Brenz, Johannes - Auslegung des Vaterunser - Die zweite Bitte.

Dein Reich komme.

Gott, wie er ewig ist und der allmächtige Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, regiert durch seine Allmacht schon von der Schöpfung der Welt an im Himmel und auf Erden. Wir müssen also wissen, dass wir in dieser Bitte nicht darum bitten, Gott möge durch seine Allmacht in dieser Welt regieren; denn was ist dieser Regierung nicht unterworfen, und was kann sich derselben widersehen, dass sie durch unsere Bitte müsste befestigt werden? Es sind andere Dinge, die wir durch diese Bitte erbitten sollen.

Wir bitten zuvörderst, auf Erden möge sich offenbaren und zum Vorschein kommen das Reich Gottes, von welchem die Propheten geweissagt haben, dass es Christus, der Sohn Gottes, verwalten werde. Denn im Daniel (2,31 ff.) sieht der König von Babylon im Traum ein großes, hohes Bild mit goldenem Haupte, seine Brust und Arme von Silber, sein Bauch und Lenden von Erz; seine Schenkel waren Eisen, seine Füße waren eines Teils Eisen, und eines Teils Ton. Dieses Bild bedeutet die Reiche dieser Erde, die seit Daniels Zeiten bis zur Fleischwerdung Christi auf einander gefolgt sind, nämlich das babylonische, das persische, das Alexanders des Großen und der Griechen oder der Nachfolger Alexanders, in welchem Verzeichnisse auch das römische Reich eingeschlossen ist. Nach diesen Reichen auf Erden wird das Reich Gottes oder das Himmelreich verheißen. In den Tagen jener Könige, nämlich der Nachfolger Alexanders, d. h. in den Zeiten des römischen Reiches, welches ebenfalls, zugleich mit anderen Königen, nach Alexander, an Macht zugenommen hat, wird Gott das Himmelreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht zerstört, und dessen Herrschaft keinem anderen Volke wird überantwortet werden.

Es gibt aber die wichtigsten Ursachen, darum außer jenen irdischen Reichen das Himmelreich verheißen wird. Mögen nämlich die Reiche dieser Erde aufs Beste durch Gesetze und Obrigkeiten gegründet sein, so lässt sich dennoch nicht verhüten, dass in ihnen viele ungerechte, nachteilige Dinge geschehen. Dazu kommt auch das, dass die Leute in den irdischen Reichen elend, arm und krank sein und endlich sterben und umkommen müssen. Es hat auch keinen König oder Herrscher gegeben, der durch die Weisheit aller seiner Freunde, oder durch die Macht aller seiner Fürsten hätte einen Weg einschlagen können, um zu bewirken, dass seine Untertanen nicht zum großen Teil elend wären und nicht stürben. Deswegen hat Gott verheißen, er wolle in dieser Welt sein eigen Reich durch Christum, seinen Sohn, gründen, auf dass alle Untertanen dieses Reiches wahrhaft gerecht seien und niemals sterben noch umkommen. Lehrt uns also Christus in seinem Gebete sprechen: Dein Reich komme! lehrt er uns bitten, dieses Reich, dessen Zukunft Daniel in den Zeiten des letzten, durch jenes Bild veranschaulichten Reiches schaute, möge sich offenbaren, Fortschritte machen, ausgebreitet werden und fest und beständig bleiben. Und zwar war die Bitte der Apostel, welche die ersten Schüler dieses Gebetes gewesen sind, zu einer Zeit, da Christus noch nicht gen Himmel gefahren war, geschweige denn den Heiligen Geist gesandt hatte, durch welchen Gottes Reich offenbart wurde, darauf gerichtet, dass Gott seinen Sohn verherrlichen wollte durch die Sendung des Heiligen Geistes, damit das so lange ersehnte Reich Gottes auf Erden gegründet und bis an die Enden des Erdkreises ausgebreitet werde. Nachdem aber der Heilige Geist gesandt, und das Evangelium durch die Apostel über den ganzen Erdkreis verbreitet, und jenes Reich Gottes durch die Predigt des Evangeliums errichtet und gegründet ist: bitten wir in dieser Bitte, dass dieses Reich auf der ganzen Erde glücklichen Fortgang habe, und wider alle Pforten der Hölle bestehe. Und was Psalm 110,2 vom Reiche Christi sagt: „Der Herr wird das Zepter deines Reiches senden aus Zion. Herrsche unter deinen Feinden!“ das erbitten wir in jener Bitte: dass der Sohn Gottes fortfahre, kräftig inmitten seiner Feinde zu herrschen, bis all' seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Denn das ist jenes Reich, dessen Untertanen zwar noch nicht tatsächlich gerecht und selig sind, sintemal sie noch die Sünde in ihrem Fleische haben, und allen Unfällen dieser Welt, also auch dem Tode unterworfen sind. Und dennoch haben sie Gerechtigkeit und Seligkeit durch den Glauben in Christo Jesu, dem Sohne Gottes, und besitzen das, was zu seiner Zeit an ihnen soll offenbar werden, mit so großer Gewissheit, dass sie schon jetzt gerecht und selig heißen. Wer da glaubt an mich (spricht Jesus), der kommt nicht um, sondern hat das ewige Leben; und, wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt, und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Deshalb müssen wir uns die höchste Mühe geben, Untertanen dieses Reiches zu sein durch den Glauben an Christum, und all' unseren Fleiß daran zu wenden im Gebete, dass dieses Reich durch die Predigt des Evangeliums auf Erden erhalten werde, und wir das Heil gewinnen.

Zweitens bitten wir, Christus möge nicht nur öffentlich herrschen durch das Evangelium unter seinen Untertanen, die seine Kirche sind, sondern auch in jedem Einzelnen unter uns durch seinen Heiligen Geist.

Wir haben nämlich einen starken, sich verstellenden Widersacher, den Satan, der, nachdem wir durch Christum von seiner Tyrannei befreit sind, wiederum Macht und Herrschaft über uns zu erlangen sucht. Darum wandelt er Tag und Nacht umher, Alles ersinnend, um uns zum Gehorsam gegen die Sünde zu verlocken, damit wir wieder seine Untertanen werden und ewiglich verloren gehen. Wir bitten also in dieser zweiten Bitte, Gott wolle dem Satan widersprechen und uns seinen Heiligen Geist geben, dass derselbe in uns regiere, und uns im wahren Gehorsam des Wortes Gottes erhalte. Wir sehen z. B., dass Fromme bei ihrer Frömmigkeit unglücklich sind, Gottlose aber bei ihrer Gottlosigkeit glücklich sind. Da reizt uns denn der Satan, unseren Eifer in der Frömmigkeit aufzugeben, damit wir aufhören, unglücklich zu sein. In solcher Anfechtung müssen wir zum Gebete des Herrn eilen und bitten, dass das Reich Gottes komme, d. h. dass uns der Heilige Geist gegeben werde, damit wir durch ihn dem Geiste des Satans Widerstand tun und im Gehorsam Gottes bewahrt bleiben.

In Armut und Hunger reizt der Satan die Menschen zu Diebereien, zu Betrug und anderem Bösen. In Krankheit reizt er zu Ungeduld, zu Verwünschungen und zur Verzweiflung. Deshalb müssen wir bitten, dass Gottes Reich komme, auf dass wir mit dem Heiligen Geiste begabt werden, durch ihn den Anlauf des Satans in Schranken halten und fortfahren, dem Rufe Christi, des Sohnes Gottes, zu gehorchen.

