Schmitz, Richard - Fleisch und Geist - Kapitel 6
In Kapitel 8 wird der Faden von Kapitel 6 (wozu auch noch Kapitel 7,1-6 gehört) wieder aufgenommen. Für unsere Aufgabe genügt es, wenn wir die ersten vier Verse besprechen, in denen der Schwerpunkt des Kapitels liegt. Der Gedanke, der schon Kapitel 7,25 in einem Lobpreis allgemein ausgesprochen ist, aber dort noch nicht in den Zusammenhang der Entwicklung hineingehörte, findet hier seine nähere Darlegung.
Der Apostel nimmt von dem vorher Gesagten nichts zurück, aber er redet von einem neuen Verhältnis, das Gott gegenüber eingetreten ist und eine Rückwirkung bei den von diesem Betroffenen gefunden hat, das schon Kapitel 3 - 5 näher erörtert war. Er faßt es jetzt zusammen mit den Worten: „So ist nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind.“ (Vers 1.)
Was es mit dem Urteil zur Verdammnis auf sich hat, hatte der Apostel Kapitel 5,15 näher gesagt. Durch eines Menschen Sünde war es über alle Menschen gekommen, da diese gattungsmäßig in Adam mitgefaßt und daher von ihm mitgetroffen sind. Die Sünde Adams ist eine Gesamtschuld aller, die von ihm her sind mit allen zerstörenden Wirkungen, die sie herbeigeführt hat. Aber mit gleichem Recht erklärt der Apostel, daß die Gnade in dem neuen Menschen Christus in ihrer ganzen „Fülle“ allen denen zukomme, die durch einen neuen Lebensanfang aus ihm sind, und daß diese Gnade eine Herrschaftsmacht entfalte „im Leben durch einen, Jesus Christus“ (Vers 17).
Schon vorwegnehmend hatte der Apostel gleich zu Beginn jener Ausführungen in Kapitel 3,25 frohgemut erklärt, diese Gnade erweise sich darin, daß „sie Sünden vergibt“, um dann Kapitel 4,7 darzutun, daß diese Erweisung schon im Alten Bunde vorausgeschaut worden sei und David zu dem Ausruf begeistert habe: „Selig sind, welchen die Uebertretungen vergeben sind!“ (Psalm 32,1.) Das Wort „Vergebung“ ist aber in dem Umfange zu fassen, den es in der Schrift hat. Die landläufige Auffassung von einem Schulderlaß der Sünde deckt nicht den ganzen Begriffsinhalt. Das für „Vergebung“ gebrauchte Wort áphesis heißt: Loslassung. Die Bedeutung dieses Wortes wird nähergerückt durch die mosaische Vorschrift, wonach im Halljahre ein verknechteter Schuldner seine Schuld dadurch los wurde, daß er aus seiner Knechtschaft „los ausgehen“ (3. Mose 25,41), also losgelassen werden mußte, um gleichzeitig wieder in sein angestammtes Erbgut eingesetzt zu werden. Die Sündenvergebung ist im eigentlichen Sinne ein Befreiungsakt, die Loslassung der Sünde aus dem Gerichtsbann, worin sie gehalten ist, - mit der Erlangung aller Gnadenrechte. Wenn wir die Kapitel 3 - 5 in ihrem Zusammenhang auf uns wirken lassen, so finden wir, wie der Apostel gemüht ist, diesen vollen Gedanken herauszustellen.
Nachdem Paulus unmittelbar vorher die Sünde in ihrer gewaltigen bannenden macht aufgezeigt hatte, ist er nun im Begriff, die Freimacht des Geistes zu preisen. In diesem Zusammenhang faßt er in vorliegender Stelle Kapitel 8,1 das in den Kapitel 3 - 6 Gesagte zusammen mit den Worten: „So ist nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind.“ Wenn anders das Heil in Christus vollkommen ist, muß die Aufhebung des Verdammungsurteils, das auf adamitischen Abkömmlingen lastet und sie verhaftet, diese auch aus der Sündenherrschaft befreien. Wenn Gott die Sünde vergibt, läßt er auch aus ihrem Banne los; es gibt keine Sündenvergebung ohne Sündenbefreiung mit alle dem, was diese einschließt.
