Zschokke, Heinrich - Familien-Andachtsbuch - 3. Die häusliche Andacht.
Ephes. 5, 15
Erhab'ner Gott, den tausend Welten preisen,
Und dessen Ruhm der Wurm des Staubes singt;
Um dessen Thron des Himmels Sonnen kreisen,
Vor dem der Seraph betend niedersinkt:
Auch meine Hütte will ich, Herr, Dir weih'n,
Sie soll Dein Heiligtum und Tempel sein.
Es ist ein herzerhebender Anblick, im Kreise einer frommen Familie zu stehen, wenn sie sich mit dem Heiligsten und Erhabensten, was die Welt hat, mit der Gottheit, unterhält. Wen lässt die Träne unbewegt, welche in dem zum Himmel gewandten Blicke einer Mutter zittert, wenn sie für das Leben, für die Gesundheit, für die Unschuld, für das Wohlergehen ihrer teuren Kinder betet? Wer kann gleichgültig bleiben, wenn ein ehrwürdiger Vater, umgeben von seinen Hausgenossen, das Haupt entblößt, und nun, flehend für das Glück seines Hauses, sich zu dem König der Könige, dem allmächtigen Gott, wendet? Wem bebt in seiner Brust nicht die schönste aller Empfindungen, wenn ein unschuldsvolles, aufblühendes Kind mit gefalteten Händen zu dem unsichtbaren, ewigen Vater ein Gebet für seine Eltern, für seine Geschwister, für seine Gespielen stammelt? Ehemals - wer wird, wer kann es leugnen? - war in den fürstlichen wie in den bürgerlichen Familien noch mehr häusliche Andacht zu finden als gegenwärtig. Aber es lässt sich auch nicht leugnen, ehemals war auch mehr männliche Kraft, Rechtlichkeit und Großsinn; es war im Leben weniger Tändelei, weniger Leichtsinn, gehässiger Umtrieb und widerliche Selbstsucht; aber mehr stilles häusliches Glück, froher Mut, Lust zu großen und gemeinnützigen Dingen.
Mit der sogenannten Verfeinerung der Sitten verschwand aus vielen Familien der schöne religiöse Sinn der Eltern; man wählte Zerstreuungen an die Stelle des echten Lebensgenusses. Man jagte nach Glück in Außendingen, und hatte es schon in seiner eigenen Brust verloren. Man wollte mit unverständigem Wesen eine gewisse Geistesgröße zeigen, und verachtete, wenigstens öffentlich, seine religiösen Gefühle zu äußern. Man schämte sich nicht, bei unanständigen Gesellschaften gewesen zu sein, wohl aber im Tempel Gottes gesehen zu werden; man schämte sich nicht, schlüpfrige, Geist und Sitten verderbende Bücher gelesen zu haben, aber beim Lesen eines Andachtsbuches, eines moralischen Werkes oder der Heiligen Schrift ertappt zu werden. So verwilderte allmählig manches Herz, indem es sich zu veredeln wähnte; es trachtete nach dem Umgang wohl mit Großen und Vornehmen, aber es schien sich des Umgangs mit Gott zu schämen; es schloss sich an Dinge, welchen sich auch das vernunftlose Tier anschließt, und vergaß, dass der Mensch auch Bürger der Geisterwelt sei, und sich nur durch Verbindung mit Gott, dem höchsten aller Geister, veredle.
Aber der Leichtsinn und die Unsittlichkeit vieler Hausväter und die Torheit vieler Mütter hat inzwischen das Glück, den Frieden und den Wohlstand angesehener Familien zerstört. Viele werden vorsichtig zu der einfachen Lebensart der Väter zurückkehren: möchten sie doch auch zu deren Tugenden zurückkommen!
Auch die von Vielen vergessene häusliche Andacht wird dann wieder in den Kreis guter Familien zurückgeführt werden, und häuslichen Frieden, Trost im Unglück, und Frohsinn über jedes Tagewerk verbreiten.
Zwar hat die öffentliche Gottesverehrung in den Tempeln ihren hohen Wert; aber wie bald sind die heiligsten Gelübde vergessen und die Tränen, welche sie begleiten, wenn man aus der Kirche wieder in die alten Verhältnisse, wie in eine ganz andere Welt, zurücktritt, und eine lange Woche hindurch nicht mehr daran denken kann und mag! Wie? sollen wir denn nur am Sonntage Christen sein? Ist nicht ein jeder Wochentag ein Tag Gottes, ein Feiertag?
Doch weichen wir mit Vorsicht jeder falschen Deutung aus, wenn wir von der häuslichen Gottesverehrung reden! Es ist und soll nie damit auf Stiftung größerer oder kleinerer Zusammenkünfte verschiedener Personen und Familien abgesehen sein, welche gemeinschaftlich einen häuslichen Gottesdienst verrichten. Denn wiewohl dergleichen Zusammenkünfte an sich keineswegs tadelnswürdig und unerlaubt sind, führen sie doch gar oft in der bürgerlichen Gesellschaft üble Folgen mit sich, denen der Christ, als Bürger des Staates, ausweichen soll.
Der Christ muss die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens ehren, und das Urteil und Gefühl derer schonen, mit welchen er Verbindung zu haben genötigt ist. Nie findet die Welt die Verehrung Gottes anstößig, wohl aber die Art, wie sie geübt wird. Das Ungewöhnliche, Ausgezeichnete, erregt Aufsehen, und oft den Argwohn. Christliche Demut wird ihre Gefühle nicht kund werden lassen vor Jedermann. Einsam steht sie im Winkel des Tempels, während der Pharisäer Aufsehen erregt durch sein Gebet an den Ecken der Straßen. (Matth. 6, 6.)
Was ist Andacht? - Sie ist die Entfesselung des Geistes von aller Zerstreuung, von allem Irdischen, und seine volle Hinneigung und Erhebung zu göttlichen Dingen. Diese, sobald sie unser Gegenstand wirklich sind, beherrschen dann unwillkürlich unser ganzes Inneres. Daher ist Andacht jene feierliche Stimmung des Gemüts, in welcher jeder weltliche Gedanke verschwindet. Die Stufe der höchsten Andacht aber ist die stille Entzückung des Gemüts, in welcher sich das Antlitz des betenden Jesus verklärte, oder der betende Stephanus voll Heiligen Geistes gen Himmel aufblickte, und die Herrlichkeit Gottes empfand, während ihn das Volk steinigte. (Ap. Gesch. 7, 55-59.)
Diese Andacht, wie Jeder von selbst fühlt, wird nun im Menschen auf keine Weise durch Künstelei hervorgebracht. Mögt ihr doch Betstunden halten, oder den Rosenkranz durch die Finger winden; mögt ihr die Hände falten, oder gen Himmel heben; mögt ihr auf den Knien liegen, oder auf dem Angesicht; mögt ihr betend das Gesicht verhüllen, oder den Kopf entblößen, dies Alles bringt keine Andacht hervor, wenn es gleich ein Erinnerungsmittel, andächtig zu sein, oder zuweilen eine Wirkung der innerlichen Andacht auf die Außenseite des Körpers ist, um jede Zerstreuung von sich abzuwehren. Von innen heraus muss die Andacht wirken, von außen herein erkünstelst du sie nicht. Dergleichen äußerliche Gebräuche, obwohl sie nicht die wahrhafte Andacht erzeugen, noch statt der Andacht selbst gelten können, sind darum aber keineswegs zu tadeln, sondern ganz löblich. Sie mahnen, besonders wenn man in großen Versammlungen den Zweck hat, Gott zu verehren, an das, was geschehen soll; sie verhindern durch ihre gewohnte Einförmigkeit jede nachteilige Zerstreuung, welche in zahlreicher Gesellschaft möglicher ist als in der Einsamkeit. Ja, da bei uns Menschen das von den Sinnen empfundene Äußerliche großen Einfluss auf unser Gemüt hat, ist es allerdings zu glauben, dass solche äußere Anständigkeit, ohne eben die Andacht zu erzeugen, doch das Herz zu derselben vorbereitet und geneigt macht.
Wie harmlos und jedes Vorwurfs frei ist dagegen tägliche Andacht im engeren Kreise jeder einzelnen Familie! Hier wird der Vater des Hauses, hier wird die fromme Mutter Priester und Priesterin des Allerhöchsten; und dasselbe Zimmer, in welchem wir die Gaben des ewigen Vaters genießen, dasselbe Zimmer, welches unsere Tränen, unsere frohen Stunden sieht, dasselbe Zimmer, in welchem wir den Wechsel der Krankheit und Gesundheit empfanden, und das vielleicht einst unser Sterbebett enthält, wird ein Tempel des Allerhöchsten.
Hier versammelt sich die kleine, durch die heiligsten Bande des Blutes vereinte Gesellschaft, wenn ein süßer Schlaf der Nacht ihre Gebeine erquickt hat. Sie bringt in goldener Morgenstunde dem gütigen Schöpfer das Opfer ihres Dankes im leisen Gebet; oder sie tritt noch am Abend zusammen, ihres vollbrachten Tagewerks froh und der Ruhe bedürftig. Ihr letzter Blick ist auf den erhabenen Beschirmer ihres Daseins gerichtet, und während am nächtlichen Himmel tausend entfernte Sonnen, als glimmende Sterne, die Herrlichkeit Gottes verkünden; während vielleicht in tausend uns fremden Welten sein heiliger Name gefeiert wird, steigt auch unser Gebet durch die Stille der Nacht empor zu ihm, und er vernimmt's!
Diese Stunden der Andacht wirken selbst auf das Herz des unmündigen Kindes, wenn es Zeuge derselben wird. Es kennt keinen höheren Gebieter als seine Eltern, und sieht doch dieselben voll demütiger Ehrfurcht beim Namen des unsichtbaren Gottes. Die gleiche Ehrfurcht durchdringt sein Herz, und die Gewalt des Beispiels impft seiner Brust religiöse Gefühle ein, ehe sein Verstand fähig ist, sich von den Bewegungen Rechenschaft zu geben, die in ihm vorgehen. Daher gewöhne man auch die Unmündigen frühe zur Ehrfurcht im Äußern während des Gebets. Denn es ist eine Rede zum unsichtbaren Schöpfer und Erhalter alles Lebens. Das Kind begreift vielleicht noch nicht den Inhalt des Gebetes, aber den Sinn, welchen die ehrerbietige Stellung ausdrückt. Nur durch das Äußere und Sinnliche wirkt du zuerst auf das zarte kindliche Gemüt. Es wird schon die süßen Gefühle der Gottesliebe kennen, wenn sein nachmals erwachender Verstand erst die Ursachen und die Wichtigkeit der Religion Jesu Christi erfährt.
Soll das Gebet fruchtbar auf die Herzen wirken, so sei es nicht immer und jeden Tag das nämliche Gebet. Nie muss dasselbe ein Spiel des Gedächtnisses werden, sondern aus dem Herzen und aus dem vollen Bewusstsein entstammen. Was aber das Gedächtnis einmal ergriffen, das kann der Mund leicht hersprechen, ohne dass der Geist dabei gegenwärtig ist.
Wie? und heißt es nicht Gottes spotten, wenn du ihn anredest, ohne an ihn zu denken? Die Andacht verschwindet, wenn das Gemüt zerstreut ist, und die Zerstreuung findet sich oft wider unsern Willen ein, wenn der Geist nicht zum Nachdenken und zur Aufmerksamkeit gelockt wird. Lieber ein einzelner, inniger Gedanke an Gott, lieber ein stummer Seufzer zu ihm als ein andachtsloses Gebet.
Ist der Vater oder die Mutter nicht immer fähig oder gestimmt, ein Gebet aus dem Herzen zu sprechen, wie es ihre jedesmaligen Empfindungen mit sich bringen, so fehlt es nicht an trefflichen Gebetbüchern, von würdigen, frommen, geistvollen Männern geschrieben. Diese erleichtern und verschönern durch die Anmut und Kraft ihrer Gedanken unsere Andacht. Ihre Empfindungen werden zu unsern Empfindungen, ihre Gedanken zu unsern Gedanken. Das gemeinschaftliche Gebet in dem Kreise unserer Verwandten und Hausgenossen lässt in der Seele einen schönen Nachklang zurück. Auch einsam werden wir für uns in der Stille noch manche einzelne leise Bitte dem allwissenden Gott vortragen, der den Zustand unsers Herzens und die Angelegenheit desselben kennt.
Eben deswegen ist es schön, wenn fromme Mütter früh anfangen, ihre Kinder zu lehren, einige Worte des Gebetes aus freiem Herzen zu Gott zu sprechen, nicht etwa eine auswendig gelernte Rede, sondern den Ausdruck einer eigenen Empfindung. Nichts kann einer Mutter, nichts einem Vater rührender sein, als wenn ihr Kind am Abend auch nur eine einzelne Bitte zu Gott stammelt; wenn es mit gefalteten Händen zu seinem himmlischen Vater nur einige Worte spricht.
Doch nicht aufs Gebet allein beschränkt sich die häusliche Andacht christlicher Familien; es gibt unzählige Anlässe, Gottesverehrung in lieblicher Einfalt zu üben. Es ist zu dem Ende nicht nötig, dass man den Namen Gottes beständig und bei jeder Gelegenheit im Munde führe. Dies Herr! Herr! sagen kann zuletzt, wie Alles, Gewohnheitssache werden, die immer schädlich ist. Bei der Arbeit sollen wir ganz der Arbeit, bei unsern Geschäften und Verrichtungen, inner und außer dem Hause, sollen wir ganz in diesen, aber beim Gebete auch nur ganz dem Gebete angehören. Der menschliche Geist ist zu beschränkt, er kann sich im gleichen Augenblick nicht vervielfältigen, und während er die häuslichen Geschäfte betreibt, kann er sich nicht den überirdischen weihen.
Das beständige Immundeführen des göttlichen Namens ist gewissermaßen eine Entweihung desselben. Zartfühlende Christen pflegen dies ebenso sehr zu vermeiden, als die Juden ihrerseits den Namen Jehovas viel zu heilig halten, um ihn durch das Aussprechen mit irdischen Lippen zu entweihen. Statt Gottes preisen wir die Natur oder die ewige Vorsehung. Und wen denken wir unter Natur, Vorsehung, Schicksal und Verhängnis anders als immer nur Gott?
Wenn mit dumpfen Tönen die Sterbeglocken hallen, und der Leichnam eines Nachbars vor unserer Wohnung vorübergetragen wird, drückt der fromme Gatte des frommen Weibes Hand mit wehmütiger Ahnung, und der Gedanke an die Ewigkeit umfängt beide lebhafter. Ihr Glaube, ihre Hoffnung erhebt sich zur allwaltenden Vorsehung empor hier ist häusliche Andacht!
Der Frühling streut seine tausend Blüten über die Welt; Lerchen singen über den Wolken, Nachtigallen in dunklen Gebüschen, und eine wunderbare Verklärung glänzt durch die ganze Landschaft. Der entzückte Vater deutet dem horchenden Sohne die Wunder der Schöpfung an, und erklärt ihm die Spuren höchster Weisheit, und wie die Natur Alles so gütig geordnet. Ein frohes und heiliges Gefühl ergreift im Anblick dieser Wunder die Seelen von den Werken der Allmacht gerührt: hier ist häusliche Gottesverehrung!
Wie manche einsame Stunde genießt die Familie unter sich! Schön ist es, sie mit frohen Unterhaltungen zu versüßen, aber auch schön, sie zuweilen zu höheren und ernsteren Dingen zu benutzen. Ein gutes Andachts- oder Predigtbuch, eine erbauliche Schrift, zur Verbesserung des Herzens und der Sitten geschrieben, oder allgemein verständliche Stellen aus der Bibel, oder Psalmen des königlichen Dichters, oder eine der Lebensbeschreibungen Jesu Christi werden vorgelesen. Horchend umgibt die Familie den Vorleser, und die Andacht Aller wird entzündet, der Verstand eines Jeden belehrt; die Tugend erscheint in ihrer Schönheit, die Torheit in ihrer Lächerlichkeit wir werden besser, indem wir hören und lernen; wir treten im Herzen der Gottheit näher - hier ist häuslicher Gottesdienst!
Diese wenigen Beispiele sagen, wie mannigfaltig die Anlässe sind zur häuslichen Gottesverehrung. Darum ist es aber nicht notwendig, immerdar zu ermahnen, zu lernen, zu erbauen, zum Guten aufzumuntern. Auch dies kann durch Einerlei und Übertreibung ermüden. Nein, o Vater, nein, o Mutter, und ihr Alle, denen Religion und Gottesliebe heilig ist, die schönste Lehre, die wirksamste Predigt ist in jeder Stunde euer Lebenslauf; - euer Beispiel wird mächtiger sein als euer Wort; eure Tat fruchtbarer als eure Lehre. (Koloss. 3, 17.)
Der fleißige, ordnungsliebende, zärtliche Hausvater; die treue, sorgfältige, freundlich-ernste Hausmutter; die gehorsamen, edelsinnigen Kinder; die arbeitsamen, getreuen Dienstboten: diese sind beständige Priester und Priesterinnen Gottes. Ihr ganzer Wandel ist offen und rechtlich, und eine Frucht der inneren Gottesverehrung. Die Andacht ihrer Seelen glänzt aus ihren Taten, wie von einem Spiegel, zurück. Wenn in andern Menschen längst im Getümmel des Lebens jene heiligen Empfindungen verdrängt sind, welche der öffentliche Gottesdienst am Sonntage gab, dauern sie bei uns in stiller häuslicher Andacht fort. Wenn leichtsinnig ein anderer selbst die großen Entschließungen, die edlen Vorsätze wieder vergisst, welche er mitten unter Unglücksfällen fasste, pflanzen sie sich in unsern Gemütern durch den einsamen Gottesdienst fort.
Mit sanfter und doch erhabener Macht wirkt die häusliche Andacht auf alle Seelen. Sie ist es, welche uns den rechten Standpunkt verleiht, den wir in der Welt haben sollen; wir stehen durch sie eben so sehr mit den Geschäften und Ereignissen des Lebens, als mit den Hoffnungen der Ewigkeit in Verbindung. Wir erscheinen, wenn wir uns zu unserm Gott wenden, nicht mehr als Fremdlinge vor ihm, sondern als Kinder, die täglich um ihren Vater sind.
Man fühlt sich durch die Verehrung Gottes, welche wir ihm im Kreise unserer Verwandten oder in der Einsamkeit darbringen, jedes Mal stärker, besser, zu allem Guten entschlossener; man handelt edler; man bereitet sich und Andern mehr Glück, und fühlt den Himmel des häuslichen Friedens. Man vermeidet mit größerer Sorgfalt Unanständigkeiten, die demjenigen leicht begegnen, der selten daran denkt, dem Allerheiligsten zur Rechenschaft zu stehen. Ein vorwurfloses Gewissen verbreitet unaussprechliche Heiterkeit über das ruhige Gemüt. Man genießt freudiger das Leben, weil man es reiner genießt.
Ja, mein Gott, mein Vater, mein Alles; ja, ich empfinde das Glück, vor Dir kein Fremdling zu sein; ich wäre unwürdig, einen Tag zu leben, an welchem ich nicht Deiner gedacht hätte. Nicht im Tempel allein betete Dein Sohn Jesus Christus, auch in der Wohnung seiner Lieben, auch in der Einsamkeit Gethsemanes betete er. So will ich, Dein Kind, auch in meiner Wohnung, auch auf dem einsamen Felde, auch fern von meiner Heimat Dich verehren. Deine Allgegenwart macht mein Zimmer zur Kirche. Auch hier kann ich Dich anbeten im Geist und in der Wahrheit.
Einem frommen Sinne heiligt sich Alles; und wo Du bist, sollte das Unheilige verschwinden. Du wohnst bei mir: wie sollte nicht Dein seliger Frieden in meiner Wohnung herrschen? Könnte ich die stille Kammer, in der ich oft zu Dir mit Inbrunst flehte, mit Sünden entheiligen? Könnte ich auf der Stelle, wo ich betete, fluchen? auf der Stätte, wo ich vor dem Richter der Gedanken erschien, Betrug und Unwahrheit reden? Könnte ich da, wo ich Deine ewige Liebe anrief, die schändlichen Ausbrüche des Haffes, des Neides, der Verleumdung, des Zornes gestatten?
Nein, mein Gott, wohin sollte ich mein schuldbewusstes Herz, wohin meinen Blick voller Scham wenden, wenn ich in meiner eigenen Wohnung, im einsamsten Winkel derselben vor Deiner Gegenwart erröten müsste? Wo sollte mir auf Erden wohl sein, wenn ich mir mit Sünden in meiner eigenen Hütte eine Hölle bereitete?
Ich kenne den schönen Segen häuslicher Andacht; ich will desselben teilhaftig werden. Dadurch, dass ich immer Gottes bin, ist Gott auch immer mein Gott.
Wenn ich erwache und wenn ich einschlafe, bist Du mein Gedanke. Und einst, wenn ich früh oder spät in eben dieser Wohnung, wo ich so oft im Gebet Dir nahte, zum letzten Mal entschlafen werde - in Deinem Arm, o mein ewiger Vater, entschlafen werde, sollst Du mein letzter Gedanke sein. Und in einem andern Leben, in einer schöneren Welt, wo ich wieder zum Bewusstsein erwache, dort wirst Du wieder mein erster Gedanke sein. Wenn dort mich eine fremde Welt mit ihrer Herrlichkeit umringt, wird doch kein fremder Gott mein Gott sein. Hier entschlummere ich, dort erwache ich in Deinem Arm. Hier der liebevolle Vater, an den sich mein Geist in kindlicher Ehrfurcht schloss, ist dort auch mein Vater!