Körber, Emil - Der reiche Mann und der arme Lazarus.

Körber, Emil - Der reiche Mann und der arme Lazarus.

(27. August 1871.)

Text: Luk. 16, 19-31.
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, dass der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf, und sah Abraham von ferne, und Lazarus in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner, und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche, und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er, so bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er aber sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstünde.

Unser heutiges Evangelium, Geliebte, ist ein ernstes Evangelium; es durchbohrt wie ein zweischneidig Schwert Leib und Seele, und erschüttert Mark und Bein. Wir werden im Geiste an die Pforte der Ewigkeit gestellt: der Schleier, mit dem die unsichtbare Welt verhüllt ist, wird gelüftet, und wir dürfen einen Blick tun in den Himmel und in die Hölle. Der Heiland entrollt vor unsern Augen ein gewaltiges Bild: im Vordergrunde ist die Zeit, und im Hintergrunde ist die Ewigkeit. Wir sehen zwei Männer: der eine ist äußerlich glücklich in der Zeit, der reiche Mann, und in der Ewigkeit unglücklich; der andere, der arme Lazarus, ist äußerlich vor Menschen Augen in der Zeit unglücklich, und in der Ewigkeit glücklich und selig. Muss uns das Alles nicht ernste Gedanken erregen? Werden wir nicht durch dieses gewaltige Zeugnis im Grunde unseres Wesens bewegt und erschüttert? Fühlst du dich nicht angetrieben zur stillen Einkehr, zum Nachdenken über dich selbst und dein ganzes Leben, zur Buße und Bekehrung? O Geliebte, ich weiß wohl, und ihr wisst es so gut wie ich, dass Viele von unseren Mitmenschen und Mitchristen, vielleicht von denen, die uns ganz nahe stehen, spotten und lachen, oder ungläubig den Kopf schütteln und vornehm die Achsel zucken, wenn ihnen von Gott und Ewigkeit, von Himmel und Hölle geredet wird. Über solches sind gar Viele in unserem fortgeschrittenen Jahrhundert, das mit seinem Unglauben der Hölle und dem Gericht entgegenschreitet, längst weit erhaben; das sind Dinge, die, wie sie sagen, für Kinder und Frauen sich schicken, um ihnen Angst zu machen, aber Männer, starke Männer haben Anders zu denken, zu reden und zu tun, als um die Ewigkeit sich kümmern. O ihr starken Männer! ihr Helden des Grabes und der Verwesung! was wird aus euren Seelen werden? Wir aber nicht also! Es gibt eine unsichtbare ewige Welt; der Mund der ewigen Wahrheit, der nicht trügt und lügt, hat es bezeugt; die ganze heilige Schrift von Anfang bis zu Ende ist davon voll. Es gibt einen Himmel und eine Hölle, es gibt eine Vergeltung, nicht bloß im Diesseits, sondern im Jenseits, eine ewige Seligkeit und ewige Verdammnis. Es ist dem Menschen. gesetzt einmal zu sterben, danach das Gericht. Wir alle, ich und du, ja die ganze Welt muss offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, welcher geben wird einem Jeglichen nach seinen Werken, nachdem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse. O die Frommen haben es ewig gut, aber über die Gottlosen bricht herein ein unaussprechlicher Jammer. Diese Wahrheit wird uns durch das heutige Evangelium besonders nahe gelegt; wir reden deshalb

von dem reichen Manne und dem armen Lazarus,

und betrachten

  1. das traurige Bild des reichen Mannes,
  2. das freundliche Bild des armen Lazarus.

