Geliebte in Christo Jesu! die überfließende Liebe des Heiligen Geistes, und die allvermögende Kraft des Vaters, und die lichthelle Weisheit des Sohnes müsse der ewige Entzünder eurer Liebe seyn! O die Liebe, die der Heilige Geist durch sich selbst in eurem Herzen entzündet hat, als er euch aus der kalten Welt berufen, will nichts anderes als stets feurig und glühend seyn, und mit unaufhörlichen Regungen alle eure Seelen-Kräfte durchdringen, und sich in allem euern Thun und Lassen, in allem euern Haben und Nichthaben der geistlichen und leiblichen Dinge durch eine rechte Ergebung des Gemüthes in den Willen Gottes, nach seiner Ordnung, auch am auswendigen Menschen offenbaren.

Eben diese Flamme der Liebe müsse euch allezeit in allen Dingen dieser elenden Welt vor dem trügerischen Nebel-Thau aller Wollust rein bewahren, das ausgenommen, was die Nothdurft der Natur erfordert. Diese Flamme der Liebe müsse ferner sanft niedergedrückt seyn durch ein treues Innebleiben in stiller Betrachtung des Kleinods, das ist, Gottes, und seiner zeitlichen und geistlichen Gaben, deren er euch so viele und mehrere als Andern mitgetheilt hat. Ach! faßt dieses wohl zu Herzen, und laßt es euch einen besondern mächtigen Zug zu Gott werden!

Die Kohlen der Liebe müssen überdieß immer mit der Demuth, die recht sanft und gelassen und mild ist, wie mit einer Asche zugedeckt seyn, inwendig und auswendig.

Wenn dieß Alles geschiehet, so verwandelt die Liebe den Menschen in sich, und umfasset ihn, und zwinget ihn, daß er unaufhaltsam zu dem väterlichen Herzen Gottes aufwärts eile, und da mit großer, grundloser Freude ewig ruhe.

Gott, der euch von der Lüge und Kurzweile dieser Welt erlöset hat, sey dafür ewig gelobet, und gebe euch den ewigen Frieden da, wo all sein verborgener Reichthum zu Hause ist, mit allen seinen auserwählten Freunden, in unserm Herrn Jesu Christo! Amen.

Quelle: Sailer, Johann Michael - Briefe aus allen Jahrhunderten