Schlatter, Adolf - Der Hebräerbrief - Kap. 3, 7-4, 13 - Die christliche Gemeinde und Israel zu Moses Zeit.
Auch das Verhalten und Geschick des Volkes, unter dem Mose stand, wirft auf die Lage der neutestamentlichen Gemeinde helles Licht. Unsere Stellung ist in gewisser Hinsicht derjenigen Israels gleich. Es droht uns dieselbe Gefahr, und dieselbe Versuchung muss überwunden sein. Der Brief benützt zu dieser Vergleichung den Schluss des 95. 97. Psalms, weil derselbe die Ereignisse in der Wüste den späteren Geschlechtern bereits als warnendes Bild vorgehalten hat. Schon die Schrift macht somit auf die bleibende Bedeutung jener Geschichte ausdrücklich aufmerksam.
Israel hatte damals die göttliche Bezeugung und Hilfe erlebt und erfahren. Das Joch Ägyptens war zerbrochen, die Ausführung geschehen und die Gemeinde Gottes geschaffen. Aber die Hilfe war noch nicht vollständig und die Gabe Gottes noch nicht ganz erlangt. Denn das Land war noch nicht erreicht, welches dem Volke zur Heimat werden sollte. So hatten sie die eine Gabe empfangen, die andere noch nicht, die eine Hilfe erlebt und eine andere noch vor sich. Gerade diese Zwischenstellung, in der sich Israel damals befand, macht es zum Spiegel und Bild der Christenheit.
Auch wir haben Gottes Hilfe und Gabe erlebt und zugleich noch solche zu erwarten. Wir sind Christi teilhaft geworden, V. 14. Das ist das große Gut, das uns gegeben ist. Christus ist gekommen, und er, nicht etwas Dingliches und Sachliches, nein, er selbst, der Verkehr mit ihm, bei ihm zu sein und wie er zu sein und zu empfangen, was er hat und gibt, das ist Gottes Gabe für uns. Wir haben dieselbe empfangen und kennen ihn. Wir haben uns zu ihm gestellt und ihn als Grund und halt unsers Lebens gefunden und ergriffen. Aber diese unsere Stellung bei ihm ist erst ein Anfang, noch nicht das Ende, V. 14. Unser Anteil an ihm ist noch kein Sehen und Erleben, Genießen und Besitzen. Er ist noch der Unsichtbare und Verborgene, und damit ist auch unser Mitgenuss und Mitbesitz an seinem Leben erst noch ein künftiger. So stehen auch wir zwischen zwei göttlichen Gnadentaten, von denen die eine geschehen, die andere noch künftig ist, zwischen zwei Offenbarungen Gottes, von denen die eine hinter uns, die andere vor uns liegt.
Eine solche Lage hat ihre besondere Gefahr, wie sie uns an Israel in der Wüste sichtbar wird. Die empfangene Gnade bleibt nämlich nur dann unser Eigentum, wenn wir den in ihr liegenden Anfang festhalten, V. 14. Die Aufgabe, die uns damit gestellt ist, heißt mit einem Worte: Glaube. Auf die empfangene Gabe gegründet die künftige erwarten, das ist die Glaubensstellung. Was wir empfangen haben, ermöglicht uns den Glauben; was noch künftig ist, fordert ihn. Dass wir Gnade und Gabe empfangen haben, macht, dass unser gegenwärtiges Leben nicht Dunkelheit, Ungewissheit, Angst und Klage, sondern schon Glaube ist. Dass wir die Gnade und Gabe erst künftig empfangen, macht, dass unsere Gegenwart noch kein Sehen und Haben, sondern erst Glaube ist. Wo aber Glaube gefordert ist, da tut sich die Gefahr des Unglaubens auf. In meisterhaftem Fortschritt leiten uns die Mahnungen des Briefs voran: achte auf Jesu Wort! 2, 1; sich auf ihn! 3, 1; halte die Freudigkeit fest! 3, 6; sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 3, 7 ff. Damit ist uns der Weg zum Glauben dargelegt. Apostolische Lehre sagt uns nicht bloß: ihr müsst glauben, sondern zeigt uns, wie wir gläubig werden. Höre Jesu Wort, sieh dir seine Erscheinung an, lass dir die Freude und Hoffnung ins Herz dringen, die dir aus ihr entgegenstrahlt. Nun bist du zum Glauben ausgerüstet. Nun greife zu.
Wie verhielt sich Israel? Sie hatten die Werke Gottes voll von seiner Güte und Hilfe vor Augen, und doch versuchten sie ihn immer wieder. Versuchung Gottes ist des Glaubens Gegenteil. Sie ist Übermut und will Gott seine Gaben abtrotzen. Der Glaube wartet auf Gottes Hilfe. Sie beschuldigt Gott und hat ihn im Verdacht, dass er nicht helfe, dass ihm Macht und Wille fehlen, uns darzureichen, was wir bedürfen. Der Glaube ist der Güte Gottes gewiss. Israel machte hierzu sein Herz hart. Die Werke Gottes redeten eine gewaltige Sprache vor ihnen und die Zeugnisse seiner Hilfe drangen auf sie ein. sie wachten über ihren Herzen, dass sie nicht in der Furcht Gottes erbeben und im Vertrauen zu ihm sich erweichen, und brachten es so fertig, ihm dennoch trotzig und hartnäckig zu widerstehen. Sie irrten in ihren Herzen von ihm ab und erkannten seine Wege nicht. So war die Antwort Gottes auf ihren Kampf gegen ihn Zorn, und er schloss ihnen seine Ruhe zu, V. 7-11.
Das ist der Spiegel für die unzufriedene murrende Christenheit, die an der Erscheinung Jesu kein Genüge hat, die sich hin und her besinnt, ob es nicht besser wäre, ihn zu verlassen und zu verleugnen, die sich wohl zu ihm bekannt hat, aber nicht bei ihrer Zusage bleibt, die wohl hofft, aber ohne Ruhm Gottes und ohne Freudigkeit.
Solcher Stimmung erscheint der Glaube als eine harte Pflicht und schwere, unnötige Last. Sie wollen nicht nur glauben, nein! Aber sehen, erleben und empfangen. Nach ihrer Meinung wäre das die rechte Folge der Erscheinung Jesu, dass sie, statt wieder auf Glauben verwiesen zu werden, nun vielmehr des Glaubens enthoben würden und den Anbruch des göttlichen Reichs in Herrlichkeit sähen. Seht nur rückwärts, ruft ihnen der Brief zu. Dort seht ihr, was Unglaube ist und vermag. Dort ist euch euer Bild abgemalt, wenn ihr des Glaubens überdrüssig seid. Damit seid ihr allerdings Israeliten, doch nicht Israeliten ohne Falsch, sondern von derjenigen Art, wie sie in der Wüste unterging.
Was ist Unglaube? Wegstehen vom lebendigen Gott, V. 12. Wenn das Zeugnis Gottes mich erfasst und seine Hilfe und Gabe in mein Leben tritt, und mein Herz und Wille scheut von ihm weg und beugt sich auf mich selbst zurück und strebt aus Gottes Nähe fort, das ist die Bewegung und Tat des Unglaubens. Er ist die Flucht von Gott weg, der Versuch, ihn auszustreichen aus unserm Leben, der Protest gegen ihn: geh! dich will ich nicht.
Was macht den Menschen ungläubig? Ein böses Herz, wie es der Psalm von Israel sagt. Es sind nicht die guten Regungen in uns, sondern die bösen, welche von Gott wegstreben. Darüber können wir uns leicht klar werden und darin liegt für jeden der Beweis des Glaubens und die Widerlegung des Unglaubens. Was gut in uns ist, das findet im Hinzutritt zu Gott Stärkung, Reinigung und Vollendung; was böse ist, das findet im Unglauben seine Rechnung. Das entscheidet die Wahl. Ob uns Gott lieb oder leid ist, ob wir ihn suchen oder fliehen, hängt von der andern Frage ab, ob uns das Gute oder das Böse lieb ist, ob wir uns des Guten oder Bösen in uns entledigen möchten. Hier allein liegen die Wurzeln des wahrhaftigen Glaubens und hier entsteht auch der Unglaube.
Wegtreten vom lebendigen Gott darin liegt die Torheit des Unglaubens, dass er den Lebendigen verlässt, aber auch die Gefahr desselben, der Schaden, den sich der Mensch damit selbst antut; denn der Lebendige antwortet auf solche Antastung. Aber das alles verhüllt sich das ungläubige Herz mit großer Kunst. Es breitet eine Decke dunkler Gedanken darüber und umgibt sich mit nichtigen Spiegelungen, die ihm keinen Blick in die Wahrheit mehr offen lassen. Es erscheint ihm, als hätte es völlig Recht, als nötige es die Wahrheit und das Gewissen und die Wohlfahrt der Menschheit, und wer weiß nicht was? als gehe es auf dem edelsten Weg zum höchsten Ziel. Und doch ist es nur die Sünde, die eigene böse Begehrung, aus der all dieser Schein stammt. Sie bringt Lug und Trug in uns hervor als das Mittel, mit dem sie uns unterworfen hält. Darob wird das Herz hart. Der Lichtstrahl von oben fällt darauf und es zuckt nicht zusammen. Die Liebe Gottes spricht zu ihm, aber umsonst; es rührt sich nichts in ihm. Es starrt in sein Elend und wird nicht weich. Es schaut auf die Güter, die es wegwirft, und sie reuen es nicht. Es läuft seinem eigenen Willen nach mit aller Energie und Beharrlichkeit. Es legt Kraft in sein Sündigen hinein, aber es ist nur die trügende Kraft des Trotzes, welcher der Bruder der Verzagtheit ist.