O du großer und ewiger Gott, erbarme dich unser! Du bist von Ewigkeit zu Ewigkeit; aber wir sind von gestern her, heute blühen und grünen wir, und morgen liegen wir im Grabe und unser Leib fällt der Verwesung anheim. Und doch leben wir so sicher und in den Tag hinein und kümmern uns so wenig um die Ewigkeit, um Buße und Bekehrung. O Herr, lass doch eine Erweckung unter uns stattfinden, lass dein Wort gewaltig in unsere Seelen fallen, dass wir uns aufmachen und uns kümmern um das, was ewig währt. Lass Keines von uns ungerührt und ungesegnet von dannen gehen und lehre uns allesamt wandeln auf dem schmalen Pfade, der zum Leben führt. O mache uns die Erdenluft und Sünde recht bitter, und die Himmelslust und Gnade, süß! Amen.

I.

„Es war ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden“. „Der Reiche aber starb und ward begraben“. „Als er nun in der Hölle und in der Qual war“. So lautet die Lebensgeschichte des reichen Mannes, und es ist auch nicht ein wichtiges Moment vergessen; es ist Alles gesagt, was zu sagen ist, sogar bis in die Ewigkeit hinein. Das Bild ist vollständig und ganz. Wahrlich, unser Herr und Heiland versteht es gar trefflich in kurzen Zügen ein meisterhaftes Bild zu entwerfen. Freilich ist es ein betrübtes und trauriges Bild, zum Weinen traurig. Sagt selbst, meine Lieben, ist es nicht jämmerlich und erbärmlich, wenn man von einem Menschen nichts Höheres und Edleres aussagen kann, als: er ist reich, er kleidet sich in Purpur und köstliche Leinwand, und lebt alle Tage herrlich und in Freuden. Das ist der Lebenslauf des reichen Mannes in unserem Evangelium. Er war ein Mann nach der Mode, ein Mann nach dem Zeitgeist, ein Lebemann, der nicht gegen den Strom schwamm, sondern Alles mitmachte. In seinem Hause lebte man auf einem hohen und feinen Fuße; Alles war aufs prächtigste ausgestattet und aufs eleganteste eingerichtet; was das Leben lieblich und angenehm macht, war bei ihm zu finden; kein Mangel, keine Entbehrung, keine Verleugnung, sondern Überfluss und Alles vollauf. Ein Vergnügen löste das andere ab, eine Freude rief der andern, eine Lust zog die andere nach sich; kein Tag verging, an dem nicht eine Herrlichkeit und Freude der Welt ihm zu Teil wurde. Irdische Lust, irdische Freude, irdisches Wohlleben, das war sein Element, er lebte und webte im Diesseits. Aber ach! der reiche und doch arme Mann hatte das Jenseits vergessen, Gott und Ewigkeit ist ihm aus dem Sinn gekommen. Wohl hörte man die Stimme des Lachens und Scherzens in dem herrlichen Haus, aber die Stimme des göttlichen Wortes war verstummt, Moses und die Propheten waren in tiefes Schweigen gehüllt. Wohl hörte man viele Gesänge nach Art der Welt in den Gemächern ertönen, aber Davids Psalmen waren vergessen, kein Lob- und Dank- und Bußlied wurde gesungen, keine Harfe geschlagen zur Ehre des Herrn Zebaoth. Wohl wurden in den Gesellschaften des reichen Mannes allerhand interessante, feine, unterhaltende Gespräche geführt, es fielen manche witzige und geistvolle Äußerungen; aber der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wurde mit keiner Silbe erwähnt, Niemand sprach von dem Messias, dem Heiland, der da kommen sollte, um sein Volk Israel und die Welt zu erlösen. Das wäre gegen den Ton des Hauses gewesen, damit wäre der Anstand und die Sitte verletzt worden.

