenden Seiner Menschheit bis zum Himmel erheben, während man ihn seiner göttlichen Herrlichkeit entkleidet, und die Krone der überweltlichen Majestät Ihm vom Haupte reißt; Ihm, wie das Geschlecht dieser Zeit es vermag, begeisterte Hymnen und Oratorien singen, während man außerhalb des Concertsaales sich nicht allein seines heiligen Namens schämt, sondern in Wort und That sein Evangelium mit Füßen tritt: was ist dieses Alles Anderes, als ein Judaskuß, mit dem man Sein Angesicht zu beflecken sich erfrecht? Der Heiland stirbt an solchem Kusse freilich nicht; du aber, der du einen solchen Ihm zu bieten dich erkühnst, wirst daran sterben. Ruhm und Ehre, Hab und Gut, Gesundheit und Leben verlieren, verschlägt nicht viel. Für alles Dieses ist reicher Ersatz vorhanden. Aber Jesum verlieren und veräußern, ist der Tod und die Hölle: denn Er ist das Leben und die Seligkeit und der lebendige Inbegriff alles Dessen, was irgend Friede, Heil und Segen heißen darf.

2.

„Rabbi, Rabbi!“ So der Verräther. Zwei giftige Dolchstiche in des Heiligen Herz! Er nimmt sie gelassen hin, und selbst den von der Hölle entzündeten Kuß wehrt er nicht von sich ab. Er weiß, warum er auch hier sich duldend hingiebt. War doch auch dieses Herzeleid ein Tropfen des ihm zugemessenen väterlichen Kelches, und fand Er doch „selbst auf dem Grunde dieses schauerlichen Vorgangs nur den Rathschluß des allmächtigen Gottes. Judas war des Satans und zugleich Gottes Werkzeug. Er wollte den Herrn seinen Feinden in die Hände spielen, und der ewige Vater wollte ein Gleiches. Wunderbarer Einklang zwischen Himmel und Hölle, dem Kabinet jenseits der Wolken, und dem Abgrunde diesseits! Vollste Uebereinstimmung in der That; aber welche Kluft und Scheidung in der Absicht! Gott kannte das Verderbenskind schon lange; aber er zögerte, es zu zerschmettern. Längst durchschaute Gott seinen schwarzen Anschlag; aber er schloß ihm die Schranken nicht, sondern öffnete sie. Gott der Allsehende war Zeuge, wie er die Silberlinge aus der Priester Händen hinnahm; doch ließ er das Blutgeld in seiner Hand nicht eher glühend werden, bis der Verlorene den Verrath vollzogen hatte. Mit Einem Hauche seines Mundes hätte Gott den Greuelmenschen vernichten können; aber er ließ ihn leben, bis derselbe frevelnd sein Wort gelöst, und erst dann schleuderte er ihn hinunter in den Feuerpfuhl. Wie, so waltete der heilige und gerechte Gott? - So waltete er! „Schwert“, sprach er, „mache dich auf über meinen Hirten;“ und ein Stück dieses Schwertes war auch Judas. - Aber war denn Gottes Zorn gegen den Heiligen in Israel entbrannt? Wie mögt ihr fragen! Jesus war und blieb der Eingeliebte, an dem er Wohlgefallen hatte. Aber ein „Entweder Oder“ lag hier vor, über welches, daß ich menschlich rede, Gott selber nicht hinweg zu kommen wußte. Entweder mußten wir dem Mörder von Anfang ewig preisgegeben werden, oder für uns und an unsrer Stelle, Jesus. Wie aber der Vater sammt dem Sohne dazu kam, zu Letzterem sich zu entschließen, darnach fragt mich nicht. Daß Ihm sogar ein solcher Zahlpreis nicht zu hoch erschien, um uns Sünder damit aus einer tausendmal verdienten Verdammniß herauszulaufen, dies übersteigt mein Verständniß, wie das eure. Er konnte uns eben nicht verloren gehen sehn, sondern wollte uns retten. Wir reden von Liebe hier, von Barmherzigkeit, von einem Ocean der Güte, von einem Abgrund der Erbarmung; aber alles dies ist nur ein armes Stammeln, ein dürftiges Lallen von der unaussprechlich großen und unausforschlichen Sache. In unsrer Sprache ist kein Wort, das auch nur einigermaßen die stammende Inbrunst im Wesen Gottes würdig bezeichnete, aus welcher dieser Retter- und Versöhnungsplan hervorging. Genug, „Gott warf alle unsre Sünden auf den Sohn,“ und schrieb Ihm unsre Schulden zu, damit wir Schuldner, aller Last entbürdet, auf Grund Seiner Zahlung, des Erbtheils der ewigen Wonne theilhaftig würden.