Darum seht aufeinander und mahnt einander, fordert der Brief. Gerade diese täuschende und härtende Macht. der Sünde bewirkt, dass wir uns nicht auf uns selbst verlassen und beschränken können, sondern das sorgsame Auge und mahnende Wort der andern nötig haben. So beschränkt sich auch die Christenpflicht nicht nur auf die Wachsamkeit über das eigene Herz, sondern sie beruft uns zur Aufmerksamkeit und Dienstleistung auch gegen die andern mit jener Weisheit, welche die Liebe gibt.
Die Mahnung des Psalms gilt euch, sagt der Brief, weil das „heute“, von dem er spricht, euch zugefallen ist. Heute, wenn ihr seine Stimme höret, sagt der Psalm. Aber dieses heute ist ja da! Ihr habt Gottes Stimme gehört, ihr habt Jesu Wort empfangen, in dem Gott zu euch redete. Die Verheißung Gottes ist an euch ergangen und seine Ruhe ist euch aufgetan. Also zielt der Psalm auf euch hin, und nun bedenkt, dass dieses „heute“ nicht immer wieder kehrt und Gottes Stimme nicht fort und fort zu euch dringt. Wenn ihr sie nicht hören wollt, so verstummt sie. Wollt ihr Gottes Wort nicht nützen, so geht es euch verloren und das heilsame „heute“ ist dahin.
Was der Unglaube uns einträgt, sehen wir an den Vätern, V. 15-19. Alle, die aus Ägypten ausgezogen waren; gingen dennoch an Gottes Zorn in der Wüste unter. Gottes Eifer war stark genug, sie alle wieder zu verderben, die er doch durch seine Hilfe so hoch erhoben hatte. Die Erlösung, die sie empfangen hatten, entrann wieder aus ihrer Hand. Ihre Sünde raubte sie ihnen wieder, ihr Widerstreben gegen Gott, ihr Unglaube. So schützt auch uns keine Gabe, die wir empfangen haben mögen, vor dem Fall. Wir können alles wieder vereiteln durch unsern Unglauben.
Warum ist die Gefahr für uns und für Israel dieselbe? Das Ziel, das wir erreichen sollen, ist dasselbe; darum ist es auch der Weg. Das Ziel ist für uns wie für Israel der Eingang in die Ruhe Gottes, und der Weg ist für uns wie für Israel der Glaube, der das Wort Gottes bewahrt. Dieselbe Verheißung Gottes steht über der alt und neutestamentlichen Zeit. Dadurch macht der neue Abschnitt, 4, 1-10, die Vergleichung zwischen den beider Gemeinden vollständig, indem er sie auch auf die Verheißung Gottes ausdehnt.
Es ist Verheißung übrig geblieben, V. 1, darum nämlich, weil die Gabe Gottes, die in unsere Hand gelegt ist, noch nicht alles Gute ausmacht, das wir empfangen sollen. Weder hat Israel den ganzen Inhalt der Gabe Gottes erlangt, noch hat uns Jesu irdische Erscheinung schon alles gebracht, was uns Gott zugedacht hat. Wir haben noch ein großes Gut vor uns, welches noch nicht unser Eigentum geworden ist, sondern noch der Zukunft angehört und uns als Ziel vorgehalten ist.
Weil wir aber noch nicht am Ziele stehen, sondern noch einen Weg dorthin zurückzulegen haben, so können wir inzwischen dahinten bleiben. Darum entspringt aus der Verheißung nicht bloß die Hoffnung, sondern auch die Furcht. Beides ist die gleich nötige und gleich richtige Folge davon, dass wir die Verheißung Gottes uns zu Herzen nehmen und sie als wahr und giltig für uns gelten lassen. So wissen wir, dass wir begabt sind und doch noch nicht begabt, dass wir Empfänger sind, aber noch nicht Besitzer, und sind damit zugleich in die Hoffnung und in die Furcht gestellt.