Geliebte, dieses Bild des reichen Mannes ist ein betrübtes, trauriges Bild. Ja, wenn es wahr wäre, dass nach dem Tode Alles aus ist, dass Leib und Seele im Tode zu Grunde gehen, wenn es wahr wäre, was die Irrlehrer und Volksverführer sagen, was in unzähligen Büchern, Blättern und Zeitschriften in die Welt hinausposaunt wird, und eine betörte und verführte Menge nachbetet und glaubt als ein süßes Evangelium, als echte Weisheit und Philosophie, nämlich, dass es keinen Himmel, keine Hölle, keine Vergeltung und kein Gericht gebe, wenn dies wahr wäre, dann wollte ich sagen: der reiche Mann hat die wahre Lebensweisheit. Folgt seinem Vorbilde nach! sammelt euch Schätze, versüßt euch dieses kurze Erdenleben mit dem Schatten irdischer Güter, esst und trinkt, vertreibt euch die Langeweile mit allerhand Lust und Freude, denn morgen sind wir tot. Aber es ist eben nicht wahr. Wir haben eine unsterbliche Seele, und wer diese unsterbliche Seele vergisst in der Zeit, geht verloren in Ewigkeit. Darum ist das Bild des reichen Mannes ein betrübtes, trauriges Bild.

Aber wir wollen nicht bloß vom reichen Manne reden, wir wollen an uns selbst denken. Die Hand aufs Herz! Wie steht es mit dir und mir? Man braucht nicht reich zu sein, um irdisch gesinnt zu sein. Frage dich, liebes Herz, was ist dein Hauptstreben und die Aufgabe deines Lebens? Wohin geht vorzüglich und in erster Linie dein Dichten und Trachten? Geht es nach unten oder geht es nach oben? nach der Erde oder nach dem Himmel? Denkst du hauptsächlich darauf, dass du vorwärts kommst in der Welt, und dir ein ordentliches Vermögen erwirbst, und dich möglichst behaglich und bequem einrichtest? Das ist ja Alles recht und gut und erlaubt. Aber ist es deine Hauptsorge? O, so bist du um kein Haar besser in den Augen Gottes als der reiche Mann, und dein Teil wird sein bei ihm. Wohin geht dein Streben? Liegt dir vor allem das am Herzen, dass du einen Namen bekommst in der Welt, dass du Ehre und Ruhm erntest bei den Menschen und von einer Würde zur andern steigst? O lieber. Freund, so gehörst du zu den irdisch Gesinnten, deren Ende ist Verdammnis. Wie könnt ihr glauben, so ihr Ehre von einander nehmt, und die Ehre, die bei Gott ist, sucht ihr nicht! Darum, Geliebte, sammelt euch vor allem Schätze im Himmel, lasst eure erste und vornehmste Sorge sein, dass ihr haben mögt eine gewisse Zuversicht des ewigen Lebens, dass eure Namen im Himmel bekannt, genannt und angeschrieben sind. O dass wir doch den irdischen Sinn ganz verlieren möchten und den himmlischen Sinn anziehen lernten! O dass wir nicht vergäßen: wir sind hier unten nur Gäste und Fremdlinge und Pilgrime, droben ist unsere Heimat. O dass wir mit Paulus sagen könnten: Christus ist mein Leben! Christus ist mein Ziel, nach ihm geht mein Verlangen, in ihm lebe und webe ich, er ist mein Element. Sein Reich ist meine Liebe, sein Wort ist meine Freude, sein Kreuz ist meine Ehre und Ruhm.

Wenn ich ihn nur habe,
Wenn er mein nur ist,
Wenn mein Herz bis hin zum Grabe
Seine Treue nie vergisst:
Weiß ich nichts von Leide,
Finde nichts als Andacht, Lust und Freude.

Wenn ich ihn nur habe,
Lass ich Alles gern,
Folg' an meinem Wanderstabe
Treu gesinnt nur meinem Herrn,
Lasse still die Andern
Breite, lichte, volle Straßen wandern.

