Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - Das andere Hundert.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - Das andere Hundert.

101. Der Morgenstern.

Als Gotthold bei früher Tageszeit sah den Morgenstern in seiner schönen Pracht daher traben, dachte er bei sich selbst: nun wüßte ich nicht, ob nicht ein halb viehisches Herz über diesen so lieblich hellen Stern erstaunen würde, wenn es denselben zuvor nie gesehen und wahrgenommen hätte. Man sagt oft und zuweilen fälschlich von neuen Wundersternen. Mich däucht dieser Stern, so oft ich ihn erblicke, einen neuen und größern Glanz überkommen zu haben und ein sonderliches Wunder des Himmels zu sein. Ich erinnere mich aber billig deiner dabei, mein allerschönster Herr Jesu! weil du dich selbst einen hellen Morgenstern nennst. Offenb. 22, 16. Der Morgenstern ist nicht feuerroth, wirft auch nicht mit funkelnden Flammen um sich, sondern sein liebliches hellweißes Licht spielt so anmuthig mit den allerschönsten silberhellen Strahlen, daß man sich daran nicht satt sehen kann. Also bist du, mein Herr Jesu! nicht stürmisch, unbarmherzig und zornig, sondern bestrahlst uns mit dem Glanz deiner göttlichen unbegreiflichen Liebe so süßiglich, daß nur der dich nicht liebt, der dich nicht kennt oder kennen will. Meine Seele wird nicht müde, dich anzuschauen, weil sie niemals an dich gedenkt, daß sie nicht ein sonderliches Trostlicht in sich verspüren sollte. Wenn der Morgenstern aufgeht, so ist der Tag nicht weit; also, wenn du, mein Herr Jesu! mein Herz erleuchtest, so wird es Tag; die Finsternisse der Sünde, der Unwissenheit und Traurigkeit verschwinden, und der Tag des Heils giebt mir Licht und Freudigkeit, vor dir auf dem Wege des Friedens und der Gottseligkeit zu wandeln. Mancher sagt, er habe keinen Stern oder Glück, ich sage: ich habe einen trefflichen Stern am Himmel, der mir sonderlich wohl will, und das bist du, du heller Morgenstern, Herr Jesu! Und von dir hab ich Glück, Segen und Heil zu allem und in allem, was ich in deinem Namen angreife und vornehme.

Was ist’s, o Jesu! das ich nicht
An deiner Liebe habe?
Sie ist mein Stern, mein Sonnenlicht,
Mein Quell, da ich mich labe,
Mein süßer Wein, mein Himmelsbrot,
Mein Kleid vor Gottes Throne,
Mein, Krone,
Mein Schutz in aller Noth,
Min Haus, darin ich wohne.

102. Die Hopfenrebe.

Gotthold kam in einen Hopfengarten und sah mit Lust an, wie sich dies schlanke und schwache Gewächs so artig um die zugesteckten Pfähle gewunden und bis über dieselben freudig hinaufgestiegen war. Bald dachte er, warum doch dem allweisen Schöpfer aller Dinge möchte beliebt haben, solche und dergleichen Gewächse, die zu ihrem Aufkommen fremder Hülfe und Stützen bedürfen, als den Weinstock, das Epheu, die Erbsen, die Kürbisse und andere mehr zu erschaffen? Ohne Zweifel, sprach er, ist’s auch darum geschehen, damit ich aller Orten eine Erinnerung meiner Schwachheit finden möchte. Diese Gewächse haben keine Art und fruchten nicht, wo nicht ein Pfahl ihre Schwachheit unterstützt. So ist’s mit meiner Seele, die mit tausenderlei Schwachheiten umgeben ist. Die Sünde macht mich schwach, die Traurigkeit macht mich schwach, die äußerliche und innerliche Anfechtung macht mich schwach, und wie wollt ich bestehen und gen Himmel wachsen können, wenn nicht Gottes Kraft und der Pfahl des Kreuzes Christi Jesu mich unterhielte? Diese Gewächse haben eine natürliche Art, eine Stütze zu suchen, wie man sie denn zuweilen so weit an der Erde kriechen und sich so lange sehnen sieht, bis sie etwas ergreifen, darum sie sich winden mögen; sie sind auch zum Theil von der Natur mit Haftlein und zarten Bändern versehen, mit welchen sie sich befestigen und selbst an ihren Unterhalt anknüpfen; also fühle ich in mir den innerlichen Trieb des H. Geistes, welcher mich meiner Schwachheit stets erinnert und mich in Bußfertigkeit und Demuth nach Gottes Gnade und des Herrn Jesu Kreuz sehnen macht; meine Häftlein und Bande sind meine gläubigen Seufzer, mit welchen ich den Unterhalt und Grund meiner Seligkeit, Christum Jesum, ergreife, und also bestehe ich, wie schwach ich bin, auch wider die Macht der Höllenpforten.

O allerliebster Jesu mein!
Mein'r armen Seel Hoffnung allein
Mein Herz liebt dich ganz inniglich,
Mein Seele windt sich fest um dich
O Jesu voller Ehren!
Du stärkster und freundlichster.
Du süßester, du liebster Herr!

103. Der langwierige Regen.

Es fiel ein sehr ungestümmes und langwieriges Regenwetter ein, so daß man auch ohne Unlust aus der Thür nicht wohl sehen konnte; darüber wurden ihrer viel ungeduldig und war nichts gemeiner, als daß man über das böse Wetter klagte. Gotthold sagte: Was böses Wetter? Wer ist böser, als wir gottlose, böse Menschen, die wir in Bosheit geboren und erzogen werden, in Bosheit erwachsen und, wenn es Gottes Güte nicht verhütet, in Bosheit sterben? Glaubet mir, daß es eine nicht geringe Sünde sei, wenn man dem lieben Gott sein Wetter meistert und er uns dasselbe nie gut genug und zu Dank machen kann. Wenn wir uns erinnern, wie wir es machen, so werden wir bald vergessen, über das Wetter zu murren, und dem frommen Gott danken, daß er nur Wasser und nicht Feuer und Schwefel über uns regnen läßt. Mein Gott! ich danke dir, daß du mir eine Hütte beschert, unter deren Dach ich kann vor solchem Ungewitter sicher und trocken sitzen; ich danke dir, daß du mir auch so viel Vorrath zur leiblichen Nothdurft gegönnt, daß ich in solchem Gewitter nicht darf hie und da nach Brod gehen. Mein getreuer Gott! sollte etwa nach deinem allzeit guten Willen auch ein Ungewitter über meine Seele kommen, so weiß ich nirgends hin, als zu dir, zu dem Gezelt und Hütte deiner Gnade und Barmherzigkeit, denn du deckst mich in deiner Hütte zur bösen Zeit und verbirgst mich heimlich in deinem Gezelt. Ps. 27, 5. Unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis daß das Unglück vorübergehe. Ps. 57, 2. Du wirst denn lassen zu seiner Zeit nach dem Ungewitter die Sonne wieder scheinen und nach dem Heulen und Weinen uns mit Freuden überschütten. Tob. 3, 23.

104. Der geblendete Vogel.

Gotthold kam in eine Stube, darinnen unterschiedliche Vögel zur Lust unterhalten wurden, unter welchen auch eine Nachtigall, die in einem mit grünem Tuch bezogenen Käsig saß, und dann ein Finke, der geblendet war, welche, wie der Wirth sagte und die Erfahrung bezeugte, es allen mit fröhlichem und lieblichem Singen zuvor thaten. Dies ist wol, sagte Gotthold, ein eigentliches Bild eines andächtigen Beters, der mit seinem lieben Gott kindlich und kühnlich reden und ihm mit fröhlichem Munde für seine mancherlei Wohlthaten danken will. Es gehört dazu eine einsame und stille Seele, welche nicht allein einen verborgnen abgelegenen Ort erwählt, da sie von äußerlichen Begebenheiten nicht geirrt, sondern die auch sich von ihren eignen Gedanken, Sorgen und Willen entziehen und sich mit kindlichem Vertrauen und christlicher Zufriedenheit in Gottes Willen ergeben kann. Wie selig ist der, dessen Seele beim Gebet geblendet ist, daß sie nichts sieht, als Gottes Güte und Barmherzigkeit! die betet, singt und seufzt, daß Gott und alle h. Engel mit Lust zuhören. Es kommt uns zwar anfangs wunderlich vor, daß wir so gar nichts in der Welt vertraulich ansehen sollen, und denken, was will daraus werden, allein die Erfahrung bezeugts, daß niemand schärfer sieht und lieblicher singt, als der von der Welt abgesondert, in stiller Einfalt, mit verschlossenen Augen der Vernunft fein Herz auf Gott gerichtet hat. Mein Gott, blende mich, daß ich sehen möge! sondere mich von der Welt, daß ich bei dir sein möge!

105. Der Kranke.

Gotthold sah einen kranken Menschen, der große innerliche Angst empfand, wie es die häufigen Schweißtropfen an seinem Gesichte bezeugten, sehr unruhig in seinem Bette sich wälzte, welches er auch oft genug verwechselte, und sich von einem Ort zum andern tragen ließ mit vergeblicher Hoffnung, Linderung und Ruhe zu finden. Er seufzte hierüber und dachte bei sich selbst: wie ist’s doch so gar vergeblich, wenn man ein innerliches Anliegen und Beschwerung mit äußerlichen, stets gewechselten Mitteln zu heben gedenkt! Diesem guten Menschen wäre nichts besser, als wenn er sich selbst zwingen und in Geduld und Stillesein Ruhe erwarten könnte. Es geht aber oft mit unserm Seelenanliegen nicht anders zu. Ein betrübtes und beängstigtes Gewissen und ein Herz, von den Pfeilen des Allmächtigen getroffen, sucht oft auch Ruhe in der Unruhe, es macht sich allerlei zu thun, es sucht äußerliche Lust zur Vertreibung der innerlichen Unlust. Als wie ein Hirsch vom Jäger angeschossen, durch Busch und Hecken, über Stock und Stein rennt, womit er zwar sich völlig abmattet, aber die tödtliche Kugel aus seinem Leibe nicht bringt, so bezeugt oft die Erfahrung, daß die verletzten Gewissen von einem Ort zum andern laufen und dennoch allezeit die gefährliche Wunde behalten. In solchen Fällen ist nichts besser, als die stille Geduld und das prophetische Wörtlein: Ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt. Mich. 7, 9. Seufzen, Winseln, Weinen ist nicht verboten; Ungeduld aber und unruhiges Laufen macht übel nur ärger. Mein getreuer Gott! sollte nach deinem gnädigen Willen auch meine Seele solche Angst befallen, so gieb, daß ich stille sei in dir, der du mir hilfst. Ps. 62, 2. Mein Herr Jesu! auf dein Wort, wenn ich mühselig und beladen bin, will ich zu dir kommen, bei dir werde ich die gewisseste Ruhe finden. Matth. 11, 28. 29 Soll ich denn ja laufen, so will ich als ein weinendes Kind hinter dir herlaufen. Ich will zu dir, mein Gott! rufen, und du, Herr! wirst mir helfen. Des Abends, Morgens und Mittags, will ich klagen und heulen, so wirst du meine Stimme hören und meiner Seele Ruhe schaffen. Ps. 55,17. 18. 19.

106. Der Irrweg.

Als Gotthold mit einem guten Freund über Land gereist, hat sie bei neblichtem Wetter die stockfinstre Nacht übereilt, da es denn bald geschehen, daß sie des rechten Weges verfehlt und auf einen andern gekommen sind, welcher, wohin er sie endlich bringen würde, sie bei so gestalteten Sachen nicht wissen konnten. Bald kam das dazu, daß ihnen am Wagen etwas zerbrach, welches sie kümmerlich genug wieder ergänzen mußten; wenn sie einen Baum sahen, meinten sie, es wäre ein Thurm, ein Gebüsch hielten sie für ein Dorf und also fuhren sie mit großem Verdruß zwischen Furcht und Hoffnung, bis sie endlich ein Dorf erreichten. Gotthold sagte: Nehmet hiebei wahr, was für ein Unterschied sei zwischen dem, der in seinem Beruf Fuß hält und einem andern, der fürwitzig ist und aus dem Wege seines Berufs sich verleiten läßt. Jener, wenn ihm schon ein und anderer Unfall zu Handen stößt, wenn er aus einer Pfütze in die andere kommt, wenn ihn schon die Nacht der Trübsal überfällt, so denkt er doch stets: so ist’s dennoch der rechte Weg, welchen zu wandeln mich mein Gott berufen hat, und kann’s nicht fehlen, er wird mich dennoch endlich dahin bringen, wo ich’s wünsche, und in diesen Gedanken überwindet er mit standhafter Geduld alle Widrigkeit. Der andere aber, welchem sein Gewissen sagt, daß er zur Seite abgewichen und mehr zu verrichten gesucht, als ihm befohlen war, sobald ihm ein Unfall zu Handen kommt, läßt den Muth sinken, wird überdrüssig, voller Sorge und Furcht, und, weil er nicht weiß, was sein irriges Vornehmen für einen Ausgang gewinnen will, hat er Zeit, seine Thorheit zu bereuen und Gott um Hülfe anzuflehen; darum laßt uns stets eingedenk verbleiben der Erinnerung des weisen Mannes“ der da sagt: Was Gott dir befohlen hat, deß nimm dich stets an, denn es frommt dir nichts, daß du gaffest nach dem, das dir nicht befohlen ist, und was deines Amts nicht ist, da laß deinen Fürwitz, denn dir ist vor mehr befohlen, weder du kannst ausrichten. Sir. 3, 22. ff.

107. Der Schneeball.

Etliche Knaben hatten zur Winterszeit einen Schneeball gemacht und denselben bei gelindem Wetter so lange herumgewälzt, daß er endlich sehr groß und ihnen weiter fortzubringen zu schwer geworden. Hier hab ich, sagte Gotthold, ein artiges Bild der menschlichen Sorgen; die sind oft gering und klein, durch Ungeduld und Unglauben aber machen wir sie so groß, daß wir sie nicht weiter bringen können. Mancher wälzt sein Anliegen bei Tag und Nacht in seinen Gedanken herum und wie diese Knaben von ihrer Mühe nichts anders haben, .als, daß die Vorübergehenden sehen können, daß Kinder da gespielt haben, also hat er nichts davon, als einen wüsten Kopf und mehr betrübtes Herz, als vorhin. Wir wollen oft Gott die Ehre nicht lassen, daß er für uns sorgen soll, sondern, als wäre er zu schläfrig und nachlässig, bringen wir unsere Thorheit seiner Weisheit zu Hülfe. Als wie ein Kind, wenn es den Vater die Sorgsäulen setzen und einen Seufzer nach dem andern lassen sieht, sich auch so geberdet und doch nicht weiß, was es bedeutet, so machen wir es oft mit dem frommen Gott und wollen kurzum mitsorgen, ob wir wohl weniger, als nichts ausrichten und nur ihn erzürnen, daß, da er den Schooß seiner Barmherzigkeit offen hält und heißt uns alle Sorgen kühnlich dahinein werfen, wir ihm dennoch nicht trauen wollen. Mein Gott! du hast das Auge gemacht und solltest nicht sehen? Du hast das Ohr gepflanzt und solltest nicht hören? Du hast das Herz erschaffen und solltest nicht sorgen? Ich will mein Anliegen nicht weiter, als zu dir wälzen, oder, wenn ich dies nicht vermag, will ich dich in mein Herz führen und dir mein Anliegen, das mir zu schwer ist, zeigen, du wirst dann wissen, wie du heben sollst, was ich nicht heben kann.

108. Die Rose.

Es sagte einer, als er die Rosen im Mai in ihrer schönen Pracht stehen sah: Diese Blume hat der H. Geist selbst zum Bilde der gläubigen Seele gebraucht, weil, wie die Rose mit Dornen, also die Seele mit Trübsal umgeben ist. Gotthold antwortete: Ihr redet wohl und werdet es auch zuweilen erfahren haben, was es für Dornen sind, die ein christliches Herz zerreißen und ängsten. Sonst berichtet man von den Rosen, daß sie ungleich wohlriechender werden sollen, so man unsern von ihrem Stock den starkriechenden Knoblauch pflanzt; ist nun dem also, so hat man gar sein daran zu ersehen, was ein böser Mensch und unverschämter Verleumder einem ehrlichen und gottseligen Manne frommen könne. Fürwahr, mancher würde einen solchen weitschallenden Ruhm nicht haben, wenn ihm nicht seine Verleumder, auch wider ihren Willen, dazu verhelfen hätten. Denn wenn einer sehr schwarz gemacht und verlästert wird, so halten es ehrliche Herzen (denen ihr ehrlicher Name über alle Schätze der Welt theuer ist und um desto schwerer dazu zu bringen sind, daß sie von einem andern liederlich etwas Unehrliches glauben sollten) also, daß sie des Aussagers Person, Gestalt, Geberden, Gemüthsneigungen wohl beobachten und dann auch um den Besagten mehr, als sie sonst wol gethan, bekümmert sind, da denn endlich eine Rose eine wohlriechende schöne Blume und der Knoblauch ein stinkendes Gewächs, ich will sagen, der Fromme ehrlich und lieb, der Verleumder aber schändlich und verhaßt bleibt. Zudem so übt ein Lästerer eines Frommen Geduld, zeigt ihm, wie boshaftig der Teufel ist, verleidet ihm die Welt, giebt ihm Anlaß zur Demuth und Erkenntniß seiner Sünden, reizt ihn, die vorgeworfenen Laster zu fliehen und im Gegensatz den Tugenden nachzustreben, und am Ende mit einem jeden Schmähworte wirft er eine Perle und Edelstein ihm zu, welche dermaleins seine Krone im Himmel zieren sollen. Und das ist’s, was der König sagt: Herr, wenn du mich (durch Schmach und Verfolgung) demüthigst, so machst du mich groß (und setzest mich zu Ehren). Ps. 18, 36. Mein Gott! du lässest denen, die dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Röm. 8, 28. Nun kann ich nicht sagen, daß ich dich liebe, mein Gott! das aber kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich dich gerne lieben und, wenn ich aller Engel und Menschen Liebe zugleich in mein Herz fassen könnte, dieselbe auf dich allein verwenden wollte. So laß nun, mein Vater! mir auch meiner Feinde Schmach zum Ruhm und ihren Fluch zum Segen gedeihen.

109. Die Kleidung.

Es begegnete Gotthold, als er mit einem andern spazieren ging, ein junger Mensch nach der jetzigen Welt Art so bunt und wunderlich gekleidet, daß er sich nicht enthalten konnte, ihm, als er vorbei, nachzusehen und mit Seufzen zu sagen: Hilf, gerechter Gott! was will doch endlich aus dieser Nachsichtigkeit werden! Wie kommt’s doch immermehr, daß nunmehr die Welt ihre Ehre in der Schande und ihre Weisheit in der Thorheit sucht? Ich denke oft daran, was dorten der H. Geist von der Königin Berenice sagt: sie sei aufgezogen gekommen mit großer Phantasei. Apostelg. 25,23. Ich meine ja, die Welt zeucht jetzt daher mit großer Phantasei. Und was am meisten zu beklagen ist, niemand hält es fast für eine Sünde, daß man also sich verlarvt und dieser Welt gleich stellt. Sollte es denn, sprach der andere, um die wandelbare Kleidung so ein sündliches Wesen sein? Gotthold antwortete: Die Kleidung an sich gehört zu den Mitteldingen, die einen Menschen vor Gott weder fromm und beliebt, noch sündlich und verhaßt machen, allein das Kleid zeigt den Mann und das Herz. Meint ihr nicht, daß mancher Mensch in seinem prächtigen und nach der neusten Mode gemachten Kleide sein eigner Abgott ist? Er zieht daher voll Ueppigkeit und Uebermuths und meint, es habe niemand mehr Ansehen, als er; da kann ihm niemand den Hut zeitig genug abziehen, niemand ihn demüthig genug grüßen, wenn er schon niemanden eines recht freundlichen Wiedergrußes und Danks würdigt. Also wird der alte Mensch, welchen wir sammt seinen Lüsten und Begierden kreuzigen sollen, Gal. 5, 24., fein warm zugedeckt, köstlich angethan und als ein Götze geehrt; also wird der dürftige Nächste verachtet und verlassen, die Mittel, so uns dem Nächsten damit auszuhelfen gegeben sind, werden verschwendet, das gepredigte und angehörte Wort wird unter solchen Dornen erstickt, die Liebe zur Welt: Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Leben, 1. Joh. 2, 16., gemehrt und das Aergerniß allenthalben gehäuft. Jener sagte weiter: Ich will dennoch hoffen, daß manches gottselige Herz ist, welches unter einem hoffärtigen Kleide einen demüthigen Geist verdeckt und mehr wider seinen Willen von der Welt als einem gewaltigen Strom mit fortgerissen wird, als daß es in solcher Thorheit einige Ehre oder Beliebung suchen sollte. Wohl, fuhr Gotthold fort, das werd ich nimmer leugnen; die Gottesfürchtige!! kleiden sich also, daß sie ihrer Kleidung, wenn sie die Ehren halber anziehen müssen, vergessen und nur ihrer Nichtigkeit in Demut!) sich erinnern, die Gottlosen aber so, daß sie ihrer selbst vergessen und nur an ihrer Kleidung in Hoffart sich vergaffen. Wer ein Herz hat, das im Geist sich stets dem allgewaltigen Gott zu Füßen wirft und in kindlicher demüthiger Furcht wandelt, den armen Christum mit seinem einigen Rock in seinen dürftigen Gliedern nicht verachtet und alle Stunde bereit ist, seine schönsten Kleider, wenn es Gott gefällt, mit einem geflickten Rock oder mit dem Sterbekittel zu vertauschen, der kann wol ein kostbares Kleid ohne Sünde tragen; wie aber die Weltkinder mit ihrer weitschweifigen mancherlei Phantasei durch die enge Pforte, die zum Leben führt, kommen werden, das mögen sie, wenn sie nicht anders wollen, erfahren. Mein Gott! gieb mir, weil ich lebe, Nahrung und Kleidung nach Nothdurft! Muß ich Amts- und Ehren halber etwas Uebriges tragen, so entzeuch mein Herz davon, daß es dessen nicht einmal gewahr werde. Ich bin doch nackt auf die Welt gekommen und muß nackt wieder dahin fahren. Mein bester Schmuck ist in dir, mein Herr Jesu!

Dein Blut und dein Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich soll in den Himmel zehn.

110. Der Hund.

Gotthold sah einen Hund bei sich hinschleichen, welcher einen Knochen im Munde trug und, als er ganz fleißig sich umsah und etlichemal lauschend stehen blieb, konnte er leicht erkennen, daß er solchen übrigen Bissen, wie der Hunde Gewohnheit ist, zu verscharren willens wäre, welches auch bald erfolgte. Hiebei gedachte er an das Wort des weisen Mannes, der da spricht: Einem Lauser steht’s nicht wohl an, daß er reich ist, und was soll Geld und Gut einem kargen Hunde? Sir. 14, 3. Dieser Hund, sagte er ferner bei sich selbst, hat etwa ein Stücklein erübrigt, oder hat bei bevorstehendem Ungewitter (wie man dafür hält) keinen Appetit, solches zu verzehren, gönnts aber doch einem andern nicht, sondern will’s lieber vergraben und vergessen. So sind die Geizigen gesinnt, die ihren gesammelten Vorrat!) für sich und andere verschließen. Ich hätte nicht gemeint, daß Leute in der Welt wären, welche ihren Schah in die Erde verscharren und auch im Todbette, wie fleißig sie auch darum befragt werden, ihn lieber vergraben sein, als andern gönnen und lassen wollen, wenn ich nicht Exempel erlebt hätte. Das sind wol rechte Hunde, denen aller Welt Gut nichts nützen würde, die auch, welches schrecklich ist, in die Stadt Gottes nicht eingelassen werden. Offenb. 22,15. Ach, mein Gott, du einiger Gott! behüte mich, daß ich nicht aus den zeitlichen Gütern mir einen Neben- und Abgott mache, der mich gewiß von dir ab und neben der Seligkeit hinführen würde; was zeitlich ist, das gehört für die Welt, ihr damit zu dienen. Wohl dem, der mit dem Vergänglichen zum Ewigen handeln und wuchern kann.

111. Die Ruderknechte.

Gotthold sah etliche Schiffsleute in ein Boot treten, um über einen schiffreichen Fluß zu setzen, da denn ihrer zwei sich an die Ruder machten und gewohnter Art nach den Rücken nach dem Ufer. wandten, da sie hin zu kommen gedachten; einer aber blieb am Steuer stehen und hatte das Angesicht auf den Ort, da sie anlanden wollten, unverwandt gerichtet, und also schifften sie geschwind dahin. Sehet hier, sprach er zu denen, die um ihn waren, eine gute Erinnerung von unserer Arbeit und Geschäften. Dies Leben ist ein schneller und gewaltiger Strom, der von Zeit zu Zeit in das Meer der Ewigkeit verfließt und nicht wiederkehrt. Auf diesem Strom hat ein jeder das Schifflein seines Berufs, welches mit den Rudern fleißiger Arbeit fortgebracht wird. Da sollen wir nun, wie diese Leute, den Rücken dem Zukünftigen zuwenden und in gutem Vertrauen zu Gott, der am Ruder steht und das Schifflein dahin kräftig lenkt, wo es uns nütz und selig ist, nur fleißig arbeiten und im übrigen unbekümmert sein. Wir würden lachen, wenn wir sehen würden diese Leute sich umwenden mit dem Vorgeben, sie könnten so blindlings nicht fahren, sie müßten auch sehen, wo sie hinkamen. Was ist’s denn für eine Thorheit, daß wir alles Zukünftige und was vorhanden ist, mit unsern Sorgen und Gedanken wollen erreichen? Lasset uns rudern und arbeiten und beten, Gott aber lasset steuern, segnen und regieren. Mein Gott! bleibe ja bei mir in meinem Schifflein und lenke es nach deinem Wohlgefallen, ich will mein Angesicht auf dich wenden und nach dem Vermögen, das du darreichst, fleißig und getreulich arbeiten, das übrige wirst du wohl machen.

112. Der fürstliche Einzug.

Als an einem Ort eine hochfürstliche Person ihren prächtigen Einzug hielt, verwunderte sich männiglich über die kostbare und zierliche Zurüstung. Auch einer von Gottholds Freunden ließ sich verlauten, daß er sich möchte wünschen, ein Fürst zu sein, damit er auch so vieler Bedienung und Aufwartung, so vieler Herrlichkeiten, Kleidung und Ergötzlichkeiten zur Genüge genießen möchte. Gotthold sagte darauf: Ihr wißt nicht, was ihr wünscht. Was ist diese herrliche Pracht, diese köstliche Kleidung, dieser lange Vortrab und Nachzug anders, als eine scheinbare Bedeckung der mancherlei Beschwerden und Sorgen, damit der Regentenstand belästigt ist? Ein löblicher und christlicher Fürst, wie viel Diener er auch um sich hat, muß doch aller seiner Unterthemen Diener sein. Andere haben unterschiedliche Aemter und Verrichtungen, ihm aber liegt alles ob, er muß sein ein wachsames Auge und wachen, wenn andere schlafen; er muß sein ein scharfhörendes Ohr und der Bedrängten Klagen bald und willig hören; er muß fein ein beredter Mund, die streitigen Sachen mit Gerechtigkeit zu entscheiden; er muß sein eine thätige Hand, die Strafwürdigen zu dämpfen und den Frommen aufzuhelfen; sein Haupt ist und soll sein eine Quelle vieler wichtigen, schweren und einem Lande zuträglichen Gedanken, dadurch sich selbiges selbst nach und nach erschöpft; sein Herz ist ein Sammelplatz aller Sorgen, die von hier und dort her, in und außer seinem Lande sich eräugen; er ist einem hohen Gebirge gleich, denn wie dessen erhabner Gipfel dem Ungewitter am meisten unterworfen und mit Eis und Schnee stets bedeckt ist, welcher hernach zerschmilzt und die umliegenden Thäler und Felder feuchtet und fruchtbar macht, also ist ein Fürst zwar hoch über andere erhaben, aber darum von mancherlei widrigen Zufällen nicht befreit, sondern sein Haupt Ist mit vielen und stetigen Sorgen beschwert und erfüllt zu Nutz und zum Schutz seines ganzen Landes. Mit einem Wort, er ist nach jenes weisen Fürsten Sinnbild wie eine Kerze, die andern mit ihrem Licht dient und sich selbst verzehrt. Trauet mir, daß ich gesehen habe, als ein großer König (dieser war Friedrich der Dritte, König in Dänemark und Norwegen, nunmehr seligsten Andenkens, von welchem, wie schwer ihm hernach die Krone geworden und wie sie mit vielen tausend Sorgen und Aengsten sein königliches Haupt und Herz gedrückt, aus der Historie seiner Regierung männiglich bekannt ist) nach seiner Krönung aus der Kirche mit königlicher Pracht daher zog, die Krone auf dem Haupt, den Scepter und Reichsapfel in den Händen und das Schwert an der Seite habend, daß ihm die von Gold und Edelsteinen schwere Krone das Haupt ziemlich gedrückt, weil er sie öfters zurecht setzte und sie von einer Seite zur andern rückte, dabei ich gedachte, wie schwer die königliche Regimentslast sein müßte, welche durch die Krone bedeutet ist. Wenn ihr nun wünscht, ein Fürst zu sein, so wünscht ihr mit tausenderlei Sorgen und großer Unlust beschwert zu sein und nebst fürstlicher Pracht fürstliche Unruhe und, was das meiste ist, vor dem Richterstuhl Christi fürstliche Verantwortung zu haben. Mein Gott! ich wünsche nichts weiter zu sein, als wozu du mich gemacht hast. Ich gönne gerne den hohen Häuptern, was du ihnen gönnst, ja, ich weiß nicht, ob ich meine Armuth mit ihrem Reichthum, meine Einsamkeit mit ihrer Aufwartung und meine Niedrigkeit mit ihrer Hoheit vertauschen würde. Eins bitte ich: laß mich einen Fürsten sein über die Sünde, die in mir wohnt, und laß mich durch deine Gnade und deinen fürstlichen Geist mich selbst beherrschen! so genügt mir.

113. Der Segen Gottes.

Gotthold ging mit etlichen Freunden durch die Saat, welche Man, weil sie wohl sich anließ und große Hoffnung zur wohlfeilen Zeit machte, ohne sonderliche Ergötzlichkeit nicht konnte anschauen. Da sagte einer: Hier sieht man Gottes Segen! Gotthold antwortete: Nicht hier allein, sondern allenthalben, wenn wir nur denselben recht beobachten wollen. Ich wünschte von Herzen, daß, wie man auf vielerlei Eitelkeiten oft Acht hat, man auch die Wunder des göttlichen Segens möchte bemerken und beobachten. Es ist merkwürdig, daß die Schrift, als sie des Königs Salomo Hofhaltung beschreibt, auch gar genau verzeichnet hat, wie viel täglich bei derselben verthan sei, nämlich 30 Cor oder 300 Scheffel Semmelmehl, 60 Cor oder 600 Scheffel anderes Mehl, 10 gemästete Rinder, 20 Weiderinder und 100 Schafe, ausgenommen Hirsche, Rehe und Gemsen und gemästet Vieh. 1. Kön. 4, 22. Wenn dies alles mit 365, so viel Tage im Jahre sind, summirt wird, kommt heraus zu eines Jahres Vorrath 109500 Scheffel oder 4562 Wispel, 12 Scheffel Semmelmehl, 219000 Scheffel oder 9125 Wispel ander Mehl, 3651 gemästete Rinder, 7300 Weiderinder, 36500 Schafe. Dies ist darauf gegangen allein am königlichen Hofe, was meint ihr, daß des ganzen Landes, darinnen zu Königs David Zeiten über die sechzehnmal hunderttausend streitbarer Männer gezählt worden, (1. Chron. 22, 5. 1., 2. Sam. 24, 9.) Nothdurft erfordert hat? zumal da niemand etwas gefehlt hat, wie gesagt wird: Juda und Israel, deß war viel, wie der Sand am Meer, und aßen und tranken und waren fröhlich. 1. Kön. 4, 20. Ich meine ja, daß dies mag von Gott gesegnet heißen! Nun können wir zwar unser Land und Zeiten hiemit nicht vergleichen, dennoch wollte ich mir wünschen zu wissen, wie viel Korns jährlich in diesem geringen Kreise, der etwa in die 7 oder 8 Meilen sich erstreckt, gebaut, wie viel Vieh erzogen und verzehrt wird. Eine Stadt weiß ich, die ziemlich wüste und unbewohnt ist, welche jährlich über tausend Wispel an Weizen, Roggen- und Gerste bedarf; viel mehr verzehrt das ganze Land, ja viel mehr baut und gewinnt es und kann mehrentheils noch andern Ländern etwas abgeben; also ergießt sich auch über unsere Gegend der milde Segen Gottes, daran doch die wenigsten Einwohner denken. Mein Gott! was ist dein Segen anders, als ein milder Einfluß deiner Güte in deine Geschöpfe? Ich koste und schmecke in einem jeden Bissen, den ich esse, in einem jeden Trunke, den ich thue, deine übergroße Güte und überschwengliche Süßigkeit. Außer deiner Gnade wären alle Gewächse nur sodomitische Aepfel, die voller Asche und Staub sind und zur Nahrung nicht dienen. So fahre fort, mein Gott! unsere Stadt und Land zu segnen, denn was du Herr segnest, das ist gesegnet ewiglich, 1. Chron. 18, 27. Es segne uns Gott, unser Gott! es segne uns Gott, und alle Welt fürchte ihn! Ps. 67, 7. 8.

114. Der Seiler.

Er sah einen Seiler in seiner Arbeit geschäftig und, als er eine Weile ihm stillschweigend zugesehen, sagte er: die h. Schrift vergleicht die Sünden mit den Stricken, Sprüchw 5, 22. Jes. 5, 18., und zwar sehr füglich; denn wie ein Strick von vielen Fädlein zusammen gedreht und geflochten wird, so selten ist eine Sünde allein, sondern eine wächst aus der andern, und es wird oftmals eine mit der andern entschuldigt und verdeckt. Die bösen lüsternen Einfälle sind die ersten Fäden, die Belustigung an solchen Einfällen die andern, der sündliche Vorsatz giebt den dritten und in Vollbringung der Sünden wird der Strick gedreht, in der Beharrung aber wird der ruchlose Sünder damit zu seinem Verderben gebunden. So geschiehts zuweilen, daß ein Mensch seinem Nächsten heimlich etwas entwendet, dies ist eine Sünde; er wird darum aus unfehlbarer Muthmaßung befragt, und leugnet es, das ist die andere; man dringt weiter in ihn, er verschwört und verflucht sich, das ist die dritte, er wirft des Zuredens halber einen unversöhnlichen Haß aus seinen Nächsten und redet ihm allerlei Uebels nach, das ist die vierte und fünfte; er behält das Entwandte bei sich und will lieber seine Seele verlieren, als es wiedergeben und zeitliche Schande haben, das ist die sechste. Ach, welch ein starker Strick des Teufels ist das, daraus sich ihrer wenige los wirken! Und wie dieser Mann immer hinter sich geht und vor sich arbeitend den Strick in die Länge zieht, so machen es die meisten Menschen, die in ihren Sünden immer fortfahren und als rücklingsgehend um das Ende wenig besorgt sind. Am besten ist, in diesen Sachen, welche die Seele gefährden, nichts gering und klein achten, sondern bald, ehe der Satan Zeit gewinnt die Sündenfaden zu vermehren, dieselben zerreißen; sonst geht’s uns, wie einem Huhn, das zuerst mit einer Klaue in Werg oder verworren Garn geräth und im Fortgehen sich mit beiden Füßen so fest verwickelt, daß es ohne Menschenhand sich nicht loswirken kann und leicht gefangen ist. Mein getreuer Gott! halte mich in deiner Hand und laß mich in Sünde nicht fallen! oder, laß mich in solche Sünde nicht fallen, die ich nicht für Sünde erkenne und halte, damit nicht über alles mein Vermuthen der Satan einen Strick daraus mache, der nicht anders, als mit höchster Gefahr meiner Seele kann zerrissen werden!

115. Der Ertrunkene.

Ein Bürgermeister eines bekannten Orts war wegen etlicher Verrichtungen, den gemeinen Nutzen betreffend, in eine auf eine halbe Meile gelegene Stadt nebst etlichen Gefährten über einen namhaften gefrornen Strom gegangen, und, als sie abends wiederkehren, nicht meinend, daß das Eis durchs eingefallene Thauwetter so falsch geworden, fällt er ohne Wissen seiner Gefährten ins Eis und wird von dem starken Fluß alsbald hinweggerissen und nach etlichen Wochen erst wieder gefunden, (8. Jan. 1657) eine betrübte Wittwe und etliche unerzogene Waislein hinter sich lassend. Gotthold hörte diesen kläglichen Fall mit herzlichem Mitleid erzählen und sagte: Dies ist eine Sache, die man ohne Grauen nicht bedenken und erzählen kann. Dieser Mann geht frisch und gesund aus und in solchem Zustand kehrt er wieder nach Haus, und plötzlich wird ihm das Eis eine falsche Brücke, die ihn ins bestimmte Haus aller Lebendigen, zum Tode nämlich, führt. Jetzt geht er und redet mit seinen Gefährten und meint, bald das Ufer erreicht zu haben, und indem fällt er dahin, wird auf eine Zeit lang der Fische Gefährte und gelangt an das Ufer, welches sein zeitliches Leben endet. Nun wollen wir zwar an seiner Seligkeit nicht zweifeln, weil er auf den Wegen feines Berufs sich befunden und ohne Zweifel, als er morgens ausgegangen, mit dem lieben Gebet und fleißiger Empfehlung seines Leibes und seiner Seele in Gottes gnädigen Schutz sich verwahrt; dennoch haben wir an ihm ein Exempel, daran wir uns alle spiegeln sollen. Ach, sichere Menschenkinder! was ist euer Leben! Ein schlüpfriges und falsches Eis, das bald hie, bald dort bricht und einen nach dem andern in den Strom des Todes und der Vergessenheit stürzt. Das seht ihr und nehmts nicht zu Herzen! Ihr seid sicher, und seht! das Eis des vergänglichen Lebens und Wesens wankt und schwankt unter euren Füßen! Im Augenblick fahrt ihr dahin. Darum seid allezeit gefaßt mit den seligen Todesgedanken und bereitet eurer Seele eine Zuflucht im Leben, damit sie bei so plötzlichem Abschied wisse, wohin sie sich wenden solle. Ach, Herr, mein Gott! zürne nicht. Ich habe mich unterwunden, mit dir zu reden, wiewohl ich Asche und Erde bin. 1. Mos. 18, 27. Uebereile mich nicht mit einem schnellen Tode, damit du mich nicht etwa unbereitet findest! Laß aber auch mein Herz nicht allzulang in des Todes Presse stehen, damit meine Geduld nicht ermüde! Doch will ich schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du wirsts wohl machen! Ps. 39, 10.

116. Die Schöne.

Es ward im Beisein Gottholds eine Jungfrau wegen ihrer Schönheit gepriesen; darauf sagte er: Welche Schönheit meint ihr, des Leibes allein oder auch der Seele? Ich merke wohl, daß ihr nicht weiter, als auf den Schild, welchen die Natur ausgehängt hat, gesehen, nach dem Wirth aber, der im Hause wohnt, noch nicht gefragt. Schönheit ist eine edle Gabe Gottes, welcher auch die Feder des H. Geistes rühmlich zu gedenken nicht vergessen; ich weiß aber nicht anders, als daß nur die tugendhafte und gottesfürchtige Schöne diese Ehre hat. Sonst sagt die Schrift: Ein schön Weib ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem güldenen Haarband. Sprüchw. 11, 22. Manches schöne Mensch ist wie die prächtige Blume, so man Kaiserkrone nennt, welche sich zwar durch ihr schönes Ansehen beliebt, durch den unangenehmen Geruch aber verachtet macht. Wenn oft das Gemüth so rein von Stolz, Eigensinn, Ueppigkeit und Leichtsinnigkeit wäre, als das Angesicht von Flecken, und manche so wohl die innerlichen Gemüthsneigungen, als die äußere Stellung im Zwang hätte, so hätte sie ihres gleichen nicht; allein, wer liebt die Raupe und das andere fliegende Ungeziefer, weil sie so bunt und mit mancherlei glänzenden Farben geziert sind, da sie doch Bäume, Pflanzen und Kräuter verunreinigen? Was hilft dem Apfel seine rosenrothe Rinde, da dir Wurm inwendig nach Belieben in ihm wühlt und zehrt? Was acht ich, daß die Nuß braun ist, wenn .sie wurmstichig und dem, der sie aufbeißt, den Mund Mit Unsauberkeit füllt? Also ist die Schönheit keines Ruhms werth, welche nicht mehr in, als auf der Lade hat, ich will sagen, die nicht mit innerlicher Tugend mehr, als mit äußerlicher Gestalt sich ansehnlich macht. Drum ist’s besser, sich schön machen, als schön geboren werden. Das ist die lobwürdigste Schöne, die nicht blumenartig und vor einem geringen Fieberlein flüchtig wird, sondern die auch im Siechbette, im Alter, im Tode beständig bleibt. Mein Gott! meine Schönheit steht in dem Anblick deiner Gnade; ohne Licht ist nichts schön, also, was du nicht mit dem Schein deiner Güte bestrahlst, das ist häßlich und scheußlich. Mein Herr Jesu, du Schönster unter den Menschenkindern! wirf auf meine arme Seele die Strahlen deiner Liebe! so begehr ich keiner Schönheit mehr.

117. Die Schulknaben.

Gotthold sah bei einander eine ziemliche Anzahl Knaben, die zur Schule gehalten wurden, und, ob er wohl über 20 zählen konnte, die fast einer Größe und vermuthlich auch eines Alters waren, so betrachtete er doch mit Verwunderung die mancherlei Gesichter, die unterschiedenen Mienen und Geberden und so mancherlei Ansehen, das sich an ihnen wahrnehmen ließ. Etliche stellten sich frech, verwegen und wild, etliche sittig und bescheiden, etliche lachten, etliche sahen traurig, etliche schienen aufrichtig, etliche tückisch und höhnisch, etliche einfältig, etliche spitzfindig. Er sagte darauf bei sich selbst: wie ein schwer Ding ist’s doch, die Jugend wohl zu erziehen, zumal, da so unterschiedene Naturen und Anlagen unterschiedener und verständiger Aufsicht und Regierung bedürfen! Hier muß wol einer allen alles werden. Hierzu gebe sich ja niemand an, der nicht mit vernünftiger Bescheidenheit und ernster Freundlichkeit einem und andern Gemüth beizukommen weiß, zuvörderst, da einem solchen Menschen die Hoffnung der ganzen Stadt anvertraut wird. Denn was sind die Schulen anders, als Pflanzgärten, darinnen man die jungen Bäume aus dem Kern zieht, daß man hernach sie in alle Stände zu fruchtreicher Benutzung versetzen könne? Ach aber! eins wird gar zu sehr hierbei vergessen: das andächtige Gebet nämlich um glückliche und gesegnete Erziehung der lieben Jugend. Wenn manche Eltern so emsig wären, für ihren Sohn zu beten, als sie sind, einen Vorrath von zeitlichen Gütern für ihn zu sammeln, so würde er besser gerathen und ihre Mühe mit mehrerer Freude erwiedern, als es, leider! oft geschieht. Mein Gott! wie du mancherlei Gewächse aus der Erde kommen läßt, welche unter mancherlei Farben, in mancherlei Gestalt, mit mancherlei Kräften dem einigen Menschen dienen sollen, also hat dir beliebt, die Menschenkinder, wiewohl unter einerlei Gestalt, unterschiedlich zu gestalten und zu naturen, und dennoch aller Naturen zu deiner Ehre und dem gemeinen Nutzen einzurichten. Unsere Kinder sind Edelsteine, die niemand besser, als du zu poliren und zu versetzen weiß, darum sei du mein Gott! der Oberaufseher und Oberster aller Schulen und gieb Gnade, daß auch bei unsern Zeiten tüchtige Leute erzogen werden, die nach unsern Zeiten (so anders dir beliebt, daß welche sein sollen) dir und der Welt dienen mögen.

118. Der vom Tod erlösete Missethäter.

Es ward erzählt, daß ein Uebelthäter wäre zum Tod verurtheilt und hinausgeführt worden, da er dann unsern von der Richtstatt die Grube und den Sarg, welche seinen entseelten Leib bis an den jüngsten Tag verwahren sollten, vor sich gefunden, wie denn auch die, so ihn zu erschießen Befehl gehabt, sich schon fertig gemacht und jetzt losdrücken wollten, als die unverhoffte Zeitung gekommen, daß er von vornehmen Personen erbeten und ihm das Leben geschenkt wäre. Wie nun der Lebendigtodte wieder hereingebracht und von vielen, wie ihm zu Muth gewesen, gefragt worden, hat er nichts zu berichten gewußt, als daß er nicht gewußt, wie ihm wäre. Er hätte nicht gewußt, ob jemand um ihn wäre oder nicht, auch nicht, daß er zum Thor ausgegangen und dergleichen; nur beklagte er, daß man ihn nicht hingerichtet, weil er die meiste Todesangst schon überstanden und an seiner Seligkeit im geringsten nicht gezweifelt hätte. Man hätte ihn auch hernach wenig fröhlich gesehen, sondern stets blaß, bleich und traurig. Ich muß bekennen, sagte Gotthold, daß man diesem Menschen das wenigste von der zuerkannten Strafe erlassen, maßen die Todesfurcht und Angst schwerer, als der Tod selbst, der im Augenblick würde erfolgt sein, zu achten, deren Merkzeichen er auch sein Leben lang wird tragen müssen. Bedenket aber dabei, wie denen zu Muthe werde sein, welche an jenem großen Gerichtstage das Urtheil über ihre Unbußfertigkeit und frevle Bosheit werden anhören und darauf in die ewige Qual und Pein gehen müssen, welche den gerechten und erzürnten Richter über sich, die mit Schwefel und Feuer angefüllte Grube unter sich, die gräßlichen, feindseligen Teufel um sich und eine kläglich heulende Gesellschaft neben sich sehen werden, und keine Hoffnung haben, zu sterben, sondern im Tode ewig zu leben. Fürwahr, es muß ein hartes Herz sein, das bei solchem Andenken nicht erzittert. Wie wir aber unsern Kindern und Gesinde befehlen, wenn Uebelthäter abgethan werden, daß sie mit zusehen, an solchen Personen sich spiegeln und vor solchen Thaten sich hüten sollen, also sollen wir unsere Seele oft in Betrachtung der höllischen Qual führen, daß sie der Sünde feind werde, welche solche Strafe nach sich zieht. Mein Herr und Gott!

119. Die Wasser-Kreise.

Gotthold sah, daß ein Knabe, an einem See stehend, am Ufer Steinlein auflas und nach einander in das stille Wasser warf, dadurch dann, wie bekannt, viele Zirkel oder Kreise im Wasser entstanden, die nach und nach sich vergrößerten und endlich vergingen. Hier hab ich, sagte Gotthold bei sich selbst, eine artige Abbildung meiner sinnreichen und fürwitzigen Vernunft, wenn dieselbe mit ihrem Nachdenken sich an das stille und tiefe Meer der göttlichen und geistlichen Dinge macht. Ich denke oft an die göttlichen Gerichte und vermeine, durch emsiges Nachsinnen an die Quelle zu kommen, aus welcher der wundersame und vor meinen Augen in sich verirrte und verwirrte Strom fließt, aber je mehr ich denke, je weniger weiß ich, was ich denke, und wenn ich meine, einen kleinen Kreis der Gerichte Gottes erforscht zu haben, so sind schon 1000 andere, die immer größer sind, und mich endlich verzagt und sagend machen: O welch eine Tiefe des Reichthums, beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes; wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Röm. 11,33. Etwas besser lege ich vielleicht meine Mühe an, wenn ich der göttlichen unbegreiflichen Güte als dem Ursprung aller geistlichen und leiblichen Wohlthaten in Andacht nachsinne. Allein, wenn ich anfange zu denken, so ist eine Wohlthat über die andere, wie hier die Zirkel, daß ich abermals nicht fort kann, sondern ausrufe: Herr, mein Gott! groß sind deine Wunder und deine Gedanken, die du an uns beweisest; dir ist nichts gleich, ich will sie verkündigen und davon sagen, wiewohl sie nicht zu zählen sind. Ps. 40, 6. So geht’s mir auch in Geheimnissen christlicher Lehre, welche ich besser mit gläubigem Stillschweigen ehren, als mit scharfsinnigem Grübeln erforschen kann und, welches zu verwundern, mehr davon weiß, wenn ich einfältig, schlecht und recht, als wenn ich hochgelehrt und hochweise bin. Nun, mein Gott! du wirst auch vor mir, wie klug ich mich zuweilen dünken lasse, den Ruhm behalten, daß du ein verborgener Gott bist! Jes. 45, 15. Hilf mir diese Närrin, meine Vernunft, anfesseln und zwingen, damit nicht deine Thorheit meine Weisheit zu Schanden mache!

12O. Die verletzte Glocke.

Es ward an einem Ort eine durch einen Riß verletzte Glocke geläutet, deren Klang ihren Schaden bald zu erkennen gab; dies hörte Gotthold und dachte: so ist’s fast unmöglich, daß hoher Personen Fehler sollten verborgen bleiben. Je höher sie erhaben sind, je weiter man ihren guten oder mangelhaften Klang hört. Bei geringen Leuten werden auch große Fehler für klein geachtet, und je niedriger sie sind, je mehr und eher wird eine böse Nachrede von ihrer Niedrigkeit verschlungen. Bei großen Leuten aber werden auch geringe Mängel als groß beobachtet und wegen ihrer Höhe desto weiter ausgebreitet. Wenn ich in einem Gemach bin, das licht und hell ist, kann wol ein anderer, der im finstern Winkel sitzt, all mein Vornehmen bemerken, ich aber weiß von ihm und seinem Thun im Finstern weniger, denn nichts zu sagen; so ist’s mit dem, der im Ehrenstande sitzt, welchen viele kennen, die er nicht kennt, und sein Thun mit Luchsaugen belauerten, da er doch um sie sich zu bekümmern die Weile nicht hat. Drum ist’s zu beklagen, daß ihrer viel ihres Orts vergessen, an welchen sie von Gott verordnet sind, und oft vor dem Angesicht der halben oder ganzen Welt so ärgerlich leben, als säßen sie im Winkel, und sähe sie niemand. Und gesetzt, es sähe dich niemand, sieht dich denn auch Gott nicht? Drum, mein Mensch! denke immer daran, wer du bist und was deinem Amt und Stande wohl oder übel ansteht; je höher du bist, je größer ist deine Sünde, vornehmlich darum, daß du deinem Gott seine Ehrenstelle, die er dir eingeräumt, verunehrst, und dann, daß du so vieler Augen und Ohren mit ärgerlichem Nachklang füllst und sie durch dein Exempel verführst. Behüte mich, mein Gott! vor Aergerniß; ich will lieber niedrig, unbekannt und fromm sein, als hoch, berühmt und gottlos erfunden werden.

121. Die Hochzeit.

Gotthold ward zur Hochzeit gebeten, von welcher er der nahen Anverwandtschaft halber, die er mit dem Bräutigam hatte, nicht ausbleiben konnte. Als nun uraltem christlichem Gebrauche nach die Vertrauung geschehen war, nahm er mit Verwunderung in Acht, daß sich der Braut Eltern die Bewirthung der Hochzeitgäste so sehr ließen angelegen sein und mit unverdroßner Mühe auf alle Dinge fleißigste Aufsicht hatten. Run, sagte er bei sich selbst, findet sich , doch ein sonderbares Wunder bei dem Ehestand und den Hochzeiten, welches wol von den wenigsten zum Nachdenken genommen wird. Diese Eltern haben dies ihr liebes Kind mit Kummer und Schmerzen erzeugt, mit Müh, Gefahr und vielen Kosten erzogen und nunmehr so weit gebracht, daß es ihnen bei herannahendem Alter die hülfliche Hand in der Arbeit und Haushaltung bieten könnte, und geben es nun einem Fremden, der sich um sie oder die Ihrigen im geringsten nicht verdient, mit großen Kosten, vieler Mühe, großer Arbeit; ja, was das meiste ist, sie geben ihm mit ihrem Kinde zugleich das Herz, gewinnen ihn lieb und werth, oft so sehr, als wenn er zu ihren leiblichen Kindern gehörte; die Tochter auch vergißt ihres Vaters Haus und alles dessen, was sie darinnen zu genießen gewohnt, und ergiebt sich zur ehelichen Dienerin dieses Menschen, mit dem sie zuvor nicht umgegangen und seiner nicht gewohnt ist, und das sehen die Eltern nicht allein gern, sondern betrüben sich auch wol, wenn es nicht also geschieht. Hiebei ist eine höhere Hand, welche die Herzen zu lenken und über alles menschliche Dünken und Verhoffen wunderlich, doch weislich zu verknüpfen weiß. Mein Gott! wenn wir Menschen uns viel zu schaffen machen, so denken wir oft nicht daran, daß dir das Oberregiment aller Dinge zusteht, und du bist auch oftmals in deiner kräftigen Regierung so still und lässest alles so seltsam zugehen, daß man nichts weniger, als deine Hand in solchem Spiel vermuthen sollte, allein, wenn man etwas eigentlicher zusieht, findet man bald, daß du die große Unordnung der Welt ordentlich regierst und in der Stille und Schwachheit deine gütige Kraft wunderlich beweisest. Darum ist albern der, so anders will, als du willst, und der ist recht weise, der auf deine Wege fleißig achtet und in denselben seinen Lauf mit Freuden zu vollenden bemüht ist,

122. Die zwei Spiegel.

Eine Jungfrau, sonst guten Wandels und Namens, die aber aus ihrer Schönheit, so sie von der gütigen Natur empfangen, einen kleinen Abgott machte und dieselbe durch übrigen Schmuck noch schöner zu machen öfters beflissen war, hatte sich an einem Orte zwei Spiegel gegen einander dermaßen gestellt, daß, wenn sie dazwischen getreten, sie sowohl das Hinterste an ihrem Hauptschmuck, als das Vorderste beschauen konnte, maßen denn der hinterste Spiegel durch einen Gegenschein sein empfangenes Bild in den vordersten geworfen und ihr zu besehen dargestellt. Gotthold sah dieses und verwunderte sich über dieses ihr Kunststück, sagte aber dabei: Wisset ihr auch wol, daß oftmals die Schönheit, der man durch keinen Fleiß ein besseres Ansehen zu machen beflissen gewesen, sondern sie in ihrem natürlichen Glanz gelassen, mehr beliebt ist, als die, welche durch Schminken und Schmücken an ihr selbst stets bessert? Eine Rose ist ohne das eine schöne und wohlriechende Blume und bedarf nicht, daß sie mit fließendem Balsam betrieft werde, dadurch ihr natürlicher Geruch nur vernachtheilt würde. Zu viel schön sein wollen ist halb häßlich sein. Drum haltet Maß und erfreut euch nicht zu viel an dem grünen Kürbis eurer Gestalt, damit nicht Gott einen Wurm verschaffe, der ihn steche, daß er verdorre. Ich will euch aber zween andere Spiegel zeigen, in welchen ihr euch täglich, ja stündlich zu eurem Besten besehen mögt. Betrachtet allezeit das Vergangene und Zukünftige! Jenes wird euch zeigen, wie viel Gutes ihr von Gott euer Leben lang empfangen und mit wie schlechtem Dank ihr solches erkannt; dieses wird euch mancherlei Veränderung, welcher ihr und das Eurige unterworfen, blasse Krankheiten, trauriges Alter, den gewissen Tod und das letzte schreckliche Gericht vorhalten. Oder habt allezeit vor Augen Gottes Gerechtigkeit, welche alle Dinge mit wachsamen Augen beobachtet und zu seiner Zeit ahndet, damit ihr nicht stolz und sicher werdet, und dann Gottes Barmherzigkeit, welche ohne Unterlaß den Sündern folgt und nachläuft und alle ihre Mißhandlung im Feuer der Liebe verzehrt, auf daß ihr nicht kleinmüthig und gar zu traurig werdet! Und dies wird euch desto zuträglicher sein, so viel höher die unsterbliche Seele, als der nichtige Leib zu halten ist.

123. Das verworrne Garn.

Ein Weibsbild hatte auf einer Wende ein Stück Garn angelegt, willens, es auf Knäuel zu bringen, weil es aber ziemlich verworren war und der Faden ihr nach ihrem Wunsch nicht folgen wollte, ermüdete endlich ihre Geduld, riß das Garn hin und wieder und machte damit übel nur ärger, maßen der Enden immer mehr und mehr wurden, daß sie nicht wußte, welches sie nehmen sollte. Gotthold sah dieses mit Stillschweigen zwar an, dachte aber bei sich selbst: hier sehe ich klärlich, woher es kommt, daß verworrne Händel durch vieler Leute Zuthun oft nur mehr verwirrt werden, freilich daher, weil mancher mehr unzeitigen Eifer und Jähzornigkeit, als vernünftige Bescheidenheit und Verstand dazu bringt. Eine Sache ließe sich zuweilen wol heben und finden, wenn man nur die wunderlichen und eigensinnigen Köpfe bei dem rechten Ende, da sie wohl liefen, erfassen könnte. Die Welthandel sind fast alle wie dies Garn. Wer nicht ein sanftmüthiges und sittiges Herz dazu bringt, der wird wenig dabei Gutes stiften. Eine Thorheit ist’s, wenn man meint, daß sich alle Dinge nach seinem Sinn schicken sollen und müssen, da man dagegen besser thut, wenn man sich in die Zeit und Sachen schickt, doch so viel mit unverletztem Gewissen geschehen kann. Mancher klagt über das verworrne Garn und über wunderliche Leute, mit denen er zu thun habe, und sieht nicht, daß er selbst viel seltsames Gespinnst unter seinem Hut deckt und andere eben so viel Ursache über ihn zu klagen befinden. Mein Gott! ich muß täglich solches verworrne Garn in meinem Beruf erwarten; gieb mir ein weises und sanftmüthiges Herz, damit ich in demselben ein gutes Ende glücklich finden möge!

124. Das Vieh.

Gotthold, als er im Felde spazieren ging, kam auf einen lustigen und besäeten Hügel, von dannen er den nächstgelegenen düstergrünen Wald mit den anstoßenden schönen Wiesen, etliche umliegende Dörfer und zu beiden Seiten das fruchtbare Gefilde, darinnen , eine ziemliche Heerde Kühe, Ochsen und Schafe weideten, übersehen konnte. Hier stand er still, hob seine Augen mit Seufzen gen Himmel und sagte: Du milder und frommer Gott! wie weitläuftig und kostbar ist deine Haushaltung! Wer kann deine Tischganger zählen? Wie sicher weidet dieses Vieh! Wie reichlich versorgst du diese Heerden! Sollt ich wol nicht denken, daß du auch Engel zu Hirten über unser Vieh gestellt hast, damit es, wider mancherlei Anfall erhalten, dem Menschen zu gute kommen möge? Freilich ja, weil sonst des Satans giftiger Neid und Bosheit keines aufkommen ließe. Dies ist das große Gefäß, so du uns vom Himmel herunterlässest mit dem Befehl, daß wir schlachten und nach aller Lust unserer Seele essen sollen. Apostelg. 10, 11. 5. Mos. 12, 15. Zu beklagen ist’s nur, daß dies so wenig von den Menschen erkannt wird, welche zum größten Theil des Viehes nicht allein zur Nothdurft, sondern auch zum übrigen Ueberfluß gebrauchen und an dich, ewigen Schöpfer, so wenig, als das Vieh gedenken. Sei gelobt und hochgepriesen für alle deine Güte, lieber Vater! und laß das dankbare Seufzen der Deinigen mehr gelten, als die ruchlose Undankbarkeit des großen Haufens, die deiner und ihrer selbst vergessen!

125. Der Jähzorn.

Eine feine und sonst gottselige Frau klagte, daß sie zum geschwinden Zorn sehr geneigt wäre und oft über eine Kleinigkeit zu großem Eifer, der sie blaß und zitternd mache, bewogen würde, welcher zwar in kurzer Zeit wieder verginge, ihr aber die Reue und Betrübniß im Herzen und Benachtheilung der Gesundheit in allen Gliedern hinterließe. Gotthold sagte: Danket Gott, daß er euch zur Erkenntniß dieses eures sündlichen Fehlers hat kommen lassen, daß ihr denselben entweder für keine, oder ja für eine geringe Sünde nicht achtet, denn dies ist die erste Stufe zur Besserung, wenn man weiß, wo man Besserung bedarf. Und ich zweifle nicht, daß ihr dieses Mangels gerne los wäret, das ist die andere Stufe; daß ihr auch fleißig dawider betet, das ist die dritte. Sonst, wenn Man von zweien Uebeln das beste erwählen soll, ist der geschwinde Eifer, wie leicht er sich auch oftmals rege machen läßt, dennoch besser, als der heimliche und tückische Grimm, der, je mehr er sich verbirgt, desto länger brennt und gemeiniglich zu seiner Zeit in ein unlöschbares Rachfeuer heraus bricht. Der geschwinde Zorn ist wie die Flamme in Werg und Stroh, welche eilends auflodert und eilends Vergeht, und die Leute, so damit behaftet, sind gemeiniglich aufrichtig, treu und ehrlich, und wenn die fliegende Hitze vorbei ist, bringen sie mit Gutthätigkeit wieder ein, was sie zuvor versehen haben. Der langsame Zorn aber ist wie die Schwefellohe oder wie das Feuer im feuchten Holz, welches, je später es zur Macht kommt, desto mehr Glut hernach giebt. Die Leute, so, wenn ihnen etwas zuwider geschieht, tückisch schweigen, lächeln und sich in der Gegenwart keines Dinges annehmen, die sammeln alles ein und legen es tief in den Sinn, auf daß sie es zu gelegner Zeit mit größerer Rache ausschütten. Sie sind den Böcken gleich, welche weit und allmälig zurückgehen, wenn sie einen starken Stoß thun und jemanden zu Boden rennen wollen. Vor solchen hat man sich billig zu hüten. Ihr aber, weil ihr eure Natur kennt, so leget ihr da den stärksten Zügel an, wo sie am meisten hinaus will, stopfet und bessert da am meisten, wo das Wasser über und durch den Damm reißen will; habt allezeit vor Augen die Langmuth und Leutseligkeit Gottes und die Freundlichkeit des sanftmüthigen Herrn Jesu und höret nicht auf, ihn täglich anzuflehen, daß er mit einem Tröpflein seiner Güte euer hitziges Herz abkühle, so werdet ihr erfahren, was Gottes Gnade und Geist und unser Gebet und Kampf wider unsere Natur vermag.

126. Die Laute.

Als im Beisein Gottholds ein guter Freund seine Laute bringen ließ, fand er, daß dieselbe, als sie in die Stube gekommen, sich sehr verstimmt hatte, maßen denn auf solchen Instrumenten bei Veränderung des Wetters und der Luft man solches gewöhnen muß. Indem nun derselbe sie wieder einzurichten und chormäßig zu stimmen bemüht war, dachte Gotthold bei sich selbst: was ist lieblicher, als eine wohlgestimmte Laute, und was ist angenehmer, als ein getreuer Freund, der dich in Traurigkeit mit rathsamem und freundlichem Zusprechen zu erfreuen weiß? Allein was verstimmt sich auch eher, als eine Laute, und was ist wandelbarer, als der Menschen Freundschaft? Ander Wetter, ander Ton; ander Glück, ander Tück. Hast du gut Wetter, liebliche Sonne, sanften Wind, so hast du auch wol Freunde, verstimmt sich aber dein Glück und Wetter, so sollen viel Freunde halten, wie jetzt die Saiten auf der Laute, deren wol zehn aufgezogen werden, ehe man eine findet, die rein klingt und den Zug aushält. Doch, was beklag ich mich über andere, da ich selbst an mir finde, das sich dieser Laute verähnlicht? Was ist das Gemüth des Menschen? Anders nichts, als eine verstimmte Laute, die bei guten Tagen wohl und hoch klingt; ich will sagen, daß unser Herz, wenn das Glück es liebkoset, trotzig, frech und muthig ist, Gefallen an sich selbst hat und meint, alle seine Gedanken und Vornehmen seien vor Gott und Menschen köstlich und lieblich. Allein, wenn Gott das Wetter ändert, die Glückssonne ihre Strahlen verbirgt und sich unter rauhen Trübsalswolken versteckt, da ist aller Muth dahin und werden wir oft so kleinlaut, und laufen die sorglichen Gedanken so seltsam durch einander, daß es zu verwundern ist. Mein Gott! ich erkenne, daß mein Gemüth ist wie eine unrichtige Laute; du hast stets daran zu stimmen, sonst taugt es nirgends zu. Erhalte mich bei allerlei Wetter, wie du das über mich kommen lassen willst, bei dem einigen Ton: Du bist und bleibst mein Gott!

127. Das Gewächs im Keller.

Als Gotthold in einen Keller etwas zu besichtigen gegangen war, fand er eine Rübe, welche daselbst ungefähr war liegen geblieben; die war ausgewachsen, hatte lange, doch sehr schwache und zarte Sprossen gesetzt, welche doch mehr weißgelb, als grün und also ganz untauglich waren. Hier hab ich, dachte er, ein Vorbild menschlichen Vornehmens, welches Gott zu segnen und wachsen zu lassen nicht beliebt. Diesem Gewächs fehlt der Sonnenschein und die freie Luft, und darum kann es nicht fortkommen, sondern wächst eine Weile in Schwachheit, bis es vergeht. So ist alles unser Achten und Trachten, das Gottes Gnadenschein nicht bestrahlt und sein Segen nicht forthilft; wie auch unser Erlöser sagt: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzt, vergehen und werden ausgereutet. Matth. 15,13. Als er nun wieder hinausging, fiel ihm weiter bei, daß in solcher Pflanze auch gar artig abgebildet wäre ein unerfahrner und ungeübter Mensch, der etwa in einem Winkel gesteckt und viel zu lernen sich bemüht, auch selbst auf seine Wissenschaft ein Großes hält, vermeinend, daß er mit seiner selbst gewachsenen Weisheit nicht nur eine Stadt und Kirche, sondern wol die halbe Welt regieren und zu mächtigem Gedeihen bringen wolle, allein, wenn es hernach dazu kommt, hat er in seinem ganzen Schulsack nicht Künste genug, einem und anderm geringen Handel sein abhelfendes Maß zu geben, und befindet, daß es viel ein anders, sei, etwas bei ihm selbst wissen und, was man weiß, bei andern Leuten, die auch etwas wissen, zu Markt und anzubringen. Im Christenthum geht es auch so zu, daß wir vermeinen, es sei unser Glaube, Liebe und Geduld zum herrlichen Wachsthum gerathen, und steht doch alles oft auf sehr schwachen Füßen. Die Erfahrung macht Leute und das Kreuz gute Christen. Niemand wächst mit Bestand und Dauerhaftigkeit ohne Widerpart. Dies Gewächs hat die Sonne nicht beschienen, der Thau nicht befeuchtet, der Regen nicht genetzt, der Wind nicht bestürmt, die Kälte nicht gehärtet, darum ist’s untauglich. Also ein Christ, der nicht durch Glück und Unglück, in Lieb und Leid bewährt ist, kann nicht für tüchtig gelten. Drum sagt der theure und wohlversuchte Apostel: Trübsal bringt Geduld, Geduld bringt Erfahrung, Erfahrung bringt Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden. Röm. 5, 3. 4. 5.

128. Der Schmeichler.

Es ward von einer reichen Frau erzählt, daß dieselbe gar milde und mitleidig gegen die Armen sich bezeigte, hätte aber einen Nachbar, der ihr stets zu Gefallen redete und nicht nur ihre Wohlthätigkeit gegen die Dürftigen, sondern auch ihren ganzen Wandel gegen andere Leute in ihrem Beisein mit vielen Schmeichelworten zu rühmen wüßte, darum er denn auch sonderliche Gunst bei ihr fände und zu öfters auch ihrer Freigebigkeit zu genießen hätte. Gotthold sagte hiezu: Ich erinnere mich eines Gedichtes der Alten, daß ein Rabe habe einmal einen Käse gestohlen und habe mit seinem Raube auf einen Baum sich gesetzt, denselben zu verzehren; als nun der Fuchs solches inne geworden und lieber selbst den Käse gegessen hätte, als einen andern ihn essen sehen, habe er sich unter dem Baum eingefunden und angefangen, den Raben trefflich zu loben, , wie schwarzglänzend seine Federn, wie schön sein Schnabel, wie scharf seine Klauen, wie schnell sein Flug und vor allem wie lieblich seine Stimme wäre. Der Rabe durch dieses Schmeichellob bewogen, wird muthig und will vor Freuden jauchzen. Als er nun den Schnabel aufthut und sein Koras heraus würgt, entfällt ihm der Käse, welchen der Fuchs sofort nimmt, verzehrt und dem Raben das Nachsehen läßt. Ihr vernehmt leicht, was hiemit gemeint sei, nämlich, was ihr jetzt erzählt habt. Was thut der Schmeichler und Mundstreicher anders, als daß er der guten Frau ihre Gutthaten zu nichte macht, indem er wegen ihrer Almosen die Posaune bläst und sie unter dieselben bringt, von welchen unser Erlöser sagt: Sie haben ihren Lohn dahin! Matth. 6, 2. Er rühmt sie, nicht weil sie den Armen Gutes thut, sondern weil er selbst viel Wohlthaten von ihr empfangen hat und noch mehr erwartet. Indessen vergißt sie des Worts ihres Erlösers, der da spricht: Wenn du Almosen giebst, so laß die linke Hand nicht wissen, was die rechte thut, Matth. 6, 3.; in der Meinung: willst du dem dürftigen Nächsten Gutes thun, so laß es nicht allein andere Leute nicht wissen, sondern bemühe dich, es selbst auch nicht zu wissen und es stracks zu vergessen, damit du nicht in Hoffart und Vertrauen auf dich selbst fallest, welches ärger ist, als alle andern Laster, weil es auch die Tugend zur Sünde macht; begnüge dich daran, daß es dein Nächster gedenkt, oder, so du es vergissest, daß es in Gottes Tagbuch verzeichnet wird. Der Teufel ist der Frommen Schmeichler, und, wenn er ihre Gutthaten nicht hindern kann, so trägt er ihnen zum wenigsten einen Spiegel vor, darinnen sie alle ihre Frömmigkeit sehen sollen, daß er das Gefallen an ihnen selbst in ihnen erwecken, sie selbst zu ihrem Abgott machen und also mit einem Streich alles ihr Wohlthun zu nichte machen möge, und hierin geht ein solcher Schmeichler dem Satan zur Hand. Selig ist, der Gutes thut mit einfältigem und vergeßlichem Herzen!

129. Der siedende Topf.

Gotthold sah einen Topf am Feuer stehend so sehr sieden, daß er endlich überwallte und das Feuer mehrentheils auslöschte. Seht, sagte er zu seinen Leuten, diesen Topf an als ein Bild stolzer und übermüthiger Leute, denen ihr Reichthum, Herkommen, Ehre und Gewalt glühende Kohlen sind, die ihr Herz in Ueppigkeit, Frechheit, Verachtung anderer und Hochhaltung ihrer selbst wallen machen, und eben dieses sind die Mittel, dadurch die übermüthige Glückseligkeit sich selbst verdirbt und zu Boden richtet. Mancher ist großen Vermögens, es wallt aber sein Herz in Wollust und ergießt sich durch Pracht und Verschwendung; dadurch wird das Einkommen geschmälert, und er aus dem Ueberfluß in die Dürftigkeit gesetzt. Ein anderer ist adeligen und berühmten Geschlechts und meint, der Adel bestehe in der Freiheit, zu thun, was einem gelüstet, und vernachtheilt dadurch den Glanz seiner Vorfahren, daß sie wie todte Kohlen anzusehen sind. Ein anderer hat Herrengunst, und was darauf zu folgen pflegt, Ehre, Ansehen und Gewalt, allein, weil sein Gemüth solche Glückshitze nicht zu ertragen weiß, sondern sich in Frevel, Muthwillen und Bosheit ergießt, so wird eben dies gemeiniglich die Ursache, dadurch seines Herrn Gunst erkaltet, und alle seine Glückseligkeit verlischt. Meinet aber nicht, daß dieses nur andere und nicht euch angehe; unsere Herzen alle sind wie dieser Topf und werden von übrigem Glück und Wohlergehen voll heißsiedenden Bluts und überwallenden Muths. Es kann und will von niemand nichts leiden, es bricht hervor in stolzem Gang, stechen Geberden, höhnischen Worten, prächtiger Kleidung und übermüthigen Thaten. Drum bittet Gott, daß er euch nicht mehr Glück und Vermögen beschere, als euch nütz und selig ist, in Betrachtung, daß nichts schwerer, als gute Tage und großes Glück mit demüthigem Herzen ertragen. Mein Gott! ich traue mir selbst nicht. Großes Glück möchte mein großes Unglück sein; du giebst oft Glück im Zorn und Unglück in Gnaden. Du giebst nun, was du willst, so gieb ein Herz dabei, das es nach deinem Willen trage!

130. Das Geschrei im Mutterleibe.

Es ward glaubwürdig berichtet, daß ein Kind unter mütterlichem Herzen laut und vernehmlich geschrieen hätte, welches als ein Ungewohntes allen, die es gehört, einen Schrecken eingejagt. Gotthold ward darüber gefragt, was er für Gedanken darüber hätte. Er antwortete: Daß Kinder im Mutterleibe geweint oder geschrieen, ist mehrmals erhört und von den Geschichtsschreibern unter die merkwürdigen Sachen verzeichnet worden und ist’s fast allezeit als eine Vorbedeutung großen Unglücks und Trübsal aufgenommen. Nur etliche gelehrte Naturkundige und Aerzte haben dafür gehalten und auch wol sattsam erwiesen, daß es natürlich sei, und vermeinen also, daß es nicht eben eine böse Anzeigung sei, maßen denn den nunmehr zur Geburt fast zeitigen Kindern kein Werkzeug der Stimme fehle und daher es fast nicht mehr zu verwundern, wenn es seine Stimme gebrauche, als wenn ein Küchlein im Ei sich melde, und also habe man sowohl wegen des einen, als des andern nicht sonderlich Böses zu befahren. Allein, wie ich mich gern bereden lasse, daß es natürlich sei, also will ich auch hoffen, daß verständige Leute gern nachgeben werden, daß auch natürliche, doch nicht fast gewohnte Dinge dem lieben Gott die Welt zu warnen und an bevorstehendes Unglück zu erinnern dienen müssen, wie man denn auch nicht in Abrede sein kann, daß zum wenigsten der ungebornen Kinder Geschrei, entweder der Mutter allein, oder wol zuweilen der Mutter und ihrer selbst kläglichen Tod bei bevorstehender Geburt zuvor angezeigt hat. So bezeugen es auch die vorhandenen alten und neuen Geschichtsbücher, daß solche Kinder mehrmals ein großes Unglück, so über einer Stadt, einem Land oder Regiment geschwebt, zuvor beweint und mit ungewohntem Geschrei angemeldet haben. Darum halte ich dafür, man habe dies nicht so liederlich zu achten und in den Wind zu schlagen, sondern beseufze billig, was die Kinder im Mutterleibe bewinseln, die Bosheit und Unbußfertigkeit der Welt, welche sich nunmehr nichts sagen läßt, und wenn auch alle Kreaturen Blut weinten. Ich vermeine, es diene mit zur Erläuterung der Worte des Apostels, der da sagt, daß alle Kreaturen nebst den Kindern Gottes sich sehnen und immerdar ängsten. Röm. 8, 22. Bedenket dieses: den Kindern graut, daß sie ihren Fuß in die böse Welt setzen und das sündliche ärgerliche Wesen anblicken sollen, und weil sie wenig Freude darinnen zu erwarten haben, werden sie klägliche Propheten ihres bevorstehenden Elends; wir Alten aber, die wir ja nunmehr die Welt kennen sollten, haben nicht Lust, dieselbe zu verlassen und die schnöde Eitelkeit mit der seligen Ewigkeit zu vertauschen. Die Kinder im Mutterleibe weinen und wir lachen. Die Unschuld winselt und ängstigt sich, die verruchte Bosheit aber ist frech und sicher. Mein Gott! wo man sich hinwendet, findet man mehr Ursach zum Weinen, als zum Lachen. Eins ist, das mich fröhlich macht, daß in dieser Welt alles zeitlich und vergänglich, bei dir aber Freude die Fülle und liebliches Wesen zu deiner Rechten ist immer und ewiglich. Ps. 16, 11.

131. Die Höhe.

Als ein Kirchbedienter etwas zu besichtigen ziemlich hoch hatte steigen müssen, klagte er, daß er ohne Grausen an die Höhe nicht hätte denken können, und daß, so oft er die Erde unter sich oder die laufenden Wolken über sich angesehen, ihm ein Schwindel angekommen und er sich des Falls habe befahren müssen. Gotthold hörte dieses und dachte bei sich selbst: wir trachten alle darnach, daß wir hoch wollen steigen, und wenn wir die Höhe erreicht haben, finden wir erst, daß wir nur große Gefahr gesucht und erstiegen haben. Wer hoch genug gekommen ist, hat nichts mehr übrig, als daß er wieder hinunter steige oder falle; stürzen ihn andere nicht herab, so thuts sein eigner Stolz, der gefährlichste Schwindel hoher Häupter; darum thut der am weisesten, der sich selbst durch Demuth herunter läßt, damit er nicht hoch fallen könne. Und was ist’s Wunder, daß die Höhe in weltlichen Sachen so gefährlich ist, wenn auch in geistlichen und heiligen Uebungen einem die größte Gefahr bevorsteht, wenn er viele Stufen hinangekommen und es fast zur Vollkommenheit, so weit sich dieselbe in dieser Unvollkommenheit erstreckt, gebracht hat? Wenns nicht so wäre, was hätte Paulus der schweren Anfechtungen und des Satans Engel bedurft, damit er sich der hohen Offenbarung und seiner andern mühseligen, doch glücklichen Amtsverrichtungen nicht überhebe? 2. Cor. 12, 7. Und eben darum sagt der königliche Prophet: Wenn du mich demüthigst, machst du mich groß; Ps. 18, Z6., daß er nämlich anzeige, es könne niemand recht groß und hoch sein, und sich seines erlangten Vortheils versichert halten, wo ihn nicht Gott durch Erniedrigung erhöht und befestigt. Die erste Stufe zur Vollkommenheit ist, sich selbst und seine Nichtigkeit erkennen, die letzte und höchste Stufe, sich selbst und seinen Vorzug nicht wissen. Wer hoch ist und weiß seine Höhe, der fängt schon an zu fallen, und wäre ihm besser, nie hoch geworden, als hoch gefallen sein. Behüte mich, mein Gott! vor hoffärtigem Herzen und stolzen Augen, daß ich nicht wandle in großen Dingen, die mir zu hoch sind! Besser ein demüthiger Sünder, als ein stolzer Heiliger.

132. Der Weizen.

Gotthold sah zu, als ein Ackermann ließ Weizen dreschen, und nahm wahr, wie die Drescher nicht allein weidlich darauf schlugen, sondern auch mit Füßen darüber hergingen und endlich durch vielerlei Mittel das reine Korn von der Spreu, Staub und anderm Unrath schieden. Wie kommt’s immermehr, dachte er bei sich selbst, daß alles, was nützlich und der Welt dienlich werden soll, viel leiden und auf allerlei Art mit sich handeln lassen muß, allein der Mensch, der doch mit allen Dingen nach Belieben verfährt, will nichts leiden und Gott nach Belieben nicht mit sich machen lassen. Dies Korn, das edelste unter allen, wird hier geschlagen, mit Füßen getreten, abgekehrt, zusammengestoßen, geworfen, gesichtet, gerüttelt und geschüttelt, hernach gemahlen, gebeutelt, gebacken und also endlich kommt es wol auf königliche und fürstliche Tafeln. Was bild ich mir denn ein, wenn ich übel zufrieden bin, daß mich Gott nicht auf Rosenblättern führt oder in der Sänfte gen Himmel tragen läßt? Wie wollte dies Korn rein werden, wenn es nicht so behandelt würde? Und wie wollt ich fromm und selig werden, wenn ich von keinem Kreuz und Unglück wüßte? Darum, mein Gott! mache es, wie du willst, und gieb, daß ich wolle, wie du willst. Schlage, dresche, sichte, mein Gott! daß ich endlich ein reines und schönes Brod auf deiner Tafel werde, welches ich um desto williger leiden will, weil ich weiß, daß dein Prophet spricht: Man mahlt das Korn, daß es Brod werde, und drischt es nicht gar zu nichte. Solches geschieht auch vom Herrn Zebaoth, denn sein Rath ist wunderbarlich und führt es herrlich hinaus. Jes. 28, 28. 29.

133. Die Goldwage.

Ein Handelsmann, der eine Summe Geldes einzunehmen hatte, hatte eine Goldwage bei der Hand, darauf er einen Dukaten nach dem andern warf, oder, wie sie redeten, aufzog, zu erfahren, ob sie vollwichtig und gültig wären. Gotthold sah dieses und sagte: Mir würde bange sein, daß die Dukaten allzuschwer wären. Wie so? sprach der andere? Meint ihr nicht, antwortete Gotthold, daß es allzuschwer Geld ist, daran Schweiß- und Blutstropfen der Einfältigen und Arbeitsamen, die Thränen der Armen, Wittwen und Waisen und der Fluch der Betrognen und Beleidigten hängen? Ich will zwar nicht hoffen, daß unter diesem eurem Gelde solche beschwerte und beschwerende Pfennige seien, nur wünschen wollt ich, daß ihr allezeit euer Gewissen die Wage ließet sein, darauf ihr einen jeden Thaler und Dukaten legtet, um eigentlich zu erfahren, ob er mit Recht oder Unrecht gewonnen. Ich erinnere mich, daß ich einmal erzählen gehört, daß eine Zauberin ihren Sohn von etwa 14 bis 15 Jahren allerlei verbotne und lose Künste gelehrt. Als nun derselbe mit etlichen andern Bauern aus demselben Dorf auf der Reise gewesen und mit seinem Wagen so geschwinde nicht folgen konnte oder wollte, als jene vorgefahren, ist er endlich vom Pferde gestiegen, hat einen kleinen Stein genommen und denselben, ich weiß nicht mit was Gemurmel, heimlich auf den ersten Wagen gelegt, welcher darauf denselben also beschwert, als wäre er mit etlichen Centnern beladen, daß der Fuhrmann nebst den Pferden müde geworden und wol langsam hat fahren müssen. Ich halte einen jeden unrechtmäßigen Pfennig für einen solchen Fluchstein, der manche Nahrung und Haushaltung also beschwert, daß der Fuhrmann zu halten genöthigt ist und nicht mehr fort kann. Und dies wäre das Geringste, wenn das Gewissen und die Seele unbelästigt blieben; allein mancher muß es erst in feinem Todeskampf erfahren, wie schwer oder vielmehr, wie unmöglich es sei, eine mit unrechtmäßigem Gut beladene Seele durch die enge Pforte, die zum Leben führt, zu bringen, allermaßen wie ein großes Stück Bauholz auf dem Wasser mit geringer Mühe von einem allein kann fortgeflößt werden, wenn’s aber ans Ufer kommt, kann er’s nicht weiter bringen und ihrer viele haben damit zu thun, daß sie es von dannen schaffen. Drum hütet euch, daß euer Herz mit solchem Gut nicht beschwert werde. Je mehr einer zu tragen hat, je mehr muß er schwitzen und stöhnen, wenn er seine Last über einen Berg tragen soll. Also im Todbette schwitzt der am meisten, dessen Gewissen mit Unrecht und Trug beladen ist. Behüte mich, mein Gott! vor solchem Gut, daran Thränen, Seufzer und Flüche hangen; besser kein Gut, als solches Gut.

134. Das gottselige Kind.

In einer ehrlichen und fröhlichen Gesellschaft junger Leute wurde das bekannte Königsspiel zur Kurzweil hervorgesucht, da denn unter andern von dem durchs Loos erwählten Könige einem Kinde geboten ward, daß es seinem alten Vater, der zugegen war, neunerlei Ehre anthun sollte. Das that es nun ohne langes Bedenken auf folgende Weise: 1. sagte es: Mein liebster Vater, ich danke euch für alles Gute, das ihr mir von Kind auf erwiesen, für alle Sorge und Mühe, die ihr meinethalben gehabt, und für alle Unkosten, die ihr von dem, was ihr in eurem sauren Schweiß und Arbeit erworben, auf mich und meine Wohlfahrt verwandt habt. 2. küßte es ihm die Hand mit Bezeugung seiner Dankbarkeit für alle väterliche wohlgemeinte Züchtigung. 3. weil eben Aepfel auf dem Tische waren, nahm es einen, schälte und zertheilte ihn und bot die Hälfte dem Vater dar mit dem Erbieten, wenn es einmal durch Gottes Segen zu einem Stücklein Brods kommen und es der Vater bedürfen sollte, daß es gern mit ihm theilen wollte. 4. bückte es sich, lösete ihm die Schuhe auf, zog sie aus und setzte ihm die Pantoffeln hin, dabei meldend, daß ihm kein Dienst seinem Vater zu erweisen gering und verächtlich sein sollte. 5. weil es etwas spät auf den Abend, suchte es ihm sein Nachtgeräthe und legte es ihm mit holdseligen Geberdon hin. 6. bot es ihm einen frischen Trunk zum Schlaftrunk. 7. hielt es dem Vater seine Backen dar mit dem Begehren, daß er darauf schlagen sollte, zu bedeuten, daß es willig wäre, noch alle väterliche Erinnerung, und wenn sie auch mit Schlägen geschehen sollten, zu erdulden. 8. unterstand es sich, den Vater mit dem Stuhl aufzuheben und von der Stelle zu versetzen, anzuzeigen, wie bereit es wäre, da es nöthig, den alten schwachen Vater zu heben und zu tragen. 9. kniete es nieder und begehrte den väterlichen Segen, welchen es auch empfing, dabei aber dem Vater vor Freuden die Augen übergingen. Gotthold hörte und sah dieses und sprach: Nun bekenne ich, daß ich mein Leben lang kein lieblicher Spiel gesehen habe! Wenn ihr also spielt, wie tugendvoll muß dann euer Ernst sein! Hier spielen die Engel mit und der Höchste sieht zu und freut sich. Mein Gott! ich halts für die höchste Stufe zeitlicher Wohlfahrt, gottselige und wohlgerathene Kinder haben. Gönne mir dieses, mein Vater, daß ich dir mit Freudenthränen danken möge!

135. Das Klingen der Ohren.

Als einem unter Gottholds Hausgenossen das Ohr klang, wie man redet, sprach derselbe: Nun werde ich gewiß belogen, weil mir das linke Ohr klingt. Gotthold verwunderte sich, daß dieser so alte, heidnische Aberglaube noch bei uns Christen hafte, und sagte: Es stände euch besser an, wenn euch die Ohren klingen, daß ihr sagtet: Gott sei mir Sünder gnädig! Denn ob jemand Gutes oder Böses von euch redet, das weiß euer Ohr nicht, wo es nicht hört; nur das laßt euch gesagt sein, daß das Ohrenklingen, wenn es einem öfters widerfährt, eine starke Anzeige ist eines flüssigen und schwachen Haupts, von vielen bösen Dünsten eingenommen, die sich zuweilen durch die Ohren hinausdrängen und das vermeinte Klingen verursachen und solches pflegt ein Vortrab zu sein des Schnupfens oder der Taubsucht oder wol gar der schweren Noth und des Schlags. Und wenn ihr denn ja meint, daß einer alsdann Böses von euch redet, so wisset, daß der Teufel freilich nicht das Beste zu eurem Leben und Wandel vor Gott redet, wie ihr in des frommen Hiobs Geschichte, Hiob 1, 9. 10. zu ersehen habt; er verklagt euch, uns und andere Tag und Nacht vor Gott. Offenb. 12, 10. Bedenket auch wohl, ob ihr jemand heimlich oder öffentlich beleidigt und ihm Ursach gegeben, über euren Frevel zu seufzen, oder ob ihr sonst eine schwere Sünde begangen, die gen Himmel über euch schreit und daher ein böses Gewissen habt, welches euch ein Unglück andeutet, davor euch die Ohren gellen werden, wie die h. Schrift redet. 1. Sam. 3, 11. Und Eliphas sagt von dem Gottlosen: Was er höret, das schreckt ihn. Hiob 15, 2l. Seine Ohren klingen und sausen ihm vor Schrecken, wenn er an seine begangene Sünde gedenkt. So seufzt zu Gott mit herzlicher Reue über eure Sünde, im Glauben an den Herrn Jesum, das wird euch besser sein, als der abergläubische Narrentand, dessen ihr bisher gewohnt. Mein Gott! mir klingt nichts stärker und mehr in den Ohren, als die Stimme: Stehet auf, ihr Todten, und kommt vors Gericht! Ach hilf, daß, wenn sie einmal vom Himmel wirklich erklingen wird, ich sie mit Freuden hören und mit deinen Auserwählten zum ewigen Leben auferstehen möge!

136. Der Christ ohne Kreuz.

Eine vornehme, begüterte und gottselige Person klagte, daß ihr oft traurige Gedanken entständen, daher, weil die Schrift allenthalben den Christen und liebsten Kindern Gottes von vielem Kreuz predige und dessen Nutzbarkeit rühme, sie aber müßte bekennen, daß sie bisher nicht sonderlich viel Kreuz zu erfahren von Gott gewürdigt worden sei, daher sie oft zweifeln müßte, ob sie auch zur Zahl der lieben Gotteskinder gehörte. Gotthold sagte hierauf: Ich muß gestehen, daß mir dergleichen Klagen nicht viel vorkommen, weil entweder die Christen über Mangel des Kreuzes sich nicht beschweren dürfen, oder doch einem jeden, wenn er schon wenig oder gar nichts hat, dünkt, er habe so viel, als er tragen könne, und wissen vornehmlich die, so es nicht gewohnt sind, das ihrige für das größte zu halten. Was aber euch betrifft, sollte mich Wunder nehmen, ob ich denn nicht ein Kreuzlein für euch finden sollte. Ihr sagt, ihr plaget euch deßhalb mit traurigen Gedanken, daß ihr kein Kreuz habt, und eben diese traurigen Gedanken halte ich nicht für ein geringes Kreuz, maßen ihr denn eure Begierde und Verlangen dem Herrn Jesu ähnlich zu werden und ihm sein Kreuz nachzutragen damit bezeugt. Wenn auch unser hochverdienter Heiland so oft sagt: Wer nicht mein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach täglich, der kann mein Jünger nicht sein, der ist mein nicht werth, Matth. 10, 38., so ist solches nicht nur von den gewohnten Beschwerungen des menschlichen Lebens, sondern vornehmlich von der Kreuzigung des alten Menschen und der sündlichen Lüste und Begierden, von Verleugnung seiner selbst, von Zähmung seines Willens zu verstehen. Nun zweifle ich nicht, daß ihr täglich das klägliche Bild des gekreuzigten Herrn Jesu vor Augen habt und an ihm lernt, eurem Willen absagen, die Sünde meiden und dem Guten nachjagen, und hieran habt ihr eine hochnützliche Kreuzschule, und, wenn ihr darin euch fleißig übt, dürft ihr nicht sagen, daß ihr kein Kreuz habt. So wisset ihr auch, daß wir uns selbst kein Kreuz machen können oder sollen, (denn das pflegt auf Heuchelei auszulaufen), sondern Gott legt uns eine Last auf, Ps. 68, 20., und der Herr hat den Kreuzbecher in der Hand und schenkt aus demselben, wann und wie er will. Ps. 75, 9. Daß er euch nun bisher verschont, das erkennt mit demüthigstem Dank, weil vielleicht der Herzenskündiger wohl sieht, daß ihr nicht den Sinn zu ihm im Kreuz, als außer demselben haben würdet. Doch ist euer Lebensspiel noch nicht zu Ende, ihr könnt nicht wissen, was der liebe Gott noch für ein Kreuzlein bei Seite gelegt, das auf euch wartet und zu bestimmter Zeit niemand vor euch bekommen wird. Die schönsten Sommertage bringen oft auf den Abend die schwersten Gewitter, und, wenn der klare Wein verlaufen ist, pflegen wol die Hefen zu folgen. So danket abermals Gott, daß er euch Zeit gönnt, euch auf allen Fall zu bereiten und mit allerlei Nothdurft zur Gegenwehr euch zu versehen. Schließlich lebt ihr ja in der Gemeinschaft so viel hochbetrübter nothleidender, dürftiger und unter mancherlei Kreuz seufzender Christen, seid ihr nun ein Glied am Leibe des Herrn Jesu, so werdet ihr die Noth und Schmerzen eures Mitglieds fühlen und zu Herzen nehmen. Seht ihr demnach jemanden traurig, trauert mit ihm und tröstet ihn; seht ihr jemanden fallen und unter seiner Kreuzlast fast erliegen, bietet ihm die hülfreiche Hand und helft ihm wieder hervor; speiset die Hungrigen, tränkt die Durstigen, kleidet die Nackenden; habt ihr Ueberfluß, ersetzet damit anderer frommer Christen Mangel und machet euch also anderer Leute Leiden theilhaftig, helft ihnen ihr Kreuz tragen, wie Simon von Kyrene dem Herrn Jesu, Matth. 27, 32., so werdet ihr unter ihrer Gesellschaft als ein guter Kreuzträger mit durchgehen. Mein Herr Jesu! gieb mir das Herz deines Apostels, der da konnte niedrig und hoch, satt und hungrig, im Ueberfluß und Mangel sein. Phil. 4, 12. Verschonst du meiner, so dank ich’s dir und liebe dich brünstiglich; legst du mir denn ein Kreuz auf, so dank ich’s dir ebenfalls und liebe dich nicht desto minder. Was weiß ich’s, was mir dient? Du aber weißt alle Dinge, du weißt es.

137. Die Uhr.

Gotthold sah, daß einer seiner guten Freunde stets eine Uhr bei sich trug, darnach er, wie er sagte, auf seinen Reisen und in andern wichtigen Verrichtungen sich zu achten pflegte, auch zuweilen, wenn er bei Gesellschaft war, dieselbe hervorzog und, wie hoch es an der Zeit, sich erkundigte. Darüber hatte er folgende Gedanken: wenn nichts theurer ist, als die kurze Zeit, die der Höchste dem Menschen zu leben und Gutes zu thun gegönnt, so ist es eine sehr löbliche Sache, dieselbe als auf der Schnellwage abwägen und aufs richtigste und genaueste eintheilen, bedenkend, was der Apostel sagt: Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun an jedermann, Gal. 6, 10. Mein Uhrlein aber, das ich sonder einige Kosten, jedoch mit höchstem Nutzen bei mir tragen will, soll sein die Furcht meines Gottes, darüber ich zum Aufseher mein Gewissen bestellen will, damit ich nichts anderes thue, als was Gott gefällt und was die Kürze meines Lebens erheischt. Ein gewissenhaftes Herz ist in steter Bewegung wie eine Uhr und sagt uns, wenn wir nur Acht darauf haben, unfehlbar, wie viel es geschlagen und wann es Zeit ist, entweder vorsichtiglich zu wandeln, oder von Sünden abzulassen und zu Gott sich zu wenden. Mein getreuer Gott! ich danke dir, daß du in dem Menschen die Gewissensuhr bereitet hast, die mitten unter allen Geschäften und Ergötzlichkeiten gar hell schlägt, daß wir es zu empfinden nicht umhin können. Verleih, daß ich mich allezeit gottselig darnach richte und keine Zeit Gutes zu thun versäume!

138. Der Laurer.

Einer klagte, daß, als er mit einem guten Freunde im Vertrauen geredet hätte, ein anderer wider ihr Vermuthen im Winkel wäre gestanden, sie behorcht hätte und hernach ihre Rede ausgetragen und große Uneinigkeit damit angerichtet. Gotthold sagte: Es sind böse Leute, die Laurer und Horcher, und was sie anrichten können, bezeugt König Sauls blutgieriger Fuchsschwänzer Doeg, 1. Sam. 21, 7. 22, 9., der mit seinem verrätherischen Lauern 85 Priester sammt Weibern und Kindern ums Leben brachte. Ein solcher Mensch ist ärger, als ein Dieb, weil ein Dieb, was er an Gütern stiehlt, ihm selbst zum Besten, jener aber, was er an Heimlichkeiten mit Lauern erhascht, andern zum Schaden und Vernachtheilung ihres guten Namens anwendet. Allein sagt mir, wie seid ihr so unvorsichtig mit euren Worten umgegangen? Wißt ihr nicht, daß es oft besser wäre, eine Perle vom Kranz oder Schnur, als ein Wort von der Zunge verlieren? So lang ihr ein wichtiges Wort bei euch behaltet, so lange ist es euer; so bald ihrs aber heraussagt, gehört es allen denen, die es hören, mit oder wider euren Willen, und da ist es denn kein Wunder, daß sie damit umgehen als mit einer Sache, die ihr ist, sie setzen etwas dazu, sie nehmen etwas davon, sie dehnen es aus, oder ziehen es ein und geberden sich damit nach dem Gutdünken ihres Herzens. Wollt ihr dies nicht, so schweigt und behaltet euer Wort beim Herzen. Ihr sagt, ihr habt im Vertrauen mit einem guten Freunde geredet und euch des Laurers nicht versehen; Lieber, erinnert euch, was der weise König sagt: Fluche dem Könige nicht in deinem Herzen und fluche nicht (rede nicht Böses von) dem Reichen in deiner Schlafkammer, denn die Vögel des Himmels führen die Stimme und die Fittiche haben, sagens nach. Pred. 10, 20. Denket aber allezeit hieran und seid künftig behutsamer in euren Reden. Vergesset auch nicht eines andern Laurers, der allezeit horcht und alles hört, sieht und weiß, was wir insgeheim bei uns selbst oder im Vertrauen mit andern reden, thun oder denken! ich meine das wachsame Gewissen. Was ist das anders, als ein bestallter Buchhalter Gottes über unser ganzes Leben? Saget mir, wolltet ihr wol frei und ungescheut reden alles, was euch einfiele, wenn ihr wüßtet, daß einer in der Gesellschaft wäre, der alles einsammelte und hernach zu Papier brächte? Ich halte nicht. Warum scheut ihr euch denn vor eurem Gewissen nicht, welches alles verzeichnet und euch einmal vielleicht mehr vorhalten möchte, als es euch lieb wäre? Mein Gott! lege ein Schloß an meinen Mund und drücke ein fest Siegel auf mein Maul, daß ich dadurch nicht zu Fall kommen möge. Sir. 22, 33.

139. Der Schieferdecker.

Als an einem bekannten Ort ein Schieferdecker eine vom Winde beschädigte Thurmspitze bestiegen und nunmehr die Höhe derselben erreicht hatte und auf dem Knopf stand, ließ er sich einen Trunk Wein in einer Kanne und danebst ein Glas geben, schenkte sich selbst ein und trank unterschiedliche Mal auf Gesundheit einer und anderer vornehmen Person solchen Orts, welches männiglich und auch Gotthold mit furchtsamer Verwunderung ansah und darauf sagte: Es nimmt uns Wunder, daß dieser Mensch in solcher augenscheinlichen Gefahr, die wir ohne Grausen nicht bedenken können, ohne Furcht stehen, reden und trinken kann. Mein, sagt mir aber, ist wol unser einer, die wir hier auf flacher Erde stehen und ihm zusehen, mehr seines Lebens einen Augenblick sicher, als er Ihn könnte ein geringer Wind, ein weniges Gleiten, ein unvermuthlicher Schwindel von dannen herabstürzen, uns kann ein unversehener Fall oder Wurf oder Schuß, eine plötzliche Krankheit, der Schlag oder eine andere in geschwinder Eile aus der Welt fortschicken, wie die Erfahrung lehrt. Ich weiß Exempel, daß einer auf der Kanzel stehend predigt und einen jungen Prediger zu seinem Amt einführt und der Tod führt ihn plötzlich in die Ewigkeit ein. Ein vornehmer und berühmter Arzt und Lehrer bei einer hohen Schule ist auf einer Waise Hochzeit, die ihn zum Vater erbeten hatte; als er mit ihr nach des Orts Gewohnheit den ersten Ehrentanz thut, fordert ihn der Tod unvermuthet an seinen Tanz und eilt mit ihm ans der Welt. Ein Barbier hilft eine adelige Leiche zu Grabe tragen, und nachdem dieselbe ins Grab gelassen, will er nebst andern helfen, das Grab füllen, fällt aber um und bleibt stracks todt und füllt also sein selbst eignes Grab. Eine Dienstmagd will aus einem großen Sack Malz ins heiße Wasser schütten, der aber etwas entweicht, daß sie selbst hineinfällt und eilend ums Leben kommt. Eine andere geht vors Thor und will Sand holen; da aber der Berg schon eine große Höhle hatte und sie dennoch dahinein kriecht, fällt er über sie her und begräbt sie lebendig mit viel Fudern Erde. Dergleichen Fälle sind nicht selten, und dennoch achten wir es nicht. Wir stehen auf der Spitze der Ewigkeit und essen, trinken und sind sicher! Mein Gott! ich weiß gar nicht, wie, wo und wann der Tod auf dein Geheiß meinem Leben ein Ende machen wird. Darum sei jetzt und allezeit dies mein Vertrag im Glauben mit dir, mein Gott! daß ich dir lebe, dir sterbe, und lebendig oder todt dein sei und bleibe.

140. Der Maulwurf.

Gotthold sah, daß ein Gärtner einem Maulwurf aufpaßte, welchen er auch, indem er in seiner schädlichen Arbeit war, glücklich ertappte und mit dem Grabscheit aus der Erde warf, da er denn mit dem Leben bezahlen mußte. Dies Thierlein, dachte er bei sich selbst, ist ein artiges Bild eines zank- und gewinnsüchtigen Weltkindes, denn es thut nichts, als daß es um seiner Nahrung willen die schönen Gärten und Stecker durchpflügt, den Pflanzen die Wurzeln benagt und verdirbt, und mit seinen vielen aufgeworfenen Haufen die Gärten und Weiden verunziert, und so genau es im Finstern unter der Erde sehen und mausen kann, so blind ist es, wenn es ans Licht unvermuthet gebracht wird. So macht’s manches Weltkind, es wühlt und mauset im Finstern, es sucht seinen Vortheil, wenn schon andere darüber verdorren und verderben, es stiftet hie und dort ein Gedächtniß seines feindlichen und eigennützigen Gemüths, und wie klug und verschlagen es ist in weltlichen, irdischen Dingen, so weiß es doch von göttlichen, himmlischen und geistlichen Sachen weniger, als nichts zu sagen; der Tod aber steht und wartet auf des Höchsten Wink, da er denn so bald allen seinen irdischen Anschlägen und Ränken ein Ende macht und ihn aus der Erde in die Erde, aus seinen irdischen Gütern in das Grab wirft, da er denn nichts kann mitnehmen, und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren, sondern, wie er in seinem Leben die Finsterniß mehr, als das Licht geliebt, also sieht er nach diesem Leben das Licht nimmermehr. Ps. 49, 18. 20. Getreuer Gott! was wäre ich nütze auf der Welt, wenn ich das Licht des Himmels nicht sehen könnte und dich, du ewiges Licht, nicht sehen wollte? Besser wäre es, ein Maulwurf zu sein, der nach seinem Tode weder Gutes, noch Böses zu erwarten, als ein gottloser Mensch, der in die ewige Finsterniß, da Heulen und Zahnklappern sein wird, gehört.

141. Die wälsche Nuß.

Gotthold wurden etliche wälsche Nüsse in ihren grünen Rinden, wie sie halb zerschlagen und gequetscht vom Baum gekommen, vorgesetzt; indem er nun von denselben versuchte, hatte er dabei folgende Gedanken: dieser Kern muß doch eine sonderliche Kraft bei sich haben, wenn er mäßig und als eine Arznei gebraucht wird, weil man an der Natur fast gewohnt ist, daß sie, was sonderlich gut ist, aufs fleißigste einschließt und verwahrt, maßen denn auch dieser Kern zu Anfang, ehe er recht ausmachst, mit 4 und hernach mit 3 Rocken versehen ist. Ich sehe aber an dieser Nuß eine Abbildung menschlicher Frömmigkeit. Niemand ist, dessen Güte nicht in etliche Sündenhülsen sollte verhüllt sein. Ich kann zum Kern dieser Nuß nicht kommen, ehe ich meine Finger mit dem Saft der äußern grünen Rinde befleckt, die harte Schale zerquetscht und zerbrochen und endlich den weißgelben Rock ihm abgezogen habe. Und dies alles nehm ich gern über mich, weil der Kern mit seiner Süßigkeit alle solche Mühe erwiedert. Warum wollt ich denn nicht auch mit meinem Nächsten vorlieb nehmen, wenn er nicht lauter Kern und Tugend ist? Warum wollt ich nicht seine Fehler dulden, zuvoraus, wenn ich weiß, daß er nicht eine taube Nuß ist, ich will sagen, wenn ich klärlich spüre, daß das Herz nicht böse ist, sondern vom Glauben und Liebe mehrentheils beherrscht wird, nur daß es sich seiner angebornen und tief eingewurzelten Fehler nicht sofort entschlagen kann. Das edle Gold ist nicht alles stracks rein und lauter, sondern mit Schlacken umgeben, davon es das Feuer erlöst, Der schönste Weizen hat viel Spreu, die er doch, wenn er geworfen wird, hinter sich läßt; also leiden wir das Schlechte um des Besten willen an andern Dingen, warum wollten wir es unter uns nicht selbst thun? An lobwürdigen, tugendhaften Leuten ist nicht alles löblich und Tugend, und unter den Schlimmen muß man den für den Besten passiren lassen, der die wenigsten Fehler an sich hat. Mein Gott! vor dir weiß ich anders nichts zu sagen, als daß ich unter allen Sündern der vornehmste bin; vor Menschen aber habe ich genug, wenn sie noch etwas Gutes an mir finden und meine Fehler, wie ich ihre, mit Sanftmuth ertragen. Von denen aber, die niemals ihres Nächsten Finger mit ihren Fehlern befleckt und lauter Kern sind, magst du urtheilen, der du aller Welt Richter bist.

142. Die Dörfer.

Als Gotthold auf einem hoch erhabenen Hügel stand, konnte er über das flache Land ziemlich weit um sich sehen und unterschiedlich viele Dörfer, die er an ihren Kirchtürmen erkannte, in der Runde zählen. Er seufzte und gedachte: du allwissender Gott! ich stehe hier auf einem Hügel, der gegen das große Gebirge auf Erden als ein Maulwurfshaufe zu achten ist und kann doch so viel Dörfer sehen und zählen. Ich sehe aber weiter nichts, als ein erhabenes Merkzeichen, daß Leute da wohnen; was es aber für Leute sind, wie viel ihrer sind, was sie jetzt thun, wo sie sitzen, wohin sie gehen, das sehe und weiß ich nicht; nur, daß ich hoffe, daß dennoch in so vielen Dörfern viele fromme Christen sind, die dich und deinen liebsten Sohn Jesum Christum erkennen, lieben und loben; daneben befahre ich, daß auch viele steche, eigennützige, unwissende Leute bei und nebst den andern sich befinden. Du aber hast dich sehr hoch gesetzt und stehest von dannen auf das Niedrige im Himmel und auf Erden. Ps. 113, 5. 6. Du siehst und zählst alle Länder, Städte und Dörfer auf dem ganzen Erdboden, du schaust auch auf alle Einwohner und weißt, was sie gedenken, hörst, was sie reden, siehst, was sie thun. Ach, barmherziger Gott! du siehst zweifelsfrei manches fromme Herz, das seine Augen auf dich gerichtet hat und in deiner Furcht wandelt, wer will aber denken können, wie viel Bosheit, Tücke, Anschläge, Schande und Laster deine allerheiligsten Augen auch unter deinen Christen sehen müssen? Und dennoch regierst du die Welt mit viel Verschonen und übersiehst der Menschen Sünde, daß sie sich bessern sollen. Weisheit 24., 12, 18. Weh aber denen, die deine langmüthige Güte mißbrauchen und wollen vor dir verborgen sein, ihr Vornehmen zu verhehlen, und ihr Thun im Finstern halten und sprechen: Wer sieht uns und wer kennt uns? Jes. 29, 15. Mein Gott! ich mag frei sündigen, wenn ich mich wohin verbergen kann, da du mich und mein Vornehmen nicht stehest. ,Allein, laß mich ja nimmermehr vergessen, daß deine Augen heller sind, als die Sonne, damit du auch in die verborgensten Winkel siehst. Sir. 23, 27. 28.

143. Die Wolken.

Nachdem es eine Weile geregnet und nunmehr ein mäßiger Ostwind begann die Wolken zu vertreiben, ging Gotthold ins Feld hinaus, dankte seinem Gott für das fruchtbare Gewitter, und als er die Augen gen Himmel erhob und die schwebenden Wolken ansah, sprach er bei sich selbst: mein Gott! da ziehen sie hin, deine Wagen, darauf du (laß mich armen Menschen auf Menschenweise reden!) lustiren fährst und deine Aecker, Gärten, Wiesen, Wälder und Felder besichtigst. Die Bettler laufen hinter reicher Leute Karossen und Kutschen her und geilen und geifern um ein Almosen; wir, mein Gott! sind alle deine Bettler und schreien dir nach, wenn du auf den Wolken fährst: Gieb uns unser täglich Brod! Die Wolken sind dein Sprengkrug, damit du als ein Gärtner zur dürren Zeit unser trocknes Land befeuchtest; sie sind deine künstlichen Wasserzieher, durch welche du das Wasser in die Höhe führst und von dannen im Regen mit Segen nach aller unserer Nothdurft herunter leitest; sie sind dein guter Schatz mit Wein, Bier, Oel, Butter, Korn, Malz und Schmalz gefüllt, welchen du, wenn’s deiner Güte beliebt, eröffnest, und sättigest alles, was lebt, mit Wohlgefallen; sie sind deine große Decke, damit du nach Gutbefinden die Gewächse überziehst und überhüllst, daß sie nicht in anhaltender scharfer Hitze ausgesaftet und verderbt werden; sie sind auch zuweilen dein Zeughaus, darinnen dein Geschütz, Kraut und Loth, Donner und Blitz meine ich, verwahrt wird, damit du entweder die Menschenkinder väterlich schreckst, oder mächtiglich strafst. Nun, mein Gott, ich sehe an dieses dein herrliches Geschöpf in Demuth und schuldigster Dankbarkeit; wann soll ich aber, mein Herr Jesu! sehen die Wolken, in welchen du wirst wieder kommen, zu richten die Lebendigen und die Todten? Das wird wol eine Wolke sein, wie die zwischen den Israelitern und Aegyptern, welche jenen Licht und diesen eine Finsterniß war. 2. Mos. 14, 20. Also werden deine Gläubigen in deiner Thronwolke lauter Licht und die Gottlosen lauter Finsterniß finden. Hilf, mein Herr und mein Gott! daß ich hieran allezeit denke, deine Wiederkunft stets in guter Bereitschaft erwarte und endlich, mit allen Auserwählten in den Wolken dir entgegen gerückt, bei dir allezeit sein möge.

144. Der Spiegel.

Als Gotthold in eine schöne Stube kam, in welcher unter anderem auch ein heller großer Spiegel hing, darinnen man im Auf- und Niedergehen sich selbst gar eigentlich abgebildet sah, gerieth er darüber auf folgende Gedanken: niemand kann sich selbst unter dem Gesicht betrachten, wo er nicht den Spiegel, oder was spiegelartig ist, zu Hülfe nimmt; also ist niemand, wie verständig er auch sonst ist, klug genug und scharfsichtig in seinen eignen Sachen, sondern er muß erfahren, daß ein anderer, der es aufrichtig meint, ihm seine Beschaffenheit besser, als er selbst vorstellen kann; zweifelsfrei hat es der allweise Gott also verordnet zu dem Ende, daß nicht der Mensch sein selbst eigen Abgott würde und andere für Schatten und Schwämme hielte. Er giebt einem Kinde einen Apfel in die Hand, damit die andern ihm nachfolgen und brüderlich mit ihm spielen mögen; er macht aus der Noth, und daß einer des andern bedarf, einen Liebesgürtel, damit er uns sämmtlich verbinden will, allermaßen wie er auch in einem Lande nicht alles wachsen läßt, damit ein Volk mit dem andern durch Kaufmannschaft zum Frieden und nachbarlich gutem Vertrauen möge vereinbart werden. Wie sind’s doch denn so thörichte Leute, die Sonderlinge, die sich im betrüglichen Spiegel der Eigenliebe beschauen, meinend, alle Welt bedürfe ihrer, sie aber bedürfen niemandes; sie haben und wissen alles, andere nichts. Von diesen hat der weiseste unter den Königen wohl gesagt: Ein Narr hat nicht Lust am Verstand (und verständigem wohlgemeintem Einrathen anderer Leute), sondern an dem, was in seinem Herzen steckt (und wächst, welches zuweilen lauter Nesseln und Disteln zu sein pflegt.) Sprüchw. 18, 2. Mein Gott! laß mich nicht in die thörichte Hoffart gerathen, die da meint, daß aller Menschen Witz bei ihrer Weisheit zu Lehen gehe. Gieb mir allezeit einen klugen, gottseligen und treuen Freund, der als ein aufrichtiger Spiegel, was zu meinem Besten dient, mir vor Augen stelle. Sollte es aber daran fehlen, so halte mir allezeit vor den Spiegel deines Worts, vom Glanz deiner Gnade und Geistes bestrahlt, damit ich in Erwählung deß, was meiner Seligkeit dient, nimmermehr fehle.

145. Der Weizenhaufen.

Der Weizen wird billig für das schönste Korn gehalten, maßen er denn nicht allein mit seiner gelbbraunen schönen Farbe die Augen, sondern auch mit dem schneeweißen Mehl den Magen nach Wunsch füllt und sättigt. Als nun Gotthold einen ziemlich großen Weizenhaufen auf einer Tenne liegen sah, schlug er seine Hände mit Seufzen zusammen, erhob seine Augen gen Himmel und sagte bei sich selbst: du milder Vater und Erhalter aller Kreaturen: du schaffst unsern Grenzen Frieden und sättigst uns mit dem besten Weizen! Ps. 147, 14. In diesem so schönen Haufen sind viel tausend Körnlein und ein jedes ist nichts anders, als ein Tröpflein deiner göttlichen Güte. Denn ohne dieselbe könnte keine Kraft dem menschlichen Leben zu Dienst darinnen sein. Dieser Haufen ist unten breit und spitzt sich oben zu, dabei ich mich erinnere deiner weitläuftigen Gnade, die sich in unzählig vielen Wohlthaten über den ganzen Erdkreis erstreckt, oben aber auf das Einige ausläuft, daß alle gute und vollkommene Gabe von oben herab, von dir, dem Vater des Lichts, kommt. Jak. 1, 17. An diesem Haufen, wenn ein paar Körnlein geregt und hinweg genommen werden, so fallen 100 andere nachher, daran ich mit Lust schaue ein Bild deiner göttlichen Mildigkeit, welche, wenn wir ein Weniges mit demüthiger Dankbarkeit nehmen und verzehren oder dem dürftigen Nächsten reichen, mit tausendfachem Segen solches wieder einbringt. Mein Gott! es war ein Großes und Wunderbares, daß du deinem Volke Brod ließest in den Wolken wachsen und schüttetest es haufenweise mit dem Thau um ihr Lager her, 2. Mos. 16, 24., allein, mein Vater! ich verwundere mich nicht weniger über dies, dein edles Geschöpf, weil jenes hell, weiß und klar war, wie theils Wolken sind, die den silberhellen Regen gebären; die Erde aber ist schwarz, steinig und scheußlich und bringt doch diese so schöne gelbbraune und mit dem weißen Mehl angefüllte Frucht. Ich halte, dieses wäre eben so ein großes Wunder, als jenes, wenn es auch so selten geschähe, als jenes. Frommer Gott! wenn ich so viel Zungen hätte, als in diesem Haufen Körnlein sind, könnte ich dich nimmer genugsam loben, und will doch nicht unterlassen, dich zu loben, weil du nicht müde wirst, Gutes zu thun.

146. Der Steckenreiter.

Gotthold sah ein Knäblein auf einem Stecken fröhlich und frisch daher reiten, sein Spießrüthlein in Händen habend. Ach, sagte er bei sich selbst, wie glückselig ist die Zeit, die wir also in kindlicher Einfalt zubringen! Was hat ein großer Rittersmann, der auf einem stolzen und prächtigen Gaul daher sprengt, mehr davon, als dieses Kind, weil doch unsere zeitliche Glückseligkeit mehrentheils auf unserem Wahn beruht! da denn dieser ritterliche Fußgänger bei sich selbst und andern vielleicht so viel angesehen ist, als jener. Ja, ein prächtiger Reiter ist oft mit so vielen Sünden, Sorgen, unlustigen Geschäften und Schulden belästigt, daß es Wunder ist, wenn es das Pferd tragen kann. Dieses Kind aber springt fröhlich in seinem Taufkleide und Unschuld daher, hat keine Sorge, wo es für sein Pferd wolle Futter bekommen, und keine Schulden, als damit es seinen Eltern zum Gehorsam und Dankbarkeit verpflichtet ist. Wir lachen dieses Kindleins, daß es auf seinen Füßen reitet und, als hatte es sie entlehnt, daher trabt, allein, wenn wirs recht bedenken, so ist unsere Herrlichkeit und Lust eben so lächerlich, vornehmlich in dessen Augen, der in vielem Kreuz und mancherlei Widerwärtigkeit alt geworden und gelernt hat, die Eitelkeit der Welt verachten und die beständige Herrlichkeit suchen. Die Kinder reiten, fahren, zählen Geld, bauen Häuser, halten Gastmahl, Hochzeit und Kindtaufe, bis sie müde werden und schlafen gehen. Also wir Alten machen uns auch viel zu schaffen, haben mancherlei Einfälle, sammeln Schätze, bauen Häuser, Paläste und Schlösser, bis wir endlich an allen unsern Werken einen Eckel sehen, alles für eitel ausrufen und im Tode uns zur Ruhe geben. Mancher, wenn er zurücksieht auf sein Kinderspiel, kann sich des Lachens nicht enthalten, wenn er aber aus jenem Leben auf die Thorheit dieser Welt wird zurückdenken können, wird er nicht wissen, wann er mehr kindisch gewesen, in der Jugend oder im Alter. Mein Herr Jesu! ich gedenke jetzt an dein Wort: Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Matth. 18, 3. Verleih mir Gnade zur kindlichen Einfalt, Demuth, Aufrichtigkeit, Mitleiden, Versöhnlichkeit, Keuschheit und Unschuld! Besser ist es mir in kindlicher Thorheit selig, als in thörichter Weisheit verdammt werden.

147. Die Schlafgänger.

In einer Gesellschaft gerieth man unter anderem auch auf die Rede von den Schlafgängern, welche bei Nacht schlafend aufstehen, hin und wieder wandeln und allerlei wunderliche, seltsame Dinge vornehmen, auch zuweilen ungeachtet der großen Gefahr, darinnen sie schweben, glücklich vollbringen. Als man nun nach Anführung vieler Exempel von den Ursachen solchen seltsamen Thuns sich befragte, sagte Gotthold: Ich kann anders nicht befinden, als daß nebst den natürlichen Ursachen auch der Satan auf Gottes Verhängniß bei solchen Leuten geschäftig sei, doch also, daß ihm der h. Engel Wachsamkeit stets widersteht und Gottes gnädige Verordnung ihm Maß und Ziel bestimmt, wie weit er gehen soll, und das darum, daß wir auch im Schlaf nicht sicher sein, sondern denselben mit eifrigem Gebet anfangen und mit fleißigster Dankbarkeit enden sollen. Wer ein und ander Exempel mit Nachsinnen betrachtet, wird hierin mir leicht Beifall geben. Jener Schulmeister, Gundisalvus, wurde gewiß im Schlaf von dem Mordgeiste geführt, als er einen andern in seinem Bette mit einer Scheere erstechen wollte, welches aber derselbe, der eben ohne Zweifel durch Gottes Schickung wachte, bei hellem Mondschein gewahr geworden, sich hinterm Bette verkrochen und den Schlafwanderer in sein Hauptkissen 3 oder 4mal hat stechen lassen. Nicht weniger denkwürdig ist, was sich mit einem spanischen Edelmann, Tapia zugenannt, begeben, der, als er auch einmal seiner Gewohnheit nach bei heißer Sommerzeit im Schlaf gewandelt und sich im kalten Fluß abzukühlen willens gewesen, vom bösen Geist in ein tiefes Loch oder Schlund im Wasser von der Brücke zu springen beschwatzt worden und kaum mit dem Leben wieder ans Ufer gekommen ist. Ich selbst habe von den Meinigen oft erzählen hören, daß ein Goldschmid einen Gesellen gehabt, der mit dieser Krankheit beladen gewesen, als nun derselbe einmal zeitig schlafen gegangen und in der Stube viel Frauen und Jungfrauen aus selbigem und benachbarten Häusern beisammen gewesen, in einem Kreis ums Licht gesessen und gesponnen haben, ist er im Schlaf aufgestanden, bloß bis aufs Hemde in die Stube gegangen, hat eine schwere Lade ergriffen und dieselbe ohne besondere Mühe aufgehoben, willens unter sie zu werfen, daß sie kaum mit ängstlichem Geschrei ihn ermuntern und abhalten konnten, da er endlich die Lade niedergesetzt und ganz erschrocken und schamroth wieder zu Bette geeilt. Laßt uns aber an diesen Leuten wahrnehmen ein Ebenbild der üppigen Weltkinder, die da wachend schlafen und sich in ihrem ganzen Leben, so tags als nachts, von ihren sündlichen Einbildungen und Begierden, von der Welt Reizung und des Teufels Einraunen leiten und führen lassen. Es geht ihnen zwar ihr Muthwille eine Zeit lang wohl von statten, allermaßen als die Schlafgänger bei Nacht oft das erreichen und ersteigen, wohin sie bei Tag wachend schwerlich hätten gelangen sollen; allein, wenn die Langmuth Gottes nun endlich ermüden wird, ihrem Frevel und Sicherheit zuzusehen, so dürften sie, leider! mit ihrem ewigen Schaden erfahren, daß sie im Schlaf und in der Nacht gewandert und die große Gefahr ihrer armen Seele nicht bedacht haben. Hilf, mein Gott! du Menschenhüter, daß, wenn ich schlafe, mein Herz dennoch wache! behüte mich vor Sicherheit und leite mich mit deinen Augen, so werd ich auf allen meinen Wegen sicher wandeln können.

148. Der Schatten.

Als Gotthold aus seinem Gärtlein gegen den Mittag nach Hause eilte und, wie es der Weg nicht anders gab, das Gesicht gegen die Sonne richten mußte, sah er mit Nachdenken, wie er seinen Schatten zum Nachgänger hatte, und sagte bei sich selbst: die Ehre ist wie der Schatten, der zuweilen vor uns herwandert, zuweilen neben uns geht, zuweilen uns auf dem Fuß folgt. Also hat mancher große Ehre, ehe er sie noch verdient hat; sein Geschlecht, seine Macht, sein Vermögen und des Pöbels wasserartige Gunst macht ihm ein Ansehen, das oft größer ist, als der Leib, so dem Schatten folgt. Manchen begleitet seine Ehre und genießt er seines wohlverdienten Ruhms, doch mehrmals nur auf einer Seite, weil sich allezeit Leute finden, die auch wohlverdientes Lob, wie die Juden das beste Geld, zu beschneiden wissen. Mancher, ob er schon mit unverrücktem Herzen dem Licht der Tugend entgegenwandelt, hat doch keinen Ruhm bei seinem Leben zu erwarten, bis endlich mit seinem Leibe auch der Neid erstirbt, da denn die Welt erst recht beginnt, zu urtheilen und ihm den Schatten des längst verdienten Ruhms von hintenzu nachfolgen läßt. Die Heuchler wandeln auch der Sonne entgegen, ich will sagen, sie richten ihren äußerlichen Wandel als Kinder des Lichts ein, wissen viel von der Klarheit und Wahrheit, darum sie eifern, zu sagen, auch sich des äußerlichen Scheins der Gottseligkeit also zu bedienen, daß einer Mühe haben soll, unter ihnen und den wahrhaften Kindern des Lichts einen Unterschied zu machen. Allein dies ist ihr gewisses Merkmal, daß sie sich oft, doch unvermerkter Weise, nach dem Schatten umsehen, der ihnen folgt. Ich meine, sie lassen zuöfterst blicken, daß ihr meistes Absehen auf eitle Ehre vor der Welt gerichtet sei. Sie lieben die Sonne, weil sie ihnen Schatten macht, sie lieben die Gottseligkeit, weil sie ein Ansehen bei den Leuten von ihr erwarten; verbirgt sich aber die Sonne unter einer Wolke und der Schatten verschwindet, sollst du bald gewahr werden, daß sie, ich weiß nicht wo, sich eine Sonne suchen werden. Und solche haben nach dem Ausspruch deß, der die Lebendigen und die Todten richten wird, ihren Lohn dahin. Matth. 6, 2. Mein Herr Jesu! du Sonne der Gerechtigkeit, mein Geist ist im Glauben und Liebe gegen dich gerichtet. Das Fleisch kann, nach den Schattenwerken sich umzusehen nicht wohl unterlassen; dem wirst du zuweilen eine Thorheit zu gut halten, bis wir dahin kommen, da der Schatten weichen muß. Hohel. 2, 17.

149. Die umgeworfenen Bäume.

Es hatte ein großer Sturmwind in einem Gehölz viel stattlicher Bäume an unterschiedenen Oertern umgeworfen, daß sie an der Reihe wie die Erschlagenen lagen. Indem nun Gotthold dieses besichtigte und seine Gedanken in der Heimkehr darüber hatte, mußte er bei einem Baum vorüber gehen, der im freien Feld allein stand und dennoch vom gewaltigen Winde nicht beschädigt war, da er sich denn billig verwunderte, wie dieser Einsiedler hätte ausdauern können, da die andern mitten im Walde, da sie doch einer von dem andern Schutz haben konnten, hatten herhalten müssen. Im Nachdenken fand er, daß die Bäume, so im dicken Walde einer neben dem andern wachsen, ihre Wurzeln nicht so fest in die Erde treiben, als andere, die auf freiem Felde stehen, maßen denn jene mehr in die Höhe lang und schwang ausschießen und die Sonne suchen, auch von geringen Winden, da einer den andern schützt, nicht bewegt werden, darum sie denn hernach vom starken Winde in einer Reihe desto leichter zu fällen find; der aber auf freiem Platz steht, ist des Windes gewohnt, ist kurz und ästig, mit fast so vielen und starken Wurzeln in der Erde, als Zweigen außer derselben versehen, und darum kann er im Sturm und Ungewitter Stand halten. Und so geht’s auch, sagte er bei sich selbst, unter den Menschen zu, welche mit Bäumen zu vergleichen die Schrift so oft beliebt hat. Die rechten Kern- und Herzchristen muß man bei großer Menge, schwulstigem Ansehen und hochsinniger Vermessenheit nicht suchen; außer der Anfechtung stehen sie wol und breiten ihren glückseligen Wipfel gegen die lieblichen Sonnenstrahlen; so aber ein Sturm entsteht, da fällt einer über den andern. Was aber elend, einsam und verachtet ist vor der Welt, der Anfechtung von Jugend auf gewohnt, im Glauben fest gewurzelt und in der Liebe gegründet, die stehen und werden durch Gottes Macht bewahrt zur Seligkeit. Mein Gott! in deiner Gnade will ich meine Glaubenswurzel weit und fest breiten und setzen, du bist mein Hort, meine Hülfe und mein Schutz, daß mich kein Fall (oder Sturm) stürzen wird, wie groß er ist! Psalm 52, 3.

150. Der bestohlne Baum.

Gotthold ward von einem guten Mann in seinem Garten ein schöner junger Baum gezeigt, welcher, wie er berichtete, vor etlichen Jahren von einem losen Menschen bestohlen worden, als er voller schöner Aepfel gehangen, und seither keine Früchte getragen hätte. Daraus sagte er: Es ist höchlich zu verwundern, daß auch die Natur der Sünde so feind ist, daß ein solcher Baum um die Gewalt, so ihm widerfahren, gleichsam etliche Jahre trauern muß. Ein Dieb muß einen giftigen Odem haben, daß er mit seinem Anhauchen ein so junges Holz auf eine Zeit lang aller Kräfte beraubt, wo nicht vielmehr der Teufel aus demselben es thut, der in solcher That sein Herz besitzt und nicht gerne ohne das sieht, daß noch ein Apfel am Baum zu des Menschen Dienst und Erquickung hängt. So geht’s auch zu mit den großen, doch vermummten und verkleideten Dieben, die täglich die Armuth durch ihre Schinderei, Wucher und Uebersatz bestehlen. Wer ihnen unter die Hände kommt, der wird hernach nicht leicht auf- und zu Kräften kommen. Doch ist besser bestohlen, als bestehlen; ihr wißt nicht, wer diesen Baum bestohlen hat, und wir kennen nicht oder müssen nicht kennen die prächtigen und ehrbaren Diebe; Gott aber kennt sie beide, der wird sie zu finden wissen zu seiner Zeit. Denn so ein Dieb den Segen Gottes gleichsam verjagt und den Fluch bringt da, wo er kaum eine Viertelstunde hauset und das Gestohlene holt, wie vielmehr wird alles Gedeihen vor ihm fliehen und aller Fluch ihm folgen da, wo er allezeit ist und das Gestohlne einsammelt und verwahrt. Mein Gott! dein h. Bote hat wohl gesagt, daß der Geiz eine Wurzel alles Uebels sei, 1. Timoth. 6, 10., maßen er viele andere Sünden und auch viele Strafen gebiert, darum neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Geiz! Ps. 119, 36.

151. Die Rothe.

Es ward einem jungen Mägdlein im Beisein Gottholds wegen einiger unziemlichen Sitten von seiner Mutter verweislich zugeredet, darüber dasselbe ganz erröthete und mit thränenden Augen sich in einen Winkel setzte. Dazu sagte Gotthold: Wie schön habt ihr doch euer Töchterlein gemacht mit diesem geringen Verweis! Diese purpurrothe Farbe und silberhellen Thränen stehen ihr zierlicher an, als das rothe Gold und die schönsten Perlen, maßen man diese auch einem unverschämten stechen Balg umhängen kann, jene aber bei den sittigsten Naturen sich nur eräugen. Eine Rose, in voller Blüthe stehend und mit den hellsten Thautropfen bethränt, ist nicht so schön, als ein solches Kind, das seines Versehens halber auf seiner Eltern Zureden erröthet und mit Thränen seinen Uebelstand beklagt. Dies ist der Schild, den die Natur ausgehängt hat, zu bedeuten, wo die Keuschheit wohnt. Laßt uns auch bei dieser Begebenheit Anlaß zu gottseligen Gedanken nehmen! Sehet, wie ein Glied des Leibes mit dem andern es so treulich hält. Wenn dem Gesicht etwas Widriges und Schamwürdiges begegnet, so erregt sich so bald das Herz und sendet demselben einen Guß Geblüts zu, damit es sich gleichsam verhüllen und der Schande entbrechen soll. So aber dem Herzen ein Unfall zustößt durch großen Eifer, plötzlichen Schrecken oder Furcht, so verliert sich unterm Gesicht alles Blut und eilt dem nothleidenden Herzen zu Hülfe, daher in solchen Begebenheiten die Menschen erblassen. So soll es unter uns Christen auch sein, weil wir unter einander Glieder sind; einer soll des andern Schande, so viel möglich und mit gutem Gewissen geschehen kann, helfen verdecken, seine Noth sich lassen zu Herzen gehen und ihm in allerlei Fällen zu Hülfe eilen, wie er kann und vermag. Allein, weil man bei wenig Leuten solches spürt, fehlt es nicht, es müssen wenig gute Christen sein. Mein Gott! jetzt sind die Zeiten, da die Ungerechtigkeit hat überhand genommen und die Liebe in vieler Herzen erkaltet ist. Matth. 24, 12. Es werden jedennoch wenige sein, die das Feuer der christlichen Liebe gern erhalten; laß mich, mein Vater, unter den wenigen sein!

152. Der Rabe.

Gotthold sah einen Raben daher fliegen, der sich auch nicht weit von ihm auf einen dürren Zweig setzte und seine rauhe Stimme hören ließ. Er war eben voll trauriger Gedanken und ermunterte sich durch dieses Fügniß, sagend: nun werd ich eingedenk der Worte meines Erlösers: Nehmet wahr der Raben, sie säen nicht, sie erndten auch nicht, sie haben auch keine Keller, noch Scheunen, und Gott nähret sie doch; wie viel aber seid ihr besser, als die Vögel. Luc. 12, 24., womit er denn ohne Zweifel uns verweisen wollte auf die Worte Hiobs und Davids, darin sie lehren, daß Gott den Raben die Speise bereite, wenn ihre Jungen zu Gott rufen, irre fliegen und nicht zu essen haben, Hiob 38, 41. Ps. 147, 9., und auf die Geschichte des Propheten Elias, welchem die Raben auf Gottes Gebot alle Morgen und Abend Brod und Fleisch, gebracht. 1. Kön. 17, 4. b. Was plag ich mich denn selbst mit meinen eignen Gedanken und bin mir selbst eine Last? Diesen schwarzen, unstäthigen, unangenehmen Vogel läßt Gott nicht unversorgt, weil er sein Geschöpf ist und ihn anruft, so gut er’s ihm gegeben hat, und er sollte meiner vergessen, der ich sein Kind bin, in dessen Herz sein Geist ohne Unterlaß schreit: Abba, lieber Vater! Das sei ferne! Ich habe nie meinem hungrigen Kinde das Brod genommen und es den Hunden oder Hühnern vorgeworfen; wie sollte denn der himmlische Vater mir das Brod entziehen und die unvernünftigen Thiere versorgen? Mein Gott! ich schäme mich, daß dieser unvernünftige und schwarze Lehrmeister mir vom Vertrauen auf deine Güte predigen muß, da ich doch so viele Proben deiner väterlichen Fürsorge in meinem Leben finde, die mich alle deiner beharrlichen Gunst und unverkürzten Hand versichern. Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist. Ps. 42, 12.

153. Das unwillige Almosen.

Als Gotthold bei etlichen wichtigen Verrichtungen geschäftig und daher voll tiefsinniger Gedanken war, kam sein Töchterlein unvermuthet zu ihm hinein und brachte ihm einer armen Wittwe schriftliches Zeugniß, darin ihres Elends Ursachen glaubwürdig verzeichnet waren, und erheischte für dieselbe ein Almosen. Darüber entrüstete er sich ziemlich und fuhr das Mägdlein mit harten Worten an. Bald aber besann er sich und sagte bei sich selbst: ich elender Mensch! wie großes Ansehen hat oft mein Christenthum bei mir selbst, und wie kühnlich darf ich sagen: Herr Jesu! du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe, und jetzt, da mein Erlöser kommt und ein geringes Almosen für diese arme Wittwe als eine wirkliche Bezeugung meiner Liebe begehrt, da laß ich mirs zuwider sein, daß er mir in meinen schlechten Gedanken eine kleine, doch selige Störung macht? Gehe nun hin und liebkose dich selbst mit deinem Glauben und der Gottseligkeit! Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 2. Cor. 9, 7. Das unwillige Almosen aber ist wie eine Rose, vom Schwefelgeruch entfärbt und verderbt, wie ein sandig und steinig Mehl, wie ein versalzenes und unschmackhaftes Gericht. Wer mit unwilligem Herzen und harten Worten Gutes thut, ist einer Kuh gleich, die Milch giebt und schlägt mit dem Fuß den Eimer wieder um. Eine Gutthat gegen die Armen soll sein wie das Oel, welches, wenn es aus einem Gefäß in das andere fließt, kein Geräusch macht, sondern lieblich und linde fällt. Mein Gott, du heißest mich kommen, wenn’s mir beliebt und meine Noth mich zu dir treibt, und ich komme niemals dir ungelegen oder zur Unzeit; du haft die Welt zu regieren und läßt dich nicht irren, wenn ich abends, morgens und mittags zu dir hinein rausche und ein Almosen von deiner Barmherzigkeit fordere. Was bild ich mir denn ein, daß ich meine Geschäfte und Gedanken höher, als meines betrübten Mitchristen Flehen und Seufzen achten wolle? Jetzt erkenne ich, daß die Sünde eine Uebereilung ist, und habe Ursache, hinfort mit mehr Freundlichkeit meinen Herrn Jesum in seinen Gliedern zu empfangen, damit er auch nicht, wenn ich seiner benöthigt, mir den Rücken zuwende.

154. Die Citronenschnitte.

Einem vornehmen Herrn war von den Aerzten gerathen, daß er allezeit unter dem Essen sich sollte etliche Citronenscheiben, mit Zucker dick bestreut, auftragen lassen und dieselben genießen. Gotthold hörte dies und erkundigte sich wegen der Ursache, da ihm denn geantwortet wurde, daß es der Gesundheit des Herrn nicht anders zuträglich wäre, denn weil er mehrentheils andere hohe Personen bei sich hätte oder selbst in hohen Verschickungen bei andern sein und viel starken Weins trinken müßte, könnten die Citronen ihn nicht allein beim Appetit zum Essen erhalten, sondern auch der Hitze des Weins mit ihrer Kühle widerstehen und ihm zu zehren geben. So ist es denn, sagte Gotthold bei sich selbst, so schwer, als unmöglich, daß einer im großen Glück ohne Unglück glückselig sein kann. Das stetige Wohlergehen ist wie das stärkste Getränke; es macht fröhlich mit Uebermuth, frech, wild, unbarmherzig, lüstern, sicher und vergessen; und was kann hieraus, als die größte Gefahr des Leibes und der Seele entstehen? Darum ist es eine verborgene Wohlthat Gottes, wenn er einem bei dem süßen Wein weltlicher Glückseligkeit etliche saure Citronenschnitten von Widerwärtigkeit vortragen läßt, und dies macht mir gute Hoffnung von vielen reichen und hohen Leuten, daß sie zum Himmel gehören, weil ich sehe, daß sie bei aller ihrer Herrlichkeit oft so saure Bissen essen müssen, davon ihnen die Augen übergehen, das Herz einen Ekel vor der Welt kriegt und nach der lautern, beständigen Herrlichkeit im Himmel verlangt. Die aber hievon nicht wissen, die haben ihr so stetiges Wohlergehen in Betrachtung des reichen Mannes um desto mehr verdächtig zu halten. Mein Gott! meine Citronen und Zucker, deren ich mich im Wohl- und Uebelstand zur Gesundheit meiner Seele bedienen will, soll sein die Betrachtung meiner Sünden und deiner Gnade, der weltlichen Eitelkeit und der himmlischen Seligkeit, damit ich weder übermüthig, noch gar zu kleinmüthig werde, und dieser Welt so brauche, daß ich ihrer nicht mißbrauche.

155. Der Schweiß.

Gotthold sah einen Taglohner arbeiten, daß ihm nicht allein die Schweißtropfen über das Gesicht liefen, sondern auch das Hemde pfützennaß machten; dabei gedachte er und sagte: Der saure Schweiß, der uns bei schwerer Arbeit über die Nase läuft, ist eine Strafe der Sünde, 1. Mos. 3, 19., und dennoch ist Gott so gütig, daß auch seine Strafe uns muß zum Besten dienen, maßen denn der Schweiß für viele Krankheit gut ist und viel böse, giftige Dünste aus dem sterblichen Leibe abführt. So geht es auch mit der Arbeit zu, welche den Schweiß verursacht; wenn der Mensch sich selbst gelassen nach seinem Fall sollte ein Junker sein und nicht arbeiten dürfte, würde das seine Arbeit sein, daß er spornstreichs der Hölle in den Rachen rennen würde. Denn es ist unmöglich, daß ein müßiger Mensch nicht sollte Böses thun, weil Nichtsthun die Schule ist, darin man Böses thun lehrt und lernt. Ein arbeitsamer Mensch aber, der in den Werken seines Berufs geschäftig ist, hat nicht Zeit, des Teufels Einraunen zu beobachten. Es meint oft der Mensch, er habe umsonst und nur für andere gearbeitet, weil er die Frucht seiner Mühe andern zu brechen und zu genießen lassen muß; allein, wenn man’s recht bedenkt, ist keine Arbeit umsonst und dir nicht zuträglich. Zum wenigsten hast du das davon, daß du das Böse zu thun vermieden und dich wohl gefaßt gemacht, Rechnung zu thun, wenn, wie du deine Zeit angewandt, wird gefragt werden. Mein Gott! du wirkest bisher, und dein lieber Sohn auch, Joh. 5, 17., du hast allen Kreaturen ihre stetige Arbeit gegeben, sollt ich denn allein mein Brod in sündlichem Müßiggang essen? Ich will nicht müßig sein, wenn ich schon müßig bin; ich will arbeiten, als wollte ich ewig leben, doch auch fromm sein und beten, als wollte ich noch heute sterben.

156. Der Weihrauch auf glühenden Kohlen.

Als in einem Zimmer etliche Weihrauchkörner auf glühende Kohlen geworfen wurden, fand Gotthold durch gottseliges Nachdenken darin eine artige Vorstellung der recht christlichen Almosen. Denn, sagte er, wie diese wenigen kleinen Körnlein durch die Glut zerfließen und in einen weitschweifenden wohlriechenden Rauch verwandelt werden, der nach und nach sich in die Höhe schwingt und nicht allein den, der ihn erregt, sondern auch andere, die weit davon sind, ergötzt, die Luft reinigt und die Flüsse und böse Feuchtigkeit verzehrt, also sind etliche wenige Pfennige, im Glauben mit einfältigem, fröhlichem Herzen gegeben, vor Gott groß geachtet, wie das Exempel der armen Wittwe, die zwei Scherflein in den Gotteskasten legte, bezeugt. Luc. 21, 2. Es steigt hievon auf ein guter Geruch ins Gedächtniß vor Gott und kommt hinauf. Apostelg. 10,4. Also wird die Sünde vergessen, viel Böses abgewandt und viel Gutes erhalten, Dan. 4, 24., und ein solcher milder Gutthäter wird von allen Gottseligen, die es erfahren haben, selig gepriesen und sein Gedächtniß bleibt im Segen. Sprüchw. 10, 7. Die Almosen, sagte er weiter, sind wie Dünste, welche bei Tag von der Erde aufsteigen und des Nachts wiederum als ein fruchtbarer Thau dieselbe befeuchten. Die christliche Liebe und des Nächsten augenscheinliche Noth erzwingt von uns eine Gabe, die oft nicht werth ist, daß sie in Gottes Tagebuch kommen soll, und dennoch schüttet der dankbare, fromme Gott mit tausendfachem Segen sie wiederum über uns aus. Wir messen ihm mit Löffeln, er uns mit Scheffeln, und das ist, was Salomo sagt: Einer theilt aus und hat immer mehr; die Seele, die da reichlich segnet, wird fett, und wer trunken macht, wird auch trunken, Sprüchw. 11, 24. 25., als wollte er sagen: wer einem durstigen, dürftigen Herzen ein Trünklein seiner Müdigkeit nach dem andern bringt, dem wird der Herr voll einschenken und seine Seele mit der Süßigkeit seines Geistes und Gnade füllen und trunken machen. Mein Gott! mein Vermögen ist nicht groß, jedennoch bitte ich nicht so sehr, daß du mir geben, als daß ich durch deine Gnade andern mit willigem Herzen geben möge. Ist es schon wenig, was ich gebe, so ist es doch nicht wenig, was ich dafür empfange, nämlich einen Seufzer eines gläubigen Christen, der durch die Wolken zu dir dringt.

157. Die Mühle.

Als Gotthold bei einer Mühle vorüberging, gedachte er an die Worte des Sohnes Gottes: Wer da ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist, Matth. 18, 6., und bat Gott mit Seufzen, daß er ihn vor Aergerniß bewahren und im behutsamen Wandel erhalten wolle. Im Fortgehen siel ihm ein, daß jener Fürst (Markgraf Albert von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg) wohl gesagt: Das menschliche Herz sei wie ein Mühlstein; wenn man Korn darauf schütte, so laufe es hemm, zerreibe, zermalme es und mache es zu Mehl; ist aber kein Korn vorhanden, so laufe gleichwohl der Stein hemm, aber er zerreibe sich selbst, daß er kleiner, schmäler und dünner werde; also wolle das menschliche Herz auch immerdar zu schassen haben. Wohl dem, der allezeit mit guten, gottseligen Betrachtungen, mit wichtigen Geschäften und nützlichen Gedanken es beschäftigt hält! sonst kann es durch unnütze Sorgen oder fleischliche böse Einfälle sich selbst bald verderben und verzehren. Wie aber, wenn die Mühlsteine nicht eng genug auf einander gehen, obschon Korn aufgeschüttet ist, dasselbe nur halb gemahlen wird, oder wol gar unzermalmt davon kommt, so geht’s auch oft in unserm Herzen zu; wenn unsere Andacht sich nicht fest genug geschlossen hat, da lesen wir oft die schönsten Sprüche und wissen nicht, was wir gelesen haben, wir beten oft und hören selbst nicht, was wir beten; das Auge überläuft die Schrift, der Mund ergießt die Worte und klappert wie eine Mühle, aber das Herz flattert indessen mit fremden Gedanken umher, und ist solch Lesen und solch Beten mehr eine untaugliche Gewohnheit, als eine Gott wohlgefällige Andacht. Und dies ist ein Versehen, das zuöfters auch fromme Leute erschleicht, indem sie zwar mit andächtigem Eifer die Uebung der Gottseligkeit anfangen, unvermuthlich aber von unzeitigen Einfällen so weit verleitet werden, daß sie sich hernach wundern, wie sie so weit im Schlaf gehen, ich will sagen, so viel Worte machen und doch nicht wann wissen können. Das beste Mittel gegen diese bösgute Gewohnheit ist, nicht allezeit die gewohnten Worte behalten, sondern zuweilen nach seinem Anliegen andere suchen und, welches das allerbeste ist, alles kurz fassen und den Worten von Herzen, im Geist und der Wahrheit den Nachdruck geben. Mein Gott! es hat auch oftmals ein fremder Eintrag die Worte meines Mundes von der Andacht des Herzens gesondert, daß ich mit dir als ein Schlafender geredet, der nicht weiß, was er sagt; verzeihe mir solches gnädiglich und vereinige hinfort deinen Geist mit meinem Herzen, damit mein Gebet so andächtig sei, als es deine Majestät und meine Niedrigkeit erfordert!

158. Das Gesundheittrinken.

Als in einer fröhlichen Gesellschaft auf Gesundheit eines großen Herrn und folgends etlicher anderer guten Freunde getrunken wurde, sagte Gotthold zu dem, der bei ihm saß: Dieser ist auch einer von den Gebräuchen, welche die frommen und lieben Alten aus guter Meinung aufgebracht haben, von uns aber, ihren unartigen Kindern, in Mißbräuche sind verwandelt worden. Viele gelehrte, gottselige Leute stehen in der Meinung, daß das Gesundheittrinken von den Hebräern herkomme, als welche bei ihrem Wohlleben Gott zu loben und ihre Regenten, unter deren Schutz sie lebten, zu rühmen, ihnen langes Leben, beständige Gesundheit, glückliche Regierung und gesegnetes Wohlergehen zu wünschen pflegten, und ziehen dahin, was von Josephs Becher gesagt wird, daß er damit geweissagt habe. 1. Mos. 44, ö. Und wer will zweifeln, daß die Israeliten unter Davids und Salomos Regierung, als sie ein jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum sicher wohnten, aßen, tranken und fröhlich waren, 1. Kön. 4, 20.25., nicht sollten bei ihren fröhlichen Zusammenkünften ihres Königs rühmlich gedacht, ihn gesegnet und ihm alles Wohlergehen gewünscht haben? Allein daß bald hierauf der Mißbrauch sich eingedrängt hat, ist aus den Worten des Propheten abzunehmen, der da spricht: Heut ist unsers Königs Fest, sprechen sie, da sahen die Fürsten an, vom Wein toll zu werden. Hos. 7, 5. Also ist dieser Gebrauch mit seinem schändlichen Nachgänger, dem Mißbrauch, auch auf uns gekommen und hat man nunmehr kein scheinbareres und beliebteres Mittel, sich krank zu saufen und seiner eignen Gesundheit Schaden zu thun, als die Gesundheit großer Herren und guter Freunde. Daher jener eifrig gottselige englische Lehrer (Dyle) nicht unrecht sagt: „Die epikureischen Vollzapfen meinen, sie saufen Gesundheit, und saufen sich selbst unterdessen allerlei Krankheiten in die Glieder, den Tod in ihren Hals und oft den Satan gar ins Herz hinein.“ Wüßte man Maß zu halten und wollte die Freundschaft nicht nach der Größe und Vielheit der Trinkgeschirre, sondern nach einem aufrichtigen Wunsch des Herzens abmessen, hielt ich dafür, es wäre vergönnt, wie fröhlich zu sein, also auch bei fröhlichem Mutl) hohen Personen und guten Freunden Gutes zu wünschen und solches Anwünschen nach Landesgewohnheit mit einem mäßigen Trunk zu bestätigen. Ein frommer Christ aber sollte bei allen seinen Mahlen keinen Trunk, als auf Gesundheit thun, so, daß er allezeit an Gott, an seine Obern, an seine Freunde, an seine Feinde, an die Armen und Dürftigen gedächte, ihnen Gutes wünschte und seinen Trunk mit ihnen theilte. Den besten Gesundheitstrunk, der der ganzen Welt wohl bekommen ist, hat der Herr Jesus gethan, als er an seinem Kreuz mit Essig und Galle getränkt worden. Matth. 27, 34. 48. Wohl dem, der dessen stets eingedenk also trinkt, daß er nicht dermaleinst brennenden Schwefel und Pech mit den Teufeln auf seine ewige Krankheit trinken darf!

159. Die Pfund- oder Schnellwage.

Eine Schnellwage ist ein bekanntes Werkzeug, etwas zu wägen, hat einen Wagebalken, der mit den Pfundzahlen bezeichnet ist, und an demselben auf einer Seite ein geringes Loth, das hin und wieder an dem Balken kann geschoben werden nach Erforderung des Gewichts; auf der andern Seite eine Handhabe, dabei man sie halten, und einen Haken, daran, was man wägen will, man hängen kann. Als nun im Beisein Gottholds auch eine solche Wage gebraucht wurde, hatte er darüber folgende Gedanken: des Menschen Gemüth kann nicht unfüglich mit einer solchen Wage verglichen werden, vornehmlich, wenn es voller Sorgen oder Traurigkeit ist und ihm eine schwere Kreuzlast angehangen wird, da muß das Herz auf der andern Seite das Gegengewicht halten, wie klein es auch ist, gegen die centnerschweren Sorgen. Wie nun aber an dieser Wage die schwerste Last nicht leichter gewogen wird, als wenn man das Pfund oder Loth weit davon und zurück nach dem andern Ende schiebt, also kann der Mensch nicht leichter die schwersten Sorgen überwinden, als wenn er sein Herz davon und zu Gott zieht, sein Anliegen auf den Herrn wirft, nicht zweifelnd, daß er ihn versorgen werde. Darum ist es eine Thorheit, wenn wir meinen, unserm Kreuz alsdann die Wage am besten zu halten, wenn unser Herz am nächsten dabei ist und alles aufs eigentlichste und genauste bedenkt. Weit davon ist hier am besten! Man muß dem lieben Gott Raum geben, daß er auch dazu kommen kann. Es geht uns oft, als wenn ein Tumult und Schlägerei auf der Gasse entsteht und einer etwa gefährlich verwundet wird, da läuft jedermann zu, steht um den Verwundeten her, sagt dieses und jenes, und thut doch anders nichts, als daß er die Aerzte und seine Freunde verhindert, daß sie nicht können zu ihm kommen. Also wenn unserem Herzen etwas Unglückliches zu Händen kommt, da laufen alle unsere Gedanken und Sorgen zusammen und sind so geschäftig und häufig um das Anliegen her, daß der liebe Gott, der doch der beste Herzensarzt und Freund ist, nicht dazu kommen kann. Mein Gott! es dient zwar nicht, daß man gar nicht sorge, doch ist auch höchst schädlich, wenn wir zu viel sorgen. Ordentliche Sorge, welche durch fleißiges Nachdenken, vergönnte Mittel und andächtiges Gebet ihr Anliegen zu heben vermeint, ist nicht verboten, allein die Sorge, so alles allein ausrichten und, wenn sie nichts schafft, vor Leid sterben will, die nur bloß auf sich und das Kreuz und nicht auf dich und deinen Willen sieht, ist unnützlich, thöricht und schädlich. Mein Vater! ich will sorgen und thun, so viel ich soll und kann; das Uebrige wirst du wohl machen.

160. Die Schmerzen.

Es bezeugt die Erfahrung, daß, wenn einer etwa einen schweren Fall gethan, Arm oder Bein zerbrochen und solches glücklich wieder geheilt worden, dennoch der Mensch an solchem geheilten Schaden, vornehmlich wenn Ungewitter vorhanden ist, Schmerzen empfindet. Gotthold mußte dies auch erfahren und pflegte im Scherz zu sagen, daß er einen gewissen Kalender an seinem Leibe hätte, der ihm von bevorstehendem Regen, Wind und anderem Gewitter gute Nachricht gebe. Als er nun diesem einmal etwas weiter nachsann, wußte er’s nicht anders, als eine geheime Anregung des lieben Gottes zu nennen, dadurch er uns erinnert, daß wir ihm unser Leben lang danken sollen, weil er uns bei solchem Unglück gnädigst behütet, daß es nicht schwerer geworden und wir den Hals gar gebrochen, oder durch Verwahrlosung nicht Krüppel und lahm geworden sind. Wie nun aber, sagte er ferner, der Leib, also auch die Seele hat ihre Fälle, Heilung und Schmerzen. Ach, mein Gott! was ist dies elende Leben anders, als ein kothiges Pflaster, schlüpfriges Eis und gefährliche Stiege? Wie leicht ist es geschehen, daß wir gefährliche Sündenfälle thun und dadurch unsere Seele verletzen? Sprüchw. 8, 36. Da nimmst du dich zwar unserer herzlich an und heilst alle unsere Gebrechen, doch damit wirs nicht vergessen und in Demuth vorsichtiglich lernen wandeln, so empfindet auch unser Gewissen zuweilen seine Schmerzen von den Fällen, die es sonst lange vergessen hat. Mein Gott! so oft mir eine schmerzliche Erinnerung meiner Sünden zufällt, habe ich Ursach, dir zu danken, daß du mich nicht plötzlich in solcher Sünde umkommen und verderben lassen, sondern nach deiner unbegreiflichen Güte mich erhalten hast, ingleichen, daß du nicht zu meinem Schaden stille sitzest, sondern denselben in diesem Leben von Grund aus zu heilen bemüht bist, damit ich nicht dermaleinst des ewigen Todes daran sterbe. Die Gewissensschmerzen entstehen von dem Wein des Gesetzes, den du in meine Wunden gießest, daß du sie reinigest, dabei aber ist allezeit das Oel deiner Gnade, welches sie lindert und heilt. Es sei nun Schmerzen oder Linderung, so bin ich versichert, daß alles zu meinem Besten dient, und weiß also nichts wider deine Kur zu sagen.

161. Der Erlen- oder Elsenbaum.

Als Gotthold an einem Wasser spazieren ging, fand er am Ufer einen geraden und ziemlich großen Erlen- oder Elsenbaum, wie ihn etliche Landsarten nennen. Dieses Holz, sagte er bei sich selbst, ist eines von den allerweichsten, das sich leicht spalten, schneiden und bearbeiten läßt, und dennoch bezeugt es die Erfahrung, daß es im Wasser nicht verfault, sondern immerdar dauert, maßen denn die Stadt Venedig wol meistentheils auf solchen Pfählen steht, in welcher dies weiche Holz den Grund im Wasser zu den hohen und schweren Gebäuden geben muß. So ist’s auch mit den sanftmüthigen Herzen bewandt; nichts giebt einen besseren Grund in wichtigen Verrichtungen zum gemeinen und besonderen Besten, als die vernünftige Bescheidenheit, welche zwar gelind ist und gern, so viel mit gutem Gewissen geschehen kann, weicht, jedoch im Wasser der Widrigkeit ausdauert und unbeweglich sieht. Nichts ist kräftiger, ein Regiment im Wohlstand zu erhalten, als das gute Vertrauen, so sich zwischen den Obern und Untern findet; dieses aber ist ein Sohn der Sanftmuth, welche allezeit ihren Willen zu brechen und, daß sie nicht so sehr nach ihrem Dünken, als gemeinem Nutzen trachtet, mit freundlicher Anzeigung zu erweisen weiß. Darum ist es wahr, was Salomo sagt: Ein Geduldiger (und Langmüthiger) ist besser, denn ein Starker, und ein verständiger (bescheidener, freundlich-kluger) Mann ist eine theure Seele. Sprüchw. 16, 32., 17, 27. Wer demnach in der Welt gedenkt mit Nutz zu leben und etwas Gutes mit Bestand zu stiften, vermeint aber, alle Kopfe nach seinem zu gestalten, der ist gleich jenem thörichten Mann, der sein Haus ohne tüchtigen Grund auf den Sand baute. Matth. 7, 26. Du sanftmüthiger und von Herzen demüthiger Herr Jesu! deine Liebe und Sanftmuth hat den Grund zu unserer Seligkeit gelegt, und darauf besteht sie noch jetzt; wärest du nicht sanftmüthig und geduldig, wie wollte ein Mensch selig werden? Gieb mir auch ein sanftmüthiges und liebreiches Herz, und dies sei der Grund aller meiner Sachen, darin ich mit meinem Nächsten zu seinem Besten zu handeln habe.

162. Das Großglas.

Ein guter Freund hatte ein elfenbeinernes Büchslein mit zwei Gläslein also zugerichtet, daß, wenn man ein kleines Thierlein, eine Mücke, Mite oder ander Ungeziefer hinein setzte und es durch das kleinere und oberste Glas besichtigte, es einem gar groß vorkam und man alle Glieder desselben, wie subtil sie auch waren, gar eigentlich mit Lust betrachten konnte. Kehrte man’s aber um und sah durch das größere Glas, so hatte es kein anderes, als das gewohnte Ansehen. Gotthold sah dieses mit sonderbarer Ergötzlichkeit und sagte: Ich weiß dieses künstliche Büchslein mit einem Namen zu deutsch nicht anders, als das Großglas zu nennen, weil es also zugerichtet ist, daß es alles größer, als es ist, dem Gesicht darstellt. Ich halte aber, daß aller hoffärtigen Heuchler Herzen also auch müssen beschaffen sein; wenn sie ihre eignen Sachen, ihre Tugenden und Vermögen bedenken, so sehen sie durch ein Glas, welches die Selbstliebe so künstlich bereitet hat, daß ihnen alles groß vorkommt und sie meinen, Ursache genug zu haben, daß sie sich ihrer großen Gaben erfreuen und rühmen. Wenn sie aber auch ihren Nächsten und was an dem gut ist, zu betrachten haben, so kehren sie das Büchslein um und finden nichts Sonderliches, sondern alles klein und gering. Hingegen ihre Fehler und Laster beschauen sie durchs gemeine Glas und halten sie für unbedeutend, des Nächsten aber besehen sie von der andern Seite und machen aus einer Mücke einen Raben, und aus einer Laus einen Elephanten. Und dies ist der größte Betrug in der Welt, daß der Mensch sich selbst mit gutem Willen betrügt und sich also wissentlich zur Hoffart und Hochhaltung sein selbst und zur Verachtung seines Nächsten verleibt. Meint ihr nicht, daß jenes Pharisäers Herz also sei beschaffen gewesen, der sich selbst für einen großen Heiligen, den Zöllner aber für einen lebendigen Höllenbrand hielt? Der ist zwar gestorben, hat aber sehr viel Nachkömmlinge hinterlassen, und sein Geschlecht hat sich sehr gemehrt und in alle Welt ausgebreitet. Ich halte dafür, daß niemand sei, der nicht zuweilen eines solchen Büchsleins auf vorbesagte Weise gebrauche, und daher entsteht alles Unheil in der Welt, denn weil wir uns selbst groß, den Nächsten aber gering achten, so vermeinen wir, daß wir nichts, er aber alles zu leisten schuldig sei; hieraus erwächst Ruhmräthigkeit, Verschmähung, Zorn, Haß, Muthwillen u. dgl. Darum erinnert Gottes Wort, daß niemand weiter von ihm halten soll, als sichs gebührt zu halten, Röm. 12, 3., und sagt klärlich, so jemand sich läßt dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Gal. 6, 3. Mein Gott! ich erkenne, daß die eigne Liebe und der daraus entsteht, der Selbstbetrug, die Thüre des Himmels verschließen und einen als im süßen Traum der Hölle zuführen. So gieb, daß ich nicht mir und meinem Wahn, sondern dir und deinem Wort folge! so werd ich nicht irren können.

163. Die Einbildung.

Gotthold begegnete ein Knäblein, welches ein rothes Flecklein an seiner Oberlefze gleich unter der Nase hatte, daher, weil der Mutter, als sie selbiges unter ihrem Herzen getragen, ein ander Kind vorgekommen, welchem die Nase geblutet, darüber sie sich etwas entrüstet und entsetzt hatte; dabei erinnerte er sich, was hohe Ursache schwangere Weiber hätten, in behutsamer und demüthiger Gottseligkeit zu wandeln, weil dieses zwar ein geringes Flecklein, das den Knaben, dafern er die männlichen Jahre erreichen sollte, nicht groß verunstalten könnte, jedoch würde von ihnen in dergleichen Begebenheit oft ein Größeres versehen. Jenes Weib hat ein Kind mit einem Froschgesicht zur Welt gebracht, weil ihr eine ihrer Nachbarinnen einen Frosch, das Fieber zu vertreiben, in die Hand gebunden hatte. Eine andere, eines Rathsherrn zu Marburg Ehegenossin, brachte einen jungen Mohren ans Licht, als sie zuvor unversehens einem Mohren begegnet und durch solchen ungewohnten Anblick erschreckt war. Eine andere zu Leiden gebar ein Kind (1638) mit einem Katzenkopf, weil ihr unvermuthet aus ihrem Bett eine Katze entgegengesprungen, davor sie sich entsetzt und sich der Einbildung nicht entschlagen gekonnt. Gott ist zwar der Werkmeister, der mit seinen Händen die Menschen im Mutterleibe bearbeitet und sie im Verborgenen wunderlich bildet, Hiob 10, 8. Ps. 139, 14. 15., allein, weil dieses sein gnädiges und gewohntes Wunderwerk von den wenigsten Menschen nach Würden wird betrachtet und erkannt, so läßt er’s zuweilen geschehen, daß seine Dienerin, die Natur, einen Irrthum uns zum Schrecken begehen muß. Weil nun aber, sagte Gotthold weiter, die Einbildung solche wundersame Kraft hat, so will ich mir im Geist und Glauben stets vor Augen stellen den Schönsten unter den Menschenkindern, Ps. 45, 3., meinen Herrn Jesum, dessen liebeflammende Augen, holdselige Lippen, freundliches Angesicht und sanftdemüthiges Herz will ich in mein Herz drücken, daß es nach ihm eine Gestalt gewinne. Was ist’s Wunder, wenn unser Herz die Merkmale der Welt, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben an sich trägt, da wir die Welt lieben, ihr anhängen und uns ihr gleich stellen? Wer aber den Herrn Jesum, das vollkommenste Bild aller Vollkommenheit, stets vor Augen und im Herzen hat, der wird ihm je mehr und mehr ähnlich werden. Herr Jesu! mache mein Herz weich wie Wachs, und gestalte es nach deinem Herzen, so wirds eine neue schöne Geburt, die zum Himmel gehört.

164. Taback.

Als Gotthold einen sah Taback trinken (wie man es nennt, wenn man sein Maul zur Feuermauer macht), erinnerte er sich, daß ein weiser Mann gesagt: die Titel wären der Ehrsüchtigen Taback. Was hat ein solcher Tabacktrinker, sprach er, von seiner Müh, als ein Maul voll stinkenden Rauchs, der sich in sein Haar und Kleider setzt und ihn bei anderer Gesellschaft, welche die Rauchlust nicht achtet, unangenehm macht? Also wächst einem von der Titelliebe nichts zu, als daß er seine eitle Ehrsucht entdeckt und sich bei verständigen Leuten damit unbeliebt macht. Zwar laß ich großer Herren Titel und was sonst die allgemeine Beliebung eingeführt hat, in ihren Würden, nur das nimmt mich Wunder, daß man mit so dienstlichen Worten heutigen Tages einer über den andern zu herrschen suche oder zum wenigsten sich unter einander höflich verirt, maßen man viel Titelwörter umsonst haben, jedoch einem Ehrsüchtigen damit viel abkaufen kann. Wollte denn die Welt sich bemühen, so zu sein, wie sie gerne heißt, so wollte ich den für einen kargen Mann halten, der die Titel theuer geben und machen würde. Mein bester Titel ist der, den ich von meinem Erlöser ererbt habe, daß ich ein Christ, ein liebes Kind Gottes, ein Bruder des Herrn Jesu, ein Tempel des H. Geistes, ein Gesellschafter der h. Engel und Auserwählten und ein Bürger des Himmels mit allem Recht genannt werde. Hieran genügt mir; im übrigen titulire mich die Welt, wie sie will.

165. Der fruchtreiche Baum.

Ein schöner Obstbaum war mit seinen vielen Früchten so sehr belästigt, daß er seine Zweige sämmtlich zur Erde gekrümmt und gleichsam mit vollen Händen den Menschen seine Aepfel zuhielt. Gotthold sah ihn mit großer Beliebung an, pries Gottes Segen und, weil sie fast zeitig, ging er hinan und wollte einen abbrechen; wie er aber denselben ein wenig zu stark abriß und den schwanken Zweig zu sehr regte, sielen ihm viele andere entgegen. Ei, sagte er, du liebes Bäumlein, wie milde bist du? Giebst du mir doch mehr, als ich begehre. Mein Gott! dieser Baum erinnert mich deiner unbegreiflichen und unverdienten Güte, die uns auch ihre Wohlthaten als fruchtbare Zweige zuwendet und sagt: Hie bin ich! Hie bin ich! Jes. 65, 1., ja, die da mehr thut, als wir bitten oder verstehen. Eph. 3, 20. Hanna, das betrübte Weib, bittet um ein Kind und erhält sechst, 1. Sam. 1, 20. 2, 21. Salomo bittet um Weisheit, damit er seine Unterthanen löblich regieren möchte, und erhält sie nicht allein, sondern so viel Ehre und Reichthum dazu, als nicht leicht ein anderer gehabt, 1. Kön. 3, 12. 13. Wir bitten oft nur um einen Apfel zum täglichen Brod, und deine unerschöpfte Güte, mein Vater! giebt uns wol fünf oder zehn. Doch wie diese Aepfel mir so häufig entgegen fallen, weil sie fast zeitig sind, also thust du auch mehr, als wir bitten, wenn es uns nütz und selig ist. Was soll ein Kind mit einem (ich geschweige mehr) unzeitigen Apfel? Also dient es mir nicht, zu erlangen, wenn ich etwas bitte, das meine Seele gefährden kann. Wir Menschen aber sollten auch also sein und die Früchte des Glaubens allen, die ihrer benöthigt, anbieten, unsere gesegneten Zweige zu den Dürftigen wenden und im Segen mit Ueberfluß willig geben. Weil aber solches so selten geschieht, muß man befürchten, daß in Gottes Garten viele unfruchtbare Bäume stehen, die nur das Land hindern und also nichts, als der Art und des Feuers zu erwarten haben. Luc. 13, 7. 8. 9. Mein Gott! mache mich fruchtbar und willig, meinem Nächsten zu dienen, wie mir alle deine Geschöpfe dienen.

166. Die Thränen.

Gotthold ward ungefähr gewahr, daß eine gottselige, doch arme und betrübte Wittwe sich in ihrem Garten, den sie hinter ihrem Häuslein hatte, niedergesetzt, da sie denn zuöfters ihre Hände gen Himmel erhob und einen tiefen Seufzer nach dem andern abfertigte mit so vielen Thränen, die ihr über die Backen herunter liefen, daß er sich verwundern mußte, woher diesen Thränenquellen alles Wasser kam, das sie mildiglich gaben; er konnte sich des Mitweinens nicht enthalten und gedachte an Sirachs Worte: 35, 18. 19. Die Thränen der Wittwen stießen wol die Backen herab, sie schreien aber über sich wider den, der sie herausdringt. Als er ihr nun eine Weile zugesehen, machte er sich etwas näher hinan, da sie denn, so bald sie seiner gewahr ward, erröthete, die Augen trocknete und sich nicht gern merken ließ, daß sie in so ängstlichem Flehen mit Gott geredet und ihr betrübtes Herz vor ihm ausgeschüttet hatte. Er aber sagte: Ich gedenke jetzt an die Worte des Propheten Jeremias: Man hört eine klägliche Stimme und bitteres Weinen auf der Höhe; Rahel weint und will sich nicht trösten lassen. Aber der Herr spricht also: Laß dein Schreien und Weinen und die Thränen deiner Augen, denn deine Arbeit wird wohl belohnt werden, spricht der Herr, 31, 15. 16.; daß euer Herz in der Angstpresse stehen muß, daran lassen mich so viele Thränen, die ich euch habe vergießen sehen, nicht zweifeln, maßen denn dieselben anders nichts sind, als eine Feuchtigkeit, dem betrübten Herzen durch ein sonderliches Anliegen abgepreßt. Und wie der schönsten Kräuter und Blumen kräftigster Saft durch Feuer abgezogen wird, also mag ich sagen, daß die Zähren der Saft sind, welchen die Kreuz- und Angsthitze einem nothleidenden Herzen durch die Augen abgewinnt und abführt. Nun, seid getrost, und haltet euch versichert, daß der Herr euer Weinen hört, Ps. 6, 9., ja, daß er eure Thränen ohne Zweifel zählt und auf sein Buch schreibt. Ps. 56, 9. 139, 16. Ihr säet mit Weinen, ihr sollt dermaleinst mit Freuden erndten, Ps. 126, 5. Aus eurem Weinen wird ein Wein werden, den ihr mit unvergleichlicher Zufriedenheit im Himmel trinken werdet, eure Zähren sollen Perlen werden, damit man eure Ehrenkrone im ewigen Leben schmücken wird. Dies hörte sie an und vergoß dabei noch so viel Thränen, als sie zuvor gethan, und sagte mit kläglichen Worten: So ein jeder Christ sein Maß hat, das er mit Thränen füllen muß, mag ich sagen, daß mir ein großes zu Theil geworden, doch bin ich wohl zufrieden und danke dem getreuen Gott, der mir allezeit nach vielem Weinen und großer Traurigkeit eine Erleichterung meines beschwerten Herzens gönnt. Mein Gott! gieb mir die Gnade der Thränen, die brechen und erweichen ein menschliches Herz; wie vielmehr wird deine herzliche Barmherzigkeit ohne väterliches Mitleiden sie nicht können fließen sehen!

167. Der Bach.

Als etliche Taglöhner zur Abendzeit aus dem Felde kamen, mußten sie bei einem fließenden Wässerlein vorüber gehen, woselbst sie sich niederließen und mit dem schönen frischen Wasser sich nicht allein abkühlten, sondern sich auch vom Staube und Schweiß reinigten. Gotthold sah dieses im Vorübergehen und gedachte bei sich selbst: mein Gott, wie lieblich und anmuthig ist mir das lautere Strömlein deiner Güte, welches mir dieser Bach zu betrachten vorstellt; wie behutsam ich auch vermeine, den Tag über zu wandeln, so kann ich doch der gänzlichen Befleckung nicht entübrigt sein, welche nicht leichter, als abends im Nachdenken und Untersuchen meines Tagwerks von mir erkannt werden. Aber der Strom deiner herzerquickenden Gnade ist alsdann meine Zuflucht, da reinige ich mich und wasche ab meine Sünden, da find ich Trost und Labsal für meine matte Seele. Dieses Strömlein wäscht nicht allein die Unsauberkeit ab, sondern verschwemmt sie auch, daß sie nicht mehr zu finden ist; also deine göttliche Barmherzigkeit und das Blutströmlein meines Erlösers Christi Jesu reinigt mich nicht nur von meinen Sünden, sondern tilgt sie auch und führt sie in die Tiefe des Meers, daß ihrer in Ewigkeit nicht mehr soll gedacht werden. Herr Jesu! du Quelle des Lebens, deine Gnade ist mein Trost; deine stetsfließende Güte ist das frische Wasser meines betrübten Herzens; ich wünschte mir so viele Zungen, als Tröpflein Wasser dieser Bach führt, so sollte ihre Arbeit keine andere sein, als deine unbegreifliche Liebe und Güte preisen.

168. Die Schafe.

Gotthold sah, daß ein Hausvater seine Schäflein, als sie aus dem Felde kamen, mit Fleiß zählte und zum Stall brachte. Weil er nun eben voll Betrübniß und Sorgen war, brach er bei sich selbst heraus und sagte: was betrübst du dich nun, meine Seele, und was plagst du dich selbst mit so ängstlichen Gedanken? Vermeinst du nicht, daß du dem Allerhöchsten so lieb bist, als diesem Manne seine Schäflein? Oder bist du nicht besser, als viele Schafe? Ist denn nicht Christus Jesus dein Hirte? Hat er nicht sein Blut und Leben an dich gewagt? Geht’s denn nicht auch dich an, daß er sagt: Ich gebe meinen Schafen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Joh. 10, 28. Dieser Mann zählt seine Schafe; sollte mein Gott nicht seine gläubigen und auserwählten Kinder zählen und in Acht haben, zuvoraus, da mich sein liebster Sohn versichert, daß auch die Haare auf unserem Haupt gezählt sind? Matth. 10, 30. Gesetzt, daß ich mich den Tag über verirrt und meinen Gedanken etwas unvorsichtig nachgewandelt hätte, mein getreuer Gott wird zu Abend bei Einzählung seiner Schäflein, wenn er meiner vermissen wird, mich in Gnaden wieder suchen und zurechtbringen. Herr Jesu! ich bin wie ein verirrt und verloren Schaf, suche deinen Knecht, denn ich vergesse deiner Gebote nicht! Ps. 119, 176

169. Die Spinne.

Es hatte an einem Hause eine große Spinne ihr rundes Gewebe und Netz aufgespannt und sich nach ihrer Art mitten hinein gesetzt, der unvorsichtigen Fliegen und Mücken zu ihrem Raube erwartend. Gotthold sagte: Ach, wie mancher welt- und geldsüchtige Mensch ist diesem Ungeziefer gleich, der aller seiner Gedanken Gespinnst dahin richtet, daß er andere, welche in ihrer Einfalt wandeln, in sein Garn bringen, sie in Weitläufigkeit verwirren und mit ihrem Schaden sich bereichern möge. Ja, sagte einer seiner Freunde, derer sind leider! jetzt mehr, als zu viel, und muß ich mich oft darüber verwundern, wie doch der gerechte Gott mit so großer Langmuth solcher Leute vorsätzlichem Frevel und Bosheit und der Beleidigung und Unterdrückung der Armen und Einfältigen zusehen kann; ja, wie er’s doch leiden kann, daß ein ungerechter und gottloser Mensch so viele gerechte und gottselige Seelen quälen und ihnen so viel ängstliche Seufzer und Thränen abpressen muß. Gotthold antwortete darauf: So höre ich wohl; wenn ihr einen Tag den Richtstuhl des Höchsten zu besitzen und mit Donner und Blitz nach eurem Willen zu verfahren hättet, so würdet ihr kaum Donnerkeile genug finden, die Gottlosen und Ungerechten zu erschlagen und ihnen den Weg zur Hölle zu zeigen. Man sollte es nicht meinen, daß Gott uns Menschen allzugnädig wäre und daß wir mit ihm zürnten, weil er nicht genug zürnt, wenn wir es nicht an dem Propheten Jonas in der Schrift und an uns selbst in täglicher Begebenheit erfahren hätten. Allein bedenket, daß Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken sind, Jes. 55, 8., und daß er wunderlich regieren würde, wenn wir seine Räthe sein sollten. Diese Spinne, die ihr hie auf ihrem ausgespannten Garn sitzen seht, ist ein giftiges und unserm ersten Dünken nach unnützes Thier, und soll sich auch, wie die Rabbinen erzählen, ehemals König David darüber verwundert haben, was Gott bewogen, ein so unnützes Ungeziefer zu erschaffen; er hat aber hernach erfahren müssen, daß auch ein solch verachtetes Thierlein zu seiner Zeit nütze sein könnte, als er nämlich vor König Saul in die Höhle geflohen und eine Spinne sofort auf Gottes Geheiß ihr Gewebe davor gezogen, daß Saul nichts weniger denken könnte, als daß sein Feind sollte darin verborgen sein. Es ist auch kein Zweifel, daß solch und dergleichen Ungeziefer viele giftige böse Dünste, die in der Luft sich befinden, an sich ziehen, daher etliche Aerzte gerathen, man solle in Pestzeiten eine große Spinne in Nußschalen eingeschlossen am Halse tragen, eben zu dem Ende, daß die giftigen Dünste auf sie als auf einen Schwamm fallen möchten. Zudem, so ist ein solches, giftiges Thier einer Henne niedliches Bißlein, damit sie sich so sehr, als ihr mit einem frischen Ei, ergötzt. So geht’s nun auch mit den gottlosen Leuten zu; Gott duldet und erhält sie nicht ohne Ursache, die wir zum Theil im fleißigen Nachsinnen wol erkennen können, zum Theil aber seiner unerforschlichen Weisheit anheim geben müssen. Sind wir rechte Christen, so soll uns genug sein, daß Gottes Barmherzigkeit und unvergleichliche Langmuth so klärlich an einem solchen bösen Menschen erhellt, welche mit recht göttlicher Geduld seine Buße erwartet und seine Seligkeit sucht; thut er indessen vielen andern Schaden, so ist doch derselbe nur zeitlich, gereicht ihnen zum Besten, übt sie in der Geduld und Gottseligkeit und ist mit dem Verlust der Seele eines Menschen, welchen Gott zu behüten sucht, nicht zu vergleichen. Will er sich denn nicht bekehren, so wird ihn der gerechte Richter zu seiner Zeit, wenn er Gift, Sünde und Bosheit genug in sich gesogen hat, wie eine Spinne, mit sammt dem Gewebe aller seiner Anschläge herunter reißen und zertreten. Mein Gott! nichts ist schwerer, als deine Gerichte lassen recht sein und dich in deinen wunderlichen Wegen nicht meistern, und ist doch nichts zur Ruhe des Gemüths dienlicher, als eben dieses. Mache es, mein Herr, wie du willst! ich will schweigen, zusehen und das Ende mit Geduld erwarten.

170. Die glühenden Kohlen.

Als einer von Gottholds Hansgenossen einen Flecken in sein Kleid unvermuthet bekommen hatte, hieß er ihn einen silbernen Löffel voll glühender Kohlen nehmen, den Flecken mit Makulatur bereiten und den Löffel darauf halten, da denn alsofort die Fettigkeit sich ins Papier zog und die Stelle, die sie befleckt gehabt, kaum zu erkennen war. Dabei gab er ihm die Lehre und Erinnerung: Lernet hier, wie ihr mit eures Nächsten Fehlern verfahren und einem erzürnten und feindseligen Menschen begegnen sollt; Scheltwort um Scheltwort geben und Bitterkeit mit Galle vertreiben wollen, steht einem Christen nicht zu, wie das Exempel dessen, von dem er den Namen hat, bezeugt, 1. Petr. 2, 23., und macht übel nur ärger. Beten aber für seine Beleidiger, mit Sanftmuth und Bescheidenheit ihnen begegnen und keine Gelegenheit, seinen guten Willen und versöhnliches Herz ihnen zu erkennen zu geben, versäumen, auch nach Vermögen ihnen Gutes thun und ihren Schaden verhüten, das sind glühende Kohlen, die man über ihr Haupt und Herz sammelt und damit viele tief eingesessene, feindselige Flecken vertreibt, und hievon lasset euch nichts abhalten, auch das beste Recht und die klarste Unschuld nicht, denn eine gute Sache kann böse werden, wenn man sie unglimpflich führt und sie zum Bösen einrichtet und gebraucht. Seid ihr unschuldig an der Beleidigung eures Nächsten, so könnt ihr doch schuldig werden an der Versäumung seiner Bekehrung und ewigen Wohlfahrt. Wer seinen Nächsten nicht allein nicht beleidigt, sondern auch, wenn er von ihm beleidigt ist, es ihm herzgründlich verzeiht und ihn wieder zurecht zu bringen bemüht ist, der gewinnt entweder seinen Bruder und hat mehr, als die Welt werth ist, gewonnen, oder zum wenigsten hat er ein gutes Gewissen erjagt und sich von einer schweren Verantwortung losgewirkt. Die glühenden Kohlen dürft ihr nicht weit suchen; brennt in eurem Herzen die Flamme christlicher Liebe, so wirds euch so wenig an Gelegenheit, auch dem Feinde Gutes zu thun, fehlen, als es ehemals auf dem Altar des Alten Testaments, darauf das h. Feuer nimmer erlöschen mußte, 3. Mos. 6,12., an glühenden Kohlen hat fehlen können. Ach, frommer und geduldiger Gott! wie schwer ist es der verderbten Natur, Böses leiden und Gutes thun, Fluch einnehmen und Segen ausgeben, den Feind bei der Hand, damit er einen geschlagen hat, erfassen und küssen. Jedennoch sind deine Gebote nicht schwer denen, die dich lieben; gieß in mein Herz ein flammendes Tröpflein deiner Liebe, so wirds mir an glühenden Kohlen für meine Beleidiger nicht fehlen.

171. Das Scheibenschießen.

An einem Orte hatten etliche junge Leute zu vergönnter Lust und Zeitkürzung sich eine Scheibe aufstellen lassen, wonach sie schossen und das Beste zu thun sämmtlich bemüht waren. Gotthold, als er in der Nähe vorbei ging, hörte das Schießen und geriet!) darüber in folgende Gedanken: diese Leute sämmtlich zielen und schießen nach dem Schwarzen, und ist doch kein Zweifel, daß die wenigsten ihren Zweck erreichen. So ist es mit unserem Christenthum und dessen Vollkommenheit beschaffen. Nach dem kläglichen Sündenfall haben wir Menschen nicht mehr eine gewisse Hand, wie die Schützen reden, sondern, ob wohl der Abriß göttlicher Vollkommenheit, das Gesetz, uns vor Augen als ein Ziel, nach welchem alle unsere Gedanken, Worte und Werke sollen gerichtet sein, aufgestellt ist, so schießen wir doch so oft ins Lerchenfeld nebenhin, daß unsere Vollkommenheit eine rechte Unvollkommenheit, ja, daß es für eine Vollkommenheit zu achten ist, wenn man seine Unvollkommenheit erkennt, bereut und täglich durch gottselige Uebung zu bessern beflissen ist, indessen aber seine Vollkommenheit in dem Herrn Jesu und dessen vollkommnem Gehorsam und Verdienst sucht. Dies Leben ist ein Wandel, darin man immerdar fortfährt, von Glauben in Glauben, von Liebe in Liebe, von Geduld in Geduld, von Kreuz zu Kreuz; es ist nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtfertigung; wir sind nicht gekommen, dahin wir sollen, wir sind aber alle auf der Bahn und auf dem Wege, darauf sind etliche weiter und weiter fortgeschritten; Gott ist zufrieden, daß er uns in Arbeit und Vorsatz findet. Wenn nur auch ein Mensch mit dem andern zufrieden wäre, wenn einer bei der Scheibe hinschießt, der andere aber sie kaum an der Ecke berührt hat! Was verachten wir doch einer den andern, wenn einer etwas näher zum Ziel gekommen, der andere aber in der Uebung ist, es nachzuthun? Zeige mir einen, der allezeit die Scheibe getroffen und niemals gefehlt hat, ich will sagen, der allezeit und in allen Dingen das Beste erwählt hat, und ich will mich über ihn als einen Engel verwundern. Mein Gott, erhalte mein Christenthum in stetiger Uebung! denn Uebung bringt Zunehmen, Zunehmen bringt Vollkommenheit, so nicht eine solche, daran Menschen, jedennoch daran dir, du barmherziger und gütiger Richter! genügt.

172. Das Lämmlein.

Es begegnete Gotthold zur Abendzeit einem Hirten, der hinter seinen Schäflein her ein Lämmlein trug, so im Felde geboren worden. Dabei erinnerte er sich alsofort seines guten Hirten Jesu Christi und gedachte, was Jesaias von ihm geweissagt hat, 40, 11.: Er wird seine Heerde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen. Und sagte darauf weiter bei sich selbst: nun so sei es ferne von mir, daß ich jemals glauben sollte, daß dieser Hirte sorgsamer und lieblicher mit seiner Heerde, als du, mein Herr Jesu! mit deiner Gemeine, die du dir mit deinem eignen Blut erkauft hast, sollte umgehen. Wolltest du nicht, mein getreuer Hirte! die zarten und schwachen Lämmlein tragen und ihrer warten, das Verlorne suchen, das Verirrte wieder bringen und das Verwundete verbinden, wie lange wolltest du eine Heerde haben? Mein Erlöser! wir sind Lämmlein und Schafe, das ist, flüchtig, schüchtern, einfältig, schwach und unvermögend, du aber bist ein getreuer Hirte, der alles sieht, weiß, vermag und kann; ließest Hu uns aus der Acht, wer könnte uns dann vor dem Verderben behüten? Ach, trage, mein Hirte! ach trage meine matte Seele! habe Acht auf mich, daß ich nicht zurückbleibe! Ich will dich dafür loben und preisen in Ewigkeit.

173. Das Brod.

Als etliche gute Freunde mit Gotthold zu Tische saßen, sahen sie das schöne Brod, so aufgelegt war, mit Lust und Verwunderung an und sagte einer: O welch ein wunderbarer Gott, der so ein schönes Brod aus der Erde wachsen läßt! Gotthold fuhr fort und sprach: Ich habe es oft gesehen, daß gottselige fromme Christen ein Stücklein Brod, so ihnen ungefähr entfallen war, oder das sie sonst an der Erde gefunden, mit Ehrerbietung aufhoben und küßten. Wenn wirs recht bedenken, so wäre ein jeder Bissen, den wir in den Mund nehmen, solcher Werthhaltung wohl würdig. Ich halte das liebe Brod für die edelste Gabe, die Gott dem Menschen zur Erhaltung seines Leibes gegeben hat. Das liebe Brod ist bei unfern Mahlzeiten das erste und letzte, es schickt sich zu allen Speisen von Fleisch, Fischen, Früchten und Kräutern, es macht alle andern Speisen schmackhaft und dienlich, ja andere Speisen sind ohne Brod für keine Speisen zu achten. Es dient für Junge und Alte, für Gesunde und Kranke, es ist das letzte, welches den Kranken verleidet, und das erste, daran sie sich ihrer Kräfte erholen. Es ist dem Munde und dem Magen angenehm, und es müßte ein seltsamer Zärtling sein, der vor dem lieben Brod einen Ekel hätte. Es nährt wohl, es stärkt das Herz, erhält und ersetzt die Kräfte und ist, mit einem Wort, als es die Schrift nennt, 3. Mos. 26, 26., Hesek. 4, 16., ein rechter Stab, daran sich das menschliche Leben stützt. Es hat mir neulich ein gelehrter und glaubwürdiger Mann erzählt, daß er in seiner Jugend in einer berühmten sächsischen Stadt gekannt habe einen jungen Menschen vornehmen Geschlechts, welcher, nachdem er im vierten Jahre seines Alters eine schwere Krankheit überstanden und kaum davon gekommen, von der Zeit an vor allem Brod einen Abscheu gehabt und nicht ein Krümlein habe zu sich nehmen können, und obwohl seine Eltern gemeint, daß es aus Vorsatz geschehe, weil er in der Krankheit etwas zärtlich gehalten worden, ihn deßhalb mit Bedräuen und Schlägen Brod zu essen nöthigen wollten, auch, da er dennoch nicht daran gewollt, ihm heimlich etwas weniges beigebracht, so hat sichs doch befunden, daß er schwer davon krank und also offenbar geworden, daß es nicht Vorsatz, sondern ein sonderbarer Ekel der Natur wäre, darum sie ihn hernach zufrieden gelassen. Dieser Mensch gebrauchte anstatt Brodes, wenn er etwas Fettes aß, entweder hart gekochte Leber oder mageres gekochtes Rindfleisch, war aber schwach, hager, blaß und bleich, und beklagte mit Thränen, daß er von dem lieben Gott also heimgesucht wäre, daß er die allergemeinste und beste Speise der Menschen, das liebe Brod, zu essen als wie nicht werth gehalten würde. Nun wahrlich, wir wären alle des lieben Brodes nicht werth, wenn wir in Betrachtung desselben nicht auf den milden Geber und Schöpfer, ^ der es aus der Erde bringt, Ps. 104, 14., wollten sehen und Acht haben. Die Kraft des Brodes ist Gottes Kraft, der Geschmack desselben ist ein Vorschmack seiner reichen Güte; denn der Mensch lebt nicht allein vom Brod, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht, Matth. 4, 4. Darum soll man die Kinder gewöhnen, daß sie mit dem Brod bescheidentlich umgehen, es nicht unzeitig verbrocken und den wohlthätigen milden Brodmeister im Himmel frühzeitig erkennen und loben. Man soll zu ihnen sagen, wie dorten steht, Jes. 65, 8. Verdirb es nicht, es ist ein Segen Gottes darin. Die Juden schreiben in ihrem Talmud: Wer das Brod verschmäht oder verachtet, der komme in große Armuth, und es sei ein besonderer Engel gesetzt, daß er Acht habe auf die, welche das Brod auf die Erde fallen lassen, daß man mit Füßen darauf tritt; solche bringt er in Armuth. Ach, gütiger Gott! wie viel Brod wird in der Welt gegessen, dafür du keinen Dank hast! Ja, wie viel, die dein Brod essen, treten deinen Segen mit Füßen! Gieb mir, mein Vater, nicht allein das tägliche Brod, sondern auch dieses, daß mein Mund, der dein Brod ißt, deinen Namen preise und mein ganzes Leben, das durchs Brod erhalten wird, dir und deinem Ruhm ergeben sei!

174. Der Kinderbecher.

Ein verständiger Hausvater hatte für seine Kinderlein einen Becher verordnet, daraus sie bei der Mahlzeit und sonst nach Durst trinken mußten. Gotthold sah und rühmte solche Hauszucht, wohl wissend, daß es besser und den Kindern zur Gesundheit und guten Sitten dienlicher ist, wenn ihnen ihr bescheiden Theil gereicht, als wenn ihnen vergönnt wird, die Zunge in allen Kannen nach Belieben und über Nothdurft zu schwemmen. Er sagte aber: Lieber, wie kommt’s, was wir unsern Kindern zuträglich befinden, daß wir solches dem allweisen Gott an uns selbst nicht gut heißen wollen? Wir verordnen und messen unsern Kindern ihr bescheiden Theil an Speise und Trank zu und wollen doch mit dem, so uns der Höchste nach seinem Gutbefinden zuordnet, so gar selten vorlieb nehmen? Oder meinen wir etwa, daß wir thörichte Menschen besser verstehen, was unsern Kindern zur Gesundheit, als Gott, was uns zur Seligkeit nützlich ist? Mein Gott! wenn ich meinen Willen hätte in zeitlichen Dingen, ich würde gewiß ganz kindisch und läppisch damit verfahren und, wie die Kinder mit übrigem Essen und Trinken, durch Mißbrauch mir und meiner Seele nur Beschwerde und Weh verursachen! Mein Vater! verordne mir einen Becher, wie groß oder klein du willst, schenk mir voll oder wenig ein, nur allezeit mit ein paar Tröpflein deines Segens und deiner Gnade! so will ich gern vorlieb nehmen.

175. Die Mücke.

Als Gotthold nebst etlichen guten Freunden sich zur Abendzeit unter einen schattigen Baum hatte niedergesetzt, hatten sie von den Mücken große Beschwerde und konnten derselben mit etlichen abgebrochenen Zweigen und Laubbüscheln sich kaum erwehren. Darauf sagte einer: Wenn alles, was Gott geschaffen, seinen Nutzen hat, möchte ich wol wissen, wozu dieses unnütze schlimme Geschmeiß dient, welches dem Menschen nichts, als Unlust verursacht. Gotthold sagte: Eben dieses ist schon ein Nutzen, daß euch eine Mücke Beschwerde macht und mit einem jeden Stich euch des Sündenfalls erinnert; überdies seht ihr jetzt, daß keine Lust ohne Unlust in der Welt ist, maßen unter diesem schönen Baum, auf diesem lustigen Anger, bei dieser freundlichen und fröhlichen Zusammenkunft uns die Mücken müssen beschwerlich sein und uns erinnern, daß wir keine beständige und tüchtige Lust in der Welt suchen, viel weniger das Herz daran hängen sollen. Und wenn euch dieses ein Geringes dünket, so sage ich, daß an einer Mücke der Schöpfer aller Dinge so viel Kunst erwiesen hat, daß die gelehrtesten Leute der Welt darüber erstaunen und nicht wissen, was sie dazu sagen sollen. Sagt mir, wie wohnt in einem so geringen und kleinen Leibe eine wirkende, lebendige und nach ihrem Maß kluge Seele? Wie regiert und bewegt sie diese geringen Fittige und diese schwachen Beinlein? Wie ist der Stachel so stark und hart, daß er die zähe dicke Haut der Menschen und anderer Thiere durchbohren kann, und ist doch so hohl und eine feine Röhre, dadurch sie das Blut kann an sich ziehen? Woher hat sie die Kraft zu saugen? Woher die starke Stimme, als posaunte sie? Wie kommt’s, daß sie so vorsichtig und behutsam ist, und so oft zu fliehen, bald aber wieder zu kommen und einen sichern Ort an einem Thier zu suchen weiß, da sie ihre Nahrung erheben möge? Weil sie auch vor einem bittern Geruch flieht, Lieber, wo ist ihre Nase, damit sie solchen unangenehmen Geruch empfindet? Und am Ende, wo ist die Stelle ihrer Geburt? Wie und wo wird eine solche Menge erzeugt? Was macht sie in der Luft so fröhlich webern und spielen, vornehmlich, wenn beständiges gutes Wetter vorhanden ist? Lieber, wißt ihr das? Wißt ihr nichts, ei so erkennet, daß die Mücke, das verachtete Würmlein, das gemeine unlustige Geschmeiß dazu dient, daß sie euch eurer Unwissenheit überzeuge und euch eine Lehre gebe, daß ihr nicht eher in hohen geistlichen und göttlichen Dingen allzu klug seid, bis ihr ihre Natur zuerst erforscht und alles, was an ihr betrachtenswerth, ersonnen habt. Ach, alberne Menschenkinder! ihr thörichten Himmelsteiger, bleibt doch nur an der Erde, auf welcher, wenn ihr ja viel wissen und ergrübeln wollt, mehr zu lernen ist, als ihr euer Leben lang auslernen könnt! Mein Gott, wie unerforschlich ist deine Weisheit! wie unbegreiflich ist deine Kraft! Ich schäme mich, daß ich mich oft für klug und weise gehalten habe, da meine Weisheit noch nicht eine Mücke hat durchforschen können. Ich will künftig nicht mehr weise sein, sondern du allein sollst den Ruhm der Weisheit behalten, und deine Weisheit soll meine Thorheit regieren.

176. Das Betteln.

Als ein alter Mann, der vordem großen Vermögens gewesen und in guter Nahrung gesessen, im Beisein Gottholds vor eines andern Thür ein Almosen suchte, seufzte derselbe darüber und sagte: Da sehen wir die Früchte des betrübten Krieges, der dieses ehemals wohlhabenden Mannes Güter weggefressen, daß er nunmehr uns andern zum Schauspiel da gehen und vorbedeuten muß, was wir ebenfalls zu erwarten haben. Gotthold sagte darauf: Es findet sich beides in der Schrift, daß des Gerechten Same nicht solle nach Brod gehen, Ps. 37, 25., und daß dennoch ein frommer Mensch, dessen Seele von den Engeln in Abrahams Schooß getragen zu werden gewürdigt, der Lazarus nämlich, ein Bettler gewesen ist. Luc. 16, 20. Daraus ist dieses zu schließen, daß es den Gottlosen eine Strafe, den Frommen aber eine Bewährung, zum wenigsten aber kein Hinderniß zur Seligkeit ist, wenn sie ihr Brod vor anderer Leute Thüren suchen müssen. Alles steht in göttlicher gnädiger und allweiser Verordnung, der manchen in den Himmel nicht brächte, wenn er ihn nicht zum Bettler werden ließe. Ist dieser Mann wohlhabend gewesen, so hat eben der ihm solches Vermögen zugewandt, der es ihm jetzt wieder genommen hat, aus Ursachen, davon wir zu urtheilen nicht allemal Fug haben; und muß er freilich andern, deren Glück, Gut und Muth jetzt in der Blüthe steht, von der Demuth und daß sie das Herz an den beständigen Unbestand der weltlichen Dinge nicht hängen sollen, predigen. Und wer will zweifeln, daß es ihm besser sei, in Armuth, Schwachheit und Verachtung bei seinem Bettelstab zum Leben eingehen, als viele Güter haben und behalten und in das höllische Feuer geworfen werden? Denn was ist besser, hier betteln in diesem Leben, oder dort in jenem? Lazarus bettelte hier und konnte die Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen, nicht erlangen; der reiche Mann bettelte dort und kann nicht einen Wassertropfen, seine flammende Zunge abzukühlen, bekommen. So ist es ja besser, hier mit Lazarus das Brod, als dort mit dem Reichen das Wasser betteln. Mein Gott! was bedarfs groß Wesens, wie ich zum Himmel durchkommen soll, wenn ich nur durchkomme! Führe mich nur die geradeste Straße zum Himmel, unter welchem Habit du willst. Ich bleibe durch deine Gnade dir getreu bis an den Bettelstab..

177. Der gestirnte Himmel.

Als zur Abendzeit Gotthold den hellgestirnten Himmel ansah, brach er mit herzlichem Seufzen in folgende Worte bei sich selbst aus: mein Gott, so viel ich Sterne am Himmel sehe, so viel Zeugen und Zeiger habe ich deiner unbegreiflichen Güte, maßen keiner ist, welchen nicht deine Allmacht mit einer sonderlichen Wirkung den Menschen zum Besten versehen, so daß mich dünkt, die Sternseher thun nicht wohl, wenn sie einem und anderm himmlischen Licht nicht allein böse Namen, sondern auch widrige und böse Einflüsse zueignen. Fürwahr, mein Gott! deine gute Hand hat nichts Böses gemacht; die Wirkung des Himmels muß gut sein, wiewohl wegen der verderbten menschlichen Natur sie nicht allemal ihren Zweck erreicht. Ja, so manchen Stern ich sehe, so viel Augen, dünkt mich, sehe ich deiner göttlichen Vorsehung und kräftigen Regierung, damit du uns, deine Kinder, freundlich anblickst. Es wollen etliche vorgeben, die Sterne wären nichts anders, als tausendfache, mancherlei Bilder der Sonne, die sich am Kristallhimmel, der, wie Hiob sagt, als ein gegossener Spiegel ist, 37, 18, abbilde. Das laß ich gelten, so viel es kann; dessen aber bin ich gewiß, daß sich deine unbegreifliche Güte, Macht und Weisheit in so viel tausend hellleuchtenden Bildern abgestrahlt hat, wie mich denn auch die Betrachtung dieses so herrlichen Gewölbes, welches deine Finger so künstlich bearbeitet, so mächtig aufgeführt und so herrlich als wie mit güldenen hängenden Ampeln geziert haben, nicht zweifeln läßt an der übergroßen seligen Herrlichkeit des Himmels, darin deine Auserwählten ewiglich wohnen werden. Mein Vater! ist das Sichtbare und Vergängliche so schön, was hab ich denn von dem Unsichtbaren und Unvergänglichen zu hoffen! Ist der Himmel so schön von außen, wie schön muß er von innen sein! Mich däucht, ein jeder Stern ruft mir zu: Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viel zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich. Daniel 12, 3. Mein Gott! laß mich in dieser Welt wie ein Licht scheinen, auf daß ich auch dort in ewiger Klarheit leuchten möge! Was ist aber meine Seele ohne deine Gnade anders, als eine Laterne ohne Licht? Leuchte du in mir, sonst bin ich lauter Finsternis,.

178. Das Huhn.

Gotthold sah eine Gluckhenne mit ihren Küchlein daher ziehen, und als er eine Weile zugesehen, wie sehr sie ihr Häuflein sich ließ angelegen sein, gerieth er darüber in folgende Betrachtung: es wird, sprach er bei sich selbst, von wenigen erkannt, wie viel Wohlthaten der milde Schöpfer aller Dinge uns an diesem einigen Vogel erwiesen und verliehen hat. Wir haben an demselben eine niedliche und schmackhafte Speise, maßen denn ein junges Huhn vielem andern Fleisch vorgezogen wird. Es legt uns die Eier, welche ohne einige Widerrede für Junge und Alte, für Kranke und Gesunde dienen, und damit wir ihrer nicht leicht Mangel haben möchten, hat Gott das Huhn mit sonderlicher Fruchtbarkeit begabt, daß es etliche Monate nach einander fast alle Tage legen muß. Die Gluckhenne ist von unserm Erlöser gewürdigt, sein Bild zu sein, maßen er sagt, er habe das ungehorsame Jerusalem oft wollen versammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, Matth. 23, 37., und ist fürwahr an ihr zu sehen ein rechtes Wunder der natürlichen Liebe, weil sie, also zu reden, ihrer Natur Gewalt thut, ihre Stimme ändert, an die Erde wider ihre Gewohnheit sich setzt, aufs fleißigste scharrt und, wenn sie ein Körnlein oder Würmlein gefunden hat, es unter ihre Küchlein theilt, dieselben mit ihren Flügeln deckt, wider die feindlichen, schädlichen Thiere sie fast über Vermögen schützt und allerlei Beschwerde und Angelegenheit ihrethalber ganz willig vorlieb nimmt. Der Hahn ist als eine lebendige Uhr, ein Wetterprophet, ein Wächter, der den Tag anmeldet und die Menschen zur Arbeit weckt und aufmuntert, der auch, wie aus der Geschichte vom Fall des h. Apostel Petrus bewußt, uns mit seinem Geschrei der Buße und Besserung unseres Lebens erinnern kann. Herr, mein Gott!, deiner Wohlthaten sind sehr viele, der Herzen aber sind wenig, die ihrer achten und dir dafür danken. Ich will mir festiglich einbilden, so oft ich bei Tag oder Nacht einen Hahn schreien höre, daß er ruft: Lobe Gott, den Herrn! so oft ich ein Huhn ansehe, will ich, mein Herr Jesu! deiner Güte und Treue mich erinnern und in allen Begebenheiten unter deinen Gnadenflügeln Zuflucht haben; wer will mir dann schaden können?

179. Die Schwalbe.

In der Frühlingszeit nahm Gotthold in Acht, wie die Schwalbe an einem Kirchenfenster ihr Leimenhaus anzuhängen und zu bauen geschäftig war; sie trug den Koth mit ihrem Schnabel zusammen, mit welchem sie ihn auch verarbeitete, und wie wenig sie auch auf einmal führen kann, so brachte doch ihr unermüdeter Fleiß und die stetige Arbeit es in kurzem dahin, daß sie ihr Gebäude in die Runde schloß und ausführte. Hier hab ich, sagte er bei sich selbst, eine artige Vorstellung eines arbeitsamen gottseligen Menschen; mancher fängt seine Nahrung wol so gering an, als dieses Vöglein, welches nichts hat, als was ihm Gott beschert und es mit seinem Schnabel zusammenträgt, jedennoch aber, wenn er nicht müde wird im Gebet, Gottseligkeit und fleißiger Arbeit, so beschert ihm der milde Geber aller Güter heute einen Pfennig, morgen wieder einen, bis er sich einen Vorrath sammelt, daß man sich wundern muß. Und halt ich gänzlich dafür, daß eben darum der Höchste oftmals reicher Leute Kinder läßt verarmen und armer Leute Kinder reich werden, daß die Welt lerne verstehen, es sei alles an seinem Segen gelegen. Wenn nun aber, mein Gott! vermittelst deines milden Segens die stetige Arbeit so viel vermag, so habe ich solches auch in Sammlung des geistlichen Reichthums in Acht zu nehmen; mein Vermögen ist gering, mein Glaube ist schwach, jedennoch will ich im Vertrauen auf deine gnädige Hülfe nicht zweifeln, daß durch stetige Uebung und gottselige Arbeit mein Christenthum täglich wachsen und sich bessern wird. Du hast doch im Gebrauch, daß, wenn du etwas Großes machen willst, du vom Geringen, ja von nichts den Anfang machst, auf daß allein deiner überschwenglichen Kraft und unverdienten Gnade der Ruhm verbleibe. So will ich auch am glücklichen Zunehmen meiner Gottseligkeit, wie gering sie auch jetzt ist, nicht verzagen, so lange dein guter Geist in mir zu wirken und an mir stets zu bessern nicht nachläßt. Lehre mich, mein Gott! allezeit thun nach deinem Wohlgefallen, dein guter Geist führe mich stets auf ebner Bahn! Ps. 143, 10.

180. Die Schlangenhaut.

Gotthold fand, als er durch ein Gebüsch spazieren ging, eine Schlangenhaut so unversehrt, daß auch der Kopf und die Augen daran ganz förmlich zu erkennen waren, und weil er wohl wußte, daß sie in einem und andern Fall ein kräftiges Mittel giebt, hob er sie auf und gedachte an eines weisen Mannes Worte (v. Serre): „Wenn ein gottloser Reicher oft mit Kleidern wechselt, gemahnt michs wie die Schlangen, die oft die Haut wechseln und bleiben doch Schlangen.“ Bald darauf gerieth er in nachfolgende Gedanken: dieser giftige und feindliche Wurm zieht jährlich seinen alten Rock aus und erneuert also sich selbst und seine Kräfte; wie sollte denn ein Mensch nicht darauf bedacht sein, daß er den alten Menschen ablegen, sich im Geiste seines Gemüths erneuern und den neuen Menschen anziehen möge, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffner Gerechtigkeit und Heiligkeit? Eph. 4, 22. 23. 24. Ach, mein Gott! dies ist ein Werk, das mir zu schwer fällt; wo du nicht mit deiner hülfreichen Hand mir die alte Sündenhaut abstreifst und durch deine Gnade und Geist mein Herz erneuerst, so ist alle meine Mühe umsonst. Ich weiß wohl, mein Vater! daß, wie die Schlange ihrer Haut nicht los wird, wo sie sich nicht durch die Enge zwingt, also meine Erneuerung ohne Angst, Traurigkeit, Kreuz und Beschwerde nicht geschehen kann. Was schadets aber, wenn ich dadurch besser und dir gefälliger werde? Ich bin ohne Schmerzen zur Welt nicht geboren, vielweniger werde ich ohne dieselben zum Himmel geboren werden. So schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen gewissen Geist! Ps. 51, 12.

181. Die Lerche.

Die Lerche hat vor allen andern Vögeln die Art, daß sie sich nicht, wenn sie singen will, auf einen Zweig eines Baums oder in eine Dornhecke und Gebüsch setzt, sondern sie schwingt sich in die Höhe und zwar als stufenweise, daß es scheint, als wenn sie im Singen je mehr und mehr Lust bekäme, dem Himmel sich zu nähern, und damit zu bedeuten, wem sie zu Ehren ihr Liedlein anstimme, wie denn auch an ihrem Gesang, das „dir, dir,“ (nämlich, der du in der Höhe wohnst), sich eigentlich und klar wahrnehmen läßt. Gotthold sah und hörte diesem Vöglein mit Lust zu und gedachte bei sich selbst: wie wohl hat mein Erlöser gesagt: Sehet die Vögel unter dem Himmel an, Matth. 6, 26. Wie artig zeigt mir dieser Vogel die rechte Art, andächtig zu beten und Gott zu loben! Er hat, wie die Erfahrung bezeugt, seine fast gewissen Stunden, da er sich von der Erde erhebt und seinem Schöpfer zu Ehren ein Liedlein hören läßt, und das sowohl nachts, als tags. Sollte ich denn träger sein, meinen Gott zu loben, als ein Vogel, der ich hunderttausendmal mehr Gutes von ihm empfange, als dieser? Das sei ferne! Ich will den Herrn loben allezeit, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. Ps. 2. Und ob schon zuweilen ich schlechte Andacht bei mir finde, sehe ich’s doch an diesem Vöglein und weiß es aus der Erfahrung, daß die Andacht im Verlangen und in der Bemühung zu beten zu wachsen pflegt, maßen denn je mehr sich unser Geist vom Irdischen erhebt, je näher er dem Himmel kommt; und wie sollte nicht voll himmlischer Glut werden, was sich zum Himmel naht? wie sollte nicht voll Lichts werden, was sich nach dem ewigen Licht sehnt? Unsere Andacht vergleicht sich oft den Strömen, die zwar aus einem geringen Springquell mehrmals ihr Herkommen und Anfang haben, im Fortfließen aber wachsen und endlich mit schiffreichen Wassern sich ins Meer ergießen. Also ist unser Herz oft so dürr und leer, daß wir nicht wissen, was und wie wir beten und danken sollen, bis aus einem Tröpflein göttlicher Gnade ein Strom wird, der alles Anliegen und Hinderniß mit sich fort reißt und sich ins Meer der göttlichen Barmherzigkeit ergießt und verliert. Und ich halte, dies meine der königliche Prophet, wenn er spricht: Wenn ich rufe, so werd ich inne, daß du mein Gott bist. Ps. 56, 10. Mein Gott! so oft ich künftig eine Lerche sehe und höre, will ich mich erinnern meiner Schuldigkeit, die mich, dich mit fröhlichem Herzen und Munde zu loben, verbindlich macht! Wie sollte ich größere Freude haben, als wenn du mir die Gnade gönnst, daß ich dich meinen gnädigen, barmherzigen, gütigen, frommen, getreuen, milden, freundlichen, langmüthigen, liebreichen Gott mit brünstiger Andacht preisen und also einen Vorschmack haben mag von derselben seligen süßen Arbeit, daran mir in Ewigkeit genügen wird?

182. Der Seidenwurm.

Als Gotthold etliche Seidenwürmer, welche ein Knabe in einer Schachtel mit Maulbeerblättern speisete, sah, gedachte er bei sich selbst: so ist es denn ein Wurm und Raupe, der den Menschenkindern zur Ueppigkeit und Pracht dient; ich wollte wünschen, daß niemals ein Seidengewand verkauft oder angelegt würde, ehe man einen solchen Wurm vorgezeigt und in Betrachtung genommen, ob etwa der Mensch bedenken wollte, wie albern es ist, daß ein Wurm mit des andern Gespinnste prange, da doch endlich er und seine Pracht von Würmern muß gefressen werden. Sonst macht’s dieser Wurm nach aller Raupen Art; wenn er genug gegessen und seine Zeit erreicht hat, so sieht er sich um nach einem Ort, wo er sicher und wie heimlich sterben kann; da verbaut und verwickelt er sich selbst und dient all sein gesammelter Vorrath ihm nirgends zu, als daß er sich ein Grab daraus macht. Also ihr Menschenkinder! esset und trinket und sammelt einen Vorrath und bemüht euch, groß in der Welt zu werden; es läuft doch endlich alles dahinaus, daß ihr eine Gruft erwählen müßt, da ihr sicher verwesen wollt! Und wohl dem, der es von diesem Wurm lernt, daß er in der Zeit sich des Zeitlichen begeben und alle seine Gedanken dahin richten muß, wie er endlich selig sterben und in feinem Grab mit Ruhe und Ruhm verwesen möge! Mein getreuer Gott! meine vornehmste Sorge betrifft die Wohlfahrt meiner Seele, die weiß ich nicht besser, als mit der weißen schönen Seide der Gerechtigkeit meines Herrn Jesu, Offenb. 19, 8., zu verhüllen und einzuwickeln. Aufs nächste bin ich auch billig darauf bedacht, daß ich meinem Leibe ein ehrliches Ruhestättlein verschaffen möge, und die will ich mir bei Zeit erkiesen, damit ich, so oft ich sie ansehe, meiner Sterblichkeit mich erinnern möge.

183. Das Fieber.

Einer von Gottholds guten Freunden lag am Fieber krank; diesen besuchte er, und da er ihn eine Weile mit freundlich tröstlichem Gespräch unterhalten und nun wieder Abschied nahm, fiel ihm im Heimgehen bei, daß ein unruhiges betrübtes Gewissen nicht unfüglich mit dem Fieber sich vergleichen lasse, maßen denn das Fieber vom unordentlichen Essen und Trinken, dadurch die Verdauungskräfte geschwächt werden, seinen Anfang nimmt, und das Gewissen von den Sünden und bösen Lüsten, die wider die Seele streiten, erregt wird. Das Fieber ist in seinen Wirkungen beschwerlich und unstät, bald bringt es Kälte, Zittern und Frieren, daß die Patienten erblassen und kaum Betten genug haben können, sich zu erwärmen, bald folgt die Hitze, die bis aufs Mark in den Knochen durchdringt und sie so schmächtig, ohnmächtig und durstig macht, daß keine Kraft bei ihnen bleibt. Ob denen, welche ihr unruhiges Gewissen ängstet, anders zu Muthe sei, wissen die, so es an ihnen selbst oder andern haben erfahren müssen. Den Fieberkranken ist alles bitter und unschmackhaft, daher sie kaum ein Bißlein oder Trünklein finden, das ihnen schmeckt; so geht es den betrübten und beängstigten Herzen, welchen nicht allein leibliche Speisen und Trank, sondern auch die Erquickung der Seele, der kräftigste Trost und die saftigsten Sprüche aus Gottes Wort bitter und zuwider werden, daß ihre meiste Klage ist, wie so gar nichts das matte Herz zustatten und zu seinem Labsal erfassen will. Im Fieber meint mancher, ihm sei nicht besser geholfen, als wenn er das kalte Wasser, den kühlen Wein oder sonst etwas Undienliches nach Belieben genießen und haben möchte, da doch die Erfahrung bezeugt, daß hierdurch nur übel ärger gemacht wird. Also meint manch Unerfahrener, daß sich die geistliche Traurigkeit und Seelenunruhe durch weltliche gesuchte Freude vertreiben und besänftigen lasse. Allein, wie die Hitze des Feuers verstärkt wird, wenn der Schmid mit seinem Kühlquast das Wasser darein sprengt, so wird die Anfechtung durch unzeitige Weltfreude nicht verringert, sondern vermehrt^ und mancher findet zu spät, daß er zu seinem heimlichen Feuer mehr Holz eingetragen hat. Das Fieber wird nicht besser, als durch bittere und widerliche Dinge vertrieben, maßen die Wermuth, Cardobenedikten, Rautt und andere dergleichen Sachen für bewährte Mittel gehalten werden; also ist wider das erregte betrübte Gewissen nichts kräftiger, als die Betrachtung des bittern Todes, schweren Angst und herben Traurigkeit des Herrn Jesu; dieses mit bittern Thränen, Seufzern und Klagen vermischt, daraus ein Büschlein Myrrhen gemacht und auf das beängstigte Herz gehangen, hilft durch Gottes Gnade unzweifelhaft/ Das Fieber dient endlich zum Besten, maßen es die bösen Feuchtigkeiten im Leibe verzehrt und ausbrennt und einem eine Erinnerung vom mäßigen Leben hinterläßt; so ist es auch mit der geistlichen Traurigkeit, die wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut, 2. Cor. 7, 10., und eine behutsame Vorsichtigkeit, die Sünde zu meiden, ein Mißtrauen in die Welt zu setzen und in heiliger Gottesfurcht zu wandeln. Mein Gott! die Gewissensunruhe ist auch unter den Dingen, die denen, so dich lieben, müssen zum Besten dienen. Sagte nicht mein Gewissen, was Unrecht ist, wie würde ich so sicher leben! Könnte denn das Gewissen auch nicht nagen und beißen, wie gering würden wir die Sünde achten. Das erregte Gewissen giebt uns einen Vorschmack der höllischen Qual, daß wir derselben zu entfliehen uns desto fleißiger mögen angelegen sein lassen. Besser, es nage an uns hier, wenn dirs also gefällt, der Gewissenswurm, da er sterben muß, wenn wir sterben, als daß er uns dort nage, wo er nimmermehr stirbt, weil wir nimmer sterben. Es muß entweder ein sonderlicher Heiliger, oder ein sicherer und stolzer Heuchler sein, der nicht weiß, wie einem betrübten Gewissen und beängstigten Herzen zu Muth ist. Ich meines Theils tröste mich deß, daß die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. Ps. 51, 19.

184. Der Grabstein.

Als Gotthold in einer Kirche und folgends auf dem darum gelegenen Gottesacker herum ging und sie besah, hatte er sonderliche Acht auf die Grabsteine und vermerkte die mancherlei Sprüche, Seufzer und Gedanken, welche darauf gehauen, die sich die Verstorbenen zweifelsfrei zur letzten Erinnerung und Trost erwählt und damit fröhlich und selig aus der Welt ihren Abtritt genommen hatten. Hier, sagte er, geht’s wol zu wie in einem Schiffbruch, da einer ein Stück Brett, ein anderer einen Balken, ein anderer ein hölzernes Gefäß ergreift und damit ans Land schwimmt. Also fällt die Andacht der sterbenden Christen bald auf diesen, bald auf jenen Spruch, die doch alle auf Gottes Gnade und Bannherzigkeit, auf des Herrn Jesu theures Verdienst und Blut und des H. Geistes Trost ihr Absehen haben. Wie selig und sanft schläft nun ein Gotteskind unter solchem Stein, welcher den Nachlebenden seinen Glauben, darauf es entschlafen ist, zur Nachfolge anzeigen muß! Was hilft manchem gottlosen Menschen das prächtige Grab, der aufgehängte Helm und Schild, die weitläufige Grabschrift und mancherlei Titel? Fürwahr, ich fürchte, dies alles werde an jenem Tage dem Teufel nur dazu dienen, daß er den verfluchten Körper desto eher finden kann. Wer in seinem Leben viele betrübt und in seinem Tode viele erfreut, dem dient alle Ehre, so nach seinem Ableben ihm angethan wird, nirgends anders zu, als daß die Beleidigten, so oft sie sein Grabmal ansehen, noch etliche Seufzer zu Vermehrung seiner Pein ihm in die Hölle nachsenden. Mein Gott! hilf mir, durch deine Gnade ein rühmliches Gedächtniß mir zu stiften und einzuschreiben in die Gemüther armer, bedrängter und trostloser Leute! Mein Meißel, Pinsel und Feder soll meine milde Hand sein, tröstende Zunge und willfähriges Herz. Was die Hand nicht vermag, das mag die Zunge ersetzen, wo aber diese stecken bleibt, da wollest du, mein Herr! mit dem guten Willen vorlieb nehmen. Erlang ich dieses, so will ich, was das Grabmal betrifft, mit den berühmtesten Leuten und größten Helden der Welt nicht tauschen.

185. Die Distel.

Gotthold ging bei einem Weizenacker vorüber und sah, daß unter dem Weizen sich viele Disteln fanden und mit demselben in die Wette wuchsen. Die Welt, sagte er zu einem guten Freunde, der bei ihm war, will fromm sein und hier sieht man doch, daß noch jetzt in der Welt gesündigt wird. Denn wie die Distelköpfe zur Strafe der Sünde gehören, also halte ich dafür, daß, so bald die Welt fromm wird (wie sie will angesehen sein) und nicht mehr sündigt, sobald werden alle Disteln vergehen und verschwinden müssen; allein, so lang die Welt selbst ein Disteltopf ist, voll giftiger Stacheln, auf alle Bosheit abgespitzt, daß man sie ohne Schmerzen nirgends fassen kann, so lang wird sie sich auch über Disteln und Dornen im Acker nicht beschweren dürfen. Merket aber weiter; wie der beste Acker nebst dem Weizen viele Disteln trägt, so giebt es insgemein böse Einwohner und gottvergessene Leute, wo die rechten Schmalzgruben, ein tragbares Land, beständiger Friede und aller Dinge Ueberfluß sich findet. Denn des Menschen Herz ist so böse, daß es auch das Gute ohne Bosheit nicht vertragen kann. So geht es auch mit den sinnreichen Gemüthern zu, die insgemein nebst gutem Weizen nützlicher Rathschläge und zuträglicher hoher Gedanken viele Disteln der Thorheit und gefährlicher Irrthümer tragen und hegen. Denn große Leute fehlen auch, Ps. b2, 10., und begehen nicht geringe Thorheit, welches Gott zuläßt, damit er den Ruhm der vollkommnen Weisheit für sich allein behalte und uns zeige, wie vergeblich und gefährlich es sei, sein Vertrauen auf Menschen setzen. So ist es auch mit unserm Herzen bewandt, welches zwar zuweilen, durch Gottes Gnade und Geist befeuchtet, gute Tugendfrüchte zu tragen beginnt, aber ach, wie viele Disteln und Unkraut wirft der Feind dazwischen und wie viel wächst selbst nach Art des bösen Landes! Und dies läßt der Höchste abermals zu, daß er das Vertrauen auf eigne Heiligkeit niederlege und auch der heiligste Mund sagen müsse: Herr, du bist gerecht, wir müssen uns schämen. Dan. 9, 7. So geht es endlich mit unserm Glück und zeitlichem Wohlstand zu; wenn unser Weizen aufs schönste steht und wir frisch darein zu schneiden und mit vollen Garben ihn einzuführen vermeinen, so hat der Höchste Disteln lassen darunter wachsen, ich will sagen, er hat das Glück mit einem Unglück vermengt, damit wir lernen, daß wir in der Welt leben, da nichts Beständiges zu erwarten, und um desto eher und mehr nach dem Himmel uns sehnen mögen. Mein Gott! in der Welt ist keine Weisheit ohne Thorheit, kein Glück ohne Unglück, keine Frömmigkeit ohne Sünde, kein Gutes ohne Böses, kein Brauch ohne Mißbrauch. Hilf mir dahin, wo du bist, an dir ist nichts Böses, an dir werde ich Alles haben, du wirst alles in allem sein! 1. Cor. 15, 28.

186. Die Nachtigall.

Gotthold ging an einem Wässerlein spazieren, welches auf der andern Seite mit Dornhecken und anderm Gestaude bewachsen war, in welchen sich unterschiedliche Nachtigallen aufhielten, welche unfern von einander sich hören ließen und es ihrer Art nach so kraus und künstlich machten, daß es das Ansehen hatte, als stritten sie mit einander und wäre eine vor der andern das Beste zu thun bemüht. Er hörte eine Weile mit Lust zu und dankte dem wunderfrommen Gott, der dem Menschen solche Musikanten ohne große Kosten bestellt, die mit ihrer kleinen, zarten Kehle fast allerlei künstliche Stimmen zu wege bringen, welche der Mensch mit so vielen Instrumenten kaum erreichen kann. Er suchte auch bei diesem Vöglein die Unterhaltung und Vermehrung seiner andächtigen Gedanken und sagte bei sich selbst: dies kleine, unansehnliche Vöglein mit seiner künstlichen, starken, mannigfaltigen Stimme erinnert mich, daß der große Gott auch geringer, schwacher und verachteter Herzen seufzendjauchzendes Lob nicht verschmäht. Dies Vöglein streitet mit einem andern, wer es am zierlichsten machen kann, und erwählt, also zu sagen, den Menschen zum Richter. Wo ist solch löblicher Streit unter uns Christen? wer bemüht sich, Gott, seinen Schöpfer und Erlöser, so herzlich und inbrünstig zu loben, als wollte und müßte er ihn allein loben und allen andern es zuvor thun? Dies Vöglein singet am lieblichsten, wenn es des Menschen inne wird, der ihm mit Fleiß zuhört, als wüßte es, wozu ihm sein Schöpfer ein so holdseliges Kehlchen gegeben, nämlich den Menschen zu erlustigen, von unzeitiger Sorge und Traurigkeit abzumahnen und zu freudigem Preis göttlichen Namens anzufrischen. Wie sollte ich denn nicht um desto mehr Fleiß auf mein armes Danklied, das ich meinem Gott und Herrn zu Ehren anstimme, wenden, weil ich weiß, daß er mir sammt seinen heiligen und himmlischen Hausgenossen mit Lust zuhört? Dies Vöglein singt in seiner Einfalt ohne eignes Gesuch, frei, fröhlich, seinem Schöpfer zu Ehren und dem Menschen zu Dienst; es macht’s zuweilen künstlich, zuweilen schlecht, bald fröhlich, bald traurig, bald ist’s lauter Zucker, bald bitteres Leid. Also soll mein Herz einfältiglich, ohne Heuchelei seinen wohlthätigen Gott loben, es soll ihm klüglich lobsingen, Ps. 47, 8., und bald über seine zuckersüße Güte fröhlich jauchzen, bald über seine bittersüße Züchtigung mit Thränen und kläglich, doch willig ihm danken. Dies Vöglein singt nicht allezeit, sondern kaum den vierten Theil des Jahrs und lehrt mich, daß die Freude der Zeitlichkeit flüchtig und nichtig sei, und daß in der Ewigkeit die beständige und vollkommene Ergötzlichkeit zu suchen sei. Mein süßer und freundlicher Gott! wie lieblich ist die Stimme deines Vögleins, wie mir anjetzt dünkt. Was werde ich sagen, wenn du mich würdigen wirst, die Stimme so viel tausend auserwählter Engel und Menschen zu hören!

Wie werd ich dann so fröhlich sein
Werd singen mit den Engelein,
Und mit der Auserwählten Schaar
Ewig schauen dein Antlitz klar!

187. Das Kunstbild.

Ein vornehmer Mann hatte ein Kunstbild, welches zwar, wenn man es so schlechthin, wie es auf einer länglichten Tafel entworfen war, ansah, nichts, als etliche grobe verworrne Farben und Striche vorzeigte, wenn man aber durch das auf einem Ende angefügte Perspektiv es betrachtete, ein Weibsbild mit einem Arm auf einen Todtenkopf sich stützend, an der Erde liegend und aus einem Buch, das vor ihr lag, mit thränenden Augen lesend ganz förmlich und eigentlich darstellte. Gotthold, als ihm solches vorgezeigt wurde, verwunderte sich darüber und sagte: Ich kann ungemeldet nicht lassen, was mir in Betrachtung dieses Bildes beifällt. Dieses Gemälde bildet gar artig ab, was es mit der göttlichen Vorsehung und allweisen Regierung aller Dinge für ein? Beschaffenheit hat. Sieht man dieselbe oben hin an und nach dem ersten Dünken, so scheint nichts verworrner zu sein und nichts unordentlicher, als die Regierung der Welt, daß sich nicht nur die Heiden, sondern auch wol die Christen daran gestoßen. Es geht, wie Salomo sagt: Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt fein, zum Reichthum hilft nicht klug sein, daß einer angenehm sei, hilft nicht, daß er ein Ding wohl könne, sondern alles liegt an der Zeit und Glück. Pred. 9, 11. Allein dieselben, so durchs Perspektiv des Worts und Glaubens das Wesen der Welt beobachten, die werden bald gewahr, daß in solcher offenbaren Unordnung eine verborgne Ordnung sich findet, und da sie zuvor nicht gewußt, welches Strumpf oder Stiel, ersehen sie bald, daß Gottes weise und mächtige Hand alles geschickt an einander gefügt und bei so mancherlei verworrner Veränderung den Gang seiner unveränderlichen Vorsehung erhält, also, daß, was bei uns den Namen des Glücks, eines Zufalls, einer ungefähren Begebenheit führt, nichts anders ist, als eine Vollstreckung der göttlichen, gnädigen, gerechten und unwandelbaren Verordnung. In diesen Dingen ist es am sichersten, wenn man es wie die Kinder macht, welche, wenn sie in die Sonne sehen wollen, ein Papier mit einer Nadel durchstechen oder einen Flor vors Gesicht thun, damit sie ohne Schaden das helle Sonnenlicht beleuchten möge. Beliebt dir das nicht, Mensch, so komm, wir wollen zu einem künstlichen Uhrmacher gehen; siehe, dieser hat eine kostbare Uhr mit vielen Rädern, Federn, Stiften und Triften verfertigt, alles aufs genauste abgezirkelt, abgemessen, gefügt und eingerichtet; da liegen die Stücke von so mancher Gestalt, Größe und Verrichtung vor deinen Augen, sie haben ihre Ordnung und Ort; weißt du aber, sie zusammen zu setzen und zu Gang zu bringen? Ich halte es nicht, und wenn du dich gleich lange bemühst, so wird doch nichts daraus, als daß du meinst, es könne nicht möglich sein, daß aus so mancherlei Gestalten eine könne werden. Allein, laß den Künstler dazu kommen, so wirst du bald sehen, was seine sinnreiche Vernunft vermag. So ist’s auch hier; Gott hat alles mit Maß, Zahl und Gewicht geordnet, Weish. 11, 22. Er hat Ursachen mit Ursachen gefügt, allen seinen Geschöpfen ihre gewissen Wirkungen zugeeignet und endlich dem ganzen Werk das Gewicht seiner Allmacht und Weisheit angehängt. Hierauf merke, wenn du wissen willst, was es geschlagen hat! Mein Gott! ich danke dir, daß du mit wachsamen Augen alles gnädiglich und weislich regierst! Ich danke dir, daß es nicht geht, wie der Mensch, sondern wie der Herr will! Zu wem wollte ich besser Vertrauen haben, als zu dir? Ins künftige wie seltsam mir auch zuweilen das Wesen der Welt wird vorkommen, will ich schweigen und meinen Mund nicht aufthun; du wirst es wohl machen. Ps. 39, 10.

188. Die Nachteule.

Als Gotthold in einer Nacht nicht schlafen konnte, wollte er die Zeit mit unnützen Sorgen und Gedanken nicht zubringen, sondern nahm sein Feuerzeug, das er auf solchen Fall stets bei seinem Bette hatte, zündete vermittelst desselben ein Licht an und fing an in der Bibel zu lesen, oder, wie jener wohl gesagt, dem Herrn, der in der h. Schrift redet, zuzuhören. Als nun eine Nachteule, die sich in der Nähe aufhielt, des Scheins vom Licht inne ward, flog sie näher heran und schrie ihrer Art nach. Gotthold gedachte bei sich selber: man hält gemeiniglich diesen Vogel für einen Unglücksund Todesboten und ist ihm mancher herzlich gram und weiß ihm seines Nachtgesanges halber wenig Dank. Ob ich nun wohl den gemeinen Aberglauben nicht gut heiße, so laß ich mir doch nicht zuwider sein, daß mich dieser Vogel meiner Sterblichkeit erinnert; er kann mir eben das sein, was jenem heidnischen Könige sein bestellter Kammerpage, der ihm alle Morgen mußte zurufen: Gedenk, daß du ein sterblicher Mensch bist! Ich wünsche mir und suche auch der Dinge mehr, die mich so nachts, als tags auf Todesgedanken bringen, wohl wissend, daß zur Gottseligkeit, Verschmähung der Welt und Verlangen nach dem Himmel nichts zuträglicher ist, als eben dieses. Ich will mit dem Tode gute Kundschaft und Freundschaft machen und unterhalten, daß ich, seines ernsten Anblicks gewohnt, ihn desto freudiger willkommen heiße, wenn ihn mein Gott sendet, mich aus der Welt abzufordern. Mancher hat ein ernstes Gesicht, ist hager und mager, blaß und gelb, in Kleidung schlecht und von geringem Ansehen, verdeckt jedennoch oft viel Kunst und Tugend darunter. So geht es mit dem Tode zu. Ach, wie viel Gutes, wie viel Süßigkeit und Seligkeit ist unter seinem sauern Anblick und flüchtigen Bitterkeit verborgen! Ich sterbe nicht, wenn ich sterbe, sondern meine Sünde und mein Elend. So oft ich an den Tod gedenke, bild ich mir ein, daß ich sehe einen Boten von ferne kommen, der mir gute Zeitung bringt von meinem Erlöser und Bräutigam meiner Seele und von der Erbschaft, die er mir mit seinem Blute erworben und im Himmel beigelegt hat. Was frage ich darnach, daß der Bote häßlich aussieht, einen langen Spieß trägt, einen zerrißnen Rock anhat und mit Ungestüm anpocht? Ich sehe nicht so sehr auf seine Gestalt, als sein Gewerbe. Mein getreuer Erlöser! es sollte mir nicht zuwider sein, wenn alle Vögel mir von meiner Sterblichkeit täglich und stündlich sängen und predigten. Die Süßigkeit, so ich aus deinen bluttriefenden Wunden sauge, verschlingt die wenigen bittern Tropfen, so mir der Tod zum Valettrunk in der Welt einschenkt. Was sollt ich lieber wünschen, als abzuscheiden und bei dir, mein Herr Jesu! zu sein?

189. Die Sommerfliegen.

Gotthold sah etliche Knaben in einem Garten den Sommer- oder Butterfliegen und Raupenschmeißern nachlaufen und hatte seine Lust daran, daß diese einfältigen Vogelsteller es sich so sauer werden ließen, das bunte Ungeziefer zu fangen. Er sagte zu einem guten Freunde: Wißt ihr, wem diese Kinder gleich sind? Sie sind den gelehrten und sinnreichen Leuten gleich, die in Erregung mancherlei unnützer Fragen ihre Kunst und Verstand nicht so sehn als ihren Fürwitz und Stolz beweisen. Was sind die hochfliegenden unnützen Gedanken und Fragen anders, als dieses Ungeziefer? Und warum sollte nicht die Thorheit der Gelehrten so groß sein, als dieser Kinder, die da vermeinen, etwas Sonderliches erjagt zu haben, wenn sie allerlei seltsame, wunderliche, verworrne Fragen und Gedanken in geistlichen und weltlichen Dingen können vorbringen? Oder saget mir, was einer mehr Nutzen, als der andere von seinem Fang hat? Und dennoch ist’s leider fast dahin gekommen in der Welt, daß, wer nicht solche bunte Mücken und bunte Fliegen mitjagen und fangen will oder kann, derselbe für einen ungeschickten Menschen gehalten wird. Ich meinestheils halt es dafür, daß, wie in weltlichen Dingen ein Unterschied ist unter einem gelehrten und klugen Mann, also auch in geistlichen Dingen nicht weniger ein Unterschied sei unter einem gelehrten und gottseligen Mann. Sind sie beide zusammen, so ist’s, als wenn der Diamant im Golde spielt und leuchtet, oder als goldene Aepfel in silbernen Schalen. Soll ich aber nur eines davon haben, so wünsche ich mir die Gottseligkeit und will lieber mit den Ungelehrten den Himmel zu mir reißen, als mit großer Kunst und Geschicklichkeit verdammt werden. Was ist Wissen ohne Gewissen? Was hilft alles lernen und des Vornehmsten vergessen? Ich habe Leute gesehen, die viel Bücher hatten nur zu dem Ende, daß sie auf Befragen sagen konnten, sie hätten sie; ich habe Handwerker gekannt, die viele und gute Werkzeuge hatten, von ihren Eltern ererbt, oder von andern erkaust, und wußten sie doch nicht zu gebrauchen. Mein, was war allen beiden damit gedient? Eben so viel, als einem Gelehrten mit aller seiner Kunst, die er nicht als ein Werkzeug zu Gottes Ehren und sein selbst und seines Nächsten Besserung gebraucht. Ich wollte nicht zweifeln, daß bei weitem mehr sinnreiche und gelehrte Leute würden in den Himmel kommen, wenn nicht der Gelehrteste unter allen Gelehrten gesagt hätte, daß an jenem Tage er zu vielen, die in seinem Namen geweissagt, werde sagen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Uebelthäter. Matth. 7, 22. 23. Es sind zweierlei Leute, die vergebliche Arbeit thun und Herzeleid zu Lohn haben, die viel Geld und Güter sammeln und genießen ihrer nicht, und die viel Gutes erlernen und wissen und stellen ihr Leben nicht darnach an. Mein Gott! ich weiß, daß unser Wissen in diesem Leben ist Stückwerk, und daß die edelste und höchste Wissenschaft in deiner und des Herrn Jesu Erkenntniß besteht. Darum will ich allen meinen Fleiß dahin richten, daß ich an den gekreuzigten Herrn Jesum glauben, ihn lieben und in Geduld folgen möge, und wenn ich hievon nur ein weniges erfasse, will ich mit dem Gelehrtesten der Welt nicht tauschen.

190. Die welken Blumen.

Gotthold sah etliche verwelkte Blumen auf dem Tische liegen und gedachte bei sich selbst: das ist weltliche Freude und Herrlichkeit, die in geschwinder Eile sich davon macht und nicht Fuß hält. Und im weiter n Nachsinnen fand er, daß auch eine solche Blume ein von Traurigkeit und Sorgen ausgemergeltes Herz vorbilden könnte. Ach, sagte er, wie viel welker, hochbetrübter Herzen giebt es in diesen letzten hochbeschwerlichen Zeiten! Wie mancher fromme Christ kann sein sorgenvolles Haupt kaum mehr tragen, sondern hängt es als eine verwelkende Blume! Wie viel tausend, tausend Thränen werden täglich in der bekümmerten Christenheit vergossen! Wie viel ängstliche Seufzer werden zu Gott im Himmel aufgeschickt! Und die sichere, gottlose, verzweifelte Welt achtet es nicht, sie beleidigt die armen Kinder Gottes und lacht dazu; sie preßt und ängstet die Herzen der Christen und nimmt es nicht zu Herzen. Aber wie die Dünste, so von der Erde aussteigen, endlich im Regen, Wind, Donner und Blitz wieder kommen, also wird alles traurige Seufzen und Winseln der Frommen endlich zum Feuer und Schwefel werden und auf der Gottlosen Häupter fallen. Ihr aber, ihr traurigen, betrübten Herzen, trauert und trauert nicht zu sehr! sorget und sorget nicht zu viel! Gott im Himmel hat Acht auf eure Thränen und Wehklagen! Die sämmtlichen Kreaturen seufzen mit euch! Mich däucht, ich sehe alle h. Engel weinen über so viel Herzeleid, Angst, Unbilligkeit und Noth, damit eure Herzen beschwert sind; Gott wird helfen! Er wird den Gerechten nicht ewig in Unruhe lassen! Hebet die traurigen Augen auf und wisset, daß sich eure Erlösung naht! Sollte nicht Gott retten seine Auserwählen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und sollte Geduld darüber haben? Ich sage euch, er wird sie erretten in einer Kürze. Luc. 18, 7. 8. Mein Gott! Koste alle traurige, beängstigte Herzen, so wird meiner auch nicht vergessen.

191. Die Gnadenwahl.

Ein trauriges Herz klagte Gottholden, daß es oft wider seinen Willen in die Gedanken von der ewigen Gnadenwahl geriethe und in Betrachtung der Vielheit der Verworfenen und der Wenigkeit der Auserwählten zweifeln müßte, ob es sich auch unter die wenigen rechnen und, daß es zum ewigen Leben verordnet, glauben könnte. Er antwortete und sagte: Es geht euch wie den unverständigen Kindern, die oft aus Fürwitz und Einfalt auf einer Leiter oder Stiege sich in die Höhe machen und sich also vergehen und versteigen, daß sie nicht wissen, wo sie wieder herunter kommen sollen. Ich weiß ein Exempel, daß ein kleines Kind aus einem hohen Fenster auf die Bretter, welche dahin gelegt waren, etliche Blumen- und Kräutertöpfe darauf zu setzen, sich begeben und bis an des Vaters Studierstüblein mit großer Gefahr gegangen und durch die Fenster zu ihm hineingesehen, da er es dann mit höchstem Schrecken zu sich hinein genommen. So macht ihr es auch, ihr begebt euch in Gefahr und klettert in die Höhe und wollt zu Gott in seine Rathstube sehen; Lieber, wer hat euch das befohlen? Haltet gewißlich dafür, daß diese Gedanken des Teufels Irrwisch sind, dadurch er euch in Noth und Gefahr eurer Seele und in stetige Traurigkeit stürzen will. Denn was die Schrift von der Gnadenwahl sagt, sagt sie nicht, die armen angefochtenen Seelen, so ihre Sünde fühlen und gerne los wären, damit zu bekümmern und zu schrecken, sondern vielmehr zu trösten. Und eben darum ist Gottes einiger und liebster Sohn zu uns auf Erden gekommen, daß wir nicht dürfen mit gefährlichen Gedanken hinauf gen Himmel flattern, zu erfahren, wie Gott gegen uns gesinnt sei, und was er von unserer Seligkeit beschlossen habe; darum ist er so niedrig geworden, daß wir an ihn uns halten, in ihm ein gutes Vertrauen zu Gott und fröhliche Hoffnung von unserer Seligkeit schöpfen sollten. Seine Windeln, Krippe, Armuth, Traurigkeit, Todeskampf, Geißelung, Kreuz und Grab sind lauter Stufen zum Himmel; steiget durch dieselben im Glauben hinaus, so wird euch seine mächtige Hand halten, daß ihr in Ewigkeit nicht fallen werdet. Könnt ihr denn ja solche ängstliche Gedanken nicht los werden, so lernet, wie sie euch vermittelst göttlicher Gnade können zum Besten dienen. Kehret die Schlußrede des Satans, damit er euch an eurer Erwählung zweifelnd machen will, gerade herum und saget: eben daraus schließe ich, daß ich erwählt bin, weil ich über meine Erwählung so ängstlich bin und so viel ängstliche Seufzer deßfalls zu meinem lieben Gott aufschicke, und weiß gewiß, daß mein getreuer Gott sich stellt, als wollt er mich fallen lassen, daß ich ihn desto fester ergreifen und halten soll. Und wer ist’s, der die unaussprechlichen Seufzer meines bekümmerten Herzens wirkt und schafft, als der Geist Gottes? Daraus ich unfehlbar schließen kann, daß ich Gottes Kind sei und mich nichts, nichts von der Liebe Gottes in Christo Jesu scheiden wird. Will denn dieses alles nicht helfen, so trauet denen, die es erfahren haben, daß nichts besser sei, wie allezeit, also in diesem Fall sich ganz und gar in Gottes gnädiges Gericht ergeben und sich ins Meer seiner Barmherzigkeit und Güte stürzen und, wenn also zu reden vergönnt ist, sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben. Denn den angefochtenen Herzen ist zu Muth, als einem, der an einer hohen Klippe etwa einen schwachen Zweig ergriffen hat, zwischen Himmel und Erde schwebt und an nichts, als an seinen Fall gedenkt, bis ihm seine Freunde eine Streu von Betten, Stroh und andern Dingen machen, darauf er ohne Schaden fallen kann. Wenn euch denn solche ängstliche Gedanken verleiten und ihr ja. fallen sollt, so fallet auf Gottes unbegreifliche, unendliche Güte, Gnade und Barmherzigkeit, in Christo Jesu allen Menschen verheißen, sagend: Mein getreuer Gott! du Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, ich stürze mich in den Abgrund deiner Güte! ich bin dein Geschöpf, ich bin auch dein Eigenthum, durch das Blut deines Sohnes erkauft, ich verzage und verzweifle an aller meiner Würdigkeit, an allen meinen Kräften, an aller menschlichen und engelischen Hülfe; nur allein an deiner Gnade verzage ich nicht. Sollte ich versinken und vergehen, so will ich in deiner Gnade vergehen; auf deine Gnade und Barmherzigkeit in Christo Jesu will ich leben und sterben, und, wenn es möglich ist, zur Hölle fahren!

192. Der Vogel in der Kinder Händen.

Etliche Kinder hatten einen Vogel an einen Faden gebunden und spielten mit demselben. Gotthold sah solches und gedachte: so geht’s mit unserm Gemüth und Geiste zu, wenn sich derselbe in zeitliche Dinge und weltliche Lüste vertieft. Die guten Freunde, die lustige Gesellschaft, die mancherlei Zeitkürzung und Gespräche sind oft nichts anders, als Stricke, damit unser Herz nieder gehalten und verhindert wird, daß es sich in Andacht und brünstigem Verlangen nicht erheben und nach dem Himmlischen sich nicht sehnen kann. Ich bin oftmals zu einer Ergötzlichkeit gekommen und habe nicht gemeint, auch nicht gemerkt, daß mein Herz in etwas ist verstrickt worden, bis ich’s hernach erfahren habe, wenn es sich im Gespräch mit Gott zu erheben gesucht; also spielt ein Mensch mit dem andern, wie die Kinder mit diesem Vogel, und ist guter Meinung und, indem er ihn zu ergötzen sucht, an seiner Gottseligkeit ihm schädlich. Wohl dem, der sich von diesem Bande los wirken und sich von weltlicher Freude je mehr und mehr abziehen kann! Wie selig ist die Seele, die ihre Ruhe, Freude, Lust und Ergötzlichkeit in Gott sucht und etliche Tropfen von seiner Süßigkeit kostet und darüber auch der vergönnten Lust in der Welt vergißt! Gott ist der Mittelpunkt unserer Seele. Wie nun in einem Kreise, was dem Mittelpunkt am nächsten ist, am wenigsten bewegt wird, also, je näher sich die Seele zu Gott hält, je weniger Unruhe und Bewegung ist sie unterworfen. Versuche es auf einem ebnen Platz, stecke einen Stab in die Erde, binde einen langen Faden daran und zieh nach demselben um den Stab als den Mittelpunkt einen ziemlich weiten Kreis, laß dann einen deiner Freunde in dem Kreis umhergehen, du aber bleibe unfern vom Stabe, so werdet ihr erfahren, daß jener viel mehr Schritte bedarf und fast laufen muß, feinen Kreis zu vollenden, da du mit etlichen wenigen zukommen kannst. So ist es mit deiner Seele; je weiter sie sich von Gott und geistlichen, himmlischen Dingen entfernt, je mehr geräth sie in Weitläufigkeit, läuft, rennt und weiß nicht warum, sucht Ruhe und findet sie nicht. Wer sich aber Gott aufs nächste in Andacht, Glauben, Liebe und Unterwerfung seines Willens hält, der findet, was sein Herz wünscht. Mein Gott! ich weiß wohl, daß du unserem Leib und Gemüth zu seiner Erquickung eine und andere Lust wol gönnst, allein zu beklagen ist es, daß wir solche zuweilen allzuweit suchen und unser Herz von dir flüchtig wird! So sollst du nun in aller meiner Lust , meine höchste Lust sein und, wenn mein Leib sich in vergönnter Lust ergötzt, soll doch mein Geist in deiner Güte seine höchste Ergötzlichkeit suchen.

193. Die Fische.

Als Gotthold in einem kleinen Heller fischen ließ und nunmehr etliche Hechte im Garn zappeln sah, gedachte er bei solcher Lust mit Freuden an Gottes Güte und Segen, die sich im Wasser nicht weniger, als auf trocknem Lande verspüren lassen. Gott hat seine großen Teiche und Heller, das Meer, die See, Ströme und Flüsse, da wimmelts ohne Zahl, beide, große und kleine Thiers. Ps. 104, 25. Wir wundern uns, wenn wir lesen und erfahren, daß die Fische in den Teichen sind gewöhnt worden, daß sie, wenn man mit den Händen geklatscht, mit einem Glöcklein geklungen, oder sie bei Namen gerufen, ans Ufer geschwommen, sich speisen und wol gar greifen lassen. Allein, was ist doch dies gegen die mannigfaltigen Wunder des Höchsten, die er auch an den Fischen beweiset? Er giebt ihnen ein Zeichen, so kommen sie mit Hausen und in unsäglicher Menge, sie gehen hinauf in die Ströme und Flüsse, sie eilen ans Ufer und in die Netze und lassen sich dem Menschen zu Dienst willig fangen. Was ist es für eine große wunderliche Güte, die er jährlich an dem Hering beweist, der zu gewisser Zeit so häufig gefangen wird, daß er in viel tausend Tonnen gepackt, weit und breit verführt und fast die ganze Welt damit gespeiset wird? Wer kann die andern alle zählen, die jährlich, monatlich und täglich kommen und gleichsam sagen: hie sind wir, Mensch, genieß unser und lobe deinen und unsern Schöpfer! Als da sind die Lachse, Schnäbel, die Neunaugen, die Barse, die Aale, die Lampreten, die Quappen, die Hechte, die Gründlinge, die Smerlen, die Forellen, die Brassen, die Aländer, die Welse, die Plötzen, die Barben, die Schleie, die Rothfedern, die Karautschen, die Karpfen, die Krebse, und andere mehr. Wenn nun der milde fromme Gott diese alle in der Tiefe zwingt, daß sie sich fangen lassen und uns zu Tisch kommen, was sagt er anders, als: Mensch, beliebt dir der eine nicht, hie ist ein anderer; genieß ihrer nach aller Lust deiner Seele, nur vergiß meiner nicht und bezahle mir diese mannigfaltige Lust nur mit einem dankbaren Seufzer. Mein Vater! wie wunderreich ist deine Güte, wie unzählbar sind deine Wohlthaten! Den Fischen hast du keine Stimme gegeben, dich zu loben, mir aber hast du einen Verstand verliehen, deine Mildigkeit zu erkennen, ein Gedächtniß, deine Wohlthaten zu behalten, Augen, deine Wunder zu sehen, eine Zunge, deine Süßigkeit in den Geschöpfen zu kosten und dich dafür zu loben, und ein Herz, dich zu lieben. Sei hoch gelobt, sei ewig gepriesen, mein Gott! für alle deine Güte.

194. Das Händewaschen.

Als Gotthold des Morgens Wasser nahm, erinnerte er sich der Worte des königlichen Propheten: Ich wasche meine Hände mit Unschuld, Ps. 26, 6., damit er anzeigt, wie geflissen er gewesen sei, einen unbefleckten Wandel zu führen und in steter Gottesfurcht einher zu gehen, und sagte bei sich selbst: mein Gott! so oft ich künftig werde Wasser nehmen, mich früh morgens, vor oder nach Tisch zu waschen, so will ich mich deß erinnern, daß ich müsse meine Hände von bösen Thaten, meinen Mund von bösen Worten und mein Herz von sündlichen Begierden und bösen Lüsten reinigen, auf daß ich möge heilige Hände zu dir aufheben, 1. Tim. 2, 8., und dich mit gottseligem Munde und unbeflecktem Herzen, so viel möglich ist, anbeten und preisen. Was hilfts, wenn ich mich äußerlicher Reinlichkeit befleißige und mein Herz vor dir voller Greuel ist? Wie kann mir der Bissen gedeihen, den ich mit unreinen Fäusten erworben, mit Frevel und Ungerechtigkeit ,zu mir gerissen und mit Sicherheit und Undankbarkeit meinem Munde geboten habe? Ach nein, mein Gott! mir nicht solche Bissen! meine erste Sorge soll sein, daß ich meinen Wandel unbefleckt behalten möge, die nächste, wie ich, wenn ich aus Unvorsichtigkeit mich beschmutzt, mich wieder waschen, reinigen und mein böses Wesen von deinen Augen thun möge. Entsündige mich, mein Gott! daß ich rein werde, wasche mich, daß ich schneeweiß werde. Ps. 51, 9.

195. Das Vogelnest.

Als Gotthold in einem Garten umher ging, sah er ein Vöglein daher fliegen, welches etliche Würmer im Schnabel führte, daraus er bald schließen konnte, daß selbiges an einem Ort sein Nest und Junge haben müßte, und als er ein wenig über Seite gegangen, ward er bald inne, wohin es sich wendete, und fand das Nest mit den Jungen nach wenigem Suchen. Hiebei erinnerte er sich, daß dieses Vöglein, welches mit Zuführung der Speise seine Jungen entdeckt hatte, ein artiges Bild gebe derselben Eltern, so viel Güter mit Recht und Unrecht zusammen bringen, ihren Kindern, wie sie sagen, zum Besten, wie aber die Erfahrung oftmals bezeugt, zum höchsten Schaden. Denn das übel erworbene Gut bringt nicht allein die Eltern um ihre Seligkeit, (wie denn ihrer viele, damit ihre Kinder mögen wohlleben, zum Teufel fahren), sondern giebt auch den Kindern Anlaß, entweder in der Eltern Fußstapfen zu treten und ihren Geiz und Ungerechtigkeit fortzusetzen, oder, was die Eltern mit Mühe und Verlust ihrer Seele erworben, mit Lust und Ueppigkeit zu verschwenden, welches beides ohne äußerste Gefahr ihrer Seelen nicht geschehen kann. Was hilfts, wenn die Eltern ihren Kindern Schätze sammeln, da an einem jeden Pfennig ein Blutstropfen und Thräne der Armen hängt? Wie schrecklich ist es, selbst zur Hölle fahren und den Kindern eine Brücke bauen, über welche sie spornstreichs hernach folgen mögen! Mein Gott! was soll ich meinen Kindern sammeln? Mein Vermögen ist gering, und von täglicher Nothdurft bleibt mir wenig über. Hilf, daß ich sie zu deiner Furcht gewöhnen, in Gottseligkeit, nothwendiger Wissenschaft und tugendhaften Sitten unterrichten, einen rühmlichen guten Namen ihnen hinterlassen und sie deiner Gnade und Segen ohne Unterlaß befehlen möge! Besser weiß ich sie nicht zu versorgen.

196. Die gaksende Henne.

Die Henne, wie bekannt, hat die Art, daß, wenn sie ein Ei gelegt, sie solches mit vielem Gaksen und Schreien gleichsam ausruft und ihrem Hausherrn anmeldet. Als nun Gotthold solches hörte, gedachte er bei sich selbst: das Huhn macht es wie die stolzen Heiligen und Heuchler, die aus der Gottseligkeit ein Gewerbe machen und sobald nicht etwas Gutes mit halbem Herzen verrichtet haben, als sie wünschen, daß es zu ihrem Ruhm allenthalben ausgeblasen und kund gemacht würde. Allein die rechten Christen sind viel anders gesinnt; wie das Auge, das edelste Glied am menschlichen Leibe, sich selbst nicht sieht, also kennt die Frömmigkeit und Gottseligkeit sich selbst nicht. Die Gläubigen glauben nicht, daß sie glauben; die Demüthigen wissen nicht, daß sie demüthig sind; die besten und andächtigsten Beter haben mit Gott viel zu schaffen, daß sie nicht wissen und nicht daran gedenken, daß sie ganz, inbrünstiglich gebetet haben; die mildesten Wohlthäter können sich nicht erinnern, daß sie viel Gutes gethan, und wundern sich, wenn man ihnen für ihre Gutthat dankt; den Frommen dünkt immer, sie seien nicht fromm, und daher kommt’s, daß sie immer kämpfen, ringen und sich üben und bemühen, fromm zu werden, und eben hierin besteht das Wachsthum ihrer Gottseligkeit. Mein Gott! nichts ist mir mehr verdächtig, als wenn ich ein sonderlich Gefallen an mir selbst, an meinem Glauben, Gebet und Almosen habe, und solches gebe ich ganz verloren, weil, was mir selbst wohl gefällt, dir nicht gefallen kann; das Mißfallen aber, das ich an mir selbst und meinen Werken habe, erhält mich in steter kindlicher Furcht, Demuth und fleißiger Uebung, und also hoffe ich, daß, was mir mißfällt, dir in Gnaden um meines Herrn Jesu willen gefallen wird.

197. Der indianische oder türkische Hahn.

Etliche Knaben hatten ihr Spiel mit einem türkischen Hahn; sie zerrten ihn mit Pfeifen und einem rothen Tuch, welches er, wie bekannt, nicht wohl leiden kann; darüber ereiferte er sich und kollerte seiner Art nach. Gotthold sah dieses und fand bald an ihm ein Bild eines boshaftigen und neidischen Menschen, sagend: Wie dieser Hahn die rothe Farbe und das Pfeifen nicht leiden kann, davon er doch keinen Schaden hat, als den er sich selbst durch seine Thorheit verursacht, so sind die Neider mit anderer Leute Freude und Wohlstand nicht zufrieden, ob schon ihnen daran nichts abgeht. Dies ist gar ein teuflisches Laster, das seinesgleichen nicht viele hat, welches über anderer Leute Unglück sich freut und über ihr Glück sich betrübt. Es ist gar ein verkehrtes Laster, weil es aus fremder Freude seine Traurigkeit und in anderer Leute Aufnehmen seinen Fall und Verderben sucht, maßen denn der Neid ist wie der Holzwurm, der das Holz frißt und verzehrt, darin er gewachsen ist; er muß immer etwas zu nagen haben; kann er eines andern Herz nicht erlangen, so muß er sein eignes fressen. Dem Mißgünstigen ist es - leid, daß Gottes Güte und Müdigkeit so groß ist und ihre Strömlein so häufig ergießt; könnte er zu dieser Quelle kommen, er würde sie unverstopft nicht lassen. Das Herz des Mißgünstigen ist eine Pfütze, darinnen alle andern Laster zusammenlaufen; er liebt Gott nicht, sondern haßt ihn wegen seiner Güte und Vollkommenheit; er betet nicht, sondern murrt und grunzt; er hilft niemand, sondern schadet jedermann, wo er kann; er ist ein Schadenfroh, voller Falschheit, Haß und Feindseligkeit, voller Eigennutz und Geiz, voll Lügen und Betrugs, mit einem Wort, ein rechtes Bild des Teufels, dessen Lust ist, wenn er etwas verderben kann. Und weiß ich nicht, ob man an einem Laster klärlicher erkennen kann, wie viel Gifts der Schlangenkopf in die menschliche Natur geblasen, und wie sehr sie verderbt ist. Ach, mein Gott! reinige mein Herz von diesem schändlichen Laster und gieb mir die Gnade“ daß ich fröhlich sei mit den Fröhlichen und traurig mit den Traurigen. Warum sollt ich meinem Nächsten nicht gönnen, Ms du ihm gönnst?

198. Das Gastmahl.

Gotthold ward an einem Ort zur Mahlzeit gebeten, wobei ihm Hoffnung gemacht ward, daß er einen seiner liebsten Freunde, mit dem er vor andern gern umging, auch daselbst finden würde. Als er nun sich einstellte, fand er, daß sein vermutheter Freund wegen eingefallner Hindernisse ausgeblieben war, worüber er voll Unmuths ward, und sich bei solchem Mahl wenig fröhlich bezeigen konnte. Er gerieth aber darüber in folgende Gedanken: einer gottseligen Seele, die den Herrn Jesum herzlich liebt und nach ihm ein brünstiges Verlangen hat, der geht es eben wie mir jetzt; sie sucht ihren Freund an allen Orten, in allen Dingen, in allen Begebenheiten; findet sie ihn, wer ist fröhlicher, als sie? findet sie ihn nicht, wer ist trauriger, als sie? Ach, mein Herr Jesu, du getreuster Freund meiner Seele! du bists, den meine Seele liebt, denn du bists, der meine Seele liebt. Meine Seele sucht dich! Mein Herz sehnt sich nach dir! Was soll mir die Welt mit all ihrer Lust, Pracht, Macht und Herrlichkeit, wenn ich dich nicht darin finde? Was soll mir die niedlichste Speise, der lieblichste Trank, die lustigste Gesellschaft, wenn du nicht dabei bist, wenn ich nicht meinen Bissen in deinen Wunden feuchte, wenn nicht deine Gnade meinen Trunk gesegnet und süß gemacht, wenn du nicht mit meiner Seele freundlich redest? Fürwahr, mein Erlöser! wenn ich sollte im Himmel sein und fände dich im Himmel nicht, so würde ich den Himmel für keinen Himmel achten. Drum, mein Herr Jesu! wenn ich dich mit Thränen, mit Seufzen, mit Flehen, mit Händeaufheben, mit Verlangen, Harren und Hoffen suche, so verbirg dich nicht, sondern laß mich dich finden. Denn, Herr! wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott! allezeit . meines Herzens Trost und mein Theil! Ps. 73, 25. 26.

199. Die blühenden Bäume.

Als im Jahr 1662 nach unsers Erlösers Geburt an etlichen Orten die Bäume im Januar theils blühten, theils auszuschlagen begannen, gedachte Gotthold an des Herrn Jesu Wort: Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume, wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihrs an ihnen und merket, daß jetzt der Sommer nahe ist; also auch ihr, wenn ihr dies alles sehet angehen, so wisset, daß das Reich Gottes nahe ist, Luc. 21, 29. 30. Und brach darauf bei sich selbst heraus und sagte:

Die Zeit ist nunmehr nah,
Herr Jesu, du bist da!
Die Wunder, die den Leuten
Dein Ankunft sollen deuten,
Die sind, wie wir gesehen,
In großer Zahl geschehen.

Ich zweifle nicht, daß alles im Himmel gerüstet und fertig ist. Die h. Engel haben die Posaunen in den Händen und warten auf des Herrn Wink, daß sie den großen und letzten Gerichtstag ausblasen sollen, Die Menge der Auserwählten hat schon ihr weißes Kleid angelegt und die Palmzweige in Händen und ist bereit, ihren Erlöser in seiner letzten Zukunft zu begleiten. Die vielen Wohnungen im Hause Gottes sind aufgeräumt und zugerüstet, die Himmel krachen, die Erde bebt, die Winde stürmen, die Wasser brausen, alle Kreatur sehnt, seufzt und ängstet sich. Mich däucht, mein Heiland, ich höre dich sagen: Ja, ich komme bald: Und ich sage: Amen, Ja! komm, Herr Jesu! Offenb. 22, 20.

200. Der süße Wein.

Gottholden hatte ein wohlthätiges Herz einen Trunk süßen Weins gesandt; als nun sein Söhnlein nach Kinderart denselben auch gern kosten wollte und er ihm ein weniges in sein Becherlein schenkte und zu trinken darreichte, fragte er: Wie schmeckt das? Das Kind antwortete: Süß. Er fuhr fort: Wie süß? Das Knäblein antwortete: Süß, süß. Gotthold lachte und sagte: So weißt du denn nicht anders zu sagen, als daß es süß sei? Ach, mein Gott! fuhr er fort bei sich selbst, wie süß ist deine Gnade! wie lieblich sind die Tropfen deiner Güte! Ich fühle und schmecke es im Geist und Glauben; sollte mich aber ein anderer fragen, wie süß deine Liebe und wie schmackhaft deine Gnade sei, so weiß ich eben so wenig, als dies Kind es zu sagen. Süß, süß ist deine Güte. Wie aber süß, das läßt sich besser erfahren, als sagen. Ich empfinde ja etwas in meinem Herzen, ich koste etwas in meiner Seele, das durchgeht mir Mark und Bein, es ist lieblich über alle Lieblichkeit, süß über alle Süßigkeit. Es ist so süß, daß es alle Bitterkeit verzehrt, so süß, daß ich’s nicht weiß und es nicht sagen kann, wie süß es ist. Und das sind, mein süßer Gott! nur etliche Tropfen deiner Güte; deren Süßigkeit kann mein Verstand nicht erreichen und meine Zunge nicht aussprechen, was wird alsdann werden, wann du mich im Himmel mit deiner Liebe und Gnade als mit einem Strom tranken wirst! Was ist das ewige Leben? die süße Gnade, Liebe und Güte Gottes. Wie süß ist denn die? süß, süß ist sie. Mehr weiß ich nicht zu sagen. Du unendlicher Gott! deine Süßigkeit und Seligkeit ist unendlich, denn du bist die Süßigkeit und Seligkeit deiner Gläubigen. Wann werde ich dahin kommen, daß ich dein Angesicht schaue und deine Süßigkeit völlig schmecke? Wenn du alle Meere, alle Ströme, Seen, Pfützen, Brunnen und Quellen zu Wermuth, Galle und Aloe machtest und gössest es alles in und über mich allein, so könnten doch etliche wenige Tröpflein deiner süßen Liebe und Güte dieses alles süß und lieblich machen. Gönne mir, mein Gott! so viel von deiner Lieblichkeit in diesem Leben, als dir gefällt und mir dienlich ist. In jenem Leben will ich die Krümlein deiner Gnade und die Tropfen deiner Güte unter dem Tisch deiner Auserwählten gern aufsammeln und dennoch in Ewigkeit nicht mehr begehren.

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