Auch hier arbeitet unser Brief darauf hin, uns zur Furcht zu erwecken. Wie er uns die Herrlichkeit Jesu zeigte, damit wir uns fürchten, 2, 1-3, so spricht er von der Ruhe Gottes, die uns verheißen ist, damit wir uns fürchten. Wie es eine leere spielende Träumerei wäre, wenn wir uns Christi himmlische Hoheit und Herrlichkeit vor die Seele stellten, ohne dass wir bedächten, wie wir wohl entrinnen wollen, wenn wir solche Hilfe versäumen, so wäre es nicht minder bloße Tändelei und schwächende Wollust des Geistes, wenn wir uns an der Ruhe Gottes ergötzten und ihre Seligkeit uns vorhielten, ohne zu bedenken, dass wir dahinten bleiben können. Es ist wahrlich nicht die Schuld der Heiligen Schrift, wenn wir ihre weissagenden Worte nur als Spielzeug gebrauchen und an ihnen kindisch werden. Sie hat deutlich genug gesagt, dass je höher sich das Ziel vor unsern Augen hebt, umso größer auch unsere Furcht und unser Ernst werden muss.
Wir wollen uns fürchten, V. 1, das ist ein männliches Wort. Die Furcht legt sich allerdings als ein Druck auf die Seele, als eine Last, die nicht süß ist, sondern schwer. Aber gleichwie wir durch das Evangelium sprechen lernen: ich will leiden, im Blick auf das, was daraus erwächst, also lernen wir auch sprechen: ich will mich fürchten, um deswillen was uns die Furcht gewährt. Wir haben uns nicht künstlich in die Furcht hineinzuwirken. Unsere Künstelei gibt eitel Lügen, ob wir uns Hoffnung oder Furcht einbilden. Machen wir es selbst, so ists nur Sünde. Aber wenn uns am Wort der Schrift im Aufblick zu Gott Furcht in die Seele fällt, dann wollen wir uns ihrer nicht weigern, und sie nicht als Belastung und Verdüsterung des Lebens verscheuchen, sondern sie mit unserm Brief für Gewinn achten, für eine Gabe Gottes, für die wir dankbar sind. Denn Furcht ist eine Kraftquelle; sie erzeugt Wollen und Handeln. Sie stellt sich unter unser Streben und Trachten als Grund und Stütze, die es kräftig hebt und in Bewegung bringt. Lernen wir uns fürchten, dann laufen wir nach dem uns vorgesteckten Ziel.
Verteilen wir Furcht und Glaube doch nicht auf zwei geschiedene Zeiträume unsers Inneren Lebens, als müsste eine Zeit lang ein innerer Kampf durchstritten sein, in dem uns nichts als Furcht umgibt, und dann ein Friede und eine Freude errungen werden, darin keine Furcht mehr ist. So reißen wir auseinander, was vereint unsere Kraft ausmacht, und machen beides, unsere Furcht wie unsern Glauben frank. Die Schrift weiß von solchen Perioden nichts. Unsere Stelle ruft denen zu: fürchtet euch! zu denen sie sofort spricht: wir, die wir glauben, gehen in die Ruhe Gottes ein.
Aber wir haben ja das Evangelium empfangen! Wo bleibt Gottes Freudenbotschaft, die uns sein Reich zusagt und öffnet, und uns Christum verkündigt als den Bahnbrecher unserer Seligkeit? Soll ich mich dennoch fürchten, dass ich nicht dahinten bleibe? Oh! gerade darum, weil du das Evangelium empfangen hast, darum fürchte dich. Das Evangelium ist freilich nicht nur eine bloße Verheißung. Es vertröstet uns nicht bloß auf die Zukunft, sondern bringt uns Gottes Gnade und Güte entgegen, dass wir sie ergreifen. Allein jene haben auch Evangelium erhalten wie wir, V. 2, jene, die aus Ägypten errettet wurden, und doch in der Wüste verdarben. Ihnen ward keineswegs gesagt: später werdet ihr vielleicht die Gabe Gottes empfangen und hernach wird sich Gottes Gnade offenbaren. Nein! das göttliche Wort trug ihnen alle Gaben Gottes an und sagte ihnen die ganze Güte Gottes zu. Ihr, lautete sein Wort, seid mein auserwähltes Volk, ihr mein Erbe und Eigentum, ihr mein priesterliches Königreich; euer Gott bin ich, euch führe ich zu meiner Ruh! Das war Evangelium. Aber es half ihnen nichts, weil es nicht verbunden ward mit denen, die es hörten. Ja, der Brief drückt sich noch stärker aus: weil es nicht gemischt und vermengt wurde mit denen, die es hörten. Das Wort kam nicht in sie hinein. Allerdings war es in ihnen, denn sie hatten es gehört, und war doch nicht in ihnen selbst, nicht geeinigt und verschmolzen mit ihrer Person. Es blieb eine Scheidung zwischen ihnen und dem Wort. Hier stand das Wort, dort der Mensch, und beide kamen nicht zusammen und wurden nicht eins. Darum erstarb des Wortes heilsame Macht.
Begreifen wir nun, warum der Brief darauf als auf seinen ersten Satz gegründet ist: Gott hat geredet mit uns, warum er den Blick in die königliche Herrschaft Christi, dazu benutzt hat, damit wir auf sein Wort achten lernen, warum er überhaupt in diesem ersten Teil den Beruf Christi, Gottes Botschafter an uns zu sein, in den Vordergrund stellt? Das Wort lässt sich mischen und mengen mit uns selbst; es vermag in unsere Person einzugehen und wird ein Bestandteil von uns selbst. Das kann nichts Sachliches und Dingliches, nichts Stummes. Alles stumme bleibt außerhalb unseres eigenen Selbsts. Es gibt nur eine Gabe, die uns zu durchdringen vermag und in uns selber wohnt und uns selbst neu gestalten kann: das ist das Wort. Darum brauchen wir einen redenden Gott und einen Christus, der uns sein Wort zukommen lässt, und wenn wir diese Gabe verachten, so bleiben wir ewig geschieden von ihm.
Damit zeigt sich auch, was der Glaube ist und warum alle Gabe und Hilfe Gottes am Glauben hängt. Warum blieben dort das Wort und die Hörer einander fern? Der Glaube ward dem Wort versagt. Sie hörten es und antworteten: nein! ich glaube es nicht! Das ist die Waffe, mit der der Mensch das Wort von sich abwehrt, die Mauer, mit der er sich gegen dasselbe verschließt und von ihm scheidet, so dass es sich nicht mit ihm vermischen kann. Im Glauben dagegen öffnen wir uns dem Wort und nehmen es durch unsere Zustimmung und Bejahung in uns auf. Nun ist das Wort in uns als ein Teil unsers Wesens, als unser Eigentum, als Kraft, die sich mit unserm Denken, Wollen und Handeln mischt.
Warum ruft uns somit der Brief zu: wir wollen uns fürchten? Weil nur wir, die wir glauben, in die Ruhe Gottes eingehen, V. 3; weil nicht schon das gehörte, sondern erst das geglaubte Evangelium uns hilft; weil nicht das Wort, das über und vor uns steht, uns selig macht, sondern nur das Wort, das in uns selber lebt. Wir wissen aber aus der vorangehenden Warnung, was alles in uns dem Glauben entgegensteht und denselben bedroht. Wahrlich, sehen wir uns selber an, so haben wir reichlichen Grund zu großer Furcht.
Wir verkehren in unserer Torheit unsere Furcht und unsern Glauben. Wir fürchten, das Evangelium breche, und glauben zuversichtlich, an uns fehle es nicht. Wir misstrauen Gott und trauen uns. Die Schrift weist uns den umgekehrten Weg. Das Wort Gottes ist gut, alles Vertrauens wert, ein rechter, fester Glaubensgrund. Aber ob wir zum Wort herzu wollen, ob wir es aufnehmen und bewahren, das ist die fragliche Sache und der Punkt, an den sich unsere Sorge und Furcht anheften muss.
So ist uns auch hier wieder gezeigt, wie die Furcht nicht wider den Glauben ist, sondern zum Glauben führt und treibt. Sie bezieht sich auch hier wie 2, 1-3 darauf; ob wir auch Gottes Wort durch Glauben mit uns zusammenwachsen lassen. Also wendet mich die Furcht nicht vom gnädigen, freundlichen Wort Gottes ab; ich fürchte ja meinen Unglauben! Ich wende mich also, je mehr ich mich fürchte, umso mehr zum Wort des Evangeliums. Hast du Furcht in dir, die das Wort nicht hören mag, die dir rät, es zu verlassen und zu vergessen, das ist die sündige Furcht; diese zertritt als ein Held. Hast du Furcht in dir, die dich zum Wort hintreibt und dich stößt, dass du es umklammerst und nicht fahren lässt: solche Furcht ist ein Geschenk; solche Furcht gibt Glaubenskraft.
Nun sollen wir den Inhalt jener Verheißung Gottes ins Auge fassen, und bedenken, dass dasselbe Ziel, mit dem Gott Israel lockte, auch uns geöffnet ist. Gottes Ruhe ist uns vorgehalten mit der Zusage, dass auch wir in sie eintreten dürfen. Zur Auslegung dieser Verheißung stellt der Brief mehrere Schriftstellen nebeneinander und macht die eine an der andern hell und groß. Es sind deren drei. Die erste ist das Wort am Schluss des Schöpfungswerks, 1 Mo. 2, 4, wo von Gott gesagt ist, dass er von allen seinen Werken ruhte und den Sabbat heiligte. Das zweite ist das Wort Gottes an Israel zu Moses Zeit, dass sie nicht eingehen werden in seine Ruhe. Das dritte ist das Wort des Psalms: heute wenn ihr meine Stimme hört, so verhärtet eure Herzen nicht, welches den Eingang in Gottes Ruhe denen, die heute seine Stimme hören, aufs Neue öffnet.
Warum wird auch jenes erste Wort angeführt? Es zeigt zunächst, was Ruhe Gottes heißt. Das können wir an den Schöpfungstagen sehen. Es gibt kein Ruhen, ohne dass ihm ein Wirken vorangeht. Wenn die Werke geschehen sind, dann kommt die Ruhe. Der Macht des göttlichen Wirkens entspricht die Tiefe und Vollkommenheit seiner Ruhe. Wenn er sich ans Werk macht, so häuft er nicht Gebilde auf Gebilde ohne Zweck und Ziel, und gefällt sich nicht in einem Schaffen, das endlos weiter geht. Sein Werk schreitet sicher und fehllos zur Vollendung und erreicht sie ohne Makel und Schwankung und damit bricht die Ruhe an. So verhält es sich auch mit unserer Ruhe. Sie ist ein Ruhen von unsern Werken, V. 10. Auch unser Werk verläuft nicht in endloser Anstrengung, als ein Lauf ohne Ziel, als ein Kampf ohne Siegespreis, sondern es ist auch unserm Dienst und unserer Arbeit ein Ziel der Vollendung gesteckt, so dass unser Leben auch in dieser Hinsicht nach Gottes Bild verläuft.
Damit haben wir aber die Absicht noch nicht vollständig gefasst, weshalb wir auf den Schöpfungssabbat rückwärts sehen sollen. Jenes erste Wort steht zu den beiden folgenden in einem gewissen Gegensatz. Das zweite schließt die Ruhe Gottes zu, das dritte schließt sie wieder auf und zeigt eben damit, dass auch die Ruhe, die Josua dem Volk verschaffte, noch nicht die Erfüllung jener Verheißung war. Beide reden jedoch von einem Eingang in die göttliche Ruhe, der erst in die Zukunft fällt. Das erste dagegen spricht von der Ruhe Gottes als von einer vorhandenen Gegenwart. Gott hat den Glaubenslosen den Eintritt in seine Ruhe versagt, obgleich die Werke schon geschehen sind und Gott in seiner Ruhe steht, V. 3. Damit wird uns die Gewissheit und Sicherheit nahe gelegt, mit der die Ruhe Gottes als unser Gut und Ziel vor uns stehen darf. Sie steht bereits am Anfang aller Menschengeschichte; das Schöpfungswerk schließt mit ihr, denn es endet im Wohlgefallen Gottes an allen seinen Werken, weil sie sehr gut sind. Zu dieser Ruhe leitet Gottes Weltregierung und Welterlösung auch uns hinzu. Der Lauf der Welt zergeht nicht in zielloser Unruh und Arbeit; nein! die Schöpfungsruhe bricht durch und breitet sich auch über die Kreatur aus und bildet auch für uns das Ende unserer Wege und hebt uns über unser jetziges Wirken und Arbeiten empor, sie nimmt das Joch von unserm Nacken und die Last von unsern Schultern und bringt auch uns die Stunde, da wir sprechen dürfen: es ist vollbracht. Was uns dort in Gott gezeigt wird, das ist nicht nur das Vorbild, sondern der Grund und die Bürgschaft dessen, was uns vorbehalten ist.
Darauf zielt das Schriftwort überall hin, dass wir unsere Hoffnung mit Gott verknüpfen. Was Gott hat, macht uns reich. An Gottes Gerechtigkeit werden wir gerecht, an Gottes Heiligkeit heilig. Gottes Herrlichkeit verherrlicht uns; Gottes Friede stellt uns in den Frieden, Gottes Ruhe bringt uns zur Ruh.
Es bleibt also eine Sabbatsfeier übrig für das Volk Gottes, V. 9. An jenes Ruhen Gottes schloss das Gesetz zunächst den Sabbat an. Es machte damit das Leben Israels mit seinem Wechsel zwischen den Werktagen und dem Sabbat zu einem Abbild des göttlichen Lebens. Aber dieser Sabbat blieb doch nur Verheißung eines künftigen Guts. Er unterbrach die Anstrengung des menschlichen Wirkens nur für eine kurze Frist und er war eine gebotene Ruhe. Ruhe, die man gebieten muss, ist aber noch nicht wahre Ruh. Unser Tagewerk ist eben noch nicht vollbracht und unser Ziel noch nicht erreicht. Es steht aber ein Sabbat vor uns, der uns dann wahrhaft an Gottes Ruhe Anteil geben wird.
So sind in dieser Stelle drei Bilder miteinander verbunden, die uns alle drei das Verheißungsziel beleuchten und darstellen: Israel, das von seiner Wanderung in der Wüste in Kanaan zur Ruhe kommt; Israel, das von seiner Arbeit am Sabbat ruht; Gott, der die Schöpfungstage mit dem himmlischen Sabbat schließt. Das alles zeigt uns, wozu wir mit dem Wort berufen sind: heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.
Damit sind das Verlangen nach Ruhe, und die Lust und Willigkeit zur Arbeit und zum Werk im Christenleben vereinigt. Wir sind nicht so zur Ruhe berufen, dass dieser Ruf uns am Wirken hinderte. Da wir die Sabbatfeier erst vor uns haben, so ist unsere Gegenwart die Werktagswoche und es gilt, sie wirklich zum Wirken zu nützen, damit uns der Ruhetag anbreche, und mit Eifer und Gehorsam die Wanderung zu vollbringen, die uns zum Ort der Ruhe führt. Aber wir werden auch nicht so in den Kampf, die Arbeit, die Furcht und den Fleiß der Anstrengung hinein gestellt, dass wir der Ruhe vergessen müssten, sondern wir wissen, dass all dies nichts anderes als unser Weg zur Ruhe Gottes ist.
Je sehnlicher wir uns nach der Verheißung strecken und je höher ihr Glück und Gut in unsern Augen steigt, umso wichtiger wird für uns das Wort. Denn das Verheißene haben wir noch nicht; wohl aber haben wir das Wort, das uns den Weg dorthin zeigt, und an der Weise, wie wir das Wort behandeln, entscheidet sich, was aus uns wird, ob wir das verheißene Gut erlangen oder nicht. Darum schließt dieser mahnende Abschnitt mit einer zusammenfassenden Beschreibung des göttlichen Worts nach seiner Majestät, V. 12-13. Die Nichtigkeit unseres Menschenworts verleitet uns auch Gottes Wort für nichtig zu achten.
Aber Gottes Wort lebt. Wie kann aber das Wort lebendig sein? Oben wurden wir daran erinnert, wie das Wort in den Hörer eingehen und ein Bestandteil seines eignen Wesens und Lebens werden kann. Dies kann es darum, weil es aus dem inwendigen Leben des Redenden hervorgeht und seinen Sinn und Willen in sich hat. Als das Wort eines Lebendigen hat es selbst am Leben teil. Das gilt in seinem Maß schon vom Menschenwort und in allerhöchster Wahrheit von Gottes Wort. Gott scheidet sich nicht von seinem Wort. Er verleugnet es nicht, als wäre es ihm fremd. Sein bleibt es, auch wenn es zu uns kommt in unser Ohr, in unser Herz, in unsern Mund, in unser Buch. Er kennt es wohl als sein eignes Wort, als seines eignen Lebens Äußerung. Darum ist es nimmermehr ein toter Stoff, der unempfindlich wäre für das, was ihm geschieht; denn es ist ein Band mit dem lebendigen Gott.
Sein Gebrauch setzt in Berührung mit Gott; sein Missbrauch tastet Gott an. Deshalb ist es wirksam. Gottes Sprechen und Gottes Wirken, Gottes Gedanken und Gottes Tat bleiben in ungestörter vollkommener Einigkeit. Wo sein Wort ist, da ist seine Kraft, und seines Wortes Inhalt ist auch seines Werkes Inhalt. Wir brauchen deshalb keine andre Kraftquelle noch ein andres Heilmittel als Gottes Wort. Haben wir sein Wort, so ist die Kraft nicht fern, die ihm zur Wirklichkeit verhilft. Das Wort bringt sie selbst mit sich. In der Zeit mag sich wohl beides scheiden, so dass Gottes Reden und Wirken auseinander tritt und das Wort zur Verheißung wird, welche die Tat noch nicht neben sich hat. Aber im Wesen scheidet es sich nicht, und vor Gott fällt es nicht auseinander. Es bleibt dabei, dass Gott spricht und es geschieht.
Darum hat das Wort auch an der Heiligkeit und richterlichen Majestät Gottes teil. Es steht im selben unversöhnlichen Streit und Gegensatz gegen alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit wie Gott selbst, und der Eifer Gottes für die Wahrheit und Gerechtigkeit brennt in ihm. Vor dem Schwert, dem Werkzeug des menschlichen Richters, fürchten wir uns, vor dem Worte Gottes nicht. So blind und töricht sind wir. Das Wort schneidet schärfer als jedes Schwert. Fährt der Schwertstoß mit Gewalt in den Menschen, so scheiden sich Seele und Geist, und der Lebenshauch, der ihn zur lebendigen Seele macht, geht von dannen, und die Gelenke und Bänder des Leibes zerreißen und die Knochen zersplittern und das Mark zerrinnt. Nun, solch tötende Macht hat auch das Wort. Wir reden uns freilich von der Sünde betrogen ein, der Zwiespalt und Widerspruch gegen das Wort sei ungefährlich; aber solcher Zwiespalt löscht den Lebenshauch in uns aus und macht unsern Leib zerfallen. So haben sie‘s in der Wüste erfahren. Warum gingen jene unter? Weil ihnen das Wort Gottes entgegenstand, dem sie sich widersetzten. Das brachte ihnen den Untergang, sicherer als des erbittertsten Feindes Schwert. Das Wort wäre nicht Lebensmacht dem, der es in Glaube und Gehorsam in sich trägt, wenn es nicht zugleich eine richtende Macht wäre, das Todesurteil für den, der es von sich wirft. Was nicht schaden kann, kann auch nicht nützen; was aber Kraft und Leben in sich hat, daran kann man sich auch verderben, wenn man es wider sich selbst kehrt. Darum ist das Wort Balsam und Schwert zugleich, seligmachende und verderbende Macht.
Diese richterliche Wirkung des Worts reicht ins allerinnerste hinein, wohin das Schwert nicht dringt. Es gibt kein Gebiet unsers Lebens, das wir ihm entziehen könnten. Es greift auch in unsere leisesten zartesten Regungen, in unsere Gedanken und Absichten, ein und wirst sein Licht auf sie und scheidet sie nach ihrem Inneren Wert und zieht sie zur Rechenschaft, und lässt sie keineswegs als unschuldig dahin gehen, sondern stellt auch sie, obgleich sie noch nicht ans Licht getreten und fertige Tat geworden sind, unter Gottes Urteil und Spruch; es verfolgt das Böse auch hier mit der unerbittlichen Schärfe des göttlichen Rechts und schneidet es ab und treibt es aus und wehrt ihm das Dasein in uns. Hier in diesem innerlichen Kampf des Worts mit dem, was sich still und verborgen in uns regt und bewegt, vollziehen sich die gewichtigen Entscheidungen und die Wahl, die zum Glauben oder zum Unglauben führt. Hier in dieser heimlichen Werkstatt des Lebens holen wir uns am Wort das Leben oder den Tod, je nachdem wir uns gegen dasselbe kehren und mit ihm streiten, oder uns mit ihm einigen und von ihm durchdringen lassen.
Und dieses Wort sieht alles, V. 13. Damit ist nahezu an die Stelle des göttlichen Worts der Gedanke an Gott selbst getreten. Ihm ist alle Kreatur durchsichtig, eben weil sie Kreatur ist. Wer die Dinge macht, der kennt sie auch. Und dieser durch allen Schein und jede Hülle hindurchblickende Gott spricht mit uns, und aus seinem hellen Blick heraus ist sein Wort zu uns geredet. Daher hat es seine richtende Macht, die auch unsere Gedanken vor ihren Richterstuhl zu berufen vermag. Mit diesem lebendigen und wissenden Worte haben wir es zu tun. Ein solches Wort hat uns Jesus gebracht. Das haben wir in uns zu bewahren und darauf zu achten, als auf unsere Hilfe und unser Gut in dieser Zeit. Darin liegt ein mächtiger Antrieb zur Furcht, aber auch ein fester Glaubensgrund. Wie sollten wir Jesus, den Boten Gottes an uns, lassen können, wenn wir erwägen, was es heißt: Gottes Wort?