Christlieb, Theodor - Der Segen des Herrn - II. „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig!“

Christlieb, Theodor - Der Segen des Herrn - II. „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig!“

4 Mos. 6, 25.

Die Betrachtung des ersten Teils des göttlichen Segens ist ausgelaufen in unser Gebet:

Ach bleib mit Deinem Segen
Bei uns, Du reicher Herr;
Heil, Gnad und all Vermögen
Reichlich in uns vermehr!
Ach bleib mit Deinem Schutze
Bei uns, Du starker Held,
Dass uns der Feind nicht trutze,
Noch fäll' die böse Welt!

Unsere heutige Betrachtung des zweiten Teils legt uns aus demselben Liede den Seufzer auf die Lippen:

Ach bleib mit Deiner Gnade
Bei uns, Herr Jesu Christ,
Dass uns hinfort nicht schade
Des bösen Feindes Bist!
Ach bleib mit Deinem Glanze
Bei uns, Du wertes Licht;
Dein Wahrheit uns umschanze,
Damit wir irren nicht!

Und damit merken wir schon, dass in der Aufeinanderfolge der Segensworte nicht bloß eine Entfaltung, sondern zugleich eine Steigerung liegt. Der Herr will nicht bloß die Fülle des Segens und Lebens über uns ausschütten und den Mantel seines Schutzes um uns schlagen, sondern namentlich auch unsre Finsternis vertreiben und all unser inneres Elend völlig ausheilen, bis das Siegel der Gotteskindschaft in seinem Frieden unserem Herzen eingedrückt und nach allen Seiten sein heiliger Name als Bürgschaft für die einstige Krone der Ehren uns aufgelegt ist.

Wenn wir denn heute vom Segen des Schöpfers und Erhalters der Welt, der Quelle alles Segens und aller Behütung, weiter gehen zu dem Segen desselben HErrn, Jehovas, aber als eines Gottes, der sein Antlitz leuchten lässt, der sich offenbart nach außen als Quelle des Lichts und der Gnade, an welche andere Segnung müssen wir Christen hierbei vor Allem denken, als an die, die uns sein Erbarmen erschlossen hat in der Offenbarung des Sohnes, der ja von sich sagt: „ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8,12), den die Seinen erkannten als „das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet“, von dem sie rühmen: „die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christ worden; - von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (Joh. 1,16-17)? - Wo immer Gott sich offenbart, da geschieht es durch Vermittlung des Sohnes, ohne welchen „nichts gemacht ist, was gemacht ist“ (Joh. 1,3); und wo immer Gott sein Angesicht in Christo leuchten lässt, da geschieht es in der Absicht, den Menschen die Quelle der Gnade und Hilfe zu eröffnen. Darum betet schon der Psalmist: „Gott sei uns gnädig und segne uns, Er lasse uns sein Antlitz leuchten“ (Ps. 67,2)! Denn wenn uns sein Antlitz leuchtet, so ist Er uns gnädig, „so genesen wir“ (Ps. 80,4). Wenn dagegen der Herr sein Antlitz verbirgt, so geschieht es, weil sein Zorn ergrimmt; Er muss sein Antlitz verbergen um alles Bösen willen (5 Mos. 31,17-18). Unsere Sünden treten wie eine Scheidewand zwischen uns und Gott, und verbergen sein Angesicht vor uns, dass wir nicht gehört werden (Jes. 59,2). Da müssen dann die Bedrängten, zu denen der Herr sich nicht kehren will, seufzen: „wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir!“ (Ps. 13,2; 69,18; 88,15).

Denn sie wissen, dass wenn Gott nur sein Angesicht über ihnen leuchten lässt, sie im Lichte dieses Antlitzes Gnade und Vergebung, Erlösung aus aller Not und Erhörung ihrer Bitten finden, dass ihnen damit erscheint die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes als ihres Heilandes (Tit. 3,4). Lernen wir daraus, dass wenn in dieser Form der Name des Herrn auf uns gelegt wird, damit Gott sein Antlitz über uns leuchten lasse, dann unsere Sünde getilgt, die Scheidewand des Bösen zwischen uns und unsrem Gott, die uns sein Antlitz verbirgt, vernichtet werden soll, damit uns der Gnadenschoß des Vaters wieder offen stünde, und unser Herz, wenn es wieder freundliche Strahlen von der Sonne des göttlichen Antlitzes empfängt es dem Liede nachfühlen könnte:

Dein Gnadenanblick
Macht uns so selig,
Dass Leib und Seele darüber fröhlich
Und dankbar wird.“

Siehe, deswegen steht beides zusammen: „der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir“ und „sei dir gnädig!“

So haben wir also auch bei diesem Teil der Auflegung des Namens Gottes auf die Gemeinde eine doppelte Wirkung, die im Grunde doch nur eine ist, wie wir es beim ersten Teil des Segens fanden. Da hatten wir: segne dich und behüte dich, durften aber beides nicht trennen, da der Schutz, das Behütetbleiben nur die Wirkung des Segens ist. Nun haben wir das Doppelte: lasse sein Angesicht leuchten und sei gnädig, und dürfen dies wieder nicht trennen, da die Gnade eben in dem Leuchten des göttlichen Antlitzes sich uns mitteilt! Wir dürfen aber auch, so gewiss der dreieinige Gott doch nur einer ist, diesen ganzen zweiten Teil des Segens von dem ersten gar nicht trennen. Denn was ist der größte Segen vom Vater? Die Gabe seines Sohnes als des Lichtes der Welt! Und was ist die herrlichste Behütung durch den Vater? Die Behütung vor dem ewigen Verderben, d. h. Gottes Gnade in Christo! So spiegelt sich auch hierin das Geheimnis der inneren Unterschiede in Gottes Wesen ab, die doch zugleich eine unzertrennte Einheit bilden, da wir, was auch der dritte Teil bestätigen wird, in den einzelnen Teilen des Segens Verschiedenes vor uns haben, das sich doch wieder in Eines zusammenschließt.

