Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 11
Daß man die Wünsche des Herzens prüfen und mäßigen soll.
1. Sohn, du mußt noch Vieles lernen, was du noch nicht recht gelernt hast.
Was ist dieses, o Herr?
Daß du dein Verlangen ganz nach meinem Wohlgefallen richtest und dich selbst nicht liebtest, sondern meinen Willen eifrig zu vollbringen dich bestrebtest.
Oft entzünden dich Begierden und treiben dich heftig; doch überlege, ob du um meiner Ehre oder deines Nutzens willen mehr angeregt wirst.
Bin ich die Ursache, so wirst du wohl zufrieden sein, wie ich es auch ordnen mag, ist aber dabei etwas von Selbstsucht im Speile, sieh, so ist es dieß, was dich hindert und beschwert.
2. Darum hüte dich, daß du nicht allzu sehr auf ein, ohne meinen Rath, von dir selbst hervorgerufenes Verlangen trauest, damit nicht etwa nachher dich gereue oder gar mißfalle, was dir zuerst gefiel und wofür du eifertest, als ob es das Bessere wäre.
Denn nicht jeder Neigung, die gut scheint, darf man sofort folgen, aber auch nicht jede widrige Empfindung sogleich fliehen.
Es ist bisweilen zuträglich, selbst bei guten Bestrebungen und Wünschen den Zügel zu gebrauchen, damit du nicht durch Ungestüm in Geisteszerstreuung gerathest; damit du nicht Andern durch Zuchtlosigkeit Aergerniß gebest, oder auch durch den Widerstand Anderer plötzlich bestürzt werdest und fallest.
3. Zuweilen jedoch muß man Gewalt brauchen und dem sinnlichen Begehren mannhaft entgegen treten, und nicht darauf achten, was das Fleisch wolle, sondern vielmehr gerade darauf hinarbeiten, daß es auch wider Wilklen dem Geiste sich unterwerfe.
Und so lange muß es kasteiet und zur Unterwürfigkeit gezwungen werden, bis es zu allem willig ist, bis es gelernt hat, sich an Wenigem genügen zu lassen, am Einfachen Vergnügen zu finden und bei keiner Widerwärtigkeit zu murren.