Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 46

Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 46

Von dem Vertrauen auf Gott bei Lästerungen.

1. Sohn! steh fest und hoffe auf mich. Denn was sind Worte anders als Worte?

Sie fliegen durch die Luft, aber sie verletzen keinen Stein.

Hast du gefehlt, so denke: du wollest dich gern bessern; bist du dir keines Fehlers bewußt, so stelle dir vor: du wollest das um Gottes willen gerne dulden.

Es ist wenig genug, daß du bisweilen wenigstens Worte erträgst, da du starke Schläge noch nicht auszuhalten vermagst.

Und warum geht dir so Kleines zu Herzen? – Weil du noch fleischlich bist und auf die Menschen mehr Rücksicht nimmst, als du solltest!

Denn weil du noch fürchtest, verachtet zu werden, so willst du dich deiner Vergehungen wegen nicht tadeln lassen, und versteckst dich hinter Entschuldigungen.

2. Aber erforsche dich genauer und du wirst finden, daß die Welt noch in dir lebt und die eitle Sucht, den Menschen zu gefallen.

Denn da du es fliehst, dich erniedrigen und für deine Fehler beschämen zu lassen, so ist es offenbar, daß du weder wahrhaft demüthig, noch der Welt wahrhaft abgestorben bist, noch die Welt dir gekreuzigt ist.

Aber höre mein Wort, und du wirst dich nicht kümmern um zehntausend Worte der Menschen.

Siehe, wenn Alles gegen dich gesagt würde, was auf die boshafteste Weise je ersonnen werden könnte: was würde es dir schaden, wenn du es nur ganz vorübergehen ließest und nicht mehr als einen Halm achtetest? Könnte dir dadurch auch nur ein Haar gekrümmt werden?

3. Aber wer das Herz nicht inwendig, noch Gott vor Augen hat, der wird durch ein Wort des Tadels leicht aufgeregt.

Wer jedoch auf mich vertraut, und nicht auf seinem eigenen Urtheile bestehen will, der wird ohne Menschenfurcht sein.

Denn ich bin der Richter, dem alles Verborgene bekannt ist; ich weiß, wie die Sache geschah; ich kenne Beide, den Verläumder und den Verläumdeten.

Von mir ging jenes Wort aus, mit meiner Zulassung geschah dieß, damit vieler Herzen Gedanken offenbar würden.

Ich werde den Schuldigen und den Unschuldigen richten; aber ich wollte Beide zuvor im geheimen Gerichte prüfen.

4. Das Zeugniß der Menschen trügt oft; mein Gericht ist wahr, wird bestehen und nicht umgestoßen werden.

Es ist meist verborgen und nur Wenigen im Einzelnen offenbar; aber es irrt nicht und kann nicht irren, wenn es auch den Augen der Thoren nicht recht scheint.

Mir also muß man alles Gericht anheimstellen, und darf nicht nach eigenem Gutdünken richten.

Denn der Gerechte läßt sich nicht irre machen, was ihm immer von Gott geschieht. Und wenn es ihn auch etwas ungerecht trifft, so wird er sich nicht viel kümmern.

Eben so wenig wird er thöricht frohlocken, wenn ihn Andere rechtmäßig entschuldigen.

Denn er erwägt, daß ich es bin, der Herzen und Nieren prüft, der nicht nach äußerem Schein und menschlichem Ansehen richtet; denn oft wird in meinen Augen als strafbar erfunden, was nach der Menschen Urtheil für löblich gilt.

5. O mein Gott und Herr, du gerechter Richter, der du eben so langmüthig und mächtig bist, du kennest die Gebrechlichkeit und Bosheit der Menschen, sei du meine Stärke und all’ meine Zuversicht; denn mein eigenes Gewissen schafft mir kein Genüge.

Du weißt, was ich nicht weiß, und darum hätte ich bei allem Tadel mich demüthigen und sanftmüthig dulden sollen.

Vergib mir nach deiner Huld, wenn ich das nicht immer gethan habe, und stärke mich durch deine Gnade zu größerer Geduld.

Denn leichter hilft mir deine unergründliche Barmherzigkeit zur Vergebung der Sünde als meine vermeintliche Gerechtigkeit zur Rechtfertigung meines versteckten Gewissens.

Und ob ich mir auch nichts bewußt bin, so kann ich mich damit doch nicht rechtfertigen; denn ohne deine Barmherzigkeit ist kein Lebendiger gerecht vor deinem Angesicht.

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