Spurgeon, Charles Haddon - Sehr unwissende Menschen

Spurgeon, Charles Haddon - Sehr unwissende Menschen

Ich habe von einem Menschen erzählen hören, der nicht einmal ein großes A und einen Ochsenfuß zu unterscheiden vermochte, und ich kenne genug Leute, die jedenfalls nicht sagen können, was ein großes A oder ein kleines a bedeutet; und doch sind diese Leute trotzdem nicht die unwissendsten in der Welt. So z.B. können sie schon am Schwanz erkennen, was eine Kuh ist, und einer der Herren vom Wahlkomitee sagte neulich, der Londoner Parlamentskandidat könne das nicht. Sie wissen, dass weiße Rüben nicht auf Bäumen wachsen, und sie können eine Mangoldwurzel von einer Runkelrübe unterscheiden, und es gibt feine Leute, die Klavier spielen können und doch ersteres nicht vermögen. Können sie nicht lesen, nun, so können sie doch pflügen und mähen und ernten und säen und sieben Kinder mit zwei Talern die Woche, ohne Schulden zu machen, durchbringen; und es gibt eine Menge Leute, die viel zu unwissend dazu sind. Unbekanntschaft mit Buchstabierbüchern ist sehr schlimm, aber Unbekanntschaft mit harter Arbeit ist noch schlimmer. Die Weisheit spricht nicht immer lateinisch. Man lacht über die Fuhrmannshemden, die das Landvolk bei uns trägt, und sie sind in der Tat so hässliche Gewänder, wie man sie nur hat erfinden können; aber etliche von denen, die sie tragen, sind nicht halb so große Narren, als wofür sie gehalten werden. Wenn keine anderen unwissenden Leute Brot äßen als diejenigen, welche Nagelschuhe tragen, so würde das Korn ein gut Teil billiger sein. Weisheit in einem Armen ist wie ein Diamant in Blei gefasst, nur Kenner können seinen Wert beurteilen. Die Weisheit geht oft in geflickten Schuhen einher, und die Leute bewundern sie nicht, mir aber ist der Mensch lieber als der Rock; was die Nuß für eine Schale hat, ist gleichgültig, auf den Kern kommt alles an. Man braucht nicht erst nach Buxtehude zu gehen, um Ignoranten zu finden, sie sind massenhaft in den großen Städten vorhanden.

Ich wünschte, dass jedermann lesen, schreiben und rechnen könnte, ja, ich glaube auch nicht, dass man zu viel wissen kann; allein Kenntnisse, das behaupte ich, sind noch keine Bildung, und es gibt Millionen, die lesen und schreiben können, und die dabei doch so unwissend sind wie Nachbar Jahnkes Kalb, welches nicht einmal seine eigene Mutter kannte. Diese Wahrheit tritt so deutlich hervor wie die Nase im Gesicht, wenn man nur ein wenig nachdenken will. Lesen und schreiben können heißt: Werkzeuge besitzen, mit denen man arbeiten kann; wenn man aber diese Werkzeuge und seine Augen und Ohren dazu nicht gebraucht, so ist man um nichts gebessert. Jedermann sollte das wissen, was ihn am meisten angeht und ihn am ersten zu einem brauchbaren Menschen macht. Es kann dem Pferd nichts nützen, wenn es fliegen lernt, es versteht genug, wenn es ordentlich traben kann. Ein Bauer sollte alles lernen, was sich auf die Landwirtschaft bezieht, ein Schmied sollte Pferdehufe studieren, eine Milchmagd sollte im Abrahmen und Butter machen bewandert sein, und eine Arbeiterfrau sollte sich vortrefflich auf die Wissenschaft des Kochens und Backens, Waschens und Flickens verstehen; und Pflüger Hans erlaubt sich zu bemerken, dass diejenigen Männer und Frauen, die ihre Berufspflichten nicht verstehen, sehr unwissende Leute sind, sollten sie auch wissen, wie das Krokodil auf Griechisch heißt und eine lateinische Ode über eine Schwalbe machen können. Zu oft trifft hier das Wort zu:

„Man hat Hans Taps nach der Schule gebracht
Und einen rechten Narren aus ihm gemacht.“

Wenn ein Mensch ins Wasser fällt, so wird es ihm nützlicher sein, wenn er schwimmen kann, als wenn er Mathematik studiert hat, und doch wie wenige Knaben lernen schwimmen! Mädchen lehrt man Tanzen und Französisch, während Nähen und eine gründliche Kenntnis ihrer eigenen Sprache ihnen viel nützlicher sein würde. Wenn man in solchen schlechten Zeiten sich seinen Lebensunterhalt verdienen soll, so wird man mit einem guten Handwerk und guten, ökonomischen Gewohnheiten weiter kommen als mit aller Gelehrsamkeit der Universitäten; wer aber spricht heutzutage für eine tüchtige praktische Erziehungsmethode in der Schule?

Die Schullehrer würden in Ohnmacht fallen, wenn man fordern wollte, dass sie Kindern armer Leute Kartoffeln hacken und Kohl pflanzen lehren sollten. Wenn man einen Hund zur wilden Entenjagd oder zur Hetzjagd gebrauchen will, so richtet man ihn dementsprechend ab; warum in aller Welt macht mans mit dem Menschen nicht ebenso? „Jedermann bei seinem Geschäft und jedermann Meister in seinem Geschäft,“ so sollte die Losung lauten. Lasst Fritz und Peter immerzu Geographie lernen, aber vergesst nicht, sie zu lehren, sich die Stiefel putzen und einen Knopf annähen zu können; und was Karoline und Emilie betrifft, so mögen sie meinetwegen Klavier spielen und singen, aber nicht eher, als bis sie Strümpfe stopfen und Hemden nähen können. Wenn das neue Unterrichtsgesetz heraus kommt, so hoffe ich, wird auch die Bestimmung darin enthalten sein, dass die Kinder sich nicht minder auf die praktischen, häuslichen, Gesunden-Menschen-Verstands-Pflichten verstehen müssen, als auf die drei Elementarwissenschaften und den sonstigen Hokuspokus, den man, wenn ich nicht irre, „feine Bildung“ nennt. Hier ist der arme Herr Fein mit sechs Töchtern und kaum 300 Talern Einkommen das Jahr, und doch kann keine von ihnen eine Hand rühren, weil ihre Frau Mutter die Krämpfe kriegen würde, wenn Fräulein Sophie Elfriede raue Hände von der Familienwäsche bekommen oder Fräulein Alexandra Theodora sich ihren Teint mit Garten- und Küchenarbeit verderben würde. Eine Katze kann sich kaum das Lachen verbeißen, wenn man die armen Dinger über Mode und Etikette sprechen hört, während sie doch nicht einmal halb so gut als die Hökerstöchter unten in der Straße stehen, die sich ihr eigenes Brot verdienen und Geld sparen auf die Zeit, dass sich ein junger Landmann ihrer annehmen und sie zur Frau machen wird. Glaubt mir, wer eine von diesen enggeschnürten Modedamen heiratet, macht kein besseres Geschäft, als wenn er sich eine Wachspuppe zur Frau nähme. Frau Fein würde gut aufbrausen, wenn sie michs sagen hörte, aber ich sage es dennoch, dass sie und ihre Töchter unwissend, äußerst unwissend sind, weil sie dasjenige nicht wissen, was ihnen am nützlichsten sein würde.

Jede Sprotte hält sich heutzutage für einen Hering; jeder Esel hält sich für tüchtig, im Marstall der Königin zu stehen; jede Kerze meint, die Sonne zu sein. Wenn aber ein Mann mit seinem besten Rock an, einem Papierkragen um, einer Lorgnette im Auge, einer Tombakkette auf der Weste, einem Spazierstock in der Hand und einem leeren Raum im Gehirn sich dünkt, dass man sein Schwadronieren und Parlieren nicht durchschauen kann, so muss er unwissend, äußerst unwissend sein, denn er kennt sich selbst nicht. Stutzer, die nach der neuesten Mode gekleidet sind, halten sich selbst für große Herren, aber niemand anders tut es. Tanzmeister und Schneider verstehens, einen Gecken gar prächtig aufzutakeln, aber sie können nicht aus einem Nichts einen Mann machen. Mag man einen Mühlstein so viel anstreichen, wie man will, es wird doch kein Käse daraus.

Wenn Geschäftsleute Gesellschaften ihren Verdienst einhändigen und ihn wiederzusehen hoffen; wenn sie Eisenbahnaktien nehmen und Dividenden erwarten; wenn sie Geld zu hohen Zinsen borgen, und ihr Glück damit zu machen glauben, so sind sie unwissend, äußerst unwissend. Ebensogut könnte man einen hölzernen Kessel übers Feuer hängen und sich zum Tee fertig machen, oder Bohnen in einen Fluss säen und eine Ernte erwarten.

Wenn Leute Advokaten oder Geldverleihern (seien sie Juden oder Heiden) Glauben schenken und Geld borgen und damit spekulieren und meinen, dass es ihnen nun nicht fehlen kann, so sind sie schmachvoll unwissend. Selbst der Gänserich auf der Wiese würde sich nicht so anführen lassen, denn er weiß es ganz gut, wenn ihn einer rupfen will, und würde nicht sonderlich über die Operation, durch die er seine Federn verliert, erbaut sein.

Wer sein Geld ins Wirtshaus trägt und meint, dass die Bücklinge, die der Wirt vor ihm macht, sowie sein „herzlich willkommen, lieber Freund“ wirkliche Achtungsbezeugungen sind, der ist in der Tat naiv; denn hier gehts nach der Regel:

„Wer Geld hat, kann sich was erseh'n;
Wer keins hat, seiner Wege geh'n.“

Der Fuchs bewundert den Käse, nicht den Raben auf dem Ast. Der Köder wird nicht in die Falle getan, um die Maus zu ernähren, sondern um sie zu fangen. Wir machen nicht Feuer an, um den Hering zu wärmen, sondern um ihn zu braten. Trinkstuben werden nicht zum Besten der Arbeiter angelegt; ist das in der Tat ihr Zweck, so verfehlen sie ihr Ziel bedeutend. Das ist ein schlechter Brunnen, in den man Wasser gießen muss; und das Bierhaus ist ein schlechter Freund, weil es dir dein alles nimmt und dir nichts übrig lässt, als Bodensatz und Kopfweh. Wer diejenigen Freunde nennt, die einem erlauben, sich bei ihnen hinzusetzen und stundenlang in einem fort zu trinken, der ist unwissend, äußerst unwissend. Sind doch der „Rote Löwe“ und der „Goldene Adler“ und der „Schwarze Bär“ und wie sie sonst heißen, lauter Raubtiere, dass es unbegreiflich ist, warum sich so viele freiwillig in die Gewalt ihrer Zähne und Krallen begeben!

Wer da glaubt, dass die Liberalen oder die Konservativen unsere Abgabenlasten erleichtern werden, der muss am Tage nach dem letzten März geboren sein; und wer von Parochial-Kommissionen Einsicht oder Mitleid erwartet, der muss seine Erziehung in einem Irrenhaus empfangen haben. Wer an Versprechungen bei Wahlen glaubt, der hat lange Ohren und kann Disteln zu essen versuchen. Herr Plausibel ist umhergezogen und hat alle Arbeiter um ihre Stimme ersucht, indem er versprach, dass er allerlei vortreffliche Dinge für sie tun werde. Ja, aber wann? Nun, übermorgen oder etwas später als niemals. Arme Leute, die da meinen, dass die „Freunde der arbeitenden Klassen“ ihnen wirkliche Dienste leisten werden, müssen unwissend, äußerst unwissend sein. Haben die Herren erst ihre Plätze erlangt, so können sie ihre Grundsätze natürlich nur dann verteidigen, wenn es ihrem eigenen Interesse entspricht.

Regenschirme verleihen und erwarten, dass sie einem wieder ins Haus laufen werden; jemand einen guten Dienst leisten und einen anderen dafür erwarten, wenn man desselben bedarf; sich der Hoffnung hingeben, dass man gewissen Weibern den Mund stopfen werde; den Versuch machen, es jedem recht zu machen; glauben, dass böse Zungen gut von einem reden werden, oder denken, durch Hörensagen einer Sache auf den Grund kommen zu können - sind lauter Beweise grober Unwissenheit. Diejenigen, die die Welt am besten kennen, trauen ihr am wenigsten; diejenigen, die ihr überhaupt trauen, sind einfältig genug; man könnte ebensogut einem Pferdehuf trauen oder einem Hundezahn. Anderen vertrauen, stürzt viele ins Verderben. Seid klug wie die Tauben! Wer sein Geschäft Verwaltern oder Knechten überlässt und erwartet, dass es gut betrieben werden wird, muss unwissend, äußerst unwissend sein. Die Maus weiß, wenn die Katze aus dem Hause ist, und Diener wissen, wann ihr Herr abwesend ist. Kaum hat sich des Meisters Auge gewandt, so arbeiten die Gesellen langsamer. Selbstgehen und Selbstsehen sind die besten Knechte auf dem Gut. Diejenigen, die im Bett liegenbleiben und darauf rechnen, dass ihr Geschäft von selbst fortgehen werde, sind unwissend, äußerst unwissend.

Solche, die trinken und schwelgerisch leben, und sich darüber wundern, dass ihre Gesichter so sinnig und ihre Taschen so leer sind, würden sich nicht mehr darüber wundern, wenn sie nur zwei Gramm Weisheit hätten. Sie könnten ebensogut eine Ulme um Birnen bitten, als von unordentlicher Lebensweise Gesundheit und Wohlstand erwarten. Diejenigen, die im Wirtshaus Glück suchen, klettern auf einen Baum, um Fische herunter zu holen. Wir könnten ihren ganzen Verstand in eine Eierschale tun, oder sie würden nicht so aberwitzig sein, sich da Trost zu suchen, wo er ebensowenig zu finden ist, als eine Kuh in einem Krähennest; leider aber sind Tagediebe so zahlreich wie Mäuse in einem Weizenschober. Könnten wir sie doch alle nach dem Schlaraffenland versenden, wo man sich mit Schlafen einen Taler pro Tag verdient! Wenn ihnen jemand den unvermeidlichen Erfolg ihrer schlechten Lebensweise vor Augen stellen könnte, möchten sie sich vielleicht bessern; wiewohl auch das unsicher ist, denn sie sehen ihn schon und fahren doch darin fort wie eine Motte, die sich versengt und doch wieder in die Flamme fliegt. Gewiss, wenn Faulenzer und Säufer meinen, dadurch vorwärts zu kommen, dass sie die Hände in die Tasche und die Nase ins Glas stecken, so liefern sie selber den Beweis dafür, dass sie unwissend, äußerst unwissend sind.

Wenn ich eine junge Dame mit einem Blumengarten auf dem Kopf und einem Manufakturwarenladen am Leibe, den Kopf hin und her bewegen sehe, als ob sie dächte, dass jedermann von ihr entzückt sein müsste, so bin ich gewiss, dass sie unwissend, äußerst unwissend sein muss. Vernünftige Männer wollen kein Garderobenmagazin und kein Hutfutteral heiraten, sie suchen sich eine Frau mit Vernunft, und solche kleiden sich vernünftig.

Ich für meine Person halte auch solche Menschen, die über göttliche Dinge spötteln und die nach ihrer Meinung viel zu klug sind, um an die Bibel zu glauben, für Flachköpfe. Sie haben meistens stolze Worte im Gebrauch und poltern gewaltig; wenn sie aber meinen, dass sie den Glauben denkender Menschen, die die Kraft der Gnade Gottes an sich selbst erfahren haben, zerstören können, so sind sie unwissend, äußerst unwissend. Wer die Sonne auf- und untergehen sieht und darin nicht die Fußstapfen Gottes erkennt, der muss innerlich blinder als ein Maulwurf sein und ist nur geschickt, unter der Erde zu leben. Mir ist es, als spräche Gott mit mir in jeder Primel und in jedem Gänseblümchen, als blicke Er mich freundlich an in jedem Stern, als lispele Er mir etwas zu in jedem Hauch der Morgenluft und riefe mir laut und vernehmlich zu in jeden Sturm. Es heißt, der Mensch sei der Gott des Hundes; der Mensch aber, der Gottes Stimme nicht hören will, muss schlimmer sein als ein Hund, denn der Hund hört auf seines Herrn Pfeifen. Sie nennen sich ja wohl Philosophen? Ihr eigentlicher Name ist aber Toren, denn der Tor spricht in seinem Herzen: „Es ist kein Gott.“ Die Schafe wissens, wenn der Regen kommt, die Schwalben sehen den Winter voraus, und selbst die Schweine, sagt man, riechen den Wind; wieviel schlimmer als ein unvernünftiges Tier muss denn der sein, der da lebt, wo Gott sich überall offenbart und Ihn dennoch nicht sieht! Man sieht hieraus, dass ein Mensch den ganzen Kopf voll Gelehrsamkeit haben und dennoch unwissend, äußerst unwissend sein kann.

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