Doch in die Geschichte jetzt den Blick zurückgewendet, und auf das Verhalten des Herrn gegen den Verräther unser Augenmerk gerichtet! Eine Engelsanftmuth würde eine Probe, wie sie jene raffinirte Unthat Ihm bereitete, nicht bestanden haben. Hier aber ist mehr, als Sanftmuth, Leidsamkeit und Geduld eines Engels. Der Jüngerkuß selbst schon gibt der übermenschlichen Sanftmuth des Herrn Zeugniß; denn wie hätte der Apostat gerade dieses Zeichen zum Verräthersignal erwählt, wäre er sich nicht der Langmuth seines Meisters als einer unbegrenzten bewußt gewesen? So mußte er mit demselben Kusse, durch welchen er Ihn den Henkern überwies, den Herrn preisen, und unsre Vorstellung von der unendlichen Herablassung und Liebe, deren er Seitens des Meisters sich zu erfreuen gehabt, nur steigern, indem er ja nimmer sein Bubenstück gerade in die Larve der Vertraulichkeit zu verhüllen gewagt haben würde, wenn ihn nicht die tausendmal erprobte unendliche Leutseligkeit des Meisters dazu ermuthigt hätte. Ach ja, daß der Verräther es wagen durfte, so Ihm zu nahen, das beurkundet der Herr aufs neue theils durch seine leidendliche Hingebung an die erheuchelte Umarmung des Abtrünnigen, theils durch den Geist des Mitleids und der Milde, der sein letztes, ach sein Abschiedswort an ihn, durchathmet.

„Mein Freund“, beginnt der Herr mit wehmüthigem Ernste, „warum bist du gekommen?“ Wer hätte diese Lindigkeit hier erwarten sollen? Ein „Hebe dich von mir, Satan“, oder ein „Daß du verdammt wärest mit deinem Joabskuß, du übertünchtes Grab!“ wäre hier viel mehr an seinem Orte gewesen. Statt dessen tönt uns eine Stimme an, wie eines noch einmal zärtlich um die Seele seines tief verirrten Kindes werdenden Vaters Stimme. Allerdings aber würde ein Ausbruch flammender Entrüstung für den Verräther so vernichtend nicht gewesen sein, wie es dieser Hauch mitleidiger Liebe für ihn war. Das „Freund“, oder wie das grundtextliche Wort richtiger verdeutscht wird, „Genosse“, führt ihm noch einmal die ganze bevorzugte Stellung vor, deren er als ein in den Kreis der Vertrautesten des Herrn Aufgenommener gewürdigt worden war. Diese Anrede gemahnte ihn an die tausendfachen Erweisungen unaussprechlicher Freundlichkeit und Huld, mit denen er drei ganze Jahre hindurch in der unmittelbarsten Nähe und treusten Hirtenpflege des Holdseligsten der Menschenkinder sich überschüttet sah. Und wie hätte, wenn noch eine unverhärtete Stelle in seinem Herzen zurückgeblieben wäre, diese Rückerinnerung ihn ergreifen und zermalmen müssen! Es lag aber in der unverholenen Hindeutung des Herrn auf das Verhältniß traulicher Genossenschaft, in welchem Judas zu Ihm gestanden hatte, zugleich ein zerschmetterndes Gericht für die Meuterer, welche der Führung eines Menschen sich anzuvertrauen nicht errötheten, den sie selbst in ihren Herzen als einen Auswürfling ohne Gleichen verachten mußten. Ein Ehrloser, der sich nicht entblödete, einen treuen Freund und Brodherrn, von dem er nur Wohlthaten genossen, so tückisch und mit so verruchtem Undank preiszugeben, ja mit Füßen zu treten, trug ihnen die Fahne voran, und theilte unter ihnen die Tageslosung aus. Welche Erniedrigung lag darin für sie; welche Schmach und Schande! Doch der verhärteten Brut ging's in dem Augenblick nur um das Eine, daß Jesus falle, und seine ihnen so verhaßte Sache den Todesstoß empfange; und dieses mörderische Begehren nahm dergestalt ihre ganze Seele ein, daß darin selbst für die Interessen ihrer Ehre kein Raum wehr blieb. - „Genosse!“ spricht der Herr, und fährt dann fort:

