Wackernagel, Ernst - Beichtrede an die Konfirmanden
über St. Matth. 22, 11-14
von E. Wackernagel, Pastor in Buch bei Berlin.
Liebe Kinder! denn an euch insonderheit habe ich heute das Wort Gottes zu reden - ihr seid in großer Anzahl an heiliger Stätte erschienen. Ihr alle ohne Ausnahme seid im Begriff, einen wichtigen Gang zu tun, den wichtigsten und folgenschwersten für euer zukünftiges Leben. Die Zeit der Kindheit liegt hinter euch, ihr sollt hinaustreten in die Welt. Andre haben bisher für euch gesorgt. Ihr sollt nun lernen für euch selbst einzustehen und euer eigenes Brot zu essen. Bisher wart ihr gewohnt, nur zu nehmen, und alles, was ihr bedurftet, ist euch aus guter Hand dargereicht worden. Nun will man wieder von euch etwas haben und empfangen, eure Eltern warten auf euch, dass ihr ihnen Handreichung tut bei ihrer Arbeit, dass ihr ihnen eine Stütze ihres Alters werdet, dass sie von euch ernten, was sie in mancherlei saurer Arbeit, unter manchem Kummer und Sorgen in den langen Jahren eurer Kindheit ausgestreut und an euch gewandt haben. Bisher hat man euch gedient. Jetzt sollt ihr wieder dienen und andern um euch her etwas nützlich sein. Ein wichtiger Schritt also, den ihr tut. Und wir, die wir ihn längst getan haben und besser, denn ihr, ermessen, was er auf sich hat, eure Eltern, Lehrer, Seelsorger, wir sehen den ganzen Ernst des Lebens an euch herantreten und wünschen von Herzen, dass Glück und Stern über eurer Zukunft auf Erden stehen möge.
Allein, bedenkt das wohl, die Erde ist unten, der Himmel oben: höher denn die Erde ist der Himmel, und der Himmel hängt nicht an der Erde, sondern die Erde hängt am Himmel. Ebenso hängt auch unser Fortkommen auf Erden an unserm Vorwärtskommen im Himmelreich. Und darum, liebe Kinder, viel wichtiger denn der Schritt, den ihr bald hinaustun wollt ins Leben, ist der andre, nämlich der, den ihr nun weiter hineintun wollt ins Himmelreich. Dazu seid ihr jetzt hier. Nachdem ihr alle als Kinder die heilige Taufe empfangen habt, sollt ihr nun auch zum ersten Mal das hochwürdige Sakrament des heiligen Abendmahls empfangen und euch durch die heilige Beichte darauf vorbereiten. Zum ersten Mal in eurem Leben soll über euch das Wort gesprochen werden, das euch los und ledig machen will von allen euern Sünden; zum ersten Mal will der Herr sich auch an euch wenden mit seinem Wort: „Nehmt hin und esst, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; nehmt hin und trinkt, das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“
Denn der Herr voll Heil und Gnaden
Will euch jetzt zu Gaste laden.
Der den Himmel kann verwalten,
Will jetzt Herberg' bei euch halten. 1)
Was sind die köstlichsten Speisen der Erde gegen das, was ihr an Gottes Tisch empfangen sollt? „Ich bin das Brot des Lebens,“ spricht der Herr. „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ „Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit.“ „Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben.“ Kinder, kommt, es ist alles bereit! Seid denn auch ihr bereit? Geladen seid ihr. Gottes Boten haben euch treulich geladen. Und ihr seid auch alle gekommen. Aber wie seid ihr gekommen? das ist die wichtige Frage, an der Leben und Tod, Segen und Fluch für euch hangt. Wie seid ihr gekommen? Oder hättet ihr noch gar nicht bedacht, wohin ihr jetzt geht? Nicht zu Menschen, nicht zu den Boten, die euch nur hierher geführt haben, nicht in ein Menschenhaus, sondern in Gottes Haus, zu Gottes Tisch, Gäste zu sein des Königs aller Könige, des Herrn aller Herren. bedenkt das noch jetzt in dieser Stunde, er selbst, euer Gott und Heiland, der gebe es euch zu bedenken und lasse es euch in Herz und Gewissen spüren heute und morgen, dass er, der Herzenskündiger selbst, hineingeht, seine Gäste zu besehen, dass seine Augen auf euch ruhen, zu prüfen und zu erfahren, wie ihr's meinet, was für Gäste er an euch gefunden hat.
Es sind heute und morgen viele Augen auf euch gerichtet, euch zu besehen: da sind Augen der Neugierde, weiter nichts zu sehen, denn wie ihr euch tragt und habt. Lasst diese Augen gaffen, habt nichts mit ihnen zu schaffen und achtet ihrer nicht; sie sind's nicht wert. Da sind aber auch Augen der Verführer, die es kaum erwarten können, bis sie ihr Netz nach euch auswerfen, um auch euch hinabzuziehen auf den Weg zum Abgrund in Sünde und Schande, auf dem sie selbst gehen. Fürchtet euch vor diesen Augen, vor den Augen der Verführer, vor den Augen des Wolfs, der die Herde Christi umschleicht und sieht, welche Schafe er erhasche und verschlinge! Da sind aber auch Augen der Verführten, Augen, denen das Weinen näher ist, denn das Lachen, wenn sie euch ansehen: wie lange ist's her, so habe ich auch dagestanden, wo diese jetzt stehen, aber eilend habe ich Schiffbruch gelitten am Glauben und heiligen Leben. O könnten meiner Augen Tränen meine Schande abwaschen und den Brand in meinem Gewissen löschen! Lasst euch diese Augen warnen. Sie müssen sehen, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn, seinen Gott, verlassen und ihm nicht dienen. Da sind endlich auch Elternaugen, Augen von Vater und Mutter, die mit herzinniger Liebe, mit Hoffnung und Furcht auf ihr Kind schauen. Lasst euch diese Augen rühren, sie bedeuten etwas, solche Elternaugen, die auf ihrem Kinde ruhen.
Und doch sollt ihr alle diese Augen jetzt lieber vergessen über den Augen des Einen, der jetzt unsichtbarer Weise unter euch getreten ist, euch, seine Gäste, zu besehen. Mit einem Blick überschaut er euch alle: er kennt euch alle von lange her; er hat euch bei euren Namen gerufen; in der Taufe hat man euch ihm auf die Arme gelegt. Nun ruht sein Blick auf euch, als spräche er: Ihr seid mein, weil ich mein Leben und mein Blut euch zu gut in den Tod gegeben; und als warte er auf die Antwort aus eurem Munde: und
Ich bin dein, weil ich dich fasse
Und dich nicht,
Mein Licht,
Aus dem Herzen lasse. 2)
Mein Kind, wie bist du hereingekommen? Was für einen Gast habe ich an dir?
Denn fürwahr, er sieht ja nicht darauf, ob einer oben- oder untenan sitzt, ob einer der Erste oder Letzte, reich oder dürftig gekleidet, reich oder arm begabt ist, er sieht vielmehr nach dem hochzeitlichen Kleid der Buße und des Glaubens.
Ich, vor meinen Augen, sehe unter euch böse und gute, solche, die mir in der langen Zeit, dass ich euch habe unterweisen und leiten dürfen, fast nur Freude, aber auch solche, die mir viel Kummer und Herzeleid gemacht haben. Aber ich will das alles jetzt nicht sehen. Was ihr uns zu Leid getan habt, das soll vergeben und vergessen sein. Aber es geht ja nicht bloß, wie ein Mensch sieht, Gott sieht das Herz an. Vor seinen Augen ist ganz und gar kein Unterschied unter euch: ihr seid allzumal Sünder und mangelt des Ruhms, den ihr vor Gott haben sollt. Da ist keiner, der seine Jugend ganz rein erhalten hätte. Auch der Beste muss vor diesen prüfenden Gottesaugen seine Augen beschämt zu Boden schlagen. Lasst mich euch zu eurer Selbstprüfung nur auf einiges hinweisen. Heute ist ja ein Tag, wo ihr viel Aufforderung habt, eurer Eltern zu gedenken. Lasst durch eure Seele gehen alle Liebe und Treue, die sie an euch gewandt haben; habt ihr denn nicht ihre Liebe oft vergolten mit Lieblosigkeit, ihre Opfer gelohnt mit Undank und Störrigkeit? Ist das nicht Sünde vor Gott und Menschen? Gedenkt ferner an die Lernzeit, die nun hinter euch liegt. Eine schöne Zeit von acht Jahren, eine Frühlings-, eine Aussaat- und Bestellzeit. Aber ich weiß, ihr habt viel Zeit versäumt, viel edlen Samen vorbei und auf harten Boden fallen lassen. Euren Lehrern, die über euren Seelen wachten, habt ihr gehorchen und folgen sollen, auf dass sie ihr Amt an euch tun könnten mit Freuden, aber ich selbst kann es auch nicht anders sagen ich habe es oft getan mit Seufzen. Und das ist euch nicht gut. Das ist von euch Sünde gewesen vor Gott und Menschen. Aber gedenkt über das alles an euren Gott. Was seid ihr ihm bisher wert gewesen? Lasst mich nur nach dem einen fragen: Mein Kind, seit wann hast du angefangen, zu ihm herzlich zu beten, dich durch Gebet auf deine Konfirmation vorzubereiten? wehe, wehe, wenn eins unter euch auch heute nicht einmal daran gedacht hätte. zu seinem Gott zu beten! Aber ihr alle, einer wie der andre, schlagt an eure Brust und sprecht mit dem verlorenen Sohn: Gott sei mir Sünder gnädig! An dir allein habe ich gesündigt und Übel vor dir getan, an dir, dem Gott meiner Jugend, an dir, meinem Heilande und Erlöser! mein Leichtsinn, o mein Ehrgeiz, meine Eitelkeit, meine Trägheit, meine Lügenhaftigkeit, meine Unkeuschheit, o alle meine Sünden, sie verklagen mich vor dir, meinem Gott! Das Kleid meiner eigenen Gerechtigkeit ist nicht besser, denn eines Bettlers, ich muss mich schämen.
Sind das eure Gedanken, nun dann wünscht ihr auch nichts sehnlicher, denn dass das alles zurückbleibe, und dass ihr als neue Menschen hinaustretet in das neue Leben, das sich vor euch austut, und besser und treuer eurem Gott und Heiland dient, denn bisher. Wie aber soll das zugehen? Was wollt ihr tun, um in etwas das Alte wieder gut zu machen? Ihr könnt doch, was ihr gelebt, nicht noch einmal leben. Die Zeit, die ihr versäumt, ist unwiederbringlich verloren. Die Kindheit ist nun einmal dahin, und so, wie ihr sie verbracht habt, so steht sie jetzt vor Gottes Augen da, und alle eure Werke und Worte und Gedanken sind eingeschrieben in das große Buch des Gerichts, welches endlich aufgeschlagen werden wird, auf dass es jeder selber noch einmal sehe, wie seine Jugend gewesen.
„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name uns Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden, denn der Name Jesu Christi.“ Kein anderer kann uns aus dem alten sündigen Wesen heraushelfen, denn der Herr, der da spricht: „Siehe, ich mache alles neu.“ „Das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller Sünde.“ Glaubt ihr das, Kinder? Wollt ihr von keinem andern Heiland wissen, denn von ihm allein und seid ihr willens, euch ganz und für immer ihm zu übergeben? Ihr kennt ihn ja alle. Ihr habt viel von ihm gehört und gelernt, viel mehr, denn tausend andre Kinder, deren Unterricht schlechter geleitet war, die vielleicht, statt im Glauben, geradezu im Unglauben unterrichtet worden sind. Ihr habt einen großen Schatz aus Bibel und Gesangbuch, aus Schule und Konfirmandenunterricht mitbekommen. Aber das Wissen tut's ja nicht. Wem viel gegeben ist, von dem wird Gott viel fordern. Gottes Augen sehen nach dem Glauben. Wer also unter euch so schwach und hartlehrig gewesen wäre, dass er nichts gelernt hätte, denn nur den Spruch: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“ glaubte das aber auch von ganzem Herzen und freute sich Gottes, seines Heilandes, solch Kind wäre unendlich viel mehr wert in Gottes Augen, denn ein andres, welches alles wüsste, aber nichts im Herzen hätte, keinen Dank, keine Liebe, keinen Glauben, kein Gebet.
Nun, ich kenne eben euer Herz nicht. Wenn aber schon wir Menschen, die euch nicht ganz durchschauen können, nur mit Zittern so manchen unter euch an den Altar herantreten sehen, weil wir fürchten, dass ihm das hochzeitliche Kleid der Buße und des Glaubens fehlt, wie mag es erst vor den Augen des Herzenskündigers sein? Dort fand er einen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an. Wie viele mag er unter euch finden? Kinder ohne Furcht und Liebe Gottes, ohne Scheu vor dem Allerheiligsten, ohne Andacht, ohne Gebet? Ach, möchte er doch keines also finden. Denn euch alle zwar werde ich im Namen und auf Befehl meines Herrn Jesu Christi auf das Bekenntnis eures Mundes frei, los und ledig sprechen von allen euren Sünden; und wo dieses Wort der Absolution ein Herz findet, geschmückt mit Demut und Glauben, da richtet es aus, wozu es gesandt ist, und seiner Sünde soll nimmermehr gedacht werden. Ihr sollt dahingehen los und ledig von eurer alten Sündenlast, als wenn sie nie auf euch gelegen; so frei von allen Anklagen des Gewissens, als hättet ihr nie eine Sünde getan. Wo aber einer mit seinem Munde zwar dreimal „ja“ spräche: Ich erkenne meine Sünden und sie sind mir alle von Herzen leid, und ich verlange Vergebung derselben aus Herzensgrund; ich glaube, dass Jesus Christus, Gottes Sohn, alle meine Sünden getragen und mich mit Gott versöhnt hat; ich will mein sündhaft Leben besseren mit Gottes Hilfe, sein Herz aber wüsste nichts davon oder spräche gar zu dem Bekenntnis des Mundes „nein“, dem würde auch das Wort der Absolution sich verkehren zu einem Wort der Verurteilung: Nicht frei, los und ledig dürfte er von hinnen gehen, sondern weil der König das hochzeitliche Kleid der Buße und des Glaubens nicht an ihm gesehen, würde er sprechen: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus!
Zu euch allen zwar werden wir sprechen: „Nehmt hin und esst“, „nehmt hin und trinkt“, und ihr alle werdet dann den wahrhaftigen Leib und das wahrhaftige Blut unsers Herrn Jesu Christi empfangen. Und wen nun unter euch hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, der soll satt werden. Wer aber unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt ihm selbst das Gericht, der ist schuldig an dem Leib und Blut des Herrn. Ach, ihr wisst ja, nachdem unter den Zwölfen der Eine, welcher ohne hochzeitlich Kleid war, Judas, den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus, und es war Nacht. Nun hatte der Satan ihn erst recht in Ketten und Banden geschlagen, nachdem er zu allen seinen Sünden auch noch die Blutschuld des Verrates und unwürdigen Abendmahlsgenusses hinzugefügt hatte. Nun war er unter die Sünde verkauft. Bald fing sein Heulen und Zähneklappern an! „Ich habe übel getan, dass ich unschuldig Blut verraten habe.“ Aber er fand keinen Raum mehr zur Buße. Er hat sich selbst vollends in die äußerste Finsternis gestürzt.
Wie nah ist euch also die Frage gelegt: „Herr, bin ich's?“ Ach Herr, lass mich's doch nicht sein! Behüt mich, Herr, vor Sünd' und Schand'! Lass mich nicht unwürdig und verdammt sein! Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Nun, so bittet Gott, der euch berufen, dass er euch, wenn ihr nun kommt, auch das hochzeitliche Kleid der Buße und des Glaubens schenken möge. Das kann euch kein Mensch geben. Das könnt ihr euch selbst nicht geben. Aber alle, die euch lieb haben, die können und sollen für euch darum beten, und ihr selbst, so lieb euch eurer Seelen Seligkeit ist, sollt darum beten, dass der König, euer Heiland, es euch schenken wolle durch seinen Heiligen Geist: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist. Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.“ „Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan!“
Jesu, wahres Brot des Lebens,
Hilf, dass ich doch nicht vergebens,
Oder mir vielleicht zum Schaden,
Sei zu deinem Tisch geladen.
Lass mich durch dies Seelenessen
Deine Liebe recht ermessen,
Dass ich einst, wie hier auf Erden,
Mög‘ dein Gast im Himmel werden. 3)
Amen.