So möge sich denn heute in unserer Andacht der Segen und Schutz des Vaters zum Licht und zur Gnade des Sohnes erweitern! Verleihe der Herr selbst, dass auch diese Worte sich in lebendigmachender Kraft an unsern Seelen erweisen, und möge insbesondere denen von euch, welchen das Angesicht Gottes noch nicht leuchten, welchen die Gnadensonne noch immer nicht ins Herz scheinen konnte, und denen, die an der Kälte im Gebet, an der Verdrossenheit im Umgang mit Gott merken, dass durch neue Sünden ihr einst so klarer Himmel sich aufs Neue mit Wolken bedeckte, und dass ihnen darum der freie, fröhliche Ausblick zum Gnadenthron fehlt, möge ihnen in diesen Worten des Segens der Herr mit mildem Blicke begegnen, der von sich sagt: „Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke und deine Sünde wie den Nebel!“ (Jes. 44,22). Hierzu arbeite der Geist seiner Gnade in dieser Stunde an unser Aller Herzen, wenn wir bei der Auflegung des Namens Gottes als Quelle des Lichts und der Gnade auf die Gemeinde wiederum gemäß den Textesworten ihre doppelte Wirkung zu erforschen suchen:

  1. unsre Erleuchtung,
  2. unsre Begnadigung.

Du aber, o Licht und Heiland aller Welt, von dem geschrieben steht: „Er wird auftreten und weiden in Kraft des Herrn und im Sieg des Namens seines Gottes“ (Micha 5,3), weide uns in dieser Stunde auf der grünen Aue Deines Worts, und hilf Deinem und Deines Gottes heiligem Namen zum Sieg in unsren Herzen! „Herr, haben wir Gnade gefunden vor Deinen Augen, so gehe nicht vor Deinen Knechten vorüber“ (1 Mos. 18,3), ohne über uns leuchten zu lassen Dein Angesicht, dass wir erkennen den Reichtum der himmlischen Güter, womit wir gesegnet sind in Deinem Namen. Gib, o Erbarmer, einen Strahl Deines Lichtes auch in die Seelen, die noch in Dunkelheit und im Schatten des Todes wandeln, „öffne die Augen der Blinden, führe die Gefangenen aus dem Gefängnis und die da sitzen in Finsternis, aus dem Kerker“ (Jes. 42,7)! O mahne sie mit heiligem Ernst: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch; glaubt an das Licht, dieweil ihr es habt“ (Joh. 12,35,36), damit sie erkennen, dass „kein andrer Name den Menschen gegeben ist, darinnen sie sollen selig werden“ (Apg. 4,12), als allein der Name: Jesus! Amen.

1) „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir!“

Welchen Einfluss soll das auf dich haben? So oft der Herr sein Angesicht leuchten lässt, so ist die erste Wirkung hiervon Licht; und so oft es in der Welt licht und helle ward und wird, da geschah und geschieht es durch Vermittlung des ewigen Sohnes, des Lichts der Welt. Als Gott die Erde erschuf und es noch finster war auf der Tiefe, als Er mit der Stimme, die nicht leere, schallende Worte, sondern Dinge spricht, die im Sprechen selbst die inneren Gedanken Gottes unmittelbar verwirklicht, sprach: „es werde Licht“, und es Licht ward, da geschah schon diese erste Offenbarung Gottes durch das ewige Wort Gottes, durch das Alles geschaffen (Kol. 1,16), ohne das nichts gemacht, was gemacht ist, in dem das Leben und das Licht der Menschen war (Joh. 1,3-4), davon schon jener Weise etwas ahnen mochte, der die ewige Weisheit beschreibt, die „der Herr besaß im Anfang seiner Wege, die da war, als Er die Himmel bereitete und den Kreis zog über die Wassertiefen“ (Sprich. 8,22-31). Das erste Wort, das über die Welt gesprochen ward, ward von Gott durch jenen Erstgebornen vor aller Kreatur (Kol. 1,15) gesprochen, und dieses erste Wort war Licht, war ein Leuchtenlassen des göttlichen Angesichts. -

Heller musste dieses Antlitz leuchten und näher musste es den Menschen treten, als Gott sich ein Bundesvolk erwählt hatte. „Mein Angesicht soll gehen, damit will Ich dich leiten“, wird 2 Mos. 33,14, Israel verheißen, da es durch die Wüste zichen sollte, und das Angesicht des Herrn, der Engel seines Angesichts (Jes. 63,9), der Engel des Bundes (Mal. 3,1), in welchem Gottes Name war (2 Mos. 23,21), das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol. 1,15), der Glanz seiner Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens (Hebr. 1,3), zog ihnen in der Wolken- und Feuersäule schützend und leuchtend durch Wüste und Finsternis hindurch voran, „und der geistliche Fels, der mit folgte, war Christus“ (1 Kor. 10,4).

