Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 57.

Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 57.

(1) Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme, da er vor Saul floh in die Höhle. (2) Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig; denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorüber gehe. (3) Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der meines Jammers ein Ende macht. (4) Er sendet vom Himmel, und hilft mir von der Schmach meines Versenkers, Sela. Gott sendet seine Güte und Treue. (5) Ich liege mit meiner Seele unter den Löwen. Die Menschenkinder sind Flammen, ihre Zähne sind Spieße und Pfeile, und ihre Zungen scharfe Schwerter. (6) Erhebe dich, Gott, über den Himmel, und deine Ehre über alle Welt. (7) Sie stellen meinem Gange Netze, und drücken meine Seele nieder; sie graben vor mir eine Grube, und fallen selbst darein, Sela. (8) Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe. (9) Wache auf, meine Ehre, wache auf, Psalter und Harfe; frühe will ich aufwachen. (10) Herr, ich will dir danken unter den Völkern, ich will dir lobsingen unter den Leuten. (11) Denn deine Güte ist so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit so weit die Wolken gehen. (12) Erhebe dich, Gott, über den Himmel, und deine Ehre über alle Welt.

Eine fromme Seele findet überall auf Erden ihre Kirche. Kein Ort ist ihr zu unheilig oder zu weltlich, zu finster oder zu eng, wo sie nicht Gott finden, an Gott gedenken, zu Gott beten könnte. Daniel hat in der Löwengrube so gut zu Gott gebetet, als daheim in seinem heiteren Sommerhaus mit den offenen Fenstern gegen Jerusalem. Paulus hat im finstern Kerker zu Philippi Gott mit lauter Stimme gelobt so gut, als mitten in der versammelten Gemeinde zu Ephesus und Troas. Der Heiland hat ein Schifflein auf dem See Genezareth zu seiner Kanzel gemacht so gut, als ein andermal jenen Berg, auf dem er seine Bergpredigt hielt. Auch unser David hat seinen Gott gefunden und zu seinem Gott gebetet allerorten in seinem wechselvollen Leben. Nicht nur auf seiner königlichen Zionsburg von seinem luftigen Söller herab haben die Saiten seiner Harfe geklungen, nein auch in wilder Wüste zwischen Klippen und Felsen hat er seine Psalmen gesungen, und diesmal ist gar eine finstere Höhle seine Betkapelle. Das deutet er uns an:

V. 1: „Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme, da er vor Saul floh in die Höhle.“ Das war jene merkwürdige Höhle in der Wüste Engeddi, wo David Zuflucht fand mit dem Häuflein seiner Getreuen und sich versteckt hielt vor Saul und dessen Heeresmacht; jene denkwürdige Höhle, wo Gott den König einmal in Davids Hand gab, und der edelmütige David sein schonte und nur einen Zipfel von des Königs Mantel schnitt. (1. Sam. 23.24.)

Damals nun, als David im stillen Dunkel dieser Höhle ängstlich abwartete, bis das Verderben vorüber sei, damals als sein Leben an einem Haare hing, wenn Saul oder einer seiner Begleiter ihn aufgespürt hätte, damals hat David diesen Psalm gesungen, der in seiner Glaubensfreudigkeit mehr wie ein Lobpsalm klingt als wie ein Klagepsalm; diesen Psalm, der durch die dunklen Gewölbe jener Höhle wiederklang so lieblich und kräftig, als hätte ihn David unter den hohen Hallen eines prächtigen Tempels gesungen.

Ja, wo ein gläubig Herz zu seinem Gotte betet, da wird auch das niedere Kämmerlein, da wird der feuchte Kerker, da wird die finstere Höhle zu einer Betkapelle, zu einer Kirche, zu einem Dom, darinnen man's fühlt: Hier ist nichts Anderes denn Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels. Lasst uns in diesem Psalm sehen:

Davids Felsenhöhle als Betkapelle.

Alles finden wir darin beisammen, was zu einer Kapelle gehört:

1) Ein erhabenes Gewölbe,
2) leuchtende Fenster,
3) feste Fundamente,
4) einen heiligen Altar,
5) eine liebliche Orgel,
6) eine andächtige Gemeinde.

1) Ein erhabenes Gewölbe sieht David gleichsam über sich in der finstern dunklen Höhle, wenn er singt:

V. 2: „Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig; denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorübergehe.“ Finster und enge mochten dort die Klüfte über seinem Haupte sich wölben, feucht mochte es heruntertropfen von den überhängenden Felsen. Und doch, David ist wohlgeborgen, fühlt sich hoch erhoben im Geist, als wölbte sich eine Tempeldecke

über seinem Haupt, so hoch als die Schwibbögen dieser Kirche da. Die Flügel der göttlichen Allmacht und Liebe, die sind das Gewölbe über ihm, die sind die Decke über seinem Haupt. Er fühlt's: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.

Lasst's auch uns nicht vergessen, wo wir sind: ob wir hier sind unter den hohen Kirchenhallen oder daheim unter der niedrigen Decke unseres Kämmerleins, ob freundlich der blaue Himmel sich über uns wölbt wie eine saphirne Kuppel, oder ob schwere Wetterwolken herniederhängen über unser Haupt; lasst's uns nicht vergessen: Unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorübergehe! Deine schützende Allmacht, deine schirmende Liebe, das ist die sichere Decke, die über meinem Haupte sich wölbt allenthalben auf Erden. Aber nicht nur ein erhabenes Gewölbe hat David über seinem Haupt in der Höhle Engeddi; nein, es tun sich ihm auch auf, wie in einer lieblichen Kapelle,

2) leuchtende Fenster. Tiefes Dunkel mochte ihn umgeben in jener Felsenkluft, so dass er kaum die Hand sah vor seinem Auge, so dass kaum vom fernen Eingang der Höhle her ein blasser Lichtstrahl herschimmerte in den finstern Schlupfwinkel, darin David verborgen lag. Und doch im Geiste sieht er den Himmel offen; sein Glaube tut ihm gleichsam ein leuchtendes Fenster auf in der dunklen Felsenmauer, ein leuchtendes Fenster, durch das David emporschaut zu seinem Gott und durch das Gott herniederschaut zu ihm. Durch dieses Glaubensfenster schaut David empor, wenn er spricht:

V. 3: „Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der meines Jammers ein Ende macht.“ O dieses Fensterlein des Glaubens lass auch du dir nie versperren, liebe Seele, dadurch du aus allem Dunkel, das dich umgibt, emporschaust zum hellen lichten Himmel; diesen Ausblick lass dir nie rauben, den Aufblick zu deinem Gott über dir, zu Gott, dem Allerhöchsten, der hoch über den Wolken und Stürmen dieser Erde thronet in seinem ewigen Licht, in seiner seligen Majestät; den Aufblick zu Gott, dem Ewigtreuen, der zuletzt allem Jammer der Seinen ein Ende macht. - Wie Noah in seiner Arche oben ein Fenster machte, um wenigstens ausblicken zu können gen Himmel, wenn er auch auf Erden nichts um sich sah als die endlosen Gewässer der Trübsal, so, liebe Seele, halt du dir auch allezeit, wo du bist, auch in der dunklen Tränenkammer, ein Fensterlein des Glaubens offen gen Himmel, dadurch du emporblickst zu Gott und dadurch Gott herniederblickt zu dir.

V. 4: „Er sendet vom Himmel, und hilft mir von der Schmach meines Versenkers, Sela. Gott sendet seine Güte und Treue.“ Des tröstet sich David in seiner dunklen Höhle: Vom Himmel blickt mein Gott auf mich hernieder und sendet mir in meine Nacht Licht, Kraft und Trost hernieder. Ja wie durch die Fenster hier Gott seine Sonnenstrahlen herniedersendet, um diese dunklen Räume zu erhellen mit lieblichem Licht, so sendet Gott, wenn nur ein Fenster da ist, ein Glaubensfenster, Licht, Trost und Kraft hernieder in unsere Seele, also dass es oft auf einmal Licht um uns wird in der dunklen Tränenkammer und auch die dunkle Trübsalsnacht uns himmlisch erhellt wird und die zagende Seele es erfährt: Gott sendet seine Güte und Treue, wie Schubart es erfuhr in seinem engen Gefängnis zu Hohenasperg:

Willst du, Herr von meinem Leben, Diese Seligkeit mir geben, So wird auch die Leidensnacht Mir zum heitern Tag gemacht.

Dazu sagt unser alter Ausleger (Frisch: neuklingende Harfe Davids): Dies sind die zwei Ordinarboten Gottes, die er den Seinigen zu Hilfe sendet: der erste Bote ist Gottes Güte, damit er der Seinigen sich erbarmt; der andere Bote ist Gottes Treue oder Wahrhaftigkeit, womit er seiner Verheißungen gedenkt. Selig das Kämmerlein, darein diese Boten Gottes eingehen wie freundliche Engel, wie leuchtende Sonnenstrahlen. Blick nur getrost gen Himmel empor, gläubige Seele, und wär's so dunkel um dich wie dort um David in der Höhle Engeddi, Gott blickt dennoch zu dir nieder, Gott hat auch für dich seine Boten bereit: er sendet dir seine Güte und Treue.

Jetzt zwar noch ist's dunkel um David. Ihm ist's, als sähe er blutdürstige Tigeraugen funkeln, grimmige Löwenzähne dräuen in der finstern Höhle. Da klagt er denn:

V. 5: „Ich liege mit meiner Seele unter den Löwen; die Menschenkinder sind Flammen (brennen von Bosheit), ihre Zähne sind Spieße und Pfeile und ihre Zungen scharfe Schwerter“ (mit ihren verleumderischen Lästerzungen suchen sie mich zu verderben). Aber im Glauben an den Gott, der alle Macht der Mächtigen zerschellen und alle Bosheit der Bösen vernichten kann, setzt er hinzu:

V. 6: „Erhebe dich, Gott, über den Himmel und deine Ehre über alle Welt.“ Und wenn auch seine Feinde ihm Netze stellen und Gruben graben, er weiß, sie kommen am Ende nur selber drin um, wie er das zuversichtlich ausspricht:

V. 7: „Sie stellen meinem Gange Netze und drücken meine Seele nieder; sie graben vor mir eine Grube, und fallen selbst darein, Sela.“ Das ist der feste Grund und Boden, darauf David steht,

3) das Fundament seiner Betkapelle; so schlüpfrig auch der Boden, so uneben und unsicher auch der Grund sein mochte dort in der Höhle Engeddi, dennoch steht David auf festem Grund, denn er steht auf dem Felsengrund der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit. Auch wir, Geliebte, wenn unser Lebenspfad schlüpfrig wird, wenn Abgründe vor uns sich auftun und die Feinde uns Gruben graben, auch wir wollen uns stellen auf den Felsengrund der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit; auf Gott wollen wir bauen, dann haben wir festen Boden unter uns, wie hier auf den festen Steinplatten, auf den gewaltigen Fundamenten dieser Kirche. Wer Gott und seinem Wort vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut.

Immer schöner, lichter wird's nun in Davids Höhle.

4) Auch einen Altar sehen wir dort in seiner Betkapelle, in der Höhle zu Engeddi; diesen Altar nennt er, wenn er sagt:

V. 8: „Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe.“ Kennest du, lieber Christ, den Altar, der Gott am liebsten ist, lieber als der herrlichste Hochaltar, von Marmor erbaut, mit Gold geschmückt, mit Samt bedeckt der liebste Altar deinem Herrn und Gott, das ist ein frommes Herz, ein Herz brennend von Liebe zu Gott, ein Herz bereit zum Lob und Preis des Herrn. Diesen Altar sollten wir alle in uns tragen; auf diesem Altar sollten wir unserem Gott recht fleißig anzünden die Opfer unserer Andacht, das wäre unserem Gott ein süßer Geruch. Wo so ein Altar ist, da fehlt's dann auch nicht

5) an der Orgel, dem Herrn zu lobsingen.

Eine Orgel, wie die dort mit ihren gewaltigen Pfeifen war freilich nicht in Davids Höhle; ob er seine liebe Harfe mit sich geführt hat auf der Flucht, wissen wir auch nicht; aber doch ward jene Höhle eine liebliche Stätte des Lobgesangs; doch ruft er fröhlich aus:

V. 9: „Wache auf, meine Ehre (meine Seele), wache auf, Psalter und Harfe; frühe will ich aufwachen.“ Sein Gott geweihter Mund, seine zur Andacht gestimmte Seele, das war seine Orgel; seine gläubigen Gebete, das waren die Lieder, die heller als Orgelton und Glockenklang durch jene Höhle hintönten und sie wahrhaft zu einer Betkapelle und einem Gotteshaus weihten. „Frühe will ich aufwachen.“ Ein alter jüdischer Rabbi bemerkt zu diesem Vers: David habe seine Harfe über seinem Bett aufgehängt gehabt an der Wand. Wenn nun um Mitternacht oder in der ersten Morgenfrühe ein Windhauch hereingesäuselt habe zum offenen Fenster, so haben die Saiten an der Harfe von selber leise geklungen und haben den schlafenden König geweckt, dass er frühe aufgewacht sei und habe die Harfe in die Hand genommen zum Lobe seines Gottes. Wie dem auch sei - auch du, o Christ, sollst deine Harfe haben, nicht an der Wand nicht in der Hand, sondern da drinnen in deiner Brust. Ein fröhliches Herz, allezeit gestimmt zu Gottes Lob und Preis, ein frommer Mund, allezeit bereit zum Bekenntnis seines heiligen Namens - das ist die rechte Davidsharfe, das ist die rechte Orgel, dadurch auch unser Haus zu einem Gotteshaus, auch unser Kämmerlein zu einer Betkapelle soll werden. O wie lieblich ist's in einem Hause, wo statt mürrischen Schweigens oder statt leichtfertigen Lachens oder statt hässlichen Zankens die rechte Hausorgel sich hören lässt: Gottes Wort und tägliches Gebet. Gedenkt, Geliebte, der Mahnung des Apostels: Lehrt und vermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singt und spielt dem Herrn in euren Herzen. Wo man solche Stimmen hört, da sammelt sich dann auch größer oder kleiner

6) eine Gemeinde um den Herrn. David hatte seine andächtige Gemeinde um sich dort in seiner Höhle, nur seine treuen Spießgesellen waren um ihn gelagert mit Schild und Speer. Und doch sieht er im Geist schon eine Gemeinde um sich versammelt, der er einst singen will von dem, was Gott Großes an ihm getan. Und so im Angesicht aller Gläubigen, ja vor den Ohren aller Welt schließt er im Triumphton seinen Psalm:

V. 10-12: „Herr, ich will dir danken unter den Völkern, ich will dir lobsingen unter den Leuten. Denn deine Güte ist so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit so weit die Wolken gehen. Erhebe dich, Gott, über den Himmel, und deine Ehre über alle Welt.“ Zu dieser großen Gemeinde, welcher David singt, heute noch singt von der Güte Gottes, die da reicht so weit der Himmel ist, und von seiner Wahrheit, die da geht so weit die Wolken gehen, zu dieser großen Gemeinde gehören auch wir. Wollen wir nicht auch einstimmen mit David, mit dem Sänger dort in der Felsenhöhle in den Preis des gnädigen Gottes? Ja, Herr, mach du unsere Herzen zu deinen Tempeln, unsere Häuser zu deinen Bethäusern. Die Tempeldecke über unserem Haupt, das sei deine Allmacht und Liebe. Die Fenster, dadurch wir aufschauen zu dir, unser Glaube; das Fundament, darauf wir stehen, deine ewigen Verheißungen; der Altar, darauf dir die Opferflamme brennt, unser Herz; die Orgel unser Mund, die Gemeinde, die wir um uns sehen, die Gemeinschaft aller Gläubigen im Himmel und auf Erden; so lass uns dir dienen hienieden, bis wir dir droben lobsingen in deinem himmlischen Tempel:

Noch sing ich hier aus dunkler Ferne
Gott meines Lebens, dir mein Lied,
Wenn einst weit über alle Sterne
Dich mein verklärtes Auge sieht,
Dann schallet dir im Jubelklang
Der Überwinder mein Gesang.
Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/g/gerok_k/gerok_predigten_zum_psalter/psalter_gerok_057.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain