Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 20
Von dem Bekenntniß eigener Schwachheit und den Mühseligkeiten dieses Lebens.
1. Bekennen will ich gegen mich selbst meine Ungerechtigkeit; bekennen will ich dir, o Herr! meine Schwachheit.
Oft ist es eine Kleinigkeit, die mich niederschlägt und betrübt.
Ich nehme mir vor, tapfer zu kämpfen; kommt aber eine geringe Anfechtung, so befällt mich große Angst.
Manchmal ist es etwas ganz Unbedeutendes, woraus für mich eine schwere Versuchung entsteht.
Und während ich mich ein wenig sicher glaube, so finde ich mich bisweilen, ohne daran zu denken, durch einen leichten Windstoß fast zu Boden geworfen.
2. Siehe also an, o Herr! meine Niedrigkeit und Gebrechlichkeit, die dir von allen Seiten bekannt ist.
Erbarme dich, und reiß mich heraus aus dem Schlamme, damit ich nicht versinke und für immer niedergeschmettert liegen bleibe.
Das ist es, was mich so oft quält und vor dir zu Schanden macht, daß ich so hinfällig bin und so schwach, meinen Leidenschaften zu widerstehen.
Und wenn sie mich auch nicht ganz überwältigen, so ist es mir doch schon beschwerlich und lästig, daß sie mich unausgesetzt verfolgen, und es verdrießt mich sehr, täglich also im Streite leben zu müssen.
Daraus wird mir meine Schwachheit offenbar, daß unreine Vorstellungen der Einbildungskraft bei mir viel leichter Eingang finden, als weichen.
3. O du starker Gott Israels, du treuer Freund der gläubigen Seelen, blicke doch herab auf die Arbeit und den Schmerz deines Knechtes, und stehe ihm bei in Allem, was er unternimmt!
Rüste mich aus mit himmlischer Kraft, damit nicht der alte Mensch, das elende Fleisch, das dem Geiste noch nicht völlig unterworfen ist, die Oberherrschaft gewinne; wider welches man kämpfen muß, so lange man es an sich trägt.
Ach, was ist doch das für ein Leben, wo es an Trübsal und Mühseligkeit niemals mangelt, wo Alles voll von Fallstricken und Feinden ist!
Denn wenn eine Trübsal oder Versuchung weicht, so kommt eine andere herbei; ja selbst während wir mit der ersteren noch im Kampfe sind, ziehen mehrere andere unverhofft daher.
4. Und wie kann man nur ein Leben lieb gewinnen, das so viele Bitterkeiten hat, so vielen Drangsalen und Mühseligkeiten unterworfen ist?
Wie mag auch das nur Leben genannt werden, das eitel Tod und Verderben gebiert? Und doch liebt man es, und Viele suchen in ihm sich zu ergötzen.
Man tadelt die Welt oft, daß sie trügerisch sei und eitel; und dennoch verläßt sie Niemand gern, weil die Lüste des Fleisches allzusehr herrschen.
Aber ein Anderes zieht zur Liebe, ein Anderes zur Verachtung.
Zur Liebe der Welt zieht Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben hin; aber die Strafen und Mühseligkeiten, die billig darauf folgen, erzeugen Haß der Welt und Ueberdruß.
5. Allein leider! Trägt die böse Lust den Sieg über die der Welt verhaftete Seele davon, die auf Dornen der Sünde zu liegen für Vergnügen hält, weil sie Gottes Lieblichkeit und die innere Anmuth der Tugend weder erkannt noch gefühlt hat.
Die aber die Welt vollkommen verachten, und sich bestreben, Gott zu leben in heiliger Zucht, die kennen die göttliche Süßigkeit, die denen verheißen ist, welche wahrhaftig entsagen, und sehen klar ein, wie arg die Welt im Irrthum befangen ist und wie vielfach sie betrogen wird.