Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Einundzwanzigster Vortrag. Letztes Passa und Abendmahl.
In tiefem Schmerze verstummt der Mund Jesu vor seinem Volke, jedoch, wie wir gesehen, nicht ohne Hoffnung. Indessen diese Hoffnung geht auf ein Jenseits, welches von der Gegenwart durch eine große, finstere Kluft getrennt ist. Kann aber Etwas Gegenstand der Hoffnung für Jesum sein, was nicht auch in seiner Gegenwart schon einen ganz bestimmten Halt hat? Ist das nicht überall die Eigenthümlichkeit der christlichen Hoffnung, von der die Schrift sagt, daß sie nicht zu Schanden werden läßt, ist das nicht ihr Unterschied von der heidnischen Hoffnung, welche die Schriftsteller des Alterthums als einen nichtigen Traum beschreiben, daß die Hoffnung der Christen, wenn auch der Erfüllung nach immer der Zukunft angehörend, jedesmal ihren verborgenen Grund in der Gegenwart hat? Gibt es überall eine Zukunft in sittlichem und religiösem Sinne, d. h. im wahren Sinne des Wortes, die nicht in der Gegenwart ihre Begründung hat? Gewiß gilt dies Alles im strengsten Sinne für den, der das ewige Leben ans Licht gebracht, der uns aus der Zerklüftung der Zeit in ihre Einheit und Ausgleichung mit der Ewigkeit eingeführt, der uns aus dem Bann der Zeit erlöset hat, um die Form der Zeit mit ihrem bleibenden Inhalt zu erfüllen. Der Unterschied aber zwischen ihm, dem Herrn, und uns, seinen Dienern, wird auch hier hauptsächlich darauf zurückkommen, daß er der schlechthin Wirkende ist und wir die schlechthin Empfangenden, die Nichts aus sich wirken können, sondern nur in der von ihm empfangenen Kraft (s. Joh. 15,5. 14,12). Während also für uns die Gegenwart der Zukunft wesentlich und ursprünglich der Glaube ist an die Kraft und Wirkung unseres Herrn, der sein Werk nicht liegen läßt, sondern zu Ende führt, und auf diesem unserem Glauben die Zuversicht ruht, in welcher wir die Gegenwart in Zukunft verwandeln, gibt es für Jesum keine Zukunft, die er nicht aus seiner ewigen Kraft selber bewirkt und schafft; er kann und darf sich in Ansehung der Zukunft auf Nichts verlassen, was nicht ursprünglich und wesenhaft seinen ewigen Grund in seinem eigenen Wirken hat. Hofft er also, wie wir gesehen, auch jetzt noch eine Zukunft Israels, hofft er einen neuen Tag, einen Tag, auf den im vollen Sinne das Wort des 118. Psalms anzuwenden ist, nachdem die tiefste Verdunkelung und Finsterniß, das Gericht der Verstockung vergangen sein wird, so rann dies nicht anders verstanden werden, als daß Jesus sich eine solche Macht und Fülle des Lichtes zutraut, die im Stande sein wird, auch jene Finsterniß zu vertreiben. Ist er sich aber dieser Kraft des Lichtes bewußt, so darf dieselbe nicht ruhen, sondern muß wirken, und erst und lediglich in dem Wirken dieser Kraft kann die Hoffnung auf die Zukunft des neuen Tages für Israel begründet sein.
Gerade so finden wir es auch an der Hand unserer evangelischen Urkunden. Hier erfahren wir, daß, sobald der Mund Jesu vor seinem Volke verstummt, der Strom seiner Rede sich mit neuer Kraft und Fülle ergießt vor den Ohren seiner Jünger, indem er eben das, was er vor dem Volk nicht mehr sagen kann, diesen seinen Vertrauten eröffnet. Wären nun die Jünger beliebige, aus der Gesammtheit zufällig herausgerissene Individuen, so würde dies nicht viel bedeuten, aber wir haben ja gefunden, daß die auserwählte Zwölfzahl das Patriarchat des neuen Israel ist, daß diese Zwölf die Säulen sind, auf denen der ewige Bau Israels ruhen soll. Indem also der Herr mit seinem Wort sich auf diesen vertrauten Kreis zurückzieht, ist dieses nicht ein Loslassen seines Volkes, sondern das unmittelbare Eintreten in die neue verborgene Arbeit, durch welche er die gehoffte und angekündigte Zukunft seines Volkes schaffen will.
Der Gegenstand der vertraulichen Unterredungen Jesu mit den Zwölfen, welche dem Abschiede Jesu von dem Volke unmittelbar folgen, ist durch die Ereignisse der letzten Tage und vornehmlich durch den Abschied selbst, der das Gemüth Jesu ganz erfüllen mußte, nahe gelegt und bedingt. Dächten wir uns die Apostel losgelöst von ihrem Volk und das Werk Jesu außerhalb der gegebenen Bedingungen und Verhältnisse, so würden wir erwarten, daß Jesus die Zwölf jetzt ganz und gar in die innere Seite ihres Berufes einführen würde. Aber wir wissen, daß es eine Untreue gegen die Geschichte Jesu sein würde, wenn wir uns solchen Gedanken hingeben wollten, es wird uns daher auch eine Bestätigung unserer Methode sein, daß der Herr in den bezeichneten Gesprächen die großen und allgemeinen Beziehungen zu der Völkerwelt, welche sein Werk und insbesondere auch sein Apostolat einschließt, recht stark und ausdrücklich hervortreten läßt. Seine Seele ist erfüllt von dem Geschick, das Jerusalem bevorsteht, nachdem es seinen König und Retter von sich gewiesen. Er wiederholt seinen Vertrauten die bestimmte Ankündigung von dem Gericht, das über die Stadt Gottes und den Tempel Jehovas, sowie über das Volk Israel hervorbrechen werde (s. Matth. 24,2. Marc. 13,2. Luk. 21,6.21-24). Damit aber, daß Israel seinen König verwirft, ist nach biblischer Anschauung, welche Israel als das gottgeordnete, zusammenfassende Haupt der Völker betrachtet, zugleich gegeben, daß die Völker und Reiche der Erde als solche nicht aus ihrer Verirrung und Gottentfremdung befreit werden können. Dann aber muß sich nothwendig die Verwirrung in dem wüsten Meer der Völkerwelt noch steigern, und daraus erklärt sich, daß Jesus die Aussicht auf das steigende Getümmel in dem Völkerleben eröffnet (s. Matth. 24,6.7. Marc. 13,7.8. Luk. 21,9-11). Das Ende dieser allgemeinen sich steigernden Verwirrung der Völker und Reiche kann nun schließlich kein anderes sein, als das große Endgericht, welches Jesus halten wird, und deshalb richtet Jesus schließlich die Aufmerksamkeit seiner Auserwählten auf diesen Ausgang der Weltgeschichte (s. Matth. 25,31.32). Allerdings unterläßt Jesus nicht, die Seinen mit seinem tröstenden, ermahnenden und schützenden Wort durch diese Labyrinthe der großen Weltverwirrungen hindurchzuführen, er zeigt Angesichts der großen und gewaltigen Gefahren eine zärtliche Besorgniß, welche der schwangeren und säugenden Frauen, der Beschwerden einer Flucht im Winter und am Sabbat nicht vergißt (s. Matth. 24,19.20), er errichtet für seine Gläubigen mitten im Lager der Feinde eine gewaltige Burg mit dem Wort: „kein Haar wird von eurem Haupte fallen“ (s. Luk. 21,18), und endlich läßt er seine Vertrauten die hohen Zinnen von Jerusalem wiedererblicken und spricht auch ihnen noch insonderheit das Wort der Hoffnung aus, mit welchem er sich von seinem Volke verabschiedet hat, indem er sagt: „Jerusalem wird getreten sein von Heiden, bis die Zeiten, der Heiden sich erfüllt haben werden“ (s. Luk. 21, 24). Bei dem Allem ist aber der Haupteindruck dieser vertraulichen Mittheilungen der, daß die ganze Zukunft der Gemeinde Christi bis zur schließlichen Entscheidung eine Zeit der Gefahr, der Noth und Drangsal ist, die nur bestanden werden kann mit Enthaltsamkeit und Wachen, mit anhaltender Treue und strengster Selbstverleugnung.
Dieser Haupteindruck kann Niemanden so unmittelbar und stark treffen, wie Judas Ischariot. Die Enthüllungen Jesu über das bevorstehende Geschick der Seinen in der Welt verstand Niemand besser und sicherer als der, dessen Herz schon längst von den Gedanken der Welt erfüllt war. Jetzt ist es ihm völlig ausgemacht, daß er seine Rechnung nicht mehr bei Jesu finden könne, und damit hat seine Begeisterung für den großen Reichsplan, den Jesus entfaltete, für immer ein Ende. Der leere Raum dieses umfassenden Geistes wurde angefüllt von Verstimmung über die erfahrene Selbsttäuschung, vor Allem aber von Erbitterung über den, der sein finsteres Treiben durchschaute und vor wenigen Tagen aufgedeckt hatte, der seine mühsam erlernte und mit ungeheurem Kraftaufwand geübte Verstellungskunst durch seinen Herz und Nieren prüfenden Blick übermeistert hatte und ihm nun auf den Trümmern seiner schönsten und fehlgeschlagenen Hoffnung, in dem neuen Reiche eine hervorragende Rolle zu spielen, durch den heiligen Ernst seiner Liebe Nichts übrig ließ, als die unerträgliche Last und die namenlose Qual eines gebrandmarkten Gewissens. All diese Verstimmtheit, Beschämung, Erbitterung, Geistesqual wird in der kräftigen, zu großen Dingen geschaffenen Seele des Judas zu einer lodernden Flamme des Haffes gegen Jesum angefacht. „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich,“ dieses Wort Jesu hat bei Keinem seine furchtbare Wahrheit so bewährt, wie bei dem, welcher in vertrauter Nähe mit Jesu wandelnd, seit lange schon im Geheimen Gedanken nährte, die weit von Jesu entfernt waren. Die in Jesu ruhende und zur allgemeinen Krisis gesetzte Macht mußte diesen entsetzlichen Widerspruch nothwendig zu einer entsprechenden Offenbarung treiben.
Johannes sagt, der Teufel habe es dem Judas ins Herz gegeben, Jesum zu verrathen (s. 13,2), und Lukas schreibt: es fuhr aber der Satan in Judas, mit Zunamen Ischariot und er ging und verabredete sich mit den Hohenpriestern (s. 22,3.4). Wie kommen die Evangelisten darauf, hier nicht bloß vom Einflusse des Teufels zu reden, sondern diesen Einfluß mit dem allerstärksten Ausdruck zu bezeichnen? Obwohl die Schrift bezeugt, daß die Sünde durch Verführung des Teufels in die Welt gekommen, und somit natürlich weiß, daß jede Sünde einen Zusammenhang hat mit dem Teufel, so liebt sie es doch nicht, den Ten^ bei jeder Gelegenheit an die Wand zu malen, wie es einige altmoderne Theologen der jüngsten Tage sich angewöhnt haben, sondern jedesmal ist die heilige Schrift durch gewichtige Umstände dazu bewogen, wo sie sich veranlaßt findet, auf den letzten Grund alles Bösen ausdrücklich hinzuweisen. Einen gewichtigeren Anlaß, von des Satans Wirksamkeit zu reden, kann es nun überall nicht geben, als die letzte Wendung, welche die Geschichte Jesu nimmt. Einmal nämlich enthüllt die Sünde hier ihren innersten Grund, nirgends und nie hat sie ihren widergöttlichen Charakter so offenkundig dargelegt, wie hier, wo die Sünde der Gerechtigkeit und Liebe das Schicksal der Bosheit und des Verbrechens bereitet hat. Aber nicht bloß die abgrundsmäßige Tiefe der Sünde, die hier waltet, führt uns auf den ersten Urheber der Sünde, sondern ebenso sehr der Umfang, in welchem hier die Sünde auftritt. Die Sünde bemächtigt sich hier derjenigen Organe, welche in der Welt der Juden und Heiden die öffentlichen Dinge bestimmen, die Sünde wirkt hier organisch ihre einzelnen Acte greifen zu einem einheitlichen Zweck in einander und ihre Organe sind die Organe der bestehenden Welt, was doch nicht wohl anders gedacht werden kann, als daß die einzelnen Acte der Sünde, die hier von den verschiedensten Seiten der Welt her zusammenwirken, von dem geleitet werden, der durch die Sünde der Menschen der Fürst dieser Welt geworden ist. Natürlich ist das Bewußtsein über diesen grauenvollen Zusammenhang der einzelnen sündlichen Regungen und Thaten am ursprünglichsten und klarsten in dem Herrn selber; und wir begreifen nach dem Bemerkten, daß, wenn er in diesen Tagen häufiger und nachdrücklicher denn sonst von dem Fürsten dieser Welt redet (s. Joh. 12,31. 14,30. 16,11. Luk. 22,31), dieses der einfache und richtige Ausdruck über die damalige Weltlage ist. So lange die Apostel unter der Wolke der allgemeinen Verdunkelung des israelitischen und menschlichen Bewußtseins standen, konnten sie, wie so manches Andere, auch diese Aeußerungen des Herrn natürlich nur sehr unvollkommen verstehen. Als sie aber die Fülle des Geistes empfangen und in dem Lichte dieses Geistes auf den Gang der letzten Tage des Herrn zurückblickten und sich im Geiste seiner Worte erinnerten, da ist auch ihr Auge durch die Hülle der äußeren Begebenheiten hindurchgedrungen und hat in den finsteren Abgrund, wo die Ursprünge und Zusammenhänge dessen, was auf dem Schauplatz der Welt vorging, ihre geheinmißvolle unheilige Stäte haben, einen klaren Blick gethan. Damals hat es ihnen auch aufgeleuchtet, daß die teuflische Lüge und Bosheit bei ihrem ganzen Werk gegen Jesum ein selbstbewußteres und bereiteteres Organ nicht gefunden hat, als Judas den Verräther. Denn die entsetzlichste Heuchelei, welche dieser Apostel in der heiligsten Umgebung über Jahr und Tag mit staunenerregender Geisteskraft getrieben, mußte ihnen erscheinen als die Selbstbereitung seiner Person und seiner Stellung für den Einzug des Fürsten der Finsterniß (vgl. Luk. 11.24-26). Auch was die Wirkung anlangt, so mußte es den Aposteln hinterher einleuchtend sein, daß, wie die Dinge sich bei der letzten Anwesenheit Jesu in Jerusalem gestalteten, für die Ausführung des gegen sein Leben gefaßten Anschlages Nichts nothwendiger war, als der Verrath. Nach der jüngst aufgelebten Begeisterung des ganzen Volkes für Jesum ist es den Feinden Jesu nicht entgangen, daß offene Gewalt gegen ihn keinen Erfolg haben würde (s. Matth. 26,3-5. Marc. 14, 1.2. Luk. 22,1.2). Demnach bleibt ihnen Nichts übrig, als sich mit List und heimlich seiner zu bemächtigen, und dazu bot der Verrath aus dem eigenen Hause des Herrn die erwünschteste Gelegenheit. Der Verrath des Judas ist daher die eigentliche Basis, auf welcher die Ausführung des gegen Jesum gerichteten Planes ruht. Diese Erwägungen lassen den Verräther als denjenigen erscheinen, dessen sich der Widersacher ganz und gar bemächtiget, um seinen boshaftesten Menschenmord zu bewerkstelligen. Auch von der anderen Seite mußte den Aposteln dies gewiß werden, daß, wenn Einer aus der Zahl der Zwölf sich mit den erklärten Feinden Jesu einließ, und zwar um Jesum in deren Hände zu bringen, dies nicht eher geschehen konnte, als bis derselbe alle auf ihn gerichtete und geschehene Heilswirkung Christi, die sein ganzes Wesen in den heiligen Dienst genommen, vernichtet hatte, was unmöglich anders geschehen konnte, als indem er dem widergöttlichen Geiste über sein ganzes Wesen Macht gewährte.
Judas hatte ohne Zweifel mit seinem Scharfblick die Verlegenheit, welche den Synedristen durch die gegenwärtige Anhänglichkeit des Volkes an Jesum entstanden war, durchschaut, er hatte außerdem wahrscheinlich Kunde von ihrem früheren Beschluß, daß, wer den Aufenthalt Jesu wisse, ihn angeben solle (s. Joh. 11,57). So wurde der Gedanke des Verraths in ihm reif und darauf begab er sich zu den Hohenpriestern und sprach: „was wollt ihr mir geben, so werde ich ihn euch verrathen“ (s. Matth. 26,15). Sie boten ihm die schnöde Summe von 30 Silbersekeln, ungefähr 25 Thaler, mit welcher Summe man nach gesetzlicher Bestimmung einen Knecht bezahlte (s. 2 Mos. 21, 32). Die entsetzliche Größe des Frevels erhält durch diesen Handel, der in der besonderen Sünde des Judas seinen Anlaß hatte (s. Joh. 12,6), einen kleinlichen Zug, es ist dies aber nichts Befremdendes, da jede Sünde, so groß und gewaltig sie auch auftritt, immer eine Seite an sich hat, an welcher der Staub der Erde klebt, den die Schlange zu fressen verflucht worden ist. Auch braucht man sich keine Grübeleien zu machen, was für weitere Gedanken und Pläne wohl Judas bei diesem Stück seiner Bosheit gehegt haben möge. Als die Hohenpriester mit Freuden seinen Vorschlag annehmen, suchte er nach schicklicher Gelegenheit, seinen Verrath auszuführen (s. Matth. 26,16). Er ist befriedigt, daß seinem von der Hölle entzündeten Haß gegen Jesum Genüge geschieht und nebenher seine Habgier ihr Opfer empfängt, von Stund an ist seine ganze Seele von dem Plane der Ausführung angefüllt und über das Gelingen dieses seines Planes hinaus macht er sich vorläufig weitere Gedanken keine, er schaut nur das Angesicht seiner That, die Kehrseite derselben ist ihm durch eine finstere Decke verborgen.
Jetzt ist der bedrohliche und gefährliche Bund zwischen der inneren und äußeren Feindschaft geschlossen und damit ist die bisherige Sicherheit des Hauses Jesu aufgehoben, denn so sehr ist es Ernst mit seinem Kommen in die Welt, daß, obwohl er der Sohn Gottes ist, er keine Ausnahmestellung in Anspruch nimmt. Indessen obgleich er sich der nun hereinbrechenden Feindschaft gegenüber Nichts vorbehält, so weiß er doch zu zeigen, daß er auch jetzt noch Herr der Situation bleibt. Der Plan der Synedristen geht dahin, daß man jedenfalls das Fest vorübergehen lassen müsse, weil sie während des Festes die anhaltende Aufregung des Volkes für Jesum fürchten zu müssen glauben (s. Matth. 26,5. Marc. 14,2). Jesus aber kündigt zwei Tage vor dem Feste den Jüngern an, daß des Menschen Sohn eben an dem Feste überantwortet werden werde zur Kreuzigung (s. Matth. 26,1.2), und nicht nach dem Willen derer, welche die Gewalt haben und sie üben, sondern nach der Vorherbestimmung dessen, der diese Gewalt leidet und über sich ergehen läßt, ist es geschehen. Jesus verfolgt, unbeirrt durch das, was hinter seinem Rücken vorgeht und was er ohne Zweifel völlig durchschaut, seinen Weg, und indem er das thut, bestimmt er selber den gottgeordneten Eintritt seines Leidens und zwingt diejenigen, welche die Gewalt in Händen haben, die göttliche Vorherbestimmung zu erfüllen. An dem Tage, an dessen Abend die Juden das Passalamm aßen, der in diesem Jahre auf den Donnerstag siel, gibt Jesus zweien seiner Jünger Befehl, das Passamahl für seine Hausgenossenschaft in einem Hause zu Jerusalem anzurichten. Dieser Befehl erinnert an das Bestellen des Eselsfüllen in Betphage; Jesus erscheint auch hier als der unbeschränkt in Jerusalem Verfügende. Er sagt den Jüngern, es würde ihnen ein Mensch begegnen mit einem Wasserkrug, wo der hineingehen würde, da sollten sie folgen und dem Hausherrn sagen: „der Meister spricht: meine Zeit ist nahe, wo ist die Herberge, in der ich das Passa mit meinen Jüngern essen werde?“ „Dann wird Jener,“ fährt er fort, „euch zeigen einen großen bepolsterten Obersaal, daselbst richtet an.“ Und sie gingen hin, erzählt der evangelische Bericht, und fanden es, wie er ihnen gesagt, und sie richteten das Passamahl an (s. Matth. 26,18. Marc. 14,13-16. Luk. 22,10-13). Am Abend, schreibt Marcus, kam Jesus und als die Stunde da war, erzählt Lukas, legte sich Jesus hin auf das Polster und die zwölf Apostel mit ihm. Johannes aber berichtet eine Scene, welche wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach der eigentlichen Feier des Passamahls unmittelbar voraufgehend zu denken haben, die bekannte und ergreifende Scene des Fußwaschens der Jünger durch Jesum (s. Joh. 13,1-20). Vermuthlich ist der Anlaß dieser Selbstdemüthigung Jesu der Streit der Jünger, von dem Lukas sagt, daß er bei dem Mahle ausgebrochen sei und sich auf die auch sonst in dem Jüngerkreise verhandelte Frage bezog, wer unter ihnen der Höhere sei (s. Luk. 22,24-27). Da beim Passamahle jedem Israeliten dasselbe Recht, vom Geheiligten zu essen, zustand, was sonst nur den Priestern gebührte, so hat die Fußwaschung vor diesem heiligen Mahl eine größere Bedeutung, wie sonst. Nun denke man sich, daß, als es sich bei der Gelegenheit des Passamahles um die Fußwaschung handelte, die Frage aufkam, wer diesen Dienst zu leisten habe, also wer höher und wer geringer sei, und daß Jesus diesen Streit damit entscheidet, daß er sich selber den Schurz umbindet und allen Jüngern eigenhändig die Füße wäscht. Wie gut stimmt dann das Wort, das er beim Lukas spricht: „ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (s. V. 27), zu dem, was Johannes erzählt. Johannes sieht in dieser Fußwaschung Jesu die Beweisung seiner ausdauernden Liebe zu den Seinen (s. 13,1), was sich wohl am allermeisten auf Judas bezieht. Sowie er den Judas trotz dem, daß er bereits seinen Bund mit den Feinden geschlossen hat, noch mit zu seiner Hausgenossenschaft zählt, so hat er auch ihm, wie allen Uebrigen die Füße gewaschen, Jesus selbst ist von dem Gedanken an den furchtbaren Contrast zwischen dem äußeren und inneren Stand des Judas so durchdrungen, daß er nicht umhinkann, sich darüber eben bei der Fußwaschung, welche den Verräther mit derselben Liebe behandelt wie die Getreuen, ausspricht. Er sagt: „ihr seid rein, aber nicht alle“ (s. V. 10), und Johannes fügt erklärend hinzu: „denn er kannte den, der ihn verrathen hatte, darum sprach er: ihr seid nicht alle rein.“ Und in demselben Zusammenhange kommt Jesus auf diese Ausnahme in dem gegenwärtigen Kreise noch einmal zurück; er sagt weiter: „nicht von euch Allen spreche ich, ich weiß, welche ich erwählet habe, aber auf daß die Schrift erfüllet würde: „der mit mir das Brod isset, erhebet gegen mich seine Ferse““ (s. Joh. 13,18).
Obwohl in diesen Worten Jesu der tiefe Schmerz nicht zu verkennen ist, so spricht er sie mit festem und beruhigtem Gemüth und überall ist die durch die Eifersucht und den Streit veranlaßt e Störung beim Beginn des Mahles durch den ergreifenden und überwältigenden Vorgang der Fußwaschung vollkommen überwunden und das heilige Mahl kann nun in rechter Weihe und Stimmung seinen Anfang nehmen. Wir bemerken vorab, daß dieses Passa das siebente und letzte ist, welches die heilige Geschichte mit besonderem Nachdruck hervorgehoben hat. Das erste Passa ist das mit der Erlösung Israels aus Aegypten zusammenfallende, das zweite, welches ausgezeichnet wird, ist am Sinai gefeiert. Das dritte ist das erste Passa in Kanaan, sodann werden als viertes und fünftes Passa besonders angemerkt die von den beiden Königen Hiskia und Josua in Zeiten großer Verwirrung veranstalteten und das letzte und sechste Passa, dessen das alte Testament mit Nachdruck erwähnt, ist dasjenige, welches die aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten Juden in Kanaan gefeiert. Diesen sechs alttestamentlichen Passas wird nun als neutestamentlicher Schluß der Siebenzahl das Passa. welches Jesus mit seinen zwölf Aposteln bei seiner letzten Anwesenheit in Jerusalem hält, hinzugefügt. Diese Wahrnehmung macht es uns um so mehr zur Pflicht, den ursprünglichen Charakter dieses Festes auch hier ins Auge zu fassen. Die heiligen Feste Israels haben alle einen nationalgeschichtlichen und natürlichen Grund und unterscheiden sich dadurch merklich von den Festen der christlichen Kirche, die mit Volksgeschichte und Natur Nichts zu schaffen haben. Wie überhaupt in Israel, so ist auch in seinen Festen Geistliches und Natürliches, Göttliches und Volksthümliches so wunderbar in einander geschmolzen, wie wir dieses nirgends finden, und müssen wir uns um deswillen sehr hüten, Israelitisches und Kirchliches nicht in einander zu mischen. Der Grundton der israelitischen Festfeier nun ist Freude und zwar eine Freude, der das natürliche und nationale Moment nicht fehlen darf, was schon darin angedeutet ist, daß die Feste ihren Namen vom Tanzreigen haben. Das Passa ist das Freudenfest über Israels Befreiung aus Aegypten, welche in der jährigen Ernte, deren Anbruch in das Passafest fällt und gleichfalls festlich begangen wird, dem ganzen Volke jedesmal neu und zwar auf dem Naturwege zum Bewußtsein gebracht wird. Die Höhe des Festes ist das Passamahl, welches jeder Hausvater mit den Seinigen ebenso sehr berechtigt wie verpflichtet ist zu halten. Das Mahl gilt nun ohnehin in der Schrift für den Höhepunkt gemeinschaftlicher Freude und wird deshalb sowohl im alten, wie im neuen Testament zur Veranschaulichung der höchsten Seligkeit gebraucht. Die Heiligkeit, welche dem Passamahle zukommt, müssen wir uns nun nach dem Bemerkten nicht etwa als eine Minderung, sondern vielmehr als eine Erhöhung dieser Freuden des gemeinschaftlichen Mahles denken. Wenn nun Jesus als der Hausvater mit seinen Hausgenossen das Passamahl hält, so müssen wir voraussetzen, daß er als wahrer Israelit, ja als der König Israels und somit als vollendetes Vorbild seines Volkes ganz und gar in den israelitischen Sinn, in die richtige Stimmung dieses Festes eingegangen ist. Oder sollen wir annehmen, daß er zu sehr von all dem Trüben und Traurigen, das er in den letzten Tagen gesehen und in den nächsten Tagen kommen sah, hingenommen gewesen sei, um sich einer freudigen Feststimmung bei seinem Passamahle hinzugeben? In der That denkt man sich in der Regel unter dem Eindruck der umgebenden Ereignisse einen trüben Trauerflor verbreitet über dieses Festessen Jesu mit den Seinen. Aber es ist diese Vorstellung nicht vereinbar mit dem hehren Bilde, das wir bis dahin gefunden haben, und stimmt auch wirklich nicht mit den Berichten über das Passamahl Jesu, wenn wir sie anders unbefangen und sorgfältig erwägen. Allerdings berichten die Evangelisten von einem finsteren Schatten, der in das Freudenlicht dieses Festessens gefallen ist, und weil sie dieses als etwas Besonderes hervorheben und von allem Anderen wenig sagen, so hat man sich wohl auch von diesem Eindruck zu sehr hinnehmen lassen, um für den Grundcharakter dieses festlichen Beisammenseins offenes Auge zu behalten. Zuvörderst vergesse man nur nicht, daß die Evangelisten nie berichten, was sich von selbst versteht. Das versteht sich aber vom israelitischen Standpunkt aus, und dieser Standpunkt ist hier natürlich der einzig gültige Maßstab, ganz von selber, daß israelitische Männer, die nach dem Gesetze Moses und nach Her Weise und Sitte der Väter leben, beim Passamahl in Jerusalem nicht stumm und niedergeschlagen, nicht mit traurigen Mienen und trübseligen Geberden werden bei einander gewesen sein. Gesprochen haben sie und noch Anderes, als jenes entsetzliche Räthsel von einem Verräther in dem heiligsten Freundeskreise, von einer Schlange im Paradiese. Mit dieser traurigen Sache haben sie sicher nicht angefangen, so wenig, als sie damit geschlossen haben. In der That fehlt es auch in den Berichten selbst nicht an bestimmten Anhaltspunkten für diese Auffassung, von der übrigens, wie ich wiederhole, billigerweise feststehen sollte, daß sie selbstverständlich ist. Lukas berichtet uns aus dem Munde des Herrn folgendes Wort: „sehnlichst habe ich verlanget dieses Passa mit euch zu essen, ehe denn ich leide“ (s. Luk. 22,15). Wir können uns wohl denken und die Stellung, welche Lukas diesem Worte gibt, entspricht einem solchen Gedanken, daß Jesus mit diesem Wort sein Tischgespräch beim Passa eröffnet hat. Zwar erwähnt er hier auch sein Leiden, aber indem er es sehr bestimmt als ein bevorstehendes bezeichnet und den gegenwärtigen Moment nachdrücklichst von dem Leiden unterscheidet, gibt er deutlich genug zu verstehen, daß wir uns das Passamahl nicht, wie es allgemein üblich ist, als ein Stück der Leidensgeschichte denken sollen. Zwar ist es nur eine Scheidewand von einigen Stunden, welche das Festmahl von dem Eintritt des Leidens trennt, aber das ist eben das ewige Leben, welches Jesus gebracht hat, daß er jeden Zeitmoment mit dem ihm zukommenden Inhalt ausfüllt, daß ihm Vergangenheit und Zukunft nur dazu dienen, jeder Gegenwart ganz gerecht zu werden. Die vorhandene Gegenwart des Passa bezeichnet er nun selbst