Spitta, Carl Johann Philipp - Jesus sah ihn an.

Spitta, Carl Johann Philipp - Jesus sah ihn an.

Als Petrus den Herrn verleugnet hatte, wandte sich Jesus und sah ihn an. Luc. 22, 61. Der Blick ging ihm zu Herzen. Wisse, daß der Herr, welcher bei uns ist alle Tage, auch dich in allem deinen Thun und Lassen ansieht. Das ist sehr tröstlich, aber auch sehr beugend. Welche unangenehme Ueberraschung, welche tiefe Beschämung, welche peinliche Verlegenheit hat schon mancher empfunden, wenn er allein zu sein glaubte und plötzlich inne ward, daß ein Anderer ihn gesehen? Und wenn du nun immer denkst: „Der Herr sieht mich an!“ welch einen Einfluß muß das auf dein Thun und Lassen haben! Darum hast du deinen Herrn verläugnet, wie Petrus, so bedenke, daß seine Augen dich ansehen, wie ihn, daß er mußte hinausgehen und bitterlich weinen. Und willst du nicht mitweinen? Hat er das um dich verdient, daß du aus Menschenfurcht dich stelltest, als kenntest du ihn nicht, als ginge er dich nichts an? - Es mangelt dir auch oft die Liebe. Aber wo du Herz und Mund und Hand vor dem Bruder verschließest, und kalt und fremd gegen ihn bist: bedenke, der sieht dich an, der gesagt hat: „Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habet.“ Und du solltest deine Lieblosigkeit vor ihm dich nicht schämen? Auch hast du deine Stunden, wo du mit deinen Gedanken hoch hinaus fährst, wo du nach Huldigungen und Ehrenbezeugungen der Welt lüstern bist. Aber wenn dich die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit aufblähet, bedenke, die Augen dessen sehen auf dich, der, ob er wohl wußte, daß er vom Vater gekommen war und zum Vater ginge, aufstand und seinen Jüngern die Füße wusch; ja, der aller Ehrenkronen werth, sich mit Dornen krönen ließ. Und du solltest vor seinen Augen deiner Eitelkeit dich nicht schämen? - Du möchtest auch wohl für die Sache des Herrn etwas Großes thun oder leiden, aber die Treue, die Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit in kleinen Dingen, in den täglichen Verkommenheiten deines Standes und Berufes, die unscheinbaren Uebungen der Gottseligkeit im häuslichen und bürgerlichen Leben, scheinen dir nicht der Mühe und Sorgfalt werth. Aber wo du in solchen Dingen gleichgültig und nachlässig, oder unmuthig und verdrossen bist; bedenke, die Augen dessen sehen auf dich, der gesagt hat: „Wer nicht im Kleinen treu ist, der ist auch nicht im Großen treu!“ Und du solltest deiner Untreue dich nicht schämen? - Du weißt, an wen du glaubst, und liebst deinen Heiland; aber wo du die Ungläubigen und Verächter (die vielleicht nur sind, was du zuvor warst) verachten, verwerfen, spotten und lästern hörst, da beginnt in dir ein Zornfeuer aufzulodern, während der dich ansieht, der einst über Jerusalem seufzte und weinte. Schäme dich und bitte ihn: „Herr Jesu, gieb mir auch gegen deine Feinde ein Herz nach deinem Herzen!“ - Siehe, so stelle dich in allen Fällen vor die Augen des Herrn, halte es dir gegenwärtig: „Er sieht mich an, wie ich bin, wie ich denke, rede, handle, leide;“ das wird dich beschämen und dein Herz erweichen, daß es sich umbilden läßt in sein Bild, bis du dereinst sein Ansehn dort wirst ohne Beschämung ertragen können, weil du sein Bild trägst. Amen.

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