Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - Das vierte Hundert.
301. Das Buch Papier.
Als Gotthold im Beisein eines guten Freundes etliche Buch Papier gekauft hatte, sagte er: Ich gedenke jetzt an einen berühmten und klugen Weltmann, der, als er von einem jungen Herrn gefragt worden, was für ein Buch von Welthändeln er ihm vor andern empfehlen wollte, geantwortet: Ein Buch rein Papier; das nehmet und reiset damit durch die Welt, habt fleißige Acht auf alles, was euch Merkwürdiges vorkommt in Regiments- und andern Sachen, und verzeichnet es euch und andern zur Nachricht, so werdet ihr ein gutes Buch haben, daraus ihr viel lernen könnt. Dieser kluge Mann hat die Erfahrung und die Beobachtung der Exempel höher gehalten, als alle andern Bücher. Gewiß, ich sollte fast auf gleiche Gedanken in geistlichen Dingen kommen. Wenn jemand von Kindesbeinen dazu angehalten würde, daß er Register hielte über die Wohlthaten Gottes und über die Wunder seiner Güte und Gerechtigkeit, die er an ihm selbst und andern sein Leben lang sieht und erfährt, was meint ihr, wie ein herrliches, nützliches Buch sollte sich einer zusammen bringen? Wie erbaulich und tröstlich würde es sein, im Durchblättern sich zu erinnern, wie uns Gott so wunderlich, doch gnädiglich geführt, so väterlich versorgt, so mächtiglich beschützt, so kräftig getröstet und seine väterliche Liebe, Treue, Langmuth, Sorgfalt und Güte so reichlich und mannigfaltig an uns erwiesen? Was mich betrifft, wenn ich alle große Barmherzigkeit, die mein Gott an mir gethan hat, sollte nach allen Umständen ausschreiben, ich wollte mehr, als ein Buch Papier damit erfüllen. Ich weiß es nicht allein aus dem Wort meines Gottes, sondern hab es auch in meinem ganzen Leben erfahren und befunden, daß Gott allmächtig, allweise, allwissend, gerecht, heilig, gnädig, gütig, langmüthig und von großer Gnade und Treue sei, ich hab es erfahren, daß er ein Vater der Waisen ist, daß er ein Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes ist, daß er uns mit seinen Augen nach seinem Rath leitet und uns endlich mit Ehren annimmt, daß er so allmächtig, weise und gütig ist, daß er auch aus dem Bösen weiß etwas Gutes zu machen, daß er oft unser Gebet erhört, oft nicht erhört, um einerlei Ursach, nämlich um unsers Besten willen, daß er es nicht böse mit uns meinen kann. Und hierin werden mir ohne Zweifel alle frommen Herzen Beifall geben. Was machen wir denn oft mit dem lieben Gott für Händel und sind so Zweifel- und kleinmüthig und so übel zufrieden mit seinen Wegen, als wüßte er an uns die erste Probe seiner Barmherzigkeit, Allmacht, Weisheit und Wahrheit sehen lassen? Oder als wenn wir heute erst mit ihm bekannt würden und seiner Treue nicht versichert wären. Kann er sich doch, wenn wir ja seinem Wort allein nicht trauen wollen, aus unsere eigne Erfahrung berufen und sagen: Ihr seid meine Zeugen! Jes. 43, 10. Was bekümmert ihr euch doch? Vernehmet ihr noch nichts und seid noch nicht verständig? Habt ihr noch ein verstarret Herz in euch? Habt Augen und sehet nicht, und habt Ohren und höret nicht, und denket nicht daran, Marc. 8, 17. 18. Da ihr in dieser oder jener Noth und Gefahr waret, wer hat euch geholfen und ausgeführet? Da ihr betrübt waret, wer hat euch getröstet? Da ihr verlassen waret, wer hat sich euer angenommen? Da ihr Waisen waret, wer hat euch versorget? Hab ichs nicht gethan? und kann ichs denn nicht ferner thun? Ich habe eine christliche kreuz- und tugendreiche Wittwe gekannt, welche berichtete, als sie wäre in ihren betrübten Zustand nach Gottes Willen gesetzt und noch nicht viel Erfahrung gehabt, so habe sie oft, sonderlich wenn es gegen den Winter gegangen, da jeder nach Möglichkeit sein Haus mit allerlei Nothdurft versorgt, und sie keine Mittel gewußt, sich auch mit Vorrath zu versehen, sorgliche Gedanken gehabt und manche Thränen aus Mißtrauen und Kleinmüthigkeit vergossen, als sie aber endlich durch jährliche Erfahrung gelernt, daß sie der himmlische Vater wunderlich versorge und ihr über all ihr Denken und Verhoffen hindurch helfe, habe sie hernach nicht mehr auf sich und ihr Unvermögen, sondern auf Gott und seine unbegreifliche Weisheit und väterliche Güte gesehen, welche sie nunmehr so oft erfahren, daß sie sich weder gegen den Winter, noch sonst mehr gräme oder bekümmere. Nun, mein Gott! ich habe es erfahren, daß du mein Gott bist, ich habe viel Proben deiner väterlichen Fürsorge und Treue, ich thäte dir das höchste Unrecht, wenn ich einiges Mißtrauen in dich setzen wollte.
302. Der Blumentopf.
Gotthold sah in einem Lustgarten etliche Blumen in schön gezierten, gemalten und auf einem erhabenen Gestell gesetzten Töpfen prangen; er gedachte bei sich selbst: auch diese Blumen sind Töchter der Erde, sie leben von der Erde und werden zur Erde. Diese prächtigen und erhabenen Töpfe sind nichts, als eine angestrichene Erde, mit Erde gefüllt. Es wird nicht lange hin sein, so weiß man von diesen prächtigen und in der Höhe prangenden Blumen eben so viel zu sagen, als von den niedrigen und an der Erde kriechenden Veilchen, die im März abgeblüht haben. Darum könnte man einen solchen Blumentopf malen mit der Beischrift: Blumen sinds! Oder: Erde ists, und nichts mehr. Oder: Vergänglich, wie andere! die Hoheit der Welt und ihre Herrlichkeit zu bedeuten. Gott hat zwar in dem Lustgarten der Welt etliche Personen über andere erhoben und sie in ihren Würden, Ehren, Aemtern, Reichthum, Wohnung, Kleidung, Bedienung, vor andern ansehnlich und prächtig gemacht, doch bleiben sie nichts desto weniger Erde und Asche, leben von der Erde, wie andere, und wenn sie ausgeblüht und ihre Zeit vollendet haben, so werden sie zur Erde. Merkwürdig ists, was der Herr von Thou berichtet, daß in vorigen hundert Jahren innerhalb zwölf oder dreizehn Monaten abgefallen und verwelkt sind nachfolgende hoch erhabene Blumen: Karl der Fünfte, römischer Kaiser, König in Spanien u. s. w., zwei Könige in Dänemark, einer, der auf dem königlichen Thron saß, Christian der Dritte, und ein anderer, der im Gefängniß gehalten ward, Christian oder Christiem der Andere, ein König in Frankreich, Heinrich der Andere, der im Lustspiel und Speerbrechen tödtlich verwundet worden, ein Herzog zu Venedig, Laurenz Priulus, ein römischer Papst, Paul der Vierte, ein Pfalzgras und Churfürst des Reichs, Otto Heinrich, ein Herzog von Ferrara, Herkules Atestinus, und endlich drei Königinnen, Eleonora, Königin in Frankreich, Maria in Ungarn, und Bona Sforzia in Polen; diesen aber thut der Jesuit Strada hinzu noch einen Churfürsten, den Erzbischof zu Köln und zehn Kardinäle, die ihrem Papst im Tode Gesellschaft geleistet; das sind zusammen zwei und zwanzig kaiserliche, königliche, fürstliche und hocherhabene Personen; das mag eine rauhe Luft für solche Blumen gewesen sein! So geht nun hin, ihr Menschenkinder, und rühmt euch eures hohen Standes, eurer Ehren und Herrlichkeit und höret dabei, was der Prophet sagt: Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Heu verdorret, die Blume verwelket, denn des Herrn Geist blaset darein. Das Heu verdorret, die Blume verwelket, (die Wiederholung geschieht nicht umsonst), aber das Wort Gottes bleibet ewiglich. Jes. 40, 6. 7. 8. Mein Gott! Niedrig sein ist recht hoch sein! Ich achte keine Hoheit, als die auf Demuth gegründet ist, ich achte keine Zierde, als die ewig währet. Laß mich in meiner Niedrigkeit dir zu Ehren und meinem Nächsten zu Dienst blühen, so lange es dir gefällig ist, laß mich aber auch eine Paradiesrose werden, die vor deinem Angesicht ewiglich blühe!
303. Die Zeigerscheiben.
Es wurden in einer berühmten Stadt an einem Kirchthurm zwei Scheiben angefestet, daß sie vermittelst der inwendig bereiteten Uhr die Stunden an ihren großen vergoldeten Zifferlinien zeigen sollten, wie man dergleichen auch hin und wieder in Städten und Dörfern findet. Gotthold sah dieses und sagte: Billig werden die Stunden mit goldenen Buchstaben oder Ziffern gezeichnet, damit sich ein jeder dabei erinnern möge, daß die Zeit theuer und mit keinem Golde zu bezahlen sei. Chrysaurus, ein gottloser Edelmann, wie Gregorius, Bischof zu Rom, mit dem Zunamen der Große, berichtet, sah in seinem Todtenbette die höllischen Geister in schrecklicher Gestalt um sich, die auf seine Seele warteten; daher schrie er mit ängstlicher Stimme: Ach Zeit, nur bis morgen! Gebet mir nur Zeit bis morgen! Es half aber nicht, seine Zeit war aus, die Gnadenzeit war verstrichen. Was meint ihr, hätte dieser Mann wol gegeben für etliche wenige Stunden, daß er sie zur Buße hätte anwenden mögen? Aber, ach wie wenig wird dies bedacht! Wie wird die edle Zeit so liederlich verbracht! Die meiste Zeit verschlafen, verspielen, verschwatzen, vertrinken, vereisen und verbringen wir ohne sonderlichen Nutzen und dünket uns die Zeit am längsten, da wir mit Gott reden, oder ihn reden hören, oder gottselige Betrachtungen und Gewissensprüfung anstellen, oder sonst etwas zu unserer Seele Nutz verrichten sollen. Der Zeiger an dieser Scheibe geht immer herum und überläuft eine Stunde nach der andern, endlich wird er meine und eure Todesstunde zeigen und man wird von uns sagen: in dieser oder der Stunde ist er verschieden! Hernach wird keine Zeit mehr sein, sondern nur die Ewigkeit. Darum lasset uns alle Stunden anwenden und keine ohne Gewinn auf die Ewigkeit vorbei lassen! Lasset uns, so oft wir die Hand an dieser Scheibe ansehen, uns dabei erinnern der Hand, die dem sichern und trunkenen Belsazer sein Urtheil an die Wand schrieb und ihm die herannahende Todesstunde andeutete. Daniel 5, 25. Lasset uns nicht allein Gott bitten, daß er uns lehre unsere Tage, sondern auch unsere Stunden also zählen, daß wir klug werden. Ps. 90, 12. Lasset uns bei jedem Glockenschlag bedenken, daß ein Theil unserer Zeit verflossen ist, davon wir unserm Gott nach der Zeit Rechnung abstatten sollen. Als wir denn nun noch Zeit haben, so lasset uns Gutes thun. Gal. 6, 10. Bei welchen Worten mir eine denkwürdige Geschichte zufällt, welche sich mit Bischof Konrad zu Hildesheim begeben. Dieser war morgens früh aufgestanden und hatte sich zu den Büchern gesetzt, weil er willens war, des andern Tags eine Predigt zu halten. Als er nun im Nachsinnen begriffen, ward er entzückt und es däuchte ihm, daß er sehe einen Bischof vors Gericht bringen und über alles sein Thun Nachfrage halten, welcher darauf zum Tode verdammt, seines bischöflichen Habits beraubt und den Peinigern übergeben ward. Bald standen die, so da Gericht gehalten, auf und sagten aus obenangezogenem Ort: Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun! Nachdem nun Bischof Konrad zu sich selber gekommen und dieser Sache halber bekümmert war, kommt ein Bote und bringt Zeitung, daß sein Herr, ein Fürst des Reichs und auch ein Bischof, vorigen Abends plötzlich Todes verfahren wäre, darüber der gute Mann sehr betrübt worden und nachmals solche Worte des Apostels nie aus dem Munde und Herzen gelassen. Mein Gott! versiegle sie auch in meinem Herzen und hilf, daß ich die Zeit meines Lebens so anwende, daß es mich nicht in Ewigkeit gereue!
304. Der Nußbaum.
Es hatten sich etliche gute Leute unter einen wälschen Nußbaum gesetzt, seines Schattens wider des Tages Hitze sich zu bedienen. Gotthold ging vorüber und warnte sie, daß sie sich nicht zu lange unter solchem Baum sollten aufhalten, weil sein Schatten der Gesundheit schädlich wäre und große Hauptschmerzen zu erregen pflegte. Als sie nun antworteten, daß sie nichts Schädliches empfunden, sagte er: Ihr werdet es aber hernach und vielleicht erst auf den Morgen empfinden. Wir haben, fuhr er fort, an diesem Baum ein Vorbild der bösen Gesellschaft. Ein gottseliges Herz, welches wider seinen Willen mit unheiligen Leuten umgehen muß, meint oft, es wolle sich mit einem guten Vorsatz wohl verwahren, alle Sinnenpforten wohl verschließen und nichts Sündliches zu seinem Gemüth lassen eindringen, und dies scheint auch im Anfang glücklich von statten zu gehen, allein hernach muß er mit Leidwesen befinden, daß die böse Gesellschaft wie dieser Baum gewesen, dessen Schatten anfangs kühl und anmuthig scheint, hernach aber allerlei Beschwer verursacht; der Satan weiß hernach alles, was vorgefallen ist, sich fein zu Nutz zu machen und alles fleischliche Wesen der Seele wieder vorzuspielen, daß sie oft in ihren heiligen Uebungen dadurch irre gemacht wird und ihre Andacht merklich geschwächt findet. Wohl sagt der gottselige Tauler: „Gleichwie du dich in dem Gebet finden wolltest, also sollst du dich auch außer dem Gebet halten, denn Dinge, die du mit Liebe außer dem Gebet übest, die fallen dir wieder ein beim Gebet, es sei dir lieb oder leid.“ Gewiß, wer unter den Tabackschmauchern sitzt, da er schon nicht mit trinkt, kann doch nicht verwehren, daß ihm nicht der Geruch sollte etliche Tage anhängen. Also wer unter liederlichen Leuten ist, ob er schon ihren Scherz und Narrentheiding mit Verdruß und Widerwillen hört, wird doch nachher genug zu thun haben, daß er den sündlichen Einfallen widerstehe und des Satans Pfeile zurück schlage. Darum ein alter Lehrer sehr nachdenklich gesagt, die gottlosen Gesellschaften wären rechte Säugammen des Teufels. Am besten weit davon und mit ihnen unverworren; die wenige und sündliche Lust, die sie geben können, wird endlich den Herzen eine Last; ihr Scherzen bringt Schmerzen, ihr Wein bringt Pein. Davon will ich euch noch einen andern Ort des obgemeldeten Tauler anführen: „Ach wahrlich,“ spricht er, „man kehre sich, wohin man wolle, oder zu wem man wolle in dieser Zeit, so findet man nichts anders, denn Falschheit und Untreue und Unfriede in allen äußerlichen Dingen und leiblichen Personen; da man oft meint großen Trost und Ergötzung zu suchen und zu finden, da verlieren wir den innerlichen Trost und werden gänzlich beraubt des Friedens unsers Herzens, den wir lange Zeit gesammelt haben in Abgeschiedenheit, und gewinnen großen Unfrieden in uns selber, daß wir uns verschulden mit unnothdürftigen, überflüssigen, unwahrhaftigen Worten und mit Zeitverlieren und sonst mit mancherhand Dingen, davon unser Herz und unsere Liebe erkaltet und erlöschet, daß wir hernach ein großes Nagen und Beißen gewinnen in unserm Gewissen.“ Ach, mein Gott! dies sagte dein Dimer zu seiner Zeit, vor mehr als 300 Jahren; was würde er jetzt sagen, da alles mit ärgerlichem, gottlosem Wesen überschwemmt ist, daß ein zartes Gewissen fast aus dem Hause nicht gehen oder sehen kann ohne Anstoß? Ach Herr! habe Acht auf meine Seele, bringe sie durch so viel Gefahr und Stricke des Satans wider seinen Dank hindurch zum ewigen Leben, so will ich deinen Namen preisen immer und ewiglich I
305. Die Post.
Als Gotthold einen Brief, der mit der Post oder dem ordentlichen Boten angekommen, eingehändigt wurde, der von einem ziemlich weit abgelegenen Ort in wenigen Tagen überbracht worden, sagte einer: Es ist doch eine zumal nöthige und nützliche Erfindung und Ordnung mit den Posten, bei welchen man in kurzer Zeit von abwesenden Freunden kann Nachricht haben, ja vermittelst derselben zum wenigsten alle Woche einmal mit ihnen Sprache halten, wo sie nicht gar zu weit entfernt sind. Die Herrenhöfe, die Kaufleute, die Gelehrten können der Posten nicht entbehren, wie es denn auch die Reisenden zu Dank annehmen, daß sie oft in kurzer Zeit einen weiten Weg durch dieses Mittel zurück legen können. Gotthold sagte: Es ist wahr, die Posten sind jetzt allenthalben wohl bestellt, und man wird nicht viel Oerter, wohin dieselben nicht gelangen, wissen, daß also die neusüchtige Welt ihren Vorwitz alle Wochen büßen und, was hie und da vorgeht, erfahren kann. Denn versichert euch, daß die meisten Postwagen von zweien Pferden vornehmlich, dem Eigennutz und dem Vorwitz, gezogen werden, davon aber jetzt nicht viel zu reden ist. Nur laßt uns das bedenken, was die Welt mehrentheils vergißt, wie wir eine geschwinde Post nach dem Himmel haben können, die unserm Gott und Vater unsern Zustand, Anliegen, Verlangen und Begehren schleunigst über, und uns von dannen eine väterliche, gnädige Antwort nebst Rath, Trost, Schutz und Hülfe zurück bringe. Gelobt sei der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, der es uns an einem solchen Boten nicht hat fehlen lassen! Unser Gebet ist der schnelle Postillon, unsere Seufzer sind die fliegenden Boten. Man findet in alten und neuen Geschichtsbüchern, daß die Tauben also abgerichtet, daß sie mit Briefen, die man in einem leichten Kästlein an den Hals oder ein Füßlein gebunden, von einem Ort zum andern geeilt. Ein berühmter, schottischer Edelmann, Wilhelm Lithgow, berichtet, daß er selbst zu Aleppo in Syrien gesehen, daß solche fliegende Boten daselbst ankommen, ihre Briefe am Halse gebunden führend, die in 48 Stunden von Babylon (welches 30 Tagereisen von dannen) herüber geflogen; wie man sich dergleichen in dem niederländischen Kriege, zuvörderst in der Belagerung der Städte Harlem und Leyden, bedient, das ist bei Meteran ausführlich zu finden. Allein viel schneller ist das Gebet, viel geschwinder sind unsere Seufzer, die in einem Augenblick zwischen der Erde und dem Himmel reisen und das Anliegen unsers Herzens bis an Gottes Herz bringen; dieses sind Boten, die keine feindliche Gewalt aufhalten kann, sie dringen durch die Wolken und lassen nicht ab, bis sie hinzu kommen, und hören nicht auf, bis der Höchste drein sehe. Laß einen Tyrannen einen gottseligen Menschen in das Gefängniß legen und zwischen dicken Mauern einschließen und ihm alle Gemeinschaft mit den Menschen verwehren, dennoch kann er diesem Boten nicht wehren, der aller Hindernisse ungeachtet dem allwissenden Gott seine Noth vorträgt und dessen Trost zurück bringt. Mich däucht, daß hierauf unter andern mit gezielt ist, wenn in der Offenbarung Johannis 21, 12. die himmlische Stadt beschrieben wird, daß sie ins Gevierte liege und auf jeder Seite drei Thore, auf jedem Thore aber einen Engel habe, zweifelsfrei nicht allein als einen Wächter, der verhüte, daß nichts Unreines in die Stadt eingehe, sondern auch als einen Annehmer der geistlichen Postillone, welcher sie alsofort vor Gottes Thron bringt. Dieses ist aber auf Menschenweise geredet, um uns Gottes geneigten Willen und sein gütiges Herz gegen unser Gebet vorzustellen. Mein Vater! ich danke dir, daß du uns dieses Mittel, mit dir wider des Teufels und der Welt Dank zu handeln, gegeben und uns die Kühnheit, mit dir zu reden, gegönnt hast. Verleihe, mein Gott! daß ich dessen allezeit in kindlicher Furcht und Zuversicht heilsamlich gebrauche, und laß mit solcher Post, mit dem letzten Seufzer, durch deines Geistes Kraft im Namen Jesu geschehen, meine Seele endlich von hinnen ab zum Himmel reisen!
306. Der Wermuthstrauch.
In einer berühmten Stadt ist es gebräuchlich, daß man auf die Leiche, wenn man sie zu Grabe trägt, ein Kreuz von Wermuth gemacht anheftet und es hernach mit derselben ins Grab verscharrt. Gotthold ward hierüber befragt, was er meinte, daß die lieben Alten für ein Absehen mit diesem Gebrauch möchten gehabt haben. Er antwortete: Ich weiß, daß an vielen Orten auch dieses gebräuchlich ist, daß man den Wermuth auf den Gräbern pflanzt, ich halte aber, beides habe einerlei Deutung, daß nämlich nicht allein die Bitterkeit unsers betrübten, mühseligen Lebens und schmerzlichen Todes männiglich vor Augen gestellt, sondern auch dabei erinnert werde, daß mit den Seligverstorbenen alles ihr Elend gestorben, daß nunmehr sie von aller Bitterkeit befreit, in ihren Gräbern sanft und süße ruhen, daß alles Leid mit ihnen todt und begraben fei. Der Wermuth ist bitter, doch der Gesundheit des Menschen sehr dienlich; so ist der Tod zwar der Natur bitter, er schafft aber der gläubigen Seele eine himmlische Süßigkeit und befreit sie von aller Widerwärtigkeit, Kummer und Jammer, daß es heißt:
Ihr Jammer, Trübsal und Elend
Ist kommen zu einem seligen End.
Wobei mir zufällt, was in den meißnischen Jahrbüchern erzählt wird von Frau Agnes, geboren aus königlichem böhmischem Stamm, des Markgrafen Heinrich zu Meißen erster Gemahlin; als dieselbe schwer krank gewesen, sei ihr im Schlaf ein Engel erschienen, der aus einem güldenen Becher ihr einen Trunk gereicht; als sie ihn aber gekostet, habe sie gesagt: Ach, wie ein herber und bitterer Trank ist das! Darauf der Engel geantwortet: Es wird aber bald eine große Süßigkeit darauf folgen. Solches hat sie, als sie erwachte, ihrem Herrn erzählt, und ist bald darauf sanft und stille im Herrn eingeschlafen. Sonst ist auch dieses merkwürdig, was ein berühmter Schriftsteller berichtet, daß, wenn man das Salz, welches aus der Asche des verbrannten Wermuth durch Apothekerkunst bereitet wird, an einem Ort in die Erde verscharrt, bald nachher daselbst dieses Kraut häufig wachsen und aus der Asche als einem Samen hervorkommen werde. Auf solche Weise könnte uns der Wermuthstrauch eine Erinnerung geben von der Auferstehung, unsrer Leiber, die in diesem Leben ein rechtes Wermuthkraut voll Bitterkeit und Unruhe gewesen, hernach zu Staub und Asche werden, aber Gott wird aus dieser Asche sie wieder hervorbringen zu seiner Zeit, wird sie mit Unverweslichkeit, Klarheit und Herrlichkeit schmücken und im Himmel mit ewiger Süßigkeit tränken. Darum mein Gott!
Ob gleich süß ist das Leben,
Der Tod sehr bitter mir,
Will ich mich doch ergeben.
zu sterben willig dir;
Ich weiß ein besser Leben,
Da meine Seel fährt hin;
Deß freu ich mich gar eben;
Sterben ist mein Gewinn.
307. Der Denkzettel.
Es hatte ein vornehmer Mann die Gewohnheit, daß er seine besonderen Verrichtungen und Angelegenheiten in ein sonderliches Buch, so er aus seinem Studiertisch stets liegen hatte, zu verzeichnen pflegte, welches er täglich nach verrichtetem Morgengebet durchsah. Als nun einmal im Beisein Gottholds eine alte arme Wittwe bei demselben um einige Beförderung anhielt, und er selbige auch sofort in sein Büchlein schrieb, sagte Gotthold: So recht, mein Freund! vergesset die Nothleidenden und Betrübten nicht, Gott wird euer wieder nicht vergessen. Gott hat auch seine Bücher und Denkzettel, darin er unsere Namen, Begehren, Gebet, Seufzer und Thränen verzeichnet, Ps. 56, 9. 139, 16. Maleachi 3, 16. Ihr habt dieser Wittwe Noth und Bitte, um sie nicht zu vergessen, angezeichnet; versichert euch, daß Gott ein Gegenregister hält, und daß dieses euer Werk, weil es im Glauben geschehen, in Gottes Tagebuch schon eingeschrieben ist Am griechischen kaiserlichen Hofe zu Konstantinopel war vormals eine Bedienung, welche man vom Gedächtniß oder Erinnerung benamte, deren Amt war, die Namen wohlverdienter Leute, die sich zu Friedens- und Kriegeszeiten hatten tapfer gehalten, zu Register zu bringen und den Kaiser stets zu erinnern, daß sie mit gebührender Ehre und Belohnung anzusehen nicht vergessen würden. Allein dieses Amt ist zeitlich abgegangen und nicht mehr im Gebrauch gewesen. Im Himmel aber (wenn wir mit der Schrift von göttlichen Dingen menschlich reden wollen) ist es noch im vollen Gebrauch, und desselben bedient sich unser liebster Seelenfreund, der Herr Jesus, der zur Rechten Gottes sitzt und uns vertritt, Rom. 8, 34., der unser Fürsprecher ist, 1. Joh. 2, 1., und macht, daß unser bei seinem himmlischen Vater nicht vergessen wird. Ach, warum wollten wir denn nicht mit Freuden Gutes thun? Warum wollten wir nicht mit Lust einem so liebreichen Gott dienen, der auch für einen kalten Wasserstrunk, den Seinigen gereicht, unser Schuldner wird, Matth. 10, 42., und eine jede Gutthat als eine Einnahme in sein Buch und Register bringt? Wird denn schon die Gnadenbelohnung etwas verschoben, so wird sie doch nicht vergessen, und zu seiner Zeit wird der Höchste zeigen, daß er so ein ehrlicher Herr ist, daß ihm niemand jemals umsonst gedient habe. Ei, sprach der andere, mein Gotthold! ich müßte euch nicht oft zusehen lassen, wenn ich aus christlichem Herzen Gutes thue, ihr würdet mich hoffärtig machen! Gotthold antwortete: Nicht hoffärtig, sondern beständig und eifrig in guten Werken wollt ich euch gerne machen. Doch vergesset ihr, was ihr andern Gutes gethan habt, Gott wirds nicht vergessen.
308. Der grüne Maien
Als in den h. Pfingsten nach vollendetem Gottesdienst etliche gute Freunde bei einander waren, (da man etlicher Orten Gewohnheit nach die Kirchen nicht allein, sondern auch die Häuser mit Maien schmückte) fing einer an: Was wollen wir uns denn bei den grünen Maien, darunter wir sitzen, Gutes erinnern? Einer von den Aeltesten antwortete: Ich pflege mich dabei meines Zustandes zu erinnern, denn gewiß wir Alten sind den Maien gleich, die eine Weile im Wasser grünen und frisch bleiben, doch endlich und zwar bald verwelken; so ists mit uns auch, man pflegt unser aufs Beste, man kommt unsern verschwächten Kräften mit allerlei guten Speisen und Trank, auch wol mit dienlichen Arzneien zu Hülfe, allein das hilft, so lang es kann, endlich heißts: Der Mensch muß davon! Wir verwelken und vergehen. Ich befleißige mich aber dabei, wie die Maien, ehe sie verwelken, am stärksten riechen, also meines Lebens Ende in der Welt mit einem guten Ruhm und Wohlverhalten angenehm zu machen. Von den ältesten Bäumen soll der beste Weihrauch kommen, und die ältesten Menschen müssen andern mit Gottseligkeit und Tugend vorgehen, auch, wenn sie sonst keine große Arbeit mehr verrichten können, am andächtigsten beten. Gott helfe mir, daß ich diese meine silberne Krone, damit er mein Haupt zu zieren beliebt hat, bald mit ewigem Preis seines Namens zu seinen Füßen legen möge! Offenb. 4, 10. Sprüchw. 16, 31. Die Gedanken sind gut, sagte ein anderer, doch weil man die Maien um diese Jahreszeit auch in die Kirche setzt, so will ich etwas, das die Kirche betrifft, dabei anführen. Man findet in der Kirche Gottlose, Gottselige und dann auch die Heuchler; deren Bild können die Maien sein, die grünen eine Weile, haben aber keine Wurzel, noch Saft, und verdorren bald. So ist der Heuchler Gottesdienst, Andacht, Gebet und ganzes Christenthum. Eine Zeit lang glauben sie, aber zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Luc. 8, 13. Sie haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber die Kraft verleugnen sie, 2. Tim. 3, 5., und solche verdorren endlich ganz, das ist, sie finden keinen Trost, ersterben in ihren Sünden und gehören ins ewige Feuer. Gott verleihe uns, daß Christus in unsern Herzen durch den Glauben wohne, lebe und wirke, und daß wir in der Liebe eingewurzelt und gegründet, Eph. 3, 17., im Hause Gottes ewiglich grünen mögen. Ps. 52, 10. Gotthold schloß endlich und sagte: Weil wir unter den grünen Maien sitzen und uns als Freunde fröhlich bezeigen, so halte ich dafür, dieselben können uns eine gute Erinnerung geben von weltlicher Lust und Freude. Die ist so vergänglich und flüchtig, als wie der Maien Grüne und Schöne. Ehe wir es meinen, so ist dieselbe dahin, und bleibet nichts an den Maien, als daß sie gute Ruthen geben, die muthwilligen Kinder zu züchtigen. So bleibt nach erlangter weltlichen eitlen Lust nichts, als die Reue und ein beschwertes Herz. Gott macht oft aus der sündlichen Lust der Jugend eine scharfe Ruthe, damit er manchen sein Leben lang stäupt. Darum lasset uns unter den Maien fröhlich sein in der Furcht des Herrn, damit nicht unsere wenige und flüchtige Lust in eine große und lange Unlust verwandelt werde. Mein Gott! es ist mir lieb, daß es mit der weltlichen Lust so beschaffen ist, daß wir Ursache und Noth haben, uns nach einer bessern umzusehen. Ich habe meine Lust an dir, an meinem Jesu, seiner Gnade und seinem Wort. Diese Maien grünen allezeit, und ich habe niemals ohne Erquickung und Trost mich darunter befunden.
309. Das Spiel: die blinde Kuh.
Gotthold kam dazu, als etliche junge Leute die blinde Kuh spielten. (Es ist ein Spiel, da einem die Augen verbunden werden, der dann so lange blindlings umher tappen muß, bis er einen von den Gespielen, die ihn hie und dort zupfen und hin und wieder stoßen, erhascht, der ihn alsdann ablösen muß.) Was meint ihr, sagte er, welches das gemeinste Spiel in der Welt sei? Gewiß eben dieses, welches nicht allein von Kindern und jungen Leuten, sondern auch von den Alten und Klugen allenthalben gespielt wird. Ich gedenke jetzt an eines weisen Mannes (Harsdörfer) sinnreiche Erfindung, der die menschliche Seele unter dem Habit einer Schäferin vorstellt, welche andere, so die Weisheit der Welt, den Reichthum und die Ehre, wie auch des Fleisches Sinn abbilden, zu Gespielen hat; von diesen wird sie beschwatzt, daß sie als zum Spiel sich die Augen verblenden läßt, nicht wissend, daß jene ein heimliches Einverständniß mit Trügewald (dem Satan) haben, der aus einem Gebüsch hervor wischt, also, daß ihm die Seele mit verbundenen Augen in die Arme läuft. Hiermit bildet er gar artig ab, wie der Mensch, von der Welt und seinem eignen fleischlichgesinnten Herzen verblendet, sich von Gott verläuft und in die Stricke des Teufels fällt, ehe ers meint. Ach, Herr Gott! wie viel tausend Seelen laufen mit verbundenen Augen, mit verblendeten Sinnen, mit verstockten Herzen, lachend, scherzend, spielend dem Teufel in den Rachen und in die Arme! Ach, wie viel kluge, gerechte, reiche, hochansehnliche Leute giebt es, mit welchen der Satan täglich blinde Kuh spielt, die doch nichts weniger denken oder besorgen! Wie manchem zieht die böse Gesellschaft die Kappe übers Gesicht! Wie manchem wird das Tuch vor die Augen gebunden von seinem liebsten Weibe, von seinen besten Freunden, von seinem nächsten Anverwandten! Und dies haben wir gern also, weil wir es ein Spiel, eine Lust, eine Freude, eine Liebe, eine Vertraulichkeit, einen Scherz heißen. Abner redet als ein blutdürstiger und gottloser Soldat, da er sagt: Laß sich die Knaben aufmachen und vor uns spielen, 2. Sam. 2, 14., da es doch vierundzwanzig jungen Helden das Leben kostete, darum er auch selbst bald hernach auf diesem blutigen Spiel durch Gottes gerechtes Gericht sein Leben zusetzen mußte. 2. Sam. 3, 27. So redet die Welt noch jetzt und hält das für Kurzweil, was doch die Seele in höchste Gefahr und gar ins Verderben stürzt. Dies ist ein Spiel, daran die Teufel ihre Lust sehen und den meisten Gewinn davon tragen. Ach, mein Gott, bewahre mich vor solchem Spiel! Gieb mir erleuchtete offne Augen durch deinen H. Geist, daß ich im Lichte wandle, des Teufels und der Welt bezügliche Spiele fliehe und durch alle ihre Stricke und Netze sicher hindurch komme! Du hasts bisher gethan, mein Vater! sie haben mich auch beredet, dieses Spiel mitzuspielen, du aber hast mir die Binde von den Augen gerissen und meine Seele gerettet. Dir sei Lob und Dank in Ewigkeit!
310. Die Eitelkeit.
Als in einer Gesellschaft ein Glas unversehens zerbrochen ward, sagte einer: Glück und Glas, wie bald bricht das! und erinnerte dabei, was von Luther erzählt wird, daß er wenige Tage vor seinem seligen Ende dem Justus Jonas ein Glas gebracht und dabei versweise einen merkwürdigen Denkspruch gethan von ihrer beiderseits Sterblichkeit. Gotthold that hinzu: Weil wir an diesem zerbrochenen Glase eine Erinnerung haben von der Eitelkeit aller weltlichen Sachen, so laßt uns, um die Zeit mit erbaulichen Gesprächen zu verbringen, ein jeder ein nachdenkliches Bild der Eitelkeit vorstellen, wozu ich mit eurem guten Belieben den Anfang machen will. Hierauf forderte er ein Blatt Papier nebst einem brennenden Lichte, zündete das Papier auf dem Tische an und ließ es ausbrennen, da denn, nachdem die Flammen vergangen, wie bewußt, die laufenden Funken auf dem ausgebrannten Papier zu sehen waren. Hier habt ihr, sprach er, ein schickliches Bild der Eitelkeit; was sind die Menschen anders, als die in der Asche eine Weile scheinenden und laufenden Funken? Und was ist die Welt anders, als ein Aschenhaufen? Wenn ihr die Menschen sehet stolzieren, prangen und mit großem Gepränge oder Phantasie, Apostelg. 25, 23., in den Kirchen, auf den Gassen, auf Hochzeiten, an Herrenhöfen, in vornehmen Städten daher treten, so denket, daß es solche Funken sind, die eine Zeit lang in der Eitelkeit scheinen und laufen, bald aber verschwinden; vergesset aber nicht, daß ihr selbst auch mit darunter seid, und daß die Zeit bald kommen wird, da man auch nach euch fragen, aber euch nirgends finden wird. Der andere sagte: Ich halte, man könne die Eitelkeit aller Dinge ohne große Mühe mit einem Schnippchen oder Klitschen der Finger vorstellen, worinnen wir die Schrift nach der Verdolmetschung Luthers, Jes. 51, 6., zur Vorgängerin haben, wenn sie spricht: Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen, und die Erde wie ein Kleid veralten, und die drauf wohnen, werden dahin sterben wie das, woselbst Dr. Luther hinzu setzt: Solches. Das muß man mit einem Finger zeigen, als schlüge man ein Klipplein mit Fingern, wie man sagt: ich gebe nicht das darum! Wobei ich mich erinnere, was gelehrte Leute berichten, daß auf dem Grabe des Sardanapal ein Bild gestanden, dessen Finger so gestaltet, als wollte es ein Schnippchen damit schlagen, anzudeuten, daß alle irdische Dinge für nichts zu achten wären. Der Dritte sagte: Ich will das meinige vom Hiob entlehnen, welcher spricht, der Mensch sei einem fliegenden (einem dürren, damit der Wind unterm Baum spielt) Blatte und einem dürren Halm gleich. C. 13, 25. Und es wäre zu wünschen, daß die Menschen bei ihren prächtigen Gastmahlen und fröhlichen Zusammenkünften unier andern Gerichten und Trachten zuweilen eine verdeckte Schüssel mit solchen dürren Blättern angefüllt mit aufsetzen und sich dabei ihrer Sterblichkeit erinnern möchten. Der Vierte sagte: Ihr wisset, daß auf unsern Feldern und in unsern Gärten häufig eine gelbe Blume wächst, die endlich, nachdem die Blätter abgefallen, in ein wie mit weißer Wolle bedecktes Haupt verwandelt und daher unter den Kräutern das Mönchshaupt genannt wird. Dieses Haupt war erst eine Blume, hernach ein ansehnliches Ding, wenn aber der geringste Odem es anbläset, so zerstäubt die Wolle und es bleibt nichts, als ein Bild einer glatten und kahlen Hirnschale. So sind die Menschen vom Höchsten bis zum Niedrigsten, darum wäre zu wünschen, daß die Gewaltigen dieser Welt diesem geringen und gemeinen Kräutlein in ihren Lustgärten auch möchten eine Stelle gönnen zum Gedächtniß der Nichtigkeit des Weltwesens, wiewohl sie auf eine andere Art zu eben diesem Zweck auch gelangen könnten, wenn sie nämlich in solchen ihren Lustgärten, wie ehemals Tarquinius gethan, mit einem Stabe die eine oder andere hohe und prächtige Blume herabschlügen, dabei gedenkend, daß es Gott eben so leicht sei, sie aus ihrem Glück ins Unglück, aus ihrer Hoheit in die Niedrigkeit, von ihrem Thron auf den Mist- oder Aschenhaufen, aus dem Leben in den Tod zu setzen. Der Fünfte sprach: Nicht ohne Ursache hat es Gott in der Natur so verordnet, daß, wo der Mensch im Licht hingeht, ihm der Schatten entweder zur Seite wandelt, oder auf dem Fuß folgt, damit er bei seinem Wohlstande ein stetiges Denkmal der Flüchtigkeit und Eitelkeit haben möchte, wobei ich gedenke an das, was Markus Polus berichtet von den Einwohnern des Landes Lak oder Loak in Indien, daß, ehe sie etwas kaufen, sie zuvor ihren Schatten betrachten und darnach erst den Kauf schließen; und wünsche, daß wir dergleichen auch bei all unsern Geschäften, Prangen, Schmücken, Gastieren und dergleichen thun möchten! Gotthold schloß endlich und sprach: Ich halte, es sollte uns nicht schwer fallen, daß wirs noch einmal ließen umher gehen und dergleichen mehr vorbrächten; allein, weil der Abend herbei kommt, und wir uns nach der Ruhe sehnen, so will ich noch dies Einige hinzu thun; sehet, bisher haben wir mit einander gegessen, getrunken, gesprochen, gescherzt, jetzt gehen wir von einander und in einer Stunde liegen wir und schlafen, von unserer heutigen Lust nicht mehr wissend, wo sie nicht einem oder dem andern im Traum vorkommt. Also leben wir noch heute, vielleicht auch noch morgen, bald aber sind wir der Eitelkeit müde und entschlafen; darum laßt uns mit nach Hause nehmen, was der weise König zum Grunde seiner Weisheit gelegt hat: Es ist alles eitel! Pred. 1, 2. O Eitelkeit über Eitelkeit in allen Dingen!
311. Das gute Wetter.
Als etliche Wochen nach einander ein liebliches warmes Wetter war, sagte einer: Ach, was will aus diesen heißen Tagen werden? Und was will uns der lang anhaltende Sonnenschein ohne Regen bringen? Gotthold antwortete: Wie so? ist es denn euch zuwider, daß der Himmel so freundlich ist, und daß uns die liebe Sonne nun eine geraume Zeit her stetig gleichsam anlacht? Ja, sagte der andere, man muß weiter hinaus sehen, denn, weil indessen die liebe Saat im Felde und die Früchte in den Gärten verdorren und verwelken, so möchte solches freundliche Lachen des Himmels, wie ihr redet, wol ein bitteres Weinen auf Erden verursachen. Wohl! sprach Gotthold, so lasset uns denn bei diesem Wetter bedenken, daß auch die zeitliche Glückseligkeit, welche man mit dem lieblichen Sonnenschein zu vergleichen pflegt, uns oftmals eben so nütz ist, als den Früchten das stetige gute Wetter; das Ungewitter und die düstern dicken Wolken, die oft mit einem starken Donner und Blitz die Erde erschüttern und schrecken und mit einem durchnetzenden Regen feuchten, sind unlustig, aber sie machen die Gewächse und folgends Menschen und Vieh lustig; aus solcher Finsterniß kommt das Licht, der Segen kommt mit dem Regen. So ist es auch mit der Trübsal und den Widerwärtigkeiten; sie schrecken und drücken das Fleisch, erquicken aber de n Geist, sie machen Unlust und Leid, darauf aber eine geistliche und göttliche Lust und Freude folgt. Hingegen das zeitliche stetige Wohlergehen pflegt ein Vorbote zu sein eines großen Unglücks oder wol gar des ewigen Verderbens, wie am reichen Manne und viel tausend andern zu ersehen. Denn gewiß anstatt eines einzigen, welchen etwa Unglück und Widerwärtigkeit zur Verzweiflung und ins Verderben gebracht hat, findet man wol tausend, die durch Glück und Wohlergehen sind gestürzt. Darum lasset uns allezeit unser Glück für verdächtig halten, und gleichwie man in solchen warmen Tagen in den Gärten desto fleißiger zu gießen pflegt, damit die Früchte nicht verwelken, so lasset uns bei unserem Wohlergehen desto emsiger beten, daß Gott seine Gnade nicht von uns wenden und seinen H. Geist nicht von uns nehmen wolle, daß wir durch dessen Regierung vorsichtig und demüthig wandeln und des zeitlichen Glücks zu unserm ewigen Unglück nicht mißbrauchen mögen. Mein Gott und Vater! Ich gedenke hiebei an die Worte deines Propheten, Klagl. 44., Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, daß kein Gebet hindurch konnte. Mir gehts auch oft so mit dir, daß sich eine finstere Wolke der Traurigkeit zwischen mir und dir setzt, ich habe dawider nichts zu reden, denn sie steigt auf von meinen Sünden und Missethaten. Doch wie die Sonne auch hinter den Wolken scheint, in den Wolken wirkt und mit dem Regen ihren guten Einfluß auf die Erde schickt, so bleibst du doch mein Gott auch in Trübsal und wirkst in derselben so kräftig, daß ich deine Gnade in Kurzem an meiner Seele spüren kann. Drum, du stehest süß oder sauer, so bist du doch mein lieber Vater und mein gnädiger Gott.
312. Das unreine Gefäß.
Man hatte Gottholden einen Trunk geholt, der nach dem Gefäß schmeckte, er sagte darauf: Da haben wir ein Vorbild unserer Gedanken, Worte und Werke; weil unser Herz durch die Sünde verunreinigt ist, so hanget, leider! allem unserem Vornehmen etwas Sündliches an, welches wir zwar wegen Gewohnheit nicht allezeit merken, aber dem allwissenden, heiligen und gerechten Gott ist es nicht verborgen. Ach ja, sprach ein frommes Herz, so solches hörte, das gottlose böse Herz macht uns viel zu schaffen. Bei dem Propheten Jerem. 4, 14. spricht unser Gott: So wasche nun dein Herz von der Bosheit, auf daß dir geholfen werde. Ich meine j«, ich habe etliche viele Jahre her an diesem unreinen Gefäß gewaschen mit eifrigem Gebet, mit vielen Thränen, mit stetigem Streit, mit oft erneuertem Vorsatz, mit fleißiger Anhörung und Betrachtung des göttlichen Worts; allein bisher spüre ich nicht, daß es etwas geholfen hätte; die Unreinigkeit hat sich so tief hineingesetzt, daß kein Waschen helfen will, darüber ich oft kleinmüthig werde und mein ganzes Christenthum nicht einer Bohne werth achte. Gotthold antwortete: Eben das ist eine Hauptursache mit, warum Gott das Herz in diesem Leben nicht ganz reinigt und von der angeerbten Sünde befreit, damit wir nicht hoffärtig werden, sondern an seiner Gnade und den Wunden des Herrn Jesu als ein schwaches, durstiges Kind stets hangen bleiben. Denn er ist so gütig und gnädig, so weise und allmächtig, daß er auch ans dem Bösen weiß etwas Gutes zu machen, doch müssen wir deshalb an unserm Christenthum nicht ganz verzagen und meinen, weil es uns nicht gefällt, daß es Gott auch nicht gefalle. Gott ist ein liebreicher Vater, der wohl weiß, daß seine Kinder in der Welt ohne Schwachheiten und Fehler nicht sein werden, darum hat er Geduld mit ihnen. Wie vielmals machen es unsere Kinder nicht recht! Wie oft folgen sie der Bosheit ihres Herzens und lassen der Sünde, die ihnen angeboren ist, ihren Willen! Ich habe aber noch nie gesehen, daß darum ein Vater sein Kind hätte enterbt oder in die Elbe geworfen, sondern er züchtigt und ermahnt es väterlich und hofft mit zuwachsenden Jahren Besserung. Können wir nun das thun, die wir arg sind, wie sollte es nicht Gott vielmehr thun? Zuvörderst, da er unsere Herzen nicht anders, als durch die Wunden seines liebsten Sohns ansieht, in dessen h. Blute wir sie täglich waschen und ihm also ein zwar von Natur unreines, doch durch Christi Blut und Geist gereinigtes Herz opfern. Zu dem Ende habe ich gesehen, daß ein guter Mann sich den gekreuzigten Jesum und zu dessen Füßen ein Herz, mit seines Namens Anfangsbuchstaben bezeichnet und mit einem Nagel angeheftet, darüber das h. Blut des Herrn herab floß, malen hatte lassen, anzudeuten, daß Christi blutiges Opfer und sein Herz nimmer müßten getrennt werden. Wenn nun meines Jesu h. Herz und mein unreines Herz im Glauben zusammen kommen, so bin ich um die Unreinigkeit meines Herzens, welche mir sonst auch großen Kummer macht, nicht mehr bekümmert, wohl wissend, daß nichts Verdammliches ist an denen, die in Christo Jesu sind. Rom. 8, 1. Hieraus schlug er auf die Worte des gottseligen Dr. Tauler, die also lauten: „O liebe Seele, die du in unreiner Versuchung bist, opfere dich Gott in Gelassenheit und sprich in deinem Herzen: Herr, du stehest aller Herzen Grund und erkennest alle Meinung, du weißt wohl, ich wollte dir gerne wiederum eine himmlische reine Seele einantworten, nun habe ich nichts, als ein unreines Faß, welches voll fauler Anfechtung ist; das opfere ich dir auf, wie ich es habe; hätte ichs besser, so gäbe ich es dir besser; nur bitte ich dich, daß du solches mit deinem h. Blute reinigest, auf daß es deines heiligen Einflusses empfänglich werde.“
313. Die Gevatterschaft.
Als jemand von Gottholds Leuten zur Gevatterschaft eingeladen war, fing er an, die Seinigen von solchem Gebrauch folgendermaßen zu unterrichten: Es ist ein uralter Gebrauch in der christlichen Kirche, daß man bei der Kindertaufe etliche gottselige Personen zu Zeugen und Gevattern, das ist, Mitvätern oder Mitmüttern erbittet. Es meinen etliche, daß in der jüdischen Kirche dergleichen bei der Beschneidung beobachtet und von dannen bald zur Apostelzeit in die christliche Kirche überbracht sei. Andere berichten, daß von dem römischen Bischof Hyginus, der ums Jahr Christi 140 gelebt, dieser Gebrauch eingeführt sei, und zwar darum, weil zu seiner Zeit die blutigen Verfolgungen vielen Kindern die Eltern hinweg nahmen, daß doch andere möchten sein, die Elternstatt vertreten, der Waisen sich annehmen, im christlichen Glauben sie erziehen und zu aller Gottseligkeit sie ermahnen und halten möchten. Denn, so viel man aus der lieben Väter (von welchen diese Weise auf uns gekommen) Schriften erlernen kann, ist keineswegs zur Gevatterschaft genug gewesen, daß man der Taufe mit seinem Gebet beigewohnt, sondern man hat solche Zeugen auch ernstlich unterrichtet und ermahnt, daß sie wären Bürgen bei Gott für die Täuflinge geworden und demnach verbunden, als Mitväter nebst den Eltern dahin zu sehen, daß sie im christlichen Glauben zu aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit auferzogen würden, davon man auch in einer bischöflichen Versammlung zu Arelate, welche an der Zahl die vierte gewesen, eine Verordnung gemacht hat. So ist es nun fürwahr eine große Ehre, die einem widerfährt, wenn er von gottseligen Eltern zur Gevatterschaft und zum Taufzeugen ihres Kindes erkoren wird, denn hiemit geben sie ihm das öffentliche Zeugniß, daß sie ihn für einen rechtschaffnen Christen, andächtigen Beter und gottseligen Eiferer um die Ehre Gottes und des Nächsten Seligkeit halten; sie bezeugen ihre gute Zuversicht, die sie zu seiner Liebe haben, daß er mit willigem, fröhlichem Herzen auf begebenden Fall sich ihres Kindes in geistlichen und leiblichen Nöthen werde annehmen und auf alle mögliche Weife dessen zeitliche und ewige Wohlfahrt befördern helfen. Dies verstehen nun die wenigsten unter den heutigen Christen, welche meinen, sie haben der Gevatterschaft ein volles Genüge gethan, wenn sie in ihrem besten Habit und mit einem ziemlichen Taufgeschenk sich haben bei der Taufe eingefunden und hernach sich bei überflüssigem Essen und Trinken lustig bezeigt. Wie mancher, welches wol mit blutigen Thränen zu bedauern, nicht weiß, warum er ein Christ ist, so weiß er auch nicht, warum er ein Taufzeuge oder Pathe ist, und was solcher Name von ihm erfordere. Ein Taufbürge ist kraft seines Versprechens schuldig, für seinen Pathen sein Leben lang fleißig zu beten, ihn nebst seinen Eltern, so oft es Gelegenheit giebt, fleißigst zur wahren Gottseligkeit zu ermahnen, seines Taufbundes ihn zu erinnern und, daß er mit allem Fleiß seinem Taufgelübde nachlebe, so viel möglich, anzuhalten. Sollten die Eltern säumig und gottlos werden oder versterben, gebührt ihnen für des Kindes zeitliche und ewige Wohlfahrt zu wachen und es in der Furcht Gottes nach bestem Vermögen zu erhalten. Ich habe einen gottseligen Mann gekannt, der in seinem täglichen Gebet, wenn er auf die Fürbitte für die liebe Jugend kam, sonderlich seiner Pathen Meldung that und Gott herzlich bat, daß er sie mit seinem H. Geist allezeit regieren, ihre Herzen durch seine Gnade zu allem Guten lenken, in ihrem Taufbunde sie erhalten, vor der bösen Welt Aergerniß und Verführung sie bewahren und sie mit zeitlicher und ewiger Wohlfahrt beseligen wolle. Ein anderer, der gutes Vermögens war und keine Kinder hatte, ließ jährlich auf einen gewissen Tag seine Pathen, die etwas zu Jahren und Verstande gekommen waren, zusammen bringen, fragte sie aus ihrem Katechismus, forschte, ob sie auch beten könnten, erinnerte sie ihres Taufbundes mit gottseligem kurzem Bericht, was derselbe in sich hätte, wie sie sich dessen trösten und aus demselben zur wahren Gottseligkeit aufmuntern sollten; hernach gab er ihnen eine Mahlzeit und ließ sie mit einem Segenswunsch und nochmals wiederholten guten Ermahnungen von sich. Ach, wenn dies von allen oder nur von etlichen in Acht genommen würde, wie großen Nutzen sollt es in Kurzem bei der lieben Jugend schaffen! Nun so gehet hin und verrichtet dieses christliche Werk als ein Christ, helft mit eurem andächtigen Gebet für das Kind kämpfen und habt ein Liebesauge auf dasselbe, weil es und weil ihr lebt. Mein Gott und liebster Vater! meine irdischen Taufzeugen sind längst dahin; allein ich darf nach Veranlassung deines h. Apostels sagen, 1. Joh. 5, 7., daß meine himmlischen Taufzeugen nimmermehr sterben. Denn du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und H. Geist! hast ja bei meiner Taufe auch bezeugt, daß ich zu deinem Gnadenkinde sollte auf- und angenommen sein, du hast mir zum Taufgeschenk eingebunden, Gott Vater! deine Gnade, Herr Jesu, mein Erlöser! deine Gerechtigkeit und theures Blut, Gott H. Geist, deinen Trost und immerwährende gnadenreiche Beiwohnung. So bist du nun, mein Gott! mein Pathe, Vater, Herr und Gott, ich dein Taufsohn, Kind und Knecht in Ewigkeit.
314. Die Kreide.
Als Gotthold mit traurigen Gedanken überhäuft war und auf dem Tische, dabei er saß, ungefähr ein Stücklein Kreide fand, nahm er dieselbe und phantasirte damit auf dem Tische, wie sorgenvolle Leute pflegen, machte damit mancherlei wunderliche Züge, Kreise und Striche durcheinander, daß er endlich selbst nicht wußte, was es sein sollte; er begriff sich aber endlich und gedachte bei sich selbst: da habe ich den jetzigen Zustand meines Herzens gar artig auf dem Tische abgemalt; denn gleichwie hier die Striche und Züge seltsam durch einander gehen und doch nichts Förmliches vorstellen, auch zu nichts nütze sind, als daß man ein Merkzeichen hat eines vor Traurigkeit phantasirenden Menschen, so gehts in meinem Gemüth; die Gedanken und Sorgen laufen wunderlich durcheinander und sind dem Gesträuche auf dem Felde gleich, welches in einander wächst und sich so durcheinander verwirrt, daß man nicht hindurch kann. Abraham sah einen Widder, der mit den Hörnern in einer Dornhecke fest war, 1. Mos. 22, 13.; so gehts mit uns Menschen, wir vergehen uns manches Mal und verwickeln uns in die Dornhecken der Sorgen, daß wir nicht wieder los kommen können; allein was nützen unsere Sorgen? Und was richten wir mit unserer Bekümmerniß aus? Wenn wir lange gesorgt, gedacht, und alles mit Kummer und Betrübniß überlegt haben, so wird endlich eine solche Mißgeburt daraus, als hier auf dem Tische vor mir steht, die mir nicht den geringsten Trost geben kann. Wir machen uns einen Irrgarten in unserm Sinn, daraus wir uns nicht wieder zu finden wissen, und sind den Hühnlein gleich, die ins Werg oder Garn gerathen sind und nicht fort können. Was plage ich mich denn selbst mit meinen eignen Gedanken? Was mache ich mir selbst Unruhe und bilde mir ein, daß ich wolle Trauben lesen von den Dornen, oder Trost und Hülfe haben von Schwermuth und Sorgen? Mein liebster Gott und Vater! du weißt, daß es ein Stück ist von der Erbsünde, daß wir uns oft selbst zu versorgen, zu regieren und auszuwickeln vermeinen; verzeihe mir aus Gnaden, daß ich mich manches Mal in meinen Gedanken so vertiefe, daß ich an deine väterliche Fürsorge, Liebe und Treue nicht gedenke. Sollt ich dergleichen mehr thun, mein Vater! so gieb mir durch dein Wort und Geist einen Wink, daß ich mich besinne, meine Sorgen fahren lasse und all meine Anliegen auf dich werfe. Ich will beten und arbeiten, du magst sorgen!
315. Der Citronenbaum.
Gotthold ward in eines vornehmen Mannes Lustgarten ein junger Citronenbaum gezeigt, der etliche meist vollkommne und reife, etliche aber noch kleine unzeitige Früchte trug, wobei berichtet ward, daß dieser Baum in den warmen Ländern, Spanien, Wälschland, woselbst er seine vollkommne Größe und Stärke hat, in stetiger Arbeit, also zu reden, dem Menschen zu dienen erfunden werde, maßen man denn zu einer Zeit reife Früchte, halb gewachsene Aepfel und Blumen an ihm finde. Er antwortete: Ich will euch etwas von unsern gemeinen Aepfel- und Birnbäumen sagen, das ihr vielleicht bisher an ihnen nicht wahrgenommen. Indem sie im Frühling ausschlagen und von der Natur mit Laub, Blumen und Früchten mälig geziert werden, so könnt ihr an ihnen schon zugleich mit sehen und finden die Laub- und Tragknospen, damit sie sich das künftige Jahr beliebt und ansehnlich machen wollen, welche auch im Herbst, wenn die andern Blätter abfallen, als eine Hoffnung des folgenden Sommers bleiben und von erfahrnen Gärtnern können erkannt und unterschieden werden, daraus abzunehmen ist, daß, wenn unsere Bäume nicht durch des Winters strenge Kälte eingehalten und verhindert, sie alsofort wieder ausschlagen und des Jahrs zweimal tragen würden. Lasset uns aber von diesen leblosen Geschöpfen unsere Pflicht lerne„. Die Natur steht in immerwährender Wirkung und nachdem sie einmal einen Befehl und Segen von ihrem allgewaltigen Schöpfer empfangen, dem Menschen zu dienen, so läßt sie nimmer nach, sondern wirkt, treibt, grünt, blüht, fruchtet, so viel sie immer kann. Warum thun wir nicht dergleichen, welche Gott nicht allein geschaffen und gepflanzt, sondern auch mit dem Blute und Geiste seines liebsten Sohnes befeuchtet hat, daß wir sollten ihm und unserm Nächsten die Früchte der Liebe und Dankbarkeit bringen? Gewiß in den rechtschaffnen Pflanzen des Herrn findet sich eine immer wirkende, treibende, dringende Kraft, wie der Apostel mit seinen merkwürdigen Redensarten bedeutet, wenn er sagt: Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Rom. 8, 14. Die Liebe Christi dringet uns. 2. Cor. 5, 14. Wenn sie ein Werk der Liebe vollbracht und eine Frucht der Gerechtigkeit zur Ehre Gottes und zum Dienst des Nächsten abgestattet, so blühen sie schon wieder im Geiste und sind auf mehrere bedacht. Man findet sie weder Sommer, noch Winter ohne gute Früchte, oder doch nicht ohne Blumen, Blätter und Fruchtknospen, das ist ohne heilige, herzliche Begierde und guten Vorsatz, Gottes Ehre zu befördern und den Menschen besserlich zu sein. Sie sind der göttlichen Natur theilhaftig worden, 2. Petr. 1, 4., und haben Christi Geist und Sinn. Rom. 8, 9. 1. Corinth. 2, 16. Was aber Gottes und Christi Sinn sei, macht er kund mit den nachdenklichen Worten: Mein Vater wirkt bisher, und ich wirke auch, Joh. 5, 17., deren Meinung ist: obwohl mein himmlischer Vater von den Werken der Schöpfung ruht, so wirkt er doch immerdar in der Erhaltung und Regierung aller Dinge, er versorgt, ernährt und unterhält alles; solche Natur hab ich auch, ich muß immer zu thun haben, ich muß immer lehren, trösten, helfen, gesund machen, speisen und Gutes thun; solche Natur, solchen Sinn hat er auf seine Gläubigen vererbt und fortgepflanzt; ihnen ist nicht wohl, wenn sie nicht immer Gelegenheit haben, Gutes zu thun, sie freuen sich mehr, wenn sie andern mögen dienen, als wenn ihnen gedient wird; wenn sie des Morgens sich mit ihrem Gott besprochen und sich seiner Gnade in Christo versichert haben, so ist ihr herzlicher Wunsch, daß sie möchten stracks veranlaßt werden, dem Nächsten zu dienen, einen Betrübten zu trösten, einem Zweifelmüthigen zu rathen, einen Irrenden zu bekehren, einen Schwachen zu erquicken, einen Hungrigen zu speisen und so fortan. Lasset uns nun hiebei eine Prüfung anstellen, ob wir wahrhaftig solchen Sinn und Art Christi an uns haben. Ach, mein Herr Jesu! ohne dich können wir nichts thun. Bleibe du in mir und ich in dir! Joh. 15, 5., so wirds mir an solcher Kraft und Frucht nicht fehlen!
316. Der Erdkloß.
Als Gotthold über Land reisete und auf dem gepflügten fetten Acker die Erdschollen liegen sah, sprach er zu seinen Gefährten: Ich erinnere mich, was der berühmte Großkanzler in England, Baco von Verulam, berichtet, daß er einen alten Edelmann gekannt, der sich alle Morgen, wenn er aufgestanden, sofort einen frischen Erdkloß hat lassen bringen, daran eine Weile gerochen und solches als ein Mittel zur Erhaltung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens ausgerufen. Ich wollte, daß nicht allein alle Edelleute, sondern auch alle Kaiser, Könige, Fürsten und Herren, ja alle Christen diese Gewohnheit hätten. Gewiß, wenn es dem Leibe nicht, so würde es doch der Seele zur Gesundheit dienen, so sie sich dabei ihrer Sterblichkeit und dessen, was die Kirche singt: Was ist der Mensch? Ein Erdenkloß, von Mutterleibe kommt er nackt und bloß, u. s. w. erinnern würden. Denn der Mensch mag sich brüsten, prangen, prahlen, wie er will, so ist er doch nichts anders, als ein Erdenkloß, welchen Gottes Hand in Kurzem zermalmen und zu Staub und Asche machen wird. Man hat viel große Potentaten dem Namen, der Macht und den Thaten nach in der Welt gehabt, allein was sind sie nun? Sollte man in Alexanders, Karls, Ottos, welche unter den Kaisern den Beinamen der Großen geführt, Gräbern suchen, meint ihr, daß man mehr, als eine Hand voll Staub und Asche finden würde? So gehts mit uns andern auch, unsere große Mühewaltung, Sorge, Arbeit, Ehre, Ansehen, Gelahrtheit und anderes Schattenwerk läuft endlich auf eine Faust voll Erde aus. Darum, wenn der weise Mann uns so fein hoch, wie der Frosch in dem Mondschein pflegt, sieht dahertreten und so breit machen, kann er sich nicht enthalten, unser zu spotten und zu sagen: Was erhebt sich die arme Erde und Asche? Ist es doch ein eitler schändlicher Koth, weil er doch lebt, und wenn er denn todt ist, so fressen ihn die Schlangen und Würmer. Sir. 10, 9. 10. 11. Ach, wenn wir uns dessen doch allezeit erinnern und, wo uns der Vorschlag vom Erdenkloß nicht gefiele, jenem frommen Mann folgen möchten, der alle Morgen, wenn er aufgestanden, auf seine Kniee gefallen und die Erde dreimal geküßt hat, erstlich sich zu erinnern, daß er Staub und Asche wäre und sich seinem Herrn und Gott in Demuth nach dem Exempel Abrahams, 1. Mos. 18, 27., und seines Erlösers, Luc. 22, 41., zu den Füßen zu werfen; fürs andere, daß er seinem Herrn Jesu für seine tiefe Erniedrigung, und daß er die Erde mit seinen heiligen, göttlichen Thränen und Blutstropfen besprengt, möchte danken; drittens, daß er dabei herzlich Gott anrieft, daß er ihm zu seiner Zeit ein seliges Ende bescheren, seinem Leibe in der Erde eine sanfte Ruhe und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung zum ewigen Leben verleihen wolle. Mein Gott! hilf mir zu solchem und dergleichen andächtigen, gottseligen Hebungen, und laß sie ohne Falsch, doch nicht ohne Frucht bei mir sein.
317. Der Denkspruch.
Gotthold fand auf der Reise in einer Kirche mit Röthelstein angeschrieben: Mit Gott weiter! nebst zween Buchstaben (die zweifelsfrei des Schreibers Namen bedeuteten) und der Jahrzahl und gedachte, daß vielleicht ein Durchreisender, welcher Gott für seinen gnädigen Schutz, durch welchen er ihn bis hieher gebracht, in der Kirche gedankt und um ferneres, gnädiges Geleit gebeten, diese Worte in guter Meinung hieher geschrieben; darauf sagte er bei sich selbst: dies sollte billig der Denkspruch aller Christen sein: Mit Gott, mit Jesus Hülfe weiter! theils zum Trost, denn Gott hilft eine Last nach der andern ablegen, er hilft einen Tag nach dem andern in diesem betrübten und mühseligen Leben überstehen und vorbei bringen und wird weiter helfen, er wird uns auf der Wallfahrt unsers Lebens nicht verlassen, noch versäumen, bis wir zum Ende kommen und in das himmlische Vaterland angelangen, da wir bei ihm süßiglich und ewig ausruhen werden; theils zur Aufmunterung in der wahren Gottseligkeit. Wie ein rechtschaffner Christ gesinnt sei, lehrt der h. Apostel mit den nachdenklichen Worten, Phil. 3, 12. 13.: Nicht daß ichs schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, ob ichs auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vornen ist, und jage nach dem vorgestreckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. Der theure Apostel gebraucht meinem Ansehen nach zweierlei Gleichniß; ich bin, will er sagen, meinem Herrn Jesu, wie einer Mutter ihr trautes Kind, er hat mich mit seiner Gnade ergriffen und umfaßt, er hat mich oft an sein Herz und Brust gedrückt, er hat mich in Trübsal mit den Brüsten seines Trostes erquickt und trägt mich noch jetzt auf seinen Armen und leitet mich mit seinen Augen; allmälig beginne ich dieses liebreiche Mutterherz zu erkennen, ich schlage ihm zuweilen, wiewohl in großer Schwachheit, meine Glaubensarme um den Hals, ich herze ihn in Liebe, ich sehne mich nach ihm mit Verlangen, und wird dies meine höchste Freude sein, wenn ich ihn von Tage zu Tage mehr erkennen, mehr lieben, mehr loben mag, und daher kommts, will er weiter sprechen, daß mich immer dünkt, alles, was ich bisher in meinem Apostelamt zur Ausbreitung der Ehre des Herrn Jesu, wie auch was ich in der Uebung der Gottseligkeit gethan und gelitten, das sei nicht werth, daß man daran gedenke. Ich bin einem Läufer in der Rennbahn gleich, der nicht hinter sich sieht auf den Weg, den er zurück gelegt, sondern immer nach dem vorgestreckten Ziel und aufgesetzten Kleinod sich sehnt und nicht ruht, bis er es erreicht. Ach, mein Erlöser und süßester Heiland, gieb mir ein solches Herz! Was ists, was ich bisher in meinem Christenthum gethan und gelitten habe? Mich dünkt, es ist lauter nichts. Nun Herr Jesu! mit Gott weiter! immer weiter im Glauben, weiter in der Liebe, weiter in der Geduld und Hoffnung, weiter in der Demuth, Sanftmuth, Keuschheit, Mäßigkeit, Genügsamkeit! Hilf aus Glauben in Glauben, Röm. I, 17., von Kreuz zu Kreuz, von Tugend zu Tugend, von einer Stufe der Gottseligkeit zur andern, bis ich das Ende meines Glaubens, der Seelen Seligkeit, erreiche und davon bringe.
318. Das Kind.
Ein kleines Mägdlein, als Gotthold mit dessen Mutter in einem Gärtlein nächst ihrem Hause gelegen zu reden hatte, kam und brachte etliche Blätterlein, die es vom Kraut abgebrochen, auch endlich eine Blume, die etwa am Wege gestanden, und bot sie ihm als ein Geschenk mit kindlicher Holdseligkeit dar. Wohl, sagte er, mein Töchterlein, warum sollte ich nicht mit deinen schlechten Gaben vorlieb nehmen, (weil du doch in kindlicher Einfalt mir gern etwas schenken willst) muß doch mein Gott mit mir vorlieb nehmen? Ich wollte ihm gerne oft einen starken Glauben, brünstige Liebe, große Andacht, inniges Lob, herzliches Gebet und völligen, kindlichen Gehorsam bringen, allein, wenn ich meinen ganzen Herzensgarten durchsuche, so finde ich solche Blumen nicht, die meinem lieben Gott sollten anstehen, er muß mit Schwachheit, mit Verlangen, mit gutem Willen, mit Seufzen, mit Unterstehen und Beginnen vorlieb nehmen, wie ers denn auch gerne thut und uns sein väterliches, liebreiches Herz vorgestellt hat, indem er die zwei Scherflein der armen Wittwe, die sie in den Gotteskasten legte, höher achtet, als alle Gaben der Reichen, Luc. 21, 2. 3., und sich erklärt, daß auch ein kalter Wassertrunk, den Seinigen gereicht, nicht solle unbelohnt bleiben. Matth. 10, 42. Als der Herr Jesus zu Jerusalem einritt, breiteten ihm etliche die Kleider auf den Weg, andere, die vielleicht keine Ober- oder doppelte Kleider hatten, hieben die Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg, Matth. 21, 8., oder trugen sie ihm zu Ehren mit Freuden vor, Joh. 12, 13., und einer war ihm so lieb, als der andere. Nun, mein Vater, meine Seele freut sich und jauchzt, daß du ihr Gott bist! daß sie sich alles zu dir versehen darf, daß du mit allen ihren geringen Gaben, die sie mit kindlicher, schwacher Hand dir bringt, so gnädig vorlieb nimmst! Doch will ich mich befleißigen, mein Geschenk allezeit zu verbessern. Das Beste, das ich in allen meinen Kräften und Vermögen finde, will ich dir bringen und durch die Hand meines Mittlers Jesu liefern lassen, so wirds dir nicht unangenehm sein, es sei so schlecht, als es wolle.
319. Der Trunkene.
Gotthold hörte einen trunkenen Menschen mit großem Geschrei und Lärmen vorbei gehen, wie er sich eben abkleidete und zur Ruhe begeben wollte. Ach, sprach er mit Seufzen, mein Gott, wie geht mancher Mensch zu Bette! Wie viele haben einen Mörder und Lügner zum Schlafgesellen! Dieser hat zweifelsfrei den Tag in Sünden zugebracht und seine Lust im Saufen, Spielen und Narrentheidingen gesucht, jetzt geht er mit Jauchzen und Schreien zu Hause, hat seiner Sünden kein Hehl und meint, er habe es wohl ausgerichtet; er schämt sich seiner Trunkenheit nicht, sondern läßt sich öffentlich hören, nicht mit menschlicher, vernehmlicher Stimme, sondern als eine Bestie, die nicht weiß, was sie thut; dies ist der Teufel Lust und der Hölle Freude, die ihren Rachen weit aufgesperrt hat, einen solchen Menschen zu verschlingen, wenn es nicht deine göttliche Güte und Langmuth verwehrte und ihm Zeit zur Buße um der Fürbitte Jesu willen gönnte. Ich gedenke jetzt an das, was ich glaubwürdig habe erzählen hören: Eine ruchlose Gesellschaft war auch den Tag über bei einander gewesen und hatte sich im Saufen, Schandieren, Fluchen und allerlei gottlosem Wesen rittermäßig erwiesen; einer aus ihrer Mitte, als er es nicht länger aushalten kann, schlich weg und geht zu Bette; als die andern deß inne werden, beschließen sie, ihm einen Possen zu beweisen und ihn aufzuwecken; aber wie? Sie verkleiden sich alle, theils mit weißen Hemden mit Blut bespritzt, theils mit schwarzen alten Pelzen und Säcken, verschwärzen das Gesicht und nehmen brennende Lichter und bloße Degen in die Hände, treten also in die Kammer und um das Bett des Schlafenden und fangen an mit gräßlicher Stimme zu schreien, davon derselbe zwar erwachte, aber, weil er nicht anders denken konnte, als daß so viel Teufel um ihn wären, dermaßen erschrickt, daß er vor Angst nicht reden, schreien oder sich bewegen kann, und ob sie wohl, nachdem sie eine Weile in solchem Schrecken ihn gelassen, ließen Bier und Gläser herein bringen und ihn zu fernerer Lustigkeit ermahnten, so konnte doch und wollte er nichts nehmen, befand sich gar übel und es mußte ein Arzt geholt werden, ihm etwas zu verordnen, der denn eine geraume Zeit mit ihm zu thun gehabt; doch ist durch Gottes Güte dieses gefährliche Spiel ihm zum Besten ausgeschlagen, weil er angelobt, sich sein Leben lang vor solcher bösen Gesellschaft und Trunkenheit zu hüten. Dies war, wiewohl ein grausamer und schrecklicher, Scherz toller, voller Leute, allein, wie leicht könnte es auf des Höchsten Verhängniß geschehen, daß einem Trunkenbold, der in allen seinen Sünden ohne einige Buße und Gebet zu Bette geht, dieses wahrhaftig widerführe, daß, wenn er der Seele nach erwachte, er sich mitten unter den Teufeln in der Hölle befände, die ihm Qual und Leid einschenkten. Offenb. 18, 7. Denn wie mancher ist in Trunkenheit und im Schlaf von Gottes gerechtem Gerichte erhascht und des Morgens todt gesunden worden? Nun, mein Gott! du bist barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Gnade und Treue. 2. Mos. 34, 6. Schone dieses armen Menschen nach deiner großen Güte, übereile ihn nicht mit einem schnellen Tode! Gieb ihm seine Sünde mit herzlicher Reue zu erkennen, und laß ihn Gnade um des Herrn Jesu willen finden.
320. Das Gewissen.
Es ward berichtet, daß ein gewinnsüchtiger Mann, als ihm in einem Handel zugeredet worden, er möchte doch sein Gewissen bedenken, ungescheut geantwortet: Was Gewissen? ich habe kein Gewissen und weiß nichts davon. Gotthold sagte: So gehts, wenn der Teufel einen Menschen zur Sünde verleitet hat, so macht er ihm dabei einen falschen Seelenfrieden und verhütet, so viel ihm möglich, daß keine bußfertige Gedanken ins Herz kommen, dämpft das Gewissen und dessen Zureden. Hört er schon das Wo«, so nimmt er es von seinem Herzen, bringts ihm stracks wiederum aus dem Sinn und läßt es bei ihm nicht hasten, damit er also desto kühner in seinen beliebten Sünden fortfahren, darinnen verharren und sich in der Hölle Stricken desto mehr verwickeln möge. Wenn man will, daß einer lange schlafen soll, so verhütet man alles Gepolter, dadurch er könnte aufgeweckt werden. Der Satan machts in diesem Fall wie ein betrüglicher Wirth, der seinem Gast die besten Worte giebt, frisch aufträgt und einschenkt, legt Würfel und Karten auf, läßt die Spielleute kommen und bittet, man wolle sich lustig bezeigen, indessen mit der Rechnung zurück hält, die er aber zu seiner Zeit also zu machen weiß, daß sich der Gast hinter den Ohren krauet. Der gefährlichste Zustand der Seele ist, wenn sie von keiner Gefahr wissen will. Die schlimmsten Hunde sind es, die nicht erst bellen, sondern stracks tückisch beißen. Das Gewissen der Gottlosen, welche sich ihrer Sünden und wegen glücklichen Fortgangs ihres Muthwillens freuen, ist wie das Feuer im nassen Holz, welches zu keiner Flamme anfangs kommen kann und das Ansehen hat, als wollte es verlöschen, wenn es aber einmal zu Kräften gekommen ist, so greift es desto weiter um sich und verzehrt alles, was es erfassen kann; sie sind dem Thiere Hyäne gleich, von welchem geschrieben wird, daß es zwar sehr arglistig ist, seinem Raub nachzugehen und die Hirten und Hunde zu betrügen, aber sehr einfältig und albern sich selbst zu verwahren; denn wenn der Jäger vor die Höhle kommt, darinnen es sich aufhält, liegt es ganz still und regt sich nicht, der Jäger ruft mit Fleiß seinen Gefährten zu: Es ist nicht hie, es ist anderswo! macht ihm indessen den Strick an einen Fuß fest, welches es alles erduldet, in Meinung, man wisse von ihm nicht; sobald der Strick angebunden, eilt der Jäger wieder heraus und pfeift aus einem andern Ton: Es ist hier! schlagt todt! auf welche Stimme das Thier ganz grimmig herausspringt und alle Kräfte versucht, zu entkommen, auch sich tapfer wehrt, bis es von den Leuten getödtet wird. So machts der Teufel mit den Gottlosen; er pfeift ihnen immer süße: Gottes Barmherzigkeit ist sehr groß! All vergeben! Es hat keine Noth! Es hat nichts zu bedeuten! u. s. w., bis er sie in seinen Stricken fest gemacht hat und von dem gerechten Gott einen Wink bekommt; da klingts anders: Du verfluchter Mensch! Du Gottesverächter! Nun Ach und Weh über deine Seele! Mir hast du gedient, ich will dir auch lohnen. Darum muß man sich an solcher Leute Reden nicht kehren, sondern sich ihrer erbarmen und Gott für sie bitten, daß er ihnen erleuchtete Augen gebe, die Gefahr ihrer armen Seele zu erkennen, und ihnen nach seiner Güte Buße gebe, daß sie wieder nüchtern werden aus des Teufels Strick, von dem sie gefangen sind zu seinem Willen. 2. Timoth. 2, 26. (Da denn der Apostel auch die Gottlosen in ihrer Sicherheit mit den Trunkenen vergleicht, denn gewiß die meisten sind den Uebelthätern gleich, die sich vollsausen, wenn sie zum Tode sollen geführt werden.) Ach, mein Herr und Gott! erbarme dich solcher Leute in Gnaden und gieb mir ein zartes und wachsames Gewissen, dem Auge gleich, welches, auch wenn ein geringes Stäublein hineingefallen ist, schmerzt und thränt. Laß mir mein Herz, wenn ich ja etwas versehen und straucheln sollte, flugs schlagen und ein Zeichen geben, wie deinem Diener David, 1. Sam. 24, 6. 2. Sam. 24, 10., damit ich mich christlich besinne und nicht sicher werde.
321. Die Ruthe.
Gotthold kam zu einem Freunde, als derselbe mit den Seinigen über Tische saß, wobei er denn dieses alsobald in Acht nahm, daß zwar den Kindern ihre Speise und Brod gereicht war, davon sie fein sittig und stille essen mußten, es lag aber die Ruthe auf dem Tisch neben des Vaters Teller ihnen zur Warnung, damit sie sich vor Ungebühr und Uebelstand hüten möchten. Darauf sagte er: Ihr machts, wie unser lieber himmlischer Vater mit seinen Kindern, er bereitet zwar vor ihnen einen Tisch, Ps. 23, 5., und giebt ihnen öfters allerlei Gutes, geistlich und leiblich, zu genießen. Doch muß die Ruthe, das liebe Kreuz, auch nicht weit sein, damit wir nicht muthwillig werden, sondern in seiner heiligen Furcht und kindlichem Gehorsam einher gehen. In oder, wie etliche wollen, bei der Lade des Bundes im alten Testament ward nicht allein die goldne Gelte mit dem Manna, sondern auch die Ruthe Aarons, die ehemals geblüht hatte, aufbehalten, Hebr. 9, 4., anzudeuten das Hausrecht unsers Gottes, daß er zwar die Seinigen mit dem verborgenen Manna, Offenb. 2, 17., seiner süßen Gnade speisen, doch aber nach seinem Gutbefinden die Ruthe darnebst brauchen wolle, beides zu unserm Besten und zu unserer Seligkeit. Es ist eine Hand, welche den Tisch bereitet und die Ruthe führt, es ist ein Herz, daraus Trost und Kreuz kommt, Gott bleibt unser liebster, gnädiger Vater, sowohl, wenn er stäupt und züchtigt, als wenn er erquickt und tröstet. Und wie jener weise Mann wohl gesagt hat, es wäre noch zweifelhaft, ob das Brod oder die Ruthe den Kindern dienlicher sei, weil sie zwar ohne Brod nicht leben, ohne Ruthe aber nicht wohl leben könnten, so mögen wir auch nur gestehen, „daß das liebe Kreuz uns so noth ist, als das Leben selbst, und noch viel nöthiger, ja nutzer, als aller Welt Gut und Ehre,“ wie der gottselige Arnd redet, der weiter an einem andern Ort sagt: „Gleichwie die größte Wohlthat, die man kann einem Kind beweisen, ist die Ruthe, also ist die größte Wohlthat Gottes an uns das liebe Kreuz, dafür sollen wir Gott die Gelübde der Dankbarkeit bezahlen vor allen Auserwählten, wie denn dieselben thun im Himmel vor allen h. Engeln.“ Freilich ist kein Zweifel, weil die seligen Seelen im Himmel das Geheimniß des Kreuzes nunmehr völlig verstehen und dieser bittern Wurzel süße Frucht in ewiger Ruhe genießen, daß sie dem allein weisen und gütigen Gott insonderheit für sein h. Kreuz und väterliche Zuchtruthe danken, ohne welche sie zu dieser Herrlichkeit und Seligkeit nicht gelangt wären. Lasset uns dieses auch lernen und von Herzen sagen: Es ist mir lieb, daß du mich gedemüthiget hast, daß ich deine Rechte lerne. Ps. 119, 71. Ich danke dir, Herr, daß du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und tröstest mich. Jes. 12, 1. Wir mögen uns aber wohl versichern, wir haben es gerne oder nicht, so wird doch der Herr, unser Gott, seine Weise nicht ändern, wer Gottes Kind sein will, der muß Brod und Noth bei einander haben, wer an Gottes Tisch essen will, der muß sich nicht lassen befremden, daß die Ruthe darauf liegt, und daß er mehrmals das Brod seines himmlischen Vaters mit Thränen essen muß. Hier in der Welt schickt sichs nicht anders; wenn wir im Himmel werden zu Tische sitzen, so sollen alle Ruthen ins Feuer geworfen sein. Mein Vater! ich werde allmälig deiner Weise gewohnt und weiß wider dein Hausregiment nichts zu reden; ich bemühe mich täglich, zu lernen, nicht allein das Brod, sondern auch die Ruthe zu küssen und zu lieben.
322. Der Traum.
Einer von Gottholds Hausgenossen klagte, daß er die Nacht unruhig geschlafen, weil ihm ein verworrner und verdrüßlicher Handel, damit er den vorigen Tag hatte zu thun haben müssen, stets im Sinne gelegen und auch im Traum, sobald er ein wenig eingeschlafen, vorgekommen wäre. Gotthold sagte hierauf: Lernet hiebei, daß unser Todesschlaf nach dem Leben sich wird schicken, und was wir bei gesunden Tagen haben vorgehabt, das wird uns in der selbst nicht mehr spielen konnte, er doch andere spielen sehen und sich daran belustigen möchte. Und, daß ich noch eins hinzu thue, welches ich selbst erlebt, so habe ich einen Menschen gekannt, der vor diesem von guten Mitteln gewesen, durch sein unordentlich Leben aber sich darum gebracht und ein Botenläufer geworden, dabei er aber nach wie vor die lustige Gesellschaft und das Saufen geliebt, auch im Gebrauch gehabt, daß, wenn ihn die Natur gedrungen, hinwegzugehen, er scherzweise gesagt: es ist einer draußen, der mich sprechen will. Als er nun auch einmal in dieser Stadt, woselbst er sonst nicht wohnhaft war, beim Branntwein sich lustig macht und hinausgehend die obgemeldete Rede führt, fällt er draußen um und stirbt eines geschwinden Todes. Da war freilich einer, der ihm etwas zu sagen hatte, nämlich der Tod, der ihn vor Gottes Richterstuhl citirte und führte. Sehet, das heißt, wie ein feiner Spruch, den ich einmal auf der Reise an einem Ort angeschrieben fand, lautet:
Mensch! wie du glaubest, so lebest du,
Wie du lebest, so stirbest du.
Wie du stirbest, so fährest du,
Wie du fährest, so bleibest du.
Darum laßt uns wohl und christlich leben, damit wir, wenns unserm Gott gefällt, auch wohl und christlich sterben mögen. Mein Herr Jesu! ich will mein Herz, so viel immer möglich, weil ich lebe, auf dich, dein h. Blut, Verdienst und Wunden allezeit richten, so wird mir ja auch, wenn ich sterben soll, nichts anders in den Sinn kommen:
Herr Jesu! Dir leb ich,
Herr Jesu! Dir sterb ich,
Herr Jesu! Dein bin ich
Todt und lebendig!
323. Die Kunstkammer.
Man ward in einer vornehmen Gesellschaft von eines großen Herrn Kunstkammer redend, und weil ein paar Personen zugegen, so selbige gesehen, berichteten sie von allerlei kostbaren Sachen, die theils wegen der Kunst und menschlichen Fleißes, so darauf gewandt, theils wegen der Rarität (Seltenheit), und daß sie sonderliche Wunder der Natur, theils wegen des großen Werths gar hoch geschätzt wurden. Gotthold sagte: Ich habe mir erzählen lassen, daß, als ein berühmter Geistlicher und gottseliger Mann eine dergleichen Schatz- und Kunstkammer nebst andern besichtigt, er im Herausgehen seine Gefährten gefragt, welches unter allen kostbaren Dingen in diesem Gemach das Allerköstlichste und Beste gewesen. Als sie nun einmüthiglich nach der Aussage des Schatzmeisters, der ihnen diese Herrlichkeit gezeigt, auf ein köstliches Kleinod, welches mit vielen großen orientalischen Diamanten geziert gewesen, gestimmt, spricht er: Ich sehe wohl, daß ihr euch selbst noch nicht zu schätzen wisset; euer Erlöser legt die menschliche Seele gegen die ganze Welt in die Wage und findet selbige viel theurer und kostbarer, als diese, sagend: Was hilfts einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Matth. 16, 26. Alles, was wir in diesem Schatz gesehen haben, kann mit Gold oder Silber bezahlt werden, die Seele aber ist zu theuer dazu, darum hat das theure Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes, darauf müssen verwandt werden. 1. Petr. 1, 18. Alles, was hierinnen ist, das ist vergänglich und der Eitelkeit unterworfen, allein die Seele ist unsterblich, darum wir unsere Seelen billig für das allerkostbarste Kleinod, so heute in dieser Kunstkammer gewesen, achten sollen. Hiebei, fuhr er fort, fällt mir zu, was von Kaiser Otto dem Dritten berichtet wird, daß, als er in Wälschland einen Mönch, Nilus genannt, der damals wegen seiner Frömmigkeit und heiligen Lebens in großem Ruf war, besucht und allerlei Erbauliches als ein christlicher Herr mit ihm geredet, er beim Abschied ihn genöthigt, daß er etwas von ihm bitten sollte. Der fromme Mönch bedenkt sich nicht lange, sondern tritt zum Kaiser näher hinan, legt ihm die Hand auf die Brust und spricht: Nichts kann mir Ew. Majestät Angenehmeres erweisen, als wenn sie ihre Seele, die in diesem Leibe wohnt, eifrigst in Acht nehmen wird, daß sie nicht verloren werde. Denn obwohl Ew. Majestät zur kaiserlichen Hoheit erhoben ist, so muß sie doch sterben wie ein anderer Mensch und vor Gottes Richterstuhl zur Rechnung ihres ganzen Lebens erscheinen; darauf dem Kaiser die Augen übergegangen. Ich bitte dergleichen von euch, thut, was ihr thut, nehmet das theure Kleinod, eure unsterbliche und mit Jesu Christi theurem Gottesblut erkaufte Seele wohl in Acht; wo ihr die solltet durch Unbußfertigkeit und Sicherheit verlieren, so kann euch kein Gewinn helfen, und wenn euch alle Kronen, Scepter und Schätze der ganzen Welt geschenkt würden! Man hat heutiges Tages Mittel gefunden, in den schiffreichen Strömen, ja in dem wilden Meer das Verlorne wieder zu suchen und aufzufischen, allein wer ist es, der eine verlorne Seele aus der tiefen Hölle könnte wieder hervor bringen? Ach! fing einer von der Gesellschaft an, in unserer Aufsicht und Hut ist dies Kleinod gar zu übel verwahrt, hiebei muß der Hüter Israels, der nicht schläft oder schlummert, Ps. 121, 4., das Beste thun. Gotthold antwortete: Wahr ists, wir sind wie die Kinder, denen ein Pater Noster, wie mans nennt, oder eine Schnur voll Schaupfennige um den Hals gehangen ist, die selbige sich oft lassen abschwatzen und sie gegen einen Apfel vertauschen. Doch müssen wir nicht Kinder bleiben, sondern Gott täglich bitten, daß er uns je mehr und mehr erleuchten, mit seinem H. Geist regieren und wachsam und vorsichtig machen, insonderheit, daß er selbst dieses theuren Kleinods, so ihm so viel kostet, Hüter sein und es sich aus seiner Hand nicht reißen lassen wolle. Herr Jesu, du Erzhirt und Bischof meiner Seele! du weißt am besten, wie viel eine Seele werth ist. Dies ist kein Kleinod für einen Menschen, sondern allein für dich, darum soll meine Seele nicht mein, sondern dein Kleinod und theuer erkauftes Gut heißen. Du wirst denn, was dein ist, wohl wissen zu bewahren, daß es dir kein Teufel nehme.
324. Der Maler.
Als Gotthold dazu kam, daß ein kunstreicher und gottseliger Maler einen jungen Menschen abzubilden im Werk begriffen war, und ihm eine Weile zugesehen hatte, sagte er: Ich weiß nicht, ob ihr leiden könnt, daß man bei dieser eurer Arbeit mit euch spricht, zumal ich gestehen muß, daß es fast einerlei sei, wenn man einem Gelehrten in seinem Nachsinnen und einem Maler in seinem Bilden zuredet, weil das Gemüth dadurch von seinem Vorhaben abgewandt und irre gemacht wird. Wie aber jener antwortete, er könnte es gar wohl leiden, und weil er sich von ihm keiner andern, als zur Gottseligkeit und Besserung gerichteten Reden versichert hielte, würde es eine selige Abkehr des Gemüths sein, wenn ihm eine oder ander gute Erinnerung ins Herz gebildet würde; hierauf fuhr Gotthold fort: Ihr wisset, daß der Geist Gottes sagt: Christus Jesus sei uns nicht allein zum Gnadenstuhl, Rom. 3, 25., sondern auch zum Vorbild, 1. Petr. 2, 21., vorgestellt und vor die Augen gemalt. Gal. 3, 1. So ist nun Jesus das Original, das wir nach dem Leben in unserm Leben abbilden sollen. Gott hat uns verordnet, daß wir sollen gleich sein dem Ebenbilde seines Sohnes. Rom. 8, 29. Christen müssen lauter schöne Bilder werden, mit welchen Gott sein Haus ausschmücken will, welches aber dem Bilde seines Sohns nicht ähnlich ist, das wird verworfen. Etliche Leute machen viel Wesens von dem Bilde, welches unser Erlöser dem Abgarus, Könige zu Edessa, soll zugeschickt haben, und berichten, daß erstgemeldeter König einen Maler gesandt, unsern Heiland nach dem Fleisch abzubilden; als aber derselbe sein Antlitz vor dem hellen Glanz, den es von sich gab, nicht anschauen und es also nicht malen konnte, habe der Herr ein Tuch an sein h. Angesicht gehalten und darin selbiges eigentlich abgedrückt, welches man auch noch vermeinet an einem Ort zu haben und es in großen Ehren hält. Allein willst du wissen, wie Christus ausgesehen und wie er eigentlich gestaltet gewesen, so siehe an einen seiner rechtschaffenen Nachfolger, dem wird die Freundlichkeit, Sanftmuth, Demuth, Keuschheit, Mäßigkeit und andere göttliche Tugenden aus den Augen leuchten, und hierin ist sein rechtes Bild, um welches wir am meisten müssen bekümmert sein. Wie nun ein Maler durch stetiges und vielfältiges Anschauen erstlich sich muß ein Gesicht in sein Herz bilden oder in sein Gemüth fassen und es hernach, so viel ihm möglich, mit Farben auf dem Tuch vorstellen, also muß das Bild Jesu Christi zuerst durch den Glauben ins Herz gefaßt und hernach im heiligen Leben und liebevollen gottseligen Wandel ausgebildet werden. Darum muß alle Augenblick und bei allen unsern Verrichtungen unser Herz auf Jesum gerichtet sein, wie denn ein berühmter Gottesgelehrter (Schererz) wohl gesagt: „Ein rechter Christ kann keine Stunde in dieser Welt zubringen, da er nicht an seinen Heiland gedenke. Denn er ist unserer Seligkeit Anfang, Mittel und Ende, und wo ein Christ gefunden wird, der viel Stunden kann vorüber gehen lassen, darinnen er sich des Herrn Christi nicht erinnere, so wisse er, daß sein Christenthum Halbding ist und er Christum nie hat lernen recht lieb haben.“ Wo nun das Bild Jesu im Herzen ist, da wird sichs auch in allen Worten, Werken und Geberden eräugen. Man muß auch bei dieser Arbeit nicht überdrüssig und kleinmüthig werden. Ein Bild wird nicht auf einmal, sondern allmälig nach oft wiederholtem Anschauen und gemachsamer Auftragung der Farben endlich verfertigt. Also hat ein Christ sein Leben lang damit zu thun, daß er seinen Erlöser in sein Herz fasse und in seinem Leben abbilde. Ach wie oft wird er in dieser Arbeit gehindert! Wie manchmal wird, was er mühsam bearbeitet hat, verderbt! Doch muß man den Muth nicht sinken lassen; im Irren lernen wir, und die Vollkommenheit wird aus der Unvollkommenheit geboren. Ach, Herr Jesu! nimm vorlieb mit unserm Lehrwerk und guten Willen, und bilde dich selbst in unseren Herzen, daß du auch äußerlich an unserem ganzen Wandel mögest erkannt werden.
325. Das Luststück.
Gotthold ließ in seinem Garten ein Luststück (wie es die Gärtner wegen der Blumenlust und weil es nicht so sehr zum Nutzen, als Ergötzlichkeit dient, nennen) von Neuem anlegen und mit allerlei Blumenzwiebeln bepflanzen; als es nun fertig, gerieth er darüber in folgende Gedanken: ob zwar der Gärtner an diesem Platz seine Kunst bewiesen und der Erde mit seinen Modeln ein zierliches Ansehen gemacht hat, so bleibt sie doch so wohl, als andere Erde bei ihrer wilden Art, und wenn dieses anmuthige Stück nicht in fleißiger Aufsicht gehalten wird, dürfte es in kurzer Zeit voll Unkraut erfunden werden; so ist es auch mit dem Herzen der heiligen Kinder Gottes. Sie sind ja zwar andere Menschen durch die selige Wiedergeburt geworden und ihre Herzen haben durch Gottes Gnade, Wort und Geist eine andere Gestalt gewonnen, doch bleibt die sündliche angeborne Art darinnen verborgen und muß durch tägliche Buße, Gebet, Streit und heiligen Vorsatz unterhalten werden. Die frommen Herzen verlassen zwar die Sünde, aber die Sünde verläßt sie nicht; der Apostel nennt sie eine Sünde, die uns immer anklebt und träge macht. Hebr. 12, 1. Und ohne Zweifel hatte hierauf der königliche Prophet sein Absehen, wenn er sich zwar Ps. 18, 22. 23. 24. seiner Uebung in der Gottseligkeit, seinem Gott zu Ruhm und Preis, mit Demuth rühmt, doch merklich sagt: Ich hüte mich vor meiner Sünde. Er führte zwar einen behutsamen und heiligen Wandel und hatte die Rechte seines Gottes stets als einen Spiegel vor Augen, doch wußte er wohl, daß die Sünde noch in ihm wohnte, und daß einige Fehler waren, zu welchen seine Natur sonderlich geneigt, darum er sie seine Sünde nennt, wie es denn auch leider! die Erfahrung ihn gelehrt hat, daß er diese Sünde noch nicht gänzlich ausgerottet, als sie öffentlich ausgebrochen und böse Früchte getragen. 2. Sam. 11, 2. ff. Nun, mein Gott! ich erkenne deine Gnade und mühsamen Fleiß, welche du an mein armes verwildertes Herz gewandt hast, und danke dir, daß du einen Abriß und Muster der wahren Gottseligkeit in demselben gemacht und mit heiligen Begierden und Verlangen, als den Wurzeln aller Tugenden, es belegt hast! Du weißt aber, mein Vater! die Art dieser Erde, ich habe auch meine Sünden, ich bemühe mich zwar, wie du weißt, dieselben auszugäten und zu dämpfen, doch bleibt die sündliche Art im Fleisch verborgen und läßt nicht nach, sich zu regen und, wo sie kann, auszuschlagen. Nun, mein Gott! meine Aufsicht und Fleiß ist zu gering und zu schwach, habe du selbst Acht auf mich und mein armes Herz, reute aus, dämpfe, zwinge die Sünde und laß die Glaubens- und Liebesblumen täglich in mir wachsen und sich vermehren, daß meine Seele dein Lustgarten bleibe!
326. Die Schlüssel.
Gotthold ward von einer begüterten Frau gefragt, was sie bei einem Gebunde Schlüssel, so ans dem Tische lagen, für gute Gedanken sollte haben. Er bedachte sich ein wenig und sagte: Ich erinnere mich, daß ein gelehrter Mann zum Sinnbild ein Bund Schlüssel malte mit der Beischrift: Alle können nicht alles, anzudeuten, daß Gott seine Gaben nach seinem heiligen Willen austheile und einem nicht alles verleihe, damit immer ein Mensch des andern bedürfe und einer dem andern nach dem Maß der Gabe, die ihm gegeben ist, zu dienen beflissen sei. Ein Schlüssel kann nicht alle Schlösser schließen, und ein Mensch kann nicht alles ausrichten, damit sie durch das Band des Friedens einander verbunden und nach Vermögen zu helfen bereit verbleiben mögen. Ein solch Bund Schlüssel kann euch eine gute Haushaltung vorstellen, darinnen der Mann muß regieren und erwerben, die Frau helfen und zu Rathe halten, die Kinder und das Gesinde arbeiten und gehorsamen, allesammt aber in der Furcht Gottes an einander halten und fleißig beten. Dieses letztere, fuhr er fort, erinnert mich, was unser Heiland zu seinem Apostel sagt, Matth. 16, 19.: Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Ich gestehe zwar, daß er eigentlich redet von der Gewalt, Sünde zu erlassen und zu behalten, wie er selbst es anderswo, Joh. 20, 23., erklärt; doch kann man mit Recht sagen, daß er allen seinen Gläubigen die Schlüssel des Himmelreichs überantwortet hat, Joh. 16, 23., sagend: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird ers euch geben. Ich weiß, daß einmal ein Knabe von zehn Jahren seine Mutter, eine betrübte Wittwe, in ihrer großen Schwermuth, ohne Zweifel durch des H. Geistes Eingeben, mit dieser Betrachtung getröstet hat, sagend, Gott wäre ein reicher Herr und hätte einen großen Vorrath und seine Speisekammern wären voll und seine Schätze unerschöpft, die Schlüssel aber dazu hätte uns sein lieber Sohn gegeben, nämlich unser andächtiges Gebet, darum sollten wir mit Freudigkeit beten, so würde es uns an keinem Gute können fehlen. Freilich ist das Gebet der rechte Himmelsschlüssel. Ach, wenn wir ihn nur fleißig gebrauchen möchten! Es kommen mir auch hiebei in den Sinn die schönen Gedanken, welche jener gottselige Märtyrer im Jahr Christi 1555 aus seinem Gefängniß kurz vor seinem Tode von sich geschrieben, die sich hieher nicht übel reimen sollen. „Lasset uns,“ spricht er, „gerne diesen Weg gehen, dieweil uns der Tod nicht also überwinden kann, daß er uns zur Schmach und Verachtung gereiche/ sondern vielmehr ein Eingang ist zur Herrlichkeit; lasset uns, den Tod getrost ergreifen und annehmen, dieweil er nicht mehr einen Pfeil in der Hand hat, uns auf den ewigen Tod zu verwunden, sondern vielmehr einen Schlüssel, mit welchem uns das Himmelreich eröffnet wird, auf daß wir allda Jesum Christum, unser einiges und ewiges Leben, anschauen mögen.“ Als nun obgemeldete Frau Gottholden also reden hörte und darüber erseufzte, sagend: Das sind doch gute Gedanken bei den Schlüsseln, deren ich nicht leicht vergessen will, sprach er: Meine Freundin, sagt mir bei eurem Gewissen, ob alle diese Schlüssel euer eigen und stets in eurer Gewalt sind? Sie antwortete: was ihn daran zweifeln machte? Er fuhr fort: In manchem Hause sind viele Schlüssel zum Keller, Boden, Speisekammer, zu Truhen und Kasten, allein der Satan hat sie in seiner Gewalt. Mancher begüterte Mensch hat viel Vorrath und Schätze, was hilfts aber, wenn der Teufel die Schlüssel dazu hat, und nicht allein seine Kasten, sondern auch sein Herz fest verschlossen hält, nach dem, was der h. Apostel sagt, 1. Joh. 3, 17.: Wenn jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt die Liebe Gottes bei ihm? Wie dies zugehe, davon will ich euch ein oder anderes Exempel erzählen. Stigandus, ein Erzbischof zu Kanterbury in England, lebte gar kläglich und hielt sich sehr schlecht; als ihm seine Freunde zuredeten, er sollte sich besser nach seinem Stande halten, verschwur er sich hoch, er hätte keine Mittel. Nach seinem Tode findet man an seinem Halse ein Schlüsselein zu seinem geheimen Kasten; als derselbe eröffnet, hat man ein Verzeichniß gefunden eines großen Reichthums, so er unter der Erde an einem Ort verborgen hatte. Dergleichen Exempel hat sich bei meiner Zeit mit einem weltlich gesinnten und ungeistlichen Geistlichen auf dem Lande zugetragen, welcher den Schlüssel zum Geldkasten an den Hals in seiner Krankheit gehängt und befohlen, ihm bei Leibe denselben nicht eher abzunehmen, als bis er ganz todt wäre. Ei, sprach sie, da behüte Gott vor! Ja, schloß er, es behüte Gott mich und euch davor um des Herrn Jesu willen!
327. Das Bett.
Es ward ein Bett gezeigt, das nicht allein sehr kostbar wegen der Tischler-, Bildschnitzer- und Malerarbeit, sondern auch mit Vorhängen und Laken sehr herrlich geziert war. Gotthold sagte: Man sollte billig in solchen Dingen gemach thun und bedenken, daß mit der Demuth und Dürftigkeit deß, der da spricht: Des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege, Matth. 8, 20., und, wenn er schlafen wollte, mit einem Kissen vorlieb nahm, Mare. 4,38., solche Pracht und Ueberfluß nicht überein kommt, wie denn auch der Prophet das Weh schreit über die, welche auf elfenbeinernen Lagern schlafen und treiben Ueberfluß mit ihren Betten. Amos 6, 4. Des reichen Mannes Lager ist ohne Zweifel seiner andern Pracht gemäß gewesen, allein hernach mußte seine Seele in den höllischen Flammen liegen. Drum vergaffet euch nicht an solchen Prahlereien der Welt, lernet sie vielmehr verachten, und wenn ihr sie seht, denket in euren Herzen: Eitelkeit! Thorheit! Ich will euch aber von andern Betten sagen, die mehr verwundernswerth, und bei deren Betrachtung mehr Nutzen sein wird. Genebaldus, der Laudunenser Bischof, ließ sich eine Lagerstatt, wie ein Grab gestaltet, zurichten, darinnen er auch ganzer sieben Jahr zu schlafen pflegte und sich seines Todes stets dabei erinnerte. Niklas von Amsdorf, ein edler und berühmter Theologus zu seiner Zeit, hat seinen Sarg stets vor seinem Bette stehen gehabt als eine Bank, und darauf getreten, wenn er zu Bette gegangen und aufgestanden. Eine alte Matrone zu Dresden hat 10 Jahr vor ihrem seligen Absterben ihren Sarg verfertigen, auch Kissen und Polster darein legen lassen, darinnen sie auch zuweilen, sonderlich an hohen Festtagen, ihre Mittagsruhe hielt. Einen Studenten hatte seine Muhme, die ihn erzogen, dazu gewöhnt, daß er viele Jahr in einem Sarg sein Bette gehabt und darinnen geschlafen, damit er sich seiner Sterblichkeit stets erinnern möchte. Wie gefallen euch diese Betten und Schlafstellen? Sollten sie wol einem, der sich in der Gottseligkeit übt, so nützlich sein, als ein so prächtiges? Meine Freunde! machet euch doch mit dem Tode bekannt, weil ihr lebt, und bereitet euch so gegen seine Ankunft, daß ihr alsdann nichts anders zu thun habt, als sterben. Mancher Mensch hat so viel mit der Eitelkeit zu thun, daß er an den Tod vor dem Tode nicht gedenkt, und, wenn er sterben muß, die Kunst selig zu sterben nicht gelernt hat. Mein Herr Jesu! verleih mir die Gnade, daß ich mit Bußthränen mein Lager netze, mit Beten und Seufzen es heilige und mir also ein sanftes Todbette bereite!
328. Der Vogel.
Es hatte Gotthold ein Singvögelein im Bauer eine geraume Zeit gehalten, selbiges war nunmehr seines Gefängnisses so gewohnt, daß es nicht allein darin fröhlich und lieblich sang, sondern auch, wenn das Thürlein offen stand, nicht heraus begehrte. Ach, dachte er, solches sehend, in seinem Herzen, wenn ich doch von diesem Vöglein die Zufriedenheit mit meinem Zustand und die Gelassenheit in Gottes Willen könnte völlig lernen! Ach, wenn ich doch der Weise und Wege meines Gottes erst könnte recht gewohnt werden und von Herzen glauben, daß ers mit mir nicht böse meinen kann! Dieses Vöglein ist zwar eingesperrt, doch weil es sein Futter hat, ist es wohl zufrieden, hüpft, singt und begehrt seinen Zustand nicht zu verändern. Gott umgiebt mich zwar oft mit allerlei Kreuz und Zwang, doch hat ers mir an Trost und Hülfe niemals mangeln lassen, warum bin ich denn nicht fröhlich? Warum singe und danke ich nicht meinem Gott mit freudigem Herzen, auch in Trübsal? Ich mag auf dies Vöglein wohl beziehen, was der liebe Luther schreibt über die Worte Christi: Sehet die Vögel unter dem Himmel an! Matth. 6, 26. „Da fliegen die Vöglein vor unsern Augen über, uns zu kleinen Ehren, daß wir wohl möchten unser Hütlein gegen ihnen abthun und sagen: Mein lieber Herr Doktor, ich muß je bekennen, daß ich die Kunst nicht kann, die du kannst; du schläfst die Nacht über in deinem Nestlein ohne alle Sorge, des Morgens stehst du wieder auf, bist fröhlich und guter Dinge, setzest dich auf ein Bäumlein und singst, lobst und dankst Gott, darnach suchst du deine Nahrung und findest sie. Pfui! was habe ich alter Narr gelernt, daß ichs nicht auch thue, der ich doch so viel Ursach dazu habe?“ Weiter fiel ihm in dieser Betrachtung bei, was ein anderer Gottesgelehrter (Tauler) geschrieben: „Du sollst Eigenwillens, eigener Liebe und eigner Meinung ganz leer und ausgegangen sein, ja sogar, stände das Himmelreich vor dir offen, du solltest nicht darein gehen, du solltest zuerst wahrnehmen, ob es Gott also von dir haben wollte.“ Wir sollen freilich nichts thun oder begehren, als was Gottes Wille ist, wie ein wohlgezogenes Kind, wenn ihm von einem Fremden eine Gabe dargeboten wird, erst dem Vater oder der Mutter nach den Augen sieht und ihres Willens durch einen Wink will versichert sein. Denn was sind alle Gaben und Güter dieser Welt, ja was ist der Himmel selbst außer und wider Gottes Willen? Wäre es möglich, daß ein Mensch wider Gottes Willen könnte in den Himmel gehen, so müßte ihm doch der Himmel zur Hölle werden; und wenn er könnte seines Kreuzes wider Gottes Willen sich entschlagen und lauter Freude, Friede und Glückseligkeit dagegen erlangen, so müßte ihm doch alles zu eitel Gift und Galle werden. Nun, mein Gott! so will ich denn nichts, als was du willst. Ich will meines Kreuzes, meiner Beschwer, meiner Widerwärtigkeit nicht los sein, so lange du nicht willst. Ja, ich begehre in den Himmel nicht, so lange du willst, daß ich in dieser betrübten Welt und dem mühseligen Leben dir und deiner Kirche noch dienen soll; dein Wille ist . mein Himmel, dein Rath meine Weisheit, dein Wohlgefallen mein Genügen. Und in Wahrheit, wenn ichs recht bedenke, du willst allezeit, was ich will. Denn mein Wille und Begehr ist, daß es mir wohl gehe zeitlich und ewig. Das willst du auch, unser Wille und Absehen ist einerlei, aber die Mittel und Wege, dazu zu gelangen, sind unterschiedlich. Was schadets, daß du mich auf eine andere Weise führst, als ich in meiner Thorheit es gut befinde, wenn du mich wohl führst, und ich, was ich will, erlange?
329. Die säugende Mutter.
Eine Mutter saß und stillte ihr Kind, als eben ein guter Mann Gottholden zu besuchen kam; weil er nun mit heiligem Nachdenken dieselbe hatte angesehen, sagte er zu seinem Freunde: Kommt, ich will euch ein Wunder zeigen! und führte ihn damit in die Stube; als er ihn nun auf diese Mutter verwiesen, sagte jener: Was ist denn das für ein Wunder? Ihr seht, sprach Gotthold, nicht ein, sondern etliche Wunder. Denn erstlich ist das Kind, welches Gottes Hände im Mutterleibe bearbeitet und im Verborgenen so wunderlich gebildet, auch aus Mutterleibe gezogen und lebendig erhalten haben, ein Wunder der Allmacht, Weisheit und Güte Gottes. Das andere sind die Mutterbrüste, welche Gott dem zarten Kinde zum Besten mit der süßen Milch, die aller Speisen und alles Getränks Kraft mit sich führt, anfüllt, daß es seine Nahrung zur Nothdurft und Ergötzlichkeit allemal darin findet, von welchen man mit allem Recht sagen kann, daß sie seien des Kindes Weinkeller, Speisekammer und ganzer Reichthum, dafür es weder Silber, noch Gold, noch Perlen, noch Edelsteine begehrt. Das dritte ist das Mutterherz, daran der allerweiseste Schöpfer die Brüste gleichsam gehängt und befestigt hat, damit die Milch von dem Herzen gleichsam gekocht und süß gemacht und mit Liebe gewürzt würde. Dem muß es nun an unvergleichlicher, unermüdeter Liebe, wie jenen an Milch, nimmer fehlen. Denket, was eine Mutter für Sorge, Unlust, Beschwerde, Wachen, Mühe und Arbeit mit einem Kinde hat, ehe es dahin kommt, daß es sie kann Mutter nennen! Und saget mir, ob es nicht ein Wunder der Liebe Gottes sei, daß sie alles mit Freuden über- windet und ungeachtet aller Unlust das Kind dennoch brünstiglich liebt, herzt und küßt? Doch damit ihr euch nicht zu beschweren habt, so will ich euch ein rechtes Wunder von einer säugenden Mutter erzählen. Zu Lüttich oder Luyck in der Böttgergasse starb in der Geburt eine Frau, Oda Josay genannt, und ließ ein Söhnlein, das sie zur Welt gebracht, nach sich; deren Mutter, einem Weibe über 50 Jahr, ging das Elend des verlaßnen und winselnden Waisleins tief zu Herzen, und als es sehr schrie, legte sie es an ihre Brust, welche nunmehr schon 11 Jahre vertrocknet gewesen und kein Kind gesäugt hatte. Das Kind saugt, und Gott schafft Milch in der Großmutter Brust in solcher Menge und so lange, daß es füglich konnte entwöhnt und mit andern Speisen erhalten werden. Da hat Gott abermals des verschmachtenden Ismaels sich jammern lassen und ihm einen Brunnen eröffnet, daraus er seinen Durst hat stillen können. Und solcher Wunder thut Gott viel, wenn sie nur von uns undankbaren Menschen wahrgenommen und erkannt würden! Ja, Gott selbst ist eine allgemeine säugende Mutter, das ist ein Schöpfer und Erhalter aller Dinge, und hat daher, wie etliche meinen, in der hebräischen Sprache unter andern seinen Namen, einen, der von der Mutterbrust herkommt, weil er mit den Brüsten seines Segens und Trostes alles versorgt und erhält, wie denn auch ein alter Kirchenlehrer (Clemens von Alexandrien) den Herrn Jesum die Mutterbrust Gottes nennt, weil wir aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade, Joh. 1, 16., und allen Trost für unsere Seelen aus seinen h. Wunden saugen. Ach, mein Gott! laß mich daran gedenken, so oft ich eine säugende Mutter sehe, und laß mich, wenn meine Seele in Anfechtung der letzten Todesnoth einem schmächtigen Kinde gleicht, deines Trostes satt und voll, selig einschlafen!
330. Das Schweigen.
Als in einer Gesellschaft ein frommer Mann meist stille saß und wenig redete, sagte einer: Wie so stille? Gotthold antwortete: er möchte dawider fragen: wie so laut? Meint ihr nicht, daß oft Schweigen und Stillesein besser ist, als viel Reden? Jener weise Heide, als er seine Tagesstunden nach seinen Geschäften eintheilte, hat eine gewisse Zeit zum Stillschweigen sich selbst vorgeschrieben, welches billig wir Christen ihm sollten nachthun; wir sollten billig allesammt einige Zeit des Tages den weltlichen Geschäften, Gesprächen und Ergötzlichkeiten entziehen und dieselbe zum Gebet, zu göttlichem heiligem Nachsinnen und zur Stille anwenden. Mancher lernt mit großer Müh und vielen Kosten reden, ein Christ hat genug zu thun, daß er in der Schule des H. Geistes und des lieben Kreuzes schweigen lernt. Eine merkliche Redensart ist es, die im 65. Psalm V. 2. steht: Gott, man lobt dich in der Stille zu Zion, oder, wie es etliche übersetzen: Dir schweigt der Lobgesang in Zion, oder: Die Stille vor dir ist dein Lobgesang in Zion; womit angedeutet wird, daß man auch, wenn man sich in der Stille über Gottes Wunder und Werke verwundert und seine verborgenen Seufzer zu ihm aufschickt, ihn loben und preisen könne. Es ist auch eine schwere Lektion, die der königliche Prophet vor sich nimmt, wenn er spricht: Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du wirsts wohl machen! Ps. 39, 10., da er sich vorsetzt, er wolle weder äußerlich, noch innerlich dem heiligen Rath und Willen seines Gottes widersprechen, er wolle ihn lassen machen und des Ausgangs mit Geduld und guter Hoffnung erwarten. O wie schwer ist dies unserer Vernunft, die immer mit einrathen will! O wie übel kann Fleisch und Blut schweigen, wenn Gott so widersinnig mit den Seinigen umgeht! „Wenn er sie will fromm machen, so macht er sie zu verzweifelten Sündern; wenn er sie will klug machen, so macht er sie zu Narren; wenn er sie will stark machen, so macht er sie schwach; wenn er sie will lebendig machen, so steckt er sie dem Tode in den Rachen; wenn er sie will in den Himmel führen, so senkt er sie in den Abgrund der Hölle.“ (Luther.) Welches die lieben Alten mit dem nachdenklichen Lehrgedichte, das auch Luther seiner Feder gewürdigt hat, von Hans Priem, dem Fuhrmann, haben anzeigen wollen, der in das Paradies gelassen ward mit dem Beding, daß er nichts, wie sonst seine Gewohnheit war, sollte bemeistern und beklügeln. Er sah, daß zween Engel einen Balken in die Quer trugen und allenthalben damit anstießen, und schwieg stille; er sah, daß zween andere aus einem Brunnen Wasser schöpften und gossen es in ein durchlöchertes Gefäß, er verwunderte sich, schwieg doch stille; er sah dergleichen viel und verbiß das Lachen und Reden aus Furcht, er möchte wieder aus dem Paradies gestoßen werden; endlich aber sah er einen Fuhrmann, dessen Wagen im tiefen Koth und Schlamm war stecken geblieben, der zwei Pferde vor, zwei aber hinter den Wagen hatte gespannt und trieb sie zugleich an; dies konnte er, weil es seine Profession, nicht unbemeistert lassen, und es ward ihm darauf das Paradies wieder zu räumen angekündigt. Darum laßt uns schweigen lernen und unsern Gott in seinen Wegen nicht meistern. Reden war nie so gut, spricht ein alter Lehrer, Schweigen wäre besser. Allein, wo komme ich hin? Indem ich das Schweigen preise, mache ich selbst viel Redens. Mein Gott! lehre mich zu rechter Zeit reden und schweigen.
331. Die Schwachheiten.
Ein gottseliger Mann klagte über seine vielfältigen Schwachheiten und sonderlich über die bösen Gedanken, deren er sich nicht erwehren könnte, sondern sie oft mit höchster Betrübniß seiner Seele leiden müßte. Ich bin, sprach er, einem Kinde gleich, welches bald giebt, bald wieder nimmt; ich gebe oft meinem lieben Gott viel im Vorsatz und nehme es bald wieder weg. Wenn er mich schreckt oder stäupt, so sag ich viel zu, vergeß es aber bald, ach leider! und halte wenig! Hiebei drangen ihm die Thränen aus den Augen. Wohl, sagte Gotthold, seid ihr einem Kinde gleich, so vergleicht sich Gott mit einem Vater, der sich über seine Kinder erbarmt! Ps. 103, 13. Ich habe niemals gehört oder gesehen, daß ein Vater um einiges Versehens, um einiger Fehler willen sein Kind hätte aus dem Hause gestoßen oder gar ins Wasser oder Feuer geworfen. Ohne väterliche Geduld und vielfältiges Erbarmen kommt niemand In den Himmel; oder meinen wir böse Menschen etwa, daß wir mehr Geduld können haben, als der gütige und langmüthige Gott? Darum bedenket allezeit, daß ihr zwar ein Mensch seid, der ohne Fehler und Schwachheiten nicht sein wird bis in die Grube. Der Mond, wenn er sein volles Licht hat, ist nicht ohne Flecken, und ein Christ ist in seinem besten Leben nicht ohne Sünden. Er hat zwar die Sünden verlassen, sie haben aber ihn noch nicht verlassen. Bedenket aber auch, daß ihr unter der Aufsicht und Zucht eines gnädigen und gütigen Gottes seid, der wohl weiß, was für ein Gemäche wir sind, und dessen Weisheit und Güte darin am hellsten leuchtet, daß er die Schwachheiten seiner Heiligen mit väterlicher Langmuth dulden und zu ihrem Besten wenden kann; vor allen Dingen aber setzet nur den gekreuzigten Jesum mit seinem h. Blut und Verdienst nicht aus den Augen. Die Schrift sagt von den. Gläubigen, daß sie in Christo seien, und so sei nichts Verdammliches an ihnen, Röm. 8, 1. Ihr seid nicht der Mann, der für sich allein vor Gott bestehen kann, sondern Christus in euch und ihr in Christo. Gleichwie Leib und Seele durch das natürliche Band vereinigt einen Menschen machen, also Christus und der Mensch durch den Glauben verbunden machen einen Christen. Darum thut sich der h. Apostel immer so nahe zu seinem Jesu: Ich bin mit Christo gekreuziget, spricht er; ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Gal. 2, 19. 20. Ich achte alles für Dreck, auf daß ich Christum gewinne und in ihm erfunden werde, nicht habend meine Gerechtigkeit, sondern die durch den Glauben an Christo kommt. Phil. 3, 8. 9. Und eben dieses ist eine von den vornehmsten Ursachen, warum Gott die übrigen Schwachheiten in uns und uns mit denselben täglich kämpfen läßt, damit uns der gekreuzigte Jesus mit seinem Blute desto lieber sei, und wir desto eifriger ihn zu suchen und uns desto fester an ihn zu halten genöthigt werden. So laßt euch nun eure Schwachheiten und bösen Gedanken zwar demüthig, doch aber nicht klein- und zweifelmüthig machen. Lasset die Thränen, wenn euch Gott die Gnade giebt, nur darüber fließen, denket aber auch, daß die Wunden Jesu mit Blut fließen, welches uns rein macht von allen Sünden. Verzweifelt an euch selbst, aber nicht an Gottes Gnade in Christo; achtet euch selbst für nichts, Christum aber mit seinem Blut und Verdienst für alles; streitet täglich mit euren Fehlern, und haltet sie, so viel möglich ist, unter in der Kraft Jesu Christi; werdet ihr denn ja zuweilen überwunden, so ist Christus noch nicht überwunden. Ach, sagte jener, dies ist wol tröstlich, wenn es nur nicht von gottlosen und sichern Herzen mißbraucht würde! Gotthold antwortete: Unter den Gläubigen und Heiligen und unter den Sichern und Gottlosen ist in diesem Fall ein solcher Unterschied, wie unter einem schwachen Kinde, das aus Unvorsichtigkeit und Schwachheit in den Koth fällt, bald aber um Hülfe schreit und, wenn es wieder aufgebracht ist, mit Weinen zu seiner Mutter Schooß, daß es wieder gereinigt werde, eilt, und unter einer Sau, die sich mit Lust und gutem Willen in den Koth legt und ihre Kühlung und Freude darin sucht. Was hat sich die Sau auf das Kind, und ein unbußfertiger sicherer Mensch auf ein fehlendes, doch flehendes frommes Gotteskind zu berufen?
332. Die Frösche.
Als bei eintretendem warmen Frühlingswetter die Frösche gegen den Abend sich weidlich hören ließen, bedachte sich Gotthold, was er hiebei für eine Erinnerung haben möchte, und fand anfangs, daß sie ein artiges Bild der nassen Brüder geben könnten! Denn gleichwie die Frösche in ihren Sümpfen und Pfützen mit Lust durcheinander wimmeln und mit ihrem Freckeckeckeck und Koar, Koar sich so viel wissen, als wollten sie es der Nachtigall gleich thun, so gehts mit denen, die ihre Freude im Saufen suchen; man geht manchmal an einer Schenke vorbei und sieht mit Betrübniß seiner Seele, daß auch am h. Ruhetag des Herrn, ja dann am meisten alles voll ist; da lärmt und schwärmts durch einander, da schreit einer hier, der andere dort, da schwatzt der eine dies, der andere das, bis man durch das stetige Ausleeren und Einfüllen von Sinnen kommt und nicht mehr weiß, was christlich, ja was menschlich ist; denn Trunkenheit macht nicht allein einen Unchristen, sondern auch einen Unmenschen. Bei dem griechischen Geschichtschreiber Xenophon findet man, daß Cyrus, welchen die h. Schrift Kores nennt, in seiner Jugend, als er von dem Astyages, seinem Großvater, angemahnt ward, Wein zu trinken, sich geweigert habe; gefragt: warum? hat er zur Antwort gegeben, ihm wäre bange, es würde ihm auch Gift beigebracht werden, wie er denn gesehen, daß ihm, dem Astyages, und seinem Bedienten, an seinem Geburtstag widerfahren. Alsman weiter fragte, woher er wüßte, daß Gift im Wein gewesen, antwortete er: Weil ihr gar von Sinnen kamt und weder eures Leibes, noch Gemüths endlich mächtig wart. Und solche freiwillige und gesuchte Raserei nennt man eine Lust und sucht darinnen eine Freude. Nun, ihr nassen Brüder! quackt, lärmt und schwärmt in euren Sümpfen und Sünden, seht aber zu, daß ihr nicht darüber in den Pfuhl hüpft, der mit Pech und Schwefel brennt ewiglich! Ferner fiel ihm bei das artige Sinnbild eines gelehrten und berühmten Mannes, der in einem Nachtstück einen Hälter bei einem Schlosse bildet, darinnen die Frösche wimmeln, oben aber aus einem Thurm eine Hand, die eine brennende und leuchtende Fackel hervor hält, vorzustellen, was das helle Licht der Wahrheit wider die Lügenmäuler und Verleumder vermag. Diese sind den Fröschen gleich, welche oft über ein frommes und unschuldiges Herz, so lang es nach Gottes heiligem Rath und Willen im Finstern sitzen muß, Mich 7, 8., ein groß Gewäsch und Geschrei machen, allein, wie die Frösche, sobald sie einer Fackel oder Leuchte bei Nacht gewahr werden, verstummen und still werden, wie die Erfahrung bezeugt, so müssen auch die Lügenmäuler verstummen und schweigen, wenn Gott das Licht der Wahrheit hervorbringt; was kann man denn machen, wenn einem das gottlose Geschwätz der falschen Zeugen zusetzt? Man muß die Frösche lassen koaren, die Störche klappern, die Schlangen zischen, die Hunde bellen; haben sie doch nichts anders gelernt. Es hat aber auch die Bosheit ihre Zeit. Dies ist eure Stunde, spricht unser Seligmacher zu seinen Feinden, als sie ihn gefangen nahmen, und die Macht der Finsterniß. Luc. 22, 53. Gott bringt endlich die Seinigen mit ihrer Unschuld ans Licht, daß sie ihre Lust an seiner Gnade sehen. Mich. 7, 9. Simei mag schelten und fluchen, wenn es ihm der Herr heißt, 2. Sam. 16, 11., er muß aber auch schweigen und sein Unrecht erkennen, wenn es ihm der Herr heißt. 2. Sam. 19, 19. 20. Mein Gott! gieb mir die Gnade, daß ich mich hüte vor böser That; den Lügen kannst du, wenn es dich Zeit dünkt, leicht Rath schaffen.
333. Die blühenden Bäume.
Man sah bei schönem Frühlingswetter die Bäume in voller Blüthe stehen; Gotthold ergötzte sich hieran mit einem Freunde in seinem Garten und sprach: Diese Bäume stellen uns ein Bild vor der gottliebenden frommen Seelen; sie haben mehr Blüthe, als sie Frucht tragen können, und bezeugen ihre innerliche natürliche Begierde, ihre Stelle wohl zu bezahlen, obwohl sie mehrmals von den äußerlichen Umständen und Ursachen verhindert werden, daß sie ihr Ziel nicht erreichen können. So sind die gottseligen Herzen. Ach, wie weitläufig, wie eifrig, wie tausendfach ist oft ihr guter Vorsatz und ihre innerliche Begierde, Gott zu lieben und zu dienen! Sie sagen oft: ach, mein Gott! wenn ich aller Engel und Menschen Liebe hätte, so wollt ich dich allein damit lieben! Ach, wenn ich hunderttausend Herzen hätte, so wollt ich sie allesammt dir schenken und ergeben! Ach, wenn ich aller Welt Zungen hätte, so wollt ich dich allein, du glorwürdigster Gott, damit loben und preisen! O wie fröhlich und willig will ich dir ins Künftige dienen. Ach, wie leid ists mir, daß ich dich so spät, du ewige lautere Liebe, habe erkannt! Weichet von mir, ihr Boshaftigen, ich will halten die Gebote meines Gottes. Ps. 119, 155. Hiebei fließen die Liebesthränen, hier zerschmilzt gleichsam das Herz und ist bereit, sich in allerlei Formen des göttlichen Willens gießen zu lassen, und es wäre ihm leid, wenn es sich nach der Welt und ihrer Eitelkeit umsehen sollte; da steht der Baum in voller Blüthe, da läßt sich der innerliche Trieb des H. Geistes und das Dringen der Liebe Christi reichlich spüren. Ob es nun zwar den Liebhabern Gottes vielfältig geht, wie den Bäumen, daß kaum der zehnte Theil ihrer Blüthe zur Frucht gedeiht, so hat doch ein Mensch seine Lust an den so dick- und vollblühenden Bäumen, und Gott an einem so begierigen und bereitwilligen Herzen, zuvörderst weil er es in der Prüfung ohne Falsch findet, welches sich denn auch wirklich erweist, indem man eine solche Seele niemals gänzlich ohne thätige Bezeugung ihrer Liebe finden wird. Ein Gärtner nimmt mit einem jungen Baum vorlieb, wenn er schon zu anfangs nur drei oder vier Aepfel trägt, bis er mit den Jahren in großer Anzahl sie davon brechen kann; so auch unser Gott ist so gnädig und gütig, daß er mit einem lautern guten Willen und eifrigem Vorsatz, mit einer und andern Frucht des Geistes vergesellschaftet, vorlieb nimmt und, für die Erstlinge unsers Glaubens mehr Gnade und Segen giebt, daß wir hernach immer zunehmen und mit Früchten der Gerechtigkeit erfüllt werden, wohin unser liebster Heiland zielt, Joh. 15, 2. sagend: Einen jeglichen Reben, der da Frucht bringt, wird mein Vater reinigen, daß er mehr Frucht bringe. Merkt aber hiebei, daß diese Bäume nur einmal jährlich blühen und Frucht tragen, ein rechtschaffner Christ aber muß täglich blühen und fruchten, alle Morgen muß er seinen guten Vorsatz erneuern, täglich muß er etwas thun und leiden zu Gottes Ehren und seines Nächsten Dienst und Besserung, sonst ist der Tag verloren und wird billig unter die verworfenen gerechnet. Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Ps. 38, 10. Das Verlangen ist oft groß, und der heilige Vorsatz vielfältig; ich muß aber gestehen, mein Vater! daß nicht alles zur Frucht und zur That kommt; habe Geduld, mein Gott! und laß dir wohlgefallen die geringen und wenigen Erstlinge meines Christenthums! reinige mich auch und segne mich, daß ich immer völliger werde!
334. Dieselben.
Wie sie obgesetztermaßen hiervon redeten, wurden sie gewahr, daß die Bienen in den blühenden Bäumen sich häufig fanden, summten und ihre Honiglese mit Freuden hielten. Sehet hier, sprach Gotthold, ein Bild der zeitlichen Glückseligkeit; so lange der Baum blüht und Honig in seinen Blümlein hat, so werden ihn die Bienen fleißig besuchen und sich in und um ihn hören lassen; wenn aber die Blüthe vorbei und der Honig weg ist, so sind sie auch weg. So gehts in der Welt; wo Glück und Genuß ist, da sind viele Freunde; verliert sich das Glück, die Freunde auch. Der zeitliche Gewinn ist der Welt Honig, damit man sie locken kann, wohin man will; wo aber der ein Ende hat, da auch der Welt Liebe und Freundschaft. Ach, wie mancher muß mit jenem heidnischen weisen Mann klagen, als er in Armuth verfallen und deshalb schlechter, als vorher bekleidet und von seinen gewesenen Freunden verlassen war: Diese haben nicht mit mir, sondern mit meinem Mantel Freundschaft gehalten. Und ein anderer sagte gar nachdenklich: Ich habe viele Freunde, ich bitte aber Gott, daß ich nicht Ursache und Gelegenheit habe, sie zu probieren. Darum laßt uns wenig Freunde haben, und unsere Liebe in Gottes Liebe gründen; zuvörderst lasset uns an dem fest halten, dessen Treu in Ewigkeit nicht wankt, von welchem einer seiner Freunde (Tauler) sagt: „Man findet selten einen erleuchteten Freund Gottes, dem man sein Herz sicherlich eröffnen möchte, darum ist allen gutherzigen Menschen zu rathen, daß sie zu dem gekreuzigten Christo fliehen, der niemand in der Noth verläßt, der ihn nur recht suchen will.“ Hierauf fuhr Gottholds Freund fort und sprach: Ich pflege mich bei solchen blühenden Bäumen und den darin summenden Immen der Freude des ewigen Lebens zu erinnern. Wie denn? sagte Gotthold. Gott, antwortete jener, wird sein ein ewig blühender Baum, mit dem süßen Honig des ewigen Friedens und Trostes erfüllt; in und um denselben werden die Auserwählten ewig schweben und leben, seiner Süßigkeit nach aller Lust ihrer Seelen genießen und ihn in ewiger Freude loben und preisen. O wie wollen wir dann sammeln! O wie wollen wir singen und fröhlich sein! Gott helfe uns dazu durch Christum Jesum!
335. Die Baumschrift.
Gotthold ward von einem Freunde eine junge Linde gezeigt, in deren Rinde die beiden Wörter: Jesus alles, geschnitten und folgends zierlich ausgewachsen und zu sehen waren. Ohne Zweifel, sprach ist die Hand von einem Jesum liebenden Herzen getrieben worden, denn, weß das Herz voll ist, das redet der Mund, das schreibt die Hand. Es haben in diesem Fall oft die heiligen Seelen ihre herzliche Liebe zu ihrem Erlöser mannigfaltig und verwunderlich erwiesen. Die ersten und eifrigsten Christen haben nicht allein zum stetigen Andenken des Herrn Jesu Ringe getragen, in deren Breite entweder das Kreuz, oder der Name Christi mit zween griechischen über einander gesetzten Buchstaben geätzt gewesen, sondern auch etliche seinen h. süßen Namen mit glühenden Eisen auf ihren Arm oder Brust einbrennen lassen, wie ein alter Lehrer, Procopius genannt, als er schreibt über die Worte Jes. 44, 5.: Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und dieser wird sich mit seiner Hand dem Herrn zuschreiben, berichtet. Welchem etwa vor dritthalb hundert Jahren ein andächtiger Mönch, Heinrich Suso benamt, gefolgt ist, der diesen werthen Namen mit vollen Buchstaben tief in die Haut auf seine Brust geschnitten, daß sie darinnen ausgewachsen und eigentlich zu lesen gewesen. Von dem h. Julian berichtet der syrische Lehrer Ephraem, der sein Leben beschrieben, daß, wenn er in den Büchern den Namen Jesus gefunden, er denselben mit so viel Thränen benetzt, daß er ihn ganz ausgewaschen und damit die Schrift verderbt hat. Als nun jetzt gemeldeter Ephraem über die Bücher kam und fragte, wer sie verderbt hätte, antwortete er: Mein Vater, ich will euch nichts verhalten; die bußfertige Sünderin netzte die Füße des Herrn Jesu mit ihren Thränen und trocknete sie mit ihren Haaren, ich habe gleichfalls seinen Namen mit meinen Thränen netzen wollen, damit ich Vergebung meiner Sünden von ihm erlangen möge, wie ihr widerfahren. Ich finde, daß ein gottseliges freiherrliches Fräulein in Oesterreich, Maria Emerentiana von Gera, in ihrem täglichen Gebetbüchlein, wo sie den Namen Jesus gefunden, den ihren gar nahe zu demselben geschrieben, ohne Zweifel ihre Liebe zu ihrem hochverdienten Erlöser und das Verlangen ihrer Seele, bei ihm zu sein, anzudeuten. Die Weltliebe ist eine Thorheit vor den Augen der Kinder Gottes, und die göttliche Liebe ist Narrheit und Phantasei vor den Augen der Kinder dieser Welt. Als David mit aller Macht vor dem Herrn in einem leinenen Leibrock tanzte, da spottete sein die Michal, die sonder Zweifel von der geistlichen und göttlichen Freude nichts wußte. 2. Sam. 6, 14. 16. So gehts den Liebhabern Gottes noch jetzt in der Welt. Zwar will ich nicht eben rathen, daß wir es auch so machen, wie obengesetzte Freunde des Herrn Jesu, doch will ich auch der brünstigen Liebe kein Maß, noch Ziel stecken. Was im Glauben und aus reiner Liebe geschieht, wer kann das verachten? Gefällt uns die Art der Liebe nicht, so laßt uns doch in der Liebe selbst ihnen nacheifern. Ach, wenn ich wüßte, daß ich mir selbst und vielen andern diesen theuern süßen Namen damit könnte ins Herz schreiben, ich wollte ihn in alle Baumrinden ritzen, an alle Wände schreiben, in Gold, Silber und Erz graben, in die Steinfelsen einhauen, ja mit meinem Blut aus Dankbarkeit für sein vergoßnes Blut in alle Bücher, die mir vorkämen, verzeichnen; doch will ich mit obgemeldetem Suso sagen: „O Herr Jesu! meines Herzens einziger Trost, höchste Freude und Lust! ich bitte dich, schreibe und drücke du dich selber in mein Herz, daß ich deiner nimmer vergesse, von dir hier Trost in Nöthen und dort Freude und Seligkeit erlange ewiglich!“ Ich will mit dem Hugo von S. Victor wünschen, daß meine letzte Speise in dieser Welt sei der h. Leib und Blut des Herrn im hochh. Abendmahle, mein letzter Gedanke von seinem bittern Leiden und Sterben und mein letztes Wort sein h. süßer Name Jesus.
336. Der Storch.
Eine gottselige Gesellschaft, als sie Lust halber ins Feld gegangen war, ward eines Storchs, der auf einem schönen Anger seine Nahrung suchte, gewahr; darauf sagte einer: Lasset uns hiebei gedenken an die Klage des liebreichen Gottes, die er beim Propheten führt, Jerem. 8, 7.: Ein Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, eine Turteltaube, Kranich und Schwalbe merken ihre Zeit, wenn sie wieder kommen sollen, aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen. Ach! wie mancher Mensch versäumt die Gnadenzeit, und obwohl der langmüthige Gott ihm die Himmelsthür weit aufthut und, in derselben stehend, die Hände gegen ihn ausbreitet und spricht: Siehe! hier bin ich, Jes. 58, 9., so achtet ers doch nicht, sondern sucht vielmehr eine offne Thür zur Hölle, die Gelegenheit meine ich, seinen Sünden ferner nachzuhängen. Gott behüte uns vor Sicherheit und harten Herzen und lasse unser Leben eine stetige Buße und Wiederkehr zu Gott sein! Gotthold that hinzu: Ich habe neulich von diesen Vögeln etwas Wunderliches gelesen, daß sie nämlich ihre Jungen so herzlich lieben, daß sie auch den Tod ihrethalben nicht scheuen. Man hat in Feuersbrünsten wahrgenommen, daß sie in ihren Hälsen und Schnäbeln häufig und fleißig Wasser zugeführt, ihre Nester, so sie auf den brennenden Häusern hatten, zu retten; ja man hat zu Delft in Holland gesehen, daß, als sie die Jungen nicht retten konnten, sie auf sie in den Nestern gefallen, die Flügel über sie ausgebreitet und also nebst ihnen umgekommen. Das heißt aus Liebe und in der Liebe gestorben! Und dieses bringt mir in den Sinn den allertheuersten werthesten Menschenfreund, Jesum, über welchen man billig, wenn man ihn am Kreuz hängend malt, sollte schreiben: Aus und in Liebe gestorben. Fürwahr, der Tod des Sohnes Gottes ist die Liebe gewesen, kein Tod hätte ihn können tödten, die Liebe aber zu uns Menschen hat ihn vom Himmel gezogen, in die Krippe gelegt, ans Kreuz gebracht und getödtet. Man sammelt gern die Kräuter und Pflanzen, wenn sie in ihrer besten Kraft sind; also halt ich, der himmlische Vater habe dieselbe Zeit zu seines allerliebsten Sohns Tod bestimmt, da seine Liebe den höchsten Grad erreicht hatte, und wie er also in der Liebe ist gestorben, so ist er auch darin wieder auferstanden, gen Himmel gefahren, und kann nun in Ewigkeit nicht anders, als die Menschenkinder herzlich lieben. Uns gebührt auch nichts anders, als in seiner herzlichen Liebe zu leben und zu sterben. Der h. Augustinus wünscht ein Licht zu sein, das in der Liebe Jesu Christi brenne und sich verzehre. Von seinen getreuen Liebhabern und Blutzeugen kann man mit Recht sagen, daß sie aus Liebe und in der Liebe gestorben sind. Von der christlichen Königin in Georgien, Katharina, welche Schach Abbas in Persien hat martern und hinrichten lassen, finde ich, daß sie zuerst mutternackt ausgezogen und ihr hernach mit glühenden Zangen die beiden Brüste und das Fleisch von Armen und Beinen abgerissen worden, in welcher erschrecklichen Marter sie oft wiederholt: O mein Gott! o mein Jesu, mein Erlöser! dies alles ist noch wenig um deinetwillen! Ich kann dir dein Verdienst nicht bezahlen! Leben um Leben, Blut um Blut ist man um deiner Liebe willen schuldig, weil du aus Liebe gegen mich in deiner Liebe gestorben! Ach Jesu! ich will dir meines Ausgangs halber nichts vorschreiben, doch weiß ich wohl, daß mir vergönnt ist, kühnlich und kindlich mit dir zu reden; wenn ich sterben soll, so laß meine Krankheit und hitziges Fieber deine Liebe sein, mein Bett das Andenken deines Kreuzes, an welchem du aus Liebe gestorben bist, meinen Durst das Verlangen nach dir, mein Labsal und Herzstärkung den Vorschmack deiner ewigen Liebe, meine Phantasie das Verschmähen der Welt und das Verlachen ihrer Eitelkeit, meinen Abschied von meinen Freunden das Vermahnen zu deiner Liebe, meinen letzten Seufzer: Jesu, ich liebe dich! mein Sterben einen Eingang zu deiner himmlischen und ewigen Liebe, meine Grabschrift: Gotthold starb aus Liebe und in der Liebe Jesu!
337. Die Freundschaft.
Es kam ein frommer Student zu Gottholden und brachte vor, daß er lange gewünscht hätte, mit ihm in Kund- und Freundschaft zu gerathen, weshalb er sich auch jetzt erkühnt hätte, zu ihm zu kommen. Er fiel ihm in die Rede und sagte: Mein! wenn ich beweisen kann, daß wir nahe Blutsfreunde mit einander sind, so werdet ihr hoffentlich nicht viel Mühe mehr anwenden, meine Freundschaft zu erlangen. Ich will nicht sagen, daß wir Menschen alle, Arme und Reiche, Hohe und Niedrige, Berühmte und Unbekannte aus einem Geblüt, von Adam nämlich, entsprossen und also als Menschen einer den andern zu lieben verbunden sind, sondern bedenket mit mir, ob wir nicht alle, die wir gläubige Christen sind, aus einem Blute als Gottes Kinder unser Herkommen haben, nämlich aus dem Blute Jesu Christi, des Sohns Gottes, dadurch wir von der Gewalt des Teufels erlöset, mit Gott versöhnt und mit einander zu ungefälschter und ewiger Freundschaft verbunden sind. Dies ist die rechte ansehnliche, hohe, vornehme Freundschaft, damit wir Christen prangen. Der Welt Geschlechter, Adel, hohe Anverwandtschaft und vornehme Freundschaft gehört zur Welt und in das Register der Eitelkeit; niemand kommt in den Himmel als eines Kaisers, Königs, Fürsten Kind, niemand als ein Edelmann, als ein Geschlechter, sondern als ein Gotteskind, als ein Blutsverwandter und Bruder des Herrn Jesu. Und hierum nun sollen wir einander herzlich als Blutsfreunde lieben und einer dem andern zu dienen bereitwillig sein. Kein gläubiger Mensch muß von unserer Liebe ausgeschlossen sein, wenn er schon mit Bettlerslumpen verhüllt ist, wenn wir ihn schon unser Leben lang nicht gesehen und sein nicht auf eines Hellers Werth genossen. Denn weil mein Herr Jesus sein Blut umsonst und aus Gnaden auf ihn und mich verwandt, warum wollten wir nicht einander mit Muth und Gut, ja Blut dienen? Hierum so will ich euch nun künftig nicht allein für meinen Freund, sondern auch für meinen Blutsfreund halten; weil wir aber von solch edlem Blut herstammen und ins Geschlecht der Heiligen, welche die Würde der göttlichen Kindschaft haben, gehören, so lasset uns auch unserm Herkommen gemäß uns bezeigen und unsere Freundschaft mit einem gottseligen Wandel zieren. Eine gottlose weltgesinnte Freundschaft kommt mir vor wie die in einander gewachsenen Dornhecken, die sich gleichsam vereinigt und verbunden haben, Böses zu thun, zu stechen und zu ritzen, wie denn auch der Prophet sie mit den in einander verwirrten Zacken und Sträuchen eines dicken Waldes vergleicht, Jes. 9, 18., dabei aber dräuet, daß Gott ein Feuer unter sie senden werde, das sie verzehren solle. Wir aber, die wir Gottes Kinder sind und Blutsfreunde Jesu Christi, müssen sein wie die fruchtbaren Bäume eines Gartens oder wie die mancherlei Blumen eines Luststücks, in Liebe und Frieden zu aller Freundwilligkeit und Dienstfertigkeit vereinigt. Ach, Herr Jesu! vergiß nicht, daß ich dein Blutsfreund bin, und gieb, daß ichs auch nicht vergesse!
338. Die Reise.
Gotthold hatte eine kleine Reise auf etliche Tage vor; als nun der Wagen und alles fertig war, blieb einer der Gefährten lange aus, und als man nach ihm schickte, befand sich, daß er seine Sachen noch nicht eingepackt und fertig gemacht; wie er nun endlich sich eingestellt, und man fortgefahren war, fing Gotthold an: Ihr müsset uns gleichwohl nicht umsonst heute eine Stunde versäumt und aufgehalten haben, eure Strafe soll sein, daß ihr eine gute und heilsame Erinnerung anhören und jederzeit behalten sollt. Wisset ihr, wem ihr heute mit eurer Säumniß gleich gewesen seid? Den Weltkindern, welche allemal in der Eitelkeit so viel zu thun finden oder machen, daß sie sich zur Ausfahrt aus der Welt nicht bereit und fertig halten können. Darum erfährt mans täglich, daß die meisten Menschen unwillig sind zum Sterben und unbereitet; sie haben im Leben so viel zu thun gehabt, daß sie an den Tod nicht gedacht. So wollen sie denn in der letzten Stunde ihr Wandergeräth erst zusammen suchen, ich will sagen: sie wollen dann erst Buße thun, glauben, lernen, beichten, beten, fromm werden; dann wollen sie erst ihr Haus bestellen, ein Testament machen und sich von der Welt los wirken, welche sie doch oft so fest hält, daß sie unwillig und mit heimlichem oder öffentlichem Murren aus der Welt scheiden. „Es sind wenig Menschen“, sagt ein weiser Niederländer (Johann de Brune), „die ihr Leben vor dem Tod vollenden. Die wenigsten gehen (mit Willen) zum Grabe, die meisten werden dahin geschleppt, sie scheiden nicht aus dem Leben, sondern werden daraus gejagt.“ Ich halte viel davon, daß man in der Zeit sich fertig halte zur Reise und zum Tode; die Nachlässigkeit und das Zeitgenug ist weder zum Leben, noch Sterben dienlich. Wenn wir uns nicht christlich haben bereitet und zum Tode fertig gemacht, so sind wir auch unwillig und folgen dem Willen Gottes wider unsern Willen. Ein Christ soll im Tode nicht sein wie ein Kind, das mit der Ruthe das Spiel zu lassen gezwungen wird, sondern wie eins, das des Spiels müde willig zu Bette geht; er muß nicht sein, wie ein Schiffer, dem das Ungewitter sein Schiff mit Gewalt vom Lande los reißt und auf der See hin und wieder wirft, darauf der Untergang und Schiffbruch pflegt zu folgen, sondern wie einer, her segelfertig liegt, bei erstem gutem Winde seine Anker mit Freuden aufhebt und mit gutem Muth und Hoffnung dahin fährt. Der fromme Mönch Staupitz sagt: „Stirb, wie Christus starb, so stirbst du ohne allen Zweifel selig und wohl!“ Wie starb aber Christus? Niemand, spricht er, Joh. 10, 18., nimmt mein Leben von mir, sondern ich lasse es (lege es willig nieder) von mir selber. Und der h. Lucas spricht: Cap. 9, 51. Da die Zeit erfüllt war, daß er sollte von hinnen genommen werden, wendet er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln, das ist, er reisete dahin mit getrostem, freudigem Herzen und unerschrocknem Gesichte. Diesem Vorgänger lasset uns folgen, und damit wir ihm getrost und willig folgen, uns allemal bereit und fertig halten; lasset uns unsere Sachen so ausrichten und anstellen, daß wir im Sterben nichts anders zu thun haben, als sterben. Eines will ich noch hinzu thun: indem ich dieses rede (schreibe), muß ich bereit sein zu sterben; seid ihr es auch, indem ihr es hört (leset)! Herr Jesu, liebster Erlöser! mache uns bereit!
339. Das Windekraut, Zaunglocken.
Als im Spazierengehen Gotthold gewahr ward, daß dieses Kraut in dem Roggen sich häufig fand, an vielen Oertern überhand genommen und das Korn, darum es sich gewunden, erstickt hatte, gedachte er: das ist ein Sinnbild eines gottlosen und ärgerlichen Freundes, der unter dem Schein aufrichtiger Liebe und großer Vertraulichkeit, damit er sich an einen hängt, ein Teufelsbote ist und einen Menschen zu gottlosem Wesen verleitet oder darinnen erhält. Seneca meldet, daß in Aegypten Mörder gewesen, die man Philetas oder die Freundlichen genannt, weil sie unter dem Schein freundlichen Umarmens die Leute erwürgt haben. So macht es ein ruchloser Freund auch; die Schrift sagt oft, wir sollen die Welt nicht lieb haben, uns von der Welt unbefleckt behalten, die Welt überwinden, u. s. w. Wir müssen aber solche Welt nicht nur bei unsern Feinden, sondern auch bei unsern Freunden suchen; oft ist die Welt die, so in deinen Armen schläft, oft ein Dutzbruder, ein Verwandter, ein Herzensfreund, ein Nachbar, welche öfter ein einfältiges Herz mit ihrer Schmeichelei und gemachten Vertraulichkeit zur Ueppigkeit, Hoffart, Pracht, Saufen, Spielen, Feindseligkeit und andern groben Sünden verleiten, und also wird ein Mensch, ja ein Freund, in Wahrheit einer des andern Teufel. Der Satan reizt und treibt nicht allein einen Feind, uns mit seinen Zunöthigungen, Lästern und Feindseligkeiten zu betrüben, sondern auch und zwar öfters einen Freund, uns mit seiner Beiwohnung und Freundlichkeit zu betrügen. Er weiß wohl, daß man die Angel mit einem dem Fisch angenehmen Aas verbergen und das freie Federwild mit Lockvögeln fangen muß; er selbst arbeitet im Herzen und macht demselben eine falsche Hoffnung von Vergebung der Sünden, von der Gnade Gottes und seiner großen Barmherzigkeit, von langem Leben, von der Seligkeit, und wird also, welches zu verwundern, bei den Seinigen aus einem Teufel ein Tröster; indessen arbeiten seine Gehülfen und liebe Getreue, die falschen Freunde, von außen und verhüten, daß ja das Herz nicht gerügt, sondern im stetigen Sause erhalten werde! O schädliches Windekraut! o gottlose, bezügliche Freundschaft, wie manche edle Seele erstickst und verdirbst du! Wie manchen führst du mit Freuden und Lachen in das ewige Heulen und Weinen! Mein Gott! ich bitte demüthiglich und herzlich, behüte mich vor mir selbst, vor bittern Feinden und vor falschen Freunden.
340. Der Lobgesang.
Gotthold ging an eines Handwerksmannes Haus vorbei und hörte, daß derselbe mit seinen Leuten nach eingenommenem Frühstück einen Dankpsalm freudig und artig sang; darüber erregte und bewegte sich sein ganzes Herz und sagte bei sich selbst: ach mein Gott! wie lieblich ist dein Lob in meinen Ohren! wie erfreulich ist es meiner Seele, daß du für all deine Güte dennoch von etlichen wenigen gepriesen wirst! Die meisten Menschen sind leider! fast thierisch geworden und gleichen den Säuen, welche zur Herbstzeit die Eicheln unter dem Baum auflesen und davon fett werden, dem Baum aber, der sie gegeben, keinen Dank wissen, als daß sie sich etwa daran reiben und seinen Boden umwühlen. „Ach, daß wir sonst nichts anders thun möchten,“ sagt einer deiner Freunde (Thomas a Kempis), „denn Gott mit Herz und Munde loben! O daß wir weder essen, noch trinken, noch schlafen dürften, daß wir Gott stets loben könnten und allein himmlische Dinge abwarten möchten!“ Sehr wohl haben es etliche gottselige alte Christen gemeint, die solche Kloster und Kirchen gestiftet, darinnen man dich, du heiliger, gütiger Vater! ohn Aufhören, Nacht und Tag loben sollte, wie denn zu Zeiten des Gennadius, Erzbischofs zu Konstantinopel, ein solches Kloster daselbst erbaut und mit nothdürftigen Einkünften versehen ist von einem vornehmen begüterten Mann, Studius benamt, darinnen eine solche Anzahl Mönche erhalten worden, daß ein Chor das andere hat immer ablösen und also das Lob göttlichen Namens immerdar hat fortgesetzt werden können, darum man sie die Schlaflosen und von ihrem Stifter die Studiten genannt. Dergleichen ist hernach auch in dem Kloster des h. Kolumban zu Lurau und zu Meißen von den löblichen Fürsten zu Sachsen, Albrecht und Ernst, angestellt worden. Was hiebei von Aberglauben und Vertrauen auf Menschenwerk mit untergelaufen, wird billig unter Holz, Heu und Stoppeln gerechnet. 1. Cor. 3, 12. Indessen muß dein Lob, mein Vater! nicht stille sein, und wo wir Menschen schweigen, so werden die Steine schreien. Wir müssen das ewige Leben in dieser Welt anfangen, nicht allein im Genießen, sondern auch im Loben und Preisen. Unsere Seele muß einer Blume gleichen, welche nicht allein den gütigen Einfluß des Himmels empfäht, sondern auch einen liebreichen Geruch als zur Dankbarkeit stets von sich duftet. Wir müssen wünschen mit jenem frommen Mann, daß unser Herz als ein Weihrauchkörnlein in dem Feuer der göttlichen Liebe zerschmelzen und zerfließen und den süßen Dampf des göttlichen Lobes von sich geben möge; oder mit jenem frommen Märtyrer uns willig erklären, zu Asche verbrannt zu werden, nur daß aus unserm Aschenhaufen ein Blümlein zu Gottes Lob und Preis entsprießen und hervor kommen möchte; wir müssen willig sein, den Garten der Kirche Gottes mit unserm Blute zu feuchten, nur daß er desto fruchtbarer werde zum Lobe und zum Ruhm unsers Herrn. Nun, mein Gott! ich will dich loben allezeit, dein Lob soll immerdar in meinem Munde sein! Ein jeder Odem, den ich aus der gemeinen Luft schöpfe, ist mit deiner Güte zur Erhaltung meines Lebens gemengt, und ein jedes Hauchen, das aus meinem Munde geht, soll zum wenigsten mit einem herzlichen Verlangen deines Lobes und Preises gemischt sein. Halleluja! Halleluja! preiset mit mir, ihr h. Engel, ihr Menschen und alle Kreaturen, den Herrn, und lasset uns mit einander seinen Namen erhöhen. Halleluja!
341. Die Angefochtene.
Es ward eine Magd vom Lande zu Gotthold gebracht, welche mit gotteslästerlichen schrecklichen Gedanken bis auf die Verzweiflung gequält war. Als er nun mit ihr geredet und sie nach Vermögen herzlich unterrichtet, getröstet, auch mit ziemlicher Vergnügung von sich gelassen hatte, sagte er zu einem seiner Hausgenossen: Bei solchen Personen und in solchen Nöthen kann man den Unterschied des göttlichen und weltlichen Trostes wahrnehmen; hier findet sichs, daß die Welt mit aller ihrer fleischlichen Weisheit, Ueppigkeit, Pracht, Reichthum, Wollust und ganzen Eitelkeit nichts ist und vermag. Wohlan, Welt, versuch es! tritt heran zu einer solchen angefochtenen und im Geist betrübten Person! tröste sie doch! erfreue sie doch! setze ihr eine güldene königliche Krone aufs Haupt, gieb ihr einen Scepter mit Edelsteinen besetzt in die Hand, bestecke die Finger mit kostbaren Ringen und ziere die Hand mit goldenen Armbändern, schmücke den Hals mit einer Schnur der größten und schönsten Perlen, gieb ihr ein funkelndes Diadem oder einen güldenen Schaltpfennig auf die Brust, schenk ihr ein den edelsten Wein in güldenen und silbernen Pokalen, bestreue sie mit Rosen und Lilien, bestelle eine wohlklingende liebliche Musik, führe sie in einen königlichen oder fürstlichen Lustgarten, lege sie in ein weiches und köstlich geziertes Bette, eröffne alle deine Schätze, erwecke alle deine Kräfte und schaffe Rath und Trost für ein solch hochbetrübtes und mit der Verzweiflung ringendes Herz! Oder dünkt dir, daß diese Dinge zu kostbar seien und nicht allenthalben gefunden werden, wohlan, so suche andere Sachen hervor, darin du deine Freude zu haben pflegst, laß eine Schläufe mit gutem Bier und etliche Flaschen mit Wein oder Branntwein langen, gieb Tabak und Pfeifen her, lege Würfel und Karten auf, laß die Biergeiger und Strohfiedler kommen und lustig aufmachen, suche allen deinen Scherz und Possen hervor, lärme und schwärme, jauchze, singe! Siehe zu, ob ein solch betrübter Mensch dadurch kann erfreut und seiner Angst befreit werden. Hilft dies alles nichts, so erkenne doch einmal, du Thörin, daß alles dein Wesen, Lust, Herrlichkeit, Pracht, Freude und Trost nichts ist, nichts kann, nichts vermag. Ach, Menschenkinder! wie habt ihr denn die Welt so lieb! Warum verlaßt ihr die lebendige Quelle und macht euch hier und da Brunnen, die doch kein Wasser geben können? Jer. 2, 13. Warum zählt ihr Geld da, da kein Brod ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnt? Jes. 55, 2. Warum verlaßt ihr den Gott alles Trostes und hängt euch an die Welt, die einem sodomitischen Apfel gleicht, auswendig fein anzusehen, inwendig voller Asche? Die Welt ist wie das faule Holz, das im Finstern zwar scheint, als wäre es etwas Sonderliches oder voller Glut, wer es aber aufhebt oder sucht sich daran zu wärmen, der findet sich betrogen. Ach, mein Herr Jesu! es fällt mir hiebei ein, was dort einer deiner Jünger sagt, als du fragst, ob sie dich auch, wie etliche andere gethan hatten, wollten verlassen und von dir gehen. Herr, sprach er, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Joh. 6, 67. 68. Du hast beständigen und gewissen Trost, du hast ein liebreiches Herz, trostreichen Mund und hülfreiche Hand! Bei dir ist Rath und That! Die Welt habe ich oft falsch befunden, dich nimmermehr! Du bist eine Kraft- und Trostblume, die nimmer verwelkt; bei dir ist die Quelle des Lebens, die nimmet vertrocknet; so mag dich nun lassen, wer da will, ich weiß mich nicht zu verbessern und will auch nicht, es bleibe dabei in Ewigkeit: Meinen Jesum laß ich nicht!
342. Das Testament.
Gotthold mußte mit einer Testamentsache, die Seinigen angehend, zu thun haben, welche ihm allerlei Mühe und Ungelegenheit verursachte; als er nun mit einem vornehmen Freunde davon gesprochen hatte, sagte er: Es ist zu beklagen, daß das rechte Recht, darum jene Wittwe bat, sonst nirgends mehr zu finden, ja, wie die Schrift redet, in Wermuth verkehrt, und die Gerechtigkeit zu Boden gestoßen ist. Am. 5, 7. Die Herren Juristen größtentheils kommen mir vor als ein Mann, der im dicken Walde unter den Dornhecken und verworrnem Gesträuch wandelt und sich darinnen so verirrt, daß er sich nicht herauszufinden weiß; was sie nun dermaleinst für Trauben von den Dornen oder Feigen von den Disteln lesen werden, das mögen sie erwarten und erfahren. Ich will mich um ein ander Testament bekümmern; mein Jesus hat kurz vor seinem Abschied aus der Welt ein Testament gemacht und darinnen seine Gläubigen zu Erben eingesetzt. Er hatte aber keine zeitlichen Güter, die er vermachen konnte, denn er hatte sie nicht gesucht oder begehrt, zuletzt war er auch so arm, daß er nicht einmal ein Kleid behielt, damit er seine Blöße decken konnte; so hatte er nichts, als sein Kreuz, seine Dornkrone, seine Nägel, sein Blut, seinen H. Geist und dessen Trost und sein liebreiches süßes Herz. Dieses alles hat er uns vermacht. Ich will gern die Erbschaft angehen. Ich bin vergnügt mit diesem Vermächtnis,. Der Satan wollte mir gerne dieses Testament und diese Erbschaft abdisputiren, aber es ist zu wohl verwahrt, und ich habe schon den Besitz dieser Güter ergriffen; damit ich aber nicht undankbar erfunden werde, so will ich auch meinen letzten Willen auffetzen und hinterlassen. Ich erinnere mich, was ein Heide von einem Heiden erzählt: Eudamidas, ein Bürger zu Korinth, verstarb in Armuth; weil er aber ein paar begüterte Freunde hatte, den Aretäus nämlich und Charirenus, so hinterließ er ein solch Testament: Dem Aretäus vermach ich kraft dieses meines letzten Willens meine alte arme Mutter, daß er sie zu sich nehme und die übrige Zeit ihres Lebens versorge, dem Charirenus aber übergebe ich meine Tochter, daß er sie nach seinem besten Vermögen mit einer Mitgabe versehe und ehrlich aussteure. Sollte aber einem unter ihnen etwas zukommen, so will ich, daß der Hinterbliebene des Verstorbenen Stelle auch versehe. Ueber dieses Testament hat männiglich gelacht, die beiden Freunde aber sich gefreut, daß ihr verstorbener Freund ein solch Vertrauen zu ihnen gehabt, und als der Charirenus wenig Tage hernach auch Todes verfahren, hat Vretäus beides über sich genommen und mit Fleiß ausgerichtet. Haben nun Heiden unter sich ein solches Vertrauen gehabt und einer dem andern solche Treue auch nach dem Absterben beweisen können, warum sollt ich nicht zu dem allergetreusten Freunde, meinem süßen Herrn Jesu, ein viel größer Vertrauen haben? So will ich ihn denn hiemit zu meinem völligen Erben erklären und ihm vor allen Dingen meine Seele und dann auch meine Kinder, Schwestern, Blutsfreunde und Verwandten sämmtlich vermacht und übergeben haben, daß er sie aufnehme, versorge, bewahre und durch seine Macht zur Seligkeit erhalte; das Uebrige alles auch, was ich in der Welt hinterlasse, soll zu seinem heiligen Rath und Willen gestellt sein, daß er es damit schicke und schaffe, wie ers gut befindet zu seiner Ehre und der Nachbleibenden Seligkeit.
343. Der Feigenbaum.
In eines vornehmen Mannes Lustgarten ward unter andern fremden Gewächsen auch ein Feigenbaum gefunden. Als nun einer von den Anverwandten Gottholds in dem Garten gewesen und ein Blatt von gemeldetem Baum abgebrochen zu ihm brachte, sagend: Sollte es denn wol ein solcher Baum gewesen sein, an welchem die erste Sünde begangen, und solch Laub, daraus die ersten Kleider gemacht worden? antwortete ihm Golthold: Was hilfts uns, ob wirs wissen oder nicht, was es eigentlich für ein Baum gewesen, der unsern ersten Eltern zum Anstoß und Fall gerathen, da wir noch täglich an verbotnen Früchten uns vergreifen? Was hilfts, ob wir wissen, was es für ein Laub gewesen, das sie zum Schanddeckel gebraucht, da wir noch jetzt von allen Bäumen Feigenblätter zu brechen, ich will sagen, gar leicht einigen Vorwand, unsere Sünde W entschuldigen, zu finden wissen? Vorwitz ist es, um solche unnöthiger Fragen sich bekümmern und seinen eignen Zustand nicht beobachten; und dies ist der meisten Menschen meiste Arbeit, daß sie alles untersuchen und ihres eignen Herzens und Gewissens vergessen. Damit ihr aber dieses Feigenblatt nicht umsonst abgebrochen habt, will ich euch noch einige andere Erinnerungen darauf zeichnen, Der Feigenbaum trägt Frucht sonder Blüthe, wie man auch hiesigen Orts eine Art Aepfel hat, die ohne Blüthe gezeugt werden; so soll ein Christ mehr Gutes in den Werken, als Worten haben und ohne groß Wesen und Ruhmsucht Gutes thun. An dem Feigenbaum ist alles bitter, wie die Erfahrung bezeugt, das Laub, die Rinde, der Saft, das Holz, die Wurzel, doch ist die Frucht süß; verwundert euch über die Allmacht und Weisheit Gottes, welche aus der Bitterkeit die Süßigkeit weiß hervor zu bringen, und gedenket an die Worte des h. Apostels, Hebr. 12, 11.: Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünket sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit sein; aber darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. Am Kreuz ist oft lauter Bitterkeit; es ist unserm Fleisch zuwider, das muß seinen Willen nicht haben, das ist bitter; es ist mannigfaltig, das ist bitter; es währt oft sehr lange, das ist bitter; es macht uns vor der Welt verachtet, das ist bitter; es greift oft Leib und Seel zugleich an, das ist bitter; aber man lernt im Kreuz beten, glauben, auf Gott hoffen, stille sein, Geduld haben, man wird demüthig, man lernt sich selbst verleugnen, die Welt verschmähen, nach dem Himmel sich sehnen, das sind eitel süße Früchte. O, wie wohl hat jener vortreffliche Gottesgelehrte gesagt, als er gefragt worden, wie er so erbaulich und tröstlich predigen könnte: Das haben mich meine Anfechtungen gelehrt! So möchte mancher fromme Christ sagen, welcher andächtig beten und andern im Kreuz kräftig zusprechen kann: Das hat mich mein Kreuz gelehrt! Was schadets denn nun, daß der Kreuzbaum bitter ist, wenn er nur süße Früchte der Gottseligkeit und der Freude trägt? Nun, mein Gott! pflanze deinen Baum in meinen Garten, wenn er schon bitter ist, ich will ihn fröhlich annehmen und mit meinen Thränen so lange feuchten, bis er mir zu seiner Zeit süße Trostfrüchte bringt. Du schenkst deinen Kindern niemals einen so bittern Kelch ein, daß nicht Zucker sollte auf dem Grunde liegen!
344. Der Kindergarten.
Etliche Kinder, die sich aus der Nachbarschaft zusammen gethan, hatten Blumenzwiebeln und Kräuter, so man aus einem Lustgarten ausgeworfen, gesammelt, pflanzten dieselbe auf einen grünen und freien Platz, umsteckten sie mit Stecken und machten einen Zaun darum von Reifem und schöpften große Lust aus diesem ihrem neuangelegten, stattlichen Lustgarten, wobei sie auch so viel Worte verloren, als hätten sie Reichshändel vorgehabt, und so arbeiteten, daß sie schwitzten. Gotthold ging mit einem Freunde vorbei, sah die kindliche Lust mit Lust an und sagte: Was ist denn nun für ein großer Unterschied zwischen der Bemühung der Alten und der Kinder? Diese bauen Häuser, pflanzen Gärten, zählen Geld, halten Hochzeit und Freudenmahl, machen Könige, Fürsten, Herren, Bürgermeister, Prediger, Schulmeister, führen Krieg, machen Generalspersonen und Obristen und bemühen sich, bis sie des Spiels müde werden und hungrig und durstig nach Hause kommen oder schlafen gehen. Was thun wir Alten mehr? Sie haben wol so viele, ja wol mehr Lust an ihrem Spiel, als wir von unserm Ernst; unsere Lust hat oft große Unlust, unsere Ehr groß Beschwer, unser Bauen ein Grauen (wegen der großen Kosten) bei sich; sie verlieren und verspielen die Zeit, wir auch; ihre Arbeit hat keinen Bestand, unsere auch nicht, wenn sie schon etwas länger währt; ihre Mühe bringt schlechten Nutzen, unsere auch; sie meinen oft, sie haben etwas Wichtiges vor, und wir haltens für Thorheit; wir meinen auch oft, wir thun große Dinge und tragen die Welt auf unsern Schultern, und Gott lacht unser, wie Luther artig sagt: „Die klügsten Menschen sind Gottes Närrchen, über deren Thorheit er lachen muß.“ Sie meinen oft, sie seien reich, wenn sie etliche Zahlpfennige oder Geld von Kartenblättern geschnitten oder gar Topfscherblein in ihrem Säcklein tragen, müssen aber, wenn sie ihr Geld beim Bäcker ausbieten, Brod zu kaufen, erfahren, daß es nicht gilt und man ihrer lacht; so meinen wir, wenn wir ein Dutzend Dukaten oder etwas haben, wir sind große Leute, wenn wir aber damit vor die Himmelsthür kommen, s) sagt man, es sei Dreck, und niemand will unser Geld kennen. So ist nun dies Leben ein Kinderspiel bei Jungen und Alten, es sei denn, daß wir nach der seligen Wiedergeburt aus Gott in Christo wachsen und abthun, was kindisch ist, 1. Cor. 13, 11., und nach solchen Dingen trachten, die da werth sind, daß sich eine unsterbliche und göttliche Seele damit bemühe. Zu wünschen wäre es auch, daß wir in unserm Thun das Herz so frei behielten, als wie die Kinder bei solcher Arbeit; sie spielen eine Weile damit, werdens aber bald müde und reißen selbst wieder ein, was sie gebaut haben, gramen sich auch nicht, wenn sie es von andern eingerissen finden; so sollen wir auch sein nach der Lehre des h. Apostels, 1. Cor. 7, 30. ff.: Die sich freuen, sollen sein, als freuten sie sich nicht; die da kaufen, als besäßen sie es nicht; und die dieser Welt brauchen, sollen derselbigen nicht mißbrauchen, denn das Wesen (der Schein, das Ansehen, die Larve, die Verthörung) dieser Welt vergeht. Indem sie fortgingen, fiel ihm weiter bei ein artiges Sinnbild zur Gottseligkeit dienend. Die Kinder, sagte er, haben doch ihre Blumen und Kräuter nicht ohne Zaun wollen sein lassen; lasset uns auch unser Herz mit den heiligen Gedanken und Vorsätzen, die Gott durch seinen H. Geist darin gepflanzt hat, nicht unbewahrt lassen, wovon ein erbaulicher Schriftsteller (Franz von Sales) spricht: „Sobald sich die thörichten Lüste des Fleisches spüren lassen, so wende ihnen den Rücken zu und nimm deine Zuflucht zu dem Kreuze deines Heilandes und nimm seine Dornenkrone, laß dieselbe dir anstatt eines Zauns um dein Herz dienen, dasselbe zu bewahren vor den kleinen Füchsen, Hohel. 2, 15., vor den sündlichen Lüsten, daß sie zu demselben nicht gelangen können.“ Ach, mein Herr Jesu! mache du einen solchen Zaun um mein Herz, so wird es wohl verwahrt sein!
345. Der wunderliche Kauf.
In einer benamten Stadt kamen zween Kaufleute, deren einer in der Rechenkunst wohl geübt und sonst sehr klug, der andere aber in gedachter Kunst unerfahren und sonst auch einfältig war, darüber in einen Streit, daß jener diesem ein Pferd hatte verkauft für Hirsekörner, so daß er ihm für den ersten Nagel, damit das Hufeisen am Fuß befestigt, sollte ein Korn, für den andern zwei, für den dritten vier, für den vierten acht, für den fünften sechzehn Körner geben, und so weiter immer doppelt, bis man die Zahl der 32 Nägel, damit die 4 Eisen gemeiniglich befestigt, erreicht hätte, da zwar der Käufer gemeint, wohlfeil zu kaufen, hernach aber durch die Rechenkunst überführt worden, daß die Summe auf eine unglaubliche Menge hinaus gelaufen, so daß er bewogen worden, den Kauf zu widerrufen und sich durch guter Leute Vermittlung los zu wirken. Gotthold hörte dies erzählen und sagte: Diese Begebenheit giebt eine artige Vorstellung der List des Satans, der unter dem Vorwand eines geringen Preises die Menschenkinder um ein Großes, nämlich um ihre edle Seele, zu bringen und zu betrügen weiß. Er beschwatzt und verleitet sie erstlich zu geringen Sünden, wie er sie nennt, und bemüht sich, sie darin zu erhalten, daß eine Gewohnheit daraus wird; da gehts denn immer gedoppelt und gehäuft, da wächst immer eine Sünde aus der andern, da wird eine Übertretung mit der andern verknüpft, da addirt und multiplizirt er so lange, daß endlich der Käufer die schnöde Lust nicht anders, als mit seiner Seele bezahlen kann, wo ihm nicht Gott aus Gnaden durch seinen H. Geist die Augen aufthut, daß er des Betrugs gewahr wird, den Kauf durch wahre Buße widerruft und den barmherzigen Gott und Christum, seinen Erlöser, um Hülfe und Rettung anfleht. Darum ist es am besten, mit dem Satan und seinen Händeln unverworren. Man achte keine Sünde klein und gering; denn wie kann das klein sein, was wider den allerheiligsten Willen des großen Gottes geschieht? David sagt nicht ohne Ursach: Ps. 51, 6. An dir! An dir allein hab ich gesündigt, als wollte er sprechen: ach, es ist ja meine Sünde an ihr selbst überaus groß und schrecklich, aber das ist das Größte und Schrecklichste, daß ich wider dich, dich, meinen wohlthätigen, gnädigen, liebreichen Gott so schändlich gehandelt, deinen heiligen Namen den Gottlosen zu Spott gestellt, deiner Güte gemißbraucht und alle an mir Unwürdigem erwiesene Wohlthaten mit schrecklicher Undankbarkeit vergolten habe. Davon hat ein gottseliger Lehrer (Joh. Arnd) sehr wohl geschrieben: „Weil Gott eitel Liebe, Gnade, Gerechtigkeit, Gütigkeit und Barmherzigkeit, ja alle Tugend ist, so wird er mit einer jeden Sünde beleidigt; mit Ungerechtigkeit beleidigt man seine Gerechtigkeit; er wird beleidigt mit Lügen, denn er ist die Wahrheit selbst, mit Haß, denn er ist die Liebe selbst; Gott ist das höchste Gut aller Tugend und ist die höchste Liebe, nun ists ja eine große, teuflische Bosheit, denselben beleidigen, der die höchste Liebe, ja die Liebe selbst ist.“ Zudem, wie kann das klein sein, welches groß und wichtig genug ist, uns aus der Gnade in den Zorn zu setzen und unsere Seele in des Teufels Gewalt zu liefern? Die Spinne zieht einen subtilen Faden aus ihrem eignen Leibe, doch kann sich eine Fliege und Mücke damit so vielfältig umgeben, daß sie gewonnen geben und ihr herhalten muß. Was ist kleiner, als der erste Seiden- und Hanffaden? Dennoch werden starke Bänder, Stricke, ja Schiffs- und Ankerseile daraus gewirket. Mein Gott! ich weiß von keiner kleinen Sünde. Weil du mir lieb bist, so kann ich nicht gering achten, was dich beleidigt und deinen H. Geist betrübt. Niemand ist so thöricht, daß er mit Wissen und Willen Gift nimmt, wenn es schon ein weniges ist, weil er weiß, daß auch ein so weniges ihm das Leben kosten kann. Eines aber will ich bitten: Laß mich die geringste Sünde groß achten, weil ich lebe, laß mich aber die größte Sünde klein achten, wenn ich sterbe!
346. Die Puls- oder Schlagader.
Als man von der Puls- oder der Schlagader redend ward, sagte ein Gelehrter, er hätte neulich gelesen, daß, nach Kardans Meinung die Ader in einer Stunde 4000 Schläge thäte, wiewohl neulich ein anderer berühmter Schriftsteller die Zahl der Schläge bis auf 4850 erhöht hätte. Gotthold sagte hierauf: Der menschliche Leib ist von seinem Schöpfer wie eine Uhr eingerichtet, darinnen aus einem innerlichen, lebendigen Trieb ein stetiges Regen und Bewegen sich findet; wie nun eine Uhr eine gewisse Anzahl Schläge thut in einer Stunde und dann die Stunde mit dem Glockenschall meldet, so hat auch unsere Pulsader nicht allein ihre von Gott bestimmte Anzahl, wie vielmal sie in einer Stunde schlagen soll, sondern auch im ganzen Leben. Es wird die Zeit endlich kommen, da unser Herz sammt den Adern wird erliegen und stille werden, darum lasset uns Gott bitten, daß er uns lehre unsere Tage also zählen, daß wir klug werden, Ps. 90, 12., und mit jenem gottseligen Mann seufzen: Ach, Herr Jesu! mein Leib hat seine schlagenden Adern, meine Seele auch, ihre Seufzer nämlich und ihr Sehnen nach dir; verleihe mir, wenn der Puls des Leibes stille wird, daß mein letzter Seufzer stark an die Himmelsthür schlage, damit meine Seele eingelassen und aufgenommen werde. Hiebei fiel ihm weiter zu, was ein großer Lehrer unserer Kirche (Luther) von dem Puls geschrieben: „Wo ein Christ ist,“ spricht er, „da ist eigentlich der H. Geist, der da nichts anderes thut, denn immerdar beten, denn ob er gleich nicht immerdar den Mund regt oder Worte macht, dennoch geht oder schlägt das Herz (gleichwie die Pulsadern und das Herz im Leibe) ohne Unterlaß mit solchem Seufzen: ach, lieber Vater! daß doch dein Name geheiligt werde, dein Reich komme, dein Wille geschehe. Und darnach die Püffe oder Anfechtung und Noth härter drücken und treiben, darnach geht solch Seufzen und Bitten desto stärker auch mündlich, daß man keinen Christen kann finden ohne Beten, so wenig als einen lebendigen Menschen ohne den Puls, welcher nimmer stille steht, regt und schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft und anders thut, daß er sein nicht gewahr wird.“ Hieraus kann erklärt werden, was die Schrift sagt, daß wir allezeit und ohne Unterlaß beten sollen. Luc. 18, 1. 1. Thessal. 5, 17. Und hiemit stimmen ein die Gedanken eines guten Mannes, welcher mit Gott bedingt, daß, wenn sein Puls schlägt, es nach seiner Seele heiligem Verlangen und Vorsatz so viel sein sollte, als wenn die Ader nicht allein das Schlagen, sondern auch eine Stimme hätte und sagte: Heilig! heilig! heilig ist Gott! Jes. 6, 3. Wohin auch in einem Abendlied gezielt wird, wenn das christliche Herz seufzt:
So oft die Nacht mein Ader schlägt,
Soll dich (Herr Jesu!) mein Geist umfangen;
So vielmal sich mein Herz bewegt,
Soll dies sein mein Verlangen,
Daß ich mit lautem Schall
Möcht rufen überall:
Ach Jesu! Jesu! du bist mein,
Und ich auch bin und bleibe dein.
347. Das Goldstuck.
Gotthold ward ein ansehnliches Goldstück oder goldener Schaupfennig vorgezeigt, welches, wie er merkte, seinem Besitzer sehr lieb , war (seinem Herrn mag ich nicht sagen, denn nicht alle Besitzer sind auch Herren ihres Geldes). Er sagte hiezu: Wie viel ist dies Stück werth? Jener antwortete: Dreißig Thaler und noch mehr. Freilich noch mehr, fuhr Gotthold fort; denn solche Dinge haben ihren Werth von der Einbildung der Menschen und können sie es schätzen, wie sie wollen. Man hat ein Exempel, daß ein altes Stück Geldes, das etwa vor 1000 oder mehr Jahren geprägt worden, um etliche ja viel 100 Thaler verkauft ist, man sollte aber Leute finden, die es für nichts würden achten. Pomponius Mela und Tertullian gedenken eines Volkes, so sie Makrobier nennen, welche die Ketten und Bande der Uebelthäter aus Gold machen, und der Letztere setzet hinzu, daß diese Leute eine gute Erfindung haben, einem die Goldliebe zu vertreiben. Gewiß, es ist hoch zu bedauern, daß wir Christen uns so gar sehr in das Gold verliebt haben, daß auch die einfältigen Indianer daher auf die Gedanken gekommen, als wäre es unser Gott, wie denn davon eine merkliche Geschichte aus einem berühmten spanischen Geschichtschreiber, las Casas genannt, erzählt wird, daß, als ein indianischer Herr, Gathury benamt, vor der Spanier Grausamkeit aus der Insel Hispaniola in Kuba geflohen und vermerkt, daß sie ihm auch dahin folgen würden, er seine Landsleute zusammen berufen und gesagt, dieser Ausländer Gott wäre das Gold, und weil er ein Kästlein damit angefüllt bei der Hand hätte, möchten sie nebst ihm demselben zu Ehren einen Tanz anstellen, (dies war ein Stück des barbarischen Gottesdiensts,) ob sie ihn könnten versöhnen und bewegen, daß er seinen Dienern, den Spaniern, befehlen möchte, daß sie von ihnen zufrieden gelassen würden; darauf sie um das Kästlein, darinnen der vermeinte Gott der Spanier aufbehalten ward, so lange getanzt, bis ihnen der Odem fast entgangen, endlich aber, weil sie dafür gehalten, es wäre nicht rathsam, solchen Gott bei sich zu haben, das Kästlein in den nächsten Strom versenkt. Denket hiebei, wie übel es wol die armen einfältigen Barbaren getroffen, und ob nicht viel Christen seien, die das Gold als ihren Gott lieben und sich darauf mehr, als auf Gott verlassen. Was ist nun aber das Gold? Eine glänzende gelb gefärbte Erde, wie der Mensch selbst auch nur Erde ist. Es ist vergänglich und der Eitelkeit unterworfen, es ist leblos und an sich selbst ohne besondere Kraft, wie nunmehr von den gelehrtesten Aerzten ich genugsam erwiesen achte. Zwar will berichtet werden, daß ein Alchymisten, der mit Abquicken, Cämentiren und Goldscheiden lange umgegangen und viel Quecksilber in sich gezogen, darüber sei gefährlich krank geworden, welchem gerathen wurde, er sollte ein goldenes Blech lassen schlagen und auf das Herzgrüblein legen; wie solches geschehen, habe das Gold alles Gift vom Herzen ausgezogen. Dieses läßt man zu der Gelehrten und Erfahrnen Nachdenken und Urtheil zwar ausgestellt sein, allein, was kann es in geistlichen Herzensanliegen und in der letzten Noth thun? Was hats für eine Kraft, die Seele zu erretten, zu trösten und zu erhalten? Es kommt aus der Finsternis, sagt ein weiser Mann (aus der Erde und tiefen Grüften), es wandert in die Finsterniß (der Beutel und Kasten) und führt manchen in die Finsterniß (der Hölle). Wenn mein schlechter Rath was gelten möchte bei reichen und begüterten Leuten, so wollt ich dafür halten^ es sollte sehr erbaulich und gut sein, wenn sie an einem jeden Beutel, welchen sie mit Gold und Silber angefüllt verwahren, einen Zettel machten mit einer sonderlichen Aufschrift, als: Es gilt nichts! Es vermag nichts! Es ist Erde! Was kanns helfen? Es rettet nicht vom Tode! Thue Rechnung von deinem Haushalten! und dergleichen. Allein ich weiß wohl, daß die Welt meines Raths lacht und denkt, wir sind so einfältig, daß wir nicht wissen, wozu das Gold gut ist. Nun so fahr hin, Welt, mit deinem Gold! ich behalte meinen Gott.
348. Der Vertrag.
Gotthold war zugegen, als zween Nachbarn sich über eine Sache verglichen; als nun für rathsam angesehen ward, daß der Vergleich schriftlich abgefaßt würde, sagte der, so die Verheißung gethan: Sehet, da ist meine Hand, (dem andern die Rechte darhaltend) ich will leisten, was ich versprochen habe als ein ehrlicher Mann! womit der sofort zufrieden war und sagte: So traue ich euch als einem ehrlichen Mann auf euer Wort und Handschlag! Gotthold sagte: So recht! meine Freunde, das ist noch die alte deutsche Redlichkeit und Aufrichtigkeit. So Mte es allenthalben zugehen, daß unser christredliches Herz sollte die festeste Verschreibung sein; weil aber das jetzt selten zu finden, so muß man Siegel und Briefe nehmen, damit man doch öfters auch nicht zum Besten verwahrt ist. Wisset ihr aber, was ich sonst hiebei für Gedanken habe? Wir Menschen trauen endlich einander, wo wir nur eine Spur und Hoffnung der Treue finden, auf Mund und Hand; warum trauen wir auch nicht fröhlich unserm Gott, welchen niemand jemals falsch befunden? Wir haben Gottes Mund in seinem Wort und Verheißungen, seine Hand in der That und Erfahrung unsers ganzen Lebens, sein Herz in dem gekreuzigten Jesu, ich könnte hinzu thun, seinen Brief, mit dem Blute Jesu Christi geschrieben und mit dem Siegel seines H. Geistes bestätigt, warum trauen wir ihm denn nicht von ganzem Herzen, von ganzer Seele, fröhlich und ohne Furcht? Wir trauen einem Vater, einer Mutter, einem Bruder, weil sie unsere Blutsfreuude sind, wir trauen einem Rechtsgelehrten wegen seiner Weisheit und befehlen ihm unsere Sachen, wir trauen einem Arzte wegen seiner Erfahrung und befehlen ihm unsere Gesundheit, warum trauen wir Gott nicht, der alles ist, alles weiß, alles kann und auch alles will, was uns nütz und selig ist? Ei, sagte einer von jenen, wer wollte doch dem lieben Gott nicht trauen? Ja, sprach Gotthold, so lange wir den Glauben in der Hand oder im Beutel haben; sonst ist es dem irdischgesinnten, sündlichen, kleinmüthigen Herzen eine schwere, ja unmögliche Sache; es kann Gott ohne Gott nicht trauen, es kann sich auf Gottes Gnade ohne seine Gnade nicht verlassen; die Welt meint, der Glaube an Gott sei ein geringes Ding, nicht bedenkend, daß der Apostel spricht: Kämpfe den guten Kampf des Glaubens! 1. Timoth. 6, 12. Der Glaube hat viel Widersprecher und viel Feinde, darum ist er ein Kampf und besteht im Kampf. Der Glaube soll in einem kleinen Herzen den großen Gott und seinen ganzen Himmel fassen, das ist keine leichte Sache. Eine Mutter hebt und trägt ihr Kind, stillt es, herzt, küßt, speiset, tränkt, duldet es, aber wie langsam gehts zu, ehe das Kind lernt die Mutter kennen, umfassen, anlachen, lieben und ehren? Was mich angeht, denke ich oft an unsern großwerthen Lehrer, (Luther), der da spricht: „Ich bin durch viel Uebungen, Gott Lob! dahin kommen, daß ich schier anhebe zu glauben, Gott sei Schöpfer Himmels und der Erden.“ Ich sage auch von Herzen: ich bin durch viele Uebung, Kampf, Streit, Anfechtung, Seufzen, Beten, Gott Lob! dahin kommen, daß ich schier anhebe zu glauben, daß Gott mein gnädiger Vater ist und daß der gekreuzigte Jesus mit seinem Verdienst, Blut und Tod mich auch angehe. Hieran lerne ich täglich und, wie ein zartes Kind an seiner Mutter Brüsten, so liege ich an meines Herrn Jesu Wunden und sauge daraus sein Blut und Geist, daß ich immer stärker werde. Ich glaube, lieber Herr! Hilf meinem Unglauben! Marc. 9, 24.
349. Das schlafende Kind.
Gotthold fand ein kleines Mägdlein auf dem Vorhofe seines Hauses unter freiem Himmel liegend, da es über seinem Spiel eingeschlafen und sanft ruhete. Ach, dachte er, wie gute Tage hast du! Wie süß ist dein Schlaf! Wie sanft deine Ruhe! Du schläfst süßer auf der harten Erde, als mancher Gcizwanst und Weltling auf seinem weichen Bette! Was machts? Du hast einen gnädigen Gott und ein gutes Gewissen, du weißt von keiner Sorge und bekümmerst dich weder um dies, oder jenes; wenn du aufwachst, so spielst du wieder an oder suchst ein Butterbrod für den Hunger. Mein Gott! warum bin ich nicht auch so? An dir fehlts nicht; deine Gnade und väterliche Fürsorge waltet sowohl über mich, als über dieses Kind; ich bin, wo ich bin, ich thue, was ich will, so bin ich in deine göttliche ewige Vorsehung eingeschlossen, so dürft ich nur alles, was mir meinem Beruf nach obliegt, gleichsam spielend mit Freuden und in gutem Vertrauen zu dir verrichten und hernach auf meinem Lager sein saust schlafen und dich, du Hüter Israel! lassen sorgen und wachen. Allein an mir fehlts, ich will nicht allezeit ein Kind sein vor dir, sondern ein kluger Mann, ich will mit sorgen und mit einrathen, ich will dir helfen, die Welt und die Kirche regieren, ich will meine und der Meinigen Wohlfahrt durch meine Gedanken und Rathschläge befestigen; darüber verschwindet der Seele oft auch des Leibes Ruhe, und ich kann manchmal im weichen Bette nicht haben, was dieses Kind auf harter Erde gefunden hat. Nun ich gestehe, mir geschieht eben Recht, ich mache mir selbst Unruhe und richte nichts aus, denn du kehrst dich wenig an mein Einrathen, und es geht selten so, wie ich es in meinen schlaflosen Nächten gemeint und gut befunden habe. So soll denn nun dies Kind mein Lehrmeister sein; ich will mich nicht schämen, von ihm die Einfalt, die Lauterkeit, die Gelassenheit und Zufriedenheit zu lernen. Und wie wohl wird mir sein, wenn ich hierin etwas werde gefaßt und fortgebracht haben! Ich gedenke hiebei an einen löblichen Herzog von Würtemberg, Eberhard genannt, welcher, als in einem Gespräch etlicher deutscher Fürsten ein jeder die Herrlichkeit seines Landes rühmte und einer seine guten Weinberge, der andere seine Jagden, der dritte seine Bergwerke lobte, zuletzt anfing und sprach: Ich bin zwar ein armer Fürst und weiß mich in diesen Stücken keinem zu vergleichen, doch aber hab ich ein solch edles Kleinod in meinem Lande, daß, wenn ich mich auf weitem Felde oder im wilden Walde verirrt hätte, wäre ganz allein und träfe einen meiner Unterthanen an, so möchte ich ihn wohl heißen auf die Erde niedersitzen, könnte mein Haupt in seinen Schooß legen und sanft einschlafen ohne Furcht, daß mir ein Leid sollte widerfahren. Dies war ein recht fürstliches Kleinod. Dieses Kind hat nach seiner Art ein gleiches, daß es sich nämlich hinlegt, wo es zukommt und sanft schläft. Ich habe ein besseres, nämlich, daß ich darf mein Haupt und Herz in Gottes, des himmlischen Vaters, Schooß und auf die Brust meines Herrn Jesu legen und wohl zufrieden sein trotz dem Teufel und der Welt, daß sie mir einigen Schaden zufügen. Ich beklage nur, daß ich mich dieser meiner Glückseligkeit nicht allezeit weiß recht zu bedienen; es geht mir wie einem Kinde, das mit einem Scheusal erschreckt ist, welches, ob es wohl zu der Mutter Schooß und Armen Zuflucht genommen und sicher ist, doch noch tief seufzt, zuweilen erschrickt und auffährt, bis es sieht, daß es wohl verwahrt ist. In diesen Gedanken spricht, mein Gott! dein Prophet, Ps. 4, 9.: Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; welches ich so verstehe: wenn ich mich niederlege, so will ich nicht lange liegen und mich mit sorglichen Gedanken plagen und mir meine Ruhe verstören, sondern will stracks in deinem Namen einschlafen. So habe ich denn heute gelernt, mein Gott! daß sanft und ruhig schlafen eines Christen Kunst und deine Gunst sei.
350. Das Lachen.
Als Gotthold bei einer Schenke vorbei ging, hörte er ein lautes und üppiges Lachen einer ganzen Gesellschaft und sagte bei sich selbst mit Seufzen: ach, allerliebster Erlöser! wie wenig wird an dein Wort gedacht, das du geredet hast, Luc. 6, 25.: Weh euch, die ihr voll seid, denn euch wird hungern! Weh euch, die ihr hier lachet, denn ihr werdet weinen und heulen! Ich finde von den Heiden, daß sie ehemals dem Lachen, als einem Gott, ein Bild aufgerichtet und demselben jährlich ein Fest mit vieler Lust und großer Freude gehalten haben. Es scheint, als hätten unsere heutigen Scheinchristen ihnen diesen Gebrauch abgelernt und den Lach- und Freudengötzen viel Tempel ausgerichtet, darinnen sie nicht jährlich, sondern wöchentlich zusammen kommen und deren Dienst fleißiger abwarten, als den heiligen Dienst des Herrn! Der Sabbath ist ein Sauftag und Saubad geworden, die Andacht in Pracht und die Innigkeit in Ueppigkeit verwandelt worden. Ach, Gott! dir sei es geklagt, daß man das eine Lust heißt, wenn man sich toll und voll säuft, Scherz und Narrentheidinge vorhat, welche Christen nicht geziemen, wenn man sich die Freiheit nimmt, zu reden und zu thun, was dem sündlichen Fleisch nur in den Sinn kommt! Des Fleisches Wohl ist des Geistes Weh. Wenn der Leib in gottloser Ueppigkeit lacht, so hat die Seele Ursach, blutige Thränen zu vergießen. Ueber solchem Lachen lachen die Teufel, und solche üppige Freude ist des Satans Lust; die Weltfreude ist des Teufels Lockspeise, wie sie ein gottseliger Lehrer recht genannt hat. Sie ist ein überzuckertes Gift und eine Anstimmung oder Vortrab des ewigen Heulens und Weinens. Wenn die neugebornen Kinder lachen, so hält man es für eine Andeutung des folgenden Weinens und Geschreis, denn es rührt vom Bauchgrimmen her, das sie beginnen zu empfinden; so ist es mit der üppigen Weltfreude. Hiebei fiel ihm ein eine klägliche und merkwürdige Geschichte, die sich etwa vor 10 oder 12 Jahren in einer berühmten Handelsstadt begeben hat. Ein unbekannter, doch wohlbekleideter und ansehnlicher Mensch geht in ein Wirthshaus, begehrt ein Frühstück, wie auch Bier und Wein und endlich die Geiger oder Spielleute; er macht sich den ganzen Tag auf allerlei sinnliche Art lustig bis gegen den Abend; da bezahlt er den Wirth und heißt die Spielleute ihm folgen und tapfer aufstreichen, er geht bis an den vorbei fließenden schiffreichen Strom, tanzt und singt, er geht endlich in den Strom, die Musikanten meinen, es sei eine Kurzweil, und sehen dem Handel zu; er heißt sie lustig sein und wirft ihnen noch einen Reichsthaler aus dem Wasser zu. Darauf ruft er: Gute Nacht! ihr Brüder! und stürzt sich in die Tiefe des schnellen Stroms und ersäuft. Man hat dafür gehalten, daß es ein fremder Kaufmann oder Kaufmannsdiener gewesen, der in Schulden gesteckt oder mit seiner Rechnung zu bestehen sich nicht getraut, oder sonst ein Mensch, welchem der Gewissenswurm am Herzen genagt, der also mit Freuden in das ewige Heulen sich hat stürzen wollen. Es haben mir dieses Leute erzählt, die seinen Körper am Ufer liegend gesehen und von denen, welche gute Nachricht von diesem unerhörten Handel gehabt, ihn gehört. Das ist der Welt Freude! Das ist der Welt Lachen! Das ist der Welt Lust! Ich halte, der gerechte Gott habe nach seinem unerforschlichen Gericht dieses geschehen lassen, daß an diesem Menschen die andern Weltlinge ein Vorbild möchten haben ihrer sündlichen Freude und deren kläglichen Ausgangs! Der Teufel hat ein solch Trauerspiel öffentlich mit diesem spielen müssen, andern, die er heimlich in seinen Stricken zu gleichem Ende führt, zur Warnung. Ach, heiliger und gnädiger Gott! gieb, daß ich mich freue, als freuete ich mich nicht. Du bist der Brunnquell aller wahren, himmlischen und ewigen Freude! Erfreue du mein Herz, so will ich der Weltfreude wohl entbehren. Wer dich und deine Freude gekostet hat, dem ist die Weltfreude Wermuth und Galle. Ich will lieber mit Weinen und Trauern in den Himmel, als mit Freuden und Lachen in die Hölle gehen!
351. Das Herzklopfen.
Man ward in einer Gesellschaft redend von der stetigen Bewegung des Herzens in dem menschlichen Leibe und verwunderte sich über die Allmacht und Weisheit des gütigen Schöpfers, der in dasselbe eine stets fließende reiche Quelle der Lebensgeister gelegt und es mit einer immerwährenden Bewegung versehen hat, damit es das Geblüt im Gange erhalten und es mit Lebenskräften erfüllen könnte. Man könnte es füglich, sagte ein Gelehrter, mit einer Wasserkunst, wie man sie an vielen Orten findet, vergleichen, welche auch in allzeitiger Bewegung sind und das Wasser durch verborgene Rinnen in die ganze Stadt vertheilen. Gotthold sagte hierauf: Lasset uns hiebei gedenken an die Redensart, deren sich der H. Geist zweimal von dem David bedient, es habe ihm das Herz geschlagen; 1. San,. 24, 6. einmal, als er dem Saul in der Hohle hatte den Zipfel vom Rock geschnitten, dadurch ohne Zweifel angedeutet wird die kindliche Furcht und Gewissensprüfung, welche David angestellt, ob er auch etwas Sündliches begangen und Gott erzürnt hätte, da er seinem König den Rock beschnitten; und dann 2. Sam. 24, 10., nachdem er das Volk gezählt hatte, anzudeuten, daß sein Gewissen aufgewacht sei und ihm seine Sünde mit Angst und Bangigkeit habe vor Augen gestellt. Lasset uns Gott bitten, daß er uns die Gnade auch gönne, daß, wo wir etwas Mißliches und Gefährliches etwa aus Unvorsichtigkeit und Schwachheit vornehmen sollten, unser Herz mit Schlagen und Klopfen uns warnen möge, oder, so wir es ja versehen hätten und wären in Sünde gefallen, daß unser Herz uns keine Ruhe lasse, sondern uns so lange ängste, treibe und dringe, bis wir mit wahrer Buße zu dem gekreuzigten Herrn Jesu fliehen und in ihm unserm unruhigen Herzen Ruhe schaffen. Ich habe nicht ohne Ursache dieses eine Gnade Gottes genannt; denn Christus ist es und sein Geist, der durch solch Herzklopfen bei uns anklopft, und uns entweder warnt, oder zur Buße lockt. Wenn das Herz im Leibe stille ist, so ist der Tod da, und wer diesen Herzensschlag im Gewissen nicht mehr fühlt, der ist geistlich und lebendig todt. Indem Gotthold also redete, sagte ein belesener Mann aus der Gesellschaft, er hätte neulich eine artige Geschichte gefunden, die sich zu diesem Gespräch überaus wohl schicken würde, und wollte er dieselbe, so es den Anwesenden belieben möchte, kürzlich erzählen. Als sie nun sämmtlich ihr Verlangen bezeigt, fing er an: Es hat sich etwa vor 120 Jahren in der Schweiz zugetragen, daß ein gottseliger Bauersmann um der evangelischen Wahrheit willen zum Feuer verdammt wurde, welcher zwar allerlei gute Proben christlicher Beständigkeit und Tapferkeit im Gefängniß gethan, doch kurz vor seinem Ende eine, die sonderlich merkwürdig, hinterlassen. Denn nachdem man ihn angebunden und nunmehr ins Feuer werfen wollte, begehrt er den Richter, welcher schweizerischem Gebrauch nach bei der Exekution zugegen war, noch einmal anzureden; als endlich nach langem Weigern derselbe herbei gekommen, spricht er: Ihr habt mich heute als einen Ketzer zum Tode verdammt, nun bekenne ich zwar, daß ich ein armer Sünder, keineswegs aber, daß ich ein Ketzer bin, denn ich glaube und erkenne von Herzen alles, was in dem apostolischen Glaubensbekenntniß enthalten ist (welches er darauf ganz hergesagt). Nun bitte ich, fuhr er fort, dieses einige zu guter Letzt von euch, mein Herr! daß ihr herzu treten und erstlich auf meine, hernach auch auf eure Brust eure Hand legen und dann vor allem diesem Volk frei und mit Wahrheit aussagen wollet, welches Herz vor Furcht und Angst am härtesten schlage, meines oder euers. Ich will fröhlich und getrost zu meinem Jesu abscheiden, an welchen ich geglaubt; wie aber euch hiebei zu Muthe sei, werdet ihr wissen. Der Richter wußte nicht, was er hierauf sagen sollte, und befahl, man sollte mit dem Feuer fort machen, doch mit solchen Geberden, daß man wohl merkte, daß er erschrockner war, als der Märtyrer. Gotthold bedankte sich im Namen der Gesellschaft für diese schöne Erzählung, die ich, sprach er, sonst in keinem Märtyrbuch gefunden. Lasset uns denn, sagte er weiter, von Herzen wünschen und von Gott im Namen Jesu bitten, daß er uns auch im Sterben ein solch ruhiges, freudiges, unerschrocknes Herz aus Gnaden geben wolle. Wem aber das Herz oberzähltermaßen wohl schlägt, weil er lebt, dem wird es geruhig sein, wann er stirbt.
352. Das Hochzeitmahl.
Als ein paar Personen aus Gottholds Hause zur Hochzeit wollten gehen, sagte er zu ihnen: Sehet zu, daß ihr nicht schlimmer wieder kommet, als ihr seid hingegangen. Der Satan spannt zwar sein Netz allzeit auf und sucht uns Menschen in Sünden zu stürzen, doch ist er niemals in seinem Fang emsiger und glücklicher, als bei solchen fröhlichen Zusammenkünften, und es scheint oft, als hätte er manches Menschen Bissen und Trunk mit Gift gemischt, daß er davon ganz gottlos und gleichsam rasend geworden. Darum wirds hochnöthig sein, daß ihr mit einer und anderer guten Erinnerung, als einem geistlichen Gegengift, verwahrt werdet. Aufs erste machts, wie gehorsamen lieben Gotteskindern gebührt, geht nirgends hin und gebraucht keine irdische und weltliche Freude, ehe ihr euch bei eurem himmlischen Vater in Demuth habt angemeldet und um Erlaubniß gebeten; die Gaben, deren ihr euch zur Ergötzlichkeit bedienen wollt, sind sein, die Speisen kommen aus seinem Vorrath und das Getränk aus seinem Keller, so bittet ihn um ein dankbares und fröhliches, doch auch vorsichtiges und behutsames Herz, damit ihr seiner Güter vor seinem heiligen Angesicht nicht mißbrauchen und darüber in Sünden nicht fallen möget. So gedenket denn auch, daß ihr zuvörderst des Gebets und der herzlichen Fürbitte halber für der angehenden Eheleute zeitliches und ewiges Wohlergehen zur Hochzeit eingeladen seid. Die alten Deutschen haben auch die hohen Feste Hochzeiten, hohe Zeiten genannt, weil man beide hoch und heilig halten und sie mit Gottes Lob und ernstlicher heiliger Andacht zieren soll; zusammen kommen, essen, trinken, lachen, scherzen, tanzen, trunken werden können auch die Heiden und Türken, andächtig aber und ernstlich beten allein die Christen. Das beste Hochzeitgeschenk ist ein christlicher rechtschaffener Segens- und Friedenswunsch, mit einem innigen Gebet bekräftigt. Wie kann aber der recht beten, der nur ans Prahlsucht und Ueppigkeit ohne gottseliges Nachsinnen mit einem Vorsatz der Ueppigkeit und Trunkenheit zur Hochzeit geht, oder wie kann ein solch Gebet Gott gefallen? Erinnert euch weiter, daß Gott allenthalben auch bei den hochzeitlichen Freudenmahlen zugegen ist, und daß er auf alle eure Worte, Werke und Gedanken Acht hat. Bei den Juden, auch etlichen Heiden, wie gelehrte Leute berichten, ist es gebräuchlich gewesen, daß entweder ein Priester, oder sonst ein ehrbarer ansehnlicher Mann in solchen Ehren und Lustmahlen durch die Wahlstimmen der Gäste oder durchs Loos zum Oberaufseher oder, wie man etlicher Orten redet, zum Könige erwählt ward, dessen Amt war, daß er mußte über Zucht, gute Sitten und Ehrbarkeit halten, Zank und Widerwillen verhüten oder stillen und allem Uebelstand steuern. Zu wünschen wäre, daß es unter uns Christen auch also gehalten würde; doch gedenket ihr, daß ihr bei eurer Freude einen scharfen Aufseher habt, den allwissenden und heiligen Gott, und vergesset nicht, was der weise König sagt, Pred. 11, 9.: So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und laß dein Herz guter Dinge sein in deiner Jugend; thue, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, daß dich Gott um dies alles wird vor Gericht führen. Seid so lustig, daß ihr eingedenk verbleibt, ihr habt heute Abend, wenn ihr zu Hause kommt, mit eurem Gott von hochwichtigen Dingen, eure Seligkeit betreffend, zu reden, und daß ihr vielleicht noch heute sterben könntet. Die weltliche Freude gehört zur Eitelkeit, darum muß ein Gotteskind, dessen Zweck die selige Ewigkeit ist, sich nicht darin vertiefen. Bedenket auch dieses, daß, indem ihr lustig seid, esset, trinket, tanzet und dergleichen, manche hundert, ja tausend Menschen unter der Last des Kreuzes, der Armuth und mancherlei Noth seufzen, manche im Siechbette winseln und stöhnen, manche mit dem Tode ringen. So seid nun so fröhlich, daß ihr euch erinnert, das menschliche Leben sei ein Gesang von schwarzen und weißen Noten; Freude und Traurigkeit sind Gesellschafter, die nicht gerne lange von einander sind; vielleicht, wenn ihr auf den Abend von der Freude zu Hause kommt, steht das Leid an der Thür und heißt euch willkommen, darum seid guter Ding am guten Tage und am bösen Tage nehmet auch vorlieb. Pred. 7, 15. Ja am guten Tage macht euch gefaßt, den bösen zu leiden und für gut zu nehmen. Endlich, wenn ihr werdet zu Hause kommen, so vergesset nicht, eine Gewissensprüfung des verbrachten Tages halber anzustellen, zumal er ein Stück eures Lebens gewesen, davon ihr dermaleinst eurem Gott Rechenschaft geben müßt. Und wie man eine Uhr, wenn das Gewicht abgegangen ist, des Abends aufzieht, so richtet ihr euer Herz durch gottselige Andacht wieder zu Gott, wo es sich etwa den Tag über gar zu sehr nach der Erde gesenkt und herunter gelassen hat. Schließlich, haltet von keiner Lust und Freude, wo sie nicht so beschaffen ist, daß ihr auf den Morgen den Himmel fröhlich ansehen und heilige Hände zu Gott aufheben könnet.
353. Gottholds Hochzeitlied.
Mein geehrter Leser, weil Gotthold die üppige Weltfreude auf Hochzeiten jederzeit gerne hätte gemäßigt gesehen, hat er einmal ein zu vorhergehender Andacht sich nicht übel schickendes Lied aufgesetzt, welches auf die bekannte Melodie des Grabliedes Landgrafen Friedrichs von Hessen kann gesungen werden; selbiges, als es einem frommen Musikanten übergeben und von demselben mit artiger Stimme eines Knaben auf etlichen Hochzeiten gemacht worden, hat etlichen Gästen die Thränen in die Augen getrieben, den Weltgesinnten aber einen Verdruß und den Musikanten einen Verweis erweckt, weil sie (ach elende Christen.) vermeint, solche Lieder gehören auf Hochzeiten nicht. Der gottselige gewissenhafte Leser wird sich dessen Einschaltung an diesem Ort nicht lassen entgegen sein.
Das Fleisch.
Mit fröhlicher Stimme.
Lustig, ihr Gäste! seid fröhlich in Ehren,
Esset und trinket mit fröhlichem Muth!
Ist es doch Hochzeit, wer will es uns wehren?
Mache dich lustig, du redliches Blut!
Lasset die Gläserlein frisch umher wanken!
Plaget euch heute mit keinen Gedanken!
Lustig, ihr Brüder! Erzählet Geschichten,
Suchet die lustigsten Schwänke hervor,
Saget uns Räthsel und Freudengedichte!
Wer nicht mit narret, der ist wol ein Thor.
Man kann nicht alle die Worte abwägen,
Worte sind Worte, dran ist nichts gelegen.
Lustig, ihr lieblichen Jungfern und Frauen!
Kommet zum Tanze, das Saitenspiel klingt,
Lasset die zierlichen Sitten heut schauen!
Der soll faul heißen, der nicht umher springt!
Lustig! wir wollen die Hochzeit genießen
Und davon lange zu sagen noch wissen!
Lustig, ihr Nachbarn, auch bis an den Morgen!
Seht! Diese ganze Nacht soll unser sein.
Schaffet von hinnen die nagenden Sorgen!
Weg mit der Traurigkeit! Freude herein
Zählet die Stunden nicht, lasset sie eilen
Wir wollen dennoch hie länger verweilen.
Der Geist.
Mit leiser und fast trauriger Stimme
Nicht allzu lustig, ihr Gäste! Ach denket,
Daß dieses Leben ein Nebel nur ist!
Danket dem Herren, der alles uns schenket,
Denket des Todes, der alles wegfrißt!
Heut sind wir fröhlich, wir scherzen und lachen,
Stecken wol morgen dem Tode im Rachen.
Sachte, ihr Brüder! und denket der Stunde,
Da man uns alle wird bringen hervor,
Rechnung zu geben von unserem Munde;
Wer es nicht achtet, der ist wol ein Thor.
Worte sind Pfeile, verwunden die Herzen,
Worte sind Schwerter und machen oft Schmerzen.
Tanzet, ihr Lieben, am lustigen Reihen!
Denket daneben, der Würger tanzt mit!
Wer weiß, wie lange noch währet der Maien!
Zwischen dem Tode und euch ist ein Schritt.
Alles ist eitel, mit Thorheit verbunden,
Niemand hat Ruhe in Unruh gefunden.
Ewig! ach ewig! ihr Menschen, ist lange,
Ewigkeit folget auf eilende Zeit,
Ewigkeit! Ewigkeit machet mir bange,
Ewigkeit folget auf närrische Freud.
Zählet die Stunden mit Zittern und Scheuen,
Daß es euch möge nicht ewig gereuen!
354. Der fruchtreiche Baum.
Gotthold sah, bei einem Garten vorbeigehend, einen Birnbaum voller frühzeitiger schöner Früchte, dessen Zweige unter der Früchte Menge so gebeugt waren, als wollten sie brechen; er sagte zu einer Person, so bei ihm war: Was meinet ihr, daß dieser Baum bedarf? Eine Stütze oder etliche, versetzte dieselbe, unter den beschwerten Zweigen. Nein, antwortete Gotthold, sondern Hände, so die Früchte brechen und Körbe, so sie fassen. Wir haben hieran ein schönes Bild des Herrn Jesu, unsers allerliebsten und theuersten Erlösers; der bedarf meiner und ich seiner, so kommen wir wohl zusammen. Lasset euch nicht wundern, daß ich sage, der Herr Jesus bedürfe meiner, nämlich wie dieser Baum der Körbe, wie der Prophetin von Gott gesegnetes Oelkrüglein der leeren Gefäße, 2. Kön. -t, 2., wie eine Mutter, welche die Milch dringt, eines Kindes, das sie ausleert. Die Liebe dringt den Herrn Jesum, daß er mich sucht; mich dringt meine Noth, daß ich ihn suche; der Herr Jesus hat alles, Himmel und Erde ist sein und alles, was darinnen ist; er bedarfs aber nicht, nur Seelen und Herzen bedarf er, mit seiner Gnade und seinem Geist zu füllen und selig zu machen. O große Liebe! o Leutseligkeit und Freundlichkeit Gottes, unsers Heilandes! der nichts bedarf, der bedarf eines sündhaften elenden Menschen! Was dünket euch, ob wir denn seiner auch wohl bedürfen? Was mich betrifft, meine Seele ist wie ein schmächtiges und durstiges Kind, ich bedarf seiner Liebe und seines Trostes zu meiner Erquickung; ich bin wie ein verirrt und verloren Schaf, ich bedarf sein als eines getreuen und guten Hirten; meine Seele ist wie eine verschüchterte und vom Habicht gejagte Taube, ich bedarf seiner Wunden zu meiner Zuflucht; ich bin eine schwache Rebe und bedarf eines Kreuzes, darum ich mich winde und daran mich fest halte; ich bin ein Sünder und . bedarf seiner Gerechtigkeit, ich bin nackt und bloß und bedarf seiner Herrlichkeit und Unschuld, mich zu decken, ich bin betrübt und erschrocken und bedarf seines Trostes, ich bin unwissend und bedarf seiner Lehre, ich bin albern und einfältig und bedarf der Regierung seines H. Geistes; ich kann seiner nimmer und nirgends entrathen; wenn ich beten soll, so muß er mein Fürbitter und Worthalter, wenn mich der Satan vor Gottes Gericht verklagt, so muß er mein Fürsprecher, wenn ich in Noth gerathe, so muß er mein Helfer, wenn mich die Welt verfolgt, so muß er mein Schutzherr, wenn ich verlassen bin, so muß er mein Beistand, wenn ich sterben soll, so muß er mein Leben, wenn ich im Grabe verwese, so muß er meine Auferstehung sein. Nun so will ich denn der ganzen Welt und alles, was darinnen ist, lieber entrathen, als deiner, mein allerliebster Erlöser! Und, Gott sei Lob! daß ich weiß, daß du meiner auch nicht entrathen willst und kannst; du bist reich, ich arm; du hast Ueberfluß, ich habe Mangel; du hast Gerechtigkeit, ich habe Sünde; du hast Oel und Wein, ich habe Wunden; du hast Erquickung und Labsal, ich habe Hunger und Durst. So gebrauche nun, mein Heiland! meiner, wo und wie du mein bedarfst. Hier ist mein armes Herz, ein leeres Gefäß, fülle es mit deiner Gnade. Hier ist meine sündhafte, betrübte Seele, erquicke und erfreue sie mit deiner Liebe. Bedarfst du auch sonst meiner, mein Herr Jesu! siehe, so bin ich dein Knecht! Gebrauche mein Herz zu deiner Wohnung, gebrauche meines Mundes, deines Namens Ruhm auszubreiten, gebrauche meines ganzen Lebens und aller meiner Kräfte zu deinen Ehren und deiner Gläubigen Dienst und laß ja die Freudigkeit meines Glaubens nicht aufhören, daß ich allezeit von Herzen sagen könne: Jesus bedarf meiner und ich seiner, so kommen wir wohl zusammen!
355. Die Gedanken.
Gotthold fand einen seiner Hausgenossen in tiefen Gedanken sitzend und fragte ihn: Was sinnt, was denkt ihr so? Der antwortete: Nichts. Gotthold fuhr fort: Es ist unmöglich, daß der Mensch nichts gedenken sollte; man soll sich aber billig also gewöhnen, daß man keine andere Gedanken habe, als solche, die man auf unverhofftes Befragen bekannt zu machen nicht Scheu haben dürfte, in Betrachtung, daß sie zwar Menschen, nicht aber Gott verborgen sein können. Das Herz ist, wie die Gedanken sind, denn wie man, auch wenn ein Gefäß ausgeleert ist, lange Zeit riechen kann, was darinnen gewesen, also lassen die Gedanken ihre Art und Beschaffenheit im Herzen. Wie man nun ein unreines und stinkendes Gefäß mit edlem Wein nicht füllt, so wird Gottes Gnade in ein Herz, das sich mit bösen Gedanken willig verunreinigt, sich nicht ergießen. Die Gedanken sind der Seele Flügel, damit sie sich entweder gen Himmel schwingt, oder in die Hölle, sie kann sich damit als Noah Täublein auf einen Oelbaum schwingen und ein Zweiglein abbrechen, oder, wie der Rabe auf ein Aas fallen und sich verunreinigen; sie sind der Seele oder des Herzens Vermögen, Besitz und Reichthum, wie sie Hiob nennt, 17, 11., weil die Seele ihre Lust und Kraft darinnen hat. Es gilt aber dieser Schatz des Herzens nach dem Gepräge; welche Gedanken nicht mit dem Siegel Gottes, mit der Liebe Jesu und dem Zeichen seines H. Geistes bemerkt sind, die sind billig für ungültig und als eine falsche Münze zu halten. Sehet euch demnach wohl vor, daß ihr nicht böse Gedanken in euren Herzen hauset und heget. Ich sage nicht, daß ihr keine böse Gedanken haben sollt, denn ich möchte zu viel und was dem menschlichen Herzen nach dem Fall unmöglich ist, sagen und fordern; das Herz ist eine Herberge, darinnen billig keine andere, als himmlische Gedanken, die vom Himmel kommen und zum Himmel gehen, sollen aufgenommen werden; geschiehts aber, so wird es einem Hurenwinkel und Garküche gleich, darin sich allerlei liederlich Lumpengesindel zu versammeln pflegt, wohin Gott der Herr zielt, wenn er fragt, Jer. 4, 14.: Wie lange sollen die Gedanken deiner Eitelkeit bei dir bleiben, herbergen und übernachten? Die erste Stufe zur wirklichen Sünde ist, böse Gedanken haben, die andere, dieselben lieben und hegen. Ein ausländischer Lehrer (Thomas Godwin) sagt sehr füglich, der Erbsünde erstgeborne Kinder wären die bösen Gedanken, aus welchen alle andern Sünden herstammten, sie wären die rechten Kuppler, welche zu den wirklichen Sünden weidlich hülfen und dergleichen. Ein anderer vergleicht sie den Würmern und Maden, die aus dem faulen und ungesalzenen Fleisch wachsen, welche in demselben wudeln und es verzehren und greulich stinkend machen. Als nun obgemeldete Person hierauf sagte: Ach, man kann ja öfters der bösen Gedanken nicht los werden; sie sind wie die Mücken; je mehr man sich mit ihnen jagt oder schlägt, je häufiger kommen sie wieder. Gotthold antwortete: Gleichwie eine keusche und ehrliebende Frau oft es nicht verwehren kann, daß ein unzüchtiger Mensch ihr nicht sollte nachgehen, von seiner vermeinten Liebe mit ihr reden, ihr Briefe schreiben, des Nachts um ihr Haus gehen, ihr eine Musik bringen, so kann sie ihn doch hart und rauh abweisen, seine Briefe zerreißen und die Fenster zumachen und die Ohren von ihm und seinem Thun abwenden, endlich auch ihrem Ehemann alles entdecken und um Hülfe bitten. So gehts auch mit der gläubigen und gottseligen Seele zu, welche oft des Teufels gottloses Einsprechen leiden muß, doch demselben mit großem Eifer widerspricht und dasselbe zurückschlägt nach allen Kräften und Vermögen. Ihr Bestes aber ist, daß sie sich zu Gott wendet und es ihm mit Thränen klagt, auch mit ihm und seiner Liebe, wie auch mit anderer ordentlichen Berufsarbeit sich so viel zu thun macht, daß sie auf des Satans Anbringen Achtung zu geben der Weile nicht hat. Herr Jesu! meine Seele ist eine Herberge und hat einen Schild ausgehangen mit dem Zeichen eines zerrissenen Herzens und der Unterschrift: Zum zerbrochenen Herzen. Hier soll niemand aufgenommen werden, als du, mein Erlöser! und was von dir kommt und zu dir geht; und schleicht zuweilen von Teufelsboten (bösen Gedanken) etwas mit ein, so will ich nicht ruhen, bis sie hinaus müssen; hilf du mir dazu, daß deine Wohnung allezeit sauber und von solchen Schmeißfliegen unbefleckt behalten werde!
356. Kein Herz.
Es ward in Beisein Gottholds von einem Menschen geredet, daß er sehr kleinmüthig und furchtsam wäre, und gebrauchte einer die Redensart: Der Kerl hat kein Herz im Leibe. Gotthold sagte: Ich verstehe wohl, was ihr sagen wollt, ich wollte aber wünschen, daß viele Leute kein Herz im Leibe hätten, die nämlich, welche aus Großmüthigkeit, wie sie meinen, und ihre Reputation zu erhalten, oft liederlich mit dem Nächsten anbinden und darüber um Leib und Leben kommen. Ist es nicht eine schöne Sache, mit guter Resolution und Reputation, wie die Welt redet, in den offnen Rachen der Hölle sich stürzen? Wenn ihr am Ufer eines schiffreichen und schnellen Stroms ständet, und einer sagte: Ich halte dich für diesen und jenen, für einen verzagten Kerl, der kein Herz im Leibe hat, wenn du dich nicht in den Strom stürzest; was würdet ihr thun? Ohne Zweifel jenen für einen Rasenden halten Doch die Hölle achten wir nicht, wir können auf dem breiten Wege, der in die Verdammniß führt, in den Himmel gehen; daß es Gott erbarme! Ich will aber bei dieser Gelegenheit dennoch wahr machen, daß mancher Mensch kein Herz hat. Zu Rom ist vor nicht allzulangen Jahren ein vornehmer Mann an einer langwierigen Krankheit gestorben; in dessen eröffnetem Körper hat man kein Herz, sondern nur das Häutlein, damit sonst das Herz umgeben ist, gefunden und dafür gehalten, daß es von großer langwieriger Hitze, welche der Verstorbene erlitten, gänzlich verzehrt worden. Bei diesem ward kein Herz gefunden, als er gestorben war, bei manchem kann man kein Herz finden, weil er lebt. Der H. Geist gebraucht einer nachdenklichen Redensart, Jes. 58, 10.: So du wirst den Hungrigen lassen finden dein Herz und die elende Seele sättigen, so wird dein Licht im Finsterniß aufgehen. O wie manchmal sucht ein armer, elender, betrübter Mensch mit sehnlichem Ansehen, kläglichen Worten, vielen Thränen und herzlichem Flehen eines harten Mannes Herz und kann es nicht finden, wie es dem Lazarus mit dem reichen Manne ging. Luc. 16, 20. 21. Was der Prophet Hosea 4, 11. spricht: Hurerei, Wein und Most machen toll, oder, wie der Grundiert redet, nehmen das Herz weg, das mag man auch vom Geiz und der Unbarmherzigkeit sagen. Ja was noch schrecklicher ist, wie oft sucht der fromme Gott das menschliche Herz und kann es nicht finden! Gott sucht des Menschen Herz zu gewinnen durch seine Liebe, Güte, Langmuth, vielfältige Wohlthaten, durch sein Wort, durchs Kreuz, durch den Gewissenszwang, durch brüderliche Bestrafung und Erinnerung, aber die sichere, boshaftige Welt hat kein Herz für ihren Gott. Seht, wie es jetzt in der Welt zugeht; Gott hat hin und wieder getreue, gottselige, eifrige Diener, die mit Lehren, Strafen, Dräuen, Warnen, Flehen, Weinen, Bitten die Herzen suchen, allein die Welt lacht ihrer und geht immer hin, als eine verstockte (verleitete, alberne) Taube, die kein Herz hat. Hos. 7, 11. „Es ist da kein Hören, noch Sehen, es hilft kein Lehren, noch Beten, kein Ermahnen, kein Bitten, noch Flehen, keine Demuth, keine Geduld, kein Dräuen, kein Wunder, noch Zeichen, wir zwingen Gott zum Zorn mit aller Gewalt und wollen schlecht ihn nicht lassen gnädig sein, wie gern er es auch thäte“, wie ein gottseliger Lehrer (Luther) davon schreibt. Der Teufel hat ein höllisches Wunder an vielen Leuten gethan und hat sie verblendet, daß sie mit sehenden Augen nicht sehen, mit hörenden Ohren nicht hören, bei lebendigem Leibe todt sind und kein Leben haben. Ich halte, er habe vielen nicht allein das Wort vom Herzen, Luc. 8, 12., sondern auch das Herz selbst weggenommen. Dies lasset uns beseufzen und den barmherzigen Gott bitten, daß er sich solcher Leute erbarme und ihnen ein neues Herz wieder gebe! Eines fällt mir noch ein: Eine gottselige Jungfrau sagte einstmals zu mir: Ich habe kein Herz mehr, ich fühle es auch nicht, ich habe es längst meinem Herrn Jesu geschenkt, der hats in seiner Verwahrung. Auf solche Weise hab ich auch kein Herz mehr. Herr Jesu! du bist mein Herz! dein Geist ist meine Seele! du bist alles, ich nichts. So bin ich nun ein Wunder deiner Güte, daß ich ohne Herz lebe, und zwar besser, als wenn ich ein Herz hätte!
357. Der schwache Magen.
Ein frommes Herz klagte über groß Drücken im Magen; gefragt, woher es müßte kommen, gab es zur Antwort: Ich bin neulich an einem Ort zur Mahlzeit gewesen und muß ja wegen des vielen Nöthigens und durch Veranlassung der Gesellschaft am Essen mein gewohntes Maß überschritten haben, deshalb mein Magen erzürnt sich zu rächen und mich zu bestrafen sucht. So machts Gott mit seinen Kindern, sagte Gotthold, sie müssen auch nicht einmal zu viel essen, sondern sie müssen eine Erinnerung haben, damit sie behutsamer werden. Merket aber an euch und eurem Leibe ein Vorbild der frommen und gewissenhaften Seelen und den Unterschied zwischen ihnen und den Gottlosen. Von den letztern sagt die Schrift: Sie saufen das Unrecht in sich wie Wasser, Hiob 15, 16., das ist, sie verlangt und dürstet nicht allein nach Ungerechtigkeit, sondern sie nehmen auch die Gelegenheit zur Sünde begierigst an, sie haben ihre Lust daran; es ist ihr tägliches Getränk (wie das Wasser in den heißen Ländern war) und sie können ihren Durst anders nicht, als mit Erfüllung ihres bösen Vorsatzes stillen, wohin auch der h. Apostel ohne Zweifel gesehen, wenn er sagt, Eph. 4, 19.: Die ruchlosen Herzen ergeben sich der Unzucht und treiben allerlei Unreinigkeit begierlich, mit großer Lust und Begierde. Wie sie nun die Sünde mit Lust, als eine wohlschmeckende Speise, hinein schwelgen, so können sie sie auch im Gewissen leicht verdauen, sie haben davon nachher kein Leid, keine Schmerzen, keinen Gewissensdruck, sie sind den Trunkenbolden gleich, denen das Saufen eine Gewohnheit und Freude ist, die auf den Morgen von keinem Beschwer wissen und die verlangt, daß sie nur bald wieder dazu kommen. Die gottseligen Herzen aber und zarten Gewissen sind gleich denen, welche das geringste Uebermaß nicht vertragen können, sie sind der Sünde nicht allein von Herzen feind, sondern, so sie etwas versehen haben, sind sie krank daran, das Herz schlägt ihnen, das Gewissen straft und drängt sie, daß sie keinen Frieden haben, ehe sie sich mit Gott in wahrer Buße durch Jesum Christum versöhnen. So ist es nun umsonst, wenn sich ein gottloser Mensch, welchen die Schrift einen Uebelthäter (einen Handwerker, einen Taglöhner der Sünde), Ps. 6, 9., nennt, auf der gottseligen und frommen Seelen Fehler berufen will. Diese sind den Bäumen im Winter gleich, die weder Blätter, noch Früchte, doch Saft und Leben haben, daher zu seiner Zeit wieder ausschlagen, blühen und fruchten, jene aber den dürren Bäumen, die eine Zeit wie die andere ohne Saft, Leben und Frucht und also zum Feuer fertig sind. Die Magnetnadel kann durch Rütteln und Schütteln von ihrem Stande verrückt werden, doch sobald sie Friede hat, kehrt sie wieder zu demselben; die Wetterhähne auf den Häusern richten sich nach allen Winden; so auch die Gläubigen können mit einem Fehl übereilt werden, doch wenn sie nur Zeit haben, sich zu besinnen, werden sie sich bald befleißigen, ihren Fehl zu bessern und zur Gottseligkeit sich zu kehren; die Ruchlosen aber nehmen aller Gelegenheit zur Bosheit wahr und folgen allen Reizungen des Teufels und der Welt. Der Frommen Sünde und Schwachheit ist ihnen ein Geschwür und Eiterbeule, davon sie große Schmerzen haben und sein los zu werden suchen. Den Gottlosen aber ist es ein Kleinod und Brustbild, das sie für eine Ehre und Zierde halten. Mein Gott! ich bitte von Grund meines Herzens, bewahre mich, daß ich die Sünde nicht liebe! Laß mich auch von geringen Fehlern Schmerzen empfinden, erinnere und strafe mich täglich durch dein Wort und H. Geist, durch einen aufrichtigen, christlichen Freund, durch Bangigkeit und Schwermuth des Herzens, durch das liebe Kreuz, oder wie du sonst weißt und willst, daß, wo ichs etwa versehen und sündigen sollte, ich bald inne werde, daß ich gesündigt habe und in herzlicher Demuth durch Jesum Christum Gnade bei dir suche und erlange.
358. Das Gesinde.
Gotthold ließ ein Gesinde, das eine Zeit in seinem Dienst gewesen, fragen, ob es Lust hätte, ferner bei ihm zu bleiben. Selbiges ließ zur Antwort geben, es hätte nichts zu klagen, wüßte sich auch nicht zu verbessern, wenn er nur mit ihm zufrieden wäre, begehrte es seinen Dienst nicht zu verändern. Er sagte darauf: Wir sollten es billig so mit einander machen, daß eines bei dem andern zu wohnen keinen Verdruß hätte. Es ist kein Unterschied unter Herrn und Knecht, Frau und Magd, als welchen Gott auf eine Zeit lang in dieser Welt gemacht hat. Die Sterne haben nicht einerlei Größe und Glanz, stehen aber doch an einem Himmel; also haben wir nicht einerlei Ehre, Ansehen, Güter, doch einen Gnadenhimmel, einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe, einen Gott und Vater unser aller, der da ist über uns alle und durch uns alle und in uns allen. Eph. 4, 5. 6. Wie sollte ich mein Gesinde verachten oder beleidigen, ob es mich wol Herr heißen und meines Befehls und Gefallens warten muß? Wie, wenn es eine höhere Stufe des Glaubens, der Liebe, der Demuth, der Geduld, der Vergnüglichkeit, als ich erreicht hätte? Es wird von einem Einsiedler, der sich sehr heilig hat dünken lassen, berichtet, daß ihm offenbart sei, er hätte es kaum so hoch, als eine Magd, die in einer Schenke in Diensten wäre, mit der Gottseligkeit gebracht; als er sich nun aufgemacht, dieselbe gesucht und gefragt, was ihr Thun und heilige Uebung wäre, hat sie zur Antwort gegeben, sie wäre sich keiner sonderlichen Heiligkeit bewußt, ohne daß sie ihre Hausarbeit und obliegenden Geschäfte fleißig verrichtete und eine Gewohnheit hätte, daß, wenn sie eine Tracht (Bürde) Holz aufnehme, es in die Küche zu tragen, sie mit herzlicher Liebe gedächte an den, welcher das Holz des Kreuzes aus Liebe zu ihr und allen Menschen getragen hätte. So liegt oft ein Edelstein an der Erde und bleibt doch ein Edelstein; die Perlenmutter ist rauh und unansehnlich von außen, inwendig aber prächtig, hellleuchtend und wegen ihrer werthen Frucht kostbar. So auch ein gottseliges Gesinde ist oft vor der Welt gering und schlecht, vor Gott aber groß geachtet. Nun, mein Herr und Gott! ich erinnere mich billig hiebei, daß ich dein Knecht bin, ich will auch gern in deinem Dienst bleiben. Mein Gott! ich bin mit dir sehr wohl zufrieden, ich habe nichts zu klagen, ich habe an dir einen sehr gütigen, gnädigen Herrn. Deine Weife gefällt mir wohl, deine Gebote gefallen mir wohl, deine Wege, deine Haushaltung, dein Kreuz, deine Arbeit, dein Lohn gefällt mir wohl. Ach, wenn ich es nur bisher so gemacht hätte, daß du auch mit mir könntest zufrieden sein. Doch du bist so gütig, daß du auch mit unsern Fehlern Geduld hast und regierst uns mit viel Verschonen. Weist). 12, 18. So gönne mir nun, mein Gott! die Ehre, daß ich dein Knecht sein und bleiben mag, weil ich lebe und in Ewigkeit.
359. Der Lappen.
Gotthold war über einige Verleumdung und unchristliches, widriges Urtheil, so von einer Person über sein wohlgemeintes und wohlgegründetes Thun gefällt, Unmuths und betrübt, (wie sich denn anfangs unser Fleisch und Blut nicht wohl schicken will, die Dornkrone Jesu Christi für einen Blumenkranz zu tragen) und ging im Hause in tiefen Gedanken auf und nieder; indessen ward er eines Lappens gewahr, welchen seine Leute irgend in der Küche oder zum Fußbade gebraucht, und erinnerte sich dabei, was von dem frommen Mönche, Heinrich Suso, berichtet wird, und was er selbst erzählt, er sei auch einmal Schmachreden halber betrübt gewesen, und als er in seiner Zelle saß, sah er einen Hund, der lief mitten im Kreuzgang und schleifte da ein Fußtuch um und warf es bald auf, bald nieder, darüber er seufzend sagte: „Wahrlich, Herr vom Himmelreich! also bin ich in der Brüder Mund als ein Fußtuch.“ Er gedachte dabei: „Siehe, das Fußtuch läßt sich behandeln von dem Hunde, wie er will, er wirft es auf, er wirft es nieder, oder er tritt darauf, also sollst du es auch thun; man halte dich hoch oder schlecht, oder man verschmähe und verspeie dich, so sollst du es in Sanftmuth aufnehmen;“ darauf er den Lappen aufgehoben und in seiner Zelle verwahrt; „da ich es“, spricht er, „mit innern und äußern Augen ansehe.“ „Ich wollte es dir“, schreibt er weiter an seinen Freund, „haben gesendet, daß dir dein Leiden desto leidlicher wäre gewesen, so ist es mir als gar lieb, daß ich es nicht mag von mir geben oder lassen.“ So hat dieser Mann eine gute Erinnerung, gedachte Gotthold, an einem alten Lumpen gefunden; ich möchte diesen auch wohl aufheben und gleichermaßen gebrauchen. Es wird doch anders nichts daraus, wir müssen uns nur in Gottes heiligen Rath und Willen übergeben und mit uns lassen machen, wie es ihm wohlgefällt. Wenn er uns der Welt eine Weile übergiebt, daß sie mit uns, wie der Hund mit dem Lumpen, spielen sollen, wer wills ihm wehren? Zuvörderst da es eine Zeit nur währt und wir versichert sind, daß es aus göttlichem, weisem Rath und väterlichem Wohlmeinen geschieht; hätte er doch guten Fug und Recht, uns dem Willen des Satans zu übergeben ewiglich. Der H. Geist gebraucht öfters von dem Herrn Jesu die Art zu reden: er sei übergeben, dahin gegeben, Apostelg. 2, 23. Rom. 8, 32. Hat nun Gott seinen allerliebsten Sohn übergeben in den Willen seiner Feinde für uns und hat sich dies unschuldige Lämmlein zausen lassen und wie ein Fußtuch hin und wieder werfen, was bilden wir uns denn ein, daß wir es besser haben wollen? Nun, mein Gott! es soll heute dieser Lumpen mein Buch sein; ich will lernen, mich in deinen Willen, ja um deinetwillen in den Willen meiner Feinde übergeben! Es soll mir alles gleich gelten, Hohes und Niedriges, Lieb und Leid, Ehre und Schande in deinem allerheiligsten und süßesten Willen! Wohlan! Welt, wirf mich hin und her, auf und nieder, auf die Bank oder darunter, an das Licht oder in einen finstern Winkel, es gilt mir gleich, du kannst mich nirgends hinwerfen, da mich mein Gott nicht sollte können wieder finden und hervorziehen; es ist leicht zu erdulden, von der Welt verworfen zu sein, wenn man nur von Gott nicht verworfen ist. Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, mein Gott! du wirsts wohl machen! Ps. 39, 10.
360. Der Bettler.
Es ward erzählt, daß man einen Bettler hätte angetroffen, der zwar bei Tage auf zwei Krücken sich lehnend als lahm und preßhaft umher gegangen und das Almosen mit kläglicher Stimme gesucht, abends aber in seiner Herberge, wo er seines Gleichen gefunden, die Krücken weggeworfen und wohl bezecht sich seiner gesunden Beine bedient und getanzt hätte. Wie sich nun männiglich hierüber verwunderte und ihn einen Betrüger, Dieb und losen Vogel hieß, sagte Gotthold: Meine Lieben! dieser ist der erste nicht, der um Geldes willen eine Betrügerei vornimmt, er wird auch der letzte nicht bleiben. Zu beklagen ist es, daß solch loses Gesindel nicht besser beobachtet und ihrem Muthwillen durch zulängliche Mittel nicht eifriger gesteuert wird. Es ist einer mit von den Schandflecken der heutigen Christenheit, daß man so viel Betrüger, Müßiggänger und gewissenlose Leute, die weder Gott, noch Menschen nütze sind, deren Arbeit ist, sich durchs Land betteln und, was erbettelt ist, versaufen, dabei in schrecklicher Unreinigkeit und Unflätherei leben, frei läßt passieren und ihrer muthwilligen Bosheit wider Gottes Wort und wider geistliche und weltliche Rechte nachsieht. Es ist eine unverantwortliche Nachlässigkeit von denen, die der Herr auf der Hut seines Hauses gestellt hat, daß sie so vieler getauften Menschen unordentlichem, unchristlichem, gottlosem Wandel zusehen und sie nicht zur Arbeit anhalten. Unser Erlöser trieb nicht allein die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel und stieß die Tische der Wechsler und die Stühle der Taubenkrämer um, sondern er wollte auch nicht zulassen, daß einer etwas (ein unheiliges Gefäß, was zum Gottesdienst und in den Tempel nicht gehört) sollte durch denselben tragen. Mare. 11, 15. 16. Jetzt aber, da der christliche Eifer fast gar verschwunden ist, läßt mans gehen, wie es geht, man läßt die, so ihr Gefäß in Heiligung und Ehren zu behalten längst vergessen haben, immerhin durch die Christenheit lausen, Aergerniß geben, den rechten Armen das Brod vor dem Mund wegnehmen, ein schändliches Wesen treiben und in Sünden leben und sterben. O ihr Führer und Lehrer des Volks Gottes, welch eine Verantwortung wird dieses und viel anderes dermaleinst nach sich ziehen! Lasset uns aber, indem wir über andere eifern und klagen, unser selbst nicht vergessen! Meinet ihr nicht, daß dieser Betrüger seines Gleichen viel hat, auch unter denen, die das Ansehen nicht wollen haben? Ich will von weltlichen Dingen nicht sagen, da die Betrügerei, um Geld zu gewinnen, so gemein ist, daß man sie fast für ehrlich hält; es hilft nicht, daß es eine andere Art ist; wer um Geldes willen die Furcht Gottes, sein Gewissen und die Liebe des Nächsten aus den Augen setzt, der ist so wohl ein Betrüger, als dieser Bettler, wenn er schon in Sammt und Seide gekleidet einher geht. Bedenket, wie es in Kirchen zugeht! O wie gemein ist es da, daß wir uns bei unserm Gottesdienst andächtig, bei unsern Beichten betrübt und kläglich, bei unserm Abendmahlgehen sittig und züchtig stellen. Ach, ich bin ein armer Sünder, heißt es da, meine Sünden sind mir von Herzen leid, ich verlasse mich auf Gottes Barmherzigkeit, ich will mich gerne bessern. O wie kläglich thut da der Bettler, wie elend kann er sich stellen! Allein hab Acht auf ihn, wenn er aus der Kirche kommt, wenn seine angenommene Andacht und gezwungene Frömmigkeit vorbei ist, wenn er ihm selbst gelassen zur üppigen Gesellschaft wieder kommt, da ist sofort Sünde, Buße, Besserung, Himmel, Hölle und alles vergessen, da wird alle Andacht ersäuft und das Gewissen weggeworfen, da ist der arme Sünder nicht mehr kläglich, krank und elend, sondern frech, trotzig und unbändig. Es scheint fürwahr, als sei es dahin gekommen in der Christenheit, daß man meint, die Andacht, die Buße und Früchte der Buße gehören nur in die Kirche, und wo man etwa mit den Priestern muß umgehen; hernach aber könne das Christenthum wohl leiden, daß man seinen Willen habe, in der Welt mit der Welt lebe. Kurz, wir meinen, der äußerliche Schein sei genug, es komme um das Herz, wie es kann. Wir verwundern uns und zwar billig, daß man im Papstthum die Leute beredet, es wäre zur Seligkeit dienlich, eine Mönchskappe erkaufen und sich darinnen begraben lassen; wir sehen aber nicht, daß wir für die Mönchs- eine Heuchelkappe erwählt haben; damit verlarvt sich der größte Theil der Christenheit, darinnen stirbt er auch; gerade als wenn es eine so schlechte Sache wäre, eine neue Kreatur in Christo werden! Ach, Herr Jesu! keine Betrügerei ist gemeiner in der Welt, als daß die Menschen sich selbst betrügen; sie beschauen sich in dem Spiegel der Eigenliebe und meinen, weil sie ihnen selbst wohlgefallen, so müssen sie dir auch gefallen, da doch das Gegentheil wahr ist. Ach, laß mich deinen H. Geist in alle Wahrheit leiten und vor Selbstbetrug bewahren!
361. Der große Buchstabe.
Einem Knaben hatte sein Lehrmeister, der ihn im Schreiben unterrichtete, eine Vorschrift gemacht und in derselben ein großes A mit vielen bunten und zierlichen Zügen, wie es ihre Kunst vermag, voran gesetzt; der Knabe machte statt dessen in der Nachschrift mehrentheils ein schlechtes A, zuweilen versuchte er zwar, das seinige auch etwas zierlich zu machen und mit Zügen zu bekleiden, es gerieth aber, wie es konnte bei einem Schüler oder Lehrling. Gotthold sagte hierauf: Der Herr Jesus hat uns alle Tugenden aufs vollkommenste in seinem allerheiligsten Leben vorgebildet, sie sind vollkommen nach allen Umständen; lasset uns sie nachbilden mit aufrichtigen einfältigen Herzen, so gut wir können, nur daß man unsern Fleiß und Lauterkeit spüre; er wird zufrieden sein, bis wir es durch stetige Uebung besser lernen. Allein ich erinnere mich, daß ich hievon schon vor diesem bei dergleichen Gelegenheit Erinnerung gethan. Darum will ich euch jetzt ein anderes vorstellen. Dieser große Buchstabe mit allen seinen Zügen und Zierden, wie sehr er ins Auge prahlt, ist und gilt nichts mehr, als ein A und giebt uns ein schickliches Bild der Menschen, die mit vieler weltlichen Eitelkeit prangen. Siehe nur an die, welche in hohen Ehren und Würden schweben, welche in Gold und Silber, in Sammet und Seiden prachten, von Diamanten und Perlen schimmern und glänzen und mit vielen Dienern umgeben auf hohen Thronen sitzen, in prächtigen Karossen fahren, an herrlichen Tafeln speisen, in weichen und kostbaren Betten ruhen, (wenn sie ruhen können) welche in der Welt hochberühmt und vor aller Menschen Augen etwas Großes sind. Wenns um und um kommt, so ist der große Buch, stabe mit allen seinen zierlichen Zügen ein A und diese mit aller ihrer Eitelkeit Menschen und mehr nichts. Von einem König in Frankreich wird berichtet, daß, als er Lust halber in die Küche gekommen, er einen Küchenjungen gefragt, was er jährlich verdiente, der ihm geantwortet: So viel, als der König. Als weiter gefragt wurde, was denn der König verdiente; Nahrung und Kleider, versetzte er, ein mehreres kann er nicht benutzen und das habe und verdiene ich auch. Von Philipp, dem dritten König in Spanien, wird gemeldet, daß er in seinem Letzten frei bekannt, man hätte nichts davon, daß man ein König wäre, als in seinem Tode ein betrübtes und beängstigtes Herz. Dies waren große Leute in dem Register der Menschen, doch warens nur Menschen und mußten lernen und erkennen, daß sie alle weltliche Herrlichkeit über die menschliche Eitelkeit und Sterblichkeit nicht hätte erheben können. Von der Collia Paulina, einer edlen und reichen Römerin, meldet Plinius, sie habe einmal bei einem Verlöbniß mittlerer Standespersonen einen Schmuck angehabt von Smaragden und Perlen, welcher nach eines gelehrten Mannes Berechnung auf zehnmal hunderttausend Thaler geschätzt worden. Zu unserer Zeit hat eine Prinzessin von Rossano in der heutigen Stadt Rom einen Schmuck von Edelsteinen getragen, der siebenmal hunderttausend Kronen werth gehalten worden. Was waren aber diese Weiber in solcher theuren Pracht? Menschen und weiter nichts. Dies wußte Gelimer, der überwundene und gefangene König der Wenden in Afrika, welcher, als er den Kaiser Justinian in großer kaiserlicher Pracht sitzen sah, lachend ausrief: Eitelkeit! Eitelkeit! So vergaffe sich nun an der Welt Phantasei und Prahlerei, wer da will, ich kanns nicht thun. Ich fürchte Menschen als Menschen, ich liebe sie als Menschen, ich verlasse mich auf sie als auf Menschen. Mein Gott! laß mich nicht viel Schein, sondern viel Geist, nicht viel Ruhm, sondern viel Thuns haben, so bin ich wohl zufrieden.
362. Der Vagant.
Bald nach dem Verlauf mit dem Bettler meldet sich ein Vagant an, wie man die Leute nennt, die sich für Studenten ausgeben, welche Beförderung suchen, welche geplündert sind und unter solchem Vorwand ein Handwerk aus der Bettelei machen, ein wildes und unordentliches Leben führen, an keinem Orte stetig und manchem ehrlichen Mann beschwerlich sind. Gotthold redete selbst mit ihm, und, nachdem er aus seiner Antwort genugsam abgemerkt, daß er einer von den rechten wäre, stellte er ihm die Gefahr seiner Seele in solchem Stande beweglich vor und ließ ihn mit einem Almosen von sich. Bald darauf sagte er zu seinen Hausgenossen: Die Weltkinder sind mancherlei Gattung, doch haben sie alle einerlei Absehen, daß sie nämlich nach dem Fleisch wollen frei sein, ihren Willen haben, an göttliche und menschliche Rechte, so viel möglich, nicht verbunden sein und dieses zeitlichen Lebens nach aller Lust ihrer verblendeten Seelen genießen; sie sind alle Vaganten und wallen durch die Welt mit Ungehorsam, Eigensinn, Frechheit, Hoffart, Muthwillen und dergleichen. Wenn ein unwiedergeborner fleischlicher Mensch sollte seines Herzens Grund entdecken dürfen, so würde er wünschen, daß kein Gott wäre, ja er würde bekennen müssen, daß er Gott in seinem Herzen feind sei, als der mit seinen Geboten seinem Eigenwillen und angemaßten fleischlichen Freiheit hinderlich ist; hierum sucht ein solcher Mensch, so viel ihm immer möglich, sich von Gott zu entfernen, will nicht gerne an ihn gedenken, damit nicht durch dessen Furcht seine Lust gehemmt und unterbrochen werde; sie leben auch darum gerne im Sause täglich, damit ja das Gewissen nicht aufwache; sie sind den Gottseligen feind, welche aus christlichem Eifer sie bestrafen; sie lassen sich nicht gerne einreden, sie wollen fein ungeirrt und unmolestirt zur Hölle wandern. Was, sagt ein fleischlicher Mensch, hat man mir einzureden? Ich bin frei, ich habe auf niemand zu achten, ich bin der Ruthe entwachsen; meine Eltern sind todt, oder leben sie, so achte ich ihrer nicht, ich lasse sie sagen, was sie wollen, und sie müssen mich lassen machen, was ich will; mein Weib muß mich unverirt lassen, oder sie kriegt Ohrfeigen; der Obrigkeit geb ich ihren Schoß und thue, was einem Bürger zukommt, so hat die weiter auf mich nichts zu sprechen; die Priester müssen meine Gänge nicht wissen, erfahren sie es und reden mir zu, so spreche ich, es sei nicht wahr, ich sei fälschlich angegeben; machen sie es zu viel, so gebe ich auf sie nichts, wohl wissend, daß man ihnen die Hände ziemlich gefesselt und den Bindeschlüssel angebunden hat, und was geht sie es endlich an? Was hat der Pfaff sich darum zu bekümmern, was ich mit dem Meinigen thue? Ich versaufe, verspiele, verschwelge mein Geld; ist das nicht eine herrliche Sache? eine stattliche Freiheit? ein erwünschtes Leben, ein solch freier Vagant zu sein? Ach elende Freiheit! O verfluchter Eigenwille! Dies ist es, was der h. Apostel sagt: Fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott, Rom. 8, 7., und abermal: Da ihr der Sünde Knechte waret, da waret ihr frei von der Gerechtigkeit! Rom. 6, 20. Ist es nicht eine klägliche Freiheit, Gott nicht gehorsam und des Teufels Sklave sein, die Bande Gottes zerreißen und die Seile seiner Liebe von sich werfen, dafür aber in den Stricken des Satans sich täglich mehr und mehr verwickeln? Dies ist, als wenn ein Schaf sich von der Heerde hätte verlaufen und unter dem Gesträuche weidend sich rühmen wollte, es dürfte sich nun gleichwohl vor des Hirten Stimme, Stab und Hunden nicht fürchten, und bedächte nicht, daß der Wolf im Gebüsche schon lauscht und es bald erhaschen wird. Oder, wenn ein Schiff vom Lande durch einen Windwirbel los gerissen, das keinen Steuermann hat und nach dem Willen der Winde und Wellen hin und her getrieben wird, sich selbst wollte in solcher Freiheit wohlgefallen, nicht Acht habend auf die Klippen und Felsen, daran es bald zerscheitern wird. Diese Leute sind nicht wohl bei Sinnen und den Uebelthätern gleich, welche sich vollsaufen, wenn sie zum Tode geführt werden. Ach, mein Gott! behüte mich vor solcher Freiheit und vor solchen Gedanken! Es ist meine höchste Glückseligkeit, daß ich nicht mein selbst und mir gelassen bin; mein Wille wäre meine Hölle, dein Wille ist mein Himmelreich. Die fleischliche Freiheit ist Sklaverei, dir aber dienen ist Freiheit. So sei nun frei, wer da will, ich bin und bleibe gerne ein Knecht meines Gottes.
363. Die Bibliothek.
Gotthold ward ein Verzeichniß einer stattlichen Bibliothek, welche von einem seiner Freunde hinterlassen worden, zugefertigt mit Bericht, daß sie sollte verkauft werden. So gehts, sagte er, in der Welt; Sammeln hat seine Zeit, Zerstreuen hat seine Zeit; der Gelehrten Reichthum sind mehrentheils die Bücher, und es geht damit wie mit andern Gütern der Welt; eine Zeit lang bedienen wir uns ihrer, hernach lassen wir sie der Welt, die damit waltet nach ihrem Willen. Als nun hierauf einer sagte: Es scheint, daß dieser gelehrte Mann mit gutem Unheil und Unterschied diese Bücher zusammen gebracht, wenn ich so viel Geld hätte, wollte ich sie an mich bringen; fuhr Gotthold fort: Ich gestehe, es ist eine stattliche Sache für einen Gelehrten um eine gute Bibliothek. Eine Imme kann so viel Freude nicht finden in einer blumen- und honigreichen Wiese, als ein Gelehrter in so mannigfaltigen Büchern; kein Buch ist so schlimm und schlecht, darinnen ein verständiger und erfahrner Mann nicht sollte etwas Dienstliches finden. Der berühmte alte Kanzler zu Paris, Johann Gerson, schreibt, daß der h. Augustin in seinem Letzten unter andern seinen Geistlichen befohlen, daß sie der Kirche Bibliothek, die er angerichtet hatte, sollten als einen guten Schatz wohl bewahren und in Acht haben. Er selbst vergleicht eine Bibliothek mit dem Thurm Davids, davon das Hohel. 4, 4. sagt: Er sei zum Zeughaus gebaut, darin tausend Schilde hangen und allerlei Waffen der Starken; und zieht hieher, was Christus spricht, Matth. 13, 52.: daß ein Schriftgelehrter, zum Himmelreich gelehrt, gleich sei einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervor trägt; und thut hinzu, so müsse ein Gottesgelehrter aus alten und neuern Büchern die Weisheit zusammen suchen. Allein man kann nicht in Abrede sein, daß viele Bücher, aus dem Weltgeist, 1. Cor. 2, 12., geschrieben, so leer sind von der himmlischen Weisheit, daß man, wenn sie durchgelesen sind, anders keinen Nutzen davon hat, als zu sagen: Ich habe es gelesen. Die Imme fällt auf manche Blume, darin sie keinen Honig findet; manches Buch ist, wie der Schreiber oft selbst, den übertünchten Gräbern gleich, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig voller Todtengebeine sind und alles Unflaths. Matth. 23, 27. Es wird berichtet, daß eine feindliche Partei habe ehemals einen tapfern und siegreichen Potentaten umzubringen gesucht mit einem so stark vergifteten Buche, (welches ihm von einem vermeinten Exulanten sollte dargeboten werden,) daß beim Eröffnen es ihn mit seinem Dampf und Geruch tödten könnte. O wie viel sind noch jetzt vergifteter Bücher im Buchladen feil! O wie manche Seele wird durch gottlose Bücher getödtet! Darum, wenn man Bücher sammeln will, muß es in der Furcht Gottes und nach Anweisung des Buchs über alle Bücher, der h. Schrift, geschehen, von welcher unser Erlöser Ps. 40, 8. so redet: Im Buche ist von mir geschrieben, als wüßte er sonst von keinen Büchern oder erkennte die andern nicht für Bücher, wenn sie mit diesem zusammen gehalten werden. Seid auch hiebei eingedenk, daß man alle unsere Weisheit und Wissenschaft in diesem Leben mit Recht eine Bettelei, Flickwerk und Stückwerk nennen kann, weil wir sie aus so vielen Büchern mit großer und langwieriger Mühe zusammen suchen müssen. Sie wird uns endlich auch wenig nütz, wenn es zum Abschied aus der Welt kommt; da zieht sich die Begierde, viel zu wissen, öfters in einen engen Begriff zusammen. Ich habe gelesen von einem weisen Juristen, daß er in seinem Todbette gesagt, er hätte in seiner Jugend das 53. Capitel des Propheten Jesaias auswendig lernen müssen, dafür wollte er jetzt nicht nehmen aller Welt Schätze, Geld und Gut; es helfe und tröste ihn solch Capitel mehr, als alle andern Bücher, die nur genannt werden könnten, die doch weder Kraft, noch Saft hätten, gegen dieses einzige Capitel zu rechnen, er wollte auch lieber alle Bücher verlieren, vergessen und hinweg thun, denn daß er dieses einzigen Capitels entbehren sollte. Euch ist nicht unbekannt der gelehrte Theologus unter den Reformirten, Andreas Rivetus, welcher von ihm selbst in seinem Todbette sagt: „Ich habe den Tag erlebt, daß, wenn etwa ein neues Buch angekommen, ich Verlangen getragen, dasselbe zu haben, und ward mir die Zeit lang, wenn es nicht bald ankam, und trachtete jederzeit, etwas Neues zu lernen, aber alles das ist mir jetzt nichts anders, denn Unlust und Staub. O Herr! du bist mir alles, und zu dir nahen ist mein Bestes. Wann werde ich dahin kommen, daß ich eine andere Bibliothek in Gott haben werde, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis)? Ich habe mehr in der Theologie gelernt in diesen zehn Tagen, nachdem du mich heimgesucht hast, als zuvor in fünfzig Jahren.“ Herr Jesu! du weißt, daß mir kein Buch schmeckt, das nach deiner Liebe nicht schmeckt. Ich habe ja manches Buch durchlesen, aber nur zu dem Ende, daß ich etwas hätte, das ich dir unter die Füße legen möchte. Ich sammle Gold, Silber und Seide, aber auch zuweilen Ziegenhaar, doch alles zum Bau deiner Stiftshütte.
364. Das Begräbniß.
Ein frommer Prediger vom Lande, der sich von der Wassersucht heilen zu lassen in die Stadt gekommen war, sah dem Begräbniß eines dreivierteljährigen Kindes zu und sagte: Ei, wie fein gehts hier bei den Begräbnissen zu! und wie große Unordnung ist dagegen auf dem Lande, da mehrentheils das Leichenbegängniß wegen der schweren Kosten den Betrübten keine Erleichterung ihres Leids, sondern eine Vergrößerung verursacht! Als er dieses nach Mittag redet, stirbt er den andern Tag früh um 5 Uhr Gottholden in den Armen, nachdem er kürzlich bezeugt, daß er sich auf diese Stunde längst mit täglicher herzlicher Anrufung seines Gottes im Namen Jesu Christi um ein sanftseliges Ende hätte gefaßt gemacht. Gotthold, welchen der Verstorbene nahe anging, konnte sich anfangs in diesen unvermuthlichen Trauerfall nicht wohl schicken, und die Natur wollte ihre Thränen nicht hemmen lassen; als er aber mit herzlichem Seufzen zu Gott endlich sich wieder gefaßt und der Nebel, welcher sein Gemüth plötzlich überzogen hatte, in etwas getilgt war, nahm er Anlaß, jemand von seinen Hausgenossen zu fragen, welches das beste Begräbniß wäre. Indem sich derselbe bedachte, sagte er: Man könnte auf allerlei Art auf diese Frage füglich antworten. Josephus, der jüdische Geschichtschreiber, berichtet, daß der König David nicht allein prächtig und herrlich, wie königlichen Leichen zukommt, sondern auch mit einem großen Schatz von seinem Sohn und Nachfolger am Reiche, dem Salome, sei begraben worden, so daß zuerst Hyrkanus, der Hohepriester, und nach ihm der König Herodes eine überaus große Summe Geldes aus seinem Grabe erhoben haben. Ich muß zwar dem Josephus zutrauen, daß er die Wahrheit geschrieben, wiewohl die h. Schrift nichts davon meldet, weiß aber nicht, warum dieses von dem allerweisesten Könige geschehen sei, (denn was soll das Gold den Todten helfen, und was nützt es, daß ein Todtenkasten mit großem Gelde umlegt ist, da doch der Körper nichts desto weniger die Verwesung sieht?) wo es nicht ein Absehen und Vorbedeutung auf das Grab des Herrn Jesu gehabt, aus welchem seine Gläubigen noch täglich viel Schätze nehmen, wohin auch etliche den Spruch des Propheten ziehen, Jes. 53, 9.: Und er ist gestorben wie die Gottlosen, und begraben wie ein Reicher. Selig ist, wer reich im Glauben an seinen Erlöser und reich am Trost des H. Geistes einschläft, der wird mit einem theuern und großen Schatz begraben. In der ersten Kirche hat man die h. Blutzeugen des Herrn Jesu nicht allein ehrlich beerdigt, sondern auch ihre Gräber mit Nardenöl, Balsam und andern köstlichen fließenden Salben begossen. Was thut die Liebe nicht, auch an den Todten? Sonst bedurften keines bessern Balsams die, welche mit ihrem Blute, das sie dem h. Blute Christi zu Ehren vergossen hatten, gesalbt waren. Wie Ludwig Cortes, ein Jurist zu Padua in Italien, so lustig vermöge seines Testaments begraben worden, in welchem er verordnet, daß man ohne einiges Weinen und Klagen mit fröhlicher Musik und Saitenspiel ihn sollte beerdigen, welches auch also erfolgt, berichten unterschiedliche Schriftsteller. Wäre es geschehen aus christlicher Versicherung seines Heils, und daß er in Betrachtung des ewigen Lebens ohne Traurigkeit wollte begraben sein, (wie man auch in den alten Kirchen den Leichen brennende Lampen zum Zeichen der Freude vorgetragen und das Halleluja nebst andern Lobgesängen dabei angestimmt,) müßte man es billig für ein artiges Begräbniß passieren lassen. Es ist auch merklich, was von Kaiser Karl, dem fünften dieses Namens, berichtet wird, daß er sich sein Leichenbegängniß bei lebendigem Leibe nicht lange vor seinem seligen Abschied selbst gehalten. Wohl dem, der da stirbt, ehe er stirbt, und durch gottselige Betrachtung seines Todes ihm täglich selbst zu Grabe folgt und die Grablieder singt. Ich habe einen Mann gekannt, welcher sagte: So oft ich das Geläute der Glocken zum Begräbniß höre, gedenke ich, das nächste Mal werde es mir gelten, und schicke mich, als wenn ich noch den Tag sterben würde. Wie dünket euch aber endlich um das Begräbnis? jener gottseligen und gutthätigen Fürstin, welche so milde und mitleidend gegen die Armen im Lande gewesen, daß sie die andere l). Elisabeth genannt und von ihnen also geliebt worden, daß, da nach ihrem seligen Ableben ihr hinterlassener fürstlicher Leichnam zur Erde bestattet, die Armen im ganzen Lande herum dem Leichenbegängniß in großer Menge mit herzlichem Wehklagen über dieser ihrer milden Wohlthäterin tätlichen Hintritt beigewohnt und in der Procession ordentlich gefolgt, über welcher Leichenfolge männiglichen, wer zugesehen, die Augen übergegangen? Man könnte sich dieser Geschichte bedienen, damit zu erklären die Worte der Offenbarung Johannis, 14, 13.: Ihre Werke folgen ihnen nach. Schließet nun hieraus nach Belieben, welches das beste Begräbniß fei, und strebet darnach, daß ihr solches haben möget. Herr Jesu! ich sorge vornehmlich für meine Seele; wenn die nur die Gnade hat, welche des Bettlers Lazarus Seele, Luc. 16, 22., gehabt, so könnte es genug sein, wenn nicht mein Leib ein Tempel deines H. Geistes wäre und die Verheißung hätte, daß er aus der Erde auferweckt deinem verklärten Leibe sollte ähnlich werden. So laß mich nun von meinen wohlgerathenen Kindern und andern gottseligen Freunden zu meinem Ruhekämmerlein gebracht, und mit dem Ruhm, daß ich an dich geglaubt, dich geliebt, dich gepredigt und um deinet willen männiglichen willig gedient habe, beigesetzt werden, so genügt mir!
365. Das schönste Bild.
Ein kunstreicher und gottseliger Maler ließ Gottholden ein Stück sehen, darinnen der Herr Jesus sein Kreuz haltend mit offnen bluttriefenden Wunden gar artig vorgestellt war. Zu seinen Füßen lagen mit großer Kunst gemalt der König David, die Sünderin, deren im 7. Capitel Lucä gedacht wird, die man gemeiniglich Maria Magdalena nennt, der Schächer am Kreuz in kläglicher Gestalt, der verlorne Sohn und andere, über welche das Blut Jesu herabfloß, und er segnete sie mit ausgestreckter Hand. Gottholden gingen die Augen über und sagte: Ich muß noch einmal mit euch handeln, daß ihr mir dergleichen Bild verfertigt und mich mitten unter dieser Gesellschaft malt. Ach, ich bedarf meines Herrn Jesu und seines h. Bluts auch; ich will mich lassen abdrängen, ich will zurück stehen, wenn die Welt Kronen und Scepter austheilt, wenn sie Gold oder Silber auswirft, wenn sie Schauspiele halt und jedermann zuläuft; aber wo mein Jesus seine Gnade und Blut austheilt, da lasse ich mich nicht abdrängen, meinen Jesum laß ich nicht. Wer diesem süßen Heilande nicht will zu Füßen liegen, der wird dem Teufel müssen unter den Füßen liegen ewiglich. So Jemand den Herrn Jesum Christum nicht lieb hat, der sei verflucht, sagt sein werther Apostel und ich mit ihm. 1. Cor. 16, 22. Damit aber ihr, fuhr er fort, mir diese Freude nicht umsonst gemacht habt, so sagt mir, was dünket euch, wann ist der Herr Jesus am schönsten gewesen? Der antwortete: Ohne Zweifel in seiner Kreuzigung, da er um unserer Sünde willen am kläglichsten war zugerichtet und anzusehen. Wohl, sagte Gotthold, ihr habt nicht uneben geantwortet, denn ich verwundere mich mehr über ihn, wenn ich ihn im Geist betrachte am Kreuz hängend, mit Blut überflössen, voller Striemen und Wunden, als wenn ich ihn in seiner Herrlichkeit zur Rechten Gottes sitzend anschaue! Am Kreuz war er recht schön, denn er gefiel seinem himmlischen Vater in dem Purpur seines h. Bluts so wohl, daß er alles Zorns darüber und aller Welt Sünde vergaß; wenn er hätte ein Kleid angehabt mit Diamanten und Perlen über und über versetzt, so hätte es der Himmel nicht angesehen, und ein betrübtes Gewissen würde keine Schönheit für sich darinnen finden; aber, wie schön ist der blutende, gekreuzigte, verwundete Jesus, wenn man ihn mit blutendem Herzen und thränenden Augen ansieht! Dies ist zwar der Welt Spott, aber der Engel Lust, der Teufel Schreck, der Menschen Schmuck, Trost, Schatz und alles! Ich will euch aber meine Gedanken auch eröffnen; mich dünkt, dann ist mein Jesus am schönsten, wenn er so ist, wie ihr ihn hier gemalt habt, wenn er nämlich mitten unter den Sündern steht und die Frucht seines vergossenen Blutes unter sie austheilt. Schön ist er in der Erwerbung unsers Heils, aber noch schöner in der Austheilung und Zueignung. Wenn sein theures Blut die Sünder wirklich reinigt und er sieht, daß sein bitteres Leiden an ihnen nicht verloren ist, das ist seine höchste Freude in der himmlischen Freude, dann ist er am schönsten anzusehen, alsdann verwundern sich alle Einwohner des Himmels über ihn und singen: Du bist würdig zu nehmen Kraft und Reichthum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob, denn du bist erwürget und hast uns erkauft mit deinem Blute. Offenb. 5, 9. 12. Und so, wie er hier steht, sollte man ihn an allen Altären in der Kirche bilden, wo sein h. Liebesmahl gehalten wird, welches ohne Zweifel darum vornehmlich von ihm uns hinterlassen worden, daß er darinnen den Schatz seines Verdienstes und Blutes unter uns austheilen, einem jeden sich selbst schenken und alle und jede mit seinem lebendig machenden Blut besprengen möchte. Als nun Gotthold das Bild noch einmal ansah, sagte er mit thränenden Augen: O Jesu! du schönster unter den Menschenkindern! wie lieb! wie schön! wie theuer bist du meiner Seele! O ein elender Mensch, wenn er auch ein Beherrscher der Welt ist, der dich nicht achtet und sein Haupt nicht willig zu deinen Füßen legt! Ich sage von Grund meines Herzens, daß ich es für meine höchste Ehre in dieser Welt halte, wenn ich dir mag zu Füßen liegen; mir ist besser an deinen Füßen, als wenn ich auf einem königlichen Thron sollte sitzen.
366. Dasselbe.
Als Gotthold heim ging und diesen heilig-süßen Gedanken nachhing, fiel ihm ferner bei, was der h. Apostel Johannes sagt, 1. Joh. 5, 6.: Dieser ist es, der da kommt mit Wasser und Blut, Jesus Christus, nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut. Sehr wohl hat unsere Bibel, der da kommt, (nicht, wie andere: der da gekommen ist,) anzudeuten, daß zwar die Seite Jesu einmal eröffnet und mit Wasser und Blut geflossen ist, daß aber die Kraft solches Stroms noch immerdar währt, als flösse diese schöne Fluth immerzu. Der Herr Jesus kommt allezeit zu den bußfertigen Sündern mit Wasser und Blut, er ist bei und in seiner Kirche bis ans Ende der Welt, wir haben in seinen h. Wunden einen freien offnen Brunnen wider die Sünde und Ungerechtigkeit. Sach. 13, 1. Heute ist die Kraft des Bluts Jesu so groß, als sie war den Tag, wie es aus seinen h. Wunden floß. Noch jetzt redet es besser, denn Abels Blut. Hebr. 12, 24. Die Kraft des Teichs Bethesda ist vergangen, Joh. 5, 3., aber die Kraft des Blut- und Wasserstroms Jesu vergeht nimmermehr. So ist mein Jesus, wie ich ihn jetzt habe gemalt gesehen; er steht in seiner Kirche mitten unter den Sündern, er reinigt, heiligt und segnet uns durch Wasser und Blut. Was Thomas, das irrige Schaf, von seiner Liebe erlangte, das habe ich auch, ich mag meine Hand in seine Seite und meine Finger in seine Wunden legen, ich wasche mein Herz täglich in diesem Strom, ich erquicke mich aus demselben und stille den Durst meiner Seele. Ich habe mit Betrübniß gelesen, daß Leute sind, die sich zwischen Jesum mit seinen bluttriefenden Wunden und die Jungfrau Maria mit ihren milchfließenden Brüsten stellen, sagend: sie wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, und meinen, sie wollen der Mutter Milch und des Sohnes Blut zusammen bringen und mischen, das soll eine kräftige Arznei für ihre Seele sein. Ein seltsames Mischmasch, davon Jesus, davon Maria nicht weiß, nicht wissen will. Wer an der edlen Mixtur des Wassers und Bluts, die aus der Seite Jesu geflossen ist, nicht genug hat, der wird vergeblich eine bessere suchen. Mir genügt, Herr Jesu! Du bist mir alles, du hast alles; es fließt Wasser und Blut aus deiner Seite; Wasser, meinen Durst zu loschen, Blut, meine Seele zu reinigen; das Wasser ist meine reine Leinwand, das Blut ist mein Purpur, das Wasser ist mein Silber, das Blut mein Gold, das Wasser ist mir ein Labsal, das Blut ein Balsam. Ich begehre nichts mehr! Eins ist, das ich herzlich bedaure und beklage, daß Jesus mit seinem Verdienst, Wasser und Blut so gering jetzt in der Welt geachtet wird. Die meisten haben ihn stracks ausgelernt, und es ist gemein und schlecht Ding, wenn man von dem Wasser und Blut Jesu sagt. Andere verlassen diese Lebensquelle und machen sich hie und da Brunnen, die doch kein Wasser geben können. Der vortreffliche Scaliger beklagte vor seinem Ende mit heißen Thränen, daß er hätte müssen so alt werden und die Zeit erleben, da man das heilige Verdienst und die Genugthuung durchs Blut Jesu sich nicht scheute in Zweifel zu ziehen, welchen er nunmehr bald zur Rechten Gottes sitzend in seiner Herrlichkeit zu sehen hoffte. Ach, jetzt möchte man Blut und Wasser weinen, da die atheistische Welt des ewigen Sohnes Gottes, ihres einzigen und getreusten Mittlers, beginnt zu spotten und sein Blut mit Füßen zu treten! Nun dieser Greuel wird dem Faß den Boden bald ausstoßen! Du wirst kommen, Herr Jesu! und dem, der den Gnadenstrom, so von deinem Herzen geflossen, nicht hat gewollt, einen Strom von brennendem Pech und Schwefel zum Lohn geben. Nun, mein Herr Jesu! du bist wie ein Fremder in der Welt, du kommst mit Wasser und Blut täglich, die Welt selig zu machen, und sie will dein nicht, sie muß Geld sammeln, kriegen, rechten, jagen, tanzen, saufen, fressen, sich schmücken; damit hat sie so viel zu thun, daß sie dein nicht warten kann. Ach, so bleibe bei mir und den Meinigen, Herr Jesu! Siehe, mein Hans, mein Herz steht dir offen, laß uns unter den wenigen sein in diesen letzten Zeiten, die an dich glauben, dich lieben, auf dich hoffen! Laß keine atheistische teuflische Gedanken in unsern Herzen haften oder wurzeln! Willst du denn endlich, mein Erlöser, die Welt aus gerechtem Gericht verlassen und das gottlose Wesen lassen überhand nehmen, so nimm mich weg, daß ich den Greuel nicht hören und sehen mag!
367. Das Schlafkissen.
Es hatte einer eine stattliche Erbschaft bekommen, davon gebrauchte ein Weltmensch die Redensart, er hätte ein gutes Schlafkissen gekriegt, meinend, er hätte bei so vielen Gütern nunmehr nicht Ursache, mit Sorgen sich zu plagen und seine Ruhe zu stören. Gotthold sagte: Ich höre wohl, ihr meint, der Geldsack sei ein sanftes Haupt- und Schlafpolster; wie aber, wenn ich beweisen könnte, daß oft die, so das meiste Geld haben, am wenigsten schlafen, und daß bei großen Gütern oft kleine Ruhe ist? Wie Kaiser Sigismund, als ihm einmal Dukaten eingekommen, die ganze Nacht mit Gedanken zugebracht, wie er das Geld wohl anlegen möchte, und davor nicht hat schlafen können, darum ers auch sofort des Morgens seinen wohlverdienten Leuten ausgetheilt, ist bekannt. Die Erfahrung bezeugts, daß das Gut den Geiz mitbringt, der Geiz aber läßt nicht schlafen. Doch mag es sein, es sei das große Gut ein bequemes Schlafkissen, weil der Mensch lebt; wie wirds aber, wenn er sterben soll? Es steht ein nachdenklicher Spruch beim Propheten Hesekiel 13, 18., daß sich Leute finden, die den Menschen Kissen unter die Arme und Pfühle zu den Häuptern, (oder: wie es etliche übersetzen: Schlafhauben) machen, die Seelen zu sahen. Der Teufel und seine liebe Getreue machen manchem eine Schlafhaube und Kissen, darauf er so sicher und sanft schlafen kann, als hätte er das Haupt in Gottes Schoos gelegt, da er doch entweder in der betrüglichen Delila oder gar ins Teufels Schooß ruht. Dies Schlafkissen ist die falsche Versicherung von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, von dem Glauben an Christo, von der Vergebung der Sünden, von der Bekehrung in der letzten Stunde, von der Hoffnung des ewigen Lebens, deren sich manch ruchloser Mensch bei wissentlichen und beharrlichen Sünden rühmt. Der Teufel verstellt sich nicht nur in einen Engel des Lichts, sondern auch in einen Tröster, der säugt manchen wie eine Mutter mit falscher Hoffnung des ewigen Lebens, er singt ihm süß und wiegt ihn in den Schlaf der Sicherheit. Gott behüte uns in Gnaden vor einem solchen Schlafkissen! Die gläubigen und frommen Herzen aber haben das rechte, nämlich das, welches sich der h. Johannes rühmt, 21, 20., die Brust Jesu, in welcher sie Gottes Gnade, Ruhe für ihre Seele und Frieden des Gewissens finden; sie sind den Kindern gleich, welche den Tag über in kindlichem Gehorsam gewandelt, des Abends den Eltern die Hände geküßt, den Segen von ihnen empfangen und bei ihnen in einer Kammer unter ihrer Aufsicht sanft und ohne Sorge schlafen. Wer sein Haupt auf des Herrn Jesu Brust und Herz im Glauben gelegt, wer sich Gott gänzlich ergeben und gelassen, wer der Güte Gottes und seiner väterlichen Fürsorge zu trauen und sich eines reinen und unbefleckten Gewissens zu befleißigen gelernt hat, der müßte ja sanft schlafen. Oder, wenn sein Leib wacht, so ruht doch die Seele auf diesem Schlafkissen und läßt sich nichts irren. Ich will euch hiebei ein merkwürdiges Exempel erzählen: Ein gottseliger frommer Mann hatte diese Gewohnheit, wenn ihm allerlei Widerwärtigkeit zustieß und daher das Haupt und Herz mit Sorgen umzogen war, daß er die Bibel zur Hand nahm und in derselben so lange blätterte und las, bis er einen Trostspruch, zu seinem Anliegen schicklich, fand; dann legte er sein Haupt auf das Buch, dachte dem Spruch so lange nach und wiederkäuet? ihn in seinem Herzen, bis er darüber einschlief; wenn er aufwachte, so waren die Sorgen meist überwunden, und ergab er sich in Gottes väterlichen Willen und fand darinnen Trost und Ruhe für seine Seele. Wie dünkt euch um dieses Schlafkissen? Jener antwortete: Ich muß bekennen, es ist besser, als das, davon ich anfangs gesagt; ich will nicht mehr so reden. Ach, Herr Jesu! du bist meiner Seele Zuflucht, meines Hauptes Schlafkissen, meines Herzens Trost und mein Theil. Die ganze Welt ist mir nicht gut genug, daß sie meiner Seele Ruhestätte sollte sein. Wie du ein Mensch geboren warst, allerliebster Erlöser! da ließest du dich in eine Krippe legen, Luc. 2, 7., man sollte meinen, du hättest gar hart darin gelegen, allein ich gedenke oft, was du für weiche Betten in der harten Krippe gehabt, nämlich das Wohlgefallen deines Vaters und die Liebe zu den Menschen. So bette man mich nun auch, wo man will, in der Welt, ich will allezeit in dem heiligen Willen meines Gottes und in der Liebe Jesu Christi sanft ruhen.
368. Die Sonne.
Man ward in einer gottseligen Gesellschaft von der Sonne redend, und sagte ein frommes Herz: Gott lasset seine Sonne täglich aufgehen über die Bösen und über die Guten. Matth. 5, 45. Und leider! die Bösen achten es so wenig, als das Vieh, und die Frommen nehmen es auch nicht nach Würden allemal zu Herzen. Unser Heiland führt es an als eine sonderbare Wohlthat Gottes und sagt nicht ohne Ursache: Seine Sonne, weil sie ein herrliches Wunder der Allmacht, Güte und Weisheit Gottes ist, und hat jener weise Mann nicht unschicklich gesagt: Die Sonne wäre ein sichtbarer Gott und Gott eine unsichtbare Sonne. Wenige Menschen aber leben unter der Sonne, die in Ansehung dieses überaus herrlichen Geschöpfs zum Lobe und zur Liebe des allergewaltigsten Schöpfers ermuntert werden. Seneca gedenkt eines üppigen und wollüstigen Menschen, welcher in vielen Jahren die Sonne weder auf-, noch nieder gehend gesehen. Denn des Abends, wann die Sonne unterging, war er schon voll und hatte ihm der Wein die Augen allbereits zugedrückt, des Morgens hatte er noch nicht ausgeschlafen; der möchte viel seines Gleichen unter den Christen finden. Gotthold sagte hierauf: Es ist wahr, daß der tausendste Mensch nicht bedenkt, wie viel Gutes täglich Gott durch die Sonne der ganzen Welt erweiset, und wenn man fragen sollte, wie viel der, so 30, 40, 50 und mehr Jahre unter der Sonne gelebt und ihrer von Gott verliehenen Güte genossen, Gott für die Sonne, für deren Auf- und Niedergang, für deren kräftige Wirkung und Einfluß gedankt, würden sich wenige finden. Es hat sich der allmächtige, gütige und weise Schöpfer in diesem herrlichen Wunder gar stattlich abgebildet. Ein vortrefflicher Mann unserer Zeit nennt sie ein Gleichniß der Gottheit, das Herz und den Regenten der Natur und sagt, sie sei, wie man durch die großen Perspektive und Augenhelfer wahrgenommen, anzusehen wie ein großes Meer, das mit stets aufsteigenden Dämpfen wallt, sie sei anzuschauen wie das geschmolzene und fließende Erz, wenn es in den Schmelzhütten in großen Kufen steht, welches immer gleichsam einen Rauch mit Licht und Feuer gemengt von sich dampft, daraus er denn ferner schließt, daß sie nicht allein die Quelle sei des natürlichen Lichts, sondern auch ein Ursprung aller zeugenden Samenkräfte, und daher eine rechte Seele der Welt. Die Schrift redet auch überaus merklich von ihr, indem sie sagt: Sie freue sich wie ein Held zu laufen ihren Weg, Ps. 19, 6., Sie eile mit Keuchen ihren Lauf zu vollenden und an ihren bestimmten Ort zu gelangen, Pred. 1, 5., damit anzudeuten nicht allein ihre unvergleichliche Geschwindigkeit im Lauf, sondern auch ihre natürliche Willigkeit, ihrem Schöpfer zu gehorsamen und der Welt nach der Gabe, die ihr zugetheilt ist, zu dienen. Sehet! so ist unser Gott. Ein ewiger Quellbrunn, der sich mit eitel Güte übergießt, und von dem alles, was gut ist, ausfließt, wie ein großer Lehrer davon redet, ein allezeit brennendes liebliches Feuer, ein ewig leuchtendes liebliches Licht, eine stets wallende und fließende Liebe, ein immerdar lebendes, wirkendes, treibendes Wesen, aus welchem aller Dinge Leben, Wesen und Sein ursprünglich herrührt. Dünket euch dieses zu hoch zu sein, Lieber, nehmet ein Blümlein, ein Veilchen, eine Rose, eine Nelke, welche aus der Erde wachsen und vor euren Füßen liegen; seht, sie breiten sich fröhlich aus, euch zu dienen und duften immer von sich einen kräftigen, lieblichen Geruch, euer Herz zu stärken und zu erfreuen, so daß, je näher ihr sie an euch haltet, je mehr ihr ihre Kraft empfindet. Hiebei gedenket: so ist mein Gott! ich kann ihn ohne Lebenskraft, ohne ausfließende Liebe und Güte nimmer finden; je näher meinem Gott im Geist und Glauben, je mehr Genießung seiner Güte. Es ist seine Freude, wenn er uns Gutes thun mag. Jerem. 32, 41. Er will uns gerne (freiwillig, mit Lust) lieben. Hos. 14, 5. Denket aber, daß wir auch so sein müssen. Gottes Kinder müssen Gottes Nachfolger und sterbliche Götter und Sonnen auf Erden sein, ihr Herz muß wie eine Rose sich ausbreiten jedermann zu Dienst und eitel Güte, Liebe, Freundlichkeit, Sanftmut!) und Dienstwilligkeit gleichsam von sich dampfen und duften. Gottes Barmherzigkeit ist alle Morgen neu, Klagl. 3, 23., die Sonne geht alle Morgen mit Freuden auf, und ein Kind Gottes erneuert seinen Vorsatz jedermann zu dienen, zu rathen, zu helfen, täglich und ist nach der Art seines Gottes viel williger zu geben, als andere zu nehmen. Die Sonne ohne Licht zu finden ist unmöglich, und einen Christen ohne Liebe, ohne Begierde Gutes zu thun, ohne Leutseligkeit, ohne Dienstwilligkeit ist eben so unmöglich. Herr Jesu! du bist die Sonne und Wonne meines Herzens! Ist bei mir einiges Licht, Kraft, Wille, Verlangen, es ist alles von dir. Mein Gott leuchtet und wirkt durch die Sonne und du durch mich; ich maße mich keines Guten an, sondern bitte nur, mir in Gnaden zu verzeihen, daß ich deiner Güte so oft hinderlich bin und dein Licht mit meinem Schatten verdunkle.
369. Das Blumenbuch.
Ein vornehmer Manu, der ein Blumenfreund war und in denselben die Wunder des allgewaltigen Schöpfers zu betrachten pflegte, zeigte Gottholden zur Herbstzeit ein Buch, darinnen er mancherlei Art der schönsten Blumen hatte aufbehalten, so daß man auch, da sie verwelkt und dürre geworden, ihre mannigfaltige Schönheit gutermaßen erkennen konnte und sich zu verwundern Ursache hatte. Gotthold wünschte hiebei, daß wir es mit den Wohlthaten Gottes auch so halten und dieselben uns und andern zum Trost und Unterricht in ein Buch schreibei! und ihr Gedächtniß nicht verwelken lassen möchten. Unser ganzes Leben ist mit Blumen der göttlichen Weisheit, Allmacht und Güte geziert; ist eine Gnade vorbei, eine andere kommt wieder hervor; fällt eine Wohlthat ab, die andere blüht wieder aus. Wie nun Gott befohlen hat, das Manna, damit er sein Volk in der Wüste vom Himmel gespeiset hat, so auch die Ruthe Aarons, welche in einer Nacht geblüht und Mandeln getragen, verwahrlich beizulegen den Nachkömmlingen zum Gedächtniß, so will er auch, daß seine Wohlthaten in unsern Herzen sollen verwahrt werden, uns selbst zum Trost und andern zur erbaulichen Nachricht. Sehr wohl hat ein kluger Mann geschrieben: die Welt hätte längst überaus klug und weise werden können, wenn sie durch ihre eigene Erfahrung sich hätte belehren lassen wollen; allein deren vergessen wir mit der Zeit; so auch ein Christ, wenn er ein Zeitbuch über sein Leben würde halten, würde er darin zusammenbringen so viele Proben der Güte, der Langmuth, der Weisheit, der Allmacht, der Hülfe Gottes, daß man mit größerer Lust und Nutzen, als in diesem Blumenbuch, darinnen würde blättern können. Im Eingange dieses Buchs müßte stehen: Kommt her, höret zu alle, die ihr Gott fürchtet; ich will erzählen, was er an meiner Seele gethan hat. Ps. 66, 16. Und der Schluß müßte sein: Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, daß die Elenden hören und sich freuen; preiset mit mir den Herrn, und laßt uns mit einander seinen Namen erhöhen! Ps. 34, 3. 4. Im weitern Nachdenken wünschte er von Herzen, daß die, so sich an der Gottseligkeit üben, möchten sich ein Buch machen, darinnen sie nicht allein die vornehmsten Kern- und Machtsprüche der h. Schrift, die voller Trost, Geist und Leben sind, sondern auch allerlei gute Reden, Lehren und heilige Gedanken, die sie aus den Predigten, im Beichtstuhl, in gottseligen Gesprächen mit dem Nächsten und sonst bemerken, zusammen trügen. Man hat Exempel gottseliger Herzen, die solche Blumenlese gehalten und in ein Buch zusammen getragen mit ihrem großen Nutzen. Es ist im Jahr Christi 1626 den 31. August verstorben ein Bürgermeister einer benachbarten Stadt, welcher in seinem mit eigner Hand geschriebenen Lebenslauf diese Worte hinterlassen: „Dieses muß ich Gott zu Ehren und der Wahrheit zu Steuer berichten, daß ich meinen Glauben dadurch merklich erbaut, vermehret und in Anfechtung gestärkt, indem von Anno 1595 den 28. Juni, da ich des H. Geistes Bewegniß hiezu insonderheit empfunden, bis dies 1626te Jahr ich aus den gehörten Predigten gemeiniglich 2 oder 3 heilige Anmerkungen, so mir vor andern gefallen, zu Hause aufgezeichnet, bei mir fleißig erwogen und wohl bekannt gemacht, welches mir viel Gutes gethan, auch hoffentlich bis auf mein letztes und seliges Abfahren thun wird und soll, maßen denn meine liebe Kinder dergleichen heiligen Lehren zwei geschriebene Bücher finden werden; wollte von Herzen wünschen, daß sie hierin meinen Fußstapfen folgen möchten.“ Dieser Mann hat es erfahren, was ihm dieser sein heiliger Fleiß für Nutzen geschafft, und ich weiß es auch. Ein solch Buch ist wie eine Hausapotheke, darinnen allerlei bewährte Mittel zu finden; es ist wie dies Buch, das uns zu den Gedanken veranlaßt, voller Blumen, doch nicht, die verwelkt und dürre, sonder n die voller Kraft und Saft sind und einen Geruch des Lebens zum Leben von sich duften; es ist wie ein Balsambüchslein, welches man so bald nicht eröffnen kann, daß man den edlen Geruch nicht sollte empfinden; es ist dieser Auszug aus der Bibel und der gesammelte heilige Vorrath besser, als die vollen Kammern der Welt, welche einen Vorrath nach dem andern hervor geben können. Ps. 144, 13. Ist es nicht zu beklagen, daß wir sammeln im Zeitlichen und wissen doch nicht, wer es kriegen wird, und vergessen aufs Ewige zu sammeln, dessen wir am meisten werden benöthigt sein? Run wohlan! sammle, wer da will, was andere wieder zerstreuen werden, ich will mit Gottes Hülfe etwas sammeln, das mir keine Welt, Teufel, noch Tod abnehmen soll!
370. Die Biene.
Gotthold fand eine Biene, daß sie um ein Gefäß mit Honig angefüllt schwebte, bis sie endlich, meinend sich darauf zu setzen und nach aller Lust seiner zu genießen, hinein fiel und allenthalben mit Honig besalbt umkommen und verderben mußte. So gehts, gedachte er, mit der zeitlichen Glückseligkeit und mit dem Ueberfluß der Güter, Ehren und Wollust, welche die Welt, wie die Immen den Honig, begierigst sucht. Eine Biene ist glückselig, so lange sie ihren Honig von den Blumen mit mühsamem Fleiß zusammen bringt und gemächlich einen Vorrath sammelt; kommt sie aber zu solcher Menge, wie diese, so weiß sie sich nicht darein zu schicken und geräth darüber ins Verderben. Also ist mancher Mensch gottselig, demüthig und fromm, so lange er im Schweiß seines Angesichts durch tägliche Arbeit und Mühe seine Nahrung sucht, so ihm aber durch ein sonderliches Glück großer Reichthum auf einmal zufällt, so macht er Stufen daraus, auf welchen er zum Verderben hinab steigt oder fällt. An diesem Honigvöglein habe ich eine Erklärung dessen, was der h. Apostel sagt, 1. Tim. 6, 9.: Die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel thörichter, schädlicher Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderben und Verdammniß. Jener Herzog von Venedig führte zum Sinnbilde einen Baum mit sehr vielen Früchten und etlichen zerbrochenen Zweigen mit der Beischrift: Die Fülle ist mein Verderben, welches ohne Zweifel hat andeuten sollen, daß er durch seine Gaben und vielfältige Mühe und Arbeit sich selbst verzehre und verderbe, oder, daß er um seiner Gaben und Tugenden willen beneidet und angefeindet werde. Man könnte ein solches Bienlein beim Honigtopf malen und oben gesetzte Beischrift dazu fügen: Die Fülle ist mein Verderben. Die zeitliche Glückseligkeit und der Ueberfluß ist wie ein weites lang nachschleppendes Kleid, darin der Mensch nicht wohl fort kann, und gleich wie die Sonne mit ihrem heißen und hellen Schein ein Feuer auslöscht, so der liebliche Schein des weltlichen Wohlwesens dämpft die Hitze des gottseligen Eifers. Anstatt eines, welchen das Unglück zur Verzweiflung gebracht hat, kann man 1000 finden, welche ihr großes Glück gefällt hat. Die Welt ist ein Meer, darauf die meisten Schiffbruch leiden bei stillem, lieblichem Wetter, da hingegen der Sturm und die wüthenden Wellen der Trübsal manchen in den Hafen der ewigen Glückseligkeit jagen. Hierum ist oft sehr unbedachtsam geredet, wenn wir zu einem fleischlichen Menschen sagen: Ich bin eures Wohlstandes, guten Gesundheit und gedeihlichen Wohlergehens herzlich erfreut, da wir doch, wenn wir ihn im Geist betrachten, Ursache haben, uns über ihn zu betrüben. In den Kirchenhistorien wird gemeldet von dem Julian, welchen man hernach den Abtrünnigen benamt hat, daß, als er in seiner Jugend in eine Stadt durch eine Pforte eingezogen, ein Lorbeerkranz ungefähr herunter gefallen sei und sein Haupt so eben getroffen, daß er gar schicklich damit gekrönt worden, welches damals männiglich für eine Vorbedeutung des Kaisertums gehalten, welches sich auch hernach also befunden. So gehts, wenn ein Kreuz vom Himmel siele, so müßte es einen Gottseligen und Frommen treffen; fällt aber eine Krone herab, so gehört sie für einen leichtsinnigen und abtrünnigen Menschen. Nun, dies sind Gottes wunderliche, doch weise Wege. Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und Zeugniß halten, spricht der königliche Prophet, Ps. 25, 10., andeutend, Gott könne mit den Seinigen nicht anders, als gute Wege gehen, und wenn er sie schon durch Dornhecken, durch Kletten- und Diestelbüsche, durch Feuer und Wasser, durch Pfützen und Sümpfe, durch dürre und heiße Sandwüsten führt, so lehrts doch der Ausgang, daß er sie wohl führt, und daß alle seine Wege auf eitel Güte und Wahrheit hinaus laufen. Was soll ich mir denn wünschen, mein Gott? Großes Glück möchte mein großes Unglück sein, großer Ueberfluß möchte mir zum ewigen Mangel gedeihen. Laß mich, wie eine Biene, mit emsigem Fleiß in deiner Furcht mein Bißlein Brods suchen und finden, im Uebrigen sei du mein Reichthum, so bin ich außer Gefahr!
371. Die Sparbüchse.
Gottholds Söhne hatten sich eine Sparbüchse gekauft, darin sie, was ihnen bei Gelegenheit am Gelde gegeben ward, sammelten. Er sagte darauf: So sind heutiges Tags der meisten Menschen Herzen und Kasten; zu nehmen sind sie sehr begierig, zu geben, sonderlich wenn es Gottes Ehre und die liebe Armuth betrifft, sehr schwierig. O wie lange muß man oft schütteln, und wie viel Mittel muß man gebrauchen, ehe man etwas von einem harten und geizigen Menschen erhält zum Dienst Gottes und des Nächsten! Weil er lebt, meint er, er sei Geld zu sammeln und zu bewahren in die Welt gekommen; wenn er aber stirbt, und der Tod die Sparbüchse zerschlägt, so muß er zwar das Gesammelte andern lassen, doch mit Widerwillen und Unmuth. Ich halte, wenn es nicht so gar ungereimt und umsonst wäre, es würde mancher Geizhals, wie jener bei dem Stobäus, ein Testament machen und sich selbst zum Erben einsetzen. Was ist es aber für eine schreckliche und seelenverderbliche Thorheit, das Leben verlieren und den Tod begehren, das Gold sammeln und den Himmel verlieren. Ist es nicht zu bedauern, daß es mit uns Menschen dahin gekommen, daß wir alle ums Geld, niemand aber fast um seine Seele bekümmert ist? Vor Armuth und Mangel in dieser Welt fürchten wir uns, und an den ewigen Mangel, da man nicht eines Wassertropfens, die flammende Zunge zu kühlen, habhaft sein kann, denken wir nicht? Wie, wenn Gott zu den Geizhälsen in ihrem Letzten sagte: Wo sind eure Götter, eure Thaler, Dukaten und ganzes Vermögen, darauf ihr traut, die ihr so eifrig gesammelt und fleißig bewahrt habt? Lasset sie aufstehen und euch helfen und euch schützen. 5. Mos. 32, 37. 38. Es wäre eine schöne Sache, wenn ich andern mit vieler Mühe und Arbeit, mit Hintansetzung meines Gewissens und meines Gottes Geld gesammelt, welches sie hernach mit lustigem Muth und lachendem Munde theilten und verbrächten, und ich hätte nichts davon, als ein ewiges Darben, Heulen und Weinen. Mein Jesu/ behüte mich vor solcher Unsinnigkeit! Ich will zwar etwas sammeln, aber in deiner Verwahrung; meine Sparbüchse soll deine Hand sein. Ich will es dir durch die Hand deiner dürftigen Glieder anvertrauen, es wird ja wol nicht verloren sein, was Jesus in Verwahrung hat.
372. Der beste Buchstabe.
In einer gottseligen Gesellschaft ward zur erbaulichen Zeitkürzung die Frage aufgegeben, welches der beste und nützlichste Buchstabe im ABC wäre. Hierauf antwortete einer: Weil sich unser Heiland selbst das A und O nennt, Offenb. 1, 8., so muß man denen vor andern den Preis gönnen. Es ist aber selbiges nach dem ABC der Griechen anzunehmen, in welchem das A den ersten und das größere O den letzten Buchstaben macht; und unser Erlöser will andeuten, daß er sei der Anfang und das Ende aller Dinge und zuvörderst unsers Heils; er ist der Anfänger und Vollender unsers Glaubens. Hebr. 12, 2. Er soll billig des Morgens der erste und des Abends der letzte in unsern Gedanken sein; auf ihn soll man einen Menschen verweisen beim Anfang seines Lebens, daß er lerne ihn recht erkennen, lieben und auf ihn hoffen, auf ihn soll man denselben anführen auch beim Ausgang seines Lebens, daß er in herzlichem Vertrauen auf sein h. Verdienst selig einschlafe; in und mit dem Herrn Jesu sollen wir billig alles unser Vorhaben beginnen, mit und in ihm es auch schließen. Ein anderer sagte: er hielte dafür, man müßte dem I den Vorzug gönnen, nicht allein, weil er in dem wesentlichen vornehmsten Namen unsers Gottes der erste ist, und die alten Hebräer drei I den dreieinigen Gott zu bedeuten geschrieben, sondern auch, weil er der Anfang ist des theuren werthen Namens Jesu. Gotthold sagte: Es gefallen mir eure Gedanken sehr wohl, doch will ich auch meine Meinung entdecken; mich däucht, die Frage gehe eigentlich dahin, welcher uns Menschen der beste und nützlichste Buchstabe sei. Darauf antworte ich: das M, welchen man möchte den Buchstaben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung nennen. Aus der Schrift wissen wir, daß ein Gott, ein Vater, ein Herr im Himmel ist, daß ein Jesus, ein Seligmacher, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, daß ein Tröster ist, daß ein Himmel und ewiges Leben ist; allein dieses ist nicht genug. Dies wissen die Teufel auch; was fehlt denn noch, daß diese hohen und herrlichen Namen dem Menschen zu Nutz kommen? Der Buchstabe M; ich muß von Herzen können glauben und sagen: Gott ist mein Gott, mein Vater; Jesus ist mein Jesus, mein Seligmacher, mein Mittler; der H. Geist ist mein Tröster, der Himmel ist mein, die Seligkeit ist mein. Darum reden die h. Kinder Gottes so: Mein Freund ist mein und ich bin sein. Hohel. 2, 16. Christus ist mein Leben. Phil. 1, 21. Herzlich lieb hab ich dich, Herr, meine Stärke, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott. Ps. 18, 2. 3. Ich hoffe, Herr, auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Ps. 31, 16. Du bist mein Gott, und ich danke dir, mein Gott, ich will dich preisen. Ps. 118, 28. Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. Hiob 19, 25. Ohne diesen Glaubensbuchstaben würde mir Jesus nichts nütze. Was hilfts, wenn ich weiß, daß ein großer Monarch viele Schätze hat, und ich habe nicht einen Pfennig darunter, der mein ist? Was hilfts, wenn ich weiß, daß Jesus ist ein Heiland der Welt, wenn ich nicht von Herzen glaube, daß er auch mein Heiland ist? Zu verwundern ist es, daß der Buchstabe M nicht anders, als mit verschlossenem Munde kann ausgesprochen werden; so ist zwar Jesus sonst allgemein und ein Heiland aller Menschen, doch wenn von meinem Heil gehandelt wird, muß mein Herz sich so fest und ihn, Jesum, in sich schließen, als wenn sonst niemand in der Welt wäre, dem er zugehörte. Ach, sagte hierauf ein frommes Herz, ich lasse auf solche Weise diesen Buchstaben gerne den besten sein, muß aber dabei sagen, er sei auch der schwerste auszusprechen; den Weltkindern ist nichts leichter, als glauben, als sagen: Mein Gott! Mein Jesus! allein die gottseligen und durch Anfechtung geprüften Herzen finden in der Uebung, wie schwer es fei, von ganzer Seele glauben, daß der ganze, liebe, süße Jesus mein sei. Gotthold fuhr fort: Ich will euch hierin gerne Beifall geben, ich weiß, wie schwer es ist, wenn unser irdisches, kleines, schwaches Herz den ganzen Himmel in sich fassen soll. Doch müssen wir hieran lernen, weil wir leben, und Gott bitten, daß er uns helfe diesen Buchstaben von ganzem Herzen aussprechen; und zwar, für wen ist der süße liebe Jesus mit seinen h. bluttriefenden Wunden, Verdienst, Gerechtigkeit und Seligkeit, als für die beängstigten Herzen und betrübten Gewissen? Für wen hat der Vater Brod, als für seine hungrigen Kinder? Für wen giebt die Quelle das Wasser, als für den gejagten Hirsch oder einen durstigen und erhitzten Wandersmann? Für wen ist die volle Mutterbrust, als für das weinende und schmachtende Kind? Für wen ist Gottes Gnade, die Vergebung der Sünden und der Trost des Wortes und des Geistes Gottes, als für die bußfertigen Sünder, für hungrige und durstige Seelen? Die h. Engel bedürfens nicht, die Teufel begehrens nicht, die ruchlosen und sichern Menschen achtens nicht, so bleibts denn für uns, die wirs bedürfen, begehren und über alles hoch achten. Ach, Herr Jesu! lehre mich diesen Buchstaben mit allen Kräften meiner Seele aussprechen und sagen: mein Jesu! mein Erlöser! mein Seligmacher!
373. Die mancherlei Arbeit.
Gotthold ging gegen Abend, als seine Augen vom Studieren ziemlich müde geworden, an einem schiffreichen Strom, der an seiner Stadt vorbei eilt, spazieren und ward gewahr, daß es allda viel zu thun gab; etliche Zimmerleute arbeiteten am Ufer, etliche Fischer, die er von ferne an einem Werder (oder kleinen Insel im Strom) sah, fischten, einer stand halb nackend bis an den Leib im Wasser, andere saßen unsern von ihm in Kähnen und Böten und angelten, ein Schiff kam gegen den Strom herauf, und ob wohl das Segel war aufgezogen, welches auch der Wind ziemlich füllte und antrieb, hatten doch 10 Schiffsknechte genug zu thun, daß sie mit Schieben das Schiff wider den Fall des Wassers erhielten und aufbrachten; ein ander Schiff lag am Ufer, welches mit Korn gefüllt ward, bei welchem auch viele Personen in der Arbeit begriffen, daß sie schwitzten. Ach! dachte er bei sich selbst, wie ernst ist es doch den Menschenkindern, und wie sauer lassen sie sich es werden, daß sie ihrem dürftigen Leibe Unterhalt schassen, und was sie zu diesem vergänglichen Leben benöthigt sind, erwerben; warum thun sie nicht dergleichen in den Dingen, die ihre Seele und die Ewigkeit betreffen? Hier sehe ich niemand, dem es nicht ernst wäre; allein in Sachen, die Seele angehend, kann ich mir nicht einbilden, daß es den meisten Menschen ernst ist, wenn ich sehe, daß sie sich so seltsam zum Handel schicken. Wenn diese Schiffsleute sagten, sie wären gerne mit ihrem Schiff gegen den Strom hinan und zu Hause, wollten aber keine Segel aufziehen und sich um gar nichts bemühen, als daß sie etwa ein wenig im Wasser ruderten und sich hernach auf Saufen und Schlafen legten, wer wollte sagen, daß es ihnen ernst wäre? Wenn ein Wandersmann oder Bote sagte, er müßte in kurzer Zeit in einer ziemlich entfernten Stadt sein bei Verlust einer großen Summe Geldes, bliebe aber unter allen grünen Bäumen und vor allen Schenken sitzen, suchte Gesellschaft und allerlei Nebenwege, hielte einen Ständerling mit allen, so ihm begegneten, wer wollte glauben, daß es ihm ernst wäre? Und wer will denn dafür halten, daß es unsern heutigen Christen ein Ernst sei, daß sie in den Himmel kommen und selig werden wollen, da sie an nichts weniger, als an den Himmel gedenken, sich nichts darum bemühen, in der Welt Händeln sich so gar verwickeln und vertiefen, ja ganz einen widrigen Abweg wandeln? Gott hat uns vergönnt, sechs Tage in ! er Woche unser Brod nach seinem Befehl im Schweiß unsers Angesichts zu suchen, doch hat er gewollt, daß wir mitten in der Arbeit an den Ruhetag des Herrn gedenken und an demselben die Uebung der Gottseligkeit mit allem Fleiß und großem Ernst treiben sollten. Er hat die Geschäfte dieser Welt mit seinem Ruhetag unterbrochen und den Gedanken von der Eitelkeit die von der Ewigkeit einschalten wollen, damit wir auf Erden des Himmels und um des Leibes willen der Seele nicht vergessen möchten. Allein wir meinen m Sonntage, wenn wir eine Predigt mit kalter Andacht und ohne einiges heiliges Verlangen der Besserung und Erbauung gehört, so müssen wir spielen, saufen und die heilige Zeit unheilig hinbringen. Sollte es denn wol Ernst sein, daß wir sagen: ich hoffe selig zu werden? Ach wie herzlich, wie eifrig, wie gewaltig redet doch der Geist Gottes von dem Werke des Glaubens und der Seligkeit: Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt thun, reißen es zu sich. Matth. 11, 12. Ringet darnach, daß ihr eingehet durch die enge Pforte. Luc. 13, 24. Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Phil. 2, 12. Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun. Gal. 6, 10. Du Gottes Mensch, jage nach der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmuth, kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben. 1. Tim. 6, 11. 12. Dies achten aber die wenigsten, und kann ich mit der Wahrheit sagen: so lange ich in der Welt bin, hab ich kein Werk schläfriger und mit geringerm Ernst sehen treiben, als das Werk der Seligkeit. Wir studieren und disputieren mit Ernst und Eifer, wir rechten und zanken mit Eifer, wir jagen, wir handeln und wandeln, wir bauen, ja wir spielen mit Eifer; wenns aber zur geistlichen Arbeit, zur Betrachtung des h. Wortes Gottes, zum Gebet, zum Glauben, zum Lieben, zum Leiden kommt, da wird man wenig rechtschaffnen und gottseligen Eifers und Ernstes verspüren. Ach, mein Herr Jesu! ich bekenne gern, daß ich bisher selbst nicht solchen Ernst gebraucht, als es eine so hoch angelegne Sache erfordert. Ermuntere mich im Geist, und gieb mir nur solchen unermüdeten Fleiß und Eifer im Geistlichen, als ein geiziges Weltkind hat im Zeitlichen!
374. Das Silber.
Gotthold hatte bei einem frommen Goldarbeiter etwas Silber eingebracht, daraus etliche Löffel sollten verfertigt werden; derselbe setzte in seiner Gegenwart sofort das Silber ins Feuer, und nachdem es zerschmolzen und eine Weile in der Gluth gestanden, zeigte er ihm, daß es ganz lauter wie ein helles Wasser und durchscheinend wie ein Glas anzusehen war, mit Bericht, daß das Gold im Feuer noch viel schöner und lauterer stände. Bald führte er ihn in die Stube, und weil er etlicher schöner Stücke von getriebener Arbeit ansichtig ward, bat er ihn, wie diese künstliche Sachen bereitet würden, sehen zu lassen, wozu denn der Goldarbeiter sehr willig war. Im Heimgehen gedachte Gotthold diesen Dingen nach und befand, daß man hieraus zwei artige Sinnbilder nehmen könnte, den Nutzen des Kreuzes vorzustellen. Das erste giebt einen Schmelztiegel im Feuer, darinnen das Silber geläutert wird, mit der Beischrift: Zum Besten! Das andere eine Hand, die einen Hammer führt über ein Stück Silber auf einem Ambos oder Münzstock mit der Beischrift: Das Schlagen giebt das Bild! Er ermunterte sich hierauf selbst im Geist und sagte: wir Menschen gehen mit den leblosen Geschöpfen um nach unserm Wohlgefallen, wir setzen sie ins Feuer, wir senken sie ins Wasser, wir hammern, treiben, bilden sie, wir drucken und pressen sie, wir bearbeiten sie auf mancherlei Art, nur daß sie nach unserm Sinn und zu unserm Dienst eine Gestalt gewinnen mögen; was verdenken wirs denn unserm Gott, daß er auch mit uns auf allerlei Art umgeht und seinen heiligen guten Willen an uns schafft? Oder hat er, der Schöpfer, nicht die Freiheit an uns, die wir an unsern Mitgeschöpfen uns nehmen? Oder meinen wir es etwa besser mit dem, was wir unter Händen haben, als Gott mit uns, wenn er uns seines Kreuzes würdigt? Dem Goldarbeiter ist das Silber so lieb, das im Feuer steht und unter dem Hammer ist, als das, welches schon ausgearbeitet und auf dem Laden prangt; und es ist einerlei göttliche lautere Liebe, darinnen wir, die wir noch in der Welt die Hitze der Trübsal und den Hammer des Kreuzes leiden, und die auserwählten Seelen, die schon der himmlischen Herrlichkeit genießen und unsern Gott für sein Kreuz sowohl, als für andere Wohlthaten preisen, eingeschlossen sind; Gottes Liebe und Ruthe sind nicht wider einander. Indem er mit solchen Gedanken heim kam, fuhr er fort: und was ist es, das ich um und an habe und dessen ich mich täglich bediene, was nicht durch menschlichen Fleiß, Zwang und vielfältige Arbeit zum Gebrauch bequem geworden ist? Die Wolle giebt das Tuch, sie muß aber vorher gekämmt, gekardet, gesponnen, gewebt, gefärbt, gepreßt werden; hier ist ein Stück Geldes, es hat sein Gepräge durch den Hammerschlag bekommen; hier ist ein Krug, ein Glas, sie sind durchs Feuer gegangen; hier ist ein Buch, es ist unter der Presse beschrieben, das Drucken hat ihm den Druck gegeben; hier steht ein Tisch, ein Schemel, eine Bank, sie sind durchs Beil und den Hobel zu ihrer Schicklichkeit gebracht; hier ist eine Uhr, die Feile hat sie polirt und das Gewicht hält sie im Gange und Schwange. Was will ich mich denn des Kreuzes weigern, dadurch mein Gott nichts sucht, als mich zu seinem heiligen Willen, seiner Kirche Dienst und meiner ewigen Herrlichkeit zu bereiten? Mein Sinnbild soll künftig sein ein Herz im Schmelztiegel und Feuer mit der Beischrift: Zum Besten. Mein Vater! mach es ferner, wie du willst, du kannst es nicht böse meinen.
375. Die Vaterliebe.
Es erzählte ein gottseliger Prediger, daß er in seiner Jugend von seinem frommen Vater, der auch ein Diener Christi und seiner Kirche gewesen, sehr hart wäre gehalten worden; als aber der Vater in seinem Letzten sich befunden, habe er ihn vors Bett lassen kommen und gesagt: Ich habe dich bisher, mein Kind, ob du wohl mein Einziger Sohn gewesen, nicht wissen lassen, wie lieb ich dich hatte; nun aber will ich dich der Gnade Gottes befehlen und dich segnen, und du sollst mit Gottes Hülfe wohl gesegnet bleiben. So recht, sagte Gotthold, so sollten es billig alle Väter machen; denn es ist ein Stück der väterlichen Liebe, die Liebe verbergen und die Kinder nicht zu zeitig lassen merken, daß man sie liebt; die frühzeitige Entdeckung der Liebe ist den Kindern wie den Bäumen das warme Wasser, dadurch sie zwar etwas zeitiger ausschlagen und grünen, hernach aber verdorren. Nun der liebreichste und weiseste Vater über alle andern hält es nicht anders, seine liebsten Kinder müssen oft lange nicht wissen, wie lieb er sie hat. Sie müssen von Jugend auf in die Kreuzschule gehen, ihr geringstes Versehen wird mit einer wachsamen und scharfen Ruthe gestraft, sie müssen Thränenbrod essen, werden hart gehalten und kärglich erzogen, der himmlische Trost, die geistliche Freude, die süße Genießung ihres Glaubens, der Anblick des göttlichen gnädigen Antlitzes wird ihnen sparsam gereicht, sie bitten oft mit betrübtem und zerschlagenem Herzen und mit viel tausend Thränen um die Versicherung der Vergebung ihrer Sünden und um den gänzlichen Frieden ihres Gewissens, sie klagen über die Schwachheit ihres Glaubens und bitten um Vermehrung desselben, sie klagen über die hinterstelligen Sünden in ihrem Fleisch, sie klagen und schreien über der Welt Zunöthigung und Bedrängniß, und es scheint, als achte es der Vater nicht, er thut, als hörte ers nicht. Die größten Liebhaber des Wortes können manches Mal keinen Schmack, noch Süßigkeit darinnen finden, die andächtigsten Beter bleiben oft lang ungetröstet, welche ihren Jesum am liebsten haben, und die sich Tag und Nacht nach seinen Wunden, wie ein Kind nach der Mutter Brüsten sehnen, gerathen oft in die schwerste Anfechtung, und er sagt zu ihnen mit ernstem Gesicht: was Hab ich mit dir zu schaffen? Welche an ihrer Seligkeit täglich wirken und zu derselben in Christo erwählt sind, ehe der Welt Grund gelegt ward, denen ist das Kabinet und die Bücher des himmlischen Vaters oft so fest verschlossen, daß sie ihren Namen darin angeschrieben nicht erblicken können. Hier ist nun traun Lachen zu verbeißen und denkt oft ein frommes Herz: heißt das Gottes Kind sein? nicht eine fröhliche Stunde fast haben, nicht einen väterlichen freundlichen Anblick, nur immer in der Schule, immer unter der Ruthe, und dergleichen? Allein dies ist die zwar wunderliche, doch unvergleichliche Liebe und Güte Gottes, der am besten weiß, wie er uns halten und zum Himmel erziehen soll; er bleibt jedennoch Vater, und ich sein Kind; er sehe süß oder sauer, er stäupe oder herze, er gebe das Wasser der Trübsal oder den Wein der Freuden, so bleibt er, der er von Ewigkeit gewesen ist, ein treuer liebreicher Vater in Christo Jesu. Die Sonne bleibt allezeit eine Sonne und scheint mit hellleuchtenden Strahlen, ob schon ein Nebel oder eine dicke Wolke zwischen ihr und unserm Gesicht sich setzt. So auch bleibt das Herz Gottes und seine Liebe in voller Kraft, wenn er uns schon nach seinem heiligen Rath mit dem Nebel der Widerwärtigkeit umgiebt. Darum müssen uns die Versicherungen seiner Gnade und die theuren Verheißungen in seinem Worte, wie auch die mancherlei Proben seiner väterlichen Liebe, gewisser und gültiger sein, als alles, was unsere Vernunft und das sündliche Fleisch sagt. Der Apostel empfand die Faustschläge des Satans und einen Pfahl im Fleisch und mußte doch vorlieb nehmen mit dem: Laß dir an meiner Gnade genügen! 2. Cor. 12, 9. Wohl sagt der geduldige Hieb 13, 15., 16.: So mich gleich der Herr tödten wollte, so will ich doch auf ihn hoffen, und weiß, daß er dennoch mein Heil sein wird. Nun, mein Gott und Vater! stelle dich, wie du willst, du bist dennoch mein Gott, mein Vater, und ich dein Kind. Halt mich hier hart und dort wohl, laß mich mit Seufzen, Klagen, Weinen meinen Weg vollführen, wenn er mich nur in den Himmel führt; mein Glaube sei schwach oder stark nach deinem heiligen Willen, wenn er mich nur selig macht. Eins bitte ich noch, mein Vater! laß mich doch in meinem Letzten wissen, daß du mich je und je geliebt hast, und laß mich, meiner Kindschaft und des himmlischen ewigen Erbes versichert, fröhlich von hinnen scheiden! Ende gut, alles gut!
376. Die Rechtssache.
Ein Freund klagte, daß er einen schweren Rechtshandel hätte mit jemand bekommen, der ihm nicht allein große Unkosten, sondern auch viel Verdruß und Unruh verursachte. Gotthold sprach: Es hat jener berühmte Jurist sehr wohl gesagt, ein Mensch, der rechten wolle, müsse drei Taschen haben, eine zu den Briefen und Urkunden zum Beweisthum und sonst nöthig, die andere zum Gelde und Unkosten, die dritte zur Geduld, wenn die Sache lange währt oder gar verloren wird. Vielleicht habt ihr euch auf diese Taschen noch nicht geschickt; wie aber, habt ihr denn kein Mittel gefunden, mit eurem Widersacher euch zu vergleichen, als das heutige verdrießliche und gottlose Rechten? Verwundert euch nicht, daß ich dem Rechten ein solches Beiwort hinzusetze, maßen es leicht sonnenklar zu erweisen ist, daß es ein solches wohl verdient, und es urtheilt ein hochberühmter Gottesgelehrter (Chemnitz), daß bei jetzigen Läuften und Sitten nach der Welt- und fleischlichgesinnten Gewohnheit einer mit gutem Gewissen nicht rechten könne. Ich habe einmal von einem vornehmen und gelehrten Rechtskundigen gehört, daß er mit großem Ernst sagte, es wäre, leider! heutiges Tags mit dem Rechten dahin gekommen, daß, wenn er tausend Reichsthaler zu fordern hätte, und er sollte sie seinem Gegner mit Rechtsstreit oberhalten, so wollte er lieber hundert dafür nehmen und den Streit fahren lassen. Ein anderer spricht: Ein rechtschaffner Mann soll zu keinem Recht kommen, als mit langsamen Tritten, und mit Adlerflügeln davon eilen; es ist besser einen magern Vertrag, als eine fette Sentenz zu erwarten. Zu beklagen ist es, daß wegen der menschlichen Bosheit das Zanken und Rechten so sehr überhand nimmt. Ich finde, daß ein hoher Potentat selbst es bedauert, daß im kaiserlichen Hofgerichte alle Sachen sich übermaßen sehr häuften, daß fast alle Wochen fünfzig neue Sachen und mehr einkommen. Man möchte wegen des vielfältigen Gezänks sagen, die heutige Welt sei einem verwilderten Acker gleich, der allenthalben mit Disteln, Dornhecken und Klettenbüschen verwachsen ist, oder dem wüthenden und wallenden Meer, da eine Welle über die andere schlägt und alles sauset und brauset. Die unendlichen Rechtshändel und deren listiges Umtreiben sind nach eines klugen Mannes Ausspruch ein rechter Schandfleck des Christenthums, sintemal die Mohren und Mahomedaner ohne alle Weitläuftigkeit und Bitterkeit ihre Streitigkeiten können in einer Stunde schlichten und beilegen, darüber wir viel Jahre oft zubringen und unser Herz in Bitterkeit und Galle vertiefen und verzehren. Summa, da viel Rechtens ist, das ist eine gewisse Anzeige, daß da nicht viel Christen sind, wie obgemeldeter Theologus abermal redet. Bei den Juden war, wie bekannt, gebräuchlich, daß die Gerichte in den Thoren der Stadt gehegt und gehalten wurden. Die Ursache nach der Gelehrten Urtheil war diese, daß nicht allein jedermann, der aus- und einging, möchte zuhören, weil die Richter ihres Ausspruchs keine Scheu hatten, sondern auch, daß sie die innerliche Uneinigkeit gleichsam aus der Stadt verweisen und zum Thor hinaus, die äußerliche aber, (oder die sich von außen ereignete,) im Thor aufhalten und zurückweisen und also ihrer Stadt Einwohner in Liebe und Friede erhalten möchten. So sollte es billig in der Stadt Gottes sein. Es müßte in allen Thoren angeschrieben stehen: Ist jemand unter euch, der Lust zu zanken hat, der wisse, daß wir solche Weise nicht haben, die Gemeine Gottes auch nicht. 1. Cor. 11, 16. Ach, wie kann die Gemeine Lust zu zanken haben, welche auf Liebe gegründet, in Liebe verbunden und zur Liebe berufen ist? Ach, wenn wir Christen allezeit wollten bedenken das artige Sinnbild der Niederländer, welches sie im Jahr 1588 auf eine Münze haben lassen prägen, nämlich zween Töpfe auf dem Wasser schwimmend mit der Beischrift: Zusammen stoßen ist zerstoßen. Was mich betrifft, will ich stets vor Augen haben die Worte des h. Apostels: Es ist schon ein Fehl unter euch, daß ihr mit einander rechtet. Warum lasset ihr euch nicht viel lieber Unrecht thun? Warum lasset ihr euch nicht viel lieber übervortheilen? 1. Cor. 6, 7. Ich habe eine Rechtssache vor dem höchsten Richterstuhl, die mir so viel zu thun macht, daß ich alles andern Rechtens gerne vergesse; die Sache betrifft meine Sündenschuld, mein Ankläger ist der Satan, sein Sachwalter mein Gewissen; Zeugen bedarfs nicht, weil der Beklagte die Schuld gesteht; mein Fürsprecher und Advokat ist Jesus, der Gekreuzigte, der nicht allein mit seinem Munde, sondern auch mit seinem Blut und Wunden für mich redet; mein Richter ist mein Vater, der barmherzige und gnädige Gott, mein Freund und Beistand der H. Geist; wie kann ich anders, als ein gewünschtes Urtheil bekommen?
377. Die Zuhörer.
Als Gotthold mit einem gottseligen Freunde aus der Kirche kam, sagte dieser, er hätte sich heute über die große Menge der Zuhörer müssen wundern und erfreuen, weil er Hoffnung hätte, daß unter einer so volkreichen Versammlung der edle Same göttlichen Wortes doch etliche feine Herzen müßte antreffen, darinnen er zur Frucht gedeihen könnte. Gotthold sagte hierauf: Ich muß gestehen, wenn ich eine solche Menge sehe, die das Wort Gottes zu hören bei einander ist, daß es mir geht wie einem geizigen Kaufmann, der viel Volks um seinen Laden sieht auf einer Messe und desto mehr Hoffnung zu vielem Gewinn hat. Die Welt spricht: die Priester sind geizig. Ich will es nicht leugnen. Was rechtschaffene Diener Jesu Christi sind, die müssen geizig sein, doch wie ihr Handel nicht weltlich oder irdisch ist, so ist auch ihr Geiz, ihre Begierde und Verlangen auf vergänglichen Gewinn nicht gerichtet, sondern Seelen suchen sie zu gewinnen und ihrem Herrn Jesu zuzuführen. Aber ach! wie oft werden wir im Geist betrübt, wenn wir an den meisten, ja unserm äußerlichen Dünken nach fast an allen unsere Arbeit und Hoffnung müssen verloren setzen! Viele Hörer, wenig Thäter. Die meisten Zuhörer sind dem mit Oel getränkten Papier gleich, darauf keine Schrift haften will; ihre Herzen sind mit weltlichen Gedanken und herrschenden Sünden eingenommen, wie soll man ihnen denn den himmlischen Lebenssaft beibringen? Wir sind gewohnt, in die Predigt zu gehen, aber auf das gepredigte Wort nicht zu achten; beides haben wir von Jugend auf gesehen und bleiben dabei. Wie kann ein Knabe etwas Tüchtiges lernen, der aus Zwang und mit Widerwillen ein paar Stunden in der Schule sitzt, hernach aber, wenn er entlassen wird, die Bücher in einen Winkel wirft, und seinem Muthwillen den ganzen Tag folgt? Und wie kann ein Mensch in der Schule des H. Geistes die Geheimnisse des Reichs Christi lernen, wenn er aus Gewohnheit mit Unlust zur Kirche geht, mit schläfrigem Herzen zuhört und hernach den ganzen Tag (wie gemeiniglich am h. Ruhetag des Herrn geschieht) in Ueppigkeit und Sünden zubringt? Gesetzt, daß manchem ein Fünklein des göttlichen Feuers durchs Wort ins Herz gefallen ist, wie kann es zu Licht und Flamme werden, da es mit stetigen Bier- und Weingüssen sofort ersäuft wird? Ich habe einmal von einem eifrigen Lehrer gehört, es geschähen die größten Sünden, gegen welche Ehebruch, Raub, Stehlen und dergleichen nicht zu achten, in der Kirche. Es erschrak mancher darüber und meinte, es wäre eine harte und unerweisliche Rede, allein er erklärte sie, das Kirchengehen ohne Andacht, ohne Frucht, ohne guten Vorsatz, ohne Besserung, ja mit Heuchelei und Sicherheit, mit beharrlicher Luft zur Sünde wäre nichts anders, als ein Gespött Gottes, eine rechte Frevelsünde, eine schreckliche Bosheit; indem man sich zwar hinsetzt, Gottes Wort zu hören, doch aber sich vornimmt, nicht darnach zu thun, so wird zwar das Ohr auf eine Stunde Gott, das Herz aber den ganzen Tag dem Teufel gewidmet und eingeräumt; hier lausen alle Sünden wider die Gebote der ersten Tafel des göttlichen Gesetzes zusammen und diese überwiegen auf der h. Wage die, welche wider die andere sind. Unsere heutigen meisten Christen meinen, wenn sie in der Kirche sind fromm, andächtig, still, und der Predigt zuhören, so haben sie ihrer Pflicht ein Genüge gethan und könne man dann nachher sicher leben, wie man wolle. So haben wir nun Christen in der Kirche, aber in den Häusern, Schenken, Raths- und Gerichtsstuben, in den Läden, auf Reisen Juden, Heiden, Atheisten, Spötter, Spieler, Flucher, Haderkatzen, Trunkenbolde, Hurer, Geizhälse, Schinder und dergleichen. Und dies ist es, was der Herr mit so sehnlichen Worten klagend beschreibt, Hesek. 33, 31: Sie werden zu dir kommen in die Versammlung und vor dir sitzen als mein Volk und werden deine Worte hören, aber nichts darnach thun, sondern werden dich anpfeifen, (sie werden dich liebkosen, deine Gaben und Predigten rühmen) und gleichwohl fortleben nach ihrem Geiz. Hieher können meines Erachtens wohl gezogen werden die Worte des großen Lehrers (Luther), der da spricht: „Der weiße schöne Teufel, der die Leute zu geistlichen (mit einem geistlichen und guten Schein verdeckten) Sünden treibt, - der ist es, der den größten Schaden thut, gar viel mehr, denn der schwarze Teufel, welcher die Leute allein zu den groben fleischlichen Sünden treibt.“ Ach Herr! erbarme dich des verblendeten sichern Haufens! Mein Wunsch, aus dem Grunde meiner Seele geflossen, soll sein, wenn ich unter einer solchen Menge auftrete: ach, daß keiner von diesen verloren werde! Du wirst denn auch nach deiner großen Güte meine Arbeit nicht gänzlich lassen umsonst, noch vergebens sein!
378. Die Sperlinge.
Zur Zeit der Erndte sah man die Sperlinge haufenweise auf de n Mandeln sitzen und solchen Ueberflusses fröhlich genießen. Als nun Gotthold mit einem seiner Hausgenossen spazieren ging, sagte derselbe: Das ist doch gar ein unnützer und böser Vogel, der an dem lieben Getreide großen Schaden thut und ist doch so listig dabei, daß er in seiner Dieberei nicht leicht sich fangen oder schießen läßt; doch habe ich gelesen, daß etlicher Orten in Schlesien der Gebrauch sei, daß ein Landmann vor seinen Herrn oder Edelmann nicht gelassen wird, es sei denn, daß er einen oder andern Sperling mitbringt. Anderswo ist Herkommen, daß die Unterthanen ihrem Gerichtsherrn jährlich müssen eine gewisse Anzahl liefern, und der Richter muß einen jeden Sperling oder seinen Kopf den Knaben, die ihn gefangen und umgebracht, mit einem Pfennig bezahlen, dadurch denn ihre Zahl merklich verschwächt und viel Schaden verhütet wird. Gotthold sagte: Lasset sie doch mitessen, ihr Schöpfer lässet alle Jahr so viel wachsen, daß wir und sie genug haben; lasset uns vielmehr an ihnen den unbegreiflichen Reichthum des göttlichen Segens betrachten. Luther hält dafür, daß der König in Frankreich mit allem seinem Reichthum, Zins und Renten nicht vermöchte zu bezahlen, was allein auf die Sperlinge geht, und unser Gott hat doch solcher Tischgänger eine unzählige Menge, die er alle ohne Mühe versorgt und mit Lust sättigt. Indem sie also redeten, wurden sie gewahr, daß ein junger Mensch, der diesen ungebetenen Gästen hatte aufgewartet und sich hinter einer Mandel verborgen gehalten, einen Schuß unter sie that und eine ziemliche Anzahl davon erlegte. Gotthold sagte hiezu: Wie unnütz und gering uns die Vögel auch dünken, so wird doch jetzt keiner getroffen und gefallen sein ohne Gottes Willen, welches uns unser Heiland lehrt, sagend: Kaufet man nicht zween Sperlinge um einen Pfennig? Noch fällt derselben keiner auf die Erde ohne euern Vater. Matth. 11,29. Daß uns der liebe Herr die wachsame Aufsicht und väterliche Fürsorge Gottes über einen jeden seiner Gläubigen insonderheit wohl einbilden möge, so nimmt er einen solchen geringschätzigen Vogel und sagt, Gott habe sein Leben in seiner Hut und Hand und er werde ohne seine Vorsehung nicht gezeugt, ernährt und gefallt, wie viel mehr werde er auf uns Acht haben, und es werde uns ohne seinen Willen nichts widerfahren. So soll nun billig dieser Vogel nicht ein unnützer Vogel heißen, weil er uns von Gottes reicher Güte, allgewaltiger Regierung, mächtigem Schutz und väterlicher Fürsorge predigt. Auch die, so jetzt getroffen und gefallen sind, erinnern uns, daß wir, wenns uns wohl geht, nicht sicher sollen werden; indem sie sich freuen über den reichen Vorrath im Felde und den besten Weizen mit Lust essen, so lauert der Schütze auf sie, und müssen ihrer viele das Gelage mit dem Leben bezahlen, wobei wir billig gedenken an jenen reichen Kornbauern, welchen uns der Herr Jesus zum Crempel vorgestellt, welcher sich seines großen Vorraths freuend hören mußte: Du Narr! diese Nacht wird man deine Seele von dir nehmen, und weß wird sein, das du bereitet hast? Luc. 12, 20. Mein Gott! nichts ist unnütze, was du erschaffen hast! Das große Buch der Natur ist allenthalben mit guten Erinnerungen beschrieben, wenn wir nur Augen hätten, ihrer wahrzunehmen, und Herzen, sie zu betrachten.
379. Das Raupennest.
Man ward in Gottholds Garten an den Bäumen viel Raupennester gewahr und ward Anstalt gemacht, dieselben herunter zu bringen und die Bäume davon zu säubern; indessen sagte er: Sehet ihr, daß in der Welt nichts ist, das seine Widerwärtigkeit, Feinde und Anliegen nicht hat, entweder heimlich, oder öffentlich; keine Lust ist ohne Unlust, keine Freude ohne Leid. Diese Bäume haben ihre Früchte allererst mit Ueberfluß in unsern Schooß geschüttet, sie haben die Knospen aufs künftige Jahr schon wieder gesetzt, doch ihre Feinde sind auch schon da, und wenn das Laub wieder ausbricht und sie warme Luft verspüren, würden sie, so man ihnen nicht in der Zeit steuerte, sich überall vertheilen und die Bäume ihrer Zierde berauben. So ist es mit dem menschlichen Leben, es ist darum ein elend jämmerlich Ding vom Mutterleibe an, bis wir wieder in die Erde vergraben werden, die unser aller Mutter ist; da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod. Sir. 40, 1. 2. Sehr wohl hat ein berühmter Lehrer (Drelincourt) geschrieben: „Das menschliche Leben und das Elend sind Zwillinge, die zu einer Zeit geboren werden und zu einer Zeit in den Glaubigen und Gottseligen sterben. Der Mensch säht sein Leben an mit Weinen und endet es mit Seufzen; das erste Schreien hält man für ein Zeichen des Lebens, und der letzte starke Seufzer ist ein Gemerk des Todes. Du armer Mensch! Wie ist doch dein Zustand so elendiglich, zumal deine Freunde sich über dein Schreien erfreuen und sich bekümmern, wenn du aufhörst zu seufzen.“ Ist Lust, Reichthum, Ehre, Freude in der Welt, es fehlt auch an Sorge, Schmach, Widerwärtigkeit und Herzeleid nicht; findet sich das Laub, die Blumen und Früchte, es finden sich auch Raupen und allerlei Geschmeiß, die es verderben und verzehren. So ist es nun eine Thorheit, beständige Freude im Thränenthal und das Paradies in der Welt suchen wollen, sonderlich von einem Christen. Hierauf sagte ein anderer: Ich wüßte noch eins, das uns ein Raupennest gar schicklich vorbilden kann, nämlich ein gottloses Haus, eine ruchlose Schenke, eine Schule ohne nöthigen Zwang und Zucht, darinnen ein böser Mensch viel andere verleitet und ein Teufelskind viele andere macht und ausbrütet, daß oft in Eil das gottlose Wesen überhand nimmt und man nicht weiß, wie man ihm steuern oder rathen soll, und, ach leider! wie ist der heutige Kirchenbaum mit so vielen Raupennestern besetzt! Wie ist er fast aller Blätter und Früchte beraubt! Wie verbreitet sich die Atheisterei und das epikureische Sauwesen so schleunigst! Gott errette seine arme Kirche und säubere sie von solchem Geschmeiß! Gotthold fuhr fort: Dank haben die unfleißigen Gärtner, welchen Gott die Aufsicht über solchen Baum befohlen, daß sie nicht mit unermüdetem Eifer die Raupennester zerstören; doch wollen wir zur andern Zeit davon weiter reden, jetzt laßt uns nicht vergessen, daß ein jeder Mensch ein rechtes Raupennest in seiner Brust trägt, ich meine das fleischlich gesinnte, durch die Sünde verderbte Herz, darinnen die bösen Lüste, von der Erbsünde ausgebrütet, durch einander wimmeln, und, wenn ihnen nachgesehen wird, zum Verderben des Leibes und der Seele hervor kriechen; hier hat ein Christ genug zu thun, daß er immer steure und zerstöre, darum Luther sehr sehnlich spricht, er fürchte sich mehr vor seinem eignen Herzen, als vor dem Papst mit allen seinen Kardinälen. Und ein anderer gottseliger Mann sagte einmal zu mir: Mein eigen Herz macht mir mein Leben sauer und den Tod süß. Herr Jesu! hilf mir fleißige Acht haben auf dies Raupennest und seiner Lasterbrut mit allen Kräften steuern! Ach, wann willst du mich von mir selbst und meinem eigenen Herzen befreien und erretten!
380. Die Nuß.
Gotthold sah einem Knaben zu, der in der Rechenkunst unterwiesen ward, und sagte: Ob man zwar hier vielfältige Veranlassung hat zu guten Gedanken, so will ich doch für diesesmal nur die Null erwählen. Ich finde, daß ein weltweiser Mann in seinem Letzten liegend von seinen Freunden ersucht worden, daß er ihnen ein Gedächtnis, hinterlassen möchte; als er nun nicht mehr reden konnte, ward ihm Dinte und Feder gereicht, und machte er damit aufs Papier zween Kreise oder Nullen. Nach seinem Absterben gab es viel Nachsinnens bei den Hinterbliebenen, was hiedurch möchte gemeint sein, und hielten die meisten dafür, daß er hätte hiemit andeuten wollen, Leib und Seele hätten ihren Kreislauf und Zeit, wenn sie dieselbe vollendet, so komme ein jedes wieder zu seinem Ursprung, der Leib zur Erde und die Seele zu Gott. Pred. 12, 7. Ich wollte meinen, er hätte zwei Nullen gemacht, die Eitelkeit aller weltlichen Dinge vorzubilden; wie denn der allerweiseste König in aller Welt Wissenschaft, Lust, Freude, Ehre, Reichthum und Herrlichkeit nichts, als Mühe und Eitelkeit hat finden können. Pred. 2, 3. 11. Der Welt Herrlichkeit ist wie die Raketen, damit sie sich zu belustigen pflegt bei ihren größten Solennitäten (Festlichkeiten), aus deren hellerleuchtender, hochsteigender Flamme nichts wird, als Asche; der Welt Bemühung und Unruhe ist wie die Raserei des unmenschlichen Kaisers Caligula, der einmal seine Armee am Ufer des Meers in Schlachtordnung stellen und mit Geschütz und Rüstung versehen ließ; als nun jedermann mit Verlangen erwartete, was denn endlich, weil kein Feind vorhanden war, aus diesem Spiel werden würde, hieß er sie sämmtlich Schneckenhäuserlein, die am Meeresstrand häufig lagen, sammeln und ihre Sturmhauben und Kleider damit füllen. So läuft die Welt, so kriegt, rechtet, zankt, sammelt sie, und wenn sie viel gesammelt hat, so ist es eben so viel werth, als dieser Meerraub. Doch, daß ich wieder zu meiner Null komme; alles, was in der Welt ist, vergleicht man billig einem ,Zettel, daraus eine ganze Reihe solcher Nullen geschrieben, da eine so viel gilt, als die andere, da sie allesammt endlich nichts machen. Ihr hochgelehrten Weltkinder, was ist eure Wissenschaft? Ein wohlriechender Dampf, daran ihr euch selbst nebst andern belustigt, der doch bald verschwindet. Ihr Hochweisen, was ist eure Klugheit? Ein Spinnengeweb, welches zwar sehr subtil und mühsam, doch zu nichts nütz ist, als Mücken zu fangen. Ihr Hochgeehrten, was ist eure Würde? Ein Schatten um die Abendzeit; je größer, je näher dem Vergehen. Ihr Reichen, was ist euer Ueberfluß? Eine Rose mit vielen Dornen; die Rose verwelkt bald, die Dornen bleiben. Ihr Wollüstigen, was ist eure Freude? Ein süßer Traum, davon einer nichts hat, wenn er erwacht, als das Verlangen. So heißt es nun in der Christen Rechenkunst: Null von Null bleibt nichts. Die Welt hat nichts, giebt nichts, ist nichts. Doch wissen die Kinder Gottes eine Kunst, daß sie aus nichts etwas können machen. Wenn ich viel Nullen habe, die sonst nichts gelten und setze eine Ziffer davor, so machen sie viel tausend. Also, wenn ich alle Welt hätte ohne Gottes Gnade in Jesu Christo, so hülfe es mir nicht; wenn ich aber den weltlichen Dingen meinen Jesum voransetze, ich will sagen, wenn ich sie als ein Lehngut von der Hand meines Erlösers in Demuth annehme und alles zu seinen Ehren im Glauben und in der Liebe gebrauche, so mögen sie noch etwas gelten und können die Ehre haben in Gottes Register und Tagebuch zu kommen. Herr Jesu! außer dir ist alles nichts. In dir ist nichts alles. Reichthum ist nichts, wo er nicht deiner Armuth dient; die höchste Würde ist nichts, wo sie nicht ihre Ehre in deiner Schmach und Dornenkrone sucht; die Weisheit ist nichts, die von dir nichts weiß; die Wollust ist nichts, die durch dein Kreuz nicht gemäßigt und geheiligt wird. Summa: Welt ist Welt und nichts, Jesus ist Jesus und alles.
381. Die Erbsen.
Als in Gottholds Garten junge Erbsen hervor kamen, nahm er wahr, daß, ob sie wohl kaum fingerslang, sie dennoch schon mit zarten Häftlein oder Gäbelein, damit sie sich an den zugesteckten Stock heften und anhängen können, versehen waren, wie man dergleichen auch an den Weinreben bemerken kann. Siehe, sagte er hierauf, die Natur hat dieses Gewächs sehr schwach gemacht, doch ohne Hülfsmittel nicht gelassen, damit es sich durch fremde Kraft erheben und erhalten könnte. Ein schönes Bild der Güte meines Gottes, der unserer Schwachheit mit seiner Kraft zu Hülfe kommt. Ist mein Glaube nach dem guten Willen meines Gottes schwach, so hat er doch durch des H. Geistes Trieb heimliche und unaussprechliche Seufzer, damit er sich an den Baum des Lebens anheftet und wider alle Stürme des Teufels in seiner Schwachheit besteht und aushält. Gott hat kein Kreuz ohne Trost verordnet und über uns beschlossen. Haben wir des Leidens Christi viel, wir werden auch durch Christum reichlich getröstet. 2. Cor. 1, 5. Haben wir viel Krankheit, Widerwärtigkeit, Verfolgung, Gott giebt auch viel Geduld und Erquickung, hat er Noth über uns verhängt, er hat die Hülfsmittel auch schon verordnet und bereitet. Gott sind seine Werke von der Welt her bewußt. Apostelg. 15, 18. Er weiß, woher er Kreuz nehmen soll, uns zu prüfen und zu üben, nicht weniger, woher er Trost und Hülfe schaffen will, uns zu erquicken und zu erfreuen. Unser Gott ist wie eine liebreiche Mutter, die dem kranken Kinde zwar den unbeliebten Arzneibecher zu seiner Gesundheit reicht, doch den Zucker schon bei der Hand hat, damit sie ihm den Mund wieder versüßen will. Er läßt die Seinigen wol aus seinem Schooß, aber niemals aus seiner väterlichen Fürsorge und Aufsicht. Er legt uns wol eine Last auf, aber er hilft uns auch. Ps. 68, 20. Wenn Gott verordnet hat, daß wir sollen angefochten und betrübt werden, so sind auch schon Mittel vorhanden, uns zu stärken und zu rechter Zeit zu erfreuen. Läßt er uns in Armuth gerathen, er weiß schon, wie er uns ernähren will, wie aus dem Exempel des Propheten Elias ist zu ersehen, zu welchem Gott sagte in der Theurung: Ich habe den Raben und einer Wittwe geboten, daß sie dich versorgen. 1. Kön. 17, 4. 9. Hat Gott in seinem heiligen Rath gut befunden, durch tödtlichen Hintritt eines Mannes oder Weibes Wittwe und Waisen zu machen, so hat er auch schon beschlossen, wie er sie, wenn sie ihn fürchten, wunderlich ernähren, versorgen und durchbringen wolle. Hat er beschlossen, daß die Welt seine Gläubigen soll verfolgen und verjagen, er hat ihnen schon eine sichere Zuflucht und ein Zehrgeld auf den Weg versehen, wie an seinem liebsten Sohn selbst wahrzunehmen, über welchen die Flucht in Aegypten verhängt war; doch mußten die Weisen aus Morgenland zuvor kommen und den Zehrpfennig mitbringen. Matth. 2, 11. 13. So walts denn nun, mein gnädiger Gott! ich wills hierauf getrost wagen. Kein Kreuz ohne Trost; kein Leid ohne Liebe; keine Noth ohne Gott. So gieb nur her, mein Vater! den bittern Kreuzbecher, ich will gerne trinken, wenn mir schon die Augen dabei übergehen. Ich weiß gewiß, daß dein süßer Trost bald folgen und deine Hülfe nicht weit sein wird.
382. Der Wechsel.
Es ward an Gotthold eine Summe Geldes von einem abgelegenen Orte wegen eines seiner Hausgenossen durch Wechsel übermacht; als nun das Geld bezahlt wurde, und er an seinen Leuten, die umher standen, gewahr ward, daß sie sich über so viel Geld (wie junge Leute pflegen) verwunderten, sagte er: Gewöhnt euch von Jugend auf fein dazu, daß ihr euch an dem Geld nicht vergafft und es nicht als etwas Großes und Köstliches mit Lust und Begierde anseht. Es ist eine glänzende Erde und ein unstetes flüchtiges Ding; es wandert von einem zum andern und ist wie das Quecksilber, welches allezeit unstet bald zusammen, bald von einander läuft; wie der Wind spielt mit dem Sande oder mit den trocknen Baumblättern und treibt bald hier, bald dort einen Berg und Haufen zusammen, damit doch niemand gedient ist, so gehts mit dem Gelde und Gütern dieses Lebens; sie sind bald hier, bald dort, und sind am Ende so viel nütz, als ein Sandhaufen oder eine Grube voll Baumblätter. Darum ließ sich jener Graf zum Sinnbild malen einen Baum, dem durch Sturm zur Herbstzeit die Blätter abgenommen werden und häufig herunter fallen mit der Zuschrift: Der Schaden ist gering. Ich weiß nicht, ob man eine Münze finden möchte, darauf Flügel gebildet, wollte aber wünschen, daß die Potentaten belieben möchten, alle Reichsthaler und Dukaten mit Flügeln zu bezeichnen, anzudeuten, daß der Reichthum sich oft Flügel nimmt und davon eilt, ehe man es meint. Und gesetzt, daß er Fuß halte, was ist sein der Mensch groß gebessert? Die Reichen von dieser Welt haben keinen Vorzug vor andern in den hauptsächlichen Dingen dieses Lebens; sie werden geboren wie andere, sie essen und trinken wie andere und haben nichts mehr davon, als daß sie satt werden; sie tragen ein Kleid wie andere, ist es schon zierlicher und prächtiger, so thuts doch nichts mehr, als ein schlechtes, nämlich, daß es den Madensack deckt und schützt; sie sorgen wie andere, ja oft wol mehr, sie kranken wie andere, sie sterben wie andere. Ein Holz bleibt ein Holz, ob es schon vergoldet wird, ja in den vergoldeten Bildern in der Kirche nähren sich gleichwohl die Würmer, und die Fledermäuse nisten darin. So auch die Reichen sind der Würmer Speise und ihr Herz, ach leider! ist öfters eine Behausung der Teufel. Reiche Leute geben ihren Kindern manchmal silberne und güldene Pfennige, damit sie spielen, andere haben Zahlpfennige, etliche machen sich Geld von Papier und Topfscherben, endlich wird ein Kind des Spiels so wohl müde, als das andere und geht schlafen; so gehts mit uns Alten auch; das Leben ist ein Spiel, ich spiele nun, womit ich will, ich muß doch endlich davon und andern, was ich unter Händen gehabt, überlassen. Darum laßt uns das Geld nicht ohne Verachtung anschauen und alsbald dabei gedenken: was hilfts, wenn ich sterben soll? Was bin ich vor dem Richterstuhl Christi dadurch gebessert? Je mehr Geld, je größere Rechnung; besser Gott, als Gold; besser reich in Gott, als reich in der Welt und dergleichen. Fallt euch aber Reichthum zu, so vergesset nicht, etwas durch Wechsel in den Himmel zu übermachen, auf daß, wenn ihr hernach folgt, ihr einen Vorrath daselbst finden mögt. Zahlt euer Geld an die dürftigen Glieder Christi, die werden euch durch ihre gottseligen Seufzer und Fürbitten einen Wechselzettel geben, der im Himmel ohne Widerrede angenommen und nach Sicht, wie die Kaufleute reden, gezahlt wird. Dies ist das richtigste Mittel, seiner Güter versichert zu sein und ihrer nach diesem Leben zu genießen. „Aber Gott hat keinen Credit bei der Welt,“ spricht ein vortrefflicher Lehrer unserer Zeit (Heinrich Müller). „Spricht er: Gebet, so wird euch gegeben; so denkt jeder: wer wills drauf wagen? Hüte dich vor der ersten Auslage; was ich habe, das hab ich; was ich noch kriegen soll, ist ungewiß.“ Nun Welt, willst du es auf Gott und sein Wort nicht wagen, so laß es; ich wills getrost thun, wir wollen endlich sehen, wen es gereuen wird.
383. Das Zuckerküchlein.
Gottholden wurden zur Gesundheit Zuckerküchlein von einem berühmten Doktor der Arznei gegeben, davon er täglich morgens und abends eins oder ein Paar nehmen mußte, die er auch sehr heilsam und dienlich befand. Was? sagte er bei sich selbst, mein Gott! soll denn mein Leib etwas Heilsames haben und ich sollte meiner Seele dabei vergessen? Das sei ferne! Meine Seele hat auch ihre Zuckerkörner und Küchlein, nämlich ein oder zwei Worte, die sie oft lange in Gedanken und Betrachtung hält, daß sie gleichsam im Gemüth zerschmelzen und das ganze Herz mit Süßigkeit, Freude, Friede, Trost und Kraft erfüllen. Solcherlei ist das Wort: Vater. O wie viel fließender Süßigkeit habe ich oft darinnen gefunden! und wie recht hat ein geistreicher Lehrer (Joh. Arno) geschrieben: „Wenn einer es recht bedenkt, so wird er bekennen müssen, daß in dem einzigen Wort Vater ein vollkommner Trost sei, so allein genug wider allerlei Trübsal.“ Als jenem Knäblein das Haupt weh that, ging es zu seinem Vater und sprach: O mein Haupt! mein Haupt! 2. Kön. 4, 19., und ich, wenn meine Seele betrübt und mir nicht wohl ist, gehe zu meinem himmlischen Vater und sage: O mein Herz! mein Herz! O Vater, hilf deinem betrübten Kinde! Wo sollte das kranke Kind hin, als zu seinem Vater und von da zu dem Schooß seiner Mutter? Und wo sollte ich mit meinem Anliegen und Sorgen hin, als zu meinem Herrn Jesu und durch ihn zu meinem lieben himmlischen Vater? Ach Vater! du bist es ja; ob du es schon in deinem Herzen verbirgst, so weiß ich doch, daß du daran gedenkest. Wer hat mir sonst diesen Mund gegeben, der zu dir schreit? Wer diese Augen, die zu dir thränen? Wer die Hände, die ich zu dir aufhebe? Wer das Herz, das nach dir sich sehnt und nach deiner Hülfe seufzt? Ja, wer hat mich zum Kinde angenommen und mich heißen beten: Vater Unser, der du bist im Himmel? Warum hat dies Wort müssen in diesem göttlichen Gebet vorn an stehen, als daß es ein Zuckerkorn wäre den frommen Herzen, welchen um Trost bange ist? Ein solches ist auch der süße Name Jesus, welcher mit Recht aller Gläubigen und Auserwählten im Neuen Testament Zuckerküchlein mag heißen, das sie im Leben, im Leiden und Sterben im Herzen und Munde haben getragen, das auch mit seiner himmlischen süßen Kraft in ihrer Seele zerflossen ist. Was ist süßer für ein betrübtes Herz und beängstigtes Gewissen, als Jesus, der Seligmacher? O Jesu! O Seligkeit! Diesen setze ich billig hinzu den Namen des H. Geistes: Tröster oder Beistand, Fürsprecher. Gewiß es ist aus liebreichem Rath der hochgelobten Dreieinigkeit geschehen, daß jeder Person ein sonderbarer süßer Kraft- und Trostname gegeben ist. In solchem Namen ist ein süßer und seliger Zwang, damit wir den Allmächtigen nöthigen und zu unserm Willen haben können, wie Moses, der sich sein durchs Gebet dermaßen bemächtigte, daß er zu ihm sagte: Laß mich. 2. Mos. 32, 10. Denn gesetzt, daß ein angefochtenes, betrübtes, mattes Herz nichts mehr könnte vorbringen, als das Wort: Vater! mein Vater! Jesus! Jesu, hilf! ach Tröster, tröste! So ist hierin schon eine große Kraft, Gott das Herz zu rühren, weil es ihm seine Pflicht und Verheißung vorhält und durch den Namen die That fordert. Ich habe einmal eine Neujahrspredigt gehört, darinnen des Lehrers Wunsch war, daß der allerliebste und seligste Wille Gottes an seinen Zuhörern, wie auch in ihnen und durch sie möchte in dem angehenden Jahr und allezeit vollbracht werden. Sein Geschenk waren die obgesetzten drei Namen: Vater, Jesus, Tröster! Und mich däucht, er habe die ganze Seligkeit gewünscht und geschenkt. Nun wohlan, so will ich mich hinfort allezeit auf solche Zuckerkörner für meine Seele schicken; ich will mir täglich, nachdem meiner Seele Zustand es erheischen wird, ein Wort erwählen, das ich den ganzen Tag im Mund und Herzen will haben, nämlich entweder eins von den obgesetzten, oder auch: Seligkeit, Himmel, Sterben, Richterstuhl, Hölle, Ewigkeit und dergleichen, dabei mich stets zu erinnern, daß ich diese Dinge wohl in Acht haben und nimmer vergessen müsse. Mein Gott, Vater, Jesus, Tröster! gieb du Segen und Gedeihen dazu, daß sie meiner Seele wohl bekommen.
384. Die Theilung.
Gotthold hörte von einer benachbarten Person, daß sie nebst andern Anverwandten in Kurzem würden zusammen kommen, eine ziemliche Erbschaft zu theilen. Mein, sagte er, sehet zu, daß ihr nur die Güter und nicht die Gemüther theilt! Das menschliche Auge sieht oft scheel, wenn andere von dem, was es sich am liebsten gönnte, auch etwas nach sich ziehen. Nicht unfüglich hat ein weiser Mann den Eigennutz ein Scheidewasser genannt, weil er oft der nächsten Blutsfreunde Herzen von einander scheidet und ihre Liebe in Haß verwandelt. Es ward vor etlichen Jahren von Paris berichtet, daß zwei vornehme Personen bei Theilung der ihnen zugefallnen Erbschaft mit einander von Worten zu Streichen gekommen, da denn einer den andern mit einem Mörserstößer zur Erde geschlagen, hernach sich selbst die Kehle abgeschnitten. Die haben so getheilt, daß der Satan auch etwas bekommen. Ich selbst habe eine Erbtheilung gesehen, darinnen die Gemüther der Anverwandten so gegen einander entrüstet worden, daß sie die schönsten Laken, Tischdecken, Tapezerieen und Vorhänge zertheilt und zerrissen, weil einer dem andern nichts hat gönnen wollen, darüber sie in solche Verbitterung und Feindschaft gerathen, daß sie einander lebenslang weder hören, noch sehen mochten. O verfluchtes Gut, daraus der Teufel einen Zankapfel macht! O unselige Erbschaft, darüber das Band der christlichen Liebe zerrissen, und das himmlische Erbtheil verloren wird! Als nun selbige Person sich christlich erklärte, um Friedens willen sich also anzuschicken, daß mit Gottes Hülfe dergleichen Trennung hier nicht sollte zu befahren sein, sprach Gotthold: Mir fällt bei dieser Gelegenheit zu, was im 16. Psalm steht und im Namen unsers allerliebsten Erlösers geredet wird, V. 5., 6.: Der Herr ist mein Gut und mein Erbtheil, du (mein Gott!) erhältst (verwahrst) mein Erbtheil; das Loos ist mir gefallen aufs lieblichste, mir ist ein schön Erbtheil worden. Liebster Heiland! die Welt hat schlecht mit dir getheilt; sie hat dir nichts gelassen, als was ihr nicht beliebt, die Armuth, die Verachtung, die Schmach, das Kreuz, die Dornenkrone, die Geißel und dergleichen; doch warst du wohl zufrieden und mit der Liebe deines Vaters und seinem süßen Willen vergnügt. Es geht noch jetzt nicht anders; den Gläubigen fällt das wenigste zu von den vergänglichen Gütern, gemeiniglich haben sie so viel davon, als du; sie könnens auch leicht lassen geschehen, weil sie wissen, daß im Tode den Menschen noch eine Theilung bevorsteht, da Leib, Seele, Güter, Ehre und alles von einander gesetzt und ihnen nichts gelassen wird, als was im Innersten der Seele beigelegt ist. Wohl dem, der alsdann sagen kann: Der Herr ist mein Gut und Erbtheil! Was mich betrifft, so will ich mit der Welt leicht theilen und zurechte kommen; sie lasse mir meinen gekreuzigten, verschmähten, mit Dornen gekrönten, armen Jesum, und behalte das andere; so sind wir geschiedene Leute.
385. Der arme Mann.
Ein armer alter und fremder Mann war das Almosen zu suchen ausgegangen; weil er aber vor Mattigkeit nicht fort konnte, hatte er sich auf der Gasse an einer Mauer nieder- und sein Haupt auf einen erhabenen Stein gelegt. Gotthold traf ihn, als er seinen Verrichtungen nachging, unvermuthlich in solchem kläglichen Zustand an, und nachdem er ihm zugeredet, seines Zustandes sich erkundigt und ihn getröstet, versprach er ihm, auf Mittel bedacht zu sein, wie ihm könnte Hülfe geleistet werden, dazu sich denn auch bald gute Gelegenheit eräugete. Ach, sagte er hierauf, mein Gott! wie unerforschlich sind deine Wege! Und wie unbegreiflich sind deine Gerichte! wie theilst du doch so wunderlich aus! Einer lebt in großem Ueberfluß und hat allerlei Bequemlichkeit nach Wunsch und Willen, ein anderer liegt auf der Gasse und hat den Himmel zur Decke und das harte Pflaster zum Lager, da sie doch beide Menschen sind, ja der eine wol dein Feind, der andere dein Freund und liebes Kind ist Was habe ich, mein Gott! dir mehr gegeben, als dieser andere Lazarus, und was ist mein Vorzug? Nichts, als daß ich vielleicht mehr Sünde bei mir und mehr Gnade (was das Zeitliche betrifft) bei dir habe. Nun, mein Vater! ich will mir diese Begebenheit mit deiner Hülfe wohl zu Nutz machen. Dein Prophet spricht Ps. 41, 2: Wohl dem, der sich des Dürftigen annimmt, der Verstand und Nachdenken hat über die Elenden und Armen. Was bedarfs, sollte man meinen, viel Nachsinnens, wo man den kläglichen Zustand vor Augen sieht? Die Welt rauscht vorbei und denkt: wer weiß, was er für ein Landläufer ist? Wer weiß, ob er sich nicht selbst muthwillig in dies Elend gestürzt hat? Allein, ich weiß, daß zuweilen hohe Personen sich in schlechten Habit verkleidet haben, um die Gemüther der Ihrigen zu erforschen; ich weiß auch, daß mein Jesus sich unter dem Bettelmantel verbirgt, mein Herz auf die Probe zu stellen und zu entdecken, ob mir er oder mein Geld lieber sei. Nein, nein, mein Erlöser! du mußt mir so nicht vorbei. Verstelle dich, wie du willst, ich kenne dich doch! Ich will das Elend dieses Verlassenen zu Herzen nehmen und helfen, so viel ich kann; ich danke dir, daß du mich gewürdigt hast, vor meiner Thüre anzuklopfen und Hülfe von mir zu begehren! Es soll mir lieb sein, wenn du, Herr Jesu! ich und dieser Arme von einem Bissen essen und von einem Trunk trinken mögen. Vor solchem Mahl begehre ich mit keinem Könige Tafel zu halten. Ach, mein Erlöser! gieb mir nicht allein das Thun, sondern auch das Wollen, 2. Cor. 8, und laß dir mein armes Thun und Wollen in Gnaden gefallen! Jetzt kommst du vor meine Thür, bald komme ich vor deine Thür, ach, laß mir die Gnaden- und Himmelsthür nimmer verschlossen sein!
386. Der süße Traum.
Es sagte einer von Gottholds Hausgenossen, er hätte die Nacht einen heiligen und süßen Traum gehabt und könnte der Freude, so er im Schlaf empfunden, nicht vergessen, maßen ihm vorgekommen, daß er mit einer unzählbaren großen Menge, unter vielen köstlichen Fähnlein vertheilt, wäre eingezogen in das himmlische Jerusalem, welches sie in einem unaussprechlichen Glanz von ferne gesehen; sie hätten gesungen: Halleluja! Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat! Halleluja! und dies wäre geschehen mit solcher heftigen, doch süßen Bewegung und Erregung seines Geistes, daß es ihn wunderte, wenn er nicht auch mit dem leiblichen Munde dieselbe bezeugt hätte. Gotthold sagte: Dies ist den Gotteskindern nichts Neues oder Seltsames. Ich weiß ein Exempel eines Mannes, dem einmal im Schlaf vorgekommen, als wäre er auf ein geraumes Feld gestellt mitten unter eine große Heerde Schafe, unter denen ein schöner Engel stand, der Hatte eine Büchse mit rother Farbe gefüllt und zeichnete aus derselben die Schafe, doch nicht alle, sondern nach Willkür bald dieses, bald jenes, eines mit einem einfachen, das andere mit einem gedoppelten Kreuz; dieser wünschte nun von Herzen auch gezeichnet zu sein und schwebte zwischen Furcht und Hoffnung, bis der Engel zu ihm kam und mit einem gedoppelten rothen Kreuz ihn zeichnete, dabei er dann solche Freude empfand, daß er mit Hüpfen und Springen überlaut seinem Dünken nach vielfältig ausrief in lateinischer Sprache: Ach, Herr Jesu! ich bin gezeichnet! Ich bin gezeichnet! Er pflegte zu sagen, er hätte keine Freude in der Welt jemals gehabt, die mit dieser, so er im Schlaf empfunden, wäre zu vergleichen gewesen. Ich halte, daß der königliche Prophet hierauf sein Absehen gehabt, wenn er spricht, Ps. 149, 5.: Die Heiligen sollen fröhlich sein und preisen und rühmen (oder jauchzen) auf ihren Lagern, und sein weiser Sohn sagt, Sprüchw. 3, 21. 24.: Laß die Weisheit nicht von deinen Augen weichen, so wirft du, wenn du dich legst, dich nicht fürchten, sondern süß schlafen. Eine gottselige und heilige Seele ist einem kleinen Kinde in diesem Fall gleich, welches an der Mutter Brust liegt und saugt, im Saugen einschläft und dennoch die Brust nicht fahren läßt, sondern auch im Schlaf die süße Milch in sich trinkt. Gottes Kinder gehen mit andächtigem Gebet, mit heiligen Gedanken und Uebungen schlafen, und ihre Seele hängt an Gott, Ps. 63, 9., und ihrem Jesu, an den sie gedenken, wenn sie sich zu Bette legen. So läßt denn ihr Herz ihn auch im Schlafe nicht, sondern ergötzt sich an seiner Liebe, und er spielt oft mit ihnen im Traum und giebt der Seele, die zu ihm wacht, einen süßen Anblick, der sie mehr erfreut, als alle Phantasei der Welt. Ob nun zwar ein christliches Herz hierin muß vorsichtig sein und sich um solcher Begegnung willen nicht für einen lebendigen Heiligen, auch nicht seine Träume für Glaubensartikel halten und sie dem Worte Gottes zur Seite setzen, so ist es doch eine Anzeige einer himmlischgesinnten und auch im Schlaf nach Gott sich sehnenden Seele, und man hat um solche heilige und gesegnete Ruhe mit dem vortrefflichen bekannten Lehrer unserer Kirche (Joh. Arnd) zu beten: „Gieb mir, daß ich immer gottesfürchtiger, heiliger, frommer und gerechter wieder aufstehe, daß mein Schlaf nicht ein Sündenschlaf sei, sondern ein heiliger Schlaf, daß meine Seele und mein Geist in mir zu dir wache, mit dir rede und handle! daß dein Name oder Gedächtniß immer in meinem Herzen bleibe, ich schlafe oder wache!“ Von einem heidnischen berühmten Philosophen wird berichtet, daß, wenn er sich zur Ruhe hat legen wollen, er sich mit Singen und Saitenspiel zum sanften Schlaf und süßen Träumen bereitet habe. Der Christen Musik ist ihr andächtiges Gebet und Abendgesang nebst herzlicher Betrachtung heiliger und göttlicher Dinge, und wo dies in Acht genommen wird, da muß der Schlaf nicht allein geheiligt, sondern auch gesegnet und süß sein. Herr Jesu!
Wenn mein Augen schon sich schließen
Und ermüdet schlafen ein,
Muß mein Herz dennoch geflissen
Und auf dich gerichtet sein.
Meiner Seele mit Begier
Träume stets, o Gott! von dir.
Daß ich fest an dir bekleibe,
Und im Schlaf auch dein verbleibe!
387. Die Leuchte.
Als Gotthold nebst andern mit einem vornehmen Freunde das Nachtessen hatte eingenommen, und sie, eine Leuchte oder Laterne vor sich habend, nach Hause gingen, sagte er: Weß wollen wir uns bei der Leuchte, die wir zur Wegleiterin haben, zur Besserung erinnern? Einer antwortete: Dessen, was David sagt, Ps. 119, 105.: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Das Wort Gottes ist ein hellscheinendes Licht und leuchtet in diesen letzten finstern Zeiten auf allen unsern Wegen, aber ach! wie wenig sind, die diesem Licht folgen! Was hilfts, wenn wir uns des hellen Lichts des Evangelii rühmen und doch die Finsterniß mehr lieben, als das Licht? Was hilfts dem Maulwurf, daß die Sonne helle scheint im Mittag, da er immerhin in der finstern Erde wühlt und arbeitet? Ich erinnere mich, daß im Jahr Christi 1611 auf einer berühmten deutschen hohen Schule ein Student sich aufgehalten, der seines vielfältigen Stehlens halber endlich an den Galgen gerathen; dieser hat unter andern schlauen Fündlein, seine finstern Diebshändel zu verbergen, ein Licht gebraucht. Wie aber? Er stellte ein ganzes Licht auf einen Leuchter und setzte es auf den Tisch in seiner Stube und ließ es etliche Stunden in die Nacht brennen; weil nun die Stube an der Gasse war, meinten die Leute, dieser ehrbare Student wäre so emsig bei den Büchern, daß er auch bis Mitternacht und länger sich des Schlafs enthielte, der doch eben dann im Finster n mausen ging. Was half nun diesem Nachtvogel das brennende und scheinende Licht, da er den Werken der Finsterniß nachging? Und was will es uns helfen, daß wir das helle Licht des Evangelii in vollem Glanz scheinend haben, da doch niemand fast solchem Licht folgen und wie ein Kind des Lichts wandeln will? Ein anderer that hinzu: Ich gedenke hiebei an Hiobs Worte, 29,3.: Seine Leuchte war über meinem Haupte und ich ging bei seinem (Gottes) Licht in der Finsterniß. Ohne Zweifel nennt er Gottes Gnade und Güte, seinen Segen, väterliche Fürsorge und Regierung die Leuchte und das Licht Gottes, und man könnte also nicht unfüglich sagen, Gott selbst habe sich so tief herunter gelassen, daß er der Menschenkinder Leuchtenträger sei, wie er denn auch Ps. 32, 8. gar tröstlich sagt: Ich will dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst, ich will dich mit meinen Augen leiten. „O wie ist es eine so große und sonderliche Gnade Gottes, daß er die, so ihm vertrauen und fürchten, mit seinem H. Geist regiert, giebt ihnen guten Rath und Vorsichtigkeit ins Herz, lenkt ihre Anschläge zu allem Guten, erhört ihr Gebet, behütet sie vor schändlichen und thörichten Anschlägen, vor Sicherheit, vor Irrthum im Glauben, vor Schande und Sünde. O wie wohl ist der geleitet, welchen Gott leitet! Wie kann der verführt werden, welchen Gott führt?“ (Tauler.) Gotthold fuhr fort: Ich habe eure Gedanken mit Lust gehört und bitte Gott, daß er uns durch sein h. Wort und göttliche gnädige Vorsehung allezeit führen und uns die Gnade geben wolle, daß wir seinem Licht fröhlich und getrost folgen mögen. Ich will aber, was mir beigefallen, hier beifügen: Jesus Christus ist das Licht des Lebens, ein jeder Christ ist eine Leuchte, welche solches Licht erleuchten muß, die Leuchte kann zierlich und an der Kunst und Arbeit kostbar sein, allein leuchten in Finsterniß kann sie nicht ohne das Licht. Ein Mensch kann wol schöne, natürliche Gaben haben, kann reich, kann mächtig, kann hoch erhaben sein, doch aber ist er außer Christo nichts nütze und er ist vor Gott nichts geachtet! Sein natürliches Licht mag in der Finsterniß der Anfechtung und des Todes weder ihm, noch andern dienen. Darum lasset uns Gott bitten, daß er uns zu Leuchten mache, in welchen und aus welchen der Herr Jesus leuchte, ihm zu Ehren und unserm Nächsten zu Dienst. Herr Jesu! sei du meines Herzens Licht und laß deine Liebe, Sanftmuth, Demuth, Freundlichkeit, Keuschheit, Mildigkeit und Wahrheit in allem meinem Wandel leuchten!
388. Der wüste Acker.
Gotthold hatte an einem Ort etliche Stücke Acker, welche, weil sie etwas weit abgelegen, in dem unseligen Kriegswesen ungebaut liegen geblieben und daher sehr verwildert, mit Dornhecken und Weidengesträuch fast über und über bewachsen waren. Als er nun dieselben besichtigte und auf Mittel dachte, wie sie wieder gereinigt werden möchten, fielen ihm dabei diese Gedanken ein: die Erde ist um der Sünde willen dem Fluch unterworfen und trägt Dornen und Diesteln nach dem Ausspruch ihres Schöpfers. 1. Mos. 3, 18. Sie bildet uns aber das menschliche Herz ab, dessen sündliche böse Art gleichen Schlages ist. O wie sehr ist manches Herz verwildert! wie häufig ist die Sünde ausgeschlagen und wie ein verworrenes in einander gewachsenes Gesträuch in sich selbst verknüpft! Je länger, je ärger! Die Sünde wuchert und wächst immer, sie treibt ihre Wurzel immer tiefer und weiter ins Herz, daß man endlich nicht allein nichts Christliches, sondern auch oft nichts Menschliches mehr daran findet; das höllische Ungeziefer hauset darin, der edle Same göttlichen Worts findet da keinen Raum, wird von den Dornen erstickt, oder der Satan nimmt es stracks hinweg. Luc. 8, 12. 14. Was das Aergste ist, solche Herzen gefallen sich selbst wohl, sie haben ihre Freude in der Bosheit und ihre Lust in der Sünde. (Ach elende Lust! O klägliche Freude!) Ach, mein Gott! wie schwer gehts zu, wenn ein solch verwildertes Herz soll wieder zu gutem Lande werden, da sich doch die verblendeten Sünder die Buße so leicht einbilden. Die, so aus der Erfahrung wissen, was die Bekehrung sei, sagen, sie sei eines von den größten Wundern, ja sie sei ein größer Werk, als die Schöpfung Himmels und der Erde. Denn es ist fürwahr nicht eine geringe Sache, aus einem Sklaven des Satans ein Gotteskind machen und die Sünde, welche das ganze Herz gefaßt und mit ihrer Unart durchgangen, ausrotten. Nun, mein Vater! es ist bei dir kein Ding unmöglich; ich habe auch unter meinem Bau und Aufsicht solche Herzen, ich arbeite daran, ich rotte und reute aus, so viel ich kann, aber ohne deine Gnade und Hülfe ist alle meine Mühe und Arbeit umsonst. Ich erinnere mich, daß dein H. Geist ein Geist des Gerichts und des Brandes oder der Hitze genannt wird. Jes. 4, 4. Ach, heiliger Gott! sende dieses Feuer in solche verwilderte Herzen und laß es bis in den tiefsten Grund durchdringen und alles, was wider dich ist, ausbrennen und verzehren, befeuchte sie alsdann mit dem Blute deines lieben Sohns und dem Thau deiner Gnade, besäe sie mit dem edlen Samen deines lebendigmachenden Wortes, so werden sie hundertfältige Frucht bringen! Was mich betrifft, soll mich dieser Acker lehren, wachsam über mein Herz zu sein und dasselbe in stetigem Bau zu halten. Doch ist es mit meinem Fleiß allein nicht ausgerichtet, hilf du mir, mein Gott! und laß mich nicht!
389. Der schönste Altar.
Es war in einer Kirche von zween christlichen Ehegenossen ein neuer kostbarer Altar von künstlichem Schnitzwerk, mit Golde reichlich geziert, verehrt worden, als nun Gotthold nebst einem guten Freunde denselben besichtigte, sagte er: Man kann nicht in Abrede sein, daß die lieben ersten Christen in ihren Versammlungsplätzen nicht besondere Pracht und Schein gesucht; sie hatten schlechte hölzerne Tische, gläserne oder zinnerne Kelche und einen unansehnlichen geringen Stuhl, darauf der Bischof oder Hirte der Gemeine saß, das Volk zu unterrichten. Es waren ihre Kirchen wie der Stall zu Bethlehem, darinnen das größte Wunder war das Jesulein, in einer Krippe liegend und von Maria und Joseph bewundert und angebetet. Doch nachdem die Kirche unter den christlichen Kaisern Friede bekommen, hat man angefangen, die Kirchen zu schmücken und mit allerlei Zierrath ansehnlich zu machen; und wenn die Welt das meiste Gold und Silber zur Ueppigkeit und eitlen Pracht anwendet, so wirds ja hoffentlich nicht unrecht sein, wenn sich fromme Herzen finden, die etwas davon zu den Füßen des Herrn Jesu legen und damit, daß sie seine Liebe, sein Blut und Verdienst über alle Schätze der Welt achten, öffentlich bezeugen. Es ist mir gewiß von Herzen lieb, wenn ich sehe, daß die Liebe des Herrn Jesu doch von etlichen erkannt und vor aller Welt mit solchen Denkmalen gerühmt wird. Unser werther und theurer Erlöser hat im hochwürdigen Abendmahl uns ein Gedächtniß seiner Liebe gestiftet, warum sollten wir nicht nach Vermögen aus einem gläubigen und dankbaren Herzen ein Denkmal unserer Gegenliebe hinterlassen? Ich gedenke hiebei an jenes frommen Juden (Philo) Wort, welcher spricht: „Wenn die ganze Erdkugel plötzlich in einen Goldklumpen verwandelt und sofort durch der Künstler Hand daraus lauter Wohnungen und Tempel bereitet würden, so wäre es doch nicht einmal für einen tüchtigen Fußschemel unsers Gottes zu achten.“ Und was ist alles Gold der Welt gegen das Blut und die Liebe des Herrn Jesu? Bald aber fuhr er fort, sagend: Meinet ihr aber wol, daß auch der Geringste unter den heiligen und gläubigen Liebhabern des Herrn Jesu noch einen bessern und köstlicher n Altar erbauen kann? Obgemeldeter Jude thut bald nach den angezogenen Worten hinzu, die geheiligte Seele sei dennoch Gottes Wohnung, und ich will sagen, das bußfertige und gläubige Herz sei der schönste Altar. Ich habe in der Kirchengeschichte eine merkwürdige Erzählung gefunden. Lucianus, ein Lehrer der Kirche und Priester zu Antiochia, ward ums Jahr Christi 311 wegen seines christlichen Bekenntnisses und Eifers ins Gefängniß geworfen und daselbst an der Erde an Stöcken und Blöcken also angefestet, daß er mit weit von einander gesperrten Beinen und über dem Haupt hoch aufgezogenen Händen stets mußte auf dem Rücken liegen; weil ihm nun keine andere Speise, als vom Götzenopfer gereicht ward und er dieselbe zu nehmen sich weigerte, war in Kurzem nichts anders, als sein Abschied zu vermuthen. Weil nun das h. Christfest nahe, bedauerten die Gläubigen, daß dieser tapfere Streiter Jesu Christi dasselbe nicht erleben würde; er aber, als er solches inne ward, sagte: Ich werde dieses Fest noch erleben, des folgenden Tages aber von hinnen fahren. Als nun das Fest herbei gekommen, wünschten sie mit diesem ihrem Hirten das letzte Abendmahl zu halten, waren jedoch bekümmert, wie sie einen Tisch ins Gefängniß bringen und diese heilige Handlung vor der Ungläubigen Augen verbergen möchten. Der Märtyrer aber sagte: Der Tisch, darauf wir das l). Abendmahl halten wollen, soll diese meine Brust sein, welche sich hoffentlich nicht weniger dazu schicken wird, als ein anderer, der aus lebloser Materie gemacht, ihr aber sollt der Tempel und die Kirche sein, indem ihr einen Kreis um mich her schließt! Darauf denn Brod und Wein auf seine Brust, als er so an der Erde lag, gesetzt, von ihm gesegnet und genossen, wie auch an andere, so zugegen waren, ausgetheilt und den Abwesenden zugesandt worden, und also ist erfolgenden Tages, wie er gesagt, nachdem er dreimal den kaiserlichen Abgeordneten zugerufen: Ich bin ein Christ! verschieden. Was dünkt euch bei diesem Altar? Einen solchen nun kann ein jedes gottseliges Herz ohne Kosten bauen und hat also auch die Armuth keine Entschuldigung! So sei nun, mein Herr Jesu! mein Herz dein Altar, deinem Dienst gänzlich und allein im Glauben und in der Liebe geheiligt; hier will ich dir meinen Verstand, Willen, Gedächtniß, meine Thränen, Seufzen und Gebet opfern, und will also zugleich Altar und Priester sein.
390. Das h. Abendmahl.
Bei dieser Gelegenheit kamen sie weiter und wurden von der hohen Würde des h. Abendmahls redend. Ich wundere mich zwar, sprach Gotthold, und erfreue mich herzlich über alle Wunder der Liebe Jesu Christi, doch über keines mehr, als über dies wunderbare Sakrament, darinnen er uns mit seinem h. lebendigmachenden Fleisch und theuren Blute wahrhaftig speiset und tränkt. Gleichwie die Sonne im Mittag am hellsten scheint, so leuchtet die Liebe des Sohnes Gottes in diesem wundervollen Mahl am herrlichsten. Hie hat sich sein göttliches Herz weit aufgethan wie eine Rose, die in voller Blüthe steht; er schenkt mir nicht seine Kleider, nicht sein Bild, nicht Silber oder Gold, nicht Krone oder Scepter, sondern sich selbst mit seinem ganzen Verdienst, völliger Gerechtigkeit, ganzem Himmel und Seligkeit. Als dort, 2. Sam. 12, 3., der Prophet Nathan anzeigen wollte, wie lieb der Mann sein Schäflein gehabt, sagte er: Es aß von seinem Bissen und trank von seinem Becher und schlief in seinem Schooß und er hielts wie eine Tochter. Mein Jesus speiset mich mit dem Brod des Lebens, mit sich selbst; ich trinke nicht nur aus seinem Becher, sondern auch aus seinen h. Wunden, ich schlafe (finde Ruhe für meine Seele und Freude für mein betrübtes Herz in seinem Schooß) in seiner süßen Gnade und der Versicherung seiner Liebe. Er hält mich wie seinen Sohn und Bruder, ja wie sein eigen Herz; er verbindet sich mit mir auf eine unaussprechliche Weise; er wird meine Speise, Trank, Leben, Kraft, Stärke, Freude, Trost und alles. Hier wird meine Seele mit seiner Seele, mein Leib mit seinem Leibe, mein Blut mit seinem Blut, mein Herz mit seinem Herzen, meine Schwachheit, Elend, Dürftigkeit und Unvollkommenheit mit seiner Gottheit, Herrlichkeit und Heiligkeit vereinigt, gemengt, verknüpft und durchgangen. O unbegreifliche Wunderliebe! o Jesu! du bist allezeit ein süßer Jesus und Heiland, aber nirgends schmecken und empfinden deine Gläubigen deine Süßigkeit und Freundlichkeit so sehr, als in diesem werthen Liebesmahl! Darum auch einer von denselben spricht, es sei aller Kreaturen Freude, die sie einem Herzen geben können, nichts gegen die, so es in Genießung dieses Mahls empfindet. Wenn ich hinzu trete, so sehe ich dich im Geist und Glauben mit deinen h. bluttriefenden Wunden, ich höre dich rufen: Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, hie werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Matth. 11, 28. 2«. Wenn ichs genieße, so dünkt mich, ich höre dich zu meiner Seele sagen: Ihr in mir und ich in euch! Joh. 14, 20. Wenn ich abtrete, so spricht meine Seele: Mein Freund ist mein, und ich bin sein, und er hält sich auch zu mir. Hohel. 2, 16. 7, 10. Nach dieser himmlischen Mahlzeit ist, wenn ich so reden mag, mein Confekt und Nachessen der Schluß des güldenen achten Capitels an die Römer vom 31. Vers bis ans Ende. O wie wohl ist mir dann! Wie trunken wird meine Seele! Wie getrost mein Herz! Wie hoffärtig bin ich dann gegen den Satan, die Sünde, die Hölle, den Tod und gegen die Welt mit aller ihrer Phantasei und Eitelkeit! Da dünkt mir, ich bin nicht mehr, der ich war, ich bin Christus, nicht persönlich, sondern Christi Gerechtigkeit, Sieg, Leben und alles, was er hat, ist mein eigen. Ich weiß dann nicht, ob noch Sünde, Elend, Kreuz, Noth, Tod oder Teufel mehr in der Welt sind, sondern das einige weiß ich, daß Jesus über alles herrscht und mein ist. Aber ach! ach! leider! wohin ist es mit dieser hochh. Stiftung gekommen! die tolle Vernunft will ihren Herrn lehren und meistern und hat aus dem Gedächtniß der Liebe ein Zankmahl gemacht; die Spötter und Atheisten verlachen es, die Heuchler verunehren es, der gemeine Haufe läuft unbedachtsam hinzu ohne Buße, Glauben, Liebe, Prüfung, Vorbereitung, ohne Andacht und heiligen Vorsatz. O du gottlose verfluchte Welt! was soll der gütige liebreiche Gott mehr an dir thun, als er gethan hat? Und wie könntest du es hingegen ärger machen, als du es gemacht hast? Er hat dir seinen Sohn gegeben, daraus hast du einen Sündendiener gemacht. Gal. 2, 17. Er hat dir seine Gnade reichlich dargeboten, die hast du aus Muthwillen gezogen. Jud. 4. Er hat dir sein Wort gegeben, daraus hast du ein Gespött gemacht. Er hat dir Vergebung der Sünden verheißen, daraus hast du Anlaß genommen, desto freier zu sündigen. Er hat durch seinen Sohn ein so theures Liebesmahl angerichtet, daraus hast du einen Deckmantel aller Heuchelei und Sicherheit gemacht. Nun mache voll das Maß deiner Bosheit, bald wirds der gerechte und heilige Gott in deinen Schooß schütten. Ach, Herr Jesu! laß mich unter den wenigen sein, die dich und alles, was du redest, ordnest, thust und schenkst, hoch, theuer und werth halten. Dein hochwürdiges Abendmahl sei mein Himmel auf Erden, bis ich in den Himmel komme!
391. Der Käfer.
Als Gotthold nebst etlichen seiner Hausgenossen zur Abendzeit im Garten umher ging und die Käfer häufig flogen, begab sichs, daß einem derselben ein Käfer gerade ins Angesicht flog, davon er denn nicht allein ziemlichen Schrecken, sondern auch Schmerzen hatte, und weil der Käfer vor ihm niedersiel, zertrat er ihn mit dem Fuß und sagte im Eifer: Das soll wol hundert andern nebst dir den Kopf kosten. Gotthold lachte und sagte: Wer sollte meinen, daß man auch an einem Käfer sich versündigen könnte? Was, versetzte der andere, ist an einem Käfer gelegen? oder an hundert, welche ich wünschte sämmtlich zu vertilgen, weil sie nur Schaden thun an den Bäumen und Früchten? Gotthold fuhr fort: Ich bekenne, daß einen oder hundert Käfer tödten wol nichts Großes auf sich hat, allein der unzeitige Eifer, der Jähzorn und die Rachgier, welche ihr jetzt mit Lust habt ausgeübt, sind Sünden, die wider das fünfte Gebot laufen und unter Gottes Gericht gehören. Sehet hieraus die Unbeständigkeit des verderbten menschlichen Herzens; ich weiß, daß ihr mit der Sünde, die in eurem Fleisch wohnt, täglich streitet, euch täglich wider dieselbe mit eurem Gebet und heiligem Vorsatz verwahrt und oft meint, ihr habt sie gutermaßen gedämpft und überwunden. Seht aber, ein Käfer kann sie in euch rege machen^ so daß ihr seinem ganzen Volk gerne die Köpfe abrisset, wenn ihr sie in eurer Gewalt hättet, nicht, weil sie Schaden thun an den Früchten, sondern weil sie euch beleidigt haben. Das ist die Selbstliebe und der verborgene Schlangensamen, der in uns noch übrig ist, der von niemand nichts leiden will, der die geringste Beleidigung, so ihm widerfährt, hoch empfindet und ungerochen hingehen zu lassen ihm schimpflich und unerträglich hält. Meint ihr nicht, daß eure Natur noch jetzt so böse an ihr selbst ist, daß, wenn Gottes Gnade und Geist von euch weichen sollte, ihr das im Zorn und Eifer könntet an einem Menschen thun, was ihr jetzt an dem Käfer gethan habt? Unser Herz ist wie ein Zunder, welchen ein geringes Fünklein kann glimmend machen, und sonderlich ist die Rachsucht unserem Fleisch und Blut sehr süß; darum denn auch zween Jünger des Herrn so weit gekommen sind, daß sie um der versagten Herberge willen das Feuer vom Himmel über die Samariter wollten fallen lassen, denen aber der gütige Heiland zuredete: Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht kommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten. Luc. 9, 55. 56. So lernet nun heute, daß solche Gelegenheiten der Kinder Gottes ABC-Buch müssen sein, darin sie sich üben, die Geduld und Sanftmuth zu lernen; ein Christ muß allezeit auf seiner Hut stehen und auch in geringen Dingen sich befleißigen, seinen Willen zu brechen, die verderbte Natur zu unterhalten und den Fußstapfen des sanftmüthigen Herrn Jesu zu folgen. Zum Exempel: mir wird eine Speise vorgesetzt, die mit dem Salz nicht genugsam gewürzt, oder an welcher sonst etwas versehen ist; hier steht mir nicht an mit Schelten und Fluchen auszufahren, wie das entzündete Büchsenpulver, sondern ich muß entweder mit Sanftmuth die Meinigen des Fehlers erinnern, oder gar dazu schweigen und bei solcher Gelegenheit lernen, auch andere große Widerwärtigkeiten zu verschmerzen. Ich gehe auf der Gasse, ein Hund bellt mich an und läuft mir nach, ich gehe billig ohne einige Entrüstung vorbei und übe mich, auch an den Verleumdern und Lästerern durch Nichtachten mich zu rächen. Herr Jesu! du sanftmüthiges Herz, nimm vorlieb mit meiner Uebung und Lehrwerk und hilf mir, daß ich bei allerlei Begebenheiten zeige, daß du in mir lebest, herrschest und wohnest!
392. Der Bienenschwarm.
Es war aus einem benachbarten Garten ein Bienenschwarm in Gottholds Garten geflogen und hatte sich an einen jungen Baum angesetzt. Gotthold sagte: Es müssen diese Gäste nicht umsonst zu uns herüber gekommen sein, und wenn wir nur der Sache nachdenken wollen, können sie ihre Stelle mit einer guten Lehre bezahlen. Ich wollte einen Bienenschwarm an einen Baum hängend malen, die christliche Gemeinde und deren Liebe zu dem Herrn Jesu vorzustellen, mit der Beischrift: Meinen Jesum (König) laß ich nicht. Dieser ganze Haufe wird bekanntlich von einem Könige regiert, und zwar nicht mit Zwang, sondern mit Liebe. Diese Honigvöglein haben eine solche Liebe zu ihrem Könige, daß sie mit ihm ausziehen, ihm folgen und ihn nicht lassen; fliegt er, sie fliegen auch; setzt er sich, sie hängen sich an ihn; eilt er davon, sie eilen ihm nach; wird er etwa durch einen Unfall lahm an den Flügeln und fällt zur Erde, sie fallen alle auf ihn und bedecken ihn, wie ichs mit meinen Augen gesehen habe. So ist die Gemeine der Heiligen; ihr einiges Haupt ist Jesus, auf welchen ihr ganzes Herz gerichtet ist, dem ihre Seele anhängt, sie folgen ihm fröhlich und willig, wo er sie auch hinführt, es ist aller ein Denkspruch: Meinen Jesum laß ich nicht. Sie werden alle durch seinen Geist beseelt und von seiner Liebe regiert, ihr ganzes Wesen ist die Gemeinschaft mit Jesu und unter einander. Lasset uns nun darnach mit allem Ernst trachten, daß wir auch unter solcher Gesellschaft erfunden werden. Das ganze Christenthum kann in drei Punkte gefaßt werden: an Jesum glauben, Jesum lieben, Jesu folgen; daran wir aber unser Leben lang zu lernen haben. Ach, allerliebster Herr Jesu! wann werde ich dich doch so herzlich lieben, als die Imme ihren König? Ich denke an deinen Apostel, der, als er zum drittenmal von dir gefragt: Hast du mich lieb? traurig ward und antwortete: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Joh. 21, 17. Fragst du mich auch, mein Heiland! ob ich dich lieb habe, so antworte ich zwar, wie dein Apostel, doch mit traurigem Herzen und thränenden Augen; denn mein Herz überzeugt mich, daß meine Liebe so schwach, daß sie fast für keine Liebe zu achten. Ich liebe dich ja, aber was bin ich gegen dich, und was ist meine Liebe gegen dein Verdienst? Nur eins ist mein Trost; der Wille ist da. Wenn ich sage: ich liebe dich! so sage ich es mit Trauern und mit Thränen; wenn ich aber sage: ich wollte dich gern von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften lieben, so bin ich freudig und getrost, denn ich sage die Wahrheit. Ach, durchschieße, o süßter Herr Jesu! unsere Herzen mit den feurigen Pfeilen deiner Liebe! Brich hindurch, bis in die innerste Kammer unsers Herzens! Senke dich in die Tiefe unserer Seele und mache Herz und Seele von deiner Liebe flammend und wallend!
O Jesu Christ! mein schönstes Licht!
Der du in deiner Seele
So sehr mich liebst, daß ich es nicht
Aussprechen kann, noch zählen;
Gieb, daß mein Herz dich wiederum
Mit Liebe und Verlangen
Mög umfangen,
Und als dein Eigenthum
Nur einzig an dir hangen!
Gieb, daß sonst nichts in meiner Seel,
Als deine Liebe wohne,
Gieb, daß ich deine Lieb erwähl
Als meinen Schatz und Krone!
Stoß alles aus, nimm alles hin,
Was mich und dich will trennen
Und nicht will gönnen,
Daß all mein Muth und Sinn
In deiner Liebe brennen.
393. Das Brodbröcklein.
Gotthold fand ein Stücklein Brods in seiner Stube an der Erde liegen, hob es auf und befahl, es den Hühnern zu brocken, bestrafte zugleich die Seinigen, daß sie die edle Gabe Gottes nicht besser zu Rath hielten und sagte: Ich versichere euch, daß es mir ein großer Verdruß und Widerwille ist, wenn ich das liebe Brod muß sehen unwerth halten oder sonst auch mit andern Gaben des milden Schöpfers unrathsam umgehen; denn sie haben gleichsam eine Heiligkeit bei sich und sind über Gold und Silber, über Perlen und Edelsteine zu achten, weil sie von Gott Segen und Kraft empfangen haben, den menschlichen Leib, der ein Tempel des Höchsten ist, zu ernähren und zu unterhalten. Ihr könnt jetzt nicht erkennen, wie werth und theuer ein solch Stücklein Brods zu schätzen, weil ihr beim Ueberfluß erzogen und niemals Mangel daran gehabt; allein ich weiß, daß etwa vor 30 Jahren einem von Hunger fast verschmachteten Soldaten vor eines Predigers Thür ein Stücklein Brods gereicht ward, welches er mit Freuden und thränenden Augen empfing, küßte und sagte: O du herzenliebes Brod! Gott sei Lob! daß ich dich einmal wiedersehe! berichtet darauf, daß er in vielen Wochen keines gesehen, viel weniger genossen. Zu der Zeit ward Brod von Kleien, Kaff und Eicheln gebacken, die Traber oder den Sey, wie man hier redet, haben die Leute reißend weggeholt, die Häringslacke ward häufig gekauft, das Wasser, gekochtes Kraut und Gras, Wurzeln und dergleichen damit zu salzen, die Kohlstrünke und weggeworfenen Knochen sind von den armen Kindern fleißigst aufgesucht und aus dem Gerinne aufgehoben worden, die Leute gingen schwarzgelb, grünlich, dürr, geschwollen und ohnmächtig auf den Gassen und suchten ihren Hunger zu stillen, die umgefallnen Pferde waren ihr Wildpret. Endlich hat man mit Schrecken und Herzeleid erfahren, daß ein Kind an seiner von Hunger gestorbenen Mutter Brust Nahrung gesucht und dabei verschmachtet, worauf ihm der Vater mit einem Nagel das Brüstlein eröffnet, das Herz und die Leber herausgenommen und verzehrt, doch bald darauf seinen Geist aufgegeben. Hieran gedenket, wandelt in der Furcht Gottes und versündiget euch nicht mit Mißbrauch seiner edlen Gaben! Seht, die Hühner werden die Bröcklein, die ihr unter den Füßen lasset liegen, mit Lust essen, und erinnert euch der lieben Armuth, welche die Brosamen, so von des Reichen Tische fallen, begehren, sich damit zu sättigen. Luc. 16, 21. Darum vergesset derselben nicht, daß Gott euer wieder nicht vergesse! Habt ihr etwas übrig, theilet es mit den Dürftigen, seid aller Verschwendung und Ueppigkeit von Herzen.feind und haltet dafür, daß ihr auch mit einem Stücklein Brods, wie mit einem Becher kalten Wassers, Matth. 10, 42., den großen Gott euch verpflichtet machen könnt. Mein Herr Jesu! gieb mir aus deiner göttlichen Hand mein bescheiden Theil und meinen Bissen Brods, weil ich lebe! Gieb mir auch durch deinen H. Geist ein demüthiges, weises und dankbares Herz, daß ich deine milde Güte auch im trockenen Brod koste, hoch achte und preise!
394. Der Kalender.
Gotthold ward ein Kalender, aufs künftige Jahr gerichtet, vorgezeigt; er sagte hierauf: Es ist dies ein gemein und klein Buch und steht sehr viel daraus zu lernen, wer es nur recht zu gebrauchen weiß. Was, sagte ein anderer, soll aus solchem Lügenbuch Großes zu lernen sein, ohne daß es uns Nachricht von der Zeit, von dem Zu- und Abnehmen des Mondes und der Tage giebt? Sonst erinnere ich mich, daß ein weiser Mann den Platz, welchen die Kalenderschreiber mit Beschreibung des Wetters und andern Weissagungen erfüllen, pflegte das Lügenfeld zu nennen, wie sie denn selbst auch mehrentheils gestehen müssen, daß sie zwar die Kalender, Gott aber das Wetter macht. Gotthold antwortete: Ich möchte wünschen, daß die Herren Sternseher öfters mit ihren vielfältigen Verkündigungen zukünftiger Dinge etwas an sich hielten, so möchte ihrem Gewissen vor Gott und ihrem Ansehen vor der Welt besser gerathen sein! Daß aber aus dem Kalender sonst viel guter Erinnerung zu nehmen, kann ich leicht erweisen. Erstlich betrachtet, daß die Tage nach einander in einer Reihe überwärts gesetzt werden, die Reihe pflege ich die Stufen der Ewigkeit zu nennen, denn wir steigen gleichsam von einem Tage zum andern hinab ins Grab oder hinauf zu dem Richterstuhl Christi; jemehr Tage wir vollbringen, je näher wir der Ewigkeit und dem Gerichte kommen, da wir von allen unsern Tagen und Zeiten Rechenschaft geben müssen. Findet ihr dann die Zeichen, welche das Zu- und Abnehmen des Mondes bedeuten, so gedenket, daß alles, was unter dem Mond ist, der Eitelkeit und Unbeständigkeit unterworfen, und wie der Mond, wenn er voll, nothwendig wieder abnehmen muß, also die menschliche Glückseligkeit, wenn sie in ihrer Fülle steht und aufs Höchste gestiegen, hat nichts übrig, als daß sie wieder abnehme und falle. Jener kluge Edelknabe, der bei einem spanischen Herrn in Diensten, welcher einen halben Mond im Wappen führte, schrieb zu demselben, als er es an einem Ort abgemalt fand: Nimmer voll! und gab auf Befragen, wie es gemeint sei, zur Antwort: er wünschte, daß der Glücksschein seines Herrn nimmer möchte zur Vollheit kommen, denn sonst würde das Abnehmen nicht weit sein. Und hierauf zielen auch etlicher Ausleger Meinung nach Hiobs Worte, 31, 26.: Hab ich das Licht angesehen, wenn es helle leuchtet, und den Mond, wenn er voll ging? Die falsche Weissagung laßt euch lehren, daß es nicht geht, wie Menschen wollen und meinen, sondern wie der Herr will. Die guten Kalenderschreiber bemühen sich manchmal sehr mit vielem Rechnen, Grübeln und Nachsinnen, daß sie das künftige Wetter, so gut sie können, beschreiben, müssen aber endlich gestehen, daß Gott der Oberregent des Wetters sei und sich an ihre Regeln und Rechnung nicht binden lasse; will man sie aber hierüber auslachen, so werden wir wol mehr in den menschlichen Händeln finden, das lachenswerth, maßen oft die klügsten Leute in den wichtigsten Sachen, die sie doch mit großem Witz, Fleiß und Mühe treiben, sich betrogen finden und endlich bekennen müssen, daß Gottes Handwerk sei, die Anschläge der Listigen zu nichte zu machen und den Rath der Verkehrten zu stürzen. Hiob 5, 12. 13. Die Kalenderschreiber pflegen auch etliche Tage für glückselige, etliche für verworfene und unglückselige anzugeben; dies ist ohne Zweifel ein Tagwählen und in Gottes Wort verboten; ein Christ aber hat keinen glückseligern Tag, als darinnen er seinen Willen brechen und Gottes Willen vollbringen mag, und keinen verworfneren, als welchen er durch Unvorsichtigkeit mit einer Sünde befleckt. Endlich findet man im Kalender die Namen der h. Apostel, Märtyrer, Bekenner, Bischöfe, Frauen und Jungfrauen, damit mehrentheils der Tag ihres Abschieds ans der Welt bezeichnet ist. Gedenket hierbei an das große Buch des Lebens, darinnen die Namen aller Gläubigen und Auserwählten stehen, und die Worte eures Heilandes, Luc. 10, 20.: Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind, und strebet darnach, daß nach eurem Hintritt aus der Zeitlichkeit euer Name und Ruhm, wo nicht im Kalender, doch im Gedächtniß der Gläubigen und Frommen zu finden sei. Mein Gott! ich finde es wahr, daß kein Buch so schlimm, daraus man nicht etwas Gutes lernen kann. Deine Hand hat allenthalben gute Lehren, Unterricht, Warnung und Trost angeschrieben, gieb nur erleuchtete Augen und Herzen, daß wir sie mit Nutzen und zu unserer Besserung lesen mögen
395. Der Pathenpfennig.
Es ward von einer gottseligen Matrone bei Gelegenheit ein Goldstück mit einem Ring vorgezeigt, welches sie ihr Heiligthum hieß, weil es ihr Pathenpfennig war, von einem ihrer Gevattern mit einer nachdenklichen Schrift bei ihrer Taufe geschenkt. Gotthold sagte: Ich habe dergleichen von andern gottseligen Herzen gefunden. Ein frommer Mann zu Eisenach hat seinen Pathenpfennig, der diesem gleich, bis in sein Alter verwahrt und stets zur Erinnerung seiner h. Taufe am Halse getragen; als er auch in Sterbensnoth gerathen, hat er zu dem Prediger, so um ihn war, gesagt, er wollte, wenn er nicht mehr reden könnte, auf diesen Pfennig weisen, anzudeuten, daß er sich seines Herrn Jesu, der ihn in der Taufe mit seinem Blut gewaschen und mit seiner Gerechtigkeit und Unschuld angethan, noch erinnere. Ach, wenn doch alle Christen dergleichen thäten! Es ist gewiß eine von den Ursachen des heutigen, allenthalben einreißenden gottlosen Wesens, daß des Taufbundes so gar vergessen wird. Die Eltern größtentheils wenden so viel auf das Taufmahl und die Bewirthung der Gevattern, daß der Pathenpfennig sofort verzehrt und hernach das Kind der Taufe niemals erinnert wird. Die Taufe ist der erste Eintritt zum Reich Gottes, bei dem Taufbrunnen giebt der Herr Jesus uns den ersten Kuß seiner Liebe, wie Jakob seiner Rahel. 1. Mos. 29, 11. Der Tauftag ist eines Christen rechter Geburtstag. Die alten Lehr« der Kirche haben der lieben Taufe die herrlichsten Namen gegeben, sie nennen sie das Heiligthum der Wiedergeburt, die Mutter der Kindschaft Gottes, das Kleid des Lichts, das unzerbrechliche Siegel, den Wagen des Himmels, die Freiwerberin des Reichs Gottes. Luther ist diesen gefolgt und hat aus reichem Geiste von der h. Taufe gar herrlich und tröstlich geredet: „Sie ist“, spricht er, „ein Wasser der göttlichen Majestät selbst, der seinen Namen darin gesteckt und geflochten hat, daß es mit demselben durchmengt ist, und mag wol ein durchgöttert Wasser heißen. Das Blut Christi wird kräftiglich in die Wassertaufe gemengt, daß man sie nun also nicht soll ansehen, noch halten für schlecht lauter Wasser, sondern als schön gefärbt und durchröthet mit dem theuren rosinfarben Blut des lieben Heilandes Christi, daß es nicht heiße ein gemeines Wasserbad, sondern eine heilsame Bluttaufe oder Blutbad, welches allein Christus, Gottes Sohn, selbst durch seinen eignen Tod zugerichtet hat. An der Taufe hat ein Christ sein Leben lang genug zu lernen und zu üben, denn er hat immerdar zu schaffen, daß er festiglich glaube, was sie zusagt und bringt, Ueberwindung des Teufels und des Todes, Vergebung der Sünde, Gottes Gnade, den ganzen Christum und den H. Geist mit seinen Gaben.“ Von Ludwig, König in Frankreich, mit dem Zunamen der Heilige, wird berichtet, daß er seine sonderliche Freude an dem Ort gehabt, wo er getauft worden, so daß er nicht allein öfters dahin gezogen, sich seiner Taufe zu erinnern, sondern auch oft gesagt, es wäre allhier ihm größere Ehre widerfahren, als zu S. Denis, wo er gekrönt worden; ja er hat sich in seinen Sendschreiben zu unterschreiben gepflegt: Ludwig von Poissy (so hieß seine Taufstadt). Ich habe auch von einem edlen Jüngling gefunden, daß er seinen Tauftag in seinem Kalender sonderlich gezeichnet und denselben als eines von den höchsten Festen des Jahres feierlich gehalten. Die alten und ersten Christen pflegten jährlich am Tage der Taufe Christi sich ihres Taufbundes tröstlich zu erinnern und denselben mit herzlicher Andacht zu erneuern. Lasset uns in ihre Fußstapfen treten und unsere Taufe öfters im Geist und Glauben betrachten, so werden wir befinden, daß wir daran im Leben und Sterben eine Trostquelle und Heilbrunnen haben, der nimmer versiegt. Herr Jesu! ich freue mich meiner Taufe mehr, als einer kaiserlichen Krone. Was hilfts, wenn ich ein Kaiser geboren und zum Himmel nicht wieder geboren wäre? Laß die Welt haben, was sie will, wenn ich meinen Taufschatz behalte, so bin ich wohl zufrieden.
396. Der Hund.
Gotthold hatte ein Hündlein, welches die Art an sich hatte, daß, wenn es vor einen Spiegel gehalten ward, es trefflich anfing wider sein Bild, das im Spiegel erschien, zu eifern und zu bellen. Er sagte darauf: Andere entzündet oft der Spiegel in Liebe gegen sie selbst, diesen aber in Zorn wider sich selbst; er kann nicht begreifen, daß es sein eignes Bild ist, dawider er eifert, sondern meint, es sei ein fremder Hund, welchen er so nahe bei seinem Herrn nicht leiden müsse. Ein artiges Bild des menschlichen verderbten Herzens mit der Selbstliebe. Wir klagen, zürnen und eifern oft über dies und jenes, was uns von andern zuwider geschieht, und bedenken nicht, daß mehrentheils der Fehler an und in uns selbst ist. Ein anderer macht es uns nicht recht, wir ihm auch nicht, die Kinder sind böse und reizen uns zum Eifer, sie haben die Bosheit von uns geerbt, sie sind unser Bild. Ich gedenke hiebet an die artige Erzählung eines großen Lehrers (Luther), der da spricht: „Wir lesen von einem Altvater, der mochte im Kloster nicht bleiben vor Unleiden der Reizungen, (er vermeinte, im Kloster würde er gar zu oft zum Zorn bewegt und sonst zur Sünde veranlaßt) gedachte in der Wüste mit Freuden Gott zu dienen; da er nun darinnen war, fiel ihm einmal sein Wasserkrüglein um, er richtet es wieder auf, es fiel abermal um, da ward er zornig und zerwarf den Krug in einzelne Stücke; da schlug er in sich selbst: Siehe, sprach er, ich kann mit mir allein nicht Friede haben, nun sehe ich, daß in mir das Gebrechen ist; kehrte darauf wieder in sein Kloster und lernte hinfort nicht mit Fliehen, sondern mit Absagung (und Verleugnung sein selbst) die weltlichen Begierden dämpfen.“ Nicht weniger kann uns dieses Hündlein die unartigen Zuhörer vorbilden, die mit ihrem Prediger zürnen, wenn sie bestraft werden. Es schickt sich für gottselige getreue Lehrer sehr wohl das Sinnbild jenes weisen Mannes, der einen Spiegel malen ließ mit der Beischrift: Allen gleiche Treu! Rechtschaffne Diener Christi müssen spiegelartigsein und die Leute bilden, wie sie sind. Thun sie denn das, und mancher wird seines Bildes in der Predigt gewahr, so beginnt er zu zürnen, zu eifern, zu schmähen, zu schelten und seine getreuen Lehrer anzufeinden, da sie doch mit ihnen selbst und ihren Untugenden sollten zürnen. Ich halte nichts von den Zuhörern, welche ihren Prediger nicht eben so lieb haben und so gern hören, wenn er straft, als wenn er tröstet. Der Gerechte schlage mich freundlich, spricht der königliche Prophet, und strafe mich; das wird mir so wohl thun, als ein Balsam auf meinem Haupt. Ps. 141, 5. Mein Gott! ich will bei dieser Gelegenheit lernen mich selbst hassen, mit meinen Sünden zürnen und dem von Herzen danken, der mich meiner Fehler erinnert; wenn ich das heute durch deine Gnade lerne, so Hab ich sehr viel gelernt!
397. Der Ring.
Es ward in Gegenwart Gottholds ein Diamantring von ziemlich hohem Werth besichtigt und geschätzt, und sagte eine Person, welche denselben über den Finger gesteckt hatte: Wie schön stehts doch bei einander, eine weiße schöne Hand und ein solcher Ring! Gotthold antwortete: Ihr werdet es hoffentlich nicht übel aufnehmen, wenn ich aufrichtig sage, was mir hiebei einfällt; ich habe gelesen von einer Edelfrau in England, welche, als sie nebst andern zu Tische saß und Kirschen aufgetragen wurden, deren etliche zwischen ihre zarten und weißen Finger fügte und sagte: Wie artig steht doch solch Weiß und Roth bei einander! Nicht lange aber hernach ist sie von Gott mit vielen schweren Krankheiten heimgesucht, darüber sie alles das Ihrige verzehrt und in solche Armuth gerathen, daß sie die vormals schönen, nunmehr aber gelben und verschrumpften Hände die Almosen zu bitten und zu empfahen mußte ausstrecken. Wir Menschen merken wohl, daß wir durch den kläglichen Sündenfall unsern schönsten Glanz verloren haben, so wollen wir doch glänzen und suchen uns ein Ansehen mit den leblosen und vergänglichen Dingen, mit Edelsteinen, Perlen, Gold und Silber zu machen. Allein was hilfts, wenn der Leib äußerlich mit solchen Dingen geschmückt scheint und prangt, die Seele aber mit Finsterniß der Sünden umgeben ist? Was hilfts, wenn ein Diamant am Finger oder ihrer viele in einer Rose gefaßt auf der Brust spielen, wenn nicht Jesus in unsern Herzen wohnt, herrscht und leuchtet? Ein unwiedergeborner Mensch, der einen solchen Ring an der Hand trägt, kommt mir vor wie das Johanniswürmlein, welches von der Natur mit einem solchen Bläslein versehen ist, das im Finstern wie ein Licht scheint. Ich habe ihrer einmal etliche in ein Glas zusammen gebracht, daran ich bei Abendzeit meine Lust sah. Ob nun zwar dieses Würmlein an einem Ende seines Leibes leuchtet, so ist es doch nur ein Wurm, und sein Glanz ist nur im Finstern, nicht aber, wenn die Sonne scheint, zu erkennen. So ist es mit den Menschen auch, die den Glanz am Finger und auf dem Haupt oder sonst trügen, sie bleiben doch Menschen, Erde und Asche; in der Welt haben sie etwas Ansehen, vor Gott aber gilt solch Ding nicht. Um die beringeten schönen Finger werden sich dermaleinst die Würmer winden. Jene Fürstin, als sie in ihrem Letzten lag und ihrer Ringe an den Händen gewahr geworden, gab sie stracks von sich und sagte: Ach, mit den garstigen Ringen! Christus ist besser, denn aller Welt Gut. Hieran lasset uns gedenken und nicht mit solchen vergänglichen Dingen prangen; lasset uns darnach streben, daß wir erfahren und empfinden, was der h. Apostel sagt: Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbige Bild von einer Klarheit zur andern als vom Geist des Herrn. Angleichen: Gott hat einen hellen Schein in unser Herz gegeben. 2. Cor. 3, 18. 4, 6. Herr Jesu! mein Herz soll ein Ring und du mein Diamant sein. Ich will alles weltlichen Glanzes gern entbehren, wenn du nur in meinem Herzen scheinst! Ich kann mich nicht enthalten, mit jenem deinem Liebhaber (Galeazzo Caraccioli Markgraf von Vico) nach tiefer Betrachtung deiner Liebe auszurufen: Verdammt müssen sie sein mit ihrem Gelde, die alles Gold der Welt einer Stunde der Gemeinschaft und Genießung des Herrn Jesu werth achten!
398. Der Blumenhandel.
Es hatte ein vornehmer Mann aus Holland etliche viele Tulpenzwiebeln lassen bringen und, wie einer, der es erzählte, meinte, viel Geld dafür gegeben. Gotthold sagte: Gewiß doch so viel nicht, als man etwa vor fünf und dreißig Jahren dafür ausgezahlt, da ein Garten in Niederland mit seinen Blumen auf siebenzigtausend holländische Gulden geschätzt worden. Damit ihr aber hievon etwas eigentlicher Nachricht haben mögt, so leset, was in diesem Büchlein hievon zu finden, (es war die verschmähte Eitelkeit und verlangte Ewigkeit von Risten) in der 20. Betrachtung nämlich, daß man im Jahr 1636 für das Geld, womit man eine einzige Tulpenpflanze oder Zwiebelbolle, wie die Blumenliebhaber sonst reden, bezahlte, nämlich 3000 Gulden, unterschiedliche hochnöthige Waaren hat einkaufen können, nämlich für eine einzige Blume, die nicht vier Wochen in ihrer Blüthe steht, vier Last Roggen, zwei Last Weizen, vier fette Ochsen, acht starke Schweine, zwölf fette Schafe, zwei Tonnen Butter, tausend Pfund Käse, zwei Oxhofte Franzwein, vier Tonnen des besten Biers, ein Bett mit aller Zugehör, ein gut Paar Kleider und ein fein silbern Trinkgeschirr, welches alles (jedoch die Fracht oder Fuhr zu Wasser mit hinzu gerechnet,) sich netto auf 3000 Gulden beläuft, gestalt solches dazumal durch öffentlichen Druck der ganzen Welt, über eine solche unerhörte Eitelkeit zu urtheilen, nicht unbillig ist vorgestellt worden. Gehet nun hin und beschwert euch über mich, wenn ich pflege zu sagen, die Welt sei eine Närrin in ihrer größten Klugheit. Ich halte nicht, daß sie eine größere Thorheit begehen könne, als sie diesmal gethan hat. Es scheint auch, daß der gerechte und heilige Gott zuweilen solch Ding verhängt und der Welt auf eine Zeit einen Schwindel und Schlafgeist giebt, ob sie, wenn sie wieder nüchtern wird und sich besinnt, wollte erkennen, daß all ihr Thun mit Eitelkeit und Narrheit versiegelt ist, und demnach sich um die rechte und göttliche Weisheit und unvergänglichen Güter bekümmern. Lasset uns aber nicht meinen, daß diese Thorheit jetzt aufgehört hat; zwar auf Blumen wendet man jetzt so viel nicht, doch kann nicht geleugnet werden, daß andere Dinge, die nicht weniger, als die Blumen, der Eitelkeit unterworfen sind, noch theuer genug bezahlt werden. Man bedenke, was auf den vornehmsten Messen das meiste Geld bringt, nämlich Edelsteine, Perlen, Ketten, Ringe, Sammt, Seide, neue Arten von Zeug, Knöpfe, Bänder, Schildereien, u. dgl., davon das wenigste zur Nothdurft, das mehrste aber zur eiteln Pracht und Phantasti gehört, und dieses erhellt am meisten daraus, daß, was man vor 2, 3 Jahren als eine nette wohlanständige Tracht und zierliches Zeug beliebt hat, das wird jetzt als närrisch verachtet, und was man jetzt hoch hält, das wird über ein paar Jahre wieder verachtet sein. So ist nun die Welt in ihrem Alter kindisch geworden und weiß die alte Närrin nicht mehr, was sie thut; sie weiß eben so wenig, als die Kinder, wenn sie zu Markt kommen, ihr Geld anzulegen, so daß, wenn jetzt Demokritus, der schon zu seiner Zeit der Welt Eitelkeit mit stetigem Lachen verschmäht hat, aufstände, er sich zu Tode lachen würde. Nun lauf hin, Welt, und narre immerhin, bis du müde wirst. Mein Gott! ich danke dir, daß du mir die Gnade gegeben, solche Thorheit zu sehen! Ich will die ganze Welt wie einen Distelkopf achten, wie sie auch ist, so werde ich mich in sie nicht verlieben.
399. Das Reisen.
Es redete ein Vater mit Gotthold, der seinen Sohn eine Weile auf hohen Schulen unterhalten hatte, daß er nunmehr Willens wäre, denselben reisen zu lassen, und daß er zuerst in Frankreich, hernach auch nach Wälschland, England und in die Niederlande gehen sollte, und bat deshalb ihn mit ins Gebet zu nehmen. Gotthold antwortete: Ich gestehe, ihr habt Ursache, nicht allein selbst für euer Kind bei solcher Gelegenheit eifrigst zu beten, sondern auch anderer frommen Herzen Fürbitte zu Hülfe zu nehmen. Ich will nicht in Abrede sein, daß das Reisen durch fremde Lande, wenn es mit heiliger Vorsichtigkeit in der Furcht Gottes geschieht, seinen großen Nutzen hat und erfahrne, kluge Leute macht. Die Alten haben gesagt, die Weisheit wäre wie der Honig, welchen die Imme aus vielen Blumen zusammen trägt und oft von Weitem holt; die Wasser, so durch viele Steine und Schrotfand ihre Gänge haben und über viele Kiesel rauschen, hält man für die lautersten und besten; also legt mancher durch das Reisen und durch den Umgang mit tapfern, höflichen und klugen Leuten, ingleichen durch viele widrige Begegnisse, so einem auf Reisen aufstoßen, viele Unart ab. Ein Kraut, das in einem schattigen, finstern Ort und im Keller wächst, hat die Art nicht wie ein anderes, das unter freiem Himmel steht und mit Sonnenschein, Regen, Wind und rauher Luft wechselsweise vorlieb nehmen muß. So läßt sich der Unterschied unter einem, der zu Hause hinterm Ofen stets gesessen, und einem andern, der gereiset hat, bald wahrnehmen. Allein, wenn ich das Reisen bei dem heutigen Zustand der Welt, sonderlich in den Landen, davon ihr mir gesagt, betrachte, so weiß ich fast nicht, ob einer mit gutem Gewissen und ohne Abbruch seines Christenthums selbst reisen oder die Seinigen reisen lassen könne und ob nicht besser sei zu Hause bleiben und Gott und seinem Nächsten in der Stille und Einfalt dienen, als viele Länder durchreisen und ein atheistisch, gottloses Herz und gekränktes Gewissen mit zu Hause bringen. Es sagte einmal ein weiser Mann, der auch viel gereiset hatte: er hätte nichts von seinen Reisen, als einen leeren Beutel, verderbten Magen und verletztes Gewissen. Was ist die Welt heutiges Tages fast anders, als eine allgemeine Wechselbank, in welcher Geld die Losung ist; der Eigennutz, die Gewinnsucht, spricht der kluge Niederländer, ist gleich dem fünften Evangelio des verbannten (irrigen, rasenden) Christenthums, der große Abgott der Welt, welchen viele Tausend ehren und anbeten. Wo nun ein Reisender hinkommt, da wird er nicht geachtet nach der Tugend seines Gemüths, sondern nach der Schwere seines Beutels; er wird nicht geliebt, geehrt, bedient, sondern sein Geld, und würde mancher stolze Ausländer die deutsche Bestie nicht ansehen, wenn sie nicht Geld hätte. Die Welt ist ein großes Wirthshaus, darinnen der Teufel der Wirth und viele gottlose Menschen die Gäste sind. Was ist die heutige Welt? was sind die fremden Länder und meisten Städte, als eine große Werkstatt der Bosheit, ein allgemeines Hurenhaus, eine Schule des Satans, darinnen der Atheismus und allerlei lose Händel gelehrt und gelernt werden? Wie ein Schaf nicht kann unter den Dornen- und Klettenbüschen weiden, daß es nicht sollte Wolle lassen und voller Kletten werden, so kann jetzt schwerlich ein junger Mensch reisen, daß er nicht sollte geärgert, verführt, betrogen und verderbt werden und eine mit Sünden beschwerte Seele mit zu Hause bringen. Darum, weil euer Sohn ja reisen soll, so gedenkt, daß ihr ein Schaf mitten unter die Wölfe sendet, und betet desto heftiger und eifriger für ihn. Unterlasset auch nicht, ihn mit ernstlichen und sehnlichen Worten in allen Briefen zur Gottesfurcht und Beobachtung seines Taufbundes und seines Gewissens zu ermahnen. Mein Herr Jesu! ich reise täglich durch die Welt zum Himmel, wo mein rechtes Vaterland ist; begleite du mich, und hilf mir durch! ich wills dir danken in Ewigkeit.
400. Der Schluß.
Mein Gott! ich schließe dies Werklein, wie ichs angefangen, im Namen Jesu! Sind gute Gedanken darinnen, so sinds Funken deines himmlischen Lichts, und soll die Flamme nirgends hin, als zu dir sich wenden, nach dir sich sehnen. Dir gebührt alle Ehre, aller Ruhm, alles Lob! und weil ich sehe, mein Vater! daß ich für alle deine Güte, die du mein Leben lang mir erzeigt, dich zu loben allein nicht genugsam bin, so hab ichs versuchen wollen, ob ich ein und ander Herz erwecken und durch Vorlesung dieser Andachten aufbringen könnte, daß sie nebst mir dich, glorwürdigsten, liebreichsten, gütigen, barmherzigen, allein weisen, gerechten und heiligen Gott, preisen möchten. Das wollte ich auf gewisse Maße für das Meine halten, als der ich mit meinen Funken auf einem fremden Altar dir ein Opferfeuer angezündet. Ach, mein Gott! wenn ich dich mit hunderttausend Zungen und Herzen loben möchte und zwar in alle Ewigkeit, es würde nicht zu viel sein, du hast ein weit mehreres an mir allein verdient. Laß, mein Vater! diese Schrift dich loben oder vielmehr eine Bezeugung sein, wie gern ich dich loben, dein Lob ausbreiten und deine Güte aller Welt bekannt machen wollte, und das nicht allein, weil ich lebe, sondern auch nach meinem Tode. Ist aber etwas, mein Gott! das ich nicht mit so heiliger Andacht beherzigt, mit solcher demüthigen Furcht geschrieben und mit so inniglicher Liebe andern mitgetheilt habe, als es deine glorwürdigste Majestät und meine schuldigste Pflicht erfordert, so verzeihe mir es gnädiglich und gedenke, daß auch die heiligsten Gedanken von sündlichem Herzen erwogen, die Worte von einer menschlichen Zunge ausgesprochen und die Feder von einer unreinen Hand geführt worden. Ich bin aber und bleibe, mein Gott! dein Knecht bis an mein Ende.