als Gegenstand seiner höchsten Sehnsucht und Lust, der Ausdruck dafür ist im griechischen Grundtext so stark, daß er sich in seiner ganzen Stärke gar nicht wiedergeben läßt. Das ist nun eben diejenige Stimmung, welche wir von dem Israelitenthum Jesu mit Sicherheit erwarten mußten. Wenn wir nun hinzudenken, daß Jesus seine große Freude nicht erklärt und ausspricht, damit dieses Wort der einzige Beweis seiner Freude sei, sondern nur so, daß die Freude zuvor sein ganzes Herz und Wesen erfüllt hat und eben deshalb von dem Munde nicht länger zurückgehalten werden kann. Mit einem Wort, das, was Jesus von sich sagt, das ist er mit seinem ganzen Wesen, die Freude also, welche er ausspricht, ist der Ausdruck seiner ganzen Erscheinung und Haltung. Stellen wir uns nun dieses vor, so ist nicht zu bezweifeln, daß Jesus mit diesem Wort, dem sein Verhalten Zeugniß gab, bei seiner Tischgenossenschaft Alles, was etwa Trübes und Unfestliches noch vorhanden war, weit verscheuchte und nach der Herrschaft, welche er über die Gemüther ausübte, Alle in eine heitere und freudige Feststimmung versetzte. Ju dieser Stimmung paßt auch am besten ein allgemein bekannter charakteristischer Zug, der uns von diesem Mahl berichtet wird, daß nämlich Johannes, der Jünger, den Jesus vor Allen lieb hatte, Jesu an der Brust gelegen habe. Es wird das nicht bloß von Johannes selbst in seinem Bericht über das Passamahl als etwas Besonderes hervorgehoben (s. 13,23.25), sondern es wird dieser Umstand bei einer späteren Gelegenheit zur Charakteristik des Johannes noch einmal wieder in Erinnerung gebracht (s. Joh. 21,22). Wir sollen offenbar in dieser körperlichen Annäherung Jesu an seinen Geliebten den höchsten Grad der Vertraulichkeit erkennen, da wir aber wissen, daß Jesus nicht parteiisch ist, so drückt diese Annäherung an Johannes eine Stimmung aus, die dem ganzen Kreise der Jünger gilt. Offenbar müssen wir uns Jesum hier auf der Höhe seines hausväterlichen, vertraulichen Verhältnisses zu seinen Jüngern denken. In diesem seinem Bewußtsein und Gefühl ergeht er sich mit seinen lieben Hausgenossen und verbreitet über seinen ganzen Kreis eine wunderbare Macht von Ruhe, Sicherheit und Festlichkeit und erhebt damit das Passa zu seiner vollen Wahrheit. Während dereinst der Würgengel in Aegyptenland von Haus zu Haus ging und Schrecken verbreitete durch das ganze Land vom Throne Pharaos bis zu dem Gefängniß, war jedes Haus Israels durch das Blut des Lammes geschützt vor dem Verderben und in dieser göttlichen Sicherheit des Hauses ist jede israelitische Familie um ihren festlichen Tisch versammelt und feiert das Festmahl. Diese heilige Vergangenheit hat hier in dem Hochsaal, wo Jesus mit den Seinen versammelt ist, ihre volle Gegenwart: draußen in der Finsterniß der Welt mögen die unheimlichen Geister wüthen und Verderben bereiten, hier ist festliche Ruhe und tiefer Friede und in solcher Gemüthsverfassung nimmt Jesus den Becher mit Wem nach damaliger israelitischer Sitte und trinkt zum letzten Mal vom Gewächs des Weinstocks und reicht ihn sodann seinen Hausgenossen (s. Luk. 22,16.17).
Johannes, der nach dem Bemerkten der competenteste Zeuge ist, bemerkt, daß Jesus während des Mahles im Geiste erschüttert worden sei und feierlich erklärt habe: „wahrlich, wahrlich, ich sage euch, Einer unter euch wird mich verrathen“ (s. 13,21). Mitten in der festlichen Ruhe und Freude kommt diese Erschütterung des Geistes über Jesum, wie vor wenigen Tagen auf dem Tempelberge in einer hohen Feierstunde eine ähnliche Erschütterung ihn überfiel (s. Joh. 12,27). Es ist dieses so natürlich, daß, wäre des Etwas nicht eingetreten, wir unsere ganze Anschauung von Jesu aufgeben müßten. Unser Grundgedanke ist doch nämlich kein anderer, als daß Alles, was wir von Jesu hören und sehen, menschlich vermittelt zu denken ist. Je bestimmter wir uns nun vorstellen, daß er bei diesem Passamahle die eigentliche Höhe seines bisherigen Verhältnisses zu dem Kreise seiner Jünger erlebt und feiert, desto nothwendiger muß es uns erscheinen, daß ihm der bereits eingetretene furchtbare Riß, der durch diese seine häusliche Gemeinschaft hindurchgeht, zum Bewußtsein und zum Gefühle kommen muß. Ohne Zweifel besitzt Jesus die Kraft, den Schmerz über den an seinem Busen genährten, in dem Heiligthum seines häuslichen Kreises lauernden Verrath zu verbergen, wie er so manchen tiefen Schmerz für sich behalten mußte. Aber eben jetzt, wo er sein Herz und seinen Mund in unbefangener, fröhlicher Vertraulichkeit gegen die Seinen aufgethan, eben jetzt, wo er das höchste Fest seines Vertrauens zu seinen Geliebten begeht, eben jetzt würde es ihm ein Mangel an Wahrheit und Aufrichtigkeit sein, wenn er nicht neben seiner Freude auch seinen Schmerz in ihren Schooß ausschütten wollte. So müssen wir uns jene feierliche Aussage erklären, sie soll kein Vorwurf sein, sondern unverhohlene Aeußerung dessen, was augenblicklich seinen Geist erschütterte. Mit dieser Erklärung Jesu ist nun die Sonne des Festes plötzlich verfinstert, die Jünger wurden sehr betrübt (s. Matth. 26,22. Marc. 14,19). Wäre nun diese Betrübniß der Jünger eine reine Mitempfindung mit dem Schmerze Jesu, so wäre die Harmonie dieser häuslichen Genossenschaft bewahrt geblieben, wenn sie auch in eine andere Tonart übergegangen wäre. Aber der Grundcharakter dieser Betrübniß ist ein wesentlich anderer. Die Jünger sehen in dem Worte Jesu einen Vorwurf und Jeder denkt sich die Möglichkeit, daß er selber gemeint sein könne, und in diesem Sinne fragen sie Einer nach dem Anderen: „Herr, bin ich es?“ Also eine völlige Verwirrtheit tritt an die Stelle des bisherigen schönen Einklangs in dieser festlichen Stunde. Das Entsetzlichste, was sich denken läßt, hat Jesus ausgesprochen und fügt noch ein Wehe hinzu über den, durch welchen des Menschen Sohn verrathen wird (s. Luk. 22, 22), und nun hält Jeder seiner Tischgenossen sich selbst für fähig, dieses Entsetzlichste von Allem thun zu können! Will man das etwa Demuth nennen, so ist das nicht die Demuth, an der Jesus Freude haben konnte. Unklarheit und Verwirrung über sich selbst und über das, was Jesus aus der Fülle seiner Seele heraus ausspricht, ist es, was diese Betrübniß und dieses ängstliche Fragen veranlaßt. Am meisten kommt aber diese Unklarheit und Verwirrung darin zu Tage, daß die Jünger auch nicht die mindeste Ahnung haben von dem, was in Judas vorgeht. Das zeigt sich bei keiner Gelegenheit so deutlich als hier, wo der Herr endlich auf den Judas mit dem Finger hinweist. Auch Judas selber fragt: Herr, bin ich es? und der Herr antwortet: du sagst es (s. Matth. 26,25). Entweder hat Petrus dies nicht gehört, oder es klingt ihm ganz unfaßlich, er wendet sich an Johannes und gibt diesem einen Wink, daß er Jesum fragen möchte, wer der Verräther sei. Darauf sagt Jesus: „der ist es, welchem ich den Bissen reichen werde,“ und tauchte den Bissen ein und gab ihm Juda Simonis Ischariot (s. Joh. 13,24-26). Durch dieses sinnbildliche Zeichen will Jesus zu verstehen geben, daß sein schlimmster und boshaftester Feind Einer ist, der sein Brod gegessen hat. Damit, sollte man denken, war Alles klar, und dennoch erzählt Johannes, als Jesus dem Judas nach dem dargereichten Bissen sagte: „was du thust, das thue so schnell als möglich,“ Keiner von den zu Tische Liegenden wußte, wozu er ihm dieses sagte. Ja Einige meinten, daß Jesus dem Kassenführer einen Wink geben wolle, für das Fest einzukaufen oder den Armen eine Gabe auszutheilen (s. Joh. 13,27-29). Also von dem, was hier zwischen Jesus und Judas vorgeht, haben die übrigen Jünger keine Vorstellung und der Schmerzensruf, mit welchem sich Jesus an ihre Freundschaft gewendet, ist trotz der Aufregung, die er hervorruft, ein verhallender Ton gewesen. Wie groß die Kluft ist , die sich damit zwischen Jesus und seinen Jüngern plötzlich aufthut, können wir erst ermessen, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie sich das Verhältniß zwischen Jesus und Judas hier gestaltet. Nachdem Judas bereits mit den Hohenpriestern den Verrath und den Preis dafür verabredet, läßt er sich von Jesu die Füße waschen, es kommt ihm nicht in den Sinn, sich wie Petrus dieser Dienstleistung des Herrn erwehren zu wollen, er setzt sich mit den Anderen an den Passatisch, nimmt aus der Hand Jesu den Freudenkelch des Weines und nimmt in den Mund den Bissen, den der Herr mit seiner Hand eingetaucht und ihm darreicht. Grauens voller ist niemals das Innere und das Aeußere eines Menschen auseinandergeklafft. Mit dem genommenen Bissen ist aber das Maß voll und Johannes, der das finstere Geheimniß mit noch schärferem Blick verfolgt, als Lukas (s. 22,3), schreibt: „nach dem Bissen, dann zog ein in jenen der Satan“ (s. Joh. 13,27). Wenn ihm nun darauf Jesus jenes Wort zuruft, er möge mit dem, was er vorhabe, eilen, so ist dies die dritte und letzte Aufforderung, welche Jesus an seine Feinde ergehen läßt, ihr finsteres Werk gegen ihn auszuführen (s. Joh. 2,19. Matth. 23,32). Hier richtet er diese Aufforderung an den, welcher der eigentliche Anfänger dieses Werkes ist, und deswegen hat auch hier das Wort und der Befehl Jesu eine sofortige Wirkung. Von dem Augenblick an kann Judas es nicht mehr in dieser Umgebung ertragen. Johannes erzählt: sobald er den Bissen genommen hatte, ging er sofort hinaus, es war aber Nacht, da er hinausging (s. Joh. 13,30). Nach wenigen Stunden sehen wir ihn an der Spitze der feindlichen Schaar. So pünktlich muß er den Befehl Jesu ausrichten, es ist der letzte, den er empfangen hat, und er muß sich also auch in diesem Werke ^noch bewähren als einen erwählten Apostel, d. h. als einen Boten des Herrn. Der Herr aber erreicht durch diesen Befehl an seinen Verräther, der sein Diener ist, daß der Wille seiner Feinde, welche seine Gefangennehmung nach dem Feste beschlossen haben, vereitelt und sein Wille, am Feste der Erlösung Israels zu sterben, erfüllt werde.
Noch niemals ist der Sinn der Jünger so verfinstert gewesen als damals, wie dieses zwischen Jesus und Judas vorging. Sie sind fort und fort der Meinung, daß Judas Einer der Besten unter ihnen ist, und wenn sie es freilich nicht mehr überhören und übersehen konnten, daß Jesus ihn nunmehr geradezu als seinen Verräther bezeichnet, so denken sie eher an alles Andere, als an seine ruchlose Schlechtigkeit, sie mögen sich vorstellen, daß der Verrath ihm als ein Unglück widerfahren werde, bei dem er mehr zu bedauern als zu verabscheuen sei. Sie halten sich eben an seine äußere Erscheinung und diese ist correcter als die aller Anderen, sie merken ihm gar nichts Befremdliches und Abweichendes an, fragt er doch eben so gut, wie die Uebrigen: „Herr, bin ich es?“ Aber warum haben sie nicht dem Worte Jesu bei dem Gastmahl in Betanien, das er vornehmlich gegen Judas richtete, weiter nachgedacht? Warum haben sie kein schärferes Auge für seine „Schleichwege, die sie doch später entdeckt haben? Warum anders, als weil auch sie noch unverständig sind (s. Matth. 17,16), als weil auch ihr Herz, wie Marcus zwei Mal ausdrücklich sagt, noch verhärtet war (s. Marc. 6,52. 8,17)? Natürlich sind ihnen später Züge genug aus dem Verhalten des Judas in den Sinn gekommen, aus denen sie sein finsteres Wesen sicher hätten erkennen können, aber es wurde ihnen später klar, daß sie, so lange sie mit Jesu wandelten, noch viel zu sehr am Aeußeren hafteten und deshalb, weil Judas mit seinem eminenten Verstande und feiner außerordentlichen Selbstbeherrschung alles Aeußerliche mit musterhafter Correctheit wahrnahm und behandelte, selbst in den Stunden, als bereits der Teufel ungehemmten Zutritt zu seinem Herzen gefunden hatte, diesen für untadelig gehalten hatten. Es wiederholt sich das auch fortwährend und wird sich wiederholen bis an das Ende der Tage. In dem Maße, als in irgend einem kleineren oder größeren Kreise vergessen wird, daß das Reich Gottes nicht mit äußerlichen Geberden kommt und nicht in Worten besteht, sondern in der Kraft und in dem Geiste der Freude, des Friedens und der Heiligung, in dem Maße ist immer die Möglichkeit vorhanden, daß sich ein Judas einfinde, der zu den Besten gezählt wird, während ihm der Teufel im Herzen wohnt, und wenn es erst so weit gekommen, muß es sich immer wieder ereignen, daß Christus verrathen wird, ohne daß es Jemand merkt. Darum aber ist diese Geschichte geschrieben, daß Jeder, der Christi Namen bekennt, sich hüten solle vor Selbsttäuschung in Ansehung seiner selbst und Aller, mit denen er umgeht. Denn wenn einem kleineren oder größeren Kreise Solches widerfährt, wie wir es hier finden, so steht ihm eine schwere Versuchung bevor.
Vergegenwärtigen wir uns nun wiederum das Passamahl Jesu mit seinen Jüngern, so muß uns einleuchten, daß durch die vertrauliche Mittheilung Jesu über seinen gegenwärtigen Kummer plötzlich eine Störung eintritt, die eine große Kluft zwischen Jesus und den Jüngern offenbar macht. Die nächste äußere Folge davon ist das Ausscheiden des Judas, indem wir die unbestimmtere Angabe des Lukas (s. 22,21) nach der sehr genauen Zeitbestimmung des Johannes (s. 13,30) zu verstehen haben. Aber damit ist die Kluft nicht aufgehoben, denn Judas scheidet, ohne daß die Elf wissen wie und warum, und eben in diesem Nichtwissen offenbart sich ihr Mangel an geistlichem Sinn und Urtheil, ihre Befangenheit in der allgemein jüdischen Aeußerlichkeit und Oberflächlichkeit. Und zwar dient das Passa, in dessen Feier sie noch begriffen sind, recht eigentlich dazu, diese Kluft zwischen Jesus und den Elfen offenbar zu machen,. Das Passa ist ja für Israel der Genuß der reinen, neuen Speise für das durch die Erlösung von dem ägyptischen Leben neugeschaffene Dasein. Darum hat das Passa für Jesum zum ersten Mal volle Wahrheit und Wirklichkeit, er ist der Einzige, der, mitten in der Finsterniß der Welt stehend, jeden Athemzug seines Lebens in dem Geiste seines himmlischen Vaters thut, der zum ersten Mal das neue ewige Leben in ganzer Fülle hat und führt. Für ihn ist das Fleisch des Lammes und das reine ungesäuerte Brod die stärkende Speise für den ihm bevorstehenden Gang, der ihn durch die Wüste des Leidens und den Strom des Todes zu der heiligen Höhe seines Vaters führen soll. Aber die Jünger, die mit ihm essen und trinken, offenbaren sich eben jetzt als Solche, die noch von der Finsterniß der ägyptischen Welt umnachtet sind, für welche daher die Speise des Passa eine reine Aeußerlichkeit , eine leere Ceremonie, ein bloßer Schatten ist. Und doch ist Jesus der Hausvater und die Elf sind seine Hausgenossen und dieses Passa hat er veranstaltet und sich darauf im Voraus gefreuet, um es mit ihnen als das neue und wahre Haus Israel zu feiern. Soll nun die Macht der Finsterniß, die in den Jüngern ist, siegen über das Licht, das in Jesu wohnt? Umgekehrt, Jesus ist es, der in der Fülle und Kraft seines göttlichen Lebens die vorhandene Kluft ausgleicht und die offenbar gewordene Zerrissenheit seines Hauses wiederum zur Einheit herstellt und das Passa für alle Hausgenossen, mit Ausnahme des Einen, der sich freventlich losgerissen hat, zur vollen Wahrheit macht. Er setzt sich selber ein zu einem neuen Passa, in welchem Bild und Schatten des alten Passa zur leibhaftigen Wahrheit und Wirklichkeit wird. Anknüpfend an das Vorhandene, nimmt er Brod und Wein und reicht den Jüngern in Brod und Wein sein Fleisch und sein Blut zum Genusse des in ihm beschlossenen Lebens dar (s. Matth. 26,26-28. Marc. 14,22-24. Luk. 22,19.20. 1 Kor. 11,23-25). Was der Herr unzählige Mal gesagt und bethätigt hatte, daß er Nichts für sich behalten, sondern Alles den Seinen mittheilen wolle, dem setzt er in diesem Geheimniß, welches wir das heilige Abendmahl nennen, das Siegel aus. In diesem seinem Vermächtnis welches er den neuen Bund in seinem Blute nennt, zeigt er eine Macht und Tiefe der Liebe, welches alles Verstehen und Denken übersteigt. Wo wir sonst die höchste Kraft der Liebe walten sehen, wo Alles in den Dienst der Liebe gestellt und hingegeben wird, finden wir doch immer eine Schranke, Fleisch und Blut kann Organ der Liebe werden, kann sich auch im Dienste der Liebe verzehren und aufopfern, aber Fleisch und Blut selber kann nicht mitgetheilt, dieses selber kann nicht Gabe der Liebe werden. Hier ist diese Schranke aufgehoben, Jesus gibt sein Fleisch und Blut zum Genusse. Sein Fleisch ist wohl vom Fleische geboren, aber durch den Geist gezeuget, sein Blut ist der Strom eines Lebens, das von oben stammt und nach oben geht. Dadurch, daß Jesus in dem Brod und Wein seinen Jüngern sein Fleisch und Blut mittheilt, stellt er die aufgehobene Einheit und Gemeinschaft des Lebens wieder her und auf dieser neuen Grundlage einer durch keine Macht der Finsterniß mehr zu zerreißenden Gemeinschaft stehend, gewinnt Jesus wiederum die Höhe der Festfreude und vermag über die finstere Kluft, welche noch vor ihm liegt, und auch seine Jünger in ihren Abgrund hinabziehen wird, hinüber zu blicken und jenes selige Jenseits zu schauen, wo er das Gewächs des Weinstocks neu trinken (s. Luk. 22,18. Matth. 20,29) und abermals mit den Zwölfen zu Tische sitzen wird in seinem Reich (s. Luk. 22, 30). Mit dieser hellen freudigen Aussicht ist alles Störende und Trübende weit überwunden, selbst die Lücke der Zwölfzahl, welche durch das Ausscheiden des Judas entstanden ist, erscheint wieder aufgehoben. Dadurch ist nun allgemein die richtige Feststimmung wiedergewonnen und der solenne Schluß des Passamahls, das Singen der großen Lobpsalmen vom 115. bis zum 118., welcher Sitte auch Jesus mit den Jüngern folgt, kann mit voller Wahrheit diese Feier beenden.