Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 22. Andacht.
Psalm 147.
Welch wunderbar schöner, herrlicher Psalm ist das wieder, meine Lieben; eine wahre Perlenschnur von herrlichen Gedanken. Der Psalmist ergeht sich wieder in Loben und Danken, in Preis und Anbetung der unendlichen Majestät Gottes. Wenn wir nicht recht von Herzen danken und ihm lobsingen können, ja, wenn nicht gleich beim Erwachen am frühen Morgen unser Herz zum Danken gestimmt ist, so ist meistens etwas zwischen dem Herrn und uns; es liegt noch ein Bann auf dem Herzen, der es hindert, freudig und fröhlich zu sein. Ein Kind Gottes kann allezeit fröhlich sein, ja es hat alle Ursache dazu. Finstere, traurige Gemüter machen dem Herrn viel Betrübnis und auch viele Arbeit. Warum? Weil Er alles für uns und uns zu gut getan hat. Er trug alle unsere Krankheit und lud auf sich alle unsere Schmerzen. Ja, er büßte am Stamm des Kreuzes alle unsere Sünden, meine und deine Sünden, und wären sie blutrot oder kohlschwarz, sie sind gebüßt, glaube es nur, liebe Seele! Haben wir da nicht alle Ursache, getrost, fröhlich und dankbar zu sein? Wenn wir aber diese Seine Gnade nicht ergreifen, sondern uns in eigener Kraft der Besserung befleißigen wollen, dann können wir freilich nicht glücklich sein. Aber, meine Lieben, wie töricht sind alle diejenigen, welche sich also plagen und abmühen, die dargebotene Gnade unseres Heilandes nicht froh und freudig ergreifen, alle ihre Sorgen auf Ihn werfen, getrost glauben und Ihm vertrauen wollen. Der Psalmist führt uns die Macht und unendliche Majestät unseres Gottes vor, zählt auf, was Er, der Große und Erhabene, Alles zu tun im Stande ist, was Er schon getan hat und immer noch tut. Wir nichtswürdige Kreaturen misstrauen ihm, der Milliarden von Sternen geschaffen und alle mit Namen nennt, der den Himmel mit Wolken bedeckt und gibt Regen auf Erden, der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die Ihn anrufen. V. 9. Er will uns Alles, was wir brauchen, geben, und alle unsere Wege und Verhältnisse zu unserem Besten leiten und ordnen. Es ist gar nicht zu sagen, wie viel Schmerz, wie viel Mühe und Arbeit unser ungläubiges Herz voll Unart und Tücke dem lieben Heiland bereitet. Es ist Ihm viel leichter, tausend Welten zu schaffen, als ein einziges Menschenherz umzugestalten und demütig zu machen. An unserem verzweifelten Hochmut, Eigenliebe und Ehrsucht scheitert Alles. So lange wir noch nicht ganz willenlos, zerbrochen und vernichtet sind, unsere völlige Ohnmacht und Gottes Größe und Allmacht erkennen, so lange kann der Herr nichts Wesentliches an uns tun. Denn V. 3 heißt es: „Er heilt die zerbrochenen Herzens sind und verbindet ihre Schmerzen.“ So lange wir uns noch nicht ganz zerbrochen, arm, hilflos und elend fühlen, so lange sehnen wir uns nach keinem Erlöser und Helfer, suchen nur unsere Eigenliebe, Eigenehre und eigene Gerechtigkeit. V. 6 heißt es: „Der Herr richtet auf die Elenden und stößt die Gottlosen zu Boden.“ Wer sich recht arm, nichtswürdig und hilfsbedürftig fühlt, mit einem Wort, ganz elend ist, dem hilft der Herr eilends, gibt ihm über Bitten und Verstehen, ohne Maß und Ziel, im Leiblichen wie im Geistlichen. Es ist und bleibt wahr: Jeder ist der eigene Schmied seines Glückes oder Unglücks. Der Weg ist uns bekannt, die Gnade ist uns angeboten, wir dürfen nur gehorsam sein, unseren eisernen Sinn und Willen brechen und dem Herrn das Weitere überlassen. Wenn wir aber fortfahren in unserer Halsstarrigkeit und dem Satan wieder aufs Neue unser Ohr leihen, im Hochmut und Eigenliebe beharren und alle dargebotene Gnade und Segnungen verachten, dann wird der Herr, wie es in Vers 6 heißt, „die Gottlosen zu Boden stoßen.“ Wir haben also zu wählen zwischen diesem und jenem Weg, welchen wir einschlagen wollen, und ich meine, die Wahl sollte uns nicht schwer werden. Bei dem Herrn ist Gnade und viel Vergebung.
Wir wissen Alle, dass wir von Natur fluch- und verdammungswürdige Sünder sind, dass unsere Herzen verzweifelt böse, mit Retten und Banden der Finsternis gebunden sind, dass wir uns selber nicht helfen können, der Herr aber Alles an uns tun möchte; darum wollen wir nicht länger zaudern und uns gerade wie wir sind, Ihm zu Füßen werfen und Ihn bitten, dass Er uns durch Seine Gnade und Liebe reinigen und von aller Unlauterkeit und Bosheit unseres verkehrten Herzens, dessen ganzes Dichten und Trachten eitel und dessen Regungen grundverdorben sind, gründlich heilen wolle! Unser Inneres muss einem reinen Kristallglas ohne Makel gleichen, denn die Flammenaugen des Herrn sehen bis auf den tiefsten Grund, und alles Unreine und unlautere ist Ihm ein Gräuel. Zu diesem Reinigungsprozess gehört aber die tiefste Demut und Willenlosigkeit, und zwar müssen wir uns zuerst ganz klar sein über das Wesen der Demut, damit wir uns nicht täuschen und betrügen. Wenn wir unsere Sünden erkennen und bereuen, so glauben wir oft demütig genug zu sein. Es gibt auch Seelen, welche immer klagen über den Abfall von Gott, über Untreue und Versäumnisse im Allgemeinen; deckt man ihnen aber eine Lieblingssünde, einen Fehler auf, da schreien und jammern sie und wollen es doch nicht sein. Ist das nicht Heuchelei? O, meine Lieben, es ist ein großes Stück Arbeit, sein Herz, das so durch und durch von der Sünde verderbt ist, in allen seinen Schattierungen kennen zu lernen. Wir dürfen wohl ernstlich den lieben Heiland bitten, uns Klarheit über unser Inneres zu schenken. Er wolle uns auch Aufmerksamkeit und Wachsamkeit verleihen, dass wir doch genau unterscheiden lernen, was Einflüsterung des Satans und was Einwirkung des heiligen Geistes ist. Wir wollen den Herrn bitten um die Einfalt und den Sinn eines gehorsamen Kindes. Sind wir nicht beständig auf der Hut und in der richtigen Herzensstellung zum Heiland, so sind wir keinen Augenblick sicher, wieder unter die Herrschaft der Sünde zu kommen. In dieser Gefahr bleiben wir unser Leben lang, darum dürfen wir uns auch nie einer falschen Ruhe überlassen. Deshalb empfiehlt der Herr uns selbst zu wachen und zu beten, damit die Sünde keinerlei Macht über uns bekomme; denn, liebe Seele, kannst du glauben, dass es wirklich des Herrn Wille ist, dass dein Christenlauf ein immerwährendes Fallen und Wiederaufstehen sei bis an dein Ende? Nimmermehr! Allerdings bedarf es einer täglichen Reinigung durch das Blut Jesu, einer fortwährenden Erneuerung.
„Wenn Jesus Christus bleibt der Herr,
Wird's alle Tage herrlicher.“
Ich habe heute schon sagen müssen, dass ich es nicht aussprechen könne, wie unaussprechlich glücklich und freudig mich die Liebe Jesu und Sein Erbarmen mache, und so, ihr Lieben, muss es auch bleiben wie Paulus Philipper 4. V. 4. sagt: „Freut euch in dem Herrn allwege, und abermal sage ich: freut euch.“ So muss es durchs ganze Jahr hindurch sein, sonst führen wir ein Barometer-Christentum, welches dem Herrn unmöglich gefallen kann. Ja, je tiefer wir eindringen in die seligen Gottesgeheimnisse, desto klarer sehen wir die Gefahr, in der wir beständig schweben, und desto notwendiger brauchen wir den Beistand und die Hilfe des Herrn. In ganz besonderen Versuchungen stehen die Seelen, an welchen sich die Gnade und das Erbarmen Gottes schon bewiesen hat, die Er als Werkzeuge zu Seinem Dienst würdigt, da ist der Feind doppelt geschäftig, den Hochmut, die Eigenliebe und eigene Ehre wieder zur Flamme anzufachen, dass sie, was der Herr gewirkt, der eigenen Kraft und dem eigenen Verdienst zuschreiben, sich darin sehen und gefallen sollen. O, da zieht der Herr die Gaben, mit denen Er die Seele gesegnet hat, wieder zurück und stellt sie aufs Trockene, bis sie gelernt hat, dass sie sich die Ehre angemaßt, die doch dem Herrn allein gebührte.
Merken wir uns doch recht, meine Lieben, dass wir Staub sind und nichts, gar nichts ohne den Herrn vermögen, damit wir uns nie vermessen, in Unabhängigkeit von ihm leben zu wollen. Was wir sind und haben, ist Alles des Herrn, alle Güter und Gaben sind nur anvertraute Pfunde, die Er uns in jedem Augenblick wieder entziehen kann. Darum wollen wir recht vorsichtig wandeln, keinen Augenblick von der Hand Jesu weichen, fest auf den Herrn blicken und allezeit und ohne Unterlass beten, besonders um totale Vernichtigung, gänzlichen Willensbruch und unbedingten Gehorsam. Wir wollen angelegentlichst um die Inwohnung des heiligen Geistes bitten; dann aber wird es der Seele wohl und sie darf bald den Frieden Gottes genießen, nämlich ein unbeschreibliches Wohlsein nach Innen und Außen; dann wird ihr das Danken und Lobsingen Seines heiligen Namens zum wahren Bedürfnis. Ja, wir werden rühmen und preisen die Güte des Herrn, und hier schon freudig in das Hallelujah des Psalmisten einstimmen, bis wir es einst droben mit der vollendeten Schar ewiglich im höheren Chor anstimmen dürfen. Das gebe der Herr! Amen.