Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Der Totschläger und der Lebensträger.
2. Mos. 20, 13.
Du sollst nicht töten.
Kurz, ernst und eintönig sieht dieses sechste Gebot uns an, als wollte es sagen: Schäme dich, Mensch, dass dir solches noch geboten werden muss! Schaudern wird Jeder, den es bei der Tat überrascht; laut wimmern und sich verbergen Jeder, den es nach der Tat verfolgt. Und doch wird es so gewöhnlich, so leichtsinnig übertreten von der großen Menge, die der Apostel treffend bezeichnet: „Ihre Füße sind eilend Blut zu vergießen“ (Röm. 3, 15.). Du fragst mich erstaunt: Wer sind diese Grässlichen, deren Herzen so verhärtet sind, dass sie die Wege des Mörders wandeln, dass sie auf den Pfaden des Totschlägers schleichen können? Ich antworte dir: du und ich, und Jeder, der den so herrlichen, aber doch so befleckten Namen „Mensch“ trägt. Es ist der Mord und Totschlag nur etwas Seltenes, wenn wir ihn in seinem allergröbsten Sinn nehmen, aber auch in diesem Verstande hört er auf im bürgerlichen Leben selten zu sein, trotz aller Zivilisation und Bildung, deren wir uns rühmen. Unsere Zeitungen bringen uns täglich neue, gehäufte Beispiele von Nächsten- und Selbstmord, und auch der Versuch zum Königsmord ist so gewöhnlich geworden, dass neulich eine Pariser Zeitung leichtsinnig genug davon sagen konnte: „das fängt an langweilig zu werden.“ Ach ja, auch dem Christen wirds „langweilig,“ immer und immer wieder dieser verdorbenen, versunkenen Zeit sagen zu müssen: So lange ihr der Lüge Gehör geben wollt, dass das Wort Gottes nichts mehr enthalte, als einige auf orientalische Gebräuche berechnete Gesetze für ein schon lange untergegangenes Volk, und dass Jesus Christus nichts mehr war, als der Reformator des Mosaischen Gesetzes, so lange, sage ich, wird euer Land eine Mördergrube bleiben, und kein Gesetz und keine Polizei wird uns schützen können, weil der Zustand des Volkes der bleibt, wie ihn Jesaias schildert Jes. 59, 4-8.: Es ist Niemand, der von Gerechtigkeit predige oder treulich rechte. Man vertraut auf das Eitle und redet nichts Tüchtiges; mit Unglück sind sie schwanger und gebären Mühe. Sie brüten Basilisken - Eier und wirken Spinnweben. Isst man von ihren Eiern, so muss man sterben; zertritt man‘s aber, so fährt eine Otter heraus. Ihre Spinnwebe taugt nicht zu Kleidern, und ihr Gewirke taugt nicht zur Decke; denn ihr Werk ist Mühe, und in ihren Händen ist frevelhaftes Tun. Ihre Füße laufen zum Bösen und sind schnell, unschuldig Blut zu vergießen; ihre Gedanken sind Mühe, und ihre Wege sind eitel Verderben und Schaden. Sie kennen den Weg des Friedens nicht, und ist kein Recht in ihren Gängen; sie verkehren ihre Pfade; wer darauf geht, der hat nimmer keinen Frieden.
Wenn wir aber lernen aus dem Wort des Lebens an unsere Brust schlagen und zu uns selbst sagen: Du bist der Mensch des Todes! dann, meine teuren Freunde, dann wirds besser werden. Zuerst im Innern jedes Einzelnen, dann auch in den äußern Bewegungen unseres bürgerlichen Lebens. So lasst uns denn wenigstens diese kurze Stunde dazu anwenden, um erkennen zu lernen, wie jeder Mensch ein Totschläger ist von Natur, und wie jeder Christ ein Lebensträger ist aus Gnaden.
I.
Wir haben in unserem letzten Vortrage nachgewiesen, wie schon die Übertretung des fünften Gebots von dem Apostel Paulus als Vater- und Muttermord aufgefasst wird, und wie dieses zu verstehen sei. Wir haben darauf hingewiesen, wie die in unserer Zeit so gewöhnliche Auflösung der zartesten Familienbande zu jedem anderen Verbrechen gegen den Nächsten fähig macht. Wir haben aufmerksam gemacht, wie in der Ordnung der zehn Gebote immer das größere, die Ordnung des gesellschaftlichen Lebens am meisten bedrohende, Verbrechen zuerst verboten wird, und dann erst das verhältnismäßig geringere nachfolgt. Verfolgen wir nun mit dieser, schon gerechtfertigten, Auffassungsweise des göttlichen Gesetzes die Reihe der Gebote, so werden wir von dem Verbot der Verletzung des, Jedem vorzugsweise heiligen, elterlichen Lebens an das Verbot der Verletzung des Nächsten überhaupt an seinem Leben gewiesen.
Das Leben ist das höchste, teuerste irdische Gut, welches der Mensch besitzen kann, denn es ist an und für sich schon eine Anweisung auf die Ewigkeit, und jede Spanne der Zeit, die wir mit unserem kurzen Erdenleben umfassen, ist ein Gnadengeschenk des Vaters, das die Bestimmung hat, uns für ein ewiges, seliges Leben zu bereiten. Darum ist die Verletzung des Nächsten an seinem Leben nicht eine einfache Versündigung an ihm, insofern er ein Erdenbürger ist, sondern sie ist zugleich auch ein Frevel an dem in der Ewigkeit fortzusetzenden Dasein dieses, nach Gottes Ebenbild geschaffenen, Wesens.
Dieses ahnt auch die natürliche Menschheit, ohne dass es ihr darf weitläufig auseinander gesetzt werden, darum teilt der Gedanke an Kains Tat, bei jedem noch nicht ganz verhärteten Menschen, einen innerlichen Schauer der Seele mit. Wo aber dieses heimliche Erzittern der bessern Natur, durch Gewöhnung an den Gedanken in oft wiederholten Erzählungen solcher Taten, allmählig aufhört, wo an seine Stelle wohl gar ein leichtfertiges Spielen mit Gedanken und Worten über dieses Verbrechen tritt, da ist es ein Zeichen, dass eine finstere, feindselige Macht sich die Herzen der Menschen untertan gemacht hat; ein Zeichen, dass der Fürst des Todes mit dem teuersten irdischen Gut spielt, das uns der Vater des Lebens anvertraut hat: dieses ist aber ein Zeichen unserer Zeit, welches kein Land deutlicher an der Stirne trägt, als das Land, welches wir bewohnen.
Vergebens bleiben wir bei der Schilderung des Grässlichen der mörderischen Tat stehen, vergebens weisen wir hin auf die Gefahr, in die ein Mörder seine eigene Seele stürzt. In dem Munde eines Fieschi1) spricht der Zeitgeist allen Ermahnungen der Moral Hohn und rühmt sich der Tugend, das Land gerettet zu haben durch eine unwillkürliche Bewegung der Dankbarkeit, die während der mörderischen Tat gegen einen alten Wohltäter in der Brust des kaltblütigen Verbrechers sich regte und seinem Anschlag eine andere Richtung gab, als er beabsichtigt hatte. Er rühmt, und die leichtfertige Zeit bewundert den Tugendhelden so sehr, dass sie nach seinem Tode sich zu Tausenden herbeidrängen, um ihre Huldigung einer Metze zu Füßen zu legen, mit welcher der Elende neben dem Bett ihrer Mutter, seiner eigenen Ehefrau, viele Jahre lang Ehebruch getrieben!
Wo solche Tugenden an der Tagesordnung sind, und außerdem noch von den ersten Schriftstellern des Landes dem Volk auf die Schaubühne gebracht werden, um es recht mit Ehebruch, Hurerei, Mord und Gräuel aller Art zu schwängern, da wundern wir uns nicht, wenn tausend Champions bereit sind, in die Fußstapfen des von dem eitlen Zeitgeist bewunderten Helden zu treten und, ehe sie sich selbst erhängen, in wilder Wut zu rühmen: „wenn man mich nicht angehalten hätte, so wäre mein Anschlag nicht missglückt; ich hätte meine Sache besser eingerichtet, als Fieschi, und ich, ich wäre zum Ziel gelangt.“ Wir wundern uns nicht über diese grauenhaften Äußerungen blinder Mordsucht, die vor dem Gedanken nicht zurückbebt, ein ganzes Land in alle Schrecken der Anarchie zu stürzen, und nur das Gefühl der Verzweiflung über misslungene Gräueltat kennt; wir wundern uns nicht, denn Jesaias hat uns schon gesagt: „da ist Niemand, der von Gerechtigkeit predige oder treulich rechte.“ Niemand, denn wer glaubt unserer Predigt, und wem wird der Arm des Herrn offenbar? Niemand, denn die wenigen Stimmen der Prediger in der Wüste stoßen an Millionen Felsenherzen, und verklingen wie die Saite einer Äolsharfe neben dem Sturz des mächtigen Niagara. Ja, die Nation stürzt sich hinab von ihrer Höhe und braust hinunter in die Tiefe, ohne der Predigt der Wahrheit Gehör zu geben; und die Prediger von der Gerechtigkeit werden hingehen an den Flüssen Babels und sitzen und weinen, wenn sie gedenken an Zion, und ihre Harfen werden sie hängen an die Weiden, die darinnen sind (Ps. 137, 1. 2.)
Die Predigt der Gerechtigkeit, der so Wenige Gehör geben wollen in einer ernsten, ungerechten Zeit, bleibt eben nicht oberflächlich stehen bei der bösen Tat, sie moralisiert nicht mit kalter Reflexion gleich dem Licht des Mondes in einer Dezembernacht über den Schatten, welchen ein solches Verbrechen auf die edle Natur des Menschen wirft: sondern wie die Glut der Sonne dringt sie, erleuchtend und brennend zugleich, hinein in die Tiefen der menschlichen Seele, und deckt auf, was in den verborgensten Winkeln der Herzen eines mörderischen und ehebrecherischen Geschlechts vorgeht. Sie tritt mit dem Gesetz des heiligen Gottes vor jeden einzelnen Menschen hin und spricht: Du sollst nicht töten! Was heißt das? So lasst uns zuerst aus dem Munde des treuen und wahrhaftigen Zeugen selbst hören, was es heißt. Er spricht Matth. 5, 21-22.: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka! der ist des hohen Rats schuldig. Wer aber sagt: Du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Wie klingt diese Auslegung des sechsten Gebots anders, als die so beliebte Anwendung desselben auf die gröbste Äußerung des Verbrechens! Wo bleibt diesem Wort des heiligen Gottessohnes gegenüber unsere Gerechtigkeit und unser Ruhm, dass wir nicht sind wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner? (Luk. 18, 11.)
Ach, meine Freunde, das Verbrechen Kains hat leider seit dem Fall Adams eine tief verborgene Wurzel in dem Herzen jedes Adamskindes, und wird nicht eher aufhören, die Erde mit Blut zu färben, als bis diese Wurzel in jedem Einzelnen erkannt und ausgerottet worden. Was geht uns bei dieser biblischen Betrachtung die Einwendung der leichtsinnigen Zeit an, die mit Hohnlächeln dieser Lehre gegenüber auf Tausend Millionen von Bewohnern des Erdkreises hinweist, von denen bis heute Sechshundert Millionen noch gar nicht einmal vernommen haben, dass es ein Gesetz Gottes, dass es einen Tag des Gerichts diesem Gesetz gemäß gibt? Ich sage: was geht uns dieses höllische Hohnlächeln des Unglaubens an? Sorgen wir nur dafür, dass von dem Tage an, da die Wahrheit unser Herz trifft, die hier Jesus ausspricht, wir unsere Füße abwenden, von den verkehrten Pfaden, auf welchen nimmer kein Friede zu finden ist, und dass wir sprechen mit David: Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich, und erfahre, wie ich‘s meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin; und leite mich auf ewigem Wege (Ps. 139, 23, 24.). Sorgen wir dafür, so wird es auch über jede andre Frage licht werden in unserem Innern.
Diese Prüfung kann allein geschehen durch das Wort der Wahrheit, das wir darum nun noch über diesen Gegenstand aus dem Munde des Jüngers der Liebe vernehmen wollen: „Kindlein, lasst euch Niemand verführen. Wer recht tut, der ist gerecht, gleichwie Er gerecht ist. Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt bei ihm, und kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott geboren. Daran wirds offenbar, welches die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind. Wer nicht recht tut, der ist nicht von Gott, und wer nicht seinen Bruder lieb hat. Denn das ist die Botschaft, die ihr gehört habt von Anfang, dass wir einander lieben sollen. Nicht wie Kain, der von dem Argen war, und erwürgte seinen Bruder. Und warum erwürgte er ihn? Weil seine Werke böse waren, und seines Bruders gerecht. Verwundert euch nicht, meine Brüder, ob euch die Welt hasst. Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger; und ihr wisst, dass ein Totschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend. Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen (1 Joh. 3, 7-16.).
Wer bei Anwendung dieser deutlichen Aussprüche des Wortes Gottes auf die Erfahrungen seines eigenen Lebens nicht zugeben will, dass jeder Mensch ein Totschläger ist von Natur, der verführt sich selbst, und die Wahrheit ist nicht in ihm. Wer aber bei diesen Worten an seine Brust schlägt, und spricht: Gott sei mir Sünder gnädig! dem haben wir aus ihnen noch zu zeigen, dass jeder Christ ein Lebensträger ist aus Gnaden.
II.
Betrachten wir nämlich diesen merkwürdigen Ausspruch des Wortes Gottes genauer, so werden wir finden, dass in ihm, das ganze Geheimnis der Gottseligkeit, dem Geheimnis der Bosheit gegenüber gestellt wird, und zwar in lauter schlagenden Gegensätzen. Diese Gegensätze sind folgende:
1) Christus und der Teufel,
2) die Werke Christi und die Werke des Teufels,
3) die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels,
4) die Natur der Kinder Gottes und die Natur der Kinder des Teufels.
Lasst uns nach dieser Einteilung uns über den Inhalt dieser wichtigen Stelle verständigen, und dann einfach das Resultat bezeichnen, zu welchem die Gegensätze den aufmerksamen Leser führen.
Der erste Gegensatz, den wir antreffen, ist: Christus und der Teufel. Beide werden in der Schrift als Fürsten geschildert: Christus als Fürst des Lebens, der Teufel des Todes. Beide werden ferner als mächtiger, denn die Menschen, uns dargestellt, die unter ihrem Einfluss stehen, und insofern heißt Christus der Herr aller Herren und König aller Könige auf Erden, der Teufel aber der Fürst dieser Welt. Beide werden endlich in ihrem Verhältnis zu dieser Welt als mächtige und gewaltige Herrscher über geistige Reiche geschildert, Christus als Inhaber und Gebieter über das Reich des Lichts, der Teufel als Inhaber und Gebieter über das Reich der Finsternis, und ihre beiden Reiche werden geschildert als sich erstreckend, nicht allein über das kleine Gebiet dieser irdischen Welt, sondern über grenzenlose Räume und endlose Zeiten, die aber in dieser sichtbaren und zeitlich begrenzten Welt wurzeln.
Der zweite Gegensatz ist: die Werke Christi und die Werke des Teufels. Diese Werke beider sind für den Menschen sichtbar geworden in der Einwirkung beider auf das menschliche Geschlecht.
Das erste Werk, durch welches Christus sein Dasein dem Menschengeschlecht verkündigt, ist die Schöpfung desselben, das zweite seine Erhaltung, das dritte seine Erlösung. Das erste Werk, durch welches der Teufel sein Dasein den Menschen ankündigt, ist die Verführung zur Sünde, das zweite die Zerstörung von Seele und Leib durch den geistlichen und leiblichen Tod; das dritte Werk endlich, wodurch er seine Macht äußert, ist das Hinreißen der Seelen, nach dem leiblichen Tode, in die ewige Verdammnis. Betrachten wir einen Augenblick den Unterschied dieser Werke. Zuerst das Werk der Schöpfung. Es ist ein Werk göttlicher Allmacht, Weisheit und Vollkommenheit; dagegen das Werk der Verführung ist ein Werk kreatürlicher Ohnmacht, Schlauheit und Zerstückelung. Das Werk der Erhaltung, das sich trotz des Abfalls selbst der gefallenen Menschheit annimmt, kündigt sich abermals an als ein Werk göttlicher Barmherzigkeit, Liebe und Geduld; dagegen das Werk des Widersachers, da er das Ebenbild Gottes an Seele und Leib zerstört, stellt sich uns dar als eine Tat grausamer Zerstörungswut, heimtückischer Bosheit und ungeduldiger Gier nach der bestrickten Beute. Endlich im Werk der Erlösung treten Christi Eigenschaften in vollem, freilich nur geistigen Augen sichtbarem, Glanz hervor, denn es kündigt ihn uns an als allmächtigen Zerstörer der Sünde und des Todes, als barmherzigen Vertreter der gefallenen Brüder und als ewigen Seligmacher Aller, die durch ihn zu Gott kommen. Dagegen erscheint der Satan als ein durch Christi Tod gerichteter und ewig verdammter Todesengel, der nur diejenigen, die das angebotene Heil in Christo durch Unglauben verschmähen, als seine Beute, aber auch nun freilich in die Ewigkeit, hinreißen kann. Diese Gegensätze in den Werken beider führen uns notwendig zu den Gegensätzen, die sich unter den Menschen herausstellen müssen, je nachdem sie sich auf Erden für Einen oder für den Andern von beiden mit Bewusstsein entscheiden.
In dieser Beziehung finden wir die ganze Menschheit in zwei große Klassen eingeteilt. Diese heißen Kinder Gottes und Kinder des Teufels. Als Repräsentanten der ersteren finden wir vor dem Werk der Erlösung Abel, als Repräsentanten der letzteren Kain genannt; in dem Werk der Erlösung treten diese beiden Menschennaturen einander gegenüber in dem erniedrigten Menschensohne auf einer, und in Judas und den Pharisäern auf der anderen Seite; nach dem Werk der Erlösung aber breiten sich wiederum beide, die erlöste wie die verlorene Menschheit, über den ganzen Erdkreis aus; wo sie sich aber berühren, da tritt von Seiten der Kinder Gottes ihres Meisters Natur und Ähnlichkeit hervor in Lieben und Leiden, dagegen die Kinder des Teufels, welche auch bei Johannes und sonst geradehin die Welt“ genannt werden, ihre satanische Natur ankündigen in Hassen und Töten derer, die aus Gott geboren sind, wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, wir sind geachtet wie Schlachtschafe (Röm. 8, 36.). Dass diese ihre, dem Tode reichlich Frucht bringende, Herzensneigung sich auch in ihren Berührungen untereinander, wo eben Mangel an Kindern Gottes ist, durch Hass, Mord und Totschlag aller Art ankündigt, versteht sich von selbst, denn diese Kainsnatur. hat nur an Blutvergießen Freude. Diese Verschiedenheit der Neigung, die sich in den Werken ankündigt, lässt aber auf eine vollkommene Verschiedenheit beider, ihrer innersten Natur, ihres Seelenzustandes nach, schließen; und auch diesen Gegensatz finden wir deutlich bezeichnet. Die Kinder Gottes rühmen: daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat. Dieses Erkennen der Liebe aber führt sie durch den Glauben an das Verdienst Seines Todes zur neuen Geburt aus Gott. In der Menschwerdung und im Tode des Sohnes Gottes hat sich nämlich ein neuer Same in die Menschheit gesenkt; es ist die in Christi Tod am kenntlichsten werdende Liebe Gottes, die eine unsere ungöttliche, feindselige, satanische Natur vollkommen überwiegende Kraft in sich trägt.
Der Kampf aber, den wir zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels in der äußern Welt geschildert finden, wiederholt sich in der inneren Welt jedes einzelnen Menschen, sobald bei der Geburt aus Gott der neue Same der Liebe seine Lebenskeime und Kräfte geltend macht; und hier nun tritt der Übergang aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Lichtes, aus dem Tode in das Leben, für die Kinder Gottes am deutlichsten hervor. Die Stufen der inneren Entwickelung wollen wir heute nicht bezeichnen; so viel glauben wir aber andeuten zu müssen, dass der Apostel Johannes für die innere Umwandelung des ganzen Menschen, seinem tiefsten Wesensgrunde nach, dem allwissenden Gott gegenüber das große Wort setzt: Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt bei ihm, und kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott geboren. Für die Äußerung dieser neuen Natur dagegen im Verhältnis zu den Brüdern finden wir das lehrreiche Wort: Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind; denn wir lieben die Brüder, und wir sollen auch das Leben lassen für die Brüder.
Für die Äußerung dieser neuen Natur im Verhältnis zur Welt finden wir aber die Anweisung: Verwundert euch nicht, meine Brüder, ob euch die Welt hasst, denn daran wirds eben offenbar, welches die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind; denn diese können eure gerechten Werke nicht leiden, darum hassen und töten sie euch, wie Kain den Abel, wie Judas und die Pharisäer den Christ. Die Natur der Kinder des Teufels dagegen hat sich uns schon aus ihren Werken gezeigt. Wollen wir uns den inneren Entwickelungsprozess dieser Natur schriftgemäß denken, so müssen wir von dem in den Worten des Apostels Johannes angegebenen Indifferenzpunkt ausgehen, welchen sie mit den Kindern Gottes vor der Wiedergeburt teilen. Von der bösen, ungerechten Tat weist der Apostel auf die Gesinnung hin und spricht: Wer nicht seinen Bruder lieb hat, der ist nicht von Gott. Dieser Zustand wird vom Apostel als der Zustand des Todes bezeichnet, aus dem die Kinder Gottes in das Leben übergegangen sind. Wer aber den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Christus selbst bezeichnet diesen Todeszustand als ein Verlorensein (Joh. 3, 16.); Johannes der Täufer als ein Liegen unter dem Zorn Gottes (Joh. 3, 26.), und Paulus als einen Zustand, da der Mensch tut den Willen des Fleisches und der Vernunft, und ein Kind des Zornes ist von Natur (Eph. 2, 3.). Dieser Zustand wird in der Schrift allen natürlichen, d. h. allen unwiedergeborenen Menschen zugeschrieben. Aber sobald die gerechten Werke Abels in das Bewusstsein Kains traten, da ward es offenbar, wer ein Kind Gottes und wer ein Kind des Teufels war; sobald die reine, heilige Menschheit Jesu ihn als den Heiligen Gottes, den Niemand einer Sünde zeihen konnte, mitten unter dem befleckten und verderbten Geschlecht seines Eigentums ankündigte, da zeigte es sich, wie viele ihn aufnahmen und von ihm Macht erhielten, Gottes Kinder zu werden (Joh. 1, 12.), und wie viele in ihm das Leben nicht sahen, sondern unter dem Zorn Gottes blieben und verloren gingen. Und so bis ans Ende der Welt überall, wo die Werke Jesu, des Mittlers des neuen Testaments, und das Blut der Besprengung, dass da Besseres redet, denn Abels (Hebr. 12, 24.), verkündigt und geehrt werden unter einem abgefallenen Geschlecht, da zeigt es sich bald, wer mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben, und durch der Herzen Besprengung los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leibe mit reinem Wasser durch das Blut Jesu mit Freudigkeit eingeht in das Heiligtum Gottes, und wer mutwillig sündigend den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testamentes unrein achtet, durch welches er gereinigt ist, und den Geist der Gnade schmähet (Hebr. 10.). Sobald die Kinder Gottes, die aus ewigem, unvergänglichem Samen geboren sind, zeigen, dass sie nicht Gemeinschaft haben mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern sie vielmehr strafen (Eph. 5, 11.), dann verwandelt sich in den Kindern des Teufels ihr natürlicher Mangel an Liebe geradezu in Hass, ihre gepriesene Humanität und Urbanität weichen zurück, und aus dem finsteren Hintergrunde ihrer satanischen Natur, die nur, solange der Indifferenzpunkt nicht berührt worden, mit der freundlichen Larve der Konvenienz bedeckt blieb, drängt sich nun der Hass des Bruders, dessen Werke gerecht sind, in tausend Gestalten hervor. Man meint oft dieselben Leute nicht mehr vor sich zu, haben. Der früher vom Honigseim der Liebe überfloss, feuchtet nun seine Lippen mit Otterngift; sein Schlund wird zum offenen Grab, in dem der Kinder Gottes guter Name, Ehre, Reputation und alles, was nur ein Mensch Gutes an sich tragen kann, untergeht; ihre Zunge handelt trüglich mit der Wahrheit, die sie bald so, bald so wenden und drehen, wenn sie mit den Seelen hantieren, die sie mit sich in den Banden des Fürsten dieser Welt fest halten wollen. Keine Furcht Gottes ist bei diesem Tun vor ihren Augen, sondern Menschenfurcht und Menschengefälligkeit bestimmen alle ihre Bewegungen. Seht da die Kinder des Teufels in ihrer Nacktheit, seht da das Geschlecht Kains mit seinem Zeichen an der Stirn; seht da die Brüder Judas mit dem Geldbeutel in der Hand; seht da die Pharisäer und Schriftgelehrten, die das arme blinde Volk in allen finsteren Winkeln und Gassen verfolgen und anspornen ohne Aufhören, damit es nur in ihren höllischen Ruf: Kreuzige, kreuzige, mit einstimme, auf dass alle Welt wunder glaube, wie groß ihr Recht, wie mächtig ihr Anhang sei. Sie verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat, und führen über sich selbst eine schnelle Verdammnis. Viele folgen nach ihrem Verderben; um welcher willen der Weg der Wahrheit verlästert wird. Und durch Geiz mit erdichteten Worten hantieren sie an euch; welchen das Urteil von langem her nicht säumig ist, und ihre Verdammnis schlummert nicht (2 Petr. 2, 13.). Wehe ihnen! denn sie gehen den Weg Kains, und fallen in den Irrtum des Bilaams, und kommen um in dem Aufruhr Korahs (Jud. 11.).
Fragen wir nun endlich nach dem Resultat, welches diese Gegensätze uns darbieten, so finden wir es einfach in folgendem Satz ausgesprochen: Wie der natürliche Mensch ein Totschläger ist durch Hassen und Töten aller derer, die seinem Egoismus im Wege stehen, so wird der aus Gott Geborene ein Lebensträger durch Lieben und Leiden. Wo aber das Leben aus Gott und der Tod aus dem Satan sich berühren, da führt diese Berührung zur Entscheidung zwischen Mensch und Mensch. Einige werden offenbar als Kinder Gottes und treten in das Reich des Lichts und des Lebens über; andere werden offenbar als Kinder des Teufels und sinken tiefer hinab in das Reich der Finsternis und des Todes. Wir aber, meine Freunde, prüfen uns bei diesem Anlass aufs Neue, welchem Reich, ob dem Reich des Lebens oder dem Reich des Todes, wir angehören; und fahren fort, der Welt, die im Argen liegt, das inhaltsreiche Wort vorzuhalten: Du sollst nicht töten. Amen!