Schlatter, Adolf - Andachten - November
1. November
Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und alles sein Heer durch den Geist seines Mundes. Denn so er spricht, so geschieht es; so er gebietet, so steht es da.
Psalm 33,6+9
Vom jüdischen Unglauben, sagte Paulus, er ändere an Gottes Treue nichts. Das sagt er, der für sein ganzes Wirken kein anderes Ziel hatte als den Glauben, weil er den Glauben die Gerechtigkeit des Menschen hieß, die einzige, die vor Gott gilt, weil sie von Gott kommt. Nun sagt er der Judenschaft, die Jesus kreuzigte und sich von seiner Gemeinde gänzlich schied, die sich der Entstehung der Hei-denkirche mit allen Mitteln der Gewalt widersetzte und Paulus beständig ins Leiden stieß; einige von euch glauben nicht; was ändert das? Gottes Treue bricht nicht und Gottes Wort verliert seine Geltung nicht. Euch ist Gottes Wort übergeben und das ist euer Vorzug, den kein Unglaube ver-nichten kann. Sprach Paulus jetzt gläubig vom Glauben? O ja, nicht der spricht vom Glauben gläu-big, der die Macht des Glaubens in den Glauben selbst hineinlegt. Eine Macht ist der Glaube des-halb, weil er sich an Gottes Gnade hängt und das sucht und hat, was Gott ihm gibt. Ich hätte ihn zerstört, wenn ich Gott an meinen Glauben bände. Indem Paulus sagt, dass Israel mit seinem Un-glauben nicht Meister über Gottes Willen werde, pries er Gottes Gnade und sprach als Glaubender. Ich spüre freilich, dass dieses Wort mir gefährlich werden kann. Trotze, streite, wehre dich, sagt Paulus den Juden, du kannst es nicht ändern, dass du Gottes Wort hast. Wird es nun nicht gleichgül-tig, wie ich mich verhalte? Verliert nicht vor der unwandelbaren Herrlichkeit der göttlichen Gnade der Glaube jede Wichtigkeit? Zweifellos kann ich mir aus dem vollendeten Glauben des Paulus den Anlass zum Unglauben holen. Es gibt nichts, weder in der Natur noch in der Schrift, womit ich mir nicht schaden kann. Aber die Schuld an einem solchen Missbrauch der Gnade, die aus ihr die Er-mächtigung zum Bösen macht, legt Paulus einzig auf den Menschen. Wohin sieht der Glaube? Er sieht empor zu Gott. Was sieht er dort? Den, der die Welt richtet, den Heiligen, der keine Bosheit duldet, den Gnädigen, der dem hilft, der ihm vertraut, nicht aber dem, der auf seinen Glauben pocht, nicht dem, der sich boshaft macht, weil Gott gütig ist. Zu diesem Schluss kann ich nur kommen, wenn ich mir verberge, worin der Glaube seinen Grund und Inhalt hat. Wem gehört mein Glaube? Gott. Wenn ich das nicht vergesse, bin ich vor allem Trotz und Übermut bewahrt.
Dein Wille, Herr, Gott, geschehe an mir und an der ganzen Welt in seiner ganzen Herrlichkeit. Wer steht fest? Du. Wer schwankt nicht? Du, der Du uns zu Dir berufen hast. Wer ist willkommen? Dei-ne Güte, die nicht weicht, wenn wir weichen, sondern gibt, was sie uns verordnet hat. Dein Name sei gelobt. Amen.
2. November
Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Matthäus 3,10
Zur Umkehr berief der Täufer das Volk und Jesus tat es ebenso. Umkehr, die den boshaften Willen wegstößt und das verwerfliche Verhalten preisgibt, führt in Gottes Reich hinein. Worin gesteht denn unsere Sünde? Der Ruf zur Buße beschrieb sie nicht; denn er gesteht uns nicht zu, dass wir das Sündliche nicht kennen. Jeder kennt seine Not; jeder weiß, was ihn verdirbt. Wir brauchen alle nicht Aufklärung, sondern Entschluss, nicht Beschreibung und Betrachtung unserer Sünde, sondern ihr Ende. Wenn aber das göttliche Urteil uns verkündet wird, das aus unserer Sünde den Ausschluss und aus unserer Buße den Eingang in Gottes Reich macht, dann bedürfen wir die klare Erkenntnis, wie die Sünde von uns geschieht. Darum kam der Täufer dem Gewissen des Volks mit seinem Gleichnis zu Hilfe, das auch Jesus in derselben Weise verwendet hat. Den Fruchtbaum macht er zum Gleichnis des Menschen; wann verfällt er der Axt? Wenn die Frucht ausbleibt. Wie vor der Unfruchtbarkeit die zur Fruchtbarkeit geschaffene Art des Baumes steht, so steht vor unserer Sünde Gottes gnädige Gabe, doch so, dass sie von uns entkräftet wird. Gottes Wort wird empfangen, bleibt aber unwirksam. Gottes Wahrheit spricht zu mir, wird aber von mir verdrängt. Gottes Gnade be-wegt meinen Willen; aber meine Eigensucht widersetzt sich ihr. Das ist die Sünde. Da Jesus den Ruf des Täufers zur Buße fortgesetzt hat, zeigt er uns in derselben Weise, wie wir schuldig werden. Unsere Schuld entsteht nicht an dem, was uns fehlt, sondern an dem, was wir empfingen. Welcher Feigenbaum ist in Gefahr, dass er umgehauen werde? Der, der nur Blätter trägt. Was tut ihm der Gärtner? Er beschenkt ihn mit seiner Pflege und reicht ihm seine Hilfe dar, damit er endlich Frucht bringe. Welches Salz wird zertreten? Das, das nicht salzt. Welche Rebe wird entfernt? Die, die nicht Frucht bringt. Welches Talent bringt den, der es hat, ins Gefängnis? Das, welches unnütz blieb. Jesu Urteil fragt mich nach dem, was aus Gottes Gabe durch mich geworden ist. Darum wurde aus der Botschaft des Täufers und Jesu nicht ein doppeltes, zwiespältiges Wort, bald die Verkündigung des göttlichen Reichs und bald die Verkündigung des göttlichen Zorns, sondern ihr Evangelium machte Gottes einträchtigen Willen offenbar. Dass der Feigenbaum in Gottes Garten steht, das ist Gottes Gnade; dass er umgehauen wird, das ist Gottes Gericht. Dieses geschieht, weil jene geschah. Der göttliche Zorn schützt Gottes Gabe gegen ihren Missbrauch und sein Gericht verdirbt den, der die empfangene Gnade verdarb. Im göttlichen Zorn offenbart sich der wahrhaftige Ernst seiner Gnade und darum gibt es auch nur einen Weg, auf dem wir dem göttlichen Zorn entrinnen, den der Täufer mit dem Wort beschrieben hat: Bringt der Buße würdige Frucht.
Ich bleibe, lieber Herr, oft an dem hängen, was ich gern hätte und nicht habe, und plage mich mit dem, was mir fehlt. Allein nicht das macht, dass du wider mich bist. Meine Schwachheit und Not trennt dich nicht von mir, sondern führt dich zu mir. Allein deine heilige und herrliche Gnade muss ich bewahren. Hier werde ich schuldig und daher bist du deshalb mein Heil, weil ich in deinem Namen bitten darf: vergib uns unsere Schulden. Amen.
3. November
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet; denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.\\ Johannes 3,18
Es steht nicht in unserer Macht, ob wir an Jesus glauben oder nicht glauben. Denn der Glaube ent-steht aus dem Wort, das uns Jesus zeigt, und dieses kommt als freies göttliches Geschenk zu uns. Sodann bleibt das Wort ohne Wirkung, wenn es nicht gehört wird mit jenem wachen Hören, durch das das Wort unser Eigentum wird, und dieses liegt nicht in unserer Hand, sondern ist Gottes Wir-kung in uns. Darum ist uns durch die Begegnung mit Jesus, die uns zum Glauben an ihn führt, das gegeben, was nicht unter das Gericht Gottes fällt. Wäre der Glaube unser Werk und Verdienst, so stände auch er unter Gottes Gericht. Nun ist er aber Gottes Gnadengabe und darum ihm wohlgefäl-lig und mit seinem Willen eins und unser Heil. Wer ihn empfangen hat, ist über das Gericht empor-gehoben. Wenn dagegen die Begegnung mit Jesus für den Menschen unfruchtbar und sein Wort für ihn ohne Bedeutung bleibt, dann hat sich Gottes Gericht an ihm vollzogen. Denn das, was uns von Jesus wegreißt und ihm unser Ohr verschließt, ist unser verwerfliches Handeln. Alles, was böse in uns ist, zerrt uns von Jesus weg. Die Nebel, mit denen unser verkehrtes Begehren unseren Blick füllt, machen ihn uns unerkennbar. Wir heißen deshalb ganz andere Dinge unser Glück und Gut als das, was der Gekreuzigte uns verspricht. Wir werden also, wenn wir ungläubig bleiben müssen, an unseren eigenen Willen gebunden und müssen das haben, was unser sündliches Begehren sich wünscht. Das ist bereits erlittenes Gericht, bereits in Kraft gesetzte Strafe. Denn es geht uns mit unserem Unglauben Christus verloren und damit der ganze, ewig reiche Schatz des Himmelreichs. Gleichwohl hat Jesus auch seinen Jüngern mit großem Ernst gesagt, dass er auch sie richten werde. Das tat er, weil es keine göttliche Gabe gibt, an der wir uns nicht versündigen können, und je größer die Gabe ist, die wir entkräften und missbrauchen, um so schwerer ist unsere Schuld. Durch den Glauben an Jesus sind wir fähig gemacht, ihm zu dienen und Gottes Willen zu tun. Was wir nun in Kraft seiner Gabe aus unserem Leben machen, das untersteht bei uns allen dem göttlichen Gericht. Damit ist aber nicht widerrufen oder abgeschwächt, dass uns mit dem Glauben die Befreiung vom Gericht gegeben ist, weil uns mit ihm die Vergebung unserer Sünden und die Einsetzung in Gottes Gnade verliehen ist. Deine Hand, Herr, Gott, die uns rettet und uns zu Dir emporzieht, erfasst uns, wenn Dein Wort, das uns zu Jesus ruft, in uns ist. Ich empfange mit ihm, was Du uns gibst. Was kann ich anders tun als Dir danken und Dir gehorchen? Das gib mir, Vater. Amen.
4. November
Es geschah aber, da ich (Paulus) wieder gen Jerusalem kam und betete im Tempel, dass ich entzückt ward und sah IHN. Da sprach er zu mir: „Eile und mache dich behende aus Jerusa-lem hinaus; denn sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir.“
Apostelgeschichte 22,18
Im Tempel ging der Gottesdienst seinen gewohnten Gang. Die Rauchsäule stieg vom Altar und die Priester besorgten in feierlicher Stille ihre Geschäfte und die Beter berührten mit ihrer Stirn den Boden des Tempelhofs. Unter den Betern war auch Paulus und nun trat Christus so nah und so wirksam an ihn heran, dass Paulus sein Wort vernahm. Die anderen rings um ihn ahnten nichts von dem, was geschah. Sie hielten Jesus für gerichtet und tot. Er war aber auch im Tempel bei dem, den er zu seinem Werkzeug gemacht hatte, und hier schickte er ihn aus Jerusalem fort, hinaus zu den Völkern. Sein Gebot schmerzte Paulus tief. Es waren mehr als zwei Jahre, seit er zur Vernichtung der Christenheit nach Damaskus gezogen war. Nun stand er wieder im Tempel nicht mehr als Got-tes Widersacher, der sich an Christus ärgerte, sondern mit der großen Dankbarkeit in der Seele, die Gottes Gnade pries, die ihm den Christus geoffenbart hatte. Wenn er hier reden könnte, wie gerne täte er es, hier, wo Gottes Name seit alters her wohnte, wo die ihm geheiligte Gemeinde sich zu Gott nahte, wo alle wussten, wie er sich einst dem Christus widersetzt hatte. Wenn er hier reden dürfte nach seiner Regel: „Ich glaube, darum rede ich“, und die, die mit ihm gesündigt hatten, bitten dürfte: „Seid versöhnt mit Gott,“ wie gern täte er es! Aber der Wunsch seiner Seele muss schwei-gen; denn Jesus sagt ihm: „Geh!“ Wie Jesus einst seine Gemeinde gegen Paulus schützte, so schützt er nun auch ihn gegen seine Verfolger. Weil er aber weiß, wie fest das Herz des Paulus an Jerusa-lem hängt, macht er ihn selbst durch sein eigenes Gebot von der heiligen Stadt los, die bereit war, ihn zu töten. Somit verließ Paulus den Tempel in der Gewissheit, sein Weg führe ihn in die Weite, und er begann ihn im Gehorsam gegen Jesu Gebot. Was ist schöner als ein solcher Anblick, schöner als der Gehorsam, der den eigenen Wunsch verleugnet, nicht einem sündlichen, sondern einen wohlbegründeten, aber eigenen, und dem Herrn gehorcht? Wenn ich mich besinne, was Paulus sei-ne Stärke gab, so gibt mir dazu Lukas die Antwort: Paulus hat Jesus gehorcht.
Ich will den Gehorsam nicht nur an Dir, o Jesus, schauen und verehren und an denen, die Du zu Deinen Boten machtest, sondern möchte ihn auch selber haben. Dass sie Dir gehorchen, das ist nicht nur die Ehre und Kraft Deiner ersten Boten, sondern Deiner ganzen Schar. Um dieses Ge-schenk Deiner Gnade bitte ich Dich. Amen.
5. November
Petrus wandte sich um und sah den Jünger, den Jesus lieb hatte. Da Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: „Herr, was soll aber dieser?“
Johannes 21,20+21
In der Vollmacht, die Jesus durch seine Auferstehung empfing, hat er Petrus gezeigt, was er ihm als seinem Apostel gab. Er hat ihm seine Herde übergeben, dass er sie weide, und hat ihm verheißen, er dürfe ihm zur Vollendung seines Amtes an das Kreuz folgen. Es gab aber noch einen zweiten Jün-ger, den Jesus neben Petrus und über ihn gestellt hatte, Johannes. Im Blick auf ihn kann Petrus die Frage nicht unterdrücken: Was soll aber dieser? Im gemeinsamen Wirken der beiden Männer hat sich dieselbe Frage oft vor sie gestellt. Sie stand vor ihnen, als Petrus vor den Hohen Rat Jerusalems trat, um die Sache Jesu zu führen. War es nur seine Pflicht, um Jesu willen zu leiden? Johannes stand mit ihm vor dem Hohen Rat. Dieselbe Frage kam, als Petrus Jerusalem verließ, weil sich die Judenschaft endgültig gegen Jesus entschieden hatte. Was soll nun Johannes? Ist auch für ihn die Zeit gekommen, dass er hinaus zu den Griechen gehe? Auch Johannes verließ Jerusalem und ver-band sich mit der griechischen Christenheit. Die tiefste Bedeutung erhellt diese Frage aber damals, als Petrus nach Rom und in den Tod ging. Was soll jetzt Johannes tun? Führt auch ihn sein Weg zum Kreuz oder soll er bleiben bis zur neuen Offenbarung des Herrn? Johannes ging nicht nach Rom, sondern blieb bei der Christenheit von Ephesus, auch als er der letzte noch lebende Apostel war. Dieselbe Frage entsteht unter uns, sowie andere mit ihrer besonderen Gabe neben uns stehen und den ihnen gegebenen Auftrag mit ihrer besonderen Gabe neben uns stehen und den ihnen gege-benen Auftrag mit kräftiger Tat vollziehen. Meinen Weg kenne ich und kenne meinen Dienst; er ist aber nicht auch der des anderen; was soll dieser? Ich ordne euren Gang, war die Antwort des Aufer-standenen an seinen fragenden Petrus; Johannes bleibt, weil ich es will, so lange, als ich es will. Über allen seinen Knechten steht der Herr. Keiner hat Gewalt über den anderen; jeder gehört allein dem Herrn. Das macht sie alle frei. Sowie ich frage: was soll dieser? Kommt zwischen uns der Friede in Gefahr. Denn der andere kann sich nicht unter meine Leitung stellen und sich nicht an mein Urteil binden. Über solchen Reibungen und Spaltungen geht uns aber viel Kraft verloren und bleibt manche Arbeit ungetan. Darum hat der Herr seinen beiden Jüngern gleich schon in der Oster-zeit gesagt: ich gebe jedem von euch seinen eigenen Dienst und ordne euren Lebenslauf allein.
Herr und Haupt Deiner Gemeinde! Zusammen tun wir unseren Dienst, nicht vereinzelt und zersplit-tert, sondern vereint. Weil Du allein die Herrschaft hast, machst Du jeden von uns zum freien Mann. Ich danke Dir, dass ich meinen Dienst durch Dich empfange und niemand untertan bin und niemand an mich binden darf. Denn Du allein bist unser aller Herr. Amen.
6. November
Sie sprachen: „Wohlan!, lasset uns eine Stadt und Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen.“
1. Mose 11,4
Die Tiere bauen für die Lebenden, nicht für die Toten, und auch der Mensch baut das Nest für die Lebenden. Damit tut er, was Gott ihn tun heißt. Denn auch Gott baut uns das ewige Haus in seiner ewigen Stadt. Der Mensch baut aber auch babylonische Türme und diese baut er nicht für die Le-benden, sondern für die Toten; denn sie sollen dauern, wenn er selbst dahin gegangen ist, und sei-nen Namen verewigen. Darum gibt er diesen Bauten seine Massivität. Je höher sie ragen, desto sichtbarer leuchtet der Name in die Ferne der Zeiten hinaus. Über diese Versuche des Menschen, sich innerhalb der irdischen Welt zu verewigen, ergeht das göttliche Gericht. Wie einheitlich hat auch hier der das Wort schaffende Geist den weit auseinander liegenden Geschlechtern Gottes Re-gierung enthüllt! Auf den Turm Babylons, der zusammenstürzt, folgt der Pharao in Ägypten, der im Meer untergeht, folgt aber auch nach demselben göttlichen Gesetz der Untergang Jerusalems und seines Tempels trotz aller angeblich gläubigen Versicherungen: „Hier ist der Tempel des Herrn“, der unzerstörbare, der sichere Schutz für Gottes Stadt. Und dann folgt noch einmal der Zusammen-bruch des jüdischen Stolzes, der erklärt: „Wir wissen aus der Schrift, dass der Christus für immer bei uns bleiben wird“, und es für unmöglich erklären, dass der Christus sterbe. Mit dem Kreuz Jesu endet jede Verewigung des irdischen Menschen und es ist uns sichtbar gemacht, dass wir durch Auferstehung zum Leben gelangen. Dorthin erhebt sich der Mensch nicht selbst. Der in den Tod Gegebene bereitet sich nicht selber sein Auferstehen; er wird erweckt. Ewig lebt der Mensch nicht, weil er die Ewigkeit errafft, sondern weil und wenn Gott ihm aus dem Tod heraus das Leben gibt.
Davor, dass wir bauen, was zerfallen muss, so dass nur Ruinen entstehen, behüte, lieber Herr und Gott, Deine Christenheit. Weil Du der Ewige bist, suchen wir von Deiner Hand geleitet das ewige Leben. Wir suchen es aber nicht in uns, sondern finden es in Dir, der Du dem Tod übergibst, was sterben muss, und Dich dadurch verherrlichst, dass Du dem, was nicht ist, rufst, dass es sei, und dem Toten, dass es lebe. Amen.
7. November
Jesus sprach zum Königlichen: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“
Johannes 4,48
Die heilende Macht Jesu zog zwar die Galiläer zu ihm, brachte sie aber doch nicht so zu ihm, dass sie mit ihm verbunden blieben. Dass sie bei Jesus Zeichen und Wunder sahen, das lockte sie herbei, nicht nur wegen der greifbaren Vorteile, die ihnen die Heilungen Jesu gewährten, sondern auch we-gen der inneren Stärkung, die sie dadurch erlebten. Gottes Hilfe sichtbar empfangen, Gottes Gnade mit Händen greifen, Gottes Wort in seiner Allmacht augenscheinlich erleben, stärkt das nicht ihre Frömmigkeit? Wurde das nicht für sie zum Glaubensgrund? Ja, sagte Jesus, und darum hat er das Wunder nicht verweigert, wenn der Glaube es von ihm erbat. Aber ohne das Zeichen konnten sie nicht glauben und das war das, was sie von Jesus trennte. Denn es ist nicht sein Beruf, an die Stelle der Natur in beständig fortgehender Reihe Wunder neben Wunder zu setzen. Er holt den Menschen nicht aus seinen natürlichen Verhältnissen heraus und zerschneidet die von Natur auch unter ihrem Druck mit ihrer Arbeit und mit ihrem Sterben beladen sollen sie glauben lernen, und das können sie nur, wenn sie Jesus glauben, nicht dem Wunder, sondern ihm, der ihnen das Wunder tut, nicht sei-ner Gabe, sondern ihm, dem Geber der Hilfe, die sie tröstet, nicht dem Gewinn, der ihnen zufällt, sei er natürlich oder religiös, sondern ihm, der sie von sich selbst, von ihren Nöten und von ihrer Frömmigkeit wegzieht und zu sich beruft. Sie sollen an ihm den Vater erkennen. Wenn ihnen dies beschieden wäre, dann hätten sie jenen Glauben, der nicht an das Wunder gebunden ist, weil Gottes Gnade alles umfasst, Leben und Tod, diese und die kommende Welt. Jesus klagte aber: niemand kennt den Vater, und dies geschah trotz seiner machtvollen Taten; denn wir hängen, wenn wir das Wunder begehren, an uns selbst und machen das zu unserem Ziel, was aus unserem eigenen Leben wird. Darum hat uns Jesus nicht durch seine Wundermacht geholfen, sondern durch sein Kreuz.
Ob Du hilfst oder die Hilfe versagst, ob Du in der Allmacht Gottes handelst oder im leidenden Ge-horsam zum Kreuze gehst, immer, o Jesus, erscheint an Dir Deine herrliche Barmherzigkeit, die uns wahrhaft und völlig hilft. Gib sie mir, die ganze Hilfe, die Du uns dadurch gewährst, dass Du uns zum Vater bringst. Amen.
8. November
Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind, auf dass aller Mund ver-stopft werde und alle Welt Gott schuldig sei.
Römer 3,19
Wenn ich doch schweigen lernte vor Gott! Aber es braucht einen festen Verschluss, damit mein Mund zugeschlossen und nicht wieder anfange, von mir zu reden, mich zu entschuldigen, Gott zu beschuldigen, mich zu rechtfertigen, Gott zu verklagen, mich zu loben und Gott Vorwürfe zu ma-chen. Was klage ich nicht alles an? Die Natur, die mir versagt hat, was andere haben, die Eltern, von denen ich mein Erbe empfing und die meine Kindheit formten, die Lehrer, die mir nicht gaben, was mich gefördert hätte, die anderen, die mir nicht halfen; kurzum alles ist schuld und alles ver-kehrt, nur ich nicht. So dumm bin ich, so närrisch spricht mein Mund. Darum ist es ein gnädiges und herrliches Werk Gottes, dass es unseren Mund zumacht, und er hat ein Mittel, das stark genug ist, um uns stumm zu machen, das ist sein Gesetz. Wenn es zu mir spricht, hört mein Gerede auf. Von mir spricht es mit mir, nicht von den anderen, und es hat die Kraft, dass ich es hören muss, und es spricht mit mir nicht von dem, was mir fehlt, sondern von dem, was ich tue, nicht von Mängeln und Unglück und Misserfolg, sondern von meinem Willen und von meiner Tat. Diese verwirft es und sein Urteil ist deutlich und zwingt mich zur Zustimmung. Ich weiß, sowie Gottes Gesetz vor mir steht: ich bin schuldig, und wer das weiß, der schweigt. Und nun spricht Gott und ich höre und das gibt die seligen Stunden. Spricht er, es werde Licht, so wird es Licht.
Lieber Gott! Ich darf vor Dir reden, nicht um mich zu verteidigen und Dich zu beschuldigen. Das hat Deine Gnade weggetan. Reden will ich aber in der Erinnerung an meine Schuld, die ich Dir bekenne. Nun sprich Du Dein gnadenreiches Wort. Du hast es mir durch unseren Herrn gesagt. Sprich es wieder kräftig in meine Seele hinein, dass es mein Licht und meine Kraft sei Tag um Tag. Amen.
9. November
Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir.
Johannes 10,27
Er kam in sein Eigentum, sagt Johannes. Jesus bewegte sich in der Natur nicht wie in einem frem-den Land, sondern war in ihr heimisch; denn sie ist Gottes Werk. Er ging auch mit den Menschen nicht so um, als seien sie ihm fremd, als gäbe es zwischen ihnen nichts Gemeinsames. Denn der Vater gibt ihnen das Leben, nährt sie und kleidet sie. Er gibt ihnen auch sein Wort, durch das sie ihn kennen, und sein Gesetz, durch das sie ihm dienen. Seine Söhne sind sie, auch wenn sie trotzig von ihm weglaufen oder ihm nur widerwillig dienen. Und wenn sein Wort im Menschen Raum hat, dann sagt er nicht: von jetzt an bist du mein, sondern: du warst mein, und weil du mir gehörst, hast du meinen Ruf vernommen und meine Stimme erkannt. Darum verglich er sich mit dem Hirten, dem die Schafe gehören. Er erwirbt sie nicht erst, sondern sie sind sein. Das gab Jesus die ruhige Sicherheit, in der er mit allen verkehrt. Er greift nicht nach künstlichen Mitteln, um sie an sich he-ranzuziehen, und wirbt nicht um ihre Zustimmung, als ob ein Schaf den Ruf seines Hirten nicht kennte und seine Stimme mit der eines Fremden verwechselte. Diese innere Vorbereitung für ihn hat der Mensch darum, weil er als Gottes Werk an Gott gebunden ist. Darum erkennt er auch in dem, der in der Sendung Gottes zu ihm kommt und ihm Gottes Willen sagt, den, dem er gehört. Ehe uns Jesus begegnet, wissen wir nicht, worauf wir warten, sondern wissen nur, dass wir auf etwas warten, das uns fehlt. Was uns Geheimnis blieb, wird aber deutlich, wenn uns Jesus sichtbar wird. An die Stelle der Sehnsucht nach dem unbekannten Gott tritt nun der Glaube, der dem rufenden Christus folgt. An der sicheren Ruhe Jesu hat auch alles teil, was wir, seine Christenheit, zu tun haben. Wir können und sollen nicht fremdes Eigentum an uns raffen, sondern die Stimme des guten Hirten denen hörbar machen, die sein sind. Wir dürfen uns nicht stellen, als ob wir mit schöpferi-scher Macht die Menschen umbilden könnten. Vielmehr bleibt unser ganzer Dienst Gottes von Got-tes Wirken umfasst, in dem er seine Voraussetzung hat und durch das er seine Vollendung be-kommt. So ist freilich alles, was wir tun, von einem Geheimnis umgeben, in das wir nicht eindrin-gen. Aber dieses Geheimnis gibt unserem Verkehr mit den Menschen die unvergleichliche Tiefe, die Paulus mit dem Wort aussprach, dass wir Gottes Mitarbeiter seien.
Wunderbarer König, Du gibst uns das Ohr, das den Ruf unseres Hirten hört, damit wir ihm folgen, wann und wohin Er uns ruft. Ihm hast Du uns zum Eigentum gegeben. Dafür sei Dein Name gelobt. Amen.
10. November
Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
Matthäus 6,21
So muss es sein, weil es keine ertragreiche Arbeit gibt, wenn ich sie nicht mit ganzem Herzen tue. Mit halbem Herzen getan trägt sie mir keine Schätze ein. Soll sie gelingen, so muss ich meine ganze Kraft an sie wenden in beständiger Aufmerksamkeit und entschlossener Anstrengung. Weil das Herz am Entstehen des Schatzes einen bedeutsamen Anteil hat, darum zieht auch der Schatz das Herz zu sich und es ist nun bei seinem Schatz. Nun spricht Jesus von zweierlei Schätzen, weil wir den Ertrag unseres Lebens an zwei verschiedenen Stellen suchen können. Ich kann mein Ziel im greifbaren Ertrag meiner Arbeit finden, in den natürlichen Gütern, die sie mir verschafft. Nun ver-weilen meine Gedanken bei ihnen; mit ihnen beschäftigen sich die Pläne, die Sogen, die Hoffnun-gen. Das ist der irdische Schatz und das auf der Erde heimische Herz. Es gibt aber auch einen Schatz im Himmel, einen Arbeitsertrag, der sich bei Gott befindet, weil er in Gottes Wohlgefallen und seinem Segen besteht. Stehe ich in meinem Geschäft und Beruf als Gottes Knecht, dann liegt auch der von mir begehrte Ertrag meiner Arbeit in Gottes Hand. Nutzlose Arbeit tut niemand. Tue ich sie als Christ, so besteht ihr Ertrag in dem, was Gott von mir denkt und Gott für mich tut, und dieser himmlische Schatz kann mir ebenso teuer werden wie den anderen ihr natürlicher Besitz am Herzen liegt. Aber die Kinder dieser Welt sind, wie Jesus sagte, klüger als die Kinder des Lichts; denn sie wenden an ihren Schatz größere Sorgfalt, hüten ihn wachsamer und mehren ihn eifriger als die Kinder des Lichts ihren himmlischen Schatz.
Großer Gott, Deine Kinder suchen ihren Lohn bei Dir und empfangen ihn von Deiner Güte. Lass Dir auch mein irdisches Tagewerk wohlgefallen. Auf Deinen Segen ist meine Arbeit gegründet. Oh-ne ihn muss und soll sie eitel sein. Amen.
11. November
Macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus.
Johannes 2,16
Vom Fest in Kana führt uns Johannes zum Fest in Jerusalem. Aber auch hier verband sich mit der festlichen Freude Peinliches. Denn das Volk braucht zum Fest den Markt. Je mehr Pilger kamen, desto mehr Händler kamen. Je größer die Zahl der Opfernden wurde, um so mehr Rinder, Schafe und Tauben waren nötig. Wollten viele Gott ihre Gaben bringen, so gab es für die Wechsler ein großes Geschäft, bis alle mit kursfähigem Geld versorgt waren. Das brachte in das Fest eine trübe Störung, freilich nicht in das Fest der Juden, die auch jetzt gern ein Geschäft machten und nicht daran dachten, dass der Tempel entweiht werde, wenn er ein Kaufhaus sei. Jesus aber kann nicht auf diese Weise feiern; denn er sieht das harte Elend und den schwarzen Schmutz, der sich auf uns legt, wenn wir unseren Gottesdienst in ein Geschäft verwandeln. Wie vieles ist auch in unserem Volk, weil sich das Geschäft damit verbindet, vergiftet und beschmutzt! Wirtshaus, Theater und Lichtspiel, Presse und Politik, alles verfällt der Herrschaft des Geldes, und wo dieses herrscht, stirbt die Scheu vor dem Übeltun. Um des Geldes willen tut der Mensch auch das Böse und macht aus dem, was nützen könnte, eine verderbende Macht. Trifft aber der Zorn Jesu gegen den heiligen Markt nur das, was im Volkstum geschieht? Sagt er nicht auch mir etwas, was mich im Innersten meiner Seele trifft? Als Jesus den Markt austrieb, verlangte er von denen, die in den Tempel gingen, dass sie Gott um Gottes willen dienen. Das hießen aber auch die Frommen unerhört. Das Geld hat für alle eine verlockende Macht und der Hunger nach dem Glück sitzt tief in uns. Drum sieh dich vor und hüte deinen Gottesdienst, damit du nicht mit ihm nebenbei auch noch Profit machst.
Dein Zorn, Herr, ist uns ebenso heilsam wie Deine Freundlichkeit. Du scheidest, was wir vermen-gen und, weil wir es vermengen, verderben. Die Kette, mit der das Geld und das Glück uns bindet, ist fest. Aber Du hast eine starke Hand; sie ist stärker als unsere Ketten. Im Feuer Deines Geistes schmelzen sie. Ich bitte Dich um Dein treues Warnen, wenn sich die Sucht meines Herzens verirrt. Amen.
12. November
Bis auf den heutigen Tag bleibt dieselbe Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, welche in Christo aufhört; aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gele-sen wird, hängt die Decke vor ihren Herzen.
2. Korinther 3,14+15
Paulus versuchte, von der Schrift aus den Weg zur Judenschaft zu finden; aber es gelang ihm nicht. Auch wenn die heilige Rolle aus ihrer Hülle herausgeholt war und vorgelesen wurde, blieb, sagt er, die Decke über ihr liegen, und dort lag sie, weil auf dem Herzen des Lesers eine Decke lag. Der Jude sieht nicht, was die Schrift ihm zeigt, und hört nicht, was sie ihm sagt. Sie richtet die Bosheit; der Jude behält sie. Sie sagt, dass der Sold der Sünde der Tod sei; der Jude hofft dennoch auf ewi-ges Leben. Sie bezeugt Gottes Gerechtigkeit, die er in seiner Gnade an den Glaubenden offenbart; der Jude denkt nur an seine eigene Gerechtigkeit, die er sich mit seinen Werken erwirbt. Wie geht es zu, dass eine Decke über unsere Herzen kommt, so dass wir eine verhüllte Bibel haben? Unsere eigenen Meinungen und eigenen Wünsche sind uns so lieb, dass wir sie nicht hergeben mögen; da-gegen sich zu schützen, ist keiner stark genug, solange er nichts anderes sieht als sich selbst und nichts Größeres begehrt als sein eigenes Glück. Dann gehorcht er unbedingt seiner eigenen Empfin-dung und Meinung und verlangt, dass sich seine Absichten erfüllen müssen. In diesem Zustand kann niemand sehen und hören. So ist er in sich selbst versunken. Das ändert sich aber, wenn Gott uns vor seine Wirklichkeit und Herrlichkeit stellt, und dies ist der Dienst, den Jesus uns tut. Jetzt bin ich von mir selber weggedreht, von meinen Meinungen und Wünschen befreit. Nun kann ich hören, was die Schrift mir sagt, und sehen, was sie mir zeigt, und ihr Wort wird mir zum Eigentum und zum Stützpunkt meines Lebens.
Heiliger Gott, Du bist unser Freund; wir aber sind uns selber feind. Du schaffst das sehende Auge und wir machen es blind. Du schaffst das hörende Ohr und wir machen es taub. Ich bitte Dich, nimm jede Decke von mir weg und sei mein Licht. Amen.
13. November
Also werden die Ersten letzte und die Letzten erste sein.
Matthäus 20,16
„Was wird mir dafür?“ fragte Petrus, wenn andere zu schwach waren, um das zu tun, was er getan hatte, zu schwach, um alles zu verlassen und jedes Band zu zerschneiden, das ihn von Jesus trennen wollte. Die Antwort Jesu war: überreich lohnt Gott dir deinen Dienst. Jesus weiß nichts von einer Entsagung, die uns schädigte, nichts von einem Opfer, das Verlust wäre und uns nicht segnete. Es gibt bei ihm keine umsonst arbeitende Liebe, keinen ohne Lohn getanen Dienst. Nun wird aber un-ser Spekulieren munter. Unser Verhalten, sagen wir, hat also Einfluss auf Gottes Wirken und seiner Gabe verschaffen wir das Maß durch unser Werk; können wir nun nicht zwischen uns eine Rang-ordnung feststellen und den Platz bestimmen, der unserer Leistung entspricht? Petrus dachte an den ersten Platz, aber nicht er allein; die anderen Jünger dachten nicht anders. Oder denken etwa wir anders? Darum brauchen wir wieder unseren treuen Arzt, den Herzenskenner, der uns dagegen zu schützen weiß, dass nicht unsere Begehrlichkeit aus der Größe seiner Verheißung für uns ein Unheil bereite. Ob du erster, ob du letzter bist, das sagst nicht du. Das stellt Gottes Urteil fest, das verbor-gene, das erst dann offenbar wird, wenn alles offenbar geworden ist. Es gibt keinen Ersten, der nicht zu den Letzten herabsinken könnte; ebensowenig gibt es aber einen Letzten, der nicht zu den Ersten hinaufzusteigen vermöchte. Keine Höhe der uns emportragenden Begabung verhindert unser Ver-schulden und keine Tiefe unserer Verschuldung lähmt Gottes Vergeben. Die Schuld und Ohnmacht der Letzten vergeht am Reichtum der göttlichen Gnade und die Eitelkeit und der Selbstruhm der Ersten verschwindet im Licht der göttlichen Wahrheit. Was soll ich nun tun? Miss dich nicht selbst. Lass deine Linke nicht erfahren, was deine Rechte tut. Behalte ein einfältiges Auge, das auf Gottes Willen sieht, den er dir zeigt, und mache dich nicht zum Herrn über einen anderen, als könntest du ihm sein Schicksal mit einer Waage zuteilen. Vergiss es nie: er gehört nicht dir, sondern hat seinen Herrn.
Im Licht stehen wir, Vater, nicht, weil wir uns selbst oder einander kennen, sondern weil Du uns kennst. Wir dürfen unser Tun richten mit dem Licht, das Du uns schenkst, und Dir unseren Dienst und unsere Opfer bringen, wie Dein Wort es uns zeigt. Aber Du bist allein der, der gerecht richtet und gnädig lohnt. Ich preise Dich mit jubelnder Seele, dass Du uns allein und ganz an Dich gebun-den hast. Amen.
14. November
So sich jemand unter euch lässt dünken, er diene Gott; und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführt sein Herz, dessen Gottesdienst ist eitel.
Jakobus 1,26
Du bist zum Bild Gottes gemacht, sagt Jakobus; das macht aus dir den Herrn, der herrscht und herr-schen soll. Was soll ich beherrschen? Das erste und wichtigste Gebiet, an dem du deine Herrschaft ausüben sollst, sagt Jakobus, ist dein Wort. Rennt dein Wort davon ohne Zügel, wo bleibt deine Herrschermacht? Wo bleibt dein Gottesdienst? Er spricht nicht von der Leerheit unserer Rede, dass wir sie zum Geschwätz entstellen, noch weniger von Lügen, Verleumdungen, Bosheit und Hass. Er macht mir meine Pflicht größer. Die Zunge ohne Zügel, das Wort ohne Leitung, die Rede, die nicht beherrscht ist, heißt er unverträglich mit Frömmigkeit, das sichere Wahrzeichen, dass der Mensch nicht Gott gehorsam geworden ist. Hat er Gottes Gesetz im Herzen, so verfährt er nicht mehr leicht-sinnig mit seinem Wort und lässt es nicht sprudeln, wie es sich eben trifft. Dann weiß er sich für sein Wort verantwortlich, hält über ihm Wacht und handhabt es als das kostbare und wirksame Werkzeug, mit dem er Gottes Willen tut. Springt das Wort ohne Zügel von den Lippen, ziellos, tän-delnd, der Wahrheit nicht unterworfen und nicht an die Liebe gebunden, bringt es nicht nur in den anderen unheilvolle Wirkungen hervor, sondern bereitet auch mir selbst eine schwere Gefahr. Ge-gen eine zuchtlose Frömmigkeit, bei der es nicht darauf ankommt, was wir sagen, erhebt das Herz seine Einrede. Es bangt vor den Folgen unserer Worte und begehrt nach Wahrheit, die der zuchtlo-sen Rede fehlt. Nun kommt es dazu, dass wir unser Herz betrügen. Wir ersticken sein Warnen und füllen es mit Einbildung. Es ist ein seltsamer Vorgang, wenn ein Mensch sich selbst hintergeht und sich selbst beschwindelt. Allein das Wort des Jakobus stammt aus wacher Beobachtung und reicher Erfahrung. Wie oft üben wir diese Kunst, unser Herz zu betrügen! Der echte Gottesdienst, der Gott vor Augen hat, macht nicht nur unseren Verkehr mit den anderen, sondern auch unser Gespräch mit unserem Herzen wahr.
Schreibe mir Dein Gesetz, Herr, Gott, in mein Herz; dann regiert es auch meine Lippen und füllt sie mit Deiner Güte und mit Deiner Wahrheit, dass sie Dir dienen. Amen.
15. November
Jesus spricht zu ihnen: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich ge-sandt hat, und vollende Sein Werk.“
Johannes 4,34
Was Jesus der samaritischen Frau getan hat, hieß jeder Zuschauer bedeutungslos. Was ändert ein Gespräch mit einer Frau aus der untersten Schicht des kleinen und verachteten samaritischen Völkleins am Lauf der Weltgeschichte? Auch die Jünger begriffen nicht, dass er sich mit ihr einlas-sen mochte. Jesus nannte dagegen das, was geschehen war, seine Speise. Daraus strömt ihm Kraft zu, die die Müdigkeit von ihm nimmt und ihn inwendig stärkt. Denn er hat jetzt den Willen des Va-ters getan, und das ist sein Lebensmittel, die unentbehrliche Bedingung und wirksame Gewährung des Lebens. Gottes Wille war es, dass die dürstende Frau das belebende Wasser empfange, und Got-tes Wille war es, dass der boshafte Zank zwischen den Juden und den Samaritern, aus dem in nie endender Flut immer neue Versündigung entstand, ein Ende finde und die neue Gemeinde entstehe, die in der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit geeinigt ist. Jesus sprach aber nicht nur vom Willen, sondern auch vom Werk Gottes. Der Vater gibt ihm nicht nur das Gebot, das der Sohn durch seinen Gehorsam zum eigenen Willen macht, sondern er ist der für Jesus Wirkende, wodurch es zum Beruf Jesu wird, das Werk des Vaters fertig zu machen und zum Ziel zu bringen. Gottes Wirken bereitet ihm den Raum, in den er sein eigenes Werk hineinstellt, und darum, weil er es auf das Werk des Vaters aufbaut, hat es Kraft und trägt es Frucht. Um in der samaritischen Frau Gottes Werk wahrzunehmen, war freilich der Blick Jesu nötig. Er aber sah die Hand des Vaters nicht nur darin, dass sie gerade jetzt zum Brunnen Jakobs kam, sondern darin, dass sie auf sein Wort auf-merkte, ihm standhielt und sich von Jesus dahin leiten ließ, dass er ihr seine königliche Salbung sagen konnte. Sie war eine zertretene Frau mit ihrer wilden Geschichte. Damit war aber für den Blick Jesu nicht verhüllt, was ihr der Vater gegeben hat, und dass er nun das, was der Vater vorbe-reitet und begonnen hatte, vollenden konnte, das hieß Jesus die Quelle seiner Kraft.
Ich bedarf der natürlichen Nahrung, Herr, Gott, nach Deiner Schöpferordnung; aber ich lebe nicht vom Brot allein, sondern durch Dein Wort und dieses wird meine Nahrung, wenn es mir Deinen Willen zeigt und ich ihn zu tun vermag. Dieses wahrhafte Brot, das mir das wahrhafte Leben gibt, suche ich bittend bei Dir. Amen.
16. November
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es denen allen, die im Hause sind. Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuchten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Matthäus 5,15+16
Immer kommt das Wort Jesu von einer anderen Seite her, als wir erwarten. Er formt das Gleichnis, das er zum Bild seiner Jünger macht, nicht so: es ist Nacht und dunkel im Hause; zündet die Lampe an und tragt euer Licht in das dunkle Haus hinein, sondern er sagt: die Lampe brennt, verdeckt sie nicht, stellt sie nicht unter den Scheffel, wo sie nicht brennen kann und niemand leuchtet. Er hat nicht zu ihnen gesagt: macht aus euch das Licht der Welt, sondern: ihr seid es, wie er auch von sich selbst nicht sagte: ich mache aus mir das Licht der Welt, sondern: ich bin es. Warum überrascht uns sein Wort? Unsere Gedanken und die seinen gehen nicht von derselben Stelle aus. Unsere Gedan-ken fangen mit dem an, was wir selber sind. Jesu Gedanken fangen mit dem an, was Gott uns gibt. Weil wir bei uns selbst anfangen, fangen wir mit nichts an, beginnen mit dem, was uns fehlt und uns elend macht, bei der Lampe, die nicht brennt, die ich nun anzünden will bei der Nacht, der das Licht fehlt und die ich nun erleuchten will. Weil Jesus dagegen mit Gott anfängt, brennt bei ihm die Lampe und das Haus ist hell und er macht den Jüngern das zur Pflicht, dass sie das Licht nicht ver-bergen. Weil wir bei uns anfangen, das heißt beim Nichts, sehen wir, dass es viel für uns zu tun gibt. Nun machen wir uns ein großes Programm von Pflichten und verfassen ein mächtig anschwel-lendes Verzeichnis von Dingen, die wir schaffen wollen. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als dass wir uns den Lastträgern zugesellen, die eine schwere Bürde schleppen. Auch Jesus hat für seine Jünger ein Programm bereit und spricht mit ihnen von ihrer Pflicht und ihrem Werk. Bei ihm be-steht aber ihr Werk darin, dass sie das scheinende Licht nicht verdunkeln und die empfangene Gabe nicht verderben. Nach unserer Meinung sollen wir etwas werden; nach Jesu Gebot sollen wir das sein, wozu uns Gottes Gnade macht. Das ist zugleich sein sanftes Joch und sein mit drohendem Ernst gefülltes Gebot. Ob von meinen hübschen Phantasien und großartigen Plänen viel oder wenig zustande kommt, daran liegt wenig. Wenn ich aber Gottes Gabe verderbe und das Empfangene un-fruchtbar mache, das ist Schuld. Jesus zeigt uns, was Sünde ist und was ihr die uns verderbende Macht verschafft. Wer das ihm scheinende Licht auslöscht, der sitzt nun im Finstern. Der verschie-dene Anfang, den unsere Gedanken und die Jesu haben, zeigt sich auch im Ende, zu dem sie gelan-gen. Weil wir bei uns, das heißt beim Nichts, anfangen, bringen wir es zu Worten. Weil Jesus dage-gen mit Gott und seinen Gaben anfängt, führt er uns zum Werk. Was Gott uns gibt, sind nicht nur Worte, sondern ist Leben und Tat. Denn Gottes Reich steht nicht in Worten, sondern in Kraft.
Deine Gaben, Vater, umringen mich. Dein Licht scheint mir, Dein Wort ruft mich, Dein Friede be-schirmt mich. Deine Gemeinde nimmt mich bei sich auf, nährt mich und gibt mir Teil an Deinem Werk. Nun bitte ich Dich, der Du das Wollen und Vollbringen schaffst, gib mir, dass das, was DU mir gabst, seine Frucht trage zu Deinem Preis. Amen.
17. November
Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. Ein Gott und Vater aller, der da ist über euch alle und durch euch alle und in euch allen.
Epheser 4,4–6
Es ist für uns schwer, einander zu finden und zusammenzukommen, obwohl die Natur uns zusam-mentreibt und uns unser Leben nur dadurch darreicht, dass sie zwischen uns Gemeinschaft stiftet. Aber keine natürliche Gemeinschaft verbürgt, dass wir zusammen leben. Das schenkt erst die gött-liche Gnade. Jesus ist der, der die Menschheit einigt, der Schöpfer der einträchtigen Gemeinde. Pau-lus zeigt uns, wie die Gemeinschaft zwischen uns zustande kommt, in der jeder mit den anderen und für sie lebt. Einen Leib gibt es, weil es einen Geist gibt. Gottes Gnade wird in unserem inwendigen Leben wirksam und gibt unserem Denken und Wollen die von ihm gewollte Bewegung. Durch den Geist vernehmen wir Gottes Ruf. Der Ruf ruft uns zu Gott und darum auch zu den Menschen. Wir haben seinen Ruf nicht verstanden und ihm nicht gehorcht, wenn er uns nicht zu den anderen bringt. Ist der Geist in uns wirksam, so sind wir Hoffende. Denn die Gabe Gottes hat in unserem natürli-chen Leben noch nicht Raum. Es stiftet aber zwischen uns eine feste Gemeinschaft, dass wir ge-meinsam Hoffende sind und alle zum selben Ziele wandern, weil jeder von uns nach der kommen-den Offenbarung Gottes begehrt. Allein wenn Paulus nur von dem sprechen könnte, was uns der Geist gewährt, so wäre unsere Gemeinschaft noch nicht gesichert. Dann könnte es uns scheinen, jeder müsse einzig auf das lauschen, was in seinem eigenen Inneren geschieht und ihm dort Gottes Willen kundtun. Allein der eine Geist führt uns zum einen Herrn und heftet unser aller Blick fest an den Einen, der Gottes gnädigen Willen an uns vollbringt. Dadurch ist uns allen nicht nur das Hof-fen, sondern auch das Glauben beschert. Wir sind alle von uns selber weggewendet und suchen alle unseren Stützpunkt nicht in uns, sondern in Gott. Am Glauben erstirbt unser selbstisches Begehren und damit das, was unsere Gemeinschaft beständig verdirbt. Wir könnten nicht glauben, träte nicht Jesus als der vor uns, der uns die Taufe gibt, weil er uns unter Gottes Vergebung stellt. Weil uns unsere Bosheiten vergeben sind, darum können wir zusammen leben. Es ist keine Gemeinschaft möglich, wenn wir nicht vergeben können, und wie könnten wir es, wenn wir nicht selber Gottes Vergebung empfangen hätten? Im einen Geist und einen Herrn offenbart sich uns der eine Gott, der über allen steht, für alle der Verborgene, für alle der, vor dem wir uns schweigend beugen, und der durch alle wirkt und jedem seinen Willen zeigt und jedem seinen Dienst zuteilt und jedem an sei-nem Werk einen Anteil gibt, und der in allen ist, weil er allen, die ihm glauben, seine gnädige Ge-genwart gewährt. Das sind die allmächtig wirkenden Kräfte, die uns zusammenführen und beiein-ander halten und aus uns eigensüchtigen Menschen das machen, was unerreichbar ist, den einen Leib.
Vor unserem Zank und Streit weicht, Vater, Dein Geist. Mit unserer Zwietracht widersetzen wir uns der Herrschaft Deines Sohnes und verleugnen Dein Evangelium. Mit unserer eigensüchtigen Ver-einsamung verdunkeln wir Deine göttliche Herrlichkeit. Du aber zeigst uns Deine Gnade dadurch, dass Du stärker bist als unser sündliches Tun und wegtust, was uns trennt und uns einigst vor Dir. Amen.
18. November
Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte, und sandte seine Knechte aus, dass sie die Gäste zur Hochzeit riefen, und sie wollten nicht kommen.
Matthäus 22,2+3
Was es heißt, Gottes Volk zu sein, hat Jesus den Männern von Jerusalem in drei Gleichnissen mit herrlicher Klarheit gezeigt. Sie sind Gottes Söhne, Gottes Arbeiter und Gottes Gäste. Jedes dieser Gleichnisse gilt von allen, die zu Gottes Volk gehören, und sie alle sind nicht abwechselnd jetzt nur dies und dann nur dies, jetzt nur die Söhne, denen der Vater das Leben gab und die er in seine Ge-meinschaft aufnahm, dann nur die Arbeiter, denen er seinen Weinberg zur Bebauung übergab, dann nur die Gäste, die er zum Feier seines Festes an seinen Tisch einlädt. Zusammen beschreiben ihnen diese Gleichnisse ihr Verhältnis zu Gott und sie können dieses nicht in Stücke zerlegen, können nicht Söhne sein, wenn sie Gott nicht dienen, können nicht Gäste sein, wenn sie nicht seine ihm gehorchende Söhne sind. Sie erleben darum im Verkehr Jesu mit ihnen dies alles im selben Vor-gang. Durch Jesus sagt ihnen der Vater als seinen Söhnen: geht in meinen Weinberg, und weil sie die von Gott in den Weinberg gesetzten Arbeiter sind, bittet sie der Sohn, dass sie Gott geben, was Gottes ist, und weil sie Bürger in Gottes Stadt sind, lädt Jesus sie ein zur Feier des Festes, das der König seinem Sohne macht. Je heller aber Jesus Gottes Gnade leuchten lässt, an der jeder teilhat, der zu Gottes Volk gehört, um so dunkler und schrecklicher wird eines jeden Schuld. Nein, sagen die Söhne, die der Vater in seinen Weinberg schicken will. Nein, sagen die Weingärtner, die Gott seine Frucht geben sollten. Nein sagen die Gäste, die zum König gerufen sind, weil er seinem Sohn die Hochzeit bereitet und diese nicht einsam feiern will. Mit diesem letzten Nein spricht die Gottlo-sigkeit ihr hässlichstes Wort, wie uns auch Jesus seine Größe dadurch besonders deutlich zeigt, dass er sich auch auf dem Weg zum Kreuz als den beschreibt, der uns an seinem Feste Anteil gibt. Israel hat nicht recht, wenn es Jesus verwirft; du forderst uns zur Buße auf; das ist ein hartes Wort, und was du verlangst, ist ein schweres Gebot. Freilich duldet Jesus keinen Raub an Gott und ist von jenen Söhnen geschieden, die den Vater nur mit leeren Worten ehren. Er weckt uns auf aus unserer Erstarrung in Lieblosigkeit und macht unserem boshaften Unrecht ein Ende. Aber sein Wort ist nicht nur Gebot und nicht nur Gericht, das uns zur Buße treibt, sondern ist Evangelium, ist Einla-dung zur Gemeinschaft mit ihm an Gottes festlichem Tisch an Gottes herrlichem Tag. Das ist der Abschluss der Sünde, durch den wir sie vollenden, wenn wir zu seinem Evangelium sagen: nein, wir kommen nicht.
Du machst, Vater, aus unserer Buße ein freudiges Werk und aus unserem Gehorsam eine süße Pflicht und aus unserem Hoffen eine uns reinigende Kraft. Gib mir, wenn mich bedrückt, was in mir natürlich und verwerflich ist, einen Blick in die Feier Deines großen Tags. Amen.
19. November
Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an, und sprach zu ihm: „Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an?“ Er aber verstummte.
Matthäus 22,11+12
Weil Israel Gottes Weinberg an sich rafft und zu seinem Fest nicht kommen will, geht nun die Be-rufung frei zu den Völkern hinaus. Sie fragt nicht: wer bist du, weder, was ist deine natürliche Art, noch, was hast du als Sünde oder Frömmigkeit in dir? Darum weil die Einladung sich an alle wen-det, setzt sie für alle an den Anfang ihres Christenstandes die Taufe, die allen die Vergebung der Sünden gewährt. In seinem Vorblick auf das, was nach dem Kreuz geschehen wird, wird Jesus von keinem Zweifel gequält. Nun kommen die Geladenen, nun findet die gute Botschaft offene Ohren; denn das ist unmöglich, dass Gottes Festsaal leer bliebe. Aber auch dann, wenn das göttliche Wort in neuer Weise die von allen Bedingungen freie Gnade zu allen trägt, bleibt es heilig und eins mit Gottes Gerechtigkeit. Das zeigt sich an dem, der sich ohne ein festliches Gewand in den Festsaal begibt und deshalb ins Gefängnis kommt. Was ist sein Verbrechen? Er begehrt nach der Freude des Festes; soll sie ihn nicht locken? Er hört begierig die Einladung; soll er ihr nicht folgen? Allein er soll bedenken, was ihm gegeben wird, und den ehren, der ihn zu seinem Gaste macht. Will er am Fest teilnehmen, jedoch ohne das festliche Kleid, so spaltet er seinen Willen und erzeugt in sich den Widerspruch, das Gegenteil der Wahrhaftigkeit. Das ist die Haltung dessen, der selig werden will, doch ohne Gehorsam, der bleiben will, was er ist, und doch in der Gemeinde Jesu und in Gottes Gnade stehen will, der sich auf Gottes Gnade stützen und in seiner eigensüchtigen Lieblosigkeit verharren will. Mit dem Gast ohne Festkleid beschreibt uns Jesus den Mann, der zwei Seelen hat, der seinem Ja doch wieder ein Nein entgegenstellt und das, was er möchte, doch nicht mit einem ganzen Willen ergreift. Was uns hier über die Teilnahme an der Hochzeit des Christus gesagt wird, gibt uns auch dann die Regel, wenn wir uns am Tisch Jesu versammeln. Auch hier macht die Einla-dung die frei gebende Gnade Gottes sichtbar und stellt an keinen irgendeine Bedingung. Denn der Tod Jesu soll von jedem gepriesen werden, der Mensch ist und weiß, was Sünde ist. Aber „unter-scheidet den Leib des Herrn“, sagt Paulus und damit blieb er völlig beim Wort des Herrn. Wir müs-sen das schätzen und ehren, was Jesus für uns mit seinem getöteten Leib und vergossenen Blut er-worben hat.
Das Fleisch und der Geist streiten gegeneinander und Du allein, gnädiger Gott, kannst mich davor bewahren, dass daraus ein Bruch entstehe, der mich inwendig zerreißt. Dein Werk ist es, wenn der Trieb Deines Geistes mich ganz bewegt, meinen ganzen Willen zu Dir zieht und meine ganze Liebe an Dich bindet. Wehre aller inneren Zwiespältigkeit und Unwahrhaftigkeit. Amen.
20. November
Bringt her dem Herrn, ihr Gewaltigen, bringt her dem Herrn Ehre und Stärke. Bringt dem Herrn Ehre seines Namens, betet an den Herrn im heiligen Schmuck. Die Stimme des Herrn geht auf den Wassern, der Gott der Ehren donnert.
Psalm 29,1–3
Das Wetter fährt daher und der Psalmist gibt ihm die denkbar größte Stärke. Sturm und Blitz zer-splittern die Zedern. Der Felsblock stürzt ins Tal. Das Laub wird von den Bäumen gerissen und die Gazelle erschrickt, wenn der Donner über ihr kracht, so, dass sie ihr Junges von sich wirft. Aber über dem Bereich, in dem das Wetter tobt, steht ein höherer Raum, in dem sich die Himmlischen befinden. Sie wenden ihren Blick nicht von der Erde weg, über die der Sturm dahinfährt; denn es ist Gottes Stimme, die durch das Land hin schallt, und ihr Ruf schafft das Ungewitter. Deshalb sind die Himmlischen seine Zeugen. Sie werden aber von ihm nicht geängstigt, sondern begleiten den Sturm mit ihrer Anbetung und preisen Gottes Stärke und Ruhm. Und Israel? Der Libanon schwankt und die Wüste Kades gerät in wirbelnde Erregung; aber die Mauern Jerusalems fallen nicht. Die Gazelle erschrickt und gebiert, nicht die Töchter Zions. Auch wenn Gottes Sturm über das Land dahinfegt, gibt er seinem Volk Kraft und setzt es in seinen Frieden. Das ist die Unterweisung des Geistes dann, wenn Gottes Gewitter über die Erde ziehen. Es gibt keine Entfaltung seiner Macht, auch wenn er den Pharao verhärtet und in das Meer stürzt und Jerusalem verfinstert, dass es für Jesus das Kreuz errichtet, aus der nicht die Anbetung der Himmlischen entstünde und bei der nicht seine Hand sein Volk deckte und schirmte. Es weiß ja, wem die Stimme gehört, die so mächtig ruft. Was dieser Psalm ausspricht, hat die Weissagung des Johannes im Blick auf den kommenden Sturm, der durch die Völker fahren wird, mit verstärkter Deutlichkeit gesagt. Mein Auge sieht nicht alles, großer Herr und Gott, was Du als Deine Welt aufgebaut hast. Die An-betung der Himmlischen vernehmen wir nicht und sehen nicht hinein in die Stätte Deiner Herrlich-keit. Über unseren irdischen Boden fahren die Stürme dahin, die die menschliche Größe beugen und die Furcht vor Dir erwecken. Sie rufen uns aber auch auf zum Glauben an Dich. Deine Macht, die die starke Zeder zerbricht, ist der Fels, auf dem wir glaubend ruhen. Amen.
21. November
Alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Feld. Das Heu verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Jesaja 40,6–8
Der Schmuck, mit dem der Frühling die palästinische Erde kleidet, stellt Wunder neben Wunder; sie sind durch die Pracht ihrer Farben und die Zierlichkeit ihres Baus unvergleichlich schön, ein Über-fluss von Leben und Blühen, das kein Kargen kennt. So ist die Menschheit, sagt der Prophet; in Kraft ihrer natürlichen Regsamkeit gleicht sie der blühenden Flur. Sie bringt vieles hervor, was Be-wunderung verdient, Kraft betätigt und schimmernde Pracht besitzt. Aber auf die Blätter- und Blü-tenfülle fällt die unbarmherzige Glut der Sonne herab. Darum verschwindet die ganze Pracht und der ausgedörrte Boden wird dürr. Der Prophet dachte zunächst an das emsige Schaffen und künstle-rische Bilden, das die Babylonier betrieben, an die Pracht ihrer Städte und Tempel, an die imponie-renden Leistungen ihrer Kunst, an die gewaltigen Machtmittel ihres Staats. Doch mehr als das Werk des Fleisches ist dies alles nicht; es entsteht aus dem, was die Natur dem Menschen reicht, und schafft nichts Bleibendes. Von ihr hat der Prophet seinen Glauben gänzlich weggezogen und er tut dies ohne Groll und Gram; denn er hat einen Besitz, der nicht vergeht. Er hat die Rede Gottes ver-nommen und sagt dem Volk das göttliche Wort. Mit klarer Deutlichkeit unterscheidet sich dieses von allem, was das Fleisch in seiner natürlichen Regsamkeit erzeugt. Denn das Wort, das der Pro-phet hört und sagt, beschreibt nicht den Menschen und seine Pracht, sondern verkündet Gottes Wil-len. Gibt es etwas Flüchtigeres als ein Wort? und dennoch besteht es, wenn Babylons Größe im Wüstensand versunken sein wird. Denn es gibt nichts, was so innig und vollständig mit Gott eins wäre als sein Wort. Darum ist es mit ewiger Kraft und Wirkung gefüllt. Nicht deshalb, weil wir das Wort Deiner Hand und das Gebilde Deiner schaffenden Macht sind, ist ewiges Leben in uns hineingelegt. Du hast uns, die von Dir Geschaffenen, der Eitelkeit und Ver-gänglichkeit untertan gemacht. Aber zu uns, die wir blühen und welken, ist Dein Wort gekommen und nun, Herr, empfangen wir das, was bleibt. Dir, dem ewigen bleibenden Wort, gebührt mein Dank und meine Anbetung. Amen.
22. November
Ich bin desselben in guter Zuversicht, dass, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.
Philipper 1,6
Ein Anfang war geschehen, als Paulus in Philippi war und Gott der Lydia das Herz auftat, dass die Botschaft Jesu sie erfasste, und als der Kerkermeister mit raschem Entschluss von Paulus die Taufe begehrte und empfing und als sich die anderen, die die Gemeinde bildeten, im Glauben miteinander verbanden. Paulus nennt das einen guten Anfang; denn hier war Gott der Wirkende und das, was geschah, waren die Wunderwerke seiner Gnade. Aber mehr als ein Anfang war das, was die Ge-meinde besaß, noch nicht und jeder Anfang zwingt uns, nach dem Fortgang zu fragen und auf die Vollendung zu sehen. Mehr als ein Anfang ist auch mein Leben nicht und ebenso wenig das der Christenheit. Wir können nicht das bleiben, was wir sind, nicht satt und beruhigt bloß rückwärts sehen und nur bewahren wollen, was vorhanden ist. Wir haben überreichen Grund zum Dank, dass dieser Anfang ein gutes Werk ist, ein von Gott gewirktes Werk, durch Gottes Wort geschaffen und mit Gottes Gnade gefüllt. Aber Gott steht nicht bei dem still, was unsere Gegenwart uns zeigt. Soll ich nun mit Bangen auf die Vollendung sehen? angstvoll klagen: „nur“ ein Anfang? Höre auf Pau-lus. Wenn er zu uns spricht, lernen wir glauben. Der, sagt er, der das gute Werk begonnen hat, wird es auch vollenden. Diese seine freudige Zuversicht ist Glaube. Denn er stützt sie nicht auf das, was der Mensch leistet, sondern gründet sie auf Gott. Weil er der Anfänger ist, bleibt der Vollender nicht aus. Denn Gott ist beides, Anfänger und Vollender. Das ist er nicht wegen unserer Treue, son-dern wegen seiner Treue, nicht wegen unserer sieghaften Tapferkeit, sondern wegen der Festigkeit seiner Gnade. Nicht nur im Blick auf unser eigenes Leben, sondern auch für unsere Arbeit ist das eine herrliche, antreibende und stärkende Erkenntnis, dass alles, was begonnen wird, zur Vollen-dung kommt, nämlich alles, was Gott durch uns beginnt. Was meine Hände schaffen, zerfällt. Nicht meine Erzeugnisse haben Platz in Gottes ewiger Welt. Wir müssen vielmehr jederzeit bereit sein, mit dem, was wir begannen, aufzuhören und wieder abzubrechen, was wir bauten. Das aber, was Gott gemacht hat, bleibt nicht in Unfertigkeit stecken und ergibt nicht Ruinen. Er vollendet, was er begonnen hat. Du, Herr, bist Erster und Letzter, Anfänger und Vollender, A und O. Als den Treuen bete ich Dich an, der Du derselbe bist gestern und heute und in Ewigkeit. Amen.
23. November
Wir werden je viel mehr durch ihn behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind.
Römer 5,9
Noch haben wir das Ziel nicht erreicht. Hoch ragt es über das empor, was uns die Gegenwart ge-währt, denn das Ende der Wege Gottes ist unbeschreiblich groß. Auch die Natur zeigt uns dies; wie grenzenlos ist das, was Gott geschaffen hat! Was uns Jesus gebracht hat, zeigt uns die Herrlichkeit der göttlichen Ziele nicht weniger klar; denn in Ihm ist die vollkommene Gnade erschienen, die alles neu macht, weil sie die Auferstehung wirkt. Das hat im Maß unseres gegenwärtigen Lebens noch nicht Raum, sondern wendet unseren Blick unablässig hin zu dem, was kommt. Der Zorn wird kommen, sagt Paulus. Wenn Gott sein ganzes Wort spricht, flößt es alles Böse aus Gottes Welt hin-aus. Es gibt keine Offenbarung Gottes, ohne dass sein unversöhnlicher Widerspruch gegen unsere Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit offenbar wird. Darum vollbringt, wenn Gottes Reich in Herrlich-keit kommt, sein Zorn sein allmächtiges Werk. Muss ich zagen? Wird mein Christenstand zur ge-ängstigten Frage, ob ich wohl selig werde? Wird er durch den Blick auf das Kommende von quä-lender Sorge beschattet? Viel mehr, sagt Paulus, werden wir behalten werden vor dem Zorn. Indem Paulus nach der Zukunft schaut, lässt er das, was Gott getan hat, nicht verschwinden. Unverwandt ist sein Blick auf den gerichtet, der sein Blut für uns gegeben hat. Indem er für uns starb, hat er die Kette unserer Verschuldung gesprengt