Und als dieses leuchtende Angesicht, die ewige Lichtoffenbarung Gottes, den Menschen am Allernächsten trat, als das Wort Fleisch ward und unter uns wohnte, als es nicht mehr in der Ferne eines Engels, sondern in der Nähe eines leiblichen Bruders den Menschen entgegentrat, da war seine Herrlichkeit zu sehen, „eine Herrlichkeit, als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1,14); da ward erfüllt, was Jesaja schaute Kap. 9,2: „das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die, die da wohnen im finstern Lande, scheinet es helle.“ Und siehe, als das Auge des Lichtes der Welt auf Golgatha todesmüde zu brechen begann, als das Licht in die Finsternis hinabstieg, um die Finsternis für uns hell zu machen, da verlor auch das äußere Licht, die Sonne, ihren Schein, und es ward eine Finsternis über das ganze Land bis an die neunte Stunde (Luk. 23,44-45). Und endlich, wenn einst Christus, der helle Morgenstern (Off. 22,16) wieder gekommen sein wird und mit ihm sein Lohn (V. 12), wenn der Kampf zwischen Licht und Finsternis zur letzten Entscheidung gebracht ist, wenn das Alte vergeht und für den neuen Himmel und die neue Erde ein ewiger Morgen anbricht, wenn die heilige Stadt aus dem Himmel herabfährt, darin die Hütte Gottes bei den Menschen ist, die Stadt, die „keiner Sonne noch des Mondes bedarf, dass sie ihr scheinen“, wenn nicht nur das Angesicht, sondern die Herrlichkeit Gottes in ihr und über ihr leuchtet, dass „ihr Licht gleich dem alleredelsten Stein ist“: auch dann ist ihre Leuchte das Lamm (Off. 21,1-23), auf dass das Licht der Welt, durch welches einst ihr erster Morgen aufdämmerte, wie der schaffende „Anfang der Kreatur Gottes“ (Off. 3,14), so auch der sie vollendende Schluss sei, dass Jesus Christus, durch welchen und zu welchem Alles geschaffen ist (Kol. 1,16), dastehe, wie als der Morgenstern des Anfangs, so als die Leuchte des Endes, als der Erste und der Letzte! (Off. 1,17.)

Nichts Anderes, als diese lebendig machende Kraft Christi, des Lichts der Welt, ist es, was dich erfüllen soll durch diesen zweiten Teil des göttlichen Segens, und die nächste Wirkung hiervon kann nur Licht sein. „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir“ will sagen: Das Angesicht Gottes, seine ewige Offenbarung im Wort vom Anfang, in Christo, gehe dir auf in deiner natürlichen Finsternis und erleuchte dich, dass es Licht in dir selbst und Licht um dich her werde! Die neuschaffende, den Weg in der Finsternis zeigende und bahnende, die Bundeskinder erleuchtende, vollendende und verklärende Kraft des Lichts der Welt führe auch dich aus der Finsternis auf den Weg des Lichts und geleite dich auf demselben zur Teilnahme an dem Lichtende der Verklärung! Der Heilandsname Jesu Christi, den Jesaja auseinanderlegt als „Wunderbar, Rat, Kraft-Held (starker Gott), Ewig-Vater, Friedefürst“ (9,6), erweise sich auch an dir in diesen seinen Eigenschaften, die uns zum Heil und zur Herrlichkeit leiten sollen! Was Er als der Lichtanfang und das Lichtende in seinem Reich im Großen vollbringt, das tue Er an deiner Seele im Kleinen!

Da muss Er denn freilich, wie er die Finsternis der Welt durch stufenweises Hervorbrechenlassen des Lichtes bekämpft, auch die einzelne Seele, die Er erleuchten soll, stufenweise von einer Klarheit zur andern führen. - Da kommt eine Seele vor Ihn, in der die Sünde so mächtig wurde, dass von dem Licht und der Kraft eines göttlichen Adels in ihr fast nichts mehr zu erkennen ist, eine Seele, in der es wieder „wüste und leer geworden ist und finster auf der Tiefe“ ihres Elends, ihrer Todesnot, und möchte einen Segen haben von dem Wort: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir. Die anders kann da der Herr seinen Namen auf sie legen, als dass Er wieder wie vor Alters mit der Stimme, die im Sprechen schafft, über sie und in sie hinein ruft: es werde Licht! Licht in dir, dass du doch endlich die Nachttiefe deines Elends erkennest, dass dir endlich der Unterschied zwischen Licht und Finsternis klar werde! Es werde Licht in dir, dass dir die Sünde trotz ihres gleisnerischen Glanzes als gräuliche Finsternis, das dunkle Wort von der Gnade und Versöhnung aber heller und immer heller erscheine! Es werde Licht in dir, damit es durch deine Erkenntnis der Sünde auch Licht über dir werden und Gottes Gnadenantlitz dir leuchten könne! Das ist die erste Stufe der Erleuchtung, dass eine Seele durch das Nahekommen des göttlichen Lichtes den Unterschied zwischen der eigenen Finsternis und dem göttlichen Licht gewahr wird. O glaube doch Keines, dass es diesen Unterschied schon scharf genug erkannt habe! Unsre Augen sind hienieden so getrübt, dass sie die Sünde nie völlig in der Schwärze erkennen, in der sie dem heiligen Auge Gottes erscheint. Wir bemänteln unzählige Vergehungen mit gelinden Namen, als Fehler, Schwachheiten, Versehen, und leben uns dadurch oft in eine Anschauung von der Sünde hinein, die der göttlichen weit nicht mehr entspricht. Unzähliges erscheint uns kaum noch als leichter Flecken an uns, in Wahrheit aber, d. h. in Gottes Augen, ist es eine tiefdunkle, todesgefährliche Wunde unserer Seele.

