Zeller, Samuel - Acht Betrachtungen über Bibel-Abschnitte - 8. Wenn du es wüsstest!
(Luk. 19.)
An einer Stelle im Propheten Jeremias spricht dieser zum HErrn: „Warum stellst du dich, o Gott, wie ein Riese, wie ein Held? rc. - warum?“ Und Gott antwortet: „Darum, weil mein Volk gerne hin und her läuft und nicht gerne daheim bleibt, darum suche ich seine Sünden heim.“ Warum wird also das Gericht über uns kommen? Weil Du nicht erkannt hast die Zeit deiner Heimsuchung.“ Das hat ein besonderes Gericht; vorher sagt der HErr: Wenn du es wüsstest!“ Es ist auffallend, wie Er bei den elendesten Sündern immer auf die Gnade hinweist; dies soll uns aber nicht zur Entschuldigung gereichen. Bei der Samariterin antwortet der HErr auf ihre grobe Frage demütig: „O, wenn du es wüsstest - du bätest Ihn und Er gäbe dir lebendiges Wasser.“ Und während man auf sein letztes schmerzvolles Leiden und Sterben schaut, hört man ihn beten: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“ Was in der dürren, trockenen Predigt des Jonas solchen Eindruck machte auf die Herzen der Niniviten, das war ein Wort der Zukunft, eine Weissagung dessen, was kommen wird. Die Schwelger lebten ohne Bewusstsein dahin, bis ein Jonas sie aufweckte. Sene einfache Aufdeckung der Zukunft hatte mehr Gewicht als alles, was der HErr sagte, der mit seiner großen Liebe unter seinem Volk herumgewandelt ist. O, was gilt unseren Herzen die Zukunft, was spielt sie für eine furchtbare Rolle! Alles wird in der jetzigen Zeit geschraubt, in die Höhe getrieben; wie viel Dünken und Vielwisserei, und wie vergisst man die Hauptsache: „Nicht viel wissen wollen, aber das Wenige recht.“ und O, wie müssen wir auch da gestehen: Es ist erstaunlich gut, dass wir nicht alles wissen; und wie gut, wenn verboten würde all der verdächtige Kram der Kartenschlägerinnen und Weissagerinnen! Welcher Trieb in uns, zu wissen, was nachher kommt! Der HErr verbietet es auf der einen Seite, und auf der anderen öffnet Er uns den Blick: „O, wenn du es wüsstest!“ Ach, wie ist unter uns noch so viel Unbußfertigkeit, noch so viel Stecken in der Sünde, noch so viel Hangen am Irdischen! Aber „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich fein.“ - „Ja, die Sünde ist der Leute Verderben; sehet auf Lots Weib! Es kommt ganz gewiss ein Tag, wo der Engel auch dich packt, wie zu Sodom den Lot. 1 Kor. 10 steht die ganze Geschichte Israels, und das alles ist zum Vorbild geschehen.
Wenn nicht bald in deinem Seelenzustand eine Änderung eintritt, der Bann nicht herauskommt, so bist du verloren; darum bedenke deinen Zustand; aber es ist schwer!
„Zu dieser deiner Zeit.“ Gott hat seine Zeiten der Heimsuchung; ein jedes Herz hat seine Stunde, aber das Wichtigste ist, zu wissen, wie man sich in jenen Stunden der Heimsuchung benehmen muss. Gott möge uns dazu den rechten Gebetsgeist schenken! Ja, bet' heut', bet' morgen.
I.
In Gottes Wort steht klar geschrieben, wie der HErr die Menschen in ihrer eigenen Weisheit zu Schanden macht und dahin gegeben hat in ihrer Herzen Gelüste. Von dieser falschen Weisheit kommt so viel Herzeleid, von der wahren so viel Glück. Drei Dinge tun uns not zu wissen, drei Wissenschaften bilden das Herz, machen es wahrhaft klug und lehren uns, zu Gottes Ehre und unserem Heil weiter denken:
- Der Blick in die Ewigkeit und das, was uns Gottes Wort über die Ewigkeit sagt;
- Der Blick auf die Schmerzen Jesu, die Er ob unseren Sünden empfindet;
- Der Blick auf das wahrhafte Wohlergehen der Gerechten.
„Wenn du es wüsstest!“ Aber das Eine weiß man so wenig bei allem Wissen. Es ist so viel Konsequenz in Gottes Wort, forscht nur bei allem dem Einen nach! Darum konnte der HErr auch bitten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Schon bei Mose rief der HErr: „ dass du es bedächtest, was hernach geschehen soll!“ Wenn auch manche Geplagte unter uns sind, alle Leiden der Zeit sind noch nichts gegen das, was „hernach“ geschehen soll. Es ist eine besondere List Satans, die Herzen der Menschen zu verdunkeln, im Dusel (Taumel) zu erhalten, dass sie nicht in die Ewigkeit sehen. Deswegen steht geschrieben: „Seht zu, dass ihr Etliche selig machet und rückt sie aus dem Feuer!“ - Die Ewigkeit ist ein Donnerwort, und ihre Spuren haben wir bei uns. Ach, wie mancher Kranke ohne Gott und Heiland sehnt sich nach dem Tod, der ihn frei machen soll von körperlicher Plage! Wie manchen wandelt sogar der Gedanke von Selbstmord an, um los zu werden. Da heißts aber: „Und bettete ich mir in der Hölle, siehe, so bist du auch da!“ - Der Tod, die Auflösung aller Sünde - welch ein Wahn! Die Ewigkeit ist kein Erlöser von Sünde, nur ein anderer Termin, ein anderes Stockwerk für dieselben Plagen. Der Geist bleibt derselbe, wie z. B. eine zanksüchtige Person nirgends ruhig lebt, überall ausziehen muss, weil sie den Stoff bei sich trägt, und die Schuld nicht an anderen Leuten liegt. Nur ein Mittel gibt Stille: „Jesus, das Blut des Lammes.“ Goethe ruft sterbend aus: „Mehr Licht!“ - „Da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht“ so schildert Gottes Wort die Ewigkeit. Es unterscheidet also zwei Ursachen von Seelenqual: „Wurm und Feuer,“ und die trägt jeder mit sich herum. Der Wurm ist das Gewissen, jenes Echo, das uns die Sünde gibt, wenn wir sie auch verkleistern wollen. - Wie oft kann ein kleines Ding uns stören (z. B. Zahnweh in Gesellschaft, wenn so ein Nerv nagt und wurmt), und wie viele sitzen manchmal in froher Gesellschaft, auch bei uns hier, und sind doch nicht ungestört; es nagt in ihnen, wenn sie z. B. im „Unser Vater“ beten: „Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ja, es gibt keine irdische oder religiöse Freude, die nicht durch den Wurm verbittert wird. O, ihr Lieben, die ihr noch so seid, wollt ihr hinüber? Da drinnen im Herzen ist ein Stück Hölle, es ist die Erinnerung an unvergebene Sünden. Doch, Gottlob, der Wurm kann hienieden sterben, dass man sagen darf:
Mein Gewissen beißt mich nicht,
Moses darf mich nicht verklagen!“
Wie heißt aber das glühende Eisen, mit welchem man den Nerv töten kann? Es ist die glühende Liebe, das Blut Christi, das kann ihn töten. O, wenn du wüsstest, wie in der Ewigkeit derselbe Schmerz nie aufhört, der hier gelöscht werden kann!
Aber auch zweitens ein Feuer. Schon mancher Christ wäre froh gewesen, wenns mit dem Wurm am Ende wäre, zu Ende käme; aber da sind die Sündenmächte, die innen im Herzen brennen. Wie mancher, der viel schwatzte, wollte aufhören und ward wieder getrieben, entzündet von diesem Feuer! Es ist eben der Stoff dazu in uns. Wie brauchts z. B. oft so wenig, um den Empfindlichen zu berühren, und es geht los. Zeigt mir einen Menschen, der ohne Christum davon los geworden! Dieses Feuer kann niemand löschen, als nur jener Strom der Liebe Jesu. - Das Feuer ist die in uns wohnende Sünde, der Hochmut, die nicht gelöscht werden können. Du Armer bist ihr schon so oft scheinbar entgangen, wenn du dich vielleicht einigermaßen halten konntest, bis du wie der angebundene Maikäfer wieder herunterfielst! Es ist viel weniger schädlich, schon früh einen tiefen Fall getan zu haben, als lange den Gedanken zu tragen, die Lust zu haben und sie nicht zu befriedigen. Die Lust, die du mit in die Ewigkeit hinübernimmst, die brennt dort, obgleich es daselbst keine Befriedigung derselben, Schätze oder sonst was, mehr gibt. Wie im Propheten die Geister bei Belsazars Fall höhnisch riefen: Ach, du heller Morgenstern!
Das tut hier dem Herzen so weh, keine Liebe und Teilnahme zu finden, und drüben ists noch härter. Der reiche Mann wollte seinen Brüdern sogar einen Boten schicken, dass sie nicht auch kämen an diesen Ort der Qual.
II.
O, könnte manches leichtsinnige Kind schauen, welchen Schmerz seine Mutter hätte, es ließe ab von den Sünden. Ja, wenn wir zum Voraus wüssten den Schmerz und die Not derer, welche uns lieben, wir ließen manches bleiben! - Und doch sind alle Schmerzen gering gegen den Schmerz des HErrn Jesu, welchen Er hat bei einer unserer Sünden, und wenn mir dies wüssten, fürwahr wir ließens bleiben. - Nicht die Hölle und der Wurm hat mir heiß gemacht, aber Eines ist mir ins Herz gefahren: die Liebe, der Schmerz Jesu, der Gedanke: „O, wie habe ich meinen Jesum betrübt!“ Das rührt unseren HErrn, wenn wir von uns weg an Ihn denken, wie ihn unsere Sünden bekümmern. Wie wäre es z. B., wenn ein Vater auf dem Totenbett zu seinem Sohn sagte: „Du hast mir den Nagel in den Sarg geschlagen!“ Ich dächte, der Sohn hat keine Ruhe mehr fortan, und doch ist es weit geringer, als was Jesus uns sagt; ein einziger Blick hat dem Petrus genügt. - Unser Gott darf nicht betrübt werden, seine Liebe ist zu groß, sie darf nicht mit unseren Sünden bezahlt werden. „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen dich!“ Vergleicht das, dann gehts besser.
III.
Es heißt im Lied:
„Wüsstens doch die Leute, wies beim Heiland ist,
Sicher würde heute Mancher noch ein Christ!“
„Predigt doch den Leuten, dass die Gerechten es gut haben!“ Davon hat der verlorene Sohn etwas gewusst und daran gedacht. Nur eins macht uns glücklich: Die Liebe zu Gott. Das ist der dritte Weg, auf welchem der HErr Seelen zu sich zieht. – Was stört euch so oft im Leben? Die Sorgen. Das haben die Kinder Gottes nicht; da heißts: „Er sorgt für euch!“ Sie habens gut; der Apostel sagt: „Ich habe die gute Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden.“ - Niemand wird sie aus seiner Hand reißen. Weltliebe verzehrt, Jesusliebe macht stark. Drei Punkte wollen wir uns merken:
- Wisst, wies in der Ewigkeit ist, ein Wurm und ein Feuer!
- O wisst, wie weh dem Heiland unsere Sünden tun!
- O wisst, wie gut mans bei Ihm hat!
Und je mehr man alles ablegt und sich Ihm in die Arme wirft, desto seliger wird man.