Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 3, 1-5. Woher die Gemeinde den Geist Gottes hat.

Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 3, 1-5. Woher die Gemeinde den Geist Gottes hat.

Wenn die Gemeinden erwägen, was Paulus ihnen bisher gesagt hat, so hat sein Wort für sie wieder sein ganzes Gewicht erhalten. Er redet wieder als Christi Bote zu ihnen, mit einer Vollmacht, die ihn unter keinen andern Menschen stellt. Er hat aber die Gemeinden nicht bloß auf seine Autorität verwiesen; das hieße Gesetz mit Gesetz austreiben. Er will sie ja in der Freiheit erhalten, und hierzu bedürfen sie den eigenen Einblick in Gottes Rat. Es muss hell werden in ihrem Herzen, dass sie Christi Werk und des Gesetzes Werk verstehen, wie es verschieden ist und doch wieder zusammenhängt, welches Amt jedem von ihnen zusteht in Gottes Haushaltung. Paulus verlangt nicht bloß, dass die Gemeinden sich nicht mehr unter das Gesetz begeben, schilt sie nicht bloß wegen ihrer gesetzlichen Neigungen; er hätte ihnen damit nicht geholfen. Sie bedürfen Licht, Lehre, Unterweisung, und diese gibt er ihnen nun in apostolischer Fülle. Sie sollen selbst mit heller Gewissheit Christo im Glauben anhangen, und dazu müssen sie sehen und begreifen, was uns in ihm von Gott gegeben ist.

Er bespricht Gottes großen Gang in der Regierung der Weltgeschichte und zeigt uns dadurch zugleich, wie auch unsre eigene Lebensgeschichte verläuft. Wir müssen den Blick bei seinen Worten stets nach beiden Seiten hin wenden, hinauf auf die großen Taten Gottes, welche den Weg der Menschheit bestimmen, und hinein in unser eignes Herz zu der Weise, wie Gott es leitet und ihm nahe ist. Beides fasst Paulus in einen Blick; denn dieselbe Regel Gottes regiert hier und dort. In derselben Weise, wie das Gesetz und Christus in der großen Geschichte aufeinander folgen und miteinander in Beziehung stehen, stehen sie auch im Menschenherzen nebeneinander und dienen dem gnädigen Willen Gottes an uns.

O ihr unverständigen Galater! Paulus hat gesagt, was ihn zu Christus zieht, wie Jesu Tod und Auferstehung auch uns umfasst und in die Gerechtigkeit und Gnade stellt. Ihm steht die Gnadengabe Gottes so hell vor dem Blick und die Heilandstat Jesu spricht so dringend und kräftig in sein Herz, dass er verwundert ausruft: wo sind denn eure Augen und Gedanken? merkt ihr denn nichts? Seid ihr denn so stumpf, so unaufmerksam, so unfähig wahrzunehmen, was in Jesus für euch erschienen ist? Jesus kennen und nicht merken, dass er uns zum Glauben beruft, dass die Gnade Gottes uns in ihm gegeben ist, die man nicht verwerfen darf, das ist nicht Klugheit, sondern Unverstand.

Es liegt etwas Unbegreifliches darin, wenn ein Mensch Glaube empfangen hat und ihn wieder fallen lässt. In Christo liegt kein Grund, dass wir uns von ihm abwenden. Das drückt Paulus scharf mit seiner Frage aus: wer hat euch bezaubert? Er denkt an den „bösen Blick“, von dem man auch damals schon mancherlei erzählte, dass nämlich Leute auch ohne äußere Mittel nicht mit Gewalt oder Gift, sondern bloß durch ihren giftigen Blick plötzlich und unvermerkt das Leben der andern treffen könnten, so dass sie dahinwelken. An den Gemeinden ist solche Rede wirklich wahr geworden. Über sie ist eine verderbliche Macht plötzlich und unvermerkt gekommen und hat ihr Herz getroffen, dass es krank und matt geworden ist, unfähig, Christum festzuhalten und im Glauben zu bleiben. Und doch hat ihnen Paulus Christus vor die Augen hingezeichnet als unter ihnen Gekreuzigten.

Hier hören wir, worin die Predigt des Apostels bestand. Sie zielte darauf, dass das Auge der Gemeinde Christum treffe, dass sie ihn fassen möchte und dies als Gekreuzigten. Die Predigt des Apostels stellte sich hohe Ziele. Heilige Leute will er machen, weise Leute, Kenner Gottes, die zu ihm emporgehoben sind, Träger ewigen Lebens, Glieder des Himmelreichs. Das Mittel, womit er all dies erreicht, ist, dass er das Auge der Menschen auf den gekreuzigten Christus lenkt: hier stehe still, hier schaue zu! Paulus wünscht, dass wir Menschen eins bedenken: als der Sohn Gottes kam, starb er gekreuzigt, und zwar ist das unter uns geschehen. Uns geht es an; durch uns Menschen und für uns Menschen ward dies vollbracht. Wenn du das weißt, sagt Paulus, so kennst du Gott, bist geschieden von der Sünde, bist geheiligt, erleuchtet, lebendig gemacht. Er hat dasselbe auch den Korinthern gesagt, wenn er ihnen erklärt: seine Meinung bei ihnen sei gewesen, dass er nur etwas Einziges wisse, Jesus und ihn als Gekreuzigten, 1 Kor. 2, 2. Wer aber den Gekreuzigten beschaut hat, der hat den Mut verloren, auf sich selbst zu bauen, und hat zugleich den Mut gewonnen, der Gnade Gottes gewiss zu sein. Und damit ist er abgelöst vom Gesetz. Darum liegt im Schwanken der Gemeinden ein Preisgeben der Wahrheit, die in ihnen lebendig war, und deshalb enthält es ein böses Geheimnis, das Paulus für die Gemeinden ängstlich macht.

Weil ihr Blick trübe geworden ist, drum fängt er seinen Unterricht beim nächstliegenden an, bei ihrer eigenen Erfahrung. Er erinnert sie an ihren Christenstand und heißt sie bedenken, was sie empfangen haben und wie sie's erlangt haben. Schon dies eine hebt sie aus allen Zweifeln heraus, macht dem ganzen Streit ein Ende und zeigt ihnen Gottes Weg.

Die Gemeinden wissen, dass etwas Neues aus ihnen geworden ist. Sie sind nicht mehr die alten Heiden. Wenn sie jetzt zu Gemeinden Christi versammelt sind, so ist eine große Wandlung an ihnen geschehen und sie wissen, was sie erlebt haben: ihr habt den Geist empfangen. Warum lebt jetzt Gottes Name in ihrem Herzen, und zwar der Vatername? warum steigt es jetzt empor zur Himmelshöhe mit Dank, Lob und Anbetung? Warum sind ihre alten Begierden von ihnen abgefallen und stehen als etwas Hässliches vor ihrem Auge? Warum ist's hell geworden in ihrem Innern und Erkenntnis Gottes leuchtete in ihnen auf und die Liebe ward darin geboren? Geist haben sie erhalten; Geist macht das Inwendige neu, Geist ist der Schöpfer des Erkennens und der Liebe, Geist hebt das Herz zu Gott empor. Den Geist haben sie erhalten, den einen und selben Odem Gottes, der von Gott her kommt und kräftig das Herz bewegt, ja eingeht in dasselbe und in ihm lebt und webt.

Und jetzt sollen sie sich besinnen: wie ward der Geist ihr Besitz? Nur das eine möchte Paulus von ihnen wissen. Damit ist die ganze Frage entschieden. Denn der Geist ist nicht nur eine unter Gottes Gaben, etwa gar noch eine geringe, sondern der Geist ist die Gabe aller Gaben, unsre wahrhafte Hinzuleitung zu Gott, Einigung mit ihm, Gegenwart Christi bei uns, Einpflanzung in ihn. Darum strömt aus dem Geist vollkommene Erneuerung und ewiges Leben. Wo der Geist ist, kann niemand zweifeln, dass hier Gnade sei und Gerechtigkeit und Gottes Liebe, von der uns nichts scheiden wird.

Wie haben sie den Geist erlangt? aus Werken des Gesetzes oder aus dem Hören des Glaubens? Hierauf die Antwort zu finden war für die Galater nicht schwer. Ehe Paulus kam, wussten sie vom Gesetze nichts. Sabbat und Beschneidung waren für sie Neuigkeiten, mit denen sie erst seither Bekanntschaft machten. Und als Paulus bei ihnen war, da hielt er ihnen nicht das Gesetz vor und hieß sie nicht dies und jenes tun Gott zum Dienste, des Gesetzes wegen, sondern er erzählte ihnen von Christus, zeichnete ihnen Christum vors Auge, seine Kreuzesgestalt und sein Auferstehungsbild. Und die Galater hörten zu, hörten, wie der Glaube hört, was Christus ist und Gott in ihm uns gegeben hat, und dies gläubige Hören hat Gottes Geist in ihre Herzen gebracht. Sie haben ihn nicht auf sich herabgezogen durch Sabbat und Beschneidung oder irgendein anderes Gott zur Ehre vollbrachtes Werk, sondern sie haben dem geglaubt, was ihnen Paulus im Namen Gottes sagte, und mit dem Hören des Glaubens zog der Geist in ihre Herzen ein.

Und jetzt? Jetzt wissen sie, ob ihr Glaube ins Leere greift und vergeblich bei Gottes Tür anklopft, ob er Gott wohlgefällig ist oder nicht, ob Gott von ihnen etwas anderes verlangt, als dass sie gläubig auf ihn sehen. Hat ihnen der Glaube den Geist gebracht, so haben sie im Glauben Gottes ganze Gnade. Dadurch ist er ihnen göttlich versiegelt, und es liegt ihnen nichts ob, als im Glauben vor Gott zu bleiben ihr Leben lang.

Werke des Gesetzes oder Gehör des Glaubens dadurch sind die beiden Wege, in welche die Frömmigkeit der Menschen auseinander geht, überaus deutlich nach ihrer gegensätzlichen Art beschrieben. Das Gesetz will nicht bloß Hörer haben, sondern beruft zur Tat; es zeigt uns die Werke, mit denen wir Gott dienen. Ich, der Mensch, stehe auf mit Entschlossenheit und gehe an die Arbeit und bin fleißig in Gottes Dienst. Der Glaube ist anderer Art. Wir horchen auf Gott, auf das, was Gott sagt, Gott getan hat, Gott verheißt. Das Ohr geht uns auf für Gottes Wort, und was wir hören, das fasst uns inwendig, hält uns mit der Macht der Wahrheit, bindet unsere Gedanken und Begierden und wird Gewissheit, die uns trägt. Durchs offene Ohr zieht das Evangelium in unser Herz und bringt den Geist mit sich.

Nun sind die Galater nicht mehr damit zufrieden, sondern wollen ein vollkommeneres Christentum haben, Gott noch näher kommen, noch heiliger werden, nicht bloß gläubig sein. Was geschieht, wenn man über den Geist hinaus will? wohin kommt man so? Ins Fleisch. Nachdem ihr mit dem Geist begonnen habt, macht ihr jetzt mit dem Fleisch das Ende, V. 3. Zwei Kräfte wollen uns regieren; die eine steht über uns, die andere ist an uns. Die eine ist der Geist, den Gottes und Christi Gegenwart uns bringt; die andere ist das Fleisch, das natürliche Gebilde, das wir von der Geburt her sind. Am Geist haben wir durch Glauben teil. Aber nun lösen sich die Galater von Christo, lassen den Glauben in sich erlöschen, und scheiden sich damit auch vom Geist. Was bleibt nun als Vollendung und Abschluss ihres Anfangs übrig? Sie haben nichts anderes einzusetzen, als was sie von Natur bei sich selber finden, und das ist Fleisch. Wir dürfen nicht nur daran denken, dass die Beschneidung ein Stück Fleisch abschneidet, dass der Sabbat dem Leibe Ruhe gebietet, dass überhaupt die äußere Ordnung des Gesetzes auf leibliche Dinge sich bezieht. Fleisch und Geist stehen nicht nur wider einander wie auswendiges und inwendiges, sondern zugleich wie unteres und oberes, Mensch und Gott. Und wer bedenkt, welche Scheidung zwischen Geist und Fleisch besteht, was es für einen Unterschied ergibt, ob Gott im Heiligen Geist oder der Mensch in seiner Fleischesart der Führer auf dem Wege ist, dem ist die Blindheit aufgedeckt, die darin liegt, wenn wir höher steigen, und heiliger werden wollen dadurch, dass wir uns dem Geist entziehen. Die Galater sagen freilich: wir halten uns ja an Gottes Gesetz. Aber sie bedenken nicht, dass eben das Gesetz sie ins Fleisch zurückwirft, weil es uns an uns selbst und unsere eigene Kraft verweist.

Wer so großes erlebt hat, der darf es nicht umsonst erlebt haben. Wer durch Geist beginnen konnte, der hat Gottes reiche Güte empfangen, und diese ist heilig und zieht uns für immer und völlig zu ihm. Wir dürfen nicht mehr von ihr wegstreben. Ohne Folgen ist sie freilich in keinem Fall. Entweder behält sie in uns den Sieg und stellt uns in den Glauben empor, oder sie wird uns zum Gericht. Die Gemeinden haben immer noch das kräftige Zeugnis Gottes bei sich, das ihren Glauben dadurch besiegelt, dass Gott ihnen des Glaubens wegen den Geist und die Kräfte darreicht. Mit letzterem Wort erinnert Paulus an das oft recht wunderbare Hervorbrechen des Geistes in den ersten Gemeinden in Worten der Weissagung und der Weisheit, in Kräften der Heilung und Taten der Macht. Sie bezeugen ihnen augenfällig, was der Glaube bei Gott gilt. Aber er erinnert hieran nur in unterstützender Weise. Zuerst hat er von jenem Empfangen des Geistes gesprochen, das den Glauben stets begleitet und ins Herz die heiligen Triebe der Erkenntnis und der Liebe Gottes legt.

So erweckt Paulus zuvörderst in den Galatern das dankbare Bewusstsein um Gottes große Gabe, und dadurch erkennen sie die Torheit ihres Wunsches, mehr als nur gläubig an Jesus zu sein. Niemand ist höher, heiliger, Gott näher, als der Glaubende. Über den Glauben hinaus gibt's in diesem Leben keine höhere Stufe der Vollkommenheit, weil Geist und Glaube beisammen sind.

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