Theremin, Franz - Die Erbauung, ein Nachbild des Pfingstwunders.
Am zweiten Pfingstfeiertage 1833.
Apostelgeschichte, K. 2. V. 1-4.
Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmüthig bei einander. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllete das ganze Haus, da sie saßen. Und man sahe an ihnen die Zungen zertheilet, als waren sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Und wurden alle voll des heiligen Geistes, und fingen an zu predigen mit andern Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.
Das Ereigniß, dessen Erzählung Ihr so eben wieder vernommen habt, meine Brüder, ist ein großes und herrliches Wunder; und es hat sich, in seinem vollen Sinne, und in seiner höchsten Bedeutung niemals wiederholt; aber dessen ungeachtet gibt es in dem Leben des Christen und der christlichen Kirche andere geringere Erscheinungen, die wenigstens aus weiter Entfernung damit verglichen werden dürfen.
Nur einmal hat der Geist Gottes sich in solcher Fülle ergossen; nur einmal ist er unter solchen erschütternden Zeichen, unter dem Brausen eines gewaltigen Windes, und unter feurigen Strömen vom Himmel herabgekommen. Nur die Jünger des Herrn hat er bei Verkündigung des göttlichen Wortes vor allem Irrthum beschützt und in alle Wahrheit geleitet; nur ihnen hat er die Gabe verliehen, der Kranken Gesundheit im Namen Jesu wieder herzustellen, und das was sie erkannten und fühlten mit andern Zungen auszusprechen.
Aber wenn für uns solche Augenblicke und Stunden kommen, wo unser inneres Leben sich schneller entwickelt, wo die göttliche Wahrheit in ihrer unwiderstehlichen Kraft auf uns wirkt, wo unser Herz mächtiger brennt in Liebe zu Christo, wo wir aus einer entfernteren Verbindung in eine nähere zu ihm und zu der Gemeinschaft seiner Heiligen versetzt werden, in einem Worte, wo wir uns erbaut fühlen: sollten wir dann nicht, an das Wunder des Pfingstfestes zurückdenkend, freudig bezeugen dürfen, daß uns etwas, zwar unendlich Geringeres, aber doch Aehnliches widerfährt?
So will ich Euch denn die Erbauung darstellen als ein Nachbild des Pfingstwunders, und zwar erstlich in ihren Bedingungen; zweitens in ihrem Wesen; drittens in ihren Aeußerungen. - Geist Gottes, der Du die Jünger des Herrn erfülltest, und der Du auch uns auferbauen willst auf den Grund, den sie gelegt haben, gib, daß wir Dich, Du Kraft aus der Höhe, in deinen mannigfaltigen Segnungen erkennen, und daß wir diejenigen, die für uns bestimmt sind, auch erfahren mögen!
Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmüthig bei einander. Sie alle, nämlich die zwölf Apostel, sammt den Weibern, und Maria der Mutter Jesu, und seinen Brüdern; so daß, mit denen, die sich noch zu ihnen gesellten, ihre Anzahl bei hundert und zwanzig betrug. Einmüthig, wie sie seit der Erhöhung des Herrn gelebt hatten, waren sie auch jetzt bei einander. Sie hatten ihn gesehn mit ihren Augen, wie er sich gen Himmel erhob, und er war seitdem nicht mehr mit dem Friedensgruße in ihren Kreis getreten: aber ihr Herz war voll von ihm. Nicht verschwunden war darin der Schmerz über seinen Tod, die Freude über seine Auferstehung, nicht der Eindruck seines holdseligen Wesens und seiner göttlichen Worte; fest stand in allen das Vertrauen auf seine Verheißungen und der Entschluß, sich mit Leib und Seele ihm aufzuopfern. Mit ihm vereinigt, waren sie es auch unter einander durch das Band, welches allein die Gemüther der Menschen eng und dauernd vereinigen kann, durch denselben Glauben, und durch dieselbe Liebe zu dem Herrn. Von diesen geistigen Gütern galt noch in einem höhern Sinne, als es späterhin von den irdischen gesagt wird, daß ihnen alles gemein war; der Glaube und die Liebe eines Jeden wurden stets durch die der Andern erhöht und belebt. Brause jetzt, du gewaltiger Wind; strömet jetzt herab, himmlische Flammen - die Jünger sind bereit euch aufzunehmen, denn sie sind Ein Herz und Eine Seele unter einander und mit dem Herrn. Wären sie es nicht gewesen, so hätte wohl der Sturm geschwiegen, so hätte sich wohl in dem Morgenlicht kein höheres Feuer entzündet; oder, wenn der Himmel seine Gaben sandte, so hätte er sie vergeblich gesendet.
Auch für uns, meine Brüder, ist diese Einmüthigkeit die Bedingung aller Erbauung. Sie ist es für den Einzelnen, wenn er in seinem stillen Zimmer, bei seinem einsamen Wandel durch das Leben, Erbauung sucht. Bliebe er allein mit sich selbst, mit seinem verderbten Herzen, mit seinen thörichten Wünschen, mit seinen vergeblichen Sorgen, er wurde nicht Erbauung finden, sondern Versuchung, die in unbeschützter Einsamkeit um so leichter den Menschen überwältigt. Aber siehe! er ist nicht allein! Der Herr an den er glaubt, und den er liebt, ist mit ihm in der Kammer, wohin er sich um zu beten, zurückgezogen hat, mit ihm auf dem Pfade, den er, unbegleitet von Andern, verfolgt. Mit ihm sind Diejenigen, aus deren Munde ihm zwar nicht mehr der Friedensgruß ertönt, die aber in den Höhen des Himmels Frieden für ihn erflehn. Die unsichtbare Gemeine der Heiligen nimmt ihn auf in ihren Schooß. Zu ihm reden die Apostel und Propheten mit den Worten, die der Geist ihnen eingegeben hat; zu ihm redet der Herr, mit den Worten die uns die Schrift bewahrt, und mit denen, die er noch immerfort zu dem Herzen redet, das ihn anruft, und vor ihm seine Sünden bekennt. Und so wird es denn auch für ihn nicht an Stunden fehlen, wo eine Kraft aus der Höhe auf ihn herabkommt; an Stunden von denen Niemand weiß, als er selbst, und der Herr, der sie ihm schenkte; an Stunden, die ihn niemals beglückt hätten, wäre nicht er, der Einsame, einmüthig versammelt gewesen, mit dem Herrn und mit den unsichtbaren Genossen seines Reichs.
Dort sind wenige engverbundene Freunde, dort ist ein Vater mit seiner Gattin, seinen Kindern, und seinen nächsten Angehörigen versammelt. Auf ernste Gegenstände hat sich ihre Unterhaltung gewendet. Wie Gottes Gnade den Menschen mitten in seinem natürlichen, sündlichen Leben ergreift, und ihn mit sanfter Gewalt, welcher er widerstreben könnte, und doch nicht widerstrebt, zu Christo führt. Wie dann eine so große Veränderung in ihm vorgeht; wie er anfängt das zu fliehen, was er sonst liebte, und das zu lieben was er früher gefürchtet und gemieden hatte. Wie nun Freude und Kummer in ihren verschiedensten Gestalten Mittel werden, seinen Gang auf dem Wege des Heils zu beschleunigen. Mancher führt die Erfahrungen seines eigenen innern Lebens zur Bestätigung an. - Aber es ist ja Morgen und vor ihnen lieget der Tag mit seinen Segnungen und mit seiner Arbeit; oder es ist Abend, wo der Tag mit seinem Segen, oder auch vielleicht mit mancher Untreue hinter ihnen liegt. Es ist der Tag, wo einer aus dem Kreise das Licht der Welt erblickte. Es ist ein großer Festtag der christlichen Kirche, es ist Pfingsten. O wie schön, meine Brüder, wenn ich jetzt nur erzählte, was am heutigen Morgen in euerm Hause geschah! Da begehren Alle Gottes Wort zu hören; und zur Erwiderung dessen was Gott zu ihnen geredet, ihre Gefühle im Gebet mit eigenen oder angeeigneten Worten ihm auszusprechen. Dann reichen sie sich die Hand, wünschen sich den Segen des Herrn, und gehen auseinander - und gewißlich sie haben sich erbaut, denn sie waren ja versammelt einmüthig durch Glauben und Liebe. Vornehmlich ist aber Erbauung der Zweck dieser unserer größeren christlichen Versammlungen in den Tempeln des Herrn; und ihre Bedingung ist auch hier Einmütigkeit. Zwar haben sich Menschen aus verschiedenen Lebensverhältnissen, verschiedenen Standes, Alters und Geschlechts hier eingefunden; aber dennoch können und sollen sie zusammenschmelzen in dem Gefühl ihres natürlichen Verderbens, und in dem Verlangen nach Erlösung. Hierauf beziehn sich Gesang, Gebet und Predigt. Diese höhere Einheit wird vorausgesetzt, wenn der Verkündiger des göttlichen Wortes, Euch Gemeine des Herrn nennt, und Euch anredet mit einem Du, gleich als spräche er nur zu Einer Person. O wäret Ihr es doch; wäret Ihr doch immer Eins vor dem Herrn! Dann dürften wir hoffen daß Ihr Alle, daß Ihr immer, tief und innig erbaut hinweggehn würdet. Aber sind das Zeugnisse der Einmüthigkeit, Zeichen einer gesuchten und gefundenen Erbauung, wenn diejenigen, die so eben den Gottesdienst verlassen haben, sprechen: Die Versammlung war groß oder war klein; Dieser oder Jener war zugegen oder nicht zugegen; die Predigt war gut, oder war es nicht? - Kann man sich denn nicht auch in einer kleinen Versammlung erbauen? Kann und mag nicht Mancher fehlen, wenn nur der Herr unter den Seinigen ist? Kann denn auch der Gebildetste unter Euch wissen, ob die Predigt gut oder nicht gut war? Die Predigt ist nicht eine Rede, sondern eine That; und wie es sich mit einer That verhalte, das weiß Gott allein, der in das Verborgene schauet, der ihre Antriebe und ihre Hindernisse kennt. Wird denn überhaupt der, welcher Erbauung gefunden hat, sich bei solchen Aeußerlichkeiten aufhalten; wird er nicht, weniger mit andern Dingen, als mit sich selbst beschäftigt, eilen sich in die Einsamkeit zurückzuziehn, um den höheren Lebenskeim, der in sein Inneres gesenkt ward, zu pflegen und zu entwickeln?
Erfüllet denn die Bedingung, unter welcher Ihr hier Erbauung finden könnt. Versammelt Euch einmüthig; versetzt Euch in Einklang mit der Stimmung Derer die Euch umringen. Hier kommt, - so spreche ein Jeder von sich selbst, wenn er hereintritt, - hier kommt ein durch manche Versuchungen angefochtener, durch manche Beschwerden gedrückter Mensch. Den Andern, die ich hier sehe, geht es nicht besser als mir. Sie sind gekommen um Worte der Erbauung zu hören, um zu trinken von dem Wasser das in das ewige Leben quillt. Der Herr ist unter uns, denn wir sind ja in seinem Namen zusammengekommen; Er erfülle mein Herz, daß ich Eins mit ihm, und dadurch auch mit allen Andern Eins werden möge. Versetzt Euch in Einklang mit Dem, der zu Euch reden soll, und entfernt Alles, was zwischen Euch und ihn eintreten könnte. Wißt Ihr das beste Mittel dazu? Betet für ihn; man ist immer sehr einmüthig mit dem, für den man gebetet hat. Sprecht: Da kommt dieser arme, schwache Mensch, der heute ein großes Werk ausrichten, der uns das Wort Gottes verkündigen soll. Nun, der Herr gebe ihm Kraft und Freudigkeit, und öffne ihm aller Herzen, vornehmlich das meinige, damit das, was er aus guter Meinung redet, nicht an uns verloren gehe. Noch einen Wunsch füge ich hinzu: Möchtet Ihr Euch nicht von lauter unbekannten Menschen umgeben finden, die der Zufall hierher führte, die aus Laune kamen, und aus Laune hinweggehn! Möchtet Ihr in eurer Nähe Manche zu begrüßen haben, die Ihr kennt, als eure Angehörige und Freunde, als Freunde des Herrn, aus deren Zügen Andacht und Sammlung Euch anspricht! Dann würde die innere Einmüthigkeit auch in der äußern Erscheinung hervortreten; und die Gemeine, in eine Familie verwandelt, würde zur Erbauung wohl vorbereitet seyn.
Diese Erbauung nun, zweitens, was ist sie in ihrem Wesen? Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllte das ganze Haus da sie saßen. Es war der Geist Gottes, der unter diesen äußeren Zeichen auf die Jünger herabkam; und dieser Geist ist es auch der in uns die Erbauung hervorbringt. Er kann sich dazu einer menschlichen Einrichtung, Thätigkeit und Arbeit als eines Werkzeuges bedienen; die Erbauung selbst liegt aber nicht in der Gewalt des Menschen; sie ist immer eine höhere Zugabe; sie muß zurückgeführt werden auf jene geheimnißvolle, göttliche Kraft, die der Herr mit dem Winde vergleicht, den man auch in seinen Wirkungen spürt, ohne seinen Pfad und seinen Ursprung erforschen zu können.
Und wie der Geist sich unter dem Brausen eines gewaltigen Windes auf die Jünger herabsenkte, so wird auch die Erbauung stets, wenn ich so sagen darf, mit einem Brausen in dem Innern, mit einer Erschütterung des Gemüthes beginnen. Denn aus dem Boden dieses irdischen Lebens, mit welchem er durch so viele Fasern zusammenhängt, soll ja durch die Erbauung der Mensch losgerissen, und auf den Grund der Apostel und Propheten auferbaut; er soll versetzt werden in das geistige Ganze, von welchem Jesus Christus das Haupt ist: und wie möchte dieß ohne Bewegung, ohne Erschütterung des Innern geschehn? Ihr tretet wohl vorbereitet in einen Tempel des Herrn. Diese Stille, der Anblick dieser geweihten Stätte, dieses Altars, wo das Abendmahl gefeiert wird, und wo Ihr es schon oft empfinget, ergreift Euch. Die sich andachtvoll versammelnden Christen stimmen Euch zur Andacht. Euch ist, als wäret Ihr mit ihnen eine höhere Stufe hinangestiegen, und hättet den irdischen Theil eures Lebens hinter Euch zurückgelassen. Nun ertönt die Orgel, und mit ihr der Gesang der Gemeine. Wie, ist das nicht auch das Brausen eines gewaltigen Windes, welches dahinfährt unter den Hallen des Tempels, welches in die Herzen dringt, und sie in ihren Tiefen bewegt? Wenn der Wind sich aufgemacht hat, und über die Felder stürmt, dann kann der Staub, ob er gleich nichts ist, als träge Erde, nicht auf der Erde bleiben; er muß hinauf in die Lüfte; er wird gewirbelt himmelwärts: so steigen, bei dem Brausen der Orgel und des Gesanges auch schon einzelne Gedanken und Gefühle aus eurem Herzen in die Höhe. Eure ganze innere Welt geräth in Bewegung. Bilder des Vaterhauses und der Kindheit tauchen auf, und ziehn am Auge des Geistes vorüber. Darunter mischt sich die Erinnerung erduldeter Leiden, begangener Sünden. Wehmuth feuchtet euren Blick der sich nach oben kehrt.
Und was kommt nun von oben herab auf die Jünger? Es ist ein Strom himmlischen Feuers, der, wie er herabkommt, sich zertheilet, und auf dem Haupte, in dem Herzen eines Jeden, zu einer besonderen Flamme wird. Und man sahe an ihnen die Zungen zertheilet, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Dieses himmlische Feuer erleuchtet sie. Der Geist, hatte Christus verheißen, wird euch erinnern alles deß, das ich euch gesagt habe. Alle Belehrungen des Herrn, mochte er sie am See von Genezareth, mochte er sie auf dem Wege, mochte er sie zu Jerusalem ertheilt haben, treten vor ihren Geist, unverfälscht, in völliger Klarheit, eine durch die andere erläutert, unterstützt, mannigfaltig verbunden und zusammengefügt, doch immer unbeschadet der Wahrheit. Der Geist, hatte Christus verheißen, wird euch alles lehren. Und siehe! Alles was Christus ihnen noch nicht gesagt hatte, weil sie es nicht tragen konnten, das große Geheimniß des göttlichen Reiches und der ewigen Rathschlüsse, das entwickelt sich nun mit überraschender Schnelle, das steht als ein großes, gegliedertes Ganze vor ihren Augen, die es mit staunender Freude überschaun. Der Geist, hatte Christus verheißen, wird euch in alle Wahrheit leiten. Sie irren jetzt nicht mehr, wenn sie den Rathschluß Gottes verkünden, und was sie sprechen, was sie schreiben, das ist ein Wort des Herrn.
Nicht ganz so, aber doch auf ähnliche Weise, verhält es sich mit der Erbauung, denn es ist keine Erbauung ohne Erleuchtung. Das Wort Gottes ist vorhanden, es ist beschlossen in der Schrift, von welcher nichts hinweggethan, zu welcher nichts hinzugefügt werden darf. Aber die Schrift ist ein unermeßlich großes Feld, voll hoher Berge, voll schattiger Wälder, voll grünender Auen: wo ist der, welcher es ganz überschaute; dem nicht manche Gegenden des großen Gartens in Dunkel gehüllt wären? Dieses Dunkel zu verscheuchen gehört zu den Zwecken der evangelischen Predigt. Ein Wort der Schrift wird zum Grunde gelegt: unter Anrufung des göttlichen Beistandes, wird der Versuch gemacht einzudringen in seinen Sinn. Es gelingt, das Wort beut seine verborgenen Schätze; Gedanke auf Gedanke entwickelt sich; die Gedanken des Hörers eilen denen des Redenden vor, und ergänzen sie. Eine Quelle des Lichts ist geöffnet, und strömet herab auf einen jeden, wie die Flamme des Geistes sich auf das Haupt eines jeden Jüngers nieder ließ. Denn einem jeden wird ja ein Theil des ihm sonst von Schatten bedeckten Feldes erleuchtet; ein jeder wird inne, wie das, sonst von ihm nicht beachtete Wort, auch ihm gesagt war, sich ans die Bedürfnisse seines Herzens bezog. Doch das find Alles nur einzelne Funken, das ist Alles nur ein mühsames Fortschreiten in einzelnen Begriffen; es ist noch nicht die unmittelbare Anschauung des Lichts. Nach dieser streben wir; doch wer, als Du allein, Geist Gottes, könnte wohl uns, und der Gemeine dazu verhelfen? Wenn es dahin gekommen ist, durch deine Kraft, daß alle zerstreuten Funken zusammenstießen in das Eine wesentliche Licht, wenn Christus, das Licht der Welt, dem Gemüthe nahe tritt, und es mit seinem Glanze bestrahlt, dann hat die Erleuchtung ihre Spitze erreicht. Dann schauen wir Alles in dem Einen, wie ja auch in ihm Alles zusammengefaßt ist, Gottheit und Menschheit, Zeit und Ewigkeit, Schöpfung und Erlösung, Gerechtigkeit und Gnade. Dann schauen wir hinein in das Herz des Vaters, in die Tiefen der unsichtbaren Welt; und auch die dunkelsten Räthsel des Erdenlebens sind gelöset.
In dem Feuer ist aber Licht und Wärme verbunden. Jenen beiden die nach Emmahus wandelten, brannte das Herz auf dem Wege, als Christus mit ihnen ging, und ihnen die Schrift auslegte. Mächtiger brannten jetzt die Herzen der Jünger in den Flammen, die sich vom Himmel ergossen; sie brannten in Liebe zu Dem, welchen sie nun in seiner ganzen Herrlichkeit schauten; sie brannten in dem Entschlusse, sich ihm zu weihen, und dabei Trübsal, Verfolgung und Tod nicht zu achten. - Auch in der Erbauung, wenn sie die wahre ist, vereinigt sich beides, Licht und Wärme, Erkenntniß der Wahrheit und Belebung des Gefühls; und soll ja eines ohne das andere seyn, so ist viel Liebe ohne Erkenntniß besser, als viel Erkenntniß ohne Liebe. Denn das Wissen blaset auf, aber die Liebe bessert; und Christum lieb haben ist besser denn alles Wissen. Man ist eine Zeitlang fortgeschritten von Gedanken zu Gedanken, man hat Himmel und Erde als ein Ganzes geschaut - das war nur Licht und nicht Wärme. Plötzlich fragt man: Und ich selber, was bin ich? Sehet, da hat der Strahl gezündet! Ein elendes Wesen, fährt man fort, bin ich, das sich einmal in schrecklicher Noth und Bedrängniß, das sich nahe an dem Abgrunde ewiger Verdammniß befunden hat, und das durch jene allmächtigen, gnädigen Hände, die Himmel und Erde erschufen, und die sich am Kreuze ausstreckten, hinweggerissen ward von dem furchtbaren Schlunde, und gestellt auf einen festen, sichern Felsen. Was empfinde ich nun für meinen Erretter? Bei dieser Frage schlägt schon die Flamme empor. Ach ihn, der vom Himmel auf die Erde gekommen ist, der mich gesucht und mich gesunden hat, ihn, den ich immer suchen sollte, und immer finden könnte, ihn suche ich nicht, hege nach ihm kein Verlangen, lasse durch die ganze Welt mit ihren Sorgen, Arbeiten, Zerstreuungen mich von ihm trennen; habe aus reiner Liebe zu ihm noch nichts, gar nichts hingegeben und aufgeopfert. Ich will - nun steht das ganze Herz in Flammen, und das Feuer strebet zum Himmel von dem es herab kam, zurück - ich will, Herr, wenn Du mir beistehst, Alles hingeben; mich selbst für Dich, daß ich Dich gewinne; die Erde für den Himmel, daß ich dort bei Dir seyn möge!
Dieses Feuer vom Himmel welches leuchtet und wärmet, es verzehret auch; verzehret - nicht das was der Vater in das Herz gepflanzt hat; dieses grünet und blühet darin, wie der Busch in der wunderbaren Flamme; aber es verzehret Alles, was nicht vom Vater ist, sondern von der Welt. Diese Kraft zeigte es schon bei dem Opfer des Elias. Der Prophet hatte einen Altar aus Steinen erbaut; er hatte Holz und das Opfer darauf gelegt; nach seinem Befehl waren Altar, Holz und Opfer mit dem kalten, dem Feuer widerstrebenden Elemente des Wassers überschwemmt worden, also daß es bis in den um den Altar gezogenen Graben floß. Er flehte - da kam das Feuer des Herrn vom Himmel herab; und - o was kann Dir widerstehn, göttliche Flamme! - es verzehrte Brandopfer, Holz, Steine und Erde, und schlürfte mit seiner glühenden Zunge das Wasser in dem Graben auf. - Holz, Steine, Erde, Wasser, träge, sündliche Elemente, o wie waren sonst von euch die Herzen der Apostel beschwert! Aber wo ist jetzt der Ehrgeiz? Sie wollen nur dienen und nicht herrschet,. Wo ist jetzt die Menschenfurcht? Petrus, der vor dem Angesicht einer Sclavin verleugnet hatte, bekennt jetzt vor dem Angesicht von Jerusalem. Wo ist jetzt die Angst vor Tod und Verfolgung? Sie freuen sich etwas zu leiden um Christi willen. Alles weggebrannt, Alles verzehrt in einem Augenblick! So ist es nicht bei uns; langsam und allmählig vollendet sich unsere Heiligung. So schreite sie denn wenigstens vorwärts in jeder Stunde der Erbauung; in einer jeden werde etwas von den sündlichen Bestandtheilen, die wir in unserm Herzen tragen, durch ein himmlisches Feuer verzehrt.
Drittens: Welches sind die Aeußerungen der Erbauung? Durch welche Zeichen thut sie sich kund? Laßt uns sehen durch welche Zeichen der Geist, nachdem er auf die Jünger ausgegossen war, sich zuerst verkündigte. Und wurden alle voll des heiligen Geistes, und fingen an zu predigen mit andern Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen. Was soll dieß Predigen mit andern Zungen bedeuten? Die Schrift selber wird es sogleich erklären. Sie erwähnt daß Juden und zum Judenthum Bekehrte aus vielen verschiedenen Völkern, deren Namen aufgezählt werden, sich zur Feier des Festes in Jerusalem eingefunden hatten. Diese, da sie das Getöse in der Luft vernehmen, da sie das vom Himmel herabkommende Feuer erblicken, strömen zusammen an dem Orte, wo die Jünger sich befanden; und, sagt die Schrift, es hörete ein jeglicher daß sie mit seiner Sprache redeten. Sie bezeuget es noch deutlicher daß ihnen das Evangelium in der That in wirklichen verschiedenen Mundarten verkündigt ward; denn sie rufen: Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache darin wir geboren sind?
Also eine Verkündigung des Evangeliums durch die Jünger in vielen, verschiedenen, von ihnen zuvor nicht gelernten Sprachen, ein solches Wunder sollten wir hier annehmen? Und warum nicht, da die Worte der Schrift diesen Sinn darbieten? Aber was konnte die Abzweckung, die Bedeutung eines solchen Wunders seyn? Es wird nicht schwer fallen, dieß zu erkennen. Ward nicht durch Ausgießung des Geistes die christliche Kirche gestiftet? Sollte diese nicht die verschiedensten durch Sitte und Sprache getrennten Völker, als Ein Ganzes, als eine Heerde, unter dem Einen Hirten, zusammenfassen? Sollte nicht, da ein jeder doch nur die Worte seiner Muttersprache recht zu Herzen nimmt, einem jeden Volke das Evangelium in dieser verkündigt, das Wort Gottes ihm in dieser dargeboten werden? Ist dieß nicht geschehn? Geschieht es nicht fortwährend? Mehret sich nicht mit jedem Jahre die Anzahl der Sprachen, in denen die Schrift zu den Völkern redet? Wird nicht, durch diese Mannigfaltigkeit der Zungen, die alle Christum als den Erlöser verkündigen, eine höhere Gemeinschaft unter den Nationen gestiftet? Wenn dieses nun am Pfingsttage vorgebildet wird; wenn die entlegensten Völker gleichsam ihre Abgeordneten nach Jerusalem senden, um in ihnen die Verkündigung des Evangeliums zu vernehmen, um in ihnen sich als Ein Ganzes darzustellen: hat denn das Wunder nicht eine tiefe, und der Weisheit Gottes würdige Bedeutung?
Auch in uns, meine Brüder, verkündigt sich die Erbauung, die uns zu Theil ward, und die fortschreitende Heiligung unsers Herzens, dadurch, daß wir, obzwar immer dieselbe Sprache, doch in dieser eine neue Sprache reden. Die Sprache - diese Gabe, Gedanken und Empfindungen, ja das Tiefste das die Seele bewegt, in Worten auszudrücken, - Gott hat sie uns als ein Mittel zur Verbindung und Gemeinschaft mit unsern Brüdern verliehen: aber wird sie wohl in diesem Sinne von dem natürlichen Menschen angewendet; wird von diesem wohl jemals das, was die innigste Gemeinschaft unter den Gemüthern bildet, ausgesprochen? Dieß sind die großen Thaten Gottes, von denen die Apostel am Pfingstfest redeten; aber wer unter denen, die noch nicht durch den Geist Gottes geheiligt sind, folgte wohl hierin ihrem Beispiel, oder könnte es nur? Oft, wenn ihr Inneres tief erschüttert ist, möchten sie reden von dieser freundlichen oder schmerzlichen Berührung der göttlichen Hand, von dieser so nahe herangetretenen Ewigkeit, von diesem sich in ihnen regenden Verlangen nach Erlösung. Aber sie können es nicht; sie sagen wohl ein Wort, aber sogleich ist als schämten sie sich, und brechen wieder ab. - Was haben sie sich denn nun eigentlich mitzutheilen? Sie reden von ihren irdischen Sorgen, von den Beschwerden ihres Berufes, von den Befriedigungen, die ihrer Eigenliebe zu Theil geworden sind. Sie reden, um sich selbst auszusprechen und auszuschütten; vielleicht um die Andern zu demüthigen und zu kränken. Sie reden neben einander aber nicht mit einander. Sie scheiden, noch mehr als sonst entfremdet. Sie haben deutsch gesprochen, aber keiner hat, im höhern Sinne des Wortes, den Andern verstanden.
Ist das Alles? Bemerkt nicht Jacobus daß zwar die Natur der Thiere, aber nicht die Zunge gezähmt werden kann? Alles, wovon das verderbte Herz voll ist, alle feindselige Leidenschaft, alle Erbitterung, alle Tücke, es gibt sich kund in der Rede; es verräth sich durch das Wort, welches vermieden, durch das, welches gebraucht, und durch den Ton, womit es ausgesprochen wird. Sagt nicht derselbe Apostel, daß die Zunge, gleich einem kleinen Feuer, das einen Wald entzündet, allen unsern Wandel entzünden kann, wenn sie selbst von der Hölle entzündet ist? Die durch eine böse That geschlagene Wunde, kann das Wort, die Abbitte heilen: aber die Wunde, die das böse Wort geschlagen hat, wie mag sie geheilt werden? Es dringt geradezu in das Herz; es haftet dort wie mit Widerhaken, brennt wie ein tödtliches Gift, und erzeugt andere böse Worte und Thaten. Ist also nicht den Menschen, die so oft wie mit Schlangenzungen sich anzischen, ist ihnen nicht die Erlernung einer neuen Sprache zu empfehlen?
O meine Brüder, wann werden wir diese neue Sprache reden, die der Geist uns lehrt, wenn er uns heiligt und erbaut! Wann werden wir die sich oft genug darbietende Gelegenheit ergreifen, um von den großen Thaten Gottes zu reden, von denen, die er durch unsere Bekehrung an uns selber vollbracht hat, sollten wir auch dabei uns Sünder nennen müssen; sollten auch von Denen die es hören, manche ihren Spott darüber haben, und sprechen: wir wären voll süßen Weins! Wann werden wir nicht nur von einem Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, sondern auch von einem Heiland und Erlöser, nicht nur von einer Vorsehung, sondern auch von einer Gnade reden! Wann werden wir uns entschließen, Christum schlechtweg den Herrn zu nennen! Wann werden wir, durch anhaltende Uebung im stillen Gebet, es dahin gebracht haben, daß wir, von einem kranken Angehörigen aufgefordert, auch laut mit ihm beten können! - Denn die Sprache des Gebets, wir müssen es bekennen, das ist uns größtentheils eine sehr fremde Sprache. - Wann werden wir, in der Unterredung mit unsern Brüdern, nicht mehr unsere Eigenliebe zu befriedigen, nicht mehr unsere selbstsüchtigen Schmerzen und Freuden, oder die geheime Erbitterung unseres Herzens auszuschütten suchen; wann werden wir uns in ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Schwächen hineindenken, um demgemäß das Eine zu sagen, und das Andere zu verschweigen! Dann würden wir auch nicht mehr unsere, sondern wir würden ihre Sprache zu ihnen reden. Dann würde die Sprache in der That ein Band der Gemeinschaft seyn, durch das wir einem jeden, mit dem wir nur einmal ein Wort gewechselt hätten, näher getreten wären. Dann würden wir überall verstanden; denn die einzige Sprache, die ein jeder so, gleich versieht, das ist doch die der Bruderliebe.
Nehmt an, Ihr wäret in ein weit entlegenes Land versetzt, wo Alles Euch fremd wäre, Sitten, Gewohnheiten, Sprache; und Ihr hättet dort lange gelebt in trauriger Einsamkeit, überall zurückgestoßen, immer auf Euch selbst verwiesen, Keinen verstehend und von Keinem verstanden. Mit einem Male kommt Euch ein Mensch entgegen, der in eurer Heimath, unter demselben Himmel geboren und erzogen, wie Ihr in dieses fremde Land verschlagen ward. Er redet Euch an: o unbeschreibliche Freude! Das sind ja dieselben Töne die Ihr aus dem Munde des Vaters und der Mutter vernahmt, wenn sie Euch ihre Liebe ausdrückten, wenn sie Euch von den göttlichen Wahrheiten unterrichteten; dieselben, die euer lallender Mund zuerst hervorgebracht hat, und die sich immer ungesucht darbieten, wenn Ihr vom Herzen zum Herzen redet. Es ist die Sprache des Vaterlandes; und der, welcher sie redet, war er auch sonst Euch unbekannt, ist Euch nun schnell ein Freund, ein Bruder geworden. - Sind wir denn nicht alle hier in diesem Leben, weit entfernt und verschlagen von unserm Vaterhause, und versetzt in ein fremdes Land, wo wir wenig angehört und noch weniger verstanden werden; wo Alles so gleichgültig an uns vorübergeht, oder uns feindlich entgegentritt; wo oft ein beklemmendes Gefühl der Einsamkeit uns ergreift? O wohl uns, wenn wir hier die Sprache der Liebe vernehmen; denn dieß ist die Sprache unserer Heimath; diese mahnt uns an das himmlische Haus, wo unser Vater und unser erstgeborner Bruder wohnen; diese versüßt die Beschwerden; diese stärkt zur Erfüllung der Pflichten; in dieser wird auch das ernste, ermahnende Wort gern angehört und befolgt. Möchtet Ihr oft diese Sprache vernehmen! Möchtet Ihr stets in dieser neuen Zunge reden! Möchte eure Rede allezeit lieblich seyn, und mit Salz gewürzt; immer Erbauung stiftend, und Aergerniß vermeidend! Möchtet Ihr am heutigen Pfingstfeste mit dieser Gabe ausgerüstet werden! Möchtet Ihr, um darin zu wachsen, jedesmal daß Ihr Euch hier versammelt, wahre Erbauung finden! Möchten wir, um Euch zu erbaun, diese neue Sprache, die wir noch nicht genug verstehn, immer vollkommner zu Euch reden!
Diese neue Zunge, es ist auch die Sprache des Himmels, des neuen Jerusalems. O laßt uns, ehe wir enden, noch einen Blick erheben zum Himmel, von welchem diese feurigen Ströme herabkommen; wo Jesus ist, der sie sendet; laßt uns in der Versammlung der Apostel am Pfingstfeste, in jeder wahren Erbauung, ein Vorbild sehn von der Gemeinschaft der Heiligen in jener ewigen Wohnung, und von dem Entzücken, das sie genießen. Dort sind sie Alle einmüthig bei einander. Alle sind Eins in dem Einen, der gesagt hat: Auf daß sie alle eins seyen, gleich wie Du, Vater, in mir, und ich in Dir. Auch dort rauscht es wie das Brausen eines gewaltigen Windes. Das sind die hier zusammentreffenden Stimmen, die sich aus allen Regionen der Schöpfung zum Lobe des Ewigen erheben; das sind die Wechselgesänge der in unermeßliche Entfernungen vertheilten Engelchöre. O von welchen tiefen, gewaltigen Schauern der Andacht werden bei diesen Klängen aller Herzen durchströmt! Strahlen, Flammen ergießen sich unaufhörlich aus dem Throne des lebendigen Gottes; sie entzünden in dem Geiste einen brennenden Durst nach Erkenntniß, und befriedigen ihn ganz, denn er schaut in dem Lichte das Licht; er erkennt nicht mehr Stückweise, er erkennt wie er erkannt wird. Sie erwecken in dem Gemüthe das Verlangen die unendliche Liebe auch wieder unermeßlich zu lieben; sie gewähren dazu das Vermögen und die Kraft, und in dieser Kraft - Seligkeit. Und wenn nun die Seligen das was sie durchschauert, durchleuchtet, durchglüht, gegen ihren Gott und Erlöser, gegen einander aussprechen wollen - in welcher Sprache wird es geschehen? Gewiß in keiner andern, als in der, die man dort von Alters her geredet hat, und die hier auf Erden uns eine fremde Sprache geworden ist, so daß wir aufs neue sie lernen müssen - in der Sprache der Liebe. Amen.