Ach sehet doch, liebe Seelen, dieser Selbsttäuschung über die Sünde, die bei Tausenden der Grund ihrer Lauheit und Sicherheit, ja der Grund ihres ewigen Verderbens ist, möchte der Herr gerne bei euch abhelfen in der Auflegung seines heiligen Namens als Quelle des Lichts, d. h. durch eure Erleuchtung. Wo man ein Feuer hinträgt, da wird es helle; so soll es in euch, wenn das wunderbare Licht, das verzehrende Feuer des heiligen Namens des Herrn euch nahe gebracht, ja auf euch gelegt wird, in eurem Herzen und in eurer Erkenntnis helle werden, dass ihr „in seinem Licht das Licht sehet“ (Ps. 36,10), dass ihr erleuchtet von Ihm, im Licht der göttlichen Heiligkeit jede Sünde betrachten lernet als das, was sie in Gottes Augen ist, als eine Entheiligung seines Namens, als eine schwer wiegende Schuld, ein Majestätsverbrechen gegen Ihn, gegen eure eigene göttliche Adelswürde und euren hohen, himmlischen Beruf. Als der, der da heißt Wunderbar, möchte dabei euer Herr und Heiland euch aufs Neue „berufen von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1 Petr. 2,9).

Oder du stehest vielleicht schon im Anfang der Erkenntnis deiner Sünde, du kommst vor den Herrn als eine Seele, die den Unterschied zwischen natürlicher Finsternis und göttlichem Licht ahnt und immer mehr fühlt, die aber erschrocken über ihr Verflochtensein in das Todesverderben der Sünde sich ratlos wie in einer Wüste, nur Nacht und Dunkelheit um sich und keinen Ausweg vor sich sieht. O da lasse deinem Ohr die Worte lieblich klingen: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir! Einst hat sich auch schwarz wie die Nacht, weil rings bestreut mit dunkeln Feuersteinen, unabsehbar die furchtbare Wildnis, jene Wüste, „die groß und grausam ist“ (5 Mos. 1,19), wegelos und quellenlos ausgedehnt vor dem verzagenden Blick der Kinder Israel. Da ging ihnen das Angesicht Gottes auf in der Feuersäule, nur um so heller und schöner sich abhebend über dem dunklen Grund der Wüste, und leitete sie, überall Rat und Hilfe schaffend, nach Kanaan. So soll und will der Herr in seinem Segen sein Angesicht auch über dir leuchten lassen, will gerade über dem dunklen Grund deines Elends mit dem Licht seiner Gnade um so freundlicher erscheinen, wenn du anders von Herzen seufzen kannst mit dem Psalm: „Gott sei uns gnädig und segne uns; Er lasse uns sein Antlitz leuchten, dass wir auf Erden erkennen seinen Weg, unter allen Heiden sein Heil!“ (Ps. 67,2-3.) In diesem Teil des göttlichen Segens soll der Jakobsstern, der am Nachthimmel der Schuld und des Todesverderbens am Leuchtendsten aufgeht, auch durch deine Finsternis blinken, und dir aus der Wüste, aus der traurigen Gesellschaft der Welt und deiner eigenen Sünden heraus den Weg nach Bethlehem und Golgatha weisen; der heilige Name Gottes und des ewigen Gottessohnes soll auch als Rat, als der, welcher Rat schafft, wo Alles ratlos ist, dir aufgelegt werden, und dir Rat, Ausweg, Zuflucht verschaffen durch das Wort von der Versöhnung, damit du die selige Erfahrung machst: wen der Herr in eine Wüste führt, mit dem will Er freundlich reden (Hos. 2,14).

Und du, müde Seele, die du einen schönen Anfang in der Heiligung gemacht hast, aber den Kampf gegen die immer anklebende Sünde, die tägliche Kreuzigung des Fleisches oft allzu sauer findest, ziehe doch auch du aus den Worten: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir! die Segenskraft, die für dich darin liegt. Wenn der Herr sagt: „ich bin das Licht der Welt“, so setzt Er hinzu: „wer mir nachfolget, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8,12). Auch hierzu soll dir dieser Teil des Segens mächtig helfen. Das hebräische Wörtlein für „über“ bezeichnet nicht bloß die Richtung auf etwas zu, sondern auch in etwas hinein. Das göttliche Antlitz soll nicht nur über dir aufleuchten, sondern zugleich in dich hinein scheinen. Der Name des Herrn wird dir aufgelegt nicht nur als ein Licht zur Erkenntnis der Sünde und der Gnade, sondern auch als eine Kraft, eine starke Gotteskraft, im Lichte zu wandeln, das Licht immer völliger zu lieben und die Finsternis immer völliger zu verabscheuen. Der Herr soll und will dir in diesen Worten nicht nur den Weg zum Leben zeigen, sondern Er will auch als eine heilige Lichtkraft in dir „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ selbst für dich werden. Wo die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht, da kommt auch Heilung, Stärkung, Neubelebung, Vollendung unter ihren Flügeln (Mal. 4,2)!

