Steinberger, Georg - Wie liest Du Deine Bibel?
Zunächst muss betont werden, dass es nicht darum geht Vorschriften zu geben, nach denen man die Bibel lesen soll. Nein, das ist Sache des guten Hirten, der es übernommen hat, seine Schäfchen zu weiden auf grünen Auen und führen zu frischen Wassern (Psalm 23). Er allein kennt unsere Bedürfnisse, denn auch er allein kann sie stillen. Er hat den Schlüssel. Er kann aufschließen und uns geben, was not ist, und kann zuschließen und versiegeln, was er uns ans Herz gelegt hat. Von diesem Gesichtspunkt aus wäre unsere Frage bald beantwortet, und zwar in dem Sinn: „Lies deine Bibel an der Hand des Heilandes; weide da, wo dein Hirte Dich hinführt; trinke an dem Born, an den er dich leitet. Warte still auf Ihn und vertraue Ihm; dass er seinem Schaf einen gedeckten Tisch bereitet, es leitet auf den Pfaden der Gerechtigkeit und auch in Dunkelheiten es noch seinen Stab sehen lässt.“ Darum wollen diese Zeilen nicht mehr sein als ein Zeugnis eines solchen Schäfleins, das in der Hut des treuen Hirten steht und sie haben ihren Zweck erreicht, wenn sie der gute Hirte braucht, hungernde Schäflein auf seine Weide zu rufen. Weil aber die Schrift selbst Anleitung gibt, wie sie gelesen sein will, so wollen wir dieselben aufsuchen und sie ein wenig näher ansehen. Nach ihrer Anweisung sollen wir sie lesen:
I. Zur Erbauung!
„Als neugeborene Kindlein seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, auf dass ihr durch dieselbe wachset“ sagt Petrus. Der neugeborenen Kindlein erstes und wichtigstes Geschäft ist: zu essen; später gehen sie dann auch zur Schule und lernen. So ist also nichts das Verstehen der Bibel mit dem Verstand das erste, sondern das Aufnehmen mit dem Herzen. „Schmecket und Sehet“ sagt der Psalmist. Wer das gütige Wort Gottes geschmeckt hat, lernt es verstehen. Das erste Gebot, das dem neugeschaffenen Menschen gegeben wurde hieß. „Du sollst essen“. Und es ist gewiss auch das erste und beste Gebot für den neugeborenen Christen. Das Wort zur Erbauung lesen heißt also, etwas für das Herz zu suchen. Und dazu ist wohl die geeignetste Stunde die frühe Morgenstunde.
Im 2. Mose 16 wird uns von dem Israeliten gesagt, dass er jeden Morgen außerhalb des Lagers Manna sammeln musste, als Speise für sich und sein Haus. Kam er, wenn die Sonne aufgegangen war, so war das Manna fort; denn die Sonne hatte es zerschmolzen; sammelte er mehr als für einen Tag, so wurde es stinkend. Ist dies nicht ein treffliches Beispiel für unsere tägliche Erbauung aus Gottes Wort? Bevor die Sonne aufgegangen war, musste der Israelit sammeln und bevor des Tages Last und Hitze unser Herz, unsere Sinne und unsere Zeit in Anspruch genommen haben, müssen wir das Manna göttlichen Wortes sammeln. „Morgenstund´ hat Gold im Mund“. Suchst Du Gold am Morgen bei deinem Gott? Trittst du nie vor das Angesicht eines Menschen, bevor du das Angesicht Gottes gesehen hast? Fängst Du nie dein Tagwerk an, bevor du deine Hände gestärkt hast in Gott? Trittst du nie in Verhältnisse ein, bevor du sie mit deinem Gott durchgesprochen hast?
Die Morgenstunde ist in der Regel maßgebend für den ganzen Tag, gibt dem ganzen Tag das Gepräge. Unser Geist bewegt sich gewöhnlich in der Bahn fort, in die er am Morgen gebracht wird. Warum so viele Schwachheiten und Niederlagen im Leben der Christen? Sie sammeln nicht am Morgen. Sie springen oder kriechen aus dem Bett und laufen sogleich in die Kinderstube, in die Küche, in den Stall (Anm. 2010: zur Arbeit eben). Allerlei darf ihr Herz einnehmen und erfüllen. Ja, vielleicht haben sie sich schon über dieses oder jenes geärgert oder selbst Ärgernis gegeben. Wenn sie dann kommen, so ist das Herz aufgeregt, der Geist eingenommen und das Gemüt beschwert. Man sucht dann und findet nicht mehr, das Manna ist geschmolzen; man kam zu spät. Und so muss man dann hungrig in den Tag hineingehen. Solche müssen sich nicht wundern, wenn sie schwach sind, wenn sie unterliegen, wenn ihnen der Lebensweg zu steil vorkommt; sie haben keine Kraft, weil sie nicht gegessen haben. Oh suche am Morgen dein Manna im Wort und im Gebet! Weihe das erste Viertelstündchen eines jeden Tages dem Umgang mit deinem Gott im Wort und Gebet! Lass deine erste Begegnung mit Gott sein, und du wirst allem anderen mit Sieg und Ruhe begegnen können.
Suche eine Begegnung mit Gott, und wenn du dir die Zeit dazu am Schlaf abbrechen musst! John Wesley stand jeden Morgen um 4 Uhr auf und brachte zwei volle Stunden mit Bibellesen und Gebet zu. Der Herr gibt dir soviel Kraft als dein Bett. Sage nicht, du hast einen so schwachen Leib, deine Gesundheit erlaubt es dir nicht. Der Verkehr mit Gott macht nicht schwach und nicht krank. Eine Berührung mit ihm, dem Leben, macht Geist und Seele und auch den Leib überaus frisch. Und wenn du nur eine Viertelstunde Zeit hast, so kannst du in einer Viertelstunde empfangen, was du brauchst. Das Manna liegt ja da; man darf es nur nehmen. Man muss nicht darum ringen und kämpfen. Wenn du in den wenigen Augenblicken, die du hast, etwas empfängst, so wirst du auch am Mittag und am Abend kommen. Du lernst es, aus Jesu Fülle zu nehmen, ihn selbst, das Brot vom Himmel, zu essen. Du nimmst sein Leben auf und kannst darum auch sein Leben leben.
Zu dem verborgenen Leben mit Christus in Gott (Kol. 3, 3) gehört doch vor allen Dingen ein verborgenes Bibellesen. Jedes Pflänzlein hat ein verborgenes Leben in der Erde; nehmt ihm dies, und das Pflänzlein wird schnell aufhören zu leben. So kann auch ein Christ kein gottgefälliges Leben leben, wenn er nicht in Wort und Gebet ein verborgenes Leben führt. Der Teufel ist ein Dieb. Am meisten hat er es abgesehen auf unsere stillen Augenblicke. Kaum hast du am Morgen die Augen geöffnet, so ist er schon da mit seiner Versuchung und warnt dich vor zu frühem Aufstehen, erinnert dich, dass du gestern spät ins Bett gegangen bist, und rät dir: Schlafe noch ein wenig; dein Kopf hat sich noch nicht ausgeruht und deine Beine sind noch zu müde. Wenn er seinen Platz in unserem Hause haben dürfte, so würde er ihn nicht in der Werkstatt, nicht in der Küche, nicht in der Wohnstube, sondern im Kämmerlein einnehmen. Kann er uns hier die stillen Augenblicke rauben, die Begegnungen mit Gott verhindern, kann er hier Verwirrungen anrichten, so wird Unordnung und Verwirrung im ganzen Hause sein.
Vor allen Dingen ist uns der Sonntag gegeben als ein Tag der Erbauung, freilich nicht in dem Sinn, dass man sechs Tage leben soll vom Sonntag. Die Jünger nehmen Gnade um Gnade, und die Erlösten schöpfen mit Freuden aus dem Heilsbrunnen. Wir bedürfen jeden Tag etwas Neues, und wir können jeden Tag frisches Brot haben; denn jeden Morgen ist es uns vom Himmel bereitet. Jeder Tag sorgt für das Seine, auch für frisches Brot für den inneren Menschen. Aber unser Gott weiß dass wir einen stillen Tag brauchen, Stunden der Begegnung mit ihm; darum hat er uns den Sonntag gegeben. Der Sonntag ist eine Gnadengabe Gottes, und es ruht heute zwar weniger Segen auf der Heiligung des Sonntags als im Alten Bund, wo die Heiligung des Sabbats wichtig war, aber auch nicht weniger Unsegen auf der Entheiligung desselben. Hast du den Sonntag als eine Gnadengabe Gottes geachtet und gebraucht? O, wieviel Entheiligung des Sonntags auch in den Hütten der Frommen! Damit machst Du dem Herzen Jesu Schmerzen und bringst Unsegen über dich und deine Familie. Andere machen gar Geschäfte am Sonntag, kaufen und verkaufen, verderben ihre Seelen und die Seelen anderer und haben noch Anspruch auf den Namen „Gläubige“. Wo ist da der Glaube?
Noch andere kommen vor lauter Arbeit für den Herrn nicht zu einer stillen Stunde. Da geht man aus der Versammlung in den Verein, aus dem Verein in die Gesangsstunde. So bekommt man dann einen vollen Kopf, aber ein leeres Herz. Das Pflänzlein, das Gott den Heiligen gegeben hat, ist zu seinen Füßen (5. Mos 33,3). Es gibt ein Stillesein zu Gott und ein Stillesein in Gott; aber dies fängt an mit dem Stillesein vor Gott. Gott hat vielmehr in uns als durch uns zu tun. Wir können soviel für Ihn sein, als er in uns geworden ist. Lass darum keinen Sonntag vorübergehen, wo du nicht mit der Bibel die Stille gesucht hast! Warum mit der Bibel? Gottes Worte sind Geist und Leben. Wenn du dieses suchst, findest du es am schnellsten und am sichersten hier. Hier ist des Heiligen Geistes Mundes. Erwarte nur, dass er zu dir sprechen soll, und er wird es tun. Wir sollen unsere Bibel lesen:
II. Dem Inhalt nach!
„Weil du von Kind auf die Heilige Schrift weißt“, sagt Paulus dem Timotheus. Die Bibel dem Inhalt nach lesen heißt, dieselbe so lesen, dass man ungefähr weiß was alles in der Bibel steht. Das war bei Timotheus der Fall; er kannte die heiligen Schriften. Und man sollte von jedem Kind Gottes erwarten können, dass es ungefähr weiß, wovon jedes einzelne Buch der Bibel handelt. Es sollte wissen, dass zB. das erste Buch Mose die Schöpfungsgeschichte, die Erschaffung und den Fall der ersten Menschen berichtet und die Geschichte der Erzväter Abraham, Isaak, Jakob und Joseph erzählt, dass im zweiten Buch Mose die Geschichte des Volkes Israel beginnt, dass im Buch Josua die Einnahme des Landes Kanaans erzählt wird, dass die Bücher Samuel hauptsächlich von Samuel, Saul und David handeln, usw.
Noch besser ist es, wenn man sich aus den bekanntesten und wichtigsten Büchern die Kapitelinhalte der Reihenfolge nach einzuprägen sucht. So kann man in Leichtigkeit den ungefähren Inhalt eines Evangeliums behalten, wenn man sich aus jedem Kapitel nur eine Begebenheit merkt. Im Evangelium Johannes ist dies zB. sehr leicht. Kapitel 1: Berufung der Jünger; Kapitel 2: Die Hochzeit zu Kana; Kapitel 3: die Unterredung mit Nikodemus usw. Sehr wertvoll ist es weiter, wenn man ganze Kapitel auswendig lernen kann. So wird es z.B. förderlich sein, wenn zwei Freunde zusammenkommen sich gegenseitig Jesaja 54 aufzusagen oder sonst ein wichtiges Kapitel, vielleicht Gebetspsalmen. Für junge Leute ist es auf einem Spaziergang oder auf einem anderen weiteren Weg eine gute Unterhaltung, wenn jeder der Reihe nach immer wieder einen andern Bibelspruch aufsagen kann. Ich kannte einen teuren Mann Gottes, der die schöne Gewohnheit hatte, jeden Tag einen Spruch aus der Bibel auswendig zu lernen, auch noch als Greis.
Dann ist auch gut, wenn man sich die Reihenfolge der Bücher einprägt. Und da gibt es ein sehr einfaches Mittel. Im Alten Testament merkt man sich einfach, welche Bücher vor den Psalmen und welche nach den Psalmen stehen. Wo die Psalmen stehen weiß ja jeder, nämlich ungefähr in der Mitte. Im Neuen Testament ist ungefähr in der Mitte die Apostelgeschichte. Vor derselben stehen die vier Evangelien und dahinter alle Briefe des Apostels Paulus, denen dann die Briefe der übrigen Apostel folgen und am Schluss finden wir, wie bekannt, die Offenbarung.
Du fragst: Wie liest man nun aber die Bibel dem Inhalt nach? Ganz einfach, wie man jedes andere Buch auch liest. In einem interessanten Buch liest man ganze Stunden, ja oft halbe und ganze Tage. Warum nicht auch so in der Bibel? Oder noch besser: die Bibel soll man lesen, wie der rechtmäßige Erbe ein Testament liest, denn sie ist Gottes Testament an uns! Wird einer, der ein großes Testament aus Amerika erhält, nur jeden Tag einen Satz oder einen Abschnitt lesen? Gewiss nicht! Sondern er wird vor allem einmal das ganze Testament durchlesen und es dann auch genau Satz für Satz studieren. Wer nur sorgsam jeden Tag ein paar Zeilen liest, wird nie mit ihrem Inhalt vertraut. Es kann für einen freien Abend oder Nachmittag gewiss keine bessere Lektüre geben, als wenn man aus der Bibel ein Buch mit seinen zehn oder zwanzig Kapiteln durchliest. So lese ich mit Vorliebe in solchen Stunden das Buch Esra, Nehemia, Daniel und besonders die Offenbarung. In zwei Stunden liest man ein solches Buch und gewiss mit einem solchen Segen, wie man ihn in keinem anderen Buch gefunden hätte, Georg Müller, der Waisenhausvater, dem die Bibel über alles ging, soll dieselbe in seinem Leben 150 mal durchgelesen haben – das Forschen und Erbauen aus derselben ausgenommen. Wir sollen unsere Bibel lesen:
III. Zur Unterweisung!
Paulus sagt weiter zu Timotheus: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung“ (2. Tim. 3, 16). Denjenigen, der die Schrift weiß, kann sie unterweisen. Durch sie werden wir eingeführt in alle Wahrheit; alle notwendigen Fragen sind in ihr beantwortet. Durch sie bekommen wir Aufschluss über die Geschichte der Menschheit in ihrer Vergangenheit und Zukunft, ihren Weg hier und ihre Bestimmung dort, über ihren Fall und ihre Rettung, über Sünde und Gnade, über Recht und Unrecht, über des Teufels Vernichtungspläne und Gottes Gnadenabsichten, über unser Herz und Gottes Herz über Zeit und Ewigkeit, über Seligsein und Verlorensein.
Die Schrift dient uns vor allem zur Unterweisung über Gott, den drei-einigen Gott!
Die Schrift ist ein Denkmal des drei-einigen Gottes, vor dem wir stehenbleiben müssen, um es uns Zug für Zug einzuprägen. Was wüssten wir von Gott, wenn wir die Bibel nicht hätten? Gleich den Heiden würden wir uns allerlei falsche Bilder von Ihm machen. Aber auch Christen, die ihre Bibel nicht lesen mit göttlich erleuchteten Augen, können in diesen Irrtum geraten. Darum sagt Johannes den Kindlein: „Hütet euch vor den Abgöttern!“ Und damit meint er nicht etwa gemalte Bilder oder Götzen von Stein, sondern falsche Vorstellungen von Gott.
Der eine stellt sich Gott vor als einen zürnenden, unnahbaren Gott, der von lauter Racheflammen umgeben ist. Wenn er die Bibel liest, so findet er nur immer Stellen, die Gottes Zorn aussprechen und von Gottes Gericht und Strafe handeln. Er ist ein verzehrendes Feuer und eine ewige Glut für die Sünder, aber nicht für die Kinder; sie dürfen rufen durch den Geist: Abba Vater!
Ein anderer denkt sich Gott wie einen gutmütigen Vater, der fünf gerade sein lässt und nicht anders kann, als ein wenig durch die Finger sehen, weil er ja barmherzig ist. Gott ist aber nicht in dem Sinn barmherzig, dass Er Sünde übersieht; nein, Gott nimmt es sehr genau mit der Sünde. Er ist in dem Sinn barmherzig, dass Er unsere Sünde nahm und sie auf Seinen eingeborenen Sohn legte, damit Er sie hinwegtragen und abschaffen sollte (Joh. 1, 29; Hebr. 9, 26). Die Gnade Gottes besteht darin, dass sie die Sünden auf Christus gelegt hat und sie uns so vergibt und uns reinigt von aller Untugend (1. Jo. 1, 9).
Noch andere sprechen von Gott als von einem „höheren Wesen“, das sich um die kleinen Dinge auf Erden nicht kümmere. Obwohl Gott der Hohe und Erhabene ist, der in der Höhe und im Heiligtum wohnt, so wohnt Er doch auch bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind (Jes. 57), so sieht Er doch auf das Niedrige und richtet den Geringen auf aus dem Staube und den Armen aus dem Kot (Ps. 113) und ist ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen (Ps 68). So suchte mir einmal ein gescheit sein wollender Mann Gott darzustellen als ein höheres Wesen. Als er ausgeredet hatte, fragte ich ihn: “Haben sie Kinder?“ Wie würde es sie berühren, wenn ihr Knabe von zehn Jahren, indem er sie anblickte zu den übrigen Geschwistern sagen würde: ´Seht dort das höhere Wesen!` Würde Ihnen das gefallen? Er lachte verlegen und bekannte: „Nein, gerade nicht.“ Ich sagte: „Gottlob kenne ich Gott nicht als höheres Wesen, sondern als einen Vater über alles, was da Kinder heißt im Himmel und der Erde“ (Eph. 3, 14. 15).
Über Christus! Was Kindlein zuerst von Christus erkennen, ist, dass Er für sie am Kreuz gestorben und an diesem Fluchholz für sie Schuld und Strafe, Gericht und Verdammnis getragen hat. Das ist aber nur die eine Seite des Kreuzes. Auch wir sind mit Christus gekreuzigt. Das neue Testament gebraucht fünf wichtige Ausdrücke in bezug auf Christus und uns, deren Inhalt wir klar erkennen sollten:
- „Christus für uns“ (Röm. 5, 1.2.11; 8, 34) oder unsere Zusammengehörigkeit mit Ihm.
- „Wir mit Christus“ (Röm. 6) oder unsere Einheit mit Ihm- mit Ihm gekreuzigt, mit Ihm gestorben, mit Ihm begraben, mit Ihm auferweckt, mit Ihm versetzt in das himmlische Wesen.
- „Wir in Christus“ (Röm. 8) oder unser Leben in Ihm. Sein Leben ist unser Leben geworden. Seine Tugenden: Liebe, Demut, Sanftmut, Reinheit usw. werden uns durch den Heiligen Geist angeeignet, so dass sie unser innerster Besitz werden.
- „Christus in uns“ (Eph. 3) oder wir ein Tempel des Heiligen Gottes. Wir sind ein lebendiges Haus für Gott. Die Spitze in allen Briefen des Apostel Paulus ist: „Christus in euch“ und Jesu letzte Bitte an Seinen Vater für seine Jünger war: „Ich in Ihnen“.
- „Wir für Christus“ (Kol. 1) oder leben um Seinetwillen. Er für uns ist unser Daseins Grund und der Erlösung Anfang und Fortgang; wir für ihn ist unser Daseins Zweck und der Erlösung Preis. Er für uns und wir für Ihn, welch eine Seligkeit!
Über den Heiligen Geist! Was der Heilige Geist uns sein will, und was Er tut, ist uns ja in der Bibel und besonders im Neuen Testament sehr klar und unzweideutig gesagt. Die brennende Frage aber bei fast allen Zusammenkünften der Kinder Gottes ist in der Regel die: Wie können wir den Heiligen Geist bekommen? Wohl alle Kinder Gottes sind sich darin einig, dass wir ein größeres Maß des Geistes bedürfen und dass dieser größere Segen uns auch in der Schrift verheißen ist. Aber wie denselben bekommen, das scheint die Schwierigkeit zu sein. Ich glaube, man sollte, wie jemand sehr gut gesagt hat, die Frage einmal umdrehen und fragen: Wie kann der Heilige Geist uns bekommen? Gewiss hätte man dann auch schnell die Antwort und den Segen den man sucht. Wir flehen um den Heiligen Geist, und zu gleicher Zeit fliehen wir vor demselben (Ps. 139). Lasst uns Ihm einmal vier Wochen stille halten und Ihm folgen, und wir werden Wunder erfahren.
Über uns selbst! Besonders in den Geschichten des Alten Testaments finden wir oft sehr treffende und beschämende Züge unseres eigenen Wesens. Darum dürfen wir sie nicht als bloße Geschichte ansehen, sondern als Tatsachen, die sich in unserem Leben und in dem Leben anderer täglich wiederholen. Wer z.B. hätte nicht schon in dem Bild des Jakob sein eigenes Gesicht gesehen und in der Offenbarung der Herzen andrer sein eigenes Herz erkannt? Auch aus diesem Grund genügt es nicht, nur das Neue Testament zu lesen. Wer könnte z.B. in den wenigsten Fällen das Leben der Männer Gottes im Alten Bunde verstehen, wenn wir sonst nichts wüssten als den Bericht, den das Neue Testament von ihnen gibt, weil hier der Heilige Geist ihr Leben darstellt, wie Gott es zuletzt ansieht, nachdem Er ihre Fehler vergeben und ihrer Sünden nicht mehr gedenkt. Wer Abraham nur kennt aus dem Neuen Testament, kennt wohl den Abraham, aber nicht den Abram.
Über die Erlösung! Dass der Mensch gefallen ist, und dass auch bei dem Wiedergeborenen immer wieder die Natureigenheiten ihre Herrschaft geltend machen wollen, wissen wir nur zu gut. Aber wie wir frei werden können, das ist für uns die wichtige Frage. Und davon spricht die Bibel sehr viel. Sie spricht nicht nur von Befreiung von der Schuld der Sünde, sondern auch von Befreiung von der Macht der Sünde; nicht nur von einem Frieden des Gewissens redet sie, den man durch den Glauben an Christus erlangt, sondern auch von einem Frieden des Herzens, der uns durch Gehorsam gegen Seine Gebote zuteil wird. Sie spricht nicht nur von einer Ruhe im Himmel, sondern auch von einer Sabbatruhe auf Erden, nicht nur von einer Errettung in der Vergangenheit durch das Kreuz Christi, sondern auch von einer Errettung in der Zukunft durch die Wiederkunft Christi, für die man durch die gegenwärtige Errettung bereitet wird, nicht nur von einer Auferstehung am Endgericht, sondern auch von einer ersten Auferstehung der Heiligen usw.
Sie sagt uns, dass wir bei der Vergebung der Sünden nicht stehen bleiben dürfen, dass Bekehrung nicht das Ziel, sondern der Anfang ist, dass wir nicht durch Werke errettet werden, aber geschaffen sind zu guten Werken. Als Gott daran dachte, Menschen zu schaffen, sprach Er: Lasset Uns Menschen machen, ein Bild, das Uns gleich sei“. Ein Bild, Ihm gleich, das ist Gottes Vorsatz und Ziel mit uns. Und es ist uns nicht erlaubt, uns ein niedrigeres Ziel zu stecken. Viele Versammlungen sind stehengeblieben bei der Rechtfertigung: aber da bleibt Gott nicht stehen, sondern „welche er gerecht gemacht hat, die hat Er auch herrlich gemacht“. Und wie herrlich? Dass sie gleich sein sollen dem Ebenbild Seines Sohnes. Wir sind nicht bekehrt, um ein wenig Vergebung, ein wenig Frieden, ein wenig Hoffnung des ewigen Lebens zu haben, sondern wir sind bekehrt von Gott und für Gott, bekehrt dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinem Sohn aus den Himmeln zu erwarten (1. Thess. 1, 10).
Über Sünde! Soviel mir bekannt ist, sagt die Schrift nur an einigen Stellen in einem Begriff, was Sünde ist; hingegen macht sie es uns an unzähligen Beispielen und Geschichten klar, wie man sich an Gott, an sich selbst, an seinen Mitmenschen, an den Geschöpfen und an der Schöpfung , ja sogar an der Finsternismacht versündigen kann. Sie zeigt uns, dass die Sünde nicht in einzelnen Vergehungen besteht, sondern dass sie ein Zustand ist, der nur durch Buße und Glauben an den Erlöser durchbrochen werden kann.
Über Versuchung! Jakobs redet in seinem Brief von verschiedenen Versuchungen, denen Kinder Gottes ausgesetzt sind:
- Von Versuchungen, die das tägliche Leben, unsre Verhältnisse und unsre Stellung unter den Menschen mit sich bringen (1, 2-4)
- Von Versuchungen, die in der eigenen Lust ihren Ursprung haben (1, 13-15)
- Von Versuchungen, die direkt vom Teufel kommen (4, 7)
Außerdem spricht die Schrift auch von Versuchungen von Seiten Gottes – freilich nicht zum Bösen, - und auch von Versuchungen von unsrer Seite Gott gegenüber. Wir sehen hier, dass nicht alle Versuchungen direkt vom Teufel sind, wie man dies oft irrtümlich meint. Die Versuchungen von seitens des Teufels sind uns in der Schrift sehr klar gezeigt. Sie spricht in Bezug auf dieselben von „Zeiten der Versuchung“, von „Tagen der Versuchung“, von „Stunden der Versuchung“, von „verschiedensten Arten der Versuchung“ und von „verschiedenen Gestalten des Versuchers“. Natürlich sagt sie uns auch immer, wie dieselben überwunden werden können. Über alle notwendigen Fragen! Und zwar nicht nur über Fragen in Bezug auf das geistliche und ewige Leben, sondern auch in Bezug auf das äußere und irdische Leben. Freilich möchte ich mit diesen Worten nicht dem Missbrauch, der nach dieser Seite hin mit Gottes Wort getrieben wird, das Wort reden.
In jeder Verlegenheit oder bei jeder Begebenheit oder Unklarheit schnell die Bibel aufschlagen ist kindisch und vorwitzig und gibt in den meisten Fällen nicht nur kein Licht und keine Klarheit, sondern bringt oft nur noch in größere Verlegenheiten. Es gibt Fälle, wo eine Ausnahme ganz am Platz sein mag. Wenn man z.B. genötigt ist, schnell eine Entscheidung zu treffen, oder wenn man sich vor einer eigenen Entscheidung fürchtet und es lieber ausschließlich in Gottes Hand legt, oder wenn man in Zeit großer Bedrängnis ist, da mag sich Gott vielleicht zu einem solchen Weg bekennen.
In den meisten Fällen ist es aber Unruhe oder sogar Neugierde, die nicht auf Gott warten kann, bis Seine Zeit gekommen ist und so Gott gleichsam zu drängen sucht. Weil sich Gott aber nicht drängen lässt, so drängen wir uns eine voreilige Entscheidung auf und bringen uns damit in Bedrängnis, Angst und Täuschung. Diese Kunstgriffe sind ein großes Hindernis, durch innere Stille und Zartheit die Reife zu erlangen, die durch Gottes Geist, durch Sein Wort und Seine Führungen Gottes Wege mit uns erkennt. Denn in der Regel leitet uns Gott durch diese drei Dinge. Die Leute sagen oft: „Ich weiß gar nicht was ich tun soll!“ Ich sage dann gewöhnlich: Das ist der sicherste Beweis, dass sie nichts tun sollen. Denn wenn uns Gott einen Weg führen will, so zeigt Er uns denselben nicht nur ganz klar, sondern ebnet ihn auch für uns. „Befiel Jehova deinen Weg und vertraue auf Ihn, und Er wird handeln!“ (Ps. 37,5).
Wir sollen unsere Bibel lesen:
IV. Forschend!
„Suchet in der Schrift“, sagt Jesus „sie ist es, die von mir zeugt.“ Damit sagt Jesus, dass man forschen soll und wie man forschen soll. Denn diese Worte können auch heißen: Suchet in der Schrift und sehet, was sie von Mir sagt. Man forscht, wenn man sucht, was die Bibel alles über einen Gegenstand sagt. Aber damit wollen wir nicht sagen, dass das Forschen allein darin bestehe. Es gibt ein tieferes Forschen, wo das Auge Wahrheiten erblickt und Linien sieht, worauf man nicht geführt wird durch gleichlautende Stellen oder auch durch eine Handkonkordanz. Hierin lässt sich keine bestimmte Anweisung geben; denn der Heilige Geist Selbst muss uns in alle Wahrheit leiten.
Hingegen gibt es eine Forschen, worüber man Anleitung geben kann. So kann man zB mit Hilfe der Handkonkordanz Gleichnamiges zusammenstellen, um einen Überblick über einen Gegenstand zu bekommen. Wollen wir zB nachforschen, was die Bibel alles über unseren Leib sagt, würden wir die Erfahrung machen, dass die Erkenntnis über diesen Gegenstand vorher doch recht mangelhaft war. Viele von den „Kindlein in Christus“ wissen nicht, dass wir erst mit der Erlösung des Leibes in das volle Erbe der Kindschaft eintreten. Wir haben den Geist der Kindschaft als Unterpfand des Erbes (Gal. 4; Eph. 1); aber den vollen Besitz des Erbes selbst erlangen wir erst bei der Verklärung unseres Leibes der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit seines Leibes der Herrlichkeit (Phil. 3). Dies ist noch zukünftig (Röm. 8, 25). So spricht die Bibel auch von einer Erlösung des Leibes, nicht nur der Seele. Auch in der Hingabe an Gott nimmt der Leib nicht die letzte, sondern die erste Stelle ein. Die Schrift sagt im Alten und im Neuen Testament, dass unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes sei (Ps. 139 und 1. Kor. 6, 19). Wollen wir dem Heiligen Geist in uns wohnend haben, so ist das erste die Hingabe unseres Leibes an Ihn als Wohnstätte. Denn wenn ich einen Gast erwarte, dann sorge ich zuerst für eine Wohnung. Darum stellt Paulus die Hingabe des Leibes in seinen Ermahnungen im Römerbrief auch obenan (Röm. 12). Oder wenn wir aussuchen wollten, was die Bibel alles über die Seele sagt, so würden wir den Ausdruck „meine Seele“ zB in den Psalmen mehr als hundertmal finden. Mit Recht könnte man die Psalmen „das Buch von der Seele“ nennen. Und weil jeder Christ sein eigener Seelsorger sein muss, so könnte er hier lernen, wie man mit seiner Seele umzugehen hat. Oder man könnte forschen und suchen, was uns der Vater alles gegeben hat in Christus. Da finden wir im Epheserbrief ungefähr zehn solcher wichtiger Ausdrücke und in dem kleinen Kolosserbrief fast ebenso viel. Ebenso könnten wir darauf achten, was wir alles schon empfangen haben, also nicht mehr erwarten müssen. Es ist auch sehr lehrreich zu sehen, was die Schrift sagt über Buße, Glaube, Liebe, Hoffnung usw. Diese Art, die Schrift zu erforschen, ist eine wesentliche Hilfe zum Schriftverständnis.
Das Forschen in der Bibel wird vor allen Dingen sehr erleichtert durch eine „Handkonkordanz“. Das ist ein Buch, in dem alle Sprüche der Bibel dem Alphabeth ihrer Worte nach geordnet sind. Wenn man dann nur ein Wort von dem zu suchenden Spruch kennt, so sagt die Konkordanz doch schnell und genau, wie der Spruch heißt und wo er steht. Wollte ich zB den Spruch lesen: „Oh Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ so würde ich in meiner Konkordanz das Wort „Land“ suchen und fände dort zugleich, das dieser Spruch Jeremia 22, 29 steht. Gewöhnlich ist das Hauptwort oder das Eigenschaftswort das maßgebende, das die Handkonkordanz aufgenommen hat. Will ich zB. gern wissen, was die Bibel über den „Frieden“ sagt, so schlage ich in der Konkordanz einfach das Wort „Friede“ auf, und da finde ich alle Sprüche der Bibel, welche von diesem Gegenstand handeln. Ich suche mir dann die wichtigsten heraus und bekommen so schnell einen Überblick. Jeder Bibelforscher sollte ein solche Hilfsbuch haben, weil es einfach und übersichtlich angelegt ist.
Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel ist es, wenn man in seiner Bibel die wichtigsten Stellen, die eine Wahrheit darstellen, zusammenschreibt und zwar in der Weise, dass man zu der ersten die zweite und zu der zweiten die dritte hinschreibt usw. Wollte ich zB. wissen, was die Bibel über die Versuchungen von Seiten des Teufels sagt, so hätte ich mich nur zu besinnen, wo in der Bibel zum ersten mal von der Versuchung des Teufels die Rede ist – das ist ja jedem bekannt (1. Mose 3) – und so könnte ich in meiner Bibel in zehn Minuten alle diesbezüglichen Stellen lesen, denn bei der ersten steht die zweite und bei der zweiten die dritte usw. bis zu Offenbarung 20. Ähnlich kann man es mit allen wichtigen Wahrheiten machen.
Es wird niemand leicht im Gedächtnis behalten, wo in den Evangelien die sieben Worte Jesu am Kreuz stehen. Nun kann man sich das Aussuchen aber sehr erleichtern, wenn man zum ersten Wort im Evangelium Matth 27, 46 – denn im ersten Evangelium muss ich ja das erste Wort finden – das zweite hinzu schreibt, nämlich so: Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli lama asbathani! Das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Lukas 23, 34 Man streicht dieses erste Wort mit einem Strich an und schreibt die Stelle, wo das zweite Wort steht, daneben. Nun schlage ich das zweite Wort auf und schreibe die dritte Stelle daneben und so mache ich es mit allen sieben Worten. So habe ich alle sieben Worte besser als im Gedächtnis, denn sie stehen nun nachlesbar beieinander.
Es könnte mir Mühe machen, die sieben Seligpreisungen in der Offenbarung im Gedächtnis zu behalten. Nun wende ich aber auch hier das gleiche Verfahren an. Ich schreibe zu der ersten in Kapitel 1, 3 die Zweite von Kapitel 14, 13 zu der zweiten die dritte von Kapitel 16, 15 usw. Ähnlich könnte man es mit Stellen machen, welche von der nächsten Wiederkunft Jesu handeln und mit anderen wichtigen Wahrheiten. Freilich muss man sparsam sein mit den Stellen und nur immer die wichtigsten nehmen und zwar immer bei der Stelle anfangen, welche zum ersten mal von dieser Wahrheit spricht.
Dann ist es auch gut, wenn man zu einer wichtigen Wahrheit da, wo sie zum ersten mal vorkommt, mehrere wichtige Stellen oder Namen hinzu schreibt. Sollte ich zB zu einem Abgeirrten sprechen von der „wiederherstellenden Gnade“ so dürfte ich in meiner Bibel nur 1. Mose 13, 1-3 aufschlagen, denn dort ist von der wiederherstellenden Gnade die Rede, und ich fände da folgende Stellen: 3. Mose 14, 11; Hosea 14; Psalm 68, 19; Johannes 8, 11; Richter 10, 10-16 der verlorene Sohn; Petrus. Wir müssen den Leuten Antwort und besonders Beispiele geben können aus der Bibel. Das ist Nahrung für einfache Leute, die von der Lehre wenig verstehen. Du kannst einem in Sünden- und Todesnot ringenden Menschen lange den Heilsplan nach den wohl richtigen Sätzen deiner gelernten Weisheit auslegen, und er schaut dich, wenn du fertig bist, gerade noch ängstlich an, als da du angefangen hast; aber erzähle im vom Schächer am Kreuz und du wirst sehen wie es in seiner Seele aufblitzt und in seinen Augen leuchtet. Du musst immer sagen können: So steht geschrieben! Dann hast du und andre Boden unter den Füßen. Weil die Priester es versäumen das Werk des Herrn auszurichten, müssen es die Leviten tun (2. Chr. 29).
V. Zur Erleuchtung!
„Die Eröffnung Deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ sagt David (Ps. 119,30). Damit, dass wir die Dinge wissen, sind sie uns noch nicht offenbar, besitzen wir sie noch nicht. Wissen ist erst halber Besitz. Erleuchtung ist mehr als Wissen. Wissen heißt, von etwas Kenntnis habe, Erleuchtung dagegen heißt, davon erfasst und durchdrungen sein. Es gibt ein Verständnis des Herzens, und das ist viel mehr als Verständnis mit dem Kopf. Man kann herrliche und tiefe Wahrheiten der Schrift für eine Zeit lang mit dem Verstand aufnehmen. Ich sage für eine Zeit lang; denn jede Wahrheit, die wohl mit dem Kopf aufgenommen, aber nicht ausgelebt wird, verliert man bald wieder. Das Herz wird doch nicht geändert und das Leben davon nicht bestimmt. Die Jünger wussten ganz genau wie viel Körbe voll Brocken sie nach jener Speisung aufhoben; aber sie wussten es nur mit dem Kopf; darum jammerten sie, als sie das Brot vergessen hatten, und Jesus musste sie schelten: „Ihr erstarrten Herzen!“ (Mark. 8, 10-21).
Jakob sah am Morgen Seiner Begegnung mit Esau die Heere Gottes. Gott zeigte sie ihm, um Ihm damit zu sagen: „Fürchte Dich nicht; denn derer die bei dir sind, sind mehr als derer, die bei ihm sind!“ Aber Jakob war blind mit den Augen seines Herzens. Er sah die göttlichen Gnadenbezeugungen, gab ihnen sogar noch einen Namen, konnte sie aber nicht anwenden, wozu sie ihm gegeben waren. Denn als er hörte dass Esau ihm mit 400 Mann entgegenziehe, fürchtete er sich sehr (1. Mose 32). Es ist ein Unterschied darin, ob wir eine Wahrheit erkennen und Gefallen an ihr haben oder ob wir dieselbe besitzen und ausleben. Denn mit der Erkenntnis der Schrift hat man nicht auch das wahre Verständnis derselben. Dies kann uns allein der Heilige Geist geben, der die Schrift den heiligen Männern Gottes eingegeben hat. Vor Pfingsten sahen viele Jünger Jesus an als einen Propheten, mächtig in Taten und Worten, nachher predigten sie Ihn als den Christus, der „solches leiden musste und zu Seiner Herrlichkeit eingehen.“
Ich lasse hier jemand reden, der in diesem Punkt mehr licht und Erfahrung hat als ich. Tersteegen sagt in seinem Buch „Der Weg zur Wahrheit“ hierüber ungefähr folgendes:
„Zum Verständnis der Heiligen Schrift, wie überhaupt aller geistlichen Wahrheiten, sind zwei Dinge erforderlich, nämlich von Seiten Gottes dessen gnädige Erleuchtung und von unserer Seite die erforderliche Beschaffenheit des Gemüts, dieser göttlichen Erleuchtung teilhaftig zu werden. Wir können nicht sehen ohne Licht; wir können aber auch nicht sehen ohne geöffnete und zum Licht gekehrte Augen. Beides fehlt uns allen von Natur. Wir sind in Finsternis, und Finsternis ist in uns. Gott muss einen hellen Schein in unsere Herzen geben. Er muss uns erleuchtete Augen unseres Verständnisses geben, sonst können wir nicht sehen die Wunder in seinem Gesetz.“
Dann gibt Tersteegen fünf Mittel an, die von unsrer Seite zur wahren Erleuchtung und mithin zum rechten Verständnis der Heiligen Schrift nötig sind.
- Das demütige Gebet! „Wenn eine Seele ihre Untüchtigkeit und ihre bisher gehabten finstern, unzulänglichen, ungeziemenden Begriffe, Gedanken und Vorurteile von Gott, von dessen Willen und Wege erkennt und mit Ihm wie ein armes Kind Herz und Verstand bloß darlegt mit herzlichem Verlangen, dass Er sie mit Seinem Heiligen Geist erleuchten und bei dem Lesen und Hören Seines Wortes ihr dessen Sinn und Kraft ins Herz eindrücken wolle, so gibt Gott soviel Licht und Eindruck, als ihr zu der Zeit nötig und dienlich ist.“
- Das Tun des Wortes! „Mit diesem ersten Mittel zum rechten Verständnis der Heiligen Schrift ist genau ein zweites verknüpft, nämlich die treue Ausübung dessen, was man schon versteht und wovon man schon überzeugt ist, nach den ausdrücklichen Worten unseres Heilandes: ´So jemand will den Willen tun des, der Mich gesandt hat, der wird inne werden.` Die Ausübung der Schrift ist die beste Erklärung derselben. Wer das menschliche Elend weder erkannt hat, noch erkennt in seinem Herzen, der sieht es auch nicht in der Schrift. Hingegen wer Buße tut, der erkennt immer mehr Buße; wer sich selbst verleugnet, der erkennt auch immer mehr Selbstverleugnung; wer betet, glaubt und liebt, der lernt beten, glauben und lieben usw. und erkennt immer mehr, was die Schrift damit meint. So ist auch die Ausübung und Erfahrung einer Wahrheit der Schlüssel zu einer anderen (2. Kor. 3, 14- 18). Wer sich sein Elend von Gott aufdecken lässt, der bekommt ein Gefühl für Buße; wer in die Buße geht, der sieht endlich, was Glauben ist; wer sich im Glauben übt, der lernt, was Jesus ist!“
- Selbstverleugnung! „Keinen andern wird Gott lehren als den, der in der Selbstverleugnung steht. Durch die gründliche Selbstverleugnung wird das Herz gereinigt und gestillt.“ Gereinigt von Unflat der Welt, der Sünden und unzähliger Verdorbenheiten und Eigenheiten, die dem armen Gemüt wie Kot und Lehm vor den Augen sitzen und die Einsicht in Gottes Geheimnisse durchaus verhindern. „Die reinen Herzens sind , werden Gott schauen.“ Gestillt wird das Herz durch die Verleugnung, da sonst die Gegenstände von außen, meist aber die mancherlei Lüste des Fleisches und der Sinne dem ungestorbenen Gemüt tausenderlei Verwirrungen, Ärger und Unruhe verursachen. Und wie kann die Sonne göttlicher Klarheit in einem so ungestümen Dreckwasser gesehen werden? Die wahre Stille ist die Mutter aller Weisheit, sagt darum ein gottseliger Kirchenvater. Auf diese Weise kann uns manchmal bei einem innigen, stillen Anblick eines Spruches mehr Segen zufließen, als wenn wir zwanzig der berühmtesten Ausleger darüber nachgesehen hätten. Kurz, willst Du ein erleuchteter Mensch sein, so trachte erst danach, ein abgestorbener zu werden, sonst wirst du es nimmer.“
- Die Gegenwart Gottes in uns! „Das vierte Mittel ist die besondere Zukehr zu Gott im Geist durch eine innige Sammlung und Andacht des Herzens zu Ihm oder zu Seiner Gegenwart in uns. Wir müssen die Gemütsaugen und die Andacht von allen andern Gegenständen abwenden und sie zum Licht Gottes hinkehren und offen halten, in demütiger Gelassenheit die Wirkungen des Lichts und der Gnade erwartend, Wir müssen in die abgeschiedene, lautere , göttliche Gemütsverfassung eingehen, in der die Schreiber damals standen, als sie die Bibel schrieben. Wir müssen die Sinne und Gedanken des Herzens vor allem unnötigen Umherschweifen bewahren und sie vor Gottes Angesicht in Andacht halten. Denn wer im Grund des Herzens bei Gott bleibt, der steht im Licht, wovon es heißt: In deinem Licht sehen wir das Licht.“
- Das liebe Kreuz von außen und von innen! „Anfechtung lehrt auf das Wort zu merken. Aus allerhand Proben, Versuchungen, Dunkelheiten, Ängsten und Leiden von allen Seiten wird das reinste Licht und die tiefste Einsicht in die Heilige Schrift von Grad zu Grad geboren. Auch ein Frommer, der noch nicht versucht ist, versteht wenig. Solange uns die Versuchung nicht aus dem Irrtum geholfen hat, hat man oft viel Lehrens; ja, man ist so gelehrt, dass man nicht alles sagen kann. Nach der Probe aber lernt man mit dem lieben Hiob die Hand auf den Mund zu legen und bekennen sein Elend und seine Blindheit. Sooft eine gläubige Seele in einer Kreuzprobe wohl ausgehalten hat, sooft bekommt sie eine reinere und gründlichere Erkenntnis Gottes, in ihrer selbst und aller Wahrheit auch in der heiligen Schrift. Wo Kreuz ist, da ist Licht!“ Soweit Tersteegen.
Wir sollen unsere Bibel lesen:
VI. Betend!
„Öffne meine Augen, damit ich Wunder schaue in deinem Gesetz,“ sagt David Psalm 119,18. Betend lies deine Bibel, das heißt: Mache aus jedem Vers ein Gebet. Auf diese Weise nehmen wir das Wort leichter auf. Denn es handelt sich vor allen Dingen darum, dass das Wort in uns lebendig wird, dass es unser Herz erfasst, unsern Willen bestimmt und unsere Seele sättigt. „Maria bewegte alle diese Worte in ihrem Herzen“. Und dies geschieht am besten, wenn man es betend in sich aufnimmt und betend auch vor Gott ausspricht. Eine Versuchung des Feindes besteht darin, dass er das Wort von den Herzen der Hörenden oder Lesenden fortzunehmen sucht. Und Folge eines leeren Herzens ist: ein zerstreuter Sinn, ein aufgeregtes Wesen, ein neugieriges Ohr, und eine geschwätzige Zunge. Wahres Gebet ohne regelmäßigen Gebrauch des Wortes Gottes ist ganz undenkbar. Gebet führt zum Wort Gottes und Wort Gottes wirkt Gebet. Lass dein Herz gefüllt sein mit dem Wort Gottes und deine Seele gesättigt mit dem Wohlgefallen Gottes, und du hast den Weg zur Ruhe und zum Schweigen-Können gefunden.
Die Bibel muss unser Gebet-Buch sein, wenn wir ein solches bedürfen. Ein von Menschen gemachtes sollten wir nicht nötig haben. Viele Verse, die deinem Verstand vorkommen wie harte Steine, verwandelt das betende Herz in Brot: ihm quillt aus harten Steinen ein frischer Quell und aus Felsen Honig. Wenn die Alten beteten, waren ihre Worte meist Gottes Wort. An dem Gebet Esra´s merkt man, dass sein Herz mit Gottes Wort erfüllt war. Sind nicht darum unsere Gebete so arm, weil unser Herz so arm ist an Gottes Wort?
Wir sollen unsere Bibel lesen:
VII. Sinnend!
Das heißt ohne in besonderer Weise Licht oder Kraft oder Erbauung haben zu wollen, in ruhigem, stillen Nachdenken, mit Bewegungen und Ergötzen des Herzens, wo man mit Dankbarkeit annimmt, was einem gegeben wird. David sagt im 119. Psalm siebenmal, dass er sinne über Gottes Wort. Er sagt: „Meine Augen sind den Nachtwachen zuvorgekommen, um zu sinnen über dein Wort“ (V. 148). Deine Zeugnisse sind mein Sinnen“ (V. 99) und im 63. Psalm sagt er: „Wie von Mark und Fett wird gesättigt werden meine Seele, wenn mit jubelnden Lippen wird loben mein Mund, wenn ich Deiner gedenke auf meinem Lager, über Dich sinne in den Nachtwachen“, und in Psalm 1: „Tag und Nacht sinnet der Gerechte über das Gesetz Jehovas.“
Das Sinnen über Gottes Wort nährt die Seele, hält den Geist frisch wie der Wasserbach den an seinen Ufern gepflanzten Baum (Ps. 1). Das Sinnen gibt uns jubelnde Lippen, einen lobenden Mund und ein anbetendes Herz (Ps. 63) und Denken führt zum Danken.
Das Sinnen bewahrt vor Sinnlichkeit. Unser Geist muss beständig einen Gegenstand der Betrachtung haben. Ist es nicht Gottes Wort, so ist es etwas anderes. „Mein Geist muss forschen“, sagt David in Psalm 77. Wenn ein bekehrter Mann einen Tabaksbeutel, ein Zigarettenetui oder sogar eine Schnapsflasche mit sich herum tragen kann, warum sollte er nicht ein Testament in seiner Tasche herumtragen können? Bis jener eine Zigarette angezündet hat, hat dieser einen Spruch aus seinem Testament gelesen und das wird ihm eine bessere Unterhaltung und Kurzweil sein als jenem die Zigarette.
Das Sinnen bringt Wahrheiten aus dem Kopf ins Herz, wo sie durch Betrachten, Überlegen und Wiederholen unser eigen werden. Das Nachdenken macht die Vernunft kräftig und tätig, hilft uns aus der Sinnlichkeit heraus und macht uns einen Gegenstand klar und verständlich. „Gehe siebenmal hin“ sprach Elia zu seinem Knaben, der ausgegangen war, nach Regen zu schauen, aber keinen entdecken konnte. Erst beim siebtenmal sah er ein Wölkchen aus dem Meer aufsteigen und dann den ganzen Himmel voll Regen. Gehe siebenmal hin zu dem gleichen Wort, das dir zuerst trocken und dürre vor kam, und du wirst überströmenden Segen darin finden
Schlusswort
Lies die Bibel nicht wie eine Schulaufgabe, auch nicht aus Pflicht, sondern mit der tiefen Ehrfurcht, dem innigen Verlangen und der bestimmten Erwartung, dass Gott mit Dir redet.
Lies die Bibel nicht für andere, denn das ist Heuchelei. Lies sie aber, damit du auch anderen sagen kannst, was in der Bibel steht. Trage große Sorge dafür, dass Du mit Ruhe ein Wort Gottes in das Herz eines Unwissenden oder Widerspenstigen legen kannst. Niemals streite über Gottes Wort oder wegen Gottes Wort. Sobald ein Mensch anfängt zu streiten, schweige und bete.
die edle Gabe,
diesen Schatz erhalte mir;
denn ich zieh es aller Habe
und dem größten Reichtum für.
Wenn Dein Wort
nicht mehr soll gelten,
worauf soll der Glaube ruhn?
Mir ist´s nicht um tausend Welten,
aber um Dein Wort zu tun.
Nikolaus Ludwig Graf von Zinsendorf