Spener, Philipp Jakob - Die Gerechtigkeit Jesu Christi, eine Frucht der Wiedergeburt
(Jer. 23, 6)
Also betrachten wir, wie dieses ein teures Gut der Wiedergeburt sei, daß Christus seinen Gläubigen der Herr, ihre Gerechtigkeit ist.
1. Er muß aber auch unsere Gerechtigkeit sein.
2. Ist dieses erstlich zum Grund zu legen, daß Christus selbst gerecht sei (Jes. 53, 11 ; Sach. 9, 9; 1. Joh. 2, 1, 29.3, 7; Hebr. 7, 26; Joh. 8, 29. 15, 10; Röm. 5, 18). Als Bürge ist er für uns gerecht. Wie denn eines Bürgen Gerechtigkeit darin besteht, daß er völlige Zahlung leiste.
Er war gekommen, daß er uns wieder zu dem Vater, in dessen Vereinigung die Seligkeit besteht, brächte und uns das Recht gäbe, wiederum zu demselben und seiner Gnaden Genuß zu kommen. Da wäre aber seiner Gerechtigkeit entgegen gewesen, uns zu dem Vater und der Seligkeit zu bringen, wo wir immer ungerechte und Sünder blieben, also mußte er uns zu einer Gerechtigkeit helfen, in welcher wir vor Gottes gerechtem Gericht bestehen und deswegen vor seinem Angesicht ohne Furcht und getrost erscheinen dürften. Diese Gerechtigkeit hat er uns aber so zuwege gebracht, daß er selbst unsere Gerechtigkeit würde, das ist, daß seine Gerechtigkeit unsre würde. Wo wir aber zu merken haben, daß, wenn wir sagen, daß seine Gerechtigkeit unser werden müsse, nicht von der Gerechtigkeit seiner Person, sondern der für uns in Gehorsam und Leiden erworbenen Gerechtigkeit geredet werde, die unser werden muß, welches nicht anders als durch eine Zurechnung geschehen könnte, 2. Kor. 5,21.
3. Diese Gerechtigkeit nun, die uns der Herr selbst wird, hat in sich die Vergebung der Sünden … Also weil die Sünde unser größtes Elend ist, so ist hingegen diese Gerechtigkeit, die wir in Christo haben oder dazu er uns geworden ist, unser größtes Gut, das uns von solchem größten Übel der Sünden befreit. Denn es werden, nach Art zu reden der Schrift, die Sünden ganz weggenommen, daß es vor Gott sei, als wären sie nie gewesen, 2. Sam. 12, 13; Ps. 51, 3; Jer. 50, 20.
Daraus folgt: Wenn ich Vergebung der Sünden habe, so ist keine Sünde mehr da. Darin besteht nun die größte Herrlichkeit der Kinder Gottes, daß, ob sie wohl, in sich betrachtet, immer noch Sünder wären, sie gleichwohl in Christo wahrhaftig vor Gott Gerechte sind und keine Sünde mehr vor Gottes Gericht haben, als die alle an ihnen bedecket und getilget sind. Es sind vergeben und also ganz abgetan alle vorigen Sünden, wie schwer sie gewesen und wie lang sie fortgesetzt worden wären, Hes. 18, 22. Es sind auch vergeben alle Sünden, die der Gläubige noch wirklich an sich hat. Denn wo sich auch der Wiedergeborne, wie er in sich sei, betrachtet, so findet er, was auch Paulus klagt Röm. 7, 18. 23. Wo zwar nicht zu leugnen steht, daß solches bei Kindern Gottes, weil sie ganz rein wären, eine Wehmut erwecke. Es heißt aber doch gleich darauf, Röm. 8, 1: Da sehen wir Leute, in denen das Fleisch, und also die sündliche Verderbnis, vorhanden, auch dieselbe noch so kräftig ist, daß sie den Menschen reizt und treibt, danach zu wandeln, also daß der Geist und die neue Natur immer nötig hat, solchem Trieb zu widerstehen. Daher also noch immer auch wirkliche, obgleich Schwachheit-Sünden bei ihnen sind: Aber weil sie in Christo Jesu sind, so ist nichts Verdammliches mehr an ihnen, und also haben die Sünden alle ihre Kraft, die da in der Verdammnis stünde, an ihnen vor Gottes Gericht verloren und sind getilgt, daß Gott solche seine Kinder in Christo dermaßen ansieht, als hätten sie ganz keine Sünde an sich. Jes. 50, 10.
4. Solche Gerechtigkeit ist nicht eine von Christo erst gewirkte, sondern seine eigene geschenkte Gerechtigkeit.
5. Diese Gerechtigkeit Jesu Christi ist nun ein herrliches Gut der Wiedergeburt. Ja wir haben gesehen, daß die Schenkung derselben nach unserer Erklärung selbst das andere Stück davon ist. Es mag aber auch dero Frucht heißen, weil sie nicht allein, so zu reden, in dem ersten Augenblick der Wiedergeburt, so dadurch geschieht, geschenkt wird, sondern weil die Wiedergebornen, solange sie in ihrer Wiedergeburt stehen, immerfort derselbigen genießen und auch noch in jenem Leben darinnen leuchten, wie es denn wahrhaftig eine ewige Gerechtigkeit ist.