Und du namentlich, Betrübter, Trauernder, Angefochtener, dem der Kreuzesweg oft fast zu schmal däucht, weil es bei deinen herben, einschneidenden Verlusten, oder unter schweren und langen Leiden Leibes und Gemütes, oder sonst unter allerlei harten Prüfungen dunkel über dir und in dir und vor dir in der Zukunft werden will, also dass du verzagt dich zu fragen anfängst, ob der Herr dich denn wirklich auf rechter Bahn führe, lass doch du besonders, der du das Licht der Freude, die Sonne der Gnade und Freundlichkeit Gottes je und je nicht mehr sehen kannst, es dir wichtig und teuer werden, deinen Glauben stärken, deine Hoffnung beleben, wenn der Name Gottes als Quelle des Lichts dir aufgelegt wird! Wie wenn nach trüben Wolkentagen plötzlich das Licht der Sonne wieder hervorbricht, es dann so süß und den Augen lieblich zu schauen ist (Pred. 11,7), dass Aller Herz sich unwillkürlich erleichtert, neuen Mut zum Leben gewinnt und getroster in die Zukunft blickt, so soll es dir nach dunkler Leidensnacht um so süßer und trostreicher klingen, dass nun das Licht des göttlichen Angesichts, dieser Quell und Inbegriff aller reinen Freude und Wonne, auch über dir auf und in dich hineinleuchten soll. Da sollen, wenn du nur aufrichtig und demütig nach des Herrn Hilfe und Trost verlangst, deine Wolken alle sich zerteilen, dass es wieder helle über dir und darum auch in dir und vor dir werde. Da sollst du es erfahren, dass „dem Gerechten das Licht immer wieder aufgehen muss, und Freude den frommen Herzen“ (Ps. 97,11), sollst es wieder in getrostem Glauben festhalten lernen, dass der Herr auch unter Leidensschickungen doch Ewig-Vater und Friedefürst für die Seinen bleibt, ja dass Er zum Pfand dafür seinen Namen dir auflegen lässt, damit auch du allezeit rühmen könnest: „Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen“ (Ps. 23,3)!

Ach so kommet denn, alle Mühseligen und Beladenen, alle Heils- und Gnadedurstigen, möget ihr noch schwer beladen vor der engen Pforte stehen, oder mühselig den schmalen Weg pilgern, kommt mit der Bitte Davids im Herzen: „lass leuchten dein Antlitz über deinen Knecht“ (Ps. 31,17), und schöpfet Wasser des Lebens umsonst aus der Segensquelle dieses Wortes!

Sehet ihr nicht, wie die Kraft und Bedeutung desselben im neuen Bund noch eine unendlich größere geworden ist, als im alten? In den Worten: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, ist fast 1500 Jahre lang vor ihrer vollkommenen Erfüllung auch das gebeten worden, dass „der Aufgang aus der Höhe sein Volk besuchen“ und das Licht der Welt erscheinen möge voller Gnade und Wahrheit. Nun aber heißen die Worte nicht mehr bloß: der Herr gehe dir auf als Licht in der Finsternis und führe dich zum Licht und zum Leben, sondern auch: Er bringe dich zur Erkenntnis, dass das Licht erschienen ist, dass du von der Obrigkeit der Finsternis bereits errettet bist (Kol. 1, 13), und der Weg des Lichts dir nun offen steht. Der Herr will nicht mehr bloß als zu kommender, sondern als Gekommener in diesen Worten euch freundlich nahe sein, will euch entgegen kommen, nicht nur um euch zu segnen und zu behüten, sondern um auch euch seinen Heilands- und Erlösersnamen aufzulegen, euch zu erleuchten, damit ihr im Licht dieses freundlichen Antlitzes erkennet, wie der Gnadenschoß Gottes euch offen steht. Du sollst nicht mehr bloß als Geschaffener von der Quelle alles Lebens heimgesucht und gesegnet werden, wenn der Herr sein Angesicht über dir leuchten lässt, sondern über dich als Verlorenen, in Finsternis Gesunkenen und der Obrigkeit der Finsternis anheim Gefallenen, soll das Licht der Welt, die ewige Geistersonne, die auf Golgatha unterging, um am Ostermorgen desto herrlicher und siegreicher zu erglänzen, ihre heiligen und heilenden Strahlen ausgießen, damit du vor dem Vater dastehst im Schmuck des Todes Christi, angetan mit dem lichthellen Kleid seiner Gerechtigkeit, erfüllt mit der ewigen Lebenskraft des Auferstandenen, versiegelt vom heiligen Geist auf den Tag der Erlösung! (Eph. 4,30.)

Und hiermit haben wir bereits erkannt, wie die erste Wirkung des göttlichen Lichtes, unsre Erleuchtung, auch

2) zur Begnadigung führt,

ja wie dem Wort: „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir“, mit Notwendigkeit folgen muss: „und sei dir gnädig!“ Wird der Name Gottes als Quelle der Gnade auf dich gelegt in diesem zweiten Teil des Segens, so soll und will Gott deine Finsternis ansehen als vertrieben vom Lichte Christi, deine Sünde als abgewaschen in seinem Blut, deine Mängel und Fehler als aufgewogen von seinem vollkommenen Verdienst. Er will dich ansehen, wie du dich als ein Küchlein geborgen hast unter die Flügel der Gerechtigkeit Christi, als erlöstes und versöhntes Kind, Er will und muss dir darum gnädig sein, deine Missetat vergeben und deiner Sünde nimmermehr gedenken (Jer. 31,34). O höret doch das, alle angefochtene und an ihrer Begnadigung zweifelnde Seelen! Wenn ihr im Kämmerlein der Vergebung nicht gewiss werden könnet, so wird euch nicht bloß vor dem Genuss des heiligen Abendmahls, sondern am Schluss jedes Gottesdienstes auf Befehl Gottes der sündentilgende Name des Herrn aufgelegt, wenn ihr Ihn anders im Glauben annehmen wollet, damit ihr aufs Neue der Vergebung versichert und in eurem Gnadenstand befestigt würdet! O wie oft geht man aus eigener Schuld ungestärkt, ungetröstet vorbei an Gottes Gnade, die uns nicht etwa nach menschlicher Ordnung und Gewohnheit, sondern auf Gottes Befehl zugesprochen wird in den Worten: und sei dir gnädig! Ist es auch recht, wenn ein also Gesegneter noch im Zweifel bleibt über seine Annahme zu Gnaden? wenn er noch blöde und zaghaft nach dem Heilsmanna, dem Lebensbrot der Gnade, seufzt, das doch längst von Gott gar reichlich auf seinen Weg gestreut worden war, das er nur bußfertig hätte aufnehmen und in dankbarem Glauben festhalten dürfen? Lasse doch Keines dieses köstliche Mittel zur Stärkung eines zaghaften Glaubens länger unbenützt! Ziehe Jedes zur Überwindung aller Anfechtungen daraus die selige Gewissheit: es ist die Quelle aller Gnade, der Name Gottes unseres Heilandes (1 Tim. 1,1), der will, dass allen Menschen geholfen werde (1 Tim. 2,4), auf mich gelegt worden als Pfand und Siegel meiner Vergebung!

Hier stehen wir in der Mitte des göttlichen Segens. Das ganze herrliche Gewächs ist nun zum Blühen gelangt, und die köstliche, süßduftende Blume, die es vor unsern Augen treibt, die Blüte, zu deren Entfaltung alle vorhergehenden Worte nur gleichsam den Stängel bildeten, heißt Gnade. Pflücke diese Blume, mach sie dir zu eigen im Glauben, sonst geht alles Folgende für dich verloren!

Doch wir haben außer der Sünde noch manches Andre an uns, dem der Herr gnädig sein muss. Und da ist es denn gar gut, dass uns auch hier wieder das liebe kleine Wörtlein „dir“ begegnet, das uns so deutlich anzeigt, dass Gott im Segen als Person zur Person redet, dass er sich dabei an jeden einzelnen, an seine besonderen Bedürfnisse wendet. So fassen wir denn Alles, was in und an und um uns ist, zusammen und legen es getrost in dieses Wörtlein „dir“ hinein, und bringen so unsre ganze Person vor Gott, ohne auch nur das kleinste Bedürfnis zurückzulassen, damit Er seine Gnade darauf lege.

Der Herr sei dir gnädig zuvörderst schon bei deinem Gebete! Geht das Antlitz Gottes, dessen Verbergung die Nichterhörung unseres Gebetes ist, freundlich leuchtend auf über deiner Seele, und bedeckt der aufgelegte Name Gottes als unseres Heilandes deine Sünden, so kann und muss der Herr freundlich und gnädig sein auch deinem Beten und Seufzen. Erleuchtet und begnadigt lernst du auch im Übrigen erhörlich beten, oder, wie wir auf neutestamentlicher Stufe es ausdrücken dürfen: als Glied am Leibe Christi sollst du auch beten können in Christi Namen und so erhört werden. Wenn David, die Kinder Korah und alle Frommen des alten Bundes so oft seufzen mussten: „Herr, wie lange willst du mein so gar vergessen? wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“ (Ps. 13,2) „wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: wo ist nun Gott? - harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, dass Er mir hilft mit seinem Angesicht“ (Ps. 42,3-6), - o wie mag es ihnen da wohl getan haben, aus dem Munde des Priesters zu vernehmen: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, Er zeige dir wieder sein Antlitz, das Er so lange vor dir verbarg, Er fülle dich mit Gnade und Frieden und gewähre dir alle deine Bitten (Ps. 20,6)! -

Nun so vergiss auch du nicht, dass der Name des Herrn, wenn Er auf dich gelegt wird, dir eine Bürgschaft nicht nur des Heils, sondern auch der Erhörung ist. Lerne, wenn du lange nach Erhörung seufzen musstest, dich freuen über den Trost, den dir der Herr in diesen Worten sendet, und lasse sie dir in gläubiger Zuversicht zum Herold der nahen Hilfe werden, wenn du vernimmst: der Herr sei dir gnädig, gleich als hieße es: der Herr, der deiner Sünde gnädig sein will, verberge sein Antlitz nicht vor deinem Schreien! Wenn du wirst rufen, so soll Er dir antworten; wenn du wirst schreien, so soll Er sagen: siehe, hier bin ich! (Jes. 58,9.) Der dir in Christo sein Teuerstes geschenkt hat, soll auch mit den anderen, geringeren Gaben nicht karg gegen dich sein; der seinen eigenen Sohn für dich dahin gegeben hat, wie sollte Er dir mit Ihm nicht Alles schenken (Röm. 8,32)?

Und nicht bloß bei deinen Gebeten. Der Herr sei dir gnädig nach allen deinen Bedürfnissen! Als dort Joseph nach langer Trennung zum ersten Mal seinen Bruder Benjamin wieder sah in Ägypten, da grüßt er ihn aus überströmendem Herzen, dem schon die Tränen nahe treten, mit dem Segensgruß: „Gott sei dir gnädig, mein Sohn“ (1 Mos. 43,29 ff.), gnädig nach Leib und Seele, nach allen deinen Bedürfnissen! So wallt Gott dem Vater und seinem Sohne Jesu Christo, der zum Herrn nicht bloß über die Schätze Ägyptens, sondern zum Pfleger aller himmlischen Güter eingesetzt ist (Hebr. 8,2), auch das Herz über, in Sonderheit wenn Er lang getrennte und darum in Mangel und Not geratene Glieder seines großen Haushalts wieder demütig und hilfsbegierig zurückkehren sieht vor sein Antlitz, dass Er seinen Namen als Gnadenquell legen muss auf die arme, hilflose Seele nach allen ihren Bedürfnissen. Sie stehen alle vor seinem allsehenden Auge in dem Wörtlein „dir“. Darum bringe dich vor Ihn unter diesen Worten mit dem ganzen inneren und äußeren Elend des Lebens, mit aller geistlichen und leiblichen Not! Er sei dir gnädig bei allen Schwachheiten und Lieblingsfehlern, die auch einer neuen Kreatur in Christo noch ankleben! Er lasse seine Gnade und Geduld alle Morgen über dir neu werden, und werde nicht müde, dich aufzurichten, so oft du strauchelst! Er sei dir gnädig in deinen Versuchungen, Er lasse nicht zu, dass du versucht werdest über dein Vermögen, (1 Kor. 10,13), Er ziehe seine Hand nicht von dir ab, dass du in ihnen den Sieg behaltest! Der Herr Jesus bitte für dich, dass dein Glaube nicht aufhöre, wenn Satanas deiner begehret! (Luk. 22,31-32.) Er sei dir gnädig bei deinen Anfechtungen! Dieweil du in ihnen so oft sein Gnadenantlitz aus den Augen verlierst, so lasse Er es dir leuchten und das Licht seines Friedens deine Nacht durchbrechen! Er sei dir gnädig, auch bei deinen zeitlichen Sorgen und der äußeren Mühsal deines Lebens, dass dir nicht mehr auferlegt werde, als du tragen kannst!

Er sei dir gnädig bei deinem Kreuz, das die Nachfolge Christi über dich bringen muss. Er lese für dich ein gerade dir besonders heilsames Kreuz heraus, aber ein solches, unter dessen Last du nicht zusammenbrichst, wie dein Herr auf dem Schmerzensweg nach Golgatha! Er gebe dir jeden Morgen und Abend in Gnaden die nötige Kraft und Geduld, es zu tragen, damit du dein Vertrauen nicht wegwerfest! Er sei dir gnädig in allen Prüfungen, in Schmerzen und Krankheiten, in Trübsal und Verlusten, und lasse sie das in dir wirken, wozu sie gesandt werden, deine Läuterung! Er sei dir gnädig insbesondere auch bei den zeitlichen Strafen und Züchtigungen, die Er dir nicht ersparen darf und kann, um dich in der Demut zu erhalten und vor Sicherheit zu bewahren! Wenn Er dich züchtiget, so geschehe es mit gnädigem Maße, und nicht in seinem Grimm, auf dass Er dich nicht aufreibe (Jer. 10,24); Er lasse dich dabei die Hand erkennen, die stäupt, aber aus Liebe (Hebr. 12,6), die der Rute braucht, aber aus Barmherzigkeit, die auch durch das Gericht hindurch Gedanken des Friedens auszuführen weiß! Er verleihe dir „in Gnaden, dass du dich der Züchtigung nicht weigerst“ (Hiob 5,17), sondern der Rute stille haltest, dass du sie nicht gering achtest, aber auch unter ihr nicht verzagest (Hebr. 12,5), dass sie dir gebe eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit als einem, der dadurch geübt ist (V. 11)!

Er sei dir gnädig endlich auch in deinem letzten Stündlein, Er bleibe dir zur Seite stehen im letzten Kampf. Er mache seine Gnade zum Kissen, darauf du sanft dein Haupt neigen kannst zum ewigen Schlummer, und lasse wie schon im Leben, so doppelt hell im Sterben sein Angesicht über dir leuchten, wenn du wandern sollst durch das dunkle Tal!

So unendlich reich strömt die Quelle der Gnade aus diesen Worten, und strömt fort, so wir sie nicht mutwillig verscherzen, über alle unsre Bedürfnisse, bis die letzte Not vorüber, ist. Es ist ja freilich nur freie Gnade, wo der Herr gnädig ist (2 Mos. 33,19); aber wo Er es einmal ist, da ist Er es auch gerne fort und fort. Er bleibt als Jehova sich gleich, und setzt darum das Werk seiner Gnade gern fort (Röm. 9,15) bis ans Ende. - O „gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns so reich gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum!“ (Eph. 1,3). O wohl der Seele, über der das Licht des göttlichen Antlitzes leuchtet, in deren Herz der Tag angebrochen und der Morgenstern aufgegangen ist (2 Petr. 1,19), Heil ihr im Leben, Heil ihr im Sterben und Auferstehen! „Wohl dem Volk, das jauchzen kann“ über seinem Gott, dass Er so gern und so überschwänglich reich segnen will; wohl auch dir, so du willst lernen „im Licht dieses Antlitzes wandeln, über diesem Namen, über die Auflegung des Namens Gottes als unseres Heilandes täglich fröhlich und in seiner Gerechtigkeit herrlich sein!“ (Ps. 89,16-17.)

Nun denn, Geliebte, der Gott, der in den Worten: der Herr segne dich und behüte dich! als Schöpfer und Erhalter der Welt vor euch tritt, euch zu segnen und zu behüten, damit ihr mit seinem Namen versiegelt hingehet als Herren und Könige der irdischen Schöpfung, und den aus seinem Mund empfangenen Lebenshauch hindurchrettet durch das Todesverderben der Sünde, der will in den Worten: der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig! als Gott aller Gnade, alles Heils, als Welterlöser euch nahen und euch heilen. Erst kommt der Herr zu euch als zu Geschaffenen, euch zu segnen und zu behüten; dann nahet Er sich im Sohne, im Licht und Leben der Welt, zu euch als zu Gefallenen und will euch freundlich an sich locken, gleich als hörtet ihr Ihn rufen: Kommt her zu mir, Mühselige und Beladene, Ich will euch erquicken! Kommt her mit aller eurer Finsternis, damit das Licht meines Namens euch aufgehe und die Nacht vertreibe! Kommt her mit der Bürde eurer Sünden, dass meine Gnade euch die Last vom Herzen wälze und euch das sanfte Joch meiner Liebe auflege! Kommt her mit eurem ganzen Elend Leibes und der Seele, mit euren zahllosen Wunden und Schäden, dass ich meinen Helfer- und Heilandsnamen als heilenden Balsam darauf lege! Komm, Lebender, mit deiner Arbeit und Sorge, deiner Not und Anfechtung, ruht mein Name auf dir, so „kriegst du neue Kraft, dass du laufest und nicht matt, dass du wandelst und nicht müde wirst!“ (Jes. 40,31.) Komm, Leidender, mit deinen Schmerzen und deiner Trübsal, ruht mein Name auf dir, so bist du „erfüllet mit Trost und überschwänglich in Freuden in aller deiner Trübsal!“ (2 Kor. 7,4.) Komm, Sterbender, mit deiner Furcht und Bangigkeit, mit deinem sturmbewegten Glaubenslämplein, ruht mein Name auf dir, so muss auch die Todesnacht Licht um dich sein, dass du im Frieden von hinnen scheiden kannst!

O lasset euch doch bei diesem freundlichen Ruf nicht lässig finden! Bringt her vor Gott all euer Elend bei diesen Worten! Euch Beladenen, in Finsternis Wandelnden, Leidenden, Kranken, gilt dieser Teil des Segens ganz besonders. Wenn ihr hier durch das Anhören des göttlichen Wortes an euren tiefen Schaden schmerzlich erinnert worden seid, o dann decket unter den Worten des Segens dem Herzenskündiger alle eure geheimen Wunden und Schäden auf, lasset sie bescheinen vom Licht seines Antlitzes und heilen vom Balsam seiner Gnade! Der Gott aller Gnade und in Ihm der Mittler des neuen Bundes will seinen Namen euch auf das Haupt legen, damit ihr gezeichnet bleibt als begnadigte Bundeskinder und hier schon einen Vorgeschmack hättet von der Erfüllung jener Verheißung: „Ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und meinen Namen den neuen“ (Off. 3,12). O versenkt euch in dieses Wunder der Gnade, tretet her mit der Demut und Heilsbegierde gefallener, im Dunkel schmachtender Kinder, die ihr Herr und Heiland wieder aufrichten und in seinen Gnadenschoß zurückleiten will, und lasset diese Segensworte mit heiliger und heilender Kraft eure Seele durchströmen, als hörtet ihr eine Prophetenstimme rufen: „mache dich auf, werde Licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir.“ (Jes. 60,1.) Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/christlieb_t/christlieb_t-der_segen_des_herrn/christlieb_t-der_segen_des_herrn-2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain