Thomasius, Gottfried - XVII. Am Sonntag Rogate. Das Wort.
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch! Amen.
Durch die heilige Taufe fängt der Herr sein Gnadenwerk in dem Menschen an, durch die Lebensführung setzt er es fort, beides aber immer zugleich durch das Mittel des Wortes. Denn durch das Wort bringt er uns das zum Verständnis und eignet unserem persönlichen Leben an, was er uns bereits in der Taufe geschenkt hat. In sofern ergänzen beide einander, und es gilt von jedem dieser Gnadenmittel, dass es Grund und währende Quelle des christlichen Lebens ist. Lasst uns heute diese Bedeutung des Wortes näher erwägen, und wolle der Gott der Gnaden uns auch dazu seinen Segen verleihen. Amen.
1 Petri 1,22 bis 25. „Und macht keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit durch den Geist, zu ungefärbter Bruderliebe, und habt euch unter einander brünstig lieb aus reinem Herzen, als die da wiederum geboren sind, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Worte Gottes, das da ewiglich bleibt. Denn alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen. Aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist.“
Es ist eine Ermahnung zur Heiligung, welche der Apostel Petrus mit diesen Worten an seine Leser richtet. Er weiß aber wohl, dass sich die nicht wie ein Gesetz gebieten, nicht von außen her dem Menschen aufdringen lässt. Denn das Wesen des christlichen Lebens ist Freiheit. Ich mag noch so dringend dazu auffordern, noch so laut davon predigen, es bleibt umsonst, wenn nicht der Keim des neuen Lebens, der Geist der Heiligung und der Liebe bereits im Herzen ist. Darum verfährt hier auch Petrus nicht wie ein Gesetzgeber tut, der mit Dräuen und Strafen die Seele treibt, sondern er beruft sich auf den bereits vorhandenen Bestand, auf die Wiedergeburt, die mit ihnen vorgegangen ist. Als die Wiedergeborenen, sagt er, „als die da wiedergeboren sind ermahne ich euch;“ dies ist das Zentrum unseres Textes, von dem aus er rückwärts und vorwärts sein Licht empfängt. Denn wie hier (V. 23) vom Anfange, so redet er vorher vom Fortgange und hernach von der Vollendung des christlichen Lebens, und setzt jedes dieser drei Momente in eine eigentümliche Beziehung zum Wort. Diese Beziehung lasst uns näher betrachten:
Der Zusammenhang des christlichen Lebens mit dem Worte.
Es hat am Worte seine Quelle, seine Norm und die Bürgschaft seiner Vollendung.
I. Seine Quelle.
Der Apostel redet seine Leser als Wiedergeborne an. Der neue Mensch, aus Gott geboren, nach dem Bilde Gottes geschaffen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, ist in ihnen zu Stande gekommen, ein neues geistliches Leben hat begonnen. Was dieses Leben sei, meine Brüder, das lässt sich denen, die es nicht besitzen, auch nicht begreiflich machen. Denn was sie ihr Leben nennen, das Leben des alten Menschen, das Leben in der Lust des Fleischs und in der Eitelkeit der Welt, ist das gerade Gegenteil von jenem Leben: Entfremdung von dem lebendigen Gott, Erstorbenheit zum Guten, Versunkenheit in das Wesen der Sünde, also Tod, geistlicher Tod. Es weht kein Odem göttlicher Liebe in ihrem Herzen, es regt sich nichts von den Kräften des heiligen Geistes in ihrem Geiste, wie eine öde, dürre Wüste liegt ihr Inneres da; so wissen und verstehen sie auch nicht, was das Leben ist. Hinwiederum aber, was die Schrift von einem Tode des alten Menschen redet, aus dessen Untergang der neue erst geboren wird, von der Kreuzigung des Fleischs samt seinen Lüsten und Begierden, von Selbstverleugnung und Buße, das ist ihnen das Allerverhassteste und Widerwärtigste, also widerwärtig, dass sie entweder solcher Predigt aus dem Wege gehen, oder, wo sie das nicht können, darüber schelten und zürnen. Darum bleibt ihnen das geistliche Leben eine Torheit oder ein Rätsel. Denn gerade darin besteht die Eigentümlichkeit dieses Lebens, dass, da der Mensch nicht sich selber, sondern seinem Gotte lebt, dass des Menschen Geist, in seinen innersten Tiefen mit Christo geeint, aus dieser verborgenen Gemeinschaft Kräfte des Lebens zicht, mit denen er einerseits den alten Menschen in sich tötet, andrerseits seinem Erlöser sich hingibt in selbstverleugnender Liebe zum Dienst und Eigentum. Und gehen wir diesem Leben noch tiefer auf den Grund, so zeigt sich, dass es wesentlich ein göttliches ist; Kraft von Oben, Wehen und Walten der ewigen Liebe in dem menschlichen Herzen. Denn die es an sich selbst erfahren haben, die sagen: „die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den heiligen Geist,“ und abermals: „Unser Leben ist verborgen in Christo mit Gott,“ und wiederum: „So ist nun nichts Verdammliches mehr an denen, die nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist“. Gebe Gott, meine Brüder, dass wir Alle dieses Leben, wenigstens seinem Anfang nach, in uns tragen; denn „es sei denn, dass Jemand von Neuem geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen;“ von diesem Reiche aber ausgeschlossen sein, heißt nichts Anderes, als unter der Gewalt des Todes, unter dem Zorne Gottes bleiben. Wir sehen, Andächtige, wie unendlich wichtig der Besitz dieses Lebens ist unsere Gemeinschaft mit dem Reich der Gnade, unser Heil in Zeit und Ewigkeit hängt davon ab. Wo ist nun aber der Quell, aus dem es fließt? Wo der verborgene Brunn, aus dem heraus es in die leere, erstorbene Menschenbrust sich ergießt? Wiedergeboren, sagt der Apostel, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, und das begreifen wir wohl, dass aus dem eitlen, vergänglichen Wesen dieser Welt das neue Wesen des Geistes sich nicht entwickeln kann. Denn wie soll aus löcherigem Brunnen Lebenswasser quellen? Und das Menschenherz, von dem wir aus eigener Erfahrung wissen, dass es in seinem Dichten und Trachten verkehrt und böse ist, wie soll das sich selber umschaffen und erneuern? Fängt auch eine dürre Rebe aus eigenem Vermögen zu grünen und zu blühen an? Gewiss, nur Gottes Kraft kann göttliches Leben zeugen; der Geist des Herrn Herrn muss das tun. Der ist der unvergängliche, lebenskräftige Same, welcher, wo er eingeht in den menschlichen Boden, die Wiedergeburt bewirkt. Aber dennoch, meine Freunde, ist uns mit dieser Erkenntnis der Ursprung des Lebens noch nicht aufgeschlossen. Denn wenn nun einer zu mir käme, der von der Herrlichkeit dieses Lebens gehört und, weil er die Eitelkeit des vergänglichen Lebens erkannt hat, durstig geworden ist nach den erquickenden Strömen desselben, käme und fragte mich: sage mir, wo dieser Geist zu finden ist, und wie ich es anfange, um ihn zu fassen? Was soll ich ihm antworten, meine Brüder, und was soll ich ihm sagen? In die Tiefe des eigenen Herzens kann ich ihn nicht weisen, weil das der Sitz des geistlichen Todes ist; und in den Himmel hinauf kann ich ihn auch nicht weisen, denn zum Himmel dringt keiner empor, wer nicht schon den himmlischen Sinn von Oben empfangen hat. „Auffahren mit Flügeln wie Adler“ kann Niemand, es sei denn, dass er zuvor mit Kraft aus der Höhe angetan ist. Hab ich also keine andere Antwort, meine Brüder, so werde ich weder selber den Weg zu diesem Leben finden, noch einem Anderen ihn zeigen. Aber der Apostel gibt uns darüber Aufschluss. Er sagt: „Wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen“, und setzt erklärend hinzu: „nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes.“ Das ist es, Andächtige; das Wort ist die Kraft der Wiedergeburt, der Quell des geistlichen Lebens und das ist das Wort, das wir in unserer Bibel haben, das Schriftwort, das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo; das macht lebendig, das schafft, wo es eingeht, ein Neues. Warum aber, meine Freunde, wie kommt dem Worte solche Macht? Wir antworten mit unserem Texte: Weil es ein lebendiges Wort ist, das heißt, weil es Leben in sich hat, weil es selber Leben ist; und das ist es um seines Inhalts, um seines wesentlichen Sinnes willen. Denn es zeugt von demjenigen, der das Leben ist, der von sich selbst sagt: „Ich bin das Licht des Lebens, ich bin das Brot des Lebens, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, von dem Sohne Gottes, den der Vater in die Welt gesandt hat, „auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Wir wissen es, meine Geliebten, dass unser ganzes Heil auf der Person Jesu Christi, des menschgewordenen Gottes und auf der Tatsache der durch ihn gestifteten Erlösung beruht. Hierin ist unsere Rechtfertigung und unsere Wiedergeburt, unsere Versöhnung mit Gott und unsere Reinigung von Sünden begründet. Das Wort aber bringt uns das Alles nahe, weil es Zeugnis davon gibt; und zwar nicht so, als ob es bloß Lehre und Zeugnis wäre, wie irgend eine menschliche Rede, sondern es trägt den Inhalt, den es verkündigt, in sich. Der Geist der Gnaden hat in ihm Gestalt gewonnen, die Liebe Christi ist in seine Zeugnisse ausgegossen, die Fülle des ewigen Lebens wohnt ihm inne, weil es Wort des Herrn, Wort des Geistes Christi ist. Begehrst du also diesen Geist, mein Bruder, so brauchst du nicht in die Weite und Ferne zu gehen, du findest ihn da und da allein, wo er selbst, dass ich so sage, sich eingeleibt hat. Er wirkt nicht ohne das Mittel des Worts. Wort und Geist sind stets in einander. „Die Worte, die ich rede, spricht der Herr, die sind Geist und Leben.“ Und weil sie das sind, darum schaffen sie auch, wenn sie im Glauben aufgenommen werden, neues Leben. Das, meine Brüder, haben wir Alle erfahren, so viele unserer wiedergeboren sind. Was an Licht der Gnade, an Erkenntnis der Wahrheit, an Kräften der Gerechtigkeit in unser Herz sich ergossen hat, es ist uns aus dieser Quelle zugeflossen. Das Wort hat den Glauben an Jesum Christum in uns geweckt, die Liebe zu Christo in uns entzündet, den Geist der Heiligung uns vermittelt. Darum freuen wir uns auch heute seiner mit Danksagung gegen Gott, als der Gotteskraft, der wir unser Leben verdanken, und rufen Jedermann zu: Wer nach Heil und Leben begehrt, wer das Elend der Welt erkannt hat, „wer da durstig ist, der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Das Wort ist der Quell und, setzen wir hinzu,
II. die Norm des christlichen Lebens,
Regel und Richtschnur, danach es gehen muss, wenn es ein gesundes bleiben soll. Als solche, die da wiedergeboren sind aus dem lebendigen Worte Gottes, ermahnt der Apostel seine Leser: „Macht keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit zu ungefärbter Bruderliebe und habt einander brünstig lieb. aus reinem Herzen.“ Er will, dass jenes Leben sich betätige und Früchte bringe. Denn nachdem es einmal eingegangen ist in den Menschen, macht es diesen selber lebendig und geschickt, nun auch seinerseits Hand anzulegen, und in der Kraft Gottes mitzuarbeiten an der Erneuerung seiner selbst. Der Wiedergeborne kann und soll vorwärts. Ihm gilt das Gebot seines Gottes: „Nehmet immer zu an dem Werk des Herrn, und wisst, das eure Arbeit in ihm nicht vergeblich fei.“ Der Apostel aber nennt uns die beiden wesentlichen Stücke, welche Ziel und Aufgabe dieser Arbeit sind: Heiligung und Liebe; Macht keusch eure Seelen, sagt er, das heißt, reiniget, heiliget sie von aller Befleckung der Sünde, von der Unlauterkeit und Untugend, die euch noch von dem alten Wesen anklebt; denn, meine Geliebten, jenes Leben, das durch die Wiedergeburt ins Herz gepflanzt wurde, ist ein zartes und heiliges Leben, das mit der Unsauberkeit und argen Luft des natürlichen Menschen nichts gemein hat, und darum auch nicht mit ihm zusammen bestehen kann; es gleicht der zarten Blume aus einer fremden Zone, die mit Sorgfalt gepflegt und vor dem wuchernden Unkraut bewahrt werden will. Wächst das ungehindert empor, dann erstickt es alsbald die Blüte des himmlischen Lebens, gewinnt das die Oberhand, dann wird der heilige Geist betrübt und weicht aus dem Herzen, in welchem er keine Stätte finden kann. Denn, die Lauterkeit göttlicher Liebe, und die Selbstsucht fleischlich-menschlicher Gesinnung, die beiden schließen einander aus. Das eine ist der Tod des anderen. „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, wer aber sein Leben hasst, der wird es finden“, spricht der Herr, und weil denn doch beides zusammen in demselben Menschenherzen sich findet, so bedarf's der fortwährenden Arbeit der Reinigung, einer Reinigung, die nicht etwa bloß die groben und äußeren Auswüchse der Sünde abschneidet, sondern die an alle die feineren Regungen des ungöttlichen Wesens, an die verborgenen bösen Lüste der Seele Hand anlegt, und sie herauszieht mit unerbittlicher Strenge, unangesehen des Schmerzes, den es dem alten Menschen verursacht. Nur so wird das christliche Leben erhalten und bewahrt; darum sagt der Apostel: Macht keusch eure Seelen, und zwar, wie er weiter hinzusetzt: zu ungefärbter Bruderliebe; dies, Andächtige, soll der Zweck solcher Reinigung sein; denn die Liebe, die Bruderliebe, ist das eigentliche Ziel des christlichen Lebens, des christlichen Glaubens edelste und schönste Frucht. Denn was der Mensch im Glauben von der erbarmenden Liebe seines Heilands erfährt, was er inne wird von der Seligkeit der freien Gnade Gottes, das hat den Drang, an den Mitgeliebten sich zu betätigen, und an ihnen sich zu erweisen in aufrichtiger, dienender, brüderlicher Liebe. Und das ist das Zeichen der echten Jüngerschaft. Denn daran, spricht der Erlöser, daran wird Jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt, und Paulus an die Galater: „In Christo gilt nichts, als der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. So können wir wohl sagen: die brüderliche Liebe ist das praktische Christentum. Diese hohe Bedeutung kommt ihr jedoch nur dann zu, wenn sie das Abbild der heiligen und reinen Liebe unseres Heilands ist. Ungefärbt, lauter, wahr muss sie sein. Aus reinem Herzen habt einander brünstig lieb, spricht Paulus, und weil das Menschenherz auch in den Wiedergebornen nicht rein, sondern von Selbstsucht und Eigenlust befleckt ist, eben deshalb ermahnt er so dringend, es zu reinigen, damit jener edle Himmelsgast bleibende Gestalt darin gewinnen und so das christliche Leben seine Herrlichkeit entfalten könne. Aber er zeigt uns auch das Mittel dazu; denn, sagt er, macht keusch eure Seelen zu ungefärbter Bruderliebe im Gehorsam der Wahrheit. Diese Wahrheit ist nicht irgend eine unbestimmte, von den Menschen erst zu bestimmende Sache, sondern die offenbare und geoffenbarte Wahrheit; die Offenbarung der göttlichen Wahrheit aber ist das Wort, welches darum auch das Mittel der Heiligung ist, wie der Herr selbst zu seinem Vater gebetet hat: „Heilige sie in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit.“ Dieses Wort setzt also der Apostel den Wiedergebornen zur Norm und Regel ihres Lebens; sie sollen sich in demütigem Gehorsam darunter beugen, von ihm sich unterweisen, leiten, züchtigen lassen; dann und nur dann werde ihre Heiligung wachsen in der Liebe. - Aber wie, andächtige Brüder? Wir sagten oben, das christliche Leben sei eine Sache der Freiheit, es quelle wie ein Strom heraus aus dem wiedergebornen Herzen, will's denn der Apostel jetzt unter den Gehorsam einer äußeren Vorschrift zwingen, und so ein Gesetzeswerk, ein Knechteswerk daraus machen? O meine Geliebten, mich dünkt, wer so fragen könnte, der müsste weder sein eigenes Herz, noch die Geschichte des christlichen Lebens kennen. Denn diese Geschichte, ich meine, sie zeigt uns deutlich genug, wohin das Christenleben sich verirrt, wenn es sich selbst überlassen, der äußeren Zucht und Leitung entbehrt; wie schnell es auf eitle selbstgemachte Wege gerät, auf selbsterwählte Heiligkeit verfällt, und statt in der von Gott gewiesenen Schule des Berufs sich zu betätigen, in die Ferne und Weite strebt. Unsere Zeit hat leider mehr als genug von solchen Auswüchsen einer falsch gerichteten Frömmigkeit zu leiden, und der Grund davon, - er liegt in der Verkehrtheit und Hoffart des menschlichen Herzens. Eben deshalb aber, meine Geliebten, bedarf's für das christliche Leben der leitenden Zucht, es bedarf einer Norm und Regel, die in göttlicher Majestät außer ihm, über ihm steht, und unter die auch der Wiedergeborne sich demütigen muss und diese Norm ist das Wort. Denn das hält ihm in seinen Zeugnissen jenen hellen Spiegel vor, der alle Unlauterkeit des Herzens aufdeckt und alle die schlimmen, heimlichen Lügen und Selbsttäuschungen an den Tag bringt, darinnen es sich selber verführt; das zeigt nicht nur im Allgemeinen die Richtung, die das neue Leben zu nehmen hat, sondern in allen Fällen, was der heilige Gotteswille ist; es weist den Christen auf seinen irdischen Beruf, auf sein Haus, auf sein Amt, auf seinen Nächsten hin, und lehrt ihn da die Selbstverleugnung üben und die Liebe betätigen, zu der er berufen ist; es heißt ihn im Kleinen Treue beweisen und sein Christentum an Weib und Kind, in allen Verhältnissen des irdischen Lebens erzeigen. So nimmt es ihn gleichsam in seine Schule und bringt ihn, wenn er abirrt, auf die rechte, gottgeordnete Bahn zurück. Nur wenn es sich im demütigen Gehorsam der Wahrheit unterwirft, wird und bleibt das christliche Leben gesund. Das, Andächtige, ist die Bedeutung des Worts für das christliche Leben; und nun verstehen wir auch, warum die heiligen Menschen Gottes aller Zeiten, während ihr Fuß auf Erden wandelt, ihren Blick auf dieses leuchtende Gestirn des Himmels richten, warum sie sagen: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen,“ warum sie beten: Herr, zeige mir deine Rechte, und lehre mich deine Steige,“ warum sie ihren Wandel in der Gesinnung führen, die mit David spricht: „Ich bin ein Gast auf Erden, verbirg deine Gebote nicht vor mir,“ - warum unser Text ermahnt, macht keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit, nämlich des Worts. Es ist die göttliche Norm des christlichen Lebens, und damit zugleich
III. die Bürgschaft seiner künftigen Dauer und Vollendung.
Alles Leben der Menschen auf Erden ist entweder Leben im Fleisch, oder Leben im Geist. Von dem Fleisch sagt nun unser Text: Alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Fleischs wie des Grases Blume. Eine große, beherzigungswerte Wahrheit! meine Geliebten, denn freilich, dass das Fleisch vergeht, dass der Mensch, der Fleisch ist, und das ganze menschlich-natürliche Dasein eilends dahinfährt, das ist eine Erkenntnis, zu der es keiner göttlichen Offenbarung bedarf, weil sie die tägliche Erfahrung einem jeden predigt; aber unser Text spricht von der Herrlichkeit, von der Blüte desselben! Denn das natürliche Leben treibt, so zu sagen, auch seine Blüten, es entfaltet einen Reichtum von Früchten, es hat seinen Schmuck und seine Zierde - ja man darf sagen, die ganze Richtung unserer Zeit gehe darauf hinaus, dieses Leben auszubilden, und es denen, die darin wandeln, so lieblich und schön zu machen, dass sie darüber seine natürliche Armut und Nichtigkeit vergessen. Aber wie lockend es auch scheine, sagt der Apostel, es ist doch nur wie des Grases Blume, die am Morgen blüht, und am Abend welk und verdorrt dahinsinkt. Wie sehr betrügen sich also Alle, die darein ihr Leben setzen, wie eitel ist ihr ganzes Tun, wie verloren am Ende all ihre Mühe und Arbeit! Nicht sie nur gehen den Weg alles Fleischs sie bringen auch nichts mit hinaus, was sie droben am Throne Gottes aufzeigen könnten als bleibende Frucht. Aber des Herrn Wort währt in Ewigkeit, weil es göttlicher Natur, weil es unvergänglichen Lebens ist. Auch dann, wann längst diese ganze Sichtbarkeit vergangen, und selbst der Boden, auf dem sie wurzelt, eingesunken ist wie ein weites Grab, bleibt es in ewiger Jugend und Herrlichkeit auf dem Plane stehen. Ich habe, rühmt schon der Sänger des Alten Bundes, ich habe alles Dinges ein Ende gesehen, aber Dein Gebot währt, und der Stifter des Neuen: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Ist aber dem so, meine Brüder, dann muss auch das Leben, das aus diesem Worte quillt, ein unvergängliches, es muss eine Macht sein, die die Vergänglichkeit, ja den Tod selber überdauert und, was unendlich mehr ist, überwindet: denn so spricht der Herr: „Wahrlich, wahrlich ich sage Euch, wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“ Aber nicht nur das; auch was auf dieses Wort gebaut ist und mit ihm in wesentlichem Zusammenhang steht, was aus ihm heraus an menschlichen Gedanken, an menschlichen Worten und Taten sich entwickelt hat, das wird unvergänglich währen, das werden Früchte sein, die ewig bleiben, Schätze, die dem Menschen zwar nicht den Eingang in den Himmel eröffnen- denn aus Gnaden sind wir selig worden durch den Glauben - doch aber dahin ihm nachfolgen, wo einem jeglichen der Lohn nach seiner Arbeit gegeben wird. Meine lieben Brüder, das ist die Herrlichkeit des Wortes, an das wir glauben. Es gilt von ihm, was der Apostel von dem heiligen Geiste sagt, dass er das gute Werk nicht nur anfangen, sondern auch fortsetzen und vollführen werde bis auf den Tag der Erlösung. Das christliche Leben hat an ihm seine Quelle, seine Norm und die Bürgschaft seiner Vollendung.
O sei uns gesegnet, du teures, wertes Wort, sei uns gesegnet, du Brunn des Heils und der Gnade, ewiger Grund unseres Glaubens und Lebens wir freuen uns heute mit Danksagung gegen Gott aufs neue deines Besitzes. Möchte es keinem von uns ein totes Besitztum bleiben; möge es uns, die wir's Anderen verkündigen, und möge es Allen, die es hören und empfangen, der unvergängliche Same werden, der die Wiedergeburt der Herzen bewirkt. Und wo es bereits eine gute Stätte gefunden hat, Herr unser Gott, da gib du Gedeihen von Oben, dass die junge Saat fröhlich wachse, und gekräftigt vom Tau deiner Gnade, Früchte bringe, in Liebe, Freude, Friede, Geduld, Gerechtigkeit, Keuschheit. Heilige uns Alle in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Mache ihm Bahn in die Herzen der Menschen, lass es laufen und wachsen, und deine Gemeinde bauen, allerwärts, in der Nähe und Ferne, damit dein Reich sich mehre, damit deine Kirche neues Leben gewinne und deine Gnade sich an uns Allen verherrliche zu deines Namens Ehre. Amen.