Man fühlt es den Worten: „keine Verdammnis mehr“ ab, daß sie, so knapp sie sind, Umfassendes aussagen. Man merkt, wie damit eine Scheidewand weggeschoben ist, wodurch ein zurückgehaltener Strom der Gnade freigeworden. Eigentlich tritt dies in der Grundsprache noch mehr hervor, indem eine verstärkende Verneinung (oudèn = mit nichten, keineswegs, keinerlei) gebraucht ist. Wenn - wie anzunehmen ist - das ganze Kapitel nur eine Weiterführung dieser Aussage darstellt, so begreifen wir, daß es sich handelt um eine Aufhebung des Verdammungsurteils in jeglicher Art, so daß uns nichts Geringeres zugewendet ist, als Gottes ewige Liebe und Huld, weshalb auch schon jemand gesagt hat, Römer 8 sei das Kapitel, welches anfängt mit den Worten: „Keine Verdammnis mehr!“ und schließt mit: „Keine Trennung mehr!“
Dazu paßt auch die schöne Umschreibung derer, die der Apostel im Auge hat: „die in Christus Jesus sind.“ In ihm, dem Gegenstande aller Zuneigungen Gottes, werden sie geschaut; dasselbe Wohlgefallen, mit dem Gott auf seinen einigen Sohn, den Geliebten, blickt, ruht auf ihnen. Wir bedürfen dieser Versicherung; sonst würde sie nicht in der Schrift und dazu in so mannigfach und stark bezeugter Weise gegeben sein. Was dieser Zusicherung aber das Schwergewicht verleiht, ist der Tatbestand, daß die innewohnende Sünde, die anklebende Sündhaftigkeit, von der der Apostel soeben geredet hat und die wir als einen unwürdigen Zustand empfinden, Gott nicht hindert, uns als seine Begnadeten anzusehen. Es ist derselbe kostbare Trost, dem Johannes in 1. Johannes 3,19-22 Ausdruck gibt mit den Worten: „Daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind und können unser Herz damit stillen, daß, so uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und erkennet alle Dinge. Ihr Liebe, so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott, und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen, denn wir halten seine Gebote und tun, was vor ihm gefällig ist.“ Diese Stelle ist für das Erfahrungsleben von besonderer Bedeutung. Schon so weit, als wir erleuchtet sind, nimmt unser eigenes Herz Vorgänge wahr, die es unter die Verdammung zu bringen geeignet sind; aber was ist dies Wenige, das wir schauen, gegenüber den Verderbenstiefen, die Gott sieht, der alle Dinge erkennt! Und doch erklärt Johannes, daß der normale Stand darin besteht, daß wir trotz alledem eine Freudigkeit zu Gott haben, ja die Zuversicht behalten, daß wir von ihm nehmen werden, was wir bitten, - weil wir das Verdammliche an uns selber als einen Zwiespalt empfinden, der uns danach ausstrecken läßt, das ins Werk zu setzen, was vor ihm gefällig ist. Wie stimmt doch die Schrift immer überein, und wie ist sie bemüht, uns einzugewöhnen in den Stand, den wir „in Christus Jesus“ haben!
Aber noch ein Weiteres wird damit ausgesagt. Es ist dies der Gegensatz zu dem autòs egò = ich selbst, was mich betrifft, in dem vorangegangenen Verse (Kapitel 7,25); diesem eigenen Ich mit seiner Sünden- und Todesgewalt ist Christus Jesus mit seiner Lebensmacht gegenübergestellt. Es ist damit gesagt, daß dies Ich aufgehört hat, die bestimmende Macht zu sein, und daß nun Christus die Verfügungsmacht erhalten und übernommen habe. Gleichwie im Ich von Adam her die Sünde herrschte, so hat nun Christus die Führung und Herrschaftsmacht erhalten. In diesem Sinne ist die Ausdrucksweise „in Christus“ - die recht paulinisch ist und im Epheserbrief mehr als ein Dutzendmal vorkommt, während sie im ganzen Römerbrief nur einmal in dieser Stelle sich findet - schon in Kapitel 6,5 f. vorbereitet. Dort war bereits dasselbe gesagt, und zwar bildlich: „daß eine Verpflanzung in Christus stattgefunden habe; es ist das Wort symphytos gebraucht, das von zusammenwachsen herkommt, also die organische Verbindung mit Christus zu einer Lebenseinheit aussagt. In dem wiedergeborenen Menschen ist es zu einem Personenleben Christi selber gekommen dergestalt, daß sein Leben als das neue Element zur vorwaltenden und bestimmenden Lebensrichtung geworden ist. Gott ist damit bei der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen anfangsweise wieder angelangt, und diese Bestimmung, zu der der Mensch schon ursprünglich auf Christus angelegt war, kann er auch nur in der Gemeinschaft mit ihm erreichen.
Damit gewinnt aber die Aussage: „in Christus“ eine weitere große Bedeutung für das christliche Leben. Wenn in Christus „alle Fülle“ wohnt (Kolosser 1,19), so wird auch das Leben, das die Seinen in organische Verbindung mit ihm stellt, von seinen Lebenskräften umflutet, so daß nichts fehlt, ein Leben darzuleben, das seine Wesenszüge an sich trägt. Das Wort „in Christus sein“ ist Verheißung und Verpflichtung zugleich, so daß es keine Entschuldigung gibt. Wenn der Psalmist sagt: „Ich gehe einher in der Kraft des Herrn,“ so muß dies eine lebendige Gegenwart in denen werden können, die in Christus Jesus sind. Dies ist das, was der Apostel in Römer 8,1-4 dartun will. In Christus sind Kräfte in Umlauf gekommen, die das Fleisch zu kapitulieren zwingen. In folgendem ist davon weiter die Rede.
Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Vers 2.) Die große Frage, wie es zur Ueberwindung des Fleisches kommen könne, mußte ihre Beantwortung finden, da ein Heil, das vollkommen ist, notwendig für Abhilfe des in Kapitel 7,14 f. geschilderten unwürdigen Zustandes Sorge tragen muß. Eine Grundfrage des christlichen Lebens bleibt es für alle Zeiten, wie der innewohnenden Sünde, diesem gefährlichen Gegner, mit Erfolg begegnet werden kann, und diese brennende Frage findet in vorstehendem Vers 2 ihre befriedigende Antwort. Schon Kapitel 7 hatte der Apostel der in diesem Verse ausgesprochenen These zugesteuert; sie steht nun auch im Mittelpunkt der Erörterung in Kapitel 8. Was der Apostel hier ausspricht, gehört zu dem Wertvollsten der ganzen Schrift. Es ist das, was schon im Alten Bunde, von der Verheißung im Paradiese an, überall durchklingt, nun aber zur Tatsache geworden ist.
Zur Verdeutlichung dessen, was der Apostel sagen will, nimmt er ein Bild auf, das er in Kapitel 7,23 bereits verwendete. Um die dem Fleische innewohnende Macht zu kennzeichnen, redete er dort von ihr als von einem Gesetz, das naturhaft den Menschen bestimme und zwinge, nach den Impulsen des Fleisches zu handeln. Hier nennt er dies Gesetz zusammenfassend kurz „das Gesetz der Sünde und des Todes“. Es ist ein Gesetz, das die Sünde zu seiner bewegenden Ursache und den Tod zu seinem endlichen Ziel hat, dem es den natürlichen Menschen unfehlbar überliefert, wie Sünde und Tod als Ursache und Wirkung immer einander bedingen und jede vollendete Sünde den Tod gebiert. (Jakobus 1,15.) Diesem Gesetz stellt nun der Apostel ein anderes Gesetz gegenüber, und zwar mit dem ihm zukommenden Anspruch, daß es jenem überlegen ist. Es tritt eine Herrschaftsmacht mit einer anderen so in Wettbewerb, daß die eine berufen ist, die andere zu verdrängen und zu überwältigen. Aehnliches nehmen wir schon in der äußeren Naturordnung wahr als physikalische und chemische Erscheinungen, wenn zwei verschiedengeartete Kräfte zusammentreffen. Beispielsweise sehen wir, wie eine Last, die vermöge des Gesetzes der Schwerkraft zur Erde strebt, on einem mit Gas gefüllten Luftballon mit Leichtigkeit emporgehoben wird; das Gesetz der Schwerkraft bleibt an sich unverändert bestehen; es ist aber außer Wirksamkeit gesetzt so lange, als die Verbindung mit dem Ballon bestehen bleibt.
Wenn der Apostel dem Gesetz der Sünde und des Todes das „Gesetz des Geistes des Lebens“ gegenüberstellt und das eine durch das andere latent Gesetz, d.h. gebunden werden kann, so setzt dies voraus, daß diesen beiden Gesetzen sowohl etwas Verwandtes, als auch etwas Entgegengesetztes eignen muß. Die Wirkungsweise ist dieselbe, weil in beiden Fällen sich dem Willen des Menschen eine Macht aufdrängt und denselben zu dem ihrigen macht; in dem einen Falle ist das Fleisch immer zur Hand, das Böse ins Werk zu setzen, und in dem anderen Falle der Geist immer dabei, das Gute in uns zu vollbringen. Verschieden in beiden Fällen ist aber die Wirkungskraft, indem der Mensch, wie er an sich ist, dem Fleische hilflos ausgeliefert ist, während die Wirkungskraft des Geistes von jener Macht befreit und dieselbe bindet, weil hier Energien ausgelöst werden, die einer höheren Lebensordnung entstammen. man hat diese auch zentripetale Kraft genannt, indem sie Gott als ihrem Mittelpunkt und Lebensgrund zustrebt, während das Fleisch als eine zentrifugale Kraft ständig auf der Flucht von Gott weg begriffen ist. - Wir finden also in beiden Fällen eine unverrückbare Zielstrebigkeit, die neben einander immer dieselbe bleibt, aber mit einem verschiedenen Kräfteverhältnis, und zwar so, daß in dem Heiligen Geist, der in dem Wiedergeborenen wohnhaft geworden, eine Lebensmacht auf den Plan getreten ist, die vor den untergöttlichen Mächten nicht zurückschreckt, ihnen überlegen ist und das Feld zu behalten vermag. Es ist das nicht weniger als die Einlösung des alten Prophetenwortes: „Ich will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln, meine Rechte halten und danach tun“. (Hesekiel 36,27.) Es ist eine göttliche Macht in das Leben eingetreten, die es auf Erfüllung der Rechtsforderungen des Gesetzes abgesehen hat und diese Erfüllung als eine neue Lebensaufgabe des Menschen möglich macht. Der Mensch ist eben ein Geschöpf, das seine Bestimmung nur in der Gebundenheit an den Willen Gottes finden kann.
Nichts kann uns aber an Gott binden, als Gott selbst. Er selber will uns in die Hand bekommen, damit wir über der Natur stehen. Was uns über diese hinaushebt und mit bestimmender Wirkungskraft in das Innenleben schöpferisch und neuschaffend eintritt, kann nichts Unpersönliches sein. Die wirkende Kraft wird dabei auch von dem Apostel sofort näher dahin bestimmt, daß er als Träger derselben den „Geist des Lebens“ nennt. Dies ist auch schon in der obigen Prophetenstelle zum Ausdruck gebracht: „Ich will meinen Geist in euch geben.“ (Hesekiel 36,27.)
Schon im Alten Bunde kam der Geist von Gott „auf“ die Propheten; das Neue besteht darin, daß er „in“ uns kommt und zwar, um zugleich in uns seßhaft zu bleiben. Gerade dies ist es, was Jesus in seinen Abschiedsreden als das Besondere seinen Jüngern eröffnet, und zwar da, wo er zuerst von dem zu sendenden Geist redet: „Derselbe bleibet bei euch und wird in euch sein.“ (Joh. 14,17.) In Christus ist dieser Geist erstmalig zur vollen und ungehemmten Herrschaft gekommen und in ihm „fixiert“ (Culman), d.h. bleibend geworden als verfügbarer Eigenbesitz. Durch seine Erhöhung hat er die Vollmacht empfangen, denen, die ihm der Vater gegeben, sein Leben mitzuteilen, dessen Träger der Heilige Geist ist und vermöge dessen die Wiedergeborenen ein Leben als Fortsetzung seines Lebens führen. Aus diesem Grunde verstehen wir es auch, warum der Apostel den Heiligen Geist den „Geist des Lebens“ nennt, um ihn dann im weiteren Verlauf dieses 8 Kapitels (Vers 9, 11, 16 und 26) immer als den Geist Jesu Christi anzusprechen.
Der Apostel will hier stark hervorheben, daß das neue Leben nicht aus den Quellen unserer Natur gespeist, sondern durch den göttlichen Geist unterhalten wird. Wodurch das Leben gezeugt wird, kann es auch nur in Gang gehalten werden. Durch den Geist nimmt der Wiedergeborene an dem Leben Christi selbst Anteil und feiert in demselben seine beständige Gegenwart.
Es ist nicht so, daß der durch Neugeburt in uns wohnende Heilige Geist bloßer Zuschauer des in uns wogenden Widerstreites ist, der jeweils auf unseren Ruf hin erst zur Hilfe eilt und im übrigen das Schicksal in unserer Hand beläßt. Ebenso ungerufen wie das Fleisch immer mit dem Bösen „zur Hand ist“ (Kapitel 7,21), übernimmt nun der Geist die Führung (Kapitel 8,14), um in uns als eine bestimmende Macht diese Leitung und damit die Vorherrschaft in Händen zu behalten. Unser jeweiliger Aufruf zur Hilfe ist nicht die veranlassende Ursache, sondern die begleitende Folge des Eintretens des Geistes Gottes, der in allem unserer Schwachheit aufzuhelfen wirksam ist; ja wir wissen nicht einmal, „was wir beten sollen, wie es sich gebührt, sondern der Geist vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichen Seufzern; der aber die Herzen erforschet, weiß, was des Geistes Sinn ist, denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt“ (Vers 26.27). Gerade das ist es, was der Apostel in Römer 8 dartun will, daß nicht wir es sind, die den Heiligen Geist in der Hand haben, sondern umgekehrt dieser uns in der Hand hat und unsere ewigen Belange machtvoll wahrnimmt. Für unser Erkennen bleibt allerdings unverständlich die dogmatische Erwägung der menschlichen Mitwirkung, die uns in der Rolle der dramatischen, d.h. handelnden Person beläßt insofern, als jede Betrübung des Heiligen Geistes denselben zwingt, uns vorübergehend erkennen zu lassen, wohin wir ohne ihn kommen. Der Apostel sieht hier, wo es sich darum handelt, die Dinge von der göttlichen Seite aus darzulegen, von den menschlichen Zwischenvermittlungen des Erfahrungslebens ab und spricht es unter dem Bilde eines „Gesetzes des Geistes des Lebens“ bestimmt aus, daß es sich dabei gegenüber dem Fleisch um eine Wirkungskraft handelt, die als ein göttlicher Gegenzug dem Fleische mit Erfolg zu begegnen vermag.
Der Heilige Geist ist in dem Haushalt des Heils die höchste Offenbarung Gottes, auf die es eine weitere nicht gibt, und die Geistesherrschaft ist daher auch als das letzte Ziel Gottes mit den Menschen in der Schrift aufgewiesen. Durch ihn vollzieht sich die innigste Vermählung Gottes mit dem Menschen. Das Werk Christi hat, wie wir aus seinen eigenen Darlegungen in den letzten Reden zu seinen Jüngern entnehmen, zu seinem höchsten Zweck die Sendung des Geistes als dem Sachwalter der Seinen in allen deren ewigen Belangen. Für diesen letzten Zweck ist die Sündenvergebung nur die Voraussetzung und der Durchgang. nicht darum handelt es sich, daß wir einmal „in den Himmel kommen“, sondern daß wir schon hier Gottesmenschen werden, die der Heilige Geist in der Hand hat und über die er das volle Verfügungsrecht erlangt. Die Errettung des Menschen ist kein Vertrag oder Pakt, der seine Durchführung auf künftig verlegt, sondern ein Entwicklungsvorgang, der hier beginnt und seine Abfolge in einer Hoffnung findet, der in einer Neuschöpfung begründet ist, die im Leibesleben vor sich geht. Und die erhabenen Worte, die wir im vorliegenden Vers 2 vor uns haben, sind dazu angetan, Mut zu machen für eine Aufgabe, die unsere Sehnsucht befriedigt und zu ihrer Durchführung alle Hilfe bereit findet. -
Als die besondere Aufgabe des Geistes des Lebens wird hier die „Befreiung“ vom Gesetz der Sünde und des Todes bezeichnet. Es ist damit nicht Natur wider Natur gestellt, sondern es wird dieselbe überwindende Kraft dem Heiligen Geiste zugeschrieben, was so weit geht, daß im weiteren Verlauf (Vers 11 und 23) demselben auch die leibliche Auferweckung übertragen ist. Das überzeitliche Leben im Heiligen Geist gewinnt im Wiedergeborenen geschöpfliche Wirklichkeit; es wird zu einem Leben der Ewigkeit; es wird - wie schon gesagt worden - dies Lebensgesetz auf die Erde translokiert, d.h. örtlich versetzt, und damit das gegenwärtige Leben im Leibe zu einem Ausschnitt der Ewigkeit gemacht. Denn was ist es anders, was sich in der Ueberwindung des Fleisches, das neben ihm bestehen bleibt (Römer 6,6; Epheser 4,23; Kolosser 2,9), angesichts der Engelwelten vollzieht! So tief ist der Mensch gefallen, daß kein neues Leben sich entfalten kann, ohne daß ein anderes zerstört wird, - wie es schon ein physikalisches Gesetz ist, daß kein Körper da ist, wo ein anderer besteht. Der Heilige Geist ist es, der die Fleischesregungen ans Licht zieht, deren Leugnung nur Selbstbetrug ist (1. Johannes 1,8), wie auch Gott für Gotteskinder gegenüber allem Unheiligen ein verzehrendes Feuer bleibt (Hebräer 12,29). -
Damit kommen wir zu einem letzten Punkt, der im vorliegenden Verse unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wenn auch die Wirkungsweise des Heiligen Geistes als ein „Gesetz des Geistes des Lebens“, d.h. als eine neue bestimmende Lebensordnung in dem Wiedergebornen sich geltend macht, so wehrt der Apostel doch die Vorstellung bestimmt ab, als ob diese Wirksamkeit zauberhaft vor sich gehe und als ein Verhängnis über uns komme. Er tut dies mit den Worten: „das in Christus Jesus ist“ (wörtlich: in Christus Jesus). Darin besteht der Rat Gottes, daß „in Christus“ alle Fülle wohnen und in ihm alles bereitgestellt sein wollte, was die ihm Anvertrauten bedürfen, um den ihnen aufgenötigten Kampf mit Ehren zu bestehen. Aller Ruhm soll allein Christus zufallen. Auf allen Blättern der neutestamentlichen Schrift wird der Apostel nicht müde, zu erklären, daß Christus von Gott her uns dazu gemacht ist, die Heiligung zu vollenden. Wir können damit zufrieden sein.
Das „Gesetz des Geistes des Lebens“, womit in der stärksten Form die Allmacht der Gnade ausgedrückt ist, befindet sich außer uns „in Christus“, damit sie auf dem Wege des Glaubens, der die Verbindung mit ihm herstellt, in Wirksamkeit trete. Auch schon psychologisch ist dies anders nicht denkbar, da es sich um Vermittlung menschlicher Vorgänge handelt, die eigentlich nicht rein mechanisch unter Aufhebung eigener Mitwirkung und Verantwortung vor sich gehen können. Der Glaube ist dabei derart, das er gegenüber der bleibenden Versuchlichkeit zur Sünde die Lebensgemeinschaft mit Christus fort und fort neu zu begründen und aufrecht zu erhalten hat. Er kann auch niemals etwas Vollendetes in uns selbst vorfinden, weil er seinem Wesen nach den Menschen von sich abweist und ihn mit allen seinen ewigen Belangen auf Christus stellt. Diese Aufgabe kann dem Glauben nie erlassen werden, wenn auch der Wiedergeborene in seinem Erfahrungsleben versucht bleiben mag, sich nach anderen Quellen umzusehen, als sie ihm in Christus dargeboten sind. „Die allmächtige Kraft des Geistes verbirgt sich in solch inniger Verbindung mit unserer Armut, mit unserer Persönlichkeit und ihrem beständigen Schwachheitsgefühl, daß es vieler Ausdauer im Glauben und im Gehorsam bedarf, bis wir es fassen können, daß der Heilige Geist wirklich unser ganzes Leben in seine Hand genommen hat“ (Murray).
Das Erhebende besteht darin, daß der Glaube für seine Aufgabe in Christus ein Vermögen zur Hand hat, das für sie ausreichend ist, was den Apostel Vers 37 zu der kühnen Erklärung begeistert: „Aber in dem allen überwinden wir weit um deswillen, weil er uns geliebet hat.“ Zur Aufmunterung ist Römer 8,2 geschrieben, und Johannes spricht es geradezu aus: „Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Johannes 5,4.) Der Glaube begründet ein Siegesleben, das ebensowohl einen fortwährenden Kampf nicht ausschließt, wie derselbe als Sieger geführt wird, weil in Christus die Tatsache des Sieges als eine vollendete, in sich abgeschlossene Wirklichkeit dasteht und der Glaube es ist, der in diese Wirklichkeit hineinstellt und dieselbe weiterführt. „Der Kampf ist zu unseren Gunsten entschieden, weil wir durch den Glauben in Christus stehen“ (Schlatter). In der Grundsprache ist der Glaube als das Medium (Mittel, Vermittlung) des Sieges darum auch stark hervorgehoben: „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube!“ (Weizsäcker). 1. Johannes 5,4. Es ist hier die Aoristform (nikésasa) gebraucht und damit gesagt, daß eine bereits geschehene Handlung fortzusetzen und zu Ende zu führen ist, - eben die Aufgabe, die dem Glauben zufällt. Johannes sagt also hier dasselbe, was Paulus in unserer Stelle Römer 8,2 zum Ausdruck bringen will, und wenn er dabei erklärt: „Seine Gebote sind nicht schwer“, so haben wir wieder bestätigt die Einheit der Schrift, die von einem und demselben Geist eingegeben ist. Die Erfüllung des Willens Gottes entspricht nicht nur einem Naturzug des uns mitgeteilten neuen Lebens, sondern ist auch die artgemäße Frucht des Geistes, welcher der Träger dieses Lebens ist.
Die Stelle Römer 8,2 wird damit aber auch zu stärksten Verpflichtung, dem Heiligen Geiste sich ganz auszuliefern und ihm das volle Verfügungsrecht einzuräumen. Man redet von einer Passion des Heilandes; es gibt auch eine solche des Heiligen Geistes. Mußte Jesus, der umhergegangen und wohlgetan hat, die Widersetzlichkeit der Menschen wider sich erdulden, so ist dem Heiligen Geiste Gottes ein gleiches Los gefallen. Und wie oft wird er betrübt (Epheser 4,30: lypéo = in Traurigkeit versetzen, kränken, zum Seufzen bringen) von denen, deren Siegel er ist auf den Tag der Erlösung. O, ein zartes Merken auf sein Unterweisen und Mahnen und ein williges Gehorchen seiner Stimme würde dazu führen, seine Wirkungskraft ungehemmt zu erfahren!