Tersteegen, Gerhard - Briefe in Auswahl - Die Hingabe an den HErrn, die ihre Stufen hat, ist um so völliger, je mehr die Seele ihr Elend erkennt.
In der Gnade unseres Herrn Jesu Christi sehr geliebter Freund und Bruder!
Dem ist so, wie Du schreibst, dass es am besten sei, nichts zu wünschen und um nichts zu bitten, als dass Gott seinen Willen in uns erfülle, und uns zum Ziele führe, für das Er uns erschaffen hat. Beim Gebet in zu viel Einzelheiten einzugehen, ist beinahe immer ein Beweis, dass man noch stark in sich selbst lebt, und den Eigenwillen und die eigne Weisheit noch nicht ablegen will. Je mehr die Seele erkennt, dass sie elend und unwissend ist, um so williger überlässt sie sich innig Gott, seinem Wohlgefallen und seiner Führung, so innerlich wie äußerlich, mit verschlossenen Augen, nur begehrend, von seinem Geist und seiner Vorsehung geleitet und geheiligt zu werden. Diese Handlung des Hingebens, wodurch wir unser Herz, unsern Willen und Verstand nur Gott unterwerfen, hat ihre Stufen, sowohl in Hinsicht auf Reinheit und Innigkeit, als in Hinsicht auf Dauer, so dass eine vollkommen darin geübte Seele auch unter ihren Geschäften so anhaltend dabei bleibt, dass sie diese Handlung nicht zu wiederholen scheint, wenigstens nicht auf eine besonders merkliche Art. Glücklich ist die Seele, die ihren Willen in die Hände Gottes legt immerdar! Sie steht gewiss unter der Führung des HErrn. Aber was halten wir fest? Der HErr selbst muss und will durch seine Liebe, die uns in Jesu Namen so nahe gekommen ist, uns inwendig finden und die Hand bieten. Dass Er uns immer kräftiger in Besitz nehme, dies wünscht von Herzen
Dein
Dich im HErrn liebender Bruder.