Zschokke, Heinrich - Familien-Andachtsbuch - 2. Öffentliche Gottesverehrung

Zschokke, Heinrich - Familien-Andachtsbuch - 2. Öffentliche Gottesverehrung

Psalm 43, 3. 4.

Komm! Geist der Andacht und der Ruh',
In unsre Tempel führe Du
Des frommen Sinnes Fülle!
Mach' unser Herz vom Irrtum los,
Es werd' uns Gottes Name groß,
Sein Wille unser Wille!

Im Meeressturme lernt der rohe Schiffer beten; beim Donner der Schlachten der wilde Soldat auf die vergeltende Ewigkeit sehen; unter zerschmetternden Blitzen des Himmels lernt der Gottesleugner glauben. Die Teufel glauben auch und zittern, spricht die Heilige Schrift.

Ist dies die echte Gottesliebe und Gottesfurcht, welche wir als Nachfolger Jesu, als Gotteskinder empfinden sollen? Ist es dem allwissenden Gott, der alle Zukünfte durchschaut, unbekannt, wie wir nach kurzer Zeit wieder von ihm abfallen werden? O, Niemand irre sich, Gott lässt seiner nicht spotten!

Viele sind schwach genug, nur deswegen ein äußerlich frömmeres Leben anzunehmen, weil man sich nicht auszeichnen will; oder sich nicht bei seinen Vorgesetzten oder beim Volk in den Verdacht setzen möchte, als habe man gar keine Religion. Denn man weiß, wie schädlich oft ein solcher Verdacht Jemand in bedenklichen Umständen werden kann. Man wird also religiös, weil die Religion wieder zur Mode geworden. Man geht also zur Kirche, zur Messe, zum Abendmahl und zur Beobachtung anderer kirchlichen Ordnungen, weil Alles geht. Wie aber? Ist das Allerheiligste der Menschheit nichts mehr als ein Kleid, welches man hinwegwirft, wenn es außer Gebrauch kommt? Ist das, was ewig gilt, gleichbedeutend mit einem Märchen, das vergessen wird, wenn es nicht mehr neu ist? Und doch gehen Tausende dahin zum Genuss der heiligen Sakramente, und glänzen in den Kirchen, weil sie wahrnehmen, dass es auch andere tun. Aber ihr Gottesdienst ist falscher Art und dem Herrn ein Gräuel. Nicht dem Herrn des Himmels und der Erde dienen sie, sondern dem Eigennutz und der Sitte. Nicht Gottesfurcht haben sie, sondern feige Menschenfurcht, in deren Gefühl sie vor ihrer eigenen Verächtlichkeit erröten müssen.

Bei weitem aber die größere Menge der Christen unserer Zeit übt einen falschen Gottesdienst aus trauriger Unwissenheit. Ob es gleich in keinem christlichen Lande an Kirchen und Schulen mangelt, fehlt es doch leider noch sehr allgemein an wahrem christlichen Unterricht der Jugend und der Erwachsenen. Die Schuld des religiösen Verderbens ist ebenso oft die Schuld der Lehrer, als der Hörer. Denn wie viele sind unter den Christen, besonders der niederen Stände, welche wissen, worin ein wahrer Gottesdienst bestehe? Wie alltäglich ist es, dass sich die Leute unter Gottesdienst nicht viel Anderes denken, als einen untertänigen äußerlichen Dienst gegen die Gottheit, wie man etwa auch Menschen zu dienen pflegt, mit äußerer Ehrerbietung und Pflicht! Sie setzen den ganzen Wert ihrer Gottesverehrung und die ganze Wirksamkeit der Religion in treue Beobachtung der kirchlichen Handlungen und Gebräuche. Sie meinen, wenn sie diese nur vollbracht haben, dann hätten sie Gott schon gegeben und geleistet, was Gottes ist. Dann halten sie ihrerseits Gott gleichsam für ihren Schuldner, dem sie Dienste geleistet, wofür er ihnen wieder erkenntlich sein werde. Ach, sie denken kaum daran, dass wir mit allem unserm Tun und Lassen dem allmächtigen Herrn aller Welten und Schicksale nichts geben können; dass Alles, was wir in gottesdienstlichen Absichten tun, nicht Gottes Freude und Nutzen, sondern allein unser eigener Nutzen, unsere eigene Freude sein soll!