„Zu was bist du gekommen,“ oder: „wozu stehst du hier?“ - Diese Frage, obwohl immer noch lockende Liebe athmend, treibt dem Verräther den Stachel des durchbohrenden Vorwurfs noch tiefer in's Mark. Zugleich aber läßt sie noch einmal die nachdrucksvollste Aufforderung an ihn ergehn, sich jetzt in diesem allerletzten Momente vor seinem schließlichen und rettungslosen Anheimfall an die Höllenmächte noch auf sein unseliges Unterfangen zu besinnen. „Wozu bist du da?“ - Wie ein schreckender Donner rollt dieses furchtbar inquisitorische „Wozu“ durch des Verräthers Herz. Im Nu ist sein Gewissen von seinem Todesschlaf erwacht, und fühlt sich wie von allmächtiger Hand vor die Schranken des Richterthrones Gottes fortgerissen. Fast ist dasselbe, nothgedrungen, schon im Begriff, auf das „Wozu“ Bescheid zu thun, und zwar den wahren und ungefälschten Bescheid, der den Verräther zu einem Kinde des Fluchs und einem Erben der Verdammniß gestempelt haben würde. Aber wie Judas diesen Durchbruch der Wahrheit in seinem Innern sich vorbereiten fühlt, stemmt er sich mit Macht gegen sein eignes Gewissen an, erstickt das Wort des Geständnisses gewaltsam auf des innern Richters Lippe, reicht diesem den Gift- und Zaubertrank erneueter Selbstbelügung, und bringt's mit der Geläufigkeit eines in so heilloser Kunst Erfahrenen und Geübten wirklich fertig, denselben auch diesmal wieder zum Verstummen zu nöthigen und zu betäuben. Da bleibt denn dem Heim nichts weiter übrig, als nun auch noch den Schlag auf seine Herzensthüre fallen zu lassen, welcher, wenn es auch ihm nicht gelingt, sich heilwirkend Bahn zu brechen, dem Verräther die Stelle des Glockenklangs vertritt, der ihm den Moment seiner vollendeten Todesreife und seiner ewigen Verwerfung anzeigt. Der Herr nennt ihn jetzt beim Namen, etwa, wie man einen Mondsüchtigen, den man nachtwandelnd einem Abgrunde entgegenschreiten sieht, bevor er in denselben hinabstürze, durch seines Namens Nennung aus seinem verhängnißvollen Traume zu wecken hofft. „Judas!“ spricht der Herr mit starker Betonung, als ob Er, damit zu seiner Rettung nichts unversucht geblieben sei, ihn auch noch bei seiner Ehre fassen und zu ihm sagen wollte: „Gedenkst du denn nicht, wie du, benannt nach dem edlen Kern- und Fürstenstamme des auserwählten Volkes, dessen Zweig du bist, von Kindheit auf durch die Bedeutung deines Namens schon zu einem Verherrlicher Gottes verordnet bist; und du vermagst es, jetzt so zu mir zu kommen?“ - „Judas!“ spricht der Herr. Und nachdem er den Mann genannt, bezeichnet er nun auch mit unverbrämten Worten seine That. Doch hören wir ihn auch jetzt noch in liebevollster Retterabsicht seiner Rede eine solche Wendung geben, als vermöchte er an die Möglichkeit des Vorhabens seines Jüngers wirklich noch nicht zu glauben. Dasselbe immer noch schonungsvoll, und mit erneuertem Aufruf an das Gewissen des unglückseligen Jüngers, in Frage stellend, spricht er: „Verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?“ - Jedes dieser Worte hat seinen Nachdruck. „Verräthst.“ - Furchtbares Wort, das nun endlich das Verbrechen in seiner Nacktheit hinstellt! - „Du.“ - Mein Vertrauter, der mein Brod aß, solltest du solchen Frevels fähig sein? - „Des Menschen Sohn.“ Ihn, der nur Liebes und Gutes dir erwies, aber einst nach Daniels Zeugniß zum Gericht in des Himmels Wolken wiederkehren wird, könntest du verlachen? - „Mit einem Kuß.“- Mit dem Zeichen der Befreundung und der Liebe verräthst du ihn?