„Der Reiche aber starb und ward begraben“, so wird uns weiter erzählt. Ach was mag das für ein Sterben gewesen sein! Wie mag es im Herzen des Reichen ausgesehen haben, als der König der Schrecken vor seine Seele trat, als es hieß: tue Rechenschaft von deinem Haushalte! Nun musste er fort von seinen prächtigen Gemächern, fort von aller Bequemlichkeit und Behaglichkeit, fort von allen Gesellschaften und lustigen Kameraden - allein, allein muss seine Seele gehen den dunkeln Pfad des Todes, in eine finstere öde Nacht! Wohl wird sein Leib aufs prächtigste bestattet und feierlich beigesetzt, ein herrliches Leichenbegängnis wird ihm zu Teil; aber wo ist seine Seele? Geliebte, auch wir müssen sterben; bei Keinem von uns wird eine Ausnahme gemacht. Alle, welche das Licht der Welt erblicken, müssen im Tod entschlafen. Kein Mensch ist so reich, er muss sterben; kein Mensch ist so vornehm, er muss sterben; kein Mensch ist so gelehrt, er muss sterben; kein Mensch ist so gewaltig, er muss sterben. Und wenn Einer sein ganzes Leben hindurch sich unter kein Gesetz, auch unter Gottes Gesetz nicht beugen wollte, endlich muss er seinen stolzen Nacken demütigen und beugen unter das eiserne Gesetz des Todes.

Alles stirbt, das Ird'sche findet
In dem Irdischen sein Grab,
Alle Lust der Welt verschwindet
Und das Herz stirbt selbst ihr ab.
Ird'sches Wesen muss verwesen.
Ird'sche Flamme muss verglüh'n,
Ird'sche Fessel muss sich lösen,
Ird'sche Blume muss verblüh'n.

Wir müssen Alle sterben; du und ich, wir können dem Tode nicht entfliehen. Der Arm, den ich ausstrecke, wird früher oder später im Grabe liegen; der Mund, welcher redet, wird einst verstummen; das Auge, das hell leuchtet, wird im Tode brechen; der ganze Leib wird in der Erde ruhen und verwesen. Wir sind hier Alle in Gottes Haus versammelt; lasst zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig Jahre vergehen, so wird keines von uns mehr am Leben sein, wir sind dem Tode, der Verwesung anheimgefallen, und unsere Nachkommen werden auf unserem Staube wandeln, ohne daran zu denken. Ach wie gar Nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Ach Herr, du lässt uns dahin fahren wie einen Strom, und wir sind wie ein Schlaf, gleich wie ein Gras, das da frühe blühet und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorrt. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden!

„Der Reiche starb und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hub er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und fühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ meine Freunde, welch' schreckliche, grauenhafte Veränderung! Vorher in einem palastähnlichen, herrlichen Hause, in lieblichen, angenehmen Gemächern, und nun in der Hölle; vorher in Freuden, nun in Klagen; vorher in Wollust, nun in der Pein; vorher in Freiheit, nun in Banden; vorher in Ehren, nun in Schanden; vorher in Ruhe, nun in Qual. O ein erbarmungswürdiger Zustand! Ferne von Gott und den seligen Geistern, in der Gemeinschaft der höllischen Mächte, in dunkler Nacht, verzehrt von den nie erlöschenden Feuerflammen quälender Gewissensbisse. Ach der Zustand der unseligen Geister nach dem Tode ist grauenhaft, so dass es mir schwer wird, noch weiter davon zu reden. Die Unseligkeit der Verdammten wird besonders auch darin bestehen, dass sie von der heißen Glut ihrer ungestillten sündlichen Leidenschaften verzehrt werden. Denn der Mensch wird durch den Tod nicht geläutert und verklärt, wie so Viele meinen in törichtem Wahne. Nein, wer hier nicht durch das Blut Jesu Christi versöhnt, abgewaschen, geheiligt und gereinigt ist, der nimmt in die Ewigkeit hinüber seine unbezähmten Lüste und Begierden, die dort noch gewaltiger hervorbrechen, ohne dass eine Möglichkeit vorhanden ist, sie zu stillen und zu befriedigen. Der Unreine und Unkeusche nimmt seine unkeuschen Gelüste mit in die Ewigkeit, aber er hat keine Opfer mehr, seine Wollust zu befriedigen; der Geizige nimmt seinen Geiz mit, aber sein Gold und Silber ist ihm entschwunden; der Trunkenbold nimmt seinen unersättlichen Durst mit, aber da sind keine Getränke mehr zu finden. O das ist ein Wurm, der nicht stirbt, ein Feuer, das nicht erlischt. Hier ist kein Heil mehr, die Gnadenzeit ist vorbei, die Zeit des Erbarmens ist verschwunden. Es gibt keine Änderung oder auch nur Milderung des qualvollen Zustandes der Unseligen; Lazarus darf nicht einmal das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauchen und die Zunge des Reichen kühlen; es gibt überhaupt keinen Übergang von der Verdammnis in die Seligkeit und umgekehrt, sondern es ist eine große Kluft befestigt, das Los ist auf ewig entschieden. O meine Lieben, es wird mir zu schwer, hievon weiter zu sprechen. Ich kann nur bitten, inständig bitten: Versäumet die Gnadenzeit nicht! Tut Buße, so lange es heute heißt, und glaubt an das Evangelium. Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre. Irret euch nicht, Gott lässt seiner nicht spotten. Unser Gott ist ein verzehrend Feuer. Heilig, heilig ist Gott der Herr. Es bleibt bei dem, was geschrieben steht: Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf das Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.

Das Bild des reichen Mannes ist ein dunkles Trauerbild; wir wenden uns von demselben ab und betrachten

II.

das freundliche Bild des armen Lazarus.

„Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Türe voller Schwären, und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären.“ Wie! dieses Bild soll ein freundliches Bild sein? Kann man sich denn einen unglücklicheren Menschen vorstellen, als Lazarus? Arm, ohne Obdach und Heimat, ja bettelarm, so dass er zufrieden sein muss mit den Brosamen, die von des Reichen Tische fallen; dazu eine gebrochene Gesundheit, ja so krank, dass er voll Eiter und Schwären ist; dazu von den Menschen verlassen, ohne Freunde, nur die Hunde kamen und leckten ihm seine Schwären. Wahrlich, das ist ja lauter Unglück zusammengefasst in einer Person! Und doch, meine Lieben, was ich gesagt habe, das sage ich noch einmal: das Bild des Lazarus ist ein liebliches, freundliches Bild für den, der ein Auge hat zu sehen. Könnt ihr nicht schauen im Geiste das stille Antlitz des Lazarus, auf dem der Friede Gottes ausgegossen ist, das milde Auge, das glaubensvoll zum Himmel aufschaut?

Hört ihr nicht das stille Gespräch seines Herzens mit dem Gott Israels: Dennoch bleibe ich stets bei dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, wie ein Vater sein Kind, du leitest mich nach deinem Rat, und nimmst mich endlich mit Ehren an, wenn ich auch jetzt in Schmach und Schanden am Boden liege. Wenn ich nur dich habe, obgleich alle Menschen mich verlassen, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; und ob mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

So sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes. Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. - O glücklicher Lazarus mitten im Unglück! denn du hast Glauben im Herzen und dein Gott ist bei dir! Ja, Geliebte, fasst es doch: Christen, die im lebendigen Glauben an ihren Herrn und Heiland durchs Leben pilgern, sind glückliche Leute; ihr Bild ist ein liebliches Bild, auch wenn Kreuz und Leiden sie drückt und verunstaltet.

Es glänzet der Christen inwendiges Leben,
Obgleich sie die Hitze des Tages verbrannt;
Was ihnen der König des Himmels gegeben,
Ist keinem als ihnen nur selber bekannt;
Was Niemand verspüret,
Was Niemand berühret,
Hat ihre erleuchteten Sinne gezieret
Und sie zu der göttlichen Würde geführet.

O meine Brüder, das Herz geht mir weit auf; dass ich euch doch recht reizen und locken könnte zu einem ernsten Christentum, das allein den Menschen glücklich macht auch in den Leiden dieser Zeit! Ach wie viele unserer Mitmenschen und Mitchristen, vielleicht auch Mancher unter uns geht dahin düster, mit sich und der Welt zerfallen, traurig und schwermütig, unzufrieden mit seinem Schicksal, oft der Verzweiflung nahe. Lieber Freund, lass mich an dein Herz kommen, lass mich dir es frei heraussagen, was du nötig hast: Eins ist Not! der lebendige Glaube. Sieh den Reichen an! Er ist unglücklich trotz seines Reichtums, denn er hat seinen Gott vergessen! Sieh den Armen an! Er ist glücklich mitten in seinem Jammer, denn er hat den Glauben im Herzen und lebt mit Gott. O lieber Freund! Eins ist Not - Jesus Christus, der Heiland der Welt, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Eins ist Not! der Mann am Kreuz auf Golgatha, der dort hängt zwischen Himmel und Erde in unsäglichen Schmerzen und ruft: mich dürstet, es ist vollbracht! der eine ewige Erlösung erfunden hat und gerecht macht Alle, die durch ihn zu Gott kommen und lebt immerdar und bittet für sie. Ja Jesus Christus tut uns Not, uns Allen, auf dass wir glücklich seien im Leben, Leiden und auch im Sterben.

„Es begab sich aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.“ Nun vollends wird das Bild des armen Lazarus ganz freundlich, ganz licht und helle. Auch die Nacht des Todes und Grabes verschwindet, das dunkle Tal des Todes mündet ein in die seligen, lichten Auen der frohen Ewigkeit. Der Reiche fährt hinab an den Ort der Qual, in die Dunkelheit und Finsternis; Lazarus kommt in das Land des Lichtes, da Freude die Fülle ist und lieblich Wesen zu Jesu Rechten ewiglich. Er, der auf Erden keinen Freund hatte, und von der menschlichen Gesellschaft wie ausgestoßen war, so dass nur die Hunde sich seiner erbarmten, er kommt in die Gesellschaft der seligen Geister und wird getragen von den Engeln in Abrahams Schoß; er darf genießen den innigsten, vertraulichsten Umgang mit den vollendeten Gerechten, mit den Patriarchen, mit den Königen, Propheten, Priestern und Sängern des Alten Bundes. O Geliebte, die Christen haben eine selige Hoffnung der Ewigkeit. Die Welt geht nicht auf in dieser Sichtbarkeit, in dieser sichtbaren Erde und diesem sichtbaren Himmel; diese werden vergehen. Aber es gibt einen unsichtbaren, ewigen Himmel der Seligkeit. Es gibt ein Erbteil der Heiligen im Licht, ein Erbe, unverweslich, unverwelklich, unbefleckt. Da ist kein Tod mehr, keine Verwesung, kein Welken, keine Sünde und Befleckung, sondern ewiger Frühling, ewige Seligkeit und Herrlichkeit, und vollendete Reinheit. Da wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein, da wird man sagen: Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich. Ja die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten; sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

O wie unaussprechlich selig
Werden wir im Himmel sein!
Da, da ernten wir unzählig
Unsres Glaubens Früchte ein.
Da wird ohne Leid und Zähren
Unser Leben ewig währen.
Gott, zu welcher Seligkeit
Führst du uns durch diese Seit!

Was soll ich weiter sagen? Wir wollen es allesamt Gott sagen! O großer Gott, du hast uns in deinem Worte Himmel und Hölle, Seligkeit und Verdammnis vor Augen gestellt. Lass dein Wort nicht vergeblich gepredigt sein. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Herr, sieh an dieses große Volk, diese unsterblichen Seelen; lass nicht eine verloren gehen, und lass uns allesamt einst vor deinem Throne wieder versammelt werden, wie wir hier in deinem Hause versammelt sind, auf dass wir uns freuen mit unaussprechlicher, seliger Freude. Amen.

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