Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Gott ist allein zu lieben.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Gott ist allein zu lieben.

Verbinde dich dem Herrn durch Liebe.

Erhebe dich, gläubige Seele, und liebe jenes höchste Gut, in welchem alle Güter enthalten sind, ohne welches es kein wahres Gut gibt. Kein Geschöpf kann unser Verlangen stillen, weil kein Geschöpf das Gute vollkommen, sondern nur zum Theil besitzt. Ein Bächlein des Guten strömet ihm zu von der Gottheit, aber die Quelle bleibt immer in Gott: warum also wollten wir die Quelle verlassen und dem Bächlein folgen? Alles Gute in den Geschöpfen ist ein Abbild jenes vollkommenen Guten, das in Gott, ja das Gott selbst ist: warum also wollten wir am Abbilde hangen und die Sache selbst verlassen? Die Taube, welche Noah aus der Arche gelassen hatte, konnte, so lange das Gewässer über die Erde sich ausbreitete, nicht finden, da ihr Fuß ruhen konnte 1 Mos. 8, 8. 9: so kann auch unsere Seele in der Menge aller der unterm Mond befindlichen Dinge nichts finden, was ihre Sehnsucht völlig stillen könnte, weil jene nur zu unbeständig und vergänglich sind. Fügt sie sich also nicht selbst Schaden zu, wenn sie etwas liebt, was an ihre Würde nicht reicht? Denn unsere Seele ist edler als alle Geschöpfe, denn sie ist erlöst durch das Leiden und den Tod deß, der Gott war und ist. Warum also wollte sie die Geschöpfe lieben? Ist das nicht der Herrlichkeit, zu der sie Gott erhoben hat, zuwider? Was wir lieben, das lieben wir entweder wegen seiner Macht, oder seiner Weisheit, oder seiner Schönheit: was ist aber mächtiger als Gott, was weiser als Gott, was schöner als Gott? Alle Macht weltlicher Könige ist von ihm und unter ihm; alle Weisheit der Menschen ist im Vergleiche zu der göttlichen, Thorheit; alle Schönheit der Geschöpfe ist im Vergleiche zu der göttlichen Mißgestalt.

Wenn ein sehr mächtiger König durch Abgesandte um die Hand einer Jungfrau von geringer Herkunft und Lage würde, würde nicht diese Jungfrau thöricht handeln, wenn sie den mächtigsten König nichts achten und den armen Abgesandten und Dienern des Königs anhangen wollte? So hat Gott durch alle Schönheit der Geschöpfe uns zu sich rufen, zu seiner Liebe uns erwecken wollen; warum also hängt unsere Seele, die Christus als Bräutigam begehrt, den Geschöpfen an, die gleichwie Abgesandte von ihm sind um dieser geistlichen Vermählung willen? Die Geschöpfe rufen selbst: Warum bleibt ihr an uns hängen? Warum stellt ihr auf uns das Ziel eures Verlangens? Wir können eure Sehnsucht nicht stillen, machet euch hin zu dem, der unser beider Schöpfer ist! Von den Geschöpfen ist wechselseitige Liebe nicht zu erwarten, von den Geschöpfen nimmt auch keine Liebe gegen uns ihren Anfang; aber Gott, der die Liebe ist 1 Joh. 4,16, kann nicht anders als den lieben, der ihn liebt, ja mit seiner Liebe kommt er allem unsern Verlangen und aller unserer Liebe zuvor. Wie sehr ist also der zu lieben, der uns zuerst so sehr geliebt hat? Er hat uns geliebt, da wir noch nicht waren; denn der göttlichen Liebe ist es zuzuschreiben, daß wir in diese Welt gekommen sind. Er hat uns geliebt, da wir noch Feinde waren; denn der göttlichen Erbarmung und Liebe ist es zuzuschreiben, daß er den Sohn zum Heiland gesandt hat. Er hat uns geliebt, da wir in Sünden gefallen waren; denn der göttlichen Liebe ist es zuzuschreiben, daß er nicht sofort, wenn wir uns versündigen, uns dem Tode übergibt, sondern unsere Bekehrung erwartet. Zur göttlichen Liebe gehört es, daß er ohne unser Verdienst, ja wider Verdienst zu den himmlischen Wohnungen uns leitet. Ohne die Liebe Gottes wirst du niemals zu seiner selig machenden Erkenntnis gelangen; ohne die Liebe Gottes ist alle Wissenschaft unnütz, ja schädlich. Warum gehet die Liebe über das Wissen aller Geheimnisse? 1 Cor. 13,2. Weil dieses auch bei den Teufeln, jene aber nur bei den Frommen anzutreffen ist. Warum ist der Teufel am unseligsten? Weil er das höchste Gut nicht lieben kann. Warum ist Gott dagegen der beglückteste und seligste? Weil er alles liebt, sich aller seiner Werke freuet Weish. 11,15. Warum ist die Liebe zu Gott in diesem Leben nicht vollkommen? Weil wir Gott so weit lieben, als wir ihn erkennen; in diesem Leben aber erkennen wir nur stückweise und durch einen Spiegel 1 Cor. 13,12.