Wir bitten drittens, Gottes Sohn wolle nicht lange Zeit seine Zukunft in der Majestät aufschieben, sondern eilends kommen mit seinen Engeln, zu richten die Lebendigen und die Toten, damit wir schnell befreit werden von der Sünde, wie von allen Übeln dieser Welt. Denn obwohl das Evangelium Christi in der Welt gepredigt wird, haftet die Sünde doch noch immer im Fleische, und wir müssen von vielen Widerwärtigkeiten in dieser Welt heimgesucht werden. Wir bitten also, dass Gottes Sohn in der Welt sein Evangelium nicht nur ausbreite, und insonderheit durch seinen Heiligen Geist unsere Leitung übernehme, sondern dass er auch selbst offenbar komme in seiner Majestät und sein ewiges Reich offenbare, worin die Frommen wirklich diejenigen Güter ewig genießen werden, welche sie in dieser Welt durch das Evangelium im Glauben empfangen und in gewisser Hoffnung bewahrt haben. Ein großer Teil der Menschen sagt die Worte dieser Bitte nur her, aber die Sache selbst erbitten sie nicht ernstlich. Jünglinge versprechen sich noch große Genüsse in dieser Welt. Geizige hoffen noch eine große Menge Geldes zu sammeln. Unbußfertige Sünder machen sich Rechnung auf viel Glück bei ihren Freveln; desgleichen Alle, die da wissen: es gibt ein künftiges Gericht und Strafe für die Sünden, und doch nicht wahrhaftig an unseren Herrn Jesum Christum glauben, sie zittern und schauern zusammen bei Erwähnung der Zukunft Christi in Majestät, weil sie fürchten, so Christus eilends käme in seiner Majestät, würden sie eilends dem ewigen höllischen Feuer verfallen müssen. Sie pflegen zwar die Worte dieser Bitte herzusagen, aber sie bitten nicht ernstlich, was die Worte bedeuten, weil sie wünschen, dass Gottes Reich erst dann komme, wann sie nach dreißig oder fünfzig Jahren alle Begierden ihres Herzens in dieser Welt befriedigt haben. Das heißt wahrlich nicht beten, sondern Gottes spotten; es heißt, Gott mehr zum Zorne herausfordern, als zur Versöhnung. Denn dieses Gebet wird uns nicht vorgeschrieben, dass wir vermeinen, durch das bloße Aussprechen der Worte werde unserer Pflicht Genüge geleistet, sondern dass wir das, was wir mit Worten erbitten, im Herzen ernstlich beten. Dann werden wir aber angetrieben werden, das, was wir in diesem Teile vom Gebete des Herrn aussprechen, ernstlich zu erbitten: erstens, wenn wir bedacht haben, dass wir beständig in unserem Fleische die Sünde mit uns umhertragen, welche uns zwar vermittelst des Glaubens um Christi willen vergeben wird, aber dennoch nicht gefesselt werden kann, um uns nicht so viel Mühe zu machen, dass wir niemals ein ruhiges Leben führen dürfen, sie auch niemals, es sei denn durch unseren Tod oder durch Christi Zukunft in seiner Majestät, abwerfen können. Darum ruft ja Paulus Röm. 7,24.25: „Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich danke Gott durch Jesum Christ, unseren Herrn.“ Nichts Anderes wird mich erlösen, als die Zukunft Christi. Erlöst zwar bin ich durch Christum, durch die Vergebung, fühle aber noch tatsächlich die Sünde, und werde von derselben erst dann vollkommen erlöst werden, wann Christus in seiner Majestät gekommen ist.

Wir werden zweitens zu ernstlichem Gebete angetrieben werden, wenn wir bedacht haben, dass wir in dieser Welt immer müssen von Widerwärtigkeiten heimgesucht werden. In der Welt (spricht Jesus) habt ihr Angst. Und: Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Wen würde es aber erfreuen, lange in Widerwärtigkeiten und Ängsten zu verbleiben? Endlich wird uns auch das zu ernstlichem Gebete antreiben, wenn wir bedacht haben, dass uns die gewisse, ewige Seligkeit im Himmelreiche bereit ist um Jesu Christi willen, dessen Miterben wir durch den Glauben geworden sind. Wer aber würde, von der Last der Sünde und der Not bedrückt, nicht ernstlich seine Erlösung erbitten? So wollen wir uns denn an solche Gedanken gewöhnen, dass wir bei der Erwähnung der Zukunft Christi zum Gerichte nicht nur nicht zusammenschauern, sondern auch mit inbrünstiger Sehnsucht seine Zukunft begehren und in Wahrheit von Herzen sprechen: Dein Reich komme!

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