- Judas, du konntest Liebe lügen, und Mord im Schilde führen?“ Der Herr fragt's, und Judas? - Ihr wißt, er hat in des Satans Kraft die Frage beantwortet mit jenem Verbrechen, das seinen Namen zur sprüchwörtlichen Bezeichnung des Gräßlichsten und Verruchtesten in der Welt gestempelt hat, und welches ihn, selbst mit dem Brandmal des göttlichen Fluchs an der Stirn, für ewige Zeiten als Schreckexempel für die Menschheit an den Pranger der Weltgeschichte stellte. - „Verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?“ Dies also der Abschiedsgruß, mit welchem der beklagenswerthe Jünger von dem einigen Retter der Sünder auf immer verlassen wird. Wehe dem Unglückseligen! „Nun ist er unser!“ triumphirt die Hölle, und vom Himmel her wird kein Einspruch dawider laut. Ueber des Judas Haupt aber rollt wie dumpfer Donner jene Frage heute noch dahin.

- Einst aber entkleidet sich das Wort seiner fragenden Form, und verwandelt sich dann in ein richterlich nacktes „Du verriethest des Menschen Sohn mit einem Kuß!“ -

Tief erschüttert, Brüder, gehn wir heute auseinander. Lassen wir aber, was wir angeschaut, zu seiner vollen Wirkung in uns kommen! Kein pharisäisches „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin, wie jener dort,“ schwäche diese Wirkung! Wir sind dem Keime nach, was er, und können's, ehe wir's uns versehen, auch der Entfaltung nach sein, wofern wir uns nicht bei Zeiten unter die Hut der Gnade stellen. Der Teufel hat nicht aufgehört, wie ein brüllender Löwe umherzugehn,

und zu suchen, welchen er verschlinge; und der Weg, der von der ersten Entwickelungsstufe der Sünde zu der letzten führt, ist, so lange wir uns selbst gelassen sind, oft schnell zurückgelegt. Säumen wir darum nicht, unsre Seele in Sicherheit zu bringen, und hüten wir unser Herz, wie eine von Feinden ringsum belagerte Stadt gehütet wird. Suchen wir aber die Schutzwehr da, wo sie allein zu finden ist: unter den Flügeln Christi; und machen wir den Seufzer des erleuchteten Sängers zu dem unsern:

Treib uns an,
Jesu, daß wir immer flehn,
Und an unsrer Kraft verzagen;
Laß uns stets die Feinde sehn.
Und die See in Händen tragen.
Hilf uns stündlich fort auf rechter Bahn;
Treib uns an!

Nimm uns ein,
Jesu, nimm uns ein und auf:
Nimm uns ein in deine Wunden,
Und nach wohlvollbrachtem Lauf
Nimm uns auf in letzten Stunden,
Daß wir in Dir völlig sicher sei'n;
Nimm uns ein! - Amen. -

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