In dem ewigen Leben werden wir vollkommen selig sein, weil wir Gott vollkommen lieben werden; vollkommen werden wir lieben, weil wir vollkommen erkennen werden. Keiner wird in der zukünftigen Welt Hoffnung auf vollkommene göttliche Liebe haben, der in dieser Welt nicht anfängt Gott zu lieben. Das Reich Gottes muß in diesem Leben in dem Herzen des Menschen anfangen, sonst wird es nicht zur Vollkommenheit gelangen in dem künftigen. Ohne Liebe zu Gott gibt es kein Verlangen nach dem ewigen Leben, wie also wird der jenes höchsten Gutes theilhaftig sein, der es nicht liebt, nicht sucht, nicht verlangt? Wie deine Liebe so bist du selbst, denn deine Liebe gestaltet dich um in ihr Wesen. Die Liebe ist das höchste Band, denn der Liebende und die geliebte Sache werden Eins. Was hat den gerechtesten Gott und die verlorenen Sünder, was hat dieß bis ins Unendliche von einander entfernte verbunden? Die unendliche Liebe. Damit jedoch die Gerechtigkeit Gottes nicht gemindert würde, ist der unendliche Preis Christi zwischen eingekommen. Was verbindet noch Gott, den Schöpfer und die geschaffene gläubige Seele, die unendlich von einander entfernt sind? Die Liebe. In dem ewigen Leben werden wir mit Gott im höchsten Grade vereiniget werden. Weshalb? Weil wir im höchsten Grade lieben werden. Die Liebe eint und gestaltet um; wenn du das, was des Fleisches ist, liebst, so bist du fleischlich; wenn du die Welt liebst, so wirst du weltlich gesinnet werden. Aber Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht ererben 1 Cor. 15,50. Wenn du Gott und das Göttliche liebst, so wirst du göttlich gesinnt werden.

Die Liebe Gottes ist der Wagen, auf dem Elias in den Himmel fährt. Die Liebe Gottes ist die Freude des Geistes, das Paradies der Seele, macht los von der Welt, überwindet den Teufel, verschließt die Hölle, öffnet den Himmel. Die Liebe Gottes ist das Siegel, mit dem Gott die Auserwählten und Gläubigen versiegelt. Keinen wird Gott im jüngsten Gerichte für den reinigen erkennen, der nicht mit diesem Siegel versiegelt ist. Denn selbst der Glaube, der einige Grund unserer Gerechtigkeit und Seligkeit, ist kein wahrer, wenn er nicht durch die Liebe sich offenbaret Gal. 5,16.; er ist kein wahrer Glaube, wenn er nicht eine gewisse Zuversicht ist; es gibt keine Zuversicht ohne die Liebe Gottes; eine Wohlthat wird nicht erkannt, für die nicht Dank gesagt wird; wir sagen dem keinen Dank, den wir nicht lieben. Wenn also dein Glaube ein wahrer ist, so wird er die Wohlthat Christi des Erlösers erkennen, er wird sie erkennen und Dank sagen, er wird Dank sagen und lieben. Die Liebe Gottes ist das Leben und die Ruhe unserer Seele; wenn die Seele durch den Tod sich entfernt, so verlöscht das Leben deß Leibes; wenn Gott sich entfernet von der Seele um der Sünden derselben willen, so verloscht das Leben der Seele. Hinwiederum wohnet Gott durch den Glauben in unsern Herzen Eph. 3,17; durch die Liebe wohnet er in unsrer Seele, denn die Liebe Gottes wird ausgegossen in die Herzen der Auserwählten durch den heiligen Geist Röm. 5,5. Es gibt keine Ruhe für die Seele ohne die Liebe Gottes. Welt und Teufel sind ihre größte Qual; Gott aber ist die höchste Ruhe der Seele. Es gibt keinen Frieden des Gewissens außer bei denen, welche von kindlicher Zuversicht zu Gott erfüllt sind. Darum sterbe in uns die Liebe zu uns, die Liebe zur Welt, die Liebe zu den Geschöpfen, damit in uns die Liebe zu Gott lebe, und die beginne in dieser Welt, damit sie in der zukünftigen vollendet werde!

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