Dieses ist also der selige Wechsel der Personen, in welchem die vornehmste Kraft des Evangelii besteht, daß vor Gott Christus an der Sünder Stelle trat, und hingegen wir, wo wir im Glauben das Recht an Christum und seine Gerechtigkeit erlangen, hinwieder an seine Stelle treten und nicht mehr vor Gottes Gericht in uns, sondern in ihm angesehen werden.
Nun ist dieses eine vortreffliche Würde und Gut. Weil wir aber gehört, es müsse solche Gerechtigkeit, um auch unser zu sein, uns geschenkt und zugerechnet werden, welches aber keinen andern als Bußfertigen und Gläubigen geschieht, so müssen wir trachten, um solches Trostes zu genießen, auch unter den Bußfertigen und Gläubigen erfunden zu werden. Es ist diese vorgetragene Lehre eine von den wichtigsten, die wir zu treiben haben, und besteht gleichsam das Herz des Evangelii in derselben, wie sie denn der Grund der Seligkeit ist und unser Glaube immer darauf beruhen und sich damit unterhalten muß. Indessen ist's auch diejenige Lehre, welche leider so sehr mißbraucht wird als irgendeine unter allen. Denn woher kommt's, daß ihrer so viel sich allerdings nicht der Heiligung befleißigen, sondern wohl wissentlich und vorsätzlich in Sünden fortfahren, als daß sie sich damit betrügen, indem sie meinen, weil wir nicht aus unsrer Heiligkeit vor Gott bestehen dürften, sondern allein aus der zugerechneten Gerechtigkeit Jesu Christi, daß man denn Gott auch in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu dienen nicht nötig habe: ja, wo man sich derselben mit Sorgfalt befleißigen wollte, röche dieses nach der Werkheiligkeit und wäre der Gerechtigkeit Jesu Christi verkleinerlich, als wenn man ihr, so zu reden, einen Fleck noch anflicken wollte, so ihrer Vollkommenheit entgegen wäre. Da etwa wohl gar von Leuten, die aus dieser Lehre sich in Sicherheit stärken, die herrlichen Worte Pauli schändlich mißbraucht werden Phil. 3, 9: Man wolle in Christo erfunden werden, daß man nicht habe seine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. Welches je ein schändlicher Mißbrauch ist. Freilich sollen wir vor Gott nicht haben die Gerechtigkeit aus dem Gesetz, nicht, daß wir nicht nach demselben ernstlich einherzugehen uns bemühen müssen, sondern, daß wir solche Gerechtigkeit nicht vor Gottes Gericht bringen, noch das wenigste von unserm Vertrauen drauf setzen, als welche Ehre Christo allein zukommt, und seine Gerechtigkeit viel zu vollkommen ist, als daß sie unsers Flickwerks bedürfte.
Indessen eben der Paulus, der zu seiner Rechtfertigung nichts von seiner Gerechtigkeit wissen will, befleißigt sich doch immer eines gerechten heiligen Lebens und übt sich nach Apostelgeschichte 24, 16 zuhaben ein unverletzt Gewissen allenthalben, beide gegen Gott und die Menschen, welches eine Gerechtigkeit des Lebens ist, er aber dieselbe drum nicht vor Gott, daraus selig zu werden, brachte. Insgesamt aber zu der Erlangung der Gerechtigkeit Jesu Christi und dero Zurechnung ist allerdings der Glaube, und zwar der wahre lebendige Glaube, nötig, der mit dem Sündenleben nicht besteht: und also welchen sein Gewissen, daß er noch wahrhaftig der Sünde diene, überzeugt, eben daraus schließen muß, daß es lauter Betrug sei, was er sich für süße Träume macht von der vollkommenen Gerechtigkeit Jesu Christi, mit der er vor Gott erscheinen wolle. Denn sein Glaube ist nur eine Einbildung, keine Wahrheit, kein wahrer lebendiger Glaube, sondern etwas Totes, das die Gerechtigkeit Jesu Christi nicht ergreifen oder erlangen kann. Also ferner, wo die Gerechtigkeit Jesu Christi ist, da wirkt sie noch eine andere Gerechtigkeit des Lebens. Daher auch unser Lutherus diese mit zu diesem Spruche zieht (Band 3 Altenb. Ausg., S. 804 b), nachdem er erst der Vergebung der Sünden gedacht hatte: „Danach, daß uns nicht allein die Sünden vergeben sind und Gerechtigkeit da sei, sondern es ist auch allhie eine Heiligung von den übrigen Sünden, daß uns die übrigen Sünden nicht schaden. Denn Christus ist allda die allerwahrhaftigste Gerechtigkeit, der ist ganz gerecht und rein und reinigt uns auch von den Sünden, die noch in unserm Fleische stecken … Darum, weil Christi Gerechtigkeit unser ist, so feiert sie nicht, sondern fegt und reinigt uns, solange wir hier leben, bis daß wir auch rein und heilig werden, wie Christus heilig ist. Aber das alles kommt von ihm her.“ Phil. 1, 1 ; Phil. 1, 11; Eph. 5, 9; 1. Joh. 3, 10. Da also der Heilige Geist mit deutlichen Worten die Gerechtigkeit des Lebens zum richtigen Kennzeichen der Wiedergeburt und also auch der Gerechtigkeit Jesu Christi macht