Brenz, Johannes - Auslegung des Vaterunser - Die siebente Bitte:

Sondern erlöse uns von dem Übel.

Nun folgt die letzte Bitte, mit welcher sich zwar die Worte der Bitten in diesem Gebete des Herrn enden, mit welcher aber das Gebet selber nicht enden darf, sintemal dasselbe während dieses unseres Lebenslaufes ohne Unterlass geschehen soll. Es wird aber in dieser letzten Bitte mit dem einen und dem anderen Worte Alles kurz zusammengefasst, was uns zum Heile notwendig ist.

Und wie die vorhergehenden sechs Bitten ein Auszug und Inbegriff sind aller Psalmen und Gebete, die in der heiligen Schrift enthalten sind, so ist diese letzte Bitte ein Inbegriff der vorhergehenden Bitten und vornehmlich jener drei, die wir zuletzt erklärt haben. Ferner aber hat Gottes Sohn nicht uns allein so beten gelehrt: Erlöse uns von dem Übel! sondern hat selbst auch in der gleichen Weise für die ganze Kirche gebetet: „Ich bitte nicht (sagt er Joh. 17,15), dass du sie von der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Übel.“ So lasst uns denn verstehen, welches der Sinn dieser Bitte sei.

Erstens muss man darauf achten, dass Nichts darauf ankommt, ob man in unserer deutschen Sprache sagt: „erlöse uns von dem Übel!“ oder: „erlöse uns von dem Bösen!“ Beides lässt sich richtig sagen, so man es nur richtig versteht. Lasst uns nun betrachten, dass es dreierlei Übel gibt. Das Eine ist der Satan oder der Teufel selbst, welcher der Urheber alles Übels ist. Denn Gott ist nicht der Urheber des Übels, sondern der Teufel, wie wir an einem anderen Orte gezeigt haben. Das andere Übel ist die Sünde, deren Vater der Teufel ist, und die man das Übel der Schuld nennt. Das dritte Übel ist die Trübsal, welche man das Übel der Strafe nennt, und deren sich der Teufel zu bedienen pflegt, um die Menschen in Sünden und ins Verderben zu treiben und zu ziehen. Darum bitten wir zuerst, dass Gott uns vom Teufel erlöse, auf dass er nicht über uns herrsche, und uns in Sünden hineinziehe. Wir können aber vom Teufel nicht erlöst werden, es sei denn durch Gottes Sohn, unseren Herrn Jesum Christum, welcher den Teufel überwunden und über ihn triumphiert hat. Wir bitten also, Christus wolle für uns Sorge tragen und uns vor dem Angriff und Anlauf des Teufels schützen. Hebr. 2,14.15: „Nachdem die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er's gleichermaßen teilhaftig geworden, auf dass er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, und erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.“ 1. Joh. 3,8: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ Zweitens bitten wir, dass uns Gott der Vater vor der Sünde bewahre; denn die Sünde ist's, die uns dem Satan, dem Tode und der Hölle gefangen gibt. Endlich bitten wir, dass uns der himmlische Vater erlöse von den Trübsalen, welche gleichfalls ein Übel heißen, nicht zwar der Schuld, aber der Strafe. Wir bitten aber nicht, dass uns überhaupt keine Trübsale betreffen, weil wir in dieser Welt, so lange wir leben, Trübsalen unterworfen sind; und je frömmer Jemand sein wird, desto mehr Trübsale pflegt er zu erdulden; sondern wir bitten, dass wir in unseren Trübsalen von der göttlichen Hilfe nicht verlassen werden und nicht umkommen mögen. So deutet es auch Christus selber an einem anderen Ort, und spricht: „Ich bitte nicht, dass du sie von der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Übel.“ D. h. Ich bitte nicht darum, dass du meine Jünger von allem Unglück in dieser Welt erlösen, sondern dass du sie in dem Unglück, das ihnen in dieser Welt zu widerfahren pflegt, gnädig beschirmen und bewahren wollest, auf dass sie nicht umkommen.

Da hast du den Sinn dieser Bitte. Nun müssen wir dafür Sorge tragen, durch unsere Sorglosigkeit und Nachlässigkeit nicht zu verhindern, dass wir erhört werden. Denn so wir bitten, göttlich vom Übel erlöst zu werden, müssen wir uns mit höchstem Fleiß vor Sünden hüten, damit wir uns nicht selber durch Sünden dem Satan gefangen geben. Denn was würde es frommen, ob Jemand die Hilfe seines Fürsten anriefe, ihn vor einem Feinde zu verteidigen, inzwischen aber ein Überläufer würde und sich selber dem Feinde gefangen gäbe? So wird es Nichts frommen, wenn Jemand die Worte dieser Bitte mündlich herzählte, inzwischen aber fortführe, in seinen Sünden und Freveln zu wandeln. Danach muss man sich sorgfältig hüten, dass sich Niemand unbesonnen und ohne Gottes Beruf in Unglück oder Trübsale stürze. Wäre es denn nicht lächerlich, ja vielmehr unsinnig, wollte Jemand in unüberlegtem Wagnis, ohne einen gewissen Beruf Gottes, auf dem Wasser des Meeres wandeln und dabei zu Gott schreien: Erlöse mich von dem Übel!? Deshalb müssen wir nur auf das Eine bedacht sein, nachdem wir unseren Heiland Jesum Christum durch den Glauben erkannt haben, in seinem Berufe zu wandeln; dadurch allein wird es geschehen, dass wir nicht nur von einem und dem anderen Übel, sondern von allen Arten des Übels durch Jesum Christum erlöst werden.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Am Schluss der sieben Bitten vom Gebete des Herrn pflegt dieser Anhang hinzugefügt zu werden: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Etliche aber meinen, dieser Anhang sei dem Gebete des Herrn von Christo beigefügt worden. Andere aber glauben, weil Lukas in der Aufzeichnung dieses Gebetes denselben nicht hinzugesetzt, und er nicht in allen Exemplaren bei Matthäus sich vorfindet: er sei von den Alten dem Gebete des Herrn nach feierlicher kirchlicher Sitte angehängt worden, gleichwie am Schluss der Psalmen hinzugesetzt zu werden pflegt: Ehre sei dem Vater und dem Sohne usw.

Wie sich dieses jedoch verhalten mag, so ist dieser Anhang gewiss fromm und nützlich, und entnommen aus 2. Chron. 29,11: „Dir gebührt die Majestät und Gewalt, Herrlichkeit, Sieg und Dank. Denn Alles, was im Himmel und auf Erden ist, das ist dein; dein ist das Reich und du bist erhöht über Alles zum Obersten.“ Und 2. Chron. 20,6 spricht Josaphat: „Herr, unserer Väter Gott, bist du nicht Gott im Himmel und Herrscher in allen Königreichen der Heiden? Und in deiner Hand ist Kraft und Macht, und ist Niemand, der wider dich stehen möge.“

Dieser Anhang wird aber am Schluss vom Gebet des Herrn gesprochen, damit wir uns an die Gründe mahnen lassen, weshalb wir Gott, den himmlischen Vater, anrufen. Wir rufen nämlich nicht die Engel an, welche immerhin die mächtigsten Geister sein mögen, jedoch nicht Gott der Herr selbst sind, sondern nur Knechte und Diener. Wir rufen auch nicht den babylonischen oder den persischen oder den römischen König, oder irgend einen anderen Menschen an, entweder einen Erzvater oder einen Propheten, sei es hier auf Erden, sei es im Himmel. Etliche von ihnen sind zwar gewesen oder sind Könige auf Erden, können uns jedoch in wahren Versuchungen und in den letzten Gefahren nicht helfen. Und ob es schon viel Heilige gibt, so können sie dennoch in den Gefahren des Todes und der Hölle Anderen so wenig helfen, dass sie selbst in diesen Gefahren allein auf Gottes Gnade vertrauen und allein Gottes Hilfe anrufen müssen.

Wir rufen aber Gott den himmlischen Vater aus folgenden Ursachen an: erstens, weil sein ist das Reich; denn Gott allein ist der König des Himmels und der Erde. Und gleichwie er allein Alles geschaffen, so erhält und regiert er auch allein Alles durch seine Macht, sowohl das Leibliche als das Geistliche, sowohl das Irdische als das Himmlische. Es gibt auch unter den Menschen Könige, doch allein auf Erden, und sie schalten nur über irdische Dinge. Aber Gott allein ist der König des Himmels und der Erde, und waltet über Alles. Darum rufen wir ihn allein recht und fromm an, dass er uns sowohl die Notdurft dieser Erde als die Güter seines himmlischen Reiches zukommen lasse.

Zweitens: Sein ist die Kraft. Nun sind zwar auch Menschen und Engel mächtig, sind aber keine Selbstherrscher, d. h. an und für sich mächtig, sind auch nicht allmächtig, was doch notwendig wäre, so sie uns wahrhaft in allen Gefahren helfen könnten und angerufen werden sollten. Gott allein ist aber so mächtig, dass er aus sich selber Alles vermag, und daher in Wahrheit der Allmächtige heißt; denn er hat alle irdische und himmlische Dinge in seiner Hand und Macht. Jes. 66,1: „So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Stuhl, und die Erde meine Fußbank.“ Und wiederum Jer. 23,24: „Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllt? spricht der Herr.“

Im Gebete des Herrn erbitten wir das tägliche Brot. Können aber auch reiche Leute uns Brot geben, so können doch in wahrer Not, wenn der Himmel ehern wird, wie Mose redet, und die Erde eisern (5. Mose 28,23), oder wenn Feinde die Äcker verwüsten und Alles, was aufgespeichert war, plündern, die Reichen nicht einmal sich selber helfen, also hängen Alle, Arme sowohl als Reiche, von der himmlischen Hilfe ab. Denn es wird auch vergeblich gepflügt und gesät, wo Gott nicht das Wachstum gibt. Wir erbitten Vergebung der Sünden; wer aber, außer Gott, kann sie uns mit Gewissheit1) und Wahrheit geben? Gegeben zwar wird uns die Vergebung der Sünden auch durch die Pastoren und die Prediger des Evangeliums, das geschieht aber nur kraft ihres Amtes, jedoch aus Macht und Befehl Gottes allein. Wir erbitten, dass wir nicht in Versuchung geführt, sondern vom Übel erlöst werden, vom Satan, vom Tode und von der Hölle. Das kann außer Gott allein Niemand geben. Deshalb müssen wir Solches weder von Engeln noch von Menschen, sondern von Gott allein erbitten.

Endlich: Sein ist die Herrlichkeit. Die Herrlichkeit ist der Erwerb weiser, gerechter, beständiger, tapferer, maßvoller und gütiger Taten. Wer ist aber weiser in seinem Walten, wer beständiger und wahrhaftiger im Halten seiner Zusagen und Verheißungen, wer gütiger in der Vergebung der Sünden um Christi seines Sohnes willen, als der Herr, unser Gott? Da also die Herrlichkeit der Weisheit, der Wahrheit und der Güte allein Gott dem Herrn wahrhaft gebührt, so können wir ihn aufs sicherste anrufen und von ihm die gewisseste Erhörung und Heil erhoffen, sintemal er vermöge seiner Weisheit erkannt, was uns frommt, und ob seiner Wahrheit seine Verheißungen hält, und uns ob seiner Güte aufs geneigteste helfen will.

Was aber hinzugefügt wird: in Ewigkeit, das ist nicht zum Überflusse dazugesetzt; denn es bedeutet die ununterbrochene Fortdauer, und wird der menschlichen Kraft und Herrlichkeit gegenübergestellt. Denn auch Menschen haben Macht und Reiche, haben eine gewisse Herrlichkeit durch ihre Taten oder Tugenden, jedoch keine ewige, sondern eine irdische und kurze Zeit währende. Der Herr unser Gott allein ist der, dessen Reich und Kraft und Herrlichkeit ewig sind. Darum kann und soll er allein wahrhaft angerufen werden, auf dass wir auch die wahren, himmlischen Güter gewinnen.

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autoren/b/brenz/auslegung_des_vaterunser/brenz-vaterunser-7.txt · Zuletzt geändert: von aj
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