So gebrauchen viele Menschen die heiligen Sakramente, und bilden sich ein, dass der Genuss derselben an sich schon eine ganz besondere, Reue vorstellende, von Sünden reinigende Kraft habe. Sie bedienen sich derselben ganz gedankenlos, und doch halten sie dafür, schon dadurch, dass sie das Sakrament empfingen, sei in ihnen und bei Gott eine wichtige Veränderung vorgegangen. Aber dies ist Aberglaube und falscher Gottesdienst! Denn Brot und Wein, Wasser, Öl und Salz bleiben irdische Dinge in und außer dem Tempel; und sie haben keine wunderwirkende Kraft, auch wenn der Geistliche sie durch sein Gebet und die Bezeichnung mit dem Kreuze geweiht hat. Denn was ist die Weihe anders, als eine bloße Anrufung Gottes, ein Gebet zum Vater des Segens, dass er den Gebrauch des Sakraments an uns von segenvollem Erfolge sein lassen wolle? Wie aber kann es von segenreicher Wirkung sein, wenn wir durch Gedankenlosigkeit uns der heilsamen Kraft heiliger Handlungen freiwillig berauben? Kann ein Sakrament Gnade vor Gott und Vergebung der Sünden wirken, wenn ihr es im gleichen Augenblicke durch Leichtsinn und Eitelkeit, durch Zerstreuung, Neid oder andere unanständige Gefühle verspottet? Wisst ihr nicht, dass, wer unwürdig vom Tische des Herrn isst und trinkt, ihm selber das Gericht isst und trinkt? - Aber Tausende und Tausende gehen, bedienen sich gedankenlos der heiligen Sakramente; glauben damit Gott ihre ganze Schuldigkeit getan zu haben; gehen hin - und sündigen von neuem. - Ach, dieses religiöse Verderben, dies schreckliche Gegenteil von Allem, was Jesus Christus lehrte, ist Frucht der unwissenden Menge.

Es ist falscher Gottesdienst, es ist totes Opferwerk, wenn wir mit dem Leibe fromme Übungen beobachten, aber mit dem Geiste fortfahren zu sündigen. Gott ist ein Geist - darum im Geist und in der Wahrheit (nicht bloß zum Schein) soll er verehrt werden. Es ist falscher Gottesdienst, zur Kirche zu rennen, ohne dort von heiligen Entschlüssen zu einem redlichen, menschenfreundlichen, gottgefälligen Wandel ergriffen zu werden. Es ist falscher Gottesdienst, zum heiligen Abendmahl mit ungebessertem Herzen hinzutreten, mit ungebessertem Herzen wieder in das gemeine Leben zurückzukommen, und dennoch Vergebung der Sünden zu hoffen. Es ist falscher Gottesdienst, als Taufzeuge bei Aufnahme eines Kindes in der christlichen Kirche zu erscheinen, ohne sich ferner um die dabei eingegangenen hohen Verpflichtungen zu bekümmern. Es ist falscher Gottesdienst, Hörer der Predigt und des göttlichen Wortes zu sein, ohne auch Täter desselben zu werden. Es ist falscher Gottesdienst, alltäglich lange Gebete, Morgens, Mittags, Abends, im Hause oder in der Kirche herzumurmeln, ohne dabei dem Inhalt des Gebetes Angemessenes zu denken. Vor dieser Art Gottesverehrung haben uns alle Jünger Jesu, hat der Weltheiland selbst auf das ernstlichste gewarnt. Wir dienen mit diesem Lippenwerk weder Gott noch uns selber. - Wir entstellen damit die alleinseligmachende Religion, und entweihen das Allerheiligste, indem wir das wahre Ziel vergessen, vollkommener zu werden, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist, und hingegen das, was ein bloßes Mittel sein soll, zum Hauptzweck machen.

Von der andern Seite verfallen diejenigen in einen entgegengesetzten Fehler, welche den öffentlichen Gottesdienst der Christen versäumen, um lieber Privatbetstunden, sogenannte Frommen-Zusammenkünfte und Erbauungsstunden, zu besuchen. Denn dadurch wird die eingeführte Ordnung gestört, obrigkeitliche Einrichtungen werden bei Seite gesetzt, Absonderungen und Trennungen in der christlichen Kirche veranlasst, und mehr oder weniger parteiische Gesinnungen eingeführt. Zudem weiß man leider aus vielfachen Erfahrungen, dass in der Länge der Zeit solche der Erbauung gewidmet sein sollende Zusammenkünfte gewöhnlich entarten und zu mancherlei Missbräuchen unerwartet verleiten. Aber Parteigeist und Spaltungen in die Gemeinschaft aller Christen bringen, die öffentliche Ordnung vernachlässigen, ist falscher Gottesdienst. Wenn diejenigen recht tun, welche sich absondern, um sich nach ihrer Weise zu erbauen, so würden auch alle übrigen recht tun, wenn sie auf andere Weise das Gleiche täten. Womit würde das aber in allen Ländern enden?

Wir müssen unter Gottesdienst niemals etwas Anderes verstehen als Gottesverehrung. Denn wir können Gott nicht dienen, nicht nützen, weil wir Alles erst durch ihn empfangen. Aber verehren können und müssen wir ihn, weil er das Verehrungswürdigste im Weltall ist; weil er der Vater unsers Lebens, der Lenker unserer Schicksale, der Geber alles Segens ist.

Doch, wehe! wenn selbst diejenigen zur Gleichgültigkeit gegen den Besuch des Tempels beitragen, welche von heiligen Stätten das Wort Gottes verkündigen sollen; wenn sie ihren ehrwürdigen Beruf erwählt haben, nicht weil sie dazu die innere Weihe empfangen hatten, sondern irgend einen Broterwerb suchen mussten; wenn sie mit Schlaffheit ihr Amt versehen; predigen, um der Sitte gemäß eine Stunde mit leerem Wörterschall auszufüllen; wohl gar als Heuchler dastehen, die nicht von Herzen lieben und glauben, was sie sagen; in ihrem häuslichen Leben zuweilen das Gegenteil sind von dem, was sie lehren, und andere ungeistliche Geschäfte mit größerem Eifer, als ihr Amt, treiben: dann ist das Maß der Schlechtigkeit erfüllt; dann erstaune Niemand, dass ein großer Teil des Volks, trotz christlicher Namen, Sakramente, Zeichen, Gebetsformeln, im Herzen heidnisch und verwildert ist, und die vermeinten Gottesverehrungen nur altherkömmliche Übungen sind, deren man gewohnt ist, nur Stunden der Langeweile sind, die man ehrenhalber aushalten muss.

Wahrlich, Gottesverehrungen, wie diese, sind öffentliche Gottesverspottungen zu heißen. Sollen wir es tadeln, wenn dann in Dörfern, wenn in Städten zuweilen ganze Familien sich unter solchen Umständen vom Besuch der Kirche zurückziehen? Haben dann Obrigkeiten ein Recht, Familien zu zwingen, in andachttötende Versammlungen zu gehen und den Wortkram eines Geistlichen zu hören, der seinen Pflichten kein Genüge leistet? Haben diese ungetreuen Lehrer und Seelenhirten ein Recht, über Verfall der Religion, über schlechten Besuch der Kirchen zu klagen, da sie es doch selbst sind, welche die Kirchen veröden, und die Stunde der Andacht zur Stunde der Langeweile und Plage machen? Sie jammern töricht über die nachteiligen Folgen der Aufklärung, und eifern wider das Umsichgreifen weltlicher Weisheit: aber warum schreiten sie selber auch nicht fort in Erkenntnis und in der Kunst, ihre Erkenntnis dem lernbegierigen Volke mitzuteilen? Warum treiben sie ihr heiliges Geschäft ohne Anstrengung, ohne Innigkeit, gleich dem Handwerker, der einförmige Arbeiten verrichtet, und dazu keines Nachdenkens bedarf?

Der wirkliche Verfall des öffentlichen Gottesdienstes in vielen Gegenden, das Zurücktreten vieler Personen vom Besuch der Kirchen, ist in der Tat weniger den Fortschritten der sogenannten Aufklärung des Volks zuzuschreiben, als dem Mangel der Fortschritte vieler Geistlichen in ihrer eigenen Ausbildung und Vervollkommnung zum Beruf, so wie der allzu wenigen Sorgfalt, welche man von Seiten der Gemeinden, der Obrigkeiten, der Kirchenvorsteher und Geistlichen auf Anstand, Würde und Feierlichkeit bei öffentlichen Gottesverehrungen verwendet.

Es ist jedoch die religiöse Unterhaltung ein so tiefes Bedürfnis des Menschen, dass selbst die unverzeihlichste Nachlässigkeit derer, die für würdige Feier des Gottesdienstes die erste Sorge haben sollten, es noch nicht hat dahin bringen können, die Tempel ganz leer von Betern zu machen.

Prüfe dich indessen selbst, der du dich der öffentlichen Gottesverehrung entziehest, oder sie vernachlässigst, ob deine Gründe so edel, so weise sind als du meinst. Ist es nicht Mangel an religiösen Gefühlen deines Herzens, dass dir das Erhabene, Heilige und Schöne als ein totes, leeres, überflüssiges Gewohnheitswerk vorkommt? Ist es nicht Eitelkeit, die dich leitet, dass du vor manchen Leuten als aufgeklärter, einsichtsvoller gelten möchtest?

Du sprichst: „Die Predigt ist für mich nicht immer erbaulich und belehrend. Was ich in der Kirche hören kann, das weiß ich schon.“ Es sei; aber auch ein geringer Redner sagt oft nützliche Dinge; und wie manche dir in deinen Verhältnissen wohltätige Wahrheit, an die du in Jahren nicht gedacht hättest, wird dir unvermutet in einer ernsten Stunde vor die Seele gerückt!

Du sprichst: „Ich kann Gott ebenso gut in meinem Hause, in meiner Kammer verehren, als in der Kirche.“ Wohl kannst du es; aber geschieht es? Bist du immer dazu gestimmt? Ziehen dich nicht hunderterlei andere häusliche Zerstreuungen ab?

Der Sonntag ist den Christen ein heiliger Tag. Tausend Völker in tausend verschiedenen Sprachen verehren Gott und beten vor seinem Throne; nur du stehst einsam, als gehörtest du nicht zu der großen, heiligen Familie. Ausgeschlossen von der Gemeinschaft deiner Brüder, begleitet dich Niemand in deinem abgesonderten Wandel, als der wilde Indianer, der noch keinen Gott kennt, und seiner Nahrung und seiner Lust nachgeht, während in der gleichen Stunde Millionen Wesen im Staube vor dem Ewigen den Unendlichen anbeten!

Wenn der Glocken Feierklänge von den Türmen aller Tempel hallten: drangen sie nicht oft mit ehernen Stimmen mahnend an dein Herz?

Und war dir's nicht oft wie ein Ruf: „Warum schließt du dich von der Gemeinschaft der Christen aus?“

Wenn dein Blick zufällig durch die Dämmerung des Tempels schweifte, und in der Ferne den einsamen Taufstein sah, wo du als Säugling einst die Weihe des Christentums empfingst; wenn du die Stelle sahst am Altar, wo du mit frommen Rührungen das erste Mal in die Vereinigung der Christen tratest, und Teil nahmst an dem Gedächtnismahle deines göttlichen Lehrers und Seligmachers; wenn du die heilige Stätte sahst, wo du einst in einem wichtigen, großen Augenblicke standest, als unter dem Anruf des Himmels eine Gattin dir zur Gefährtin des Lebens anvermählt ward - machte dies alles, machte nichts dir diesen Tempel heiliger?

Die Feier des Sonntags ist eine so ehrwürdige Stiftung, als wie das Christentum selbst. Der Türke hält den Freitag heilig; der Jude feiert den Sabbat; der Christ begeht an jedem Sonntage das Fest, durch welches die Hoheit seiner Religion siegreich bestätigt ward: die Auferstehung Jesu.

Der Sonntag ist ein Tag des Herrn, das heißt, der Ruhetag aller Völker von irdischen Geschäften und Gewerben, um von niedrigen Nahrungssorgen die Seele emporzuheben zur Quelle ihres Ursprungs, zur Gottheit und zur Betrachtung ihrer ewigen Bestimmung. Der Pflug des Landmanns ruht, die Werkstätten sind stille, die Schulen der Kinder sind verschlossen. Jeder Stand, jedes Alter schüttelt den Staub des Wochentages ab, und sucht die Feierkleider hervor. So geringfügig auch diese äußern Zeichen der Achtung für den Tag des Herrn sind, wirken sie doch mit hoher Gewalt auf des Menschen Gemüt.

Lasst den Sonntag und die öffentliche Gottesverehrung aus der Welt verschwinden, und ihr werdet binnen wenigen Jahren die Verwilderung der Völker erleben. Von den Sorgen des Lebens niedergedrückt, oder von der Habgier unaufhörlich zur Arbeit gespornt, wird der Mensch selten einen Augenblick finden, der ihn an seine höhere Bestimmung ernsthaft denken lässt.

Und selbst wenn das Herz zu keiner frommen Betrachtung geneigt wäre, es wird durch die sanfte Macht des Beispiels in der großen Versammlung der Christen hingerissen. Wir sehen um uns Hunderte und Tausende derer versammelt, mit welchen wir an einem und demselben Orte beisammen wohnen, mit welchen wir Freude und Leid, das allgemeine Glück und Unglück des Landes tragen; wir sehen um uns her diejenigen, welche früher oder später unsern Sarg zu Grabe begleiten, und uns die Tränen der Freundschaft nachweinen.

Wir stehen unter ihnen da vor dem Allgegenwärtigen versammelt, als Mitglieder einer einzigen großen Familie. Hier scheidet uns nichts mehr, was in der bürgerlichen Welt trennt; der Hohe ist in der Nachbarschaft des Niedrigen; der Arme steht und betet an der Seite des Reichen; wie vor Gott nicht der Rang, nicht das Ansehen der Person gilt, so auch hier in der Zusammenkunft seiner Familie. Wir alle sind hier nur Kinder des ewigen Vaters; nur die Kirche und einst der Tod führt die Sterblichen in die Gleichheit vor Gott zurück. - Fürsten sind von ihren Thronen gestiegen, und beten im Gefühle ihrer Sterblichkeit zur Majestät des Unendlichen; selbst wo auf den Wellen entfernter Meere einsam ein christliches Schiff schwebt, erhebt sich über dem Abgrund des Meeres Gesang und Verherrlichung Gottes. Wie? und du allein könntest heute schweigen? kannst nicht in das Halleluja des ganzen Erdbodens einstimmen? –

Denke: auf der Stätte, wo du in der Kirche stehst, werden einst deine Enkel, deine Nachkommen anbetend stehen, wenn du nicht mehr bist. Auch hier werden sie noch dein gedenken! Vielleicht wird die Stelle, welche jetzt dein Fuß berührt, noch die Träne eines treuen Sohnes, einer zärtlichen Tochter, eines freundlichen Bruders, einer liebevollen Schwester benetzen, wenn das Gedächtnis deiner in ihrem Herzen reger wird. Kannst du, umgeben von so großen Beispielen, durchdrungen von so großen Erinnerungen, gleichgültig bleiben im Tempel Gottes?

Denke, indem dein Blick über die andachtsvolle Versammlung hinfliegt, wo der Betagte neben dem Kinde, das bleiche Antlitz eines Kranken neben der aufblühenden Gesundheit, der Ernst des geschäftvollen Mannes neben dem Flattersinn der Jugend, der trübe Blick des Bekümmerten neben dem lächelnden Auge des Zufriedenen erscheint, - denke: in hundert Jahren sind alle diese blühenden und welkenden Gestalten von der Erde weggegangen, und ganz andere Gestalten füllen diese langen Reihen aus, unter denen auch du nicht mehr sein wirst. - Auch du nicht mehr! -

Von Erinnerungen dieser Art ergriffen, wirst du unwillkürlich zu dem erhabenen Zwecke hingerissen werden, zu welchem der öffentliche Gottesdienst eigentlich bestimmt ist. Sage nicht: auch in meiner einsamen Kammer kann ich Gott verehren. Nein, diese Empfindungen, diese Begeisterung kann dir nur der Gott geweihte Tempel gewähren!

Es ist damit nicht gesagt, dass du am Sonntag, unaufhörlich mit frommen Betrachtungen beschäftigt, allen andern Genüssen und Freuden entsagen sollest. Nein, der sterbliche Mensch hat nur ein gewisses Maß von Kraft.

Gehe hin und nimm Teil an erlaubten Ergötzlichkeiten, auf welche du wegen deiner Arbeiten und anderer Verhältnisse in der Woche Verzicht tun musstest. Auch du bist zur Freude geboren, wie jeder Wurm. Nur dann rette dein besseres Selbst, wenn diese Ergötzungen in rauschende Wildheit, in Anlass zur Zwietracht, in Gelegenheit zur Sünde, zur Verführung, in Ursachen der Reue entarten. Das ist die Frucht der reinen Gottesverehrung, dass sie unser Gemüt heiligt, damit es vor rohen, tierischen Freuden zurückbebt, sich nicht wälzen mag im Schlamme niedriger Lüste und Leidenschaften.

Nie will ich mich selber entweihen am Tage des Herrn; nie will ich an einem Tage, da ich ausging, Gott zu verehren, mich durch einen schlechten Wandel entehren. Mein Mund nicht allein, mein ganzes Tun und Lassen muss Gott verherrlichen. Und insbesondere die hohen Festtage der Christenheit, die heilige Feier der Weihnachten, der Ostern und Pfingsten, seien in reinster Andacht ganz dem Dienste des Herrn geweiht, und in christlicher Frömmigkeit zugebracht.

Dein Heiliger Geist, o Gott, o Unaussprechlicher, durchdringe mein Herz, wenn ich in der Versammlung der Christen stehe, und tausend Seelen in Anbetung vor Dir niedersinken. Wo kann uns wohler sein als da bei Dir? Wo fühle ich lebhafter Deine Majestät und unsere menschliche Nichtigkeit als da, wo Fürsten und Bettler neben mir anbetend sich vor Dir hinneigen? Wo kann mich Alles mehr als in Deinem Tempel daran erinnern, dass wir Sterbliche nur Kinder eines Vaters im Himmel sind, zu dem wir Alle Abba, Abba! rufen?

Ja, die Stätte, wo meine Voreltern zu Dir beteten, wo meine Nachkommen wieder zu Dir sich wenden werden, sei mir ehrwürdiges Heiligtum! So oft es mein Fuß berührt, blicke mein Geist preisend zu Dir empor; und so oft die heiligen Gesänge um mich her ertönen, erhebe sich meine Seele zu Dir auf Flügeln der Andacht, und von der Ahnung durchschauert: einst, wenn diese Lobgesänge über meinen Grabhügel hinwegschallen, verherrliche und preise ich Dich, Du Namenloser, Du Ewiggütiger, in schöneren Welten und vereint mit höheren Wesen, deren Halleluja durch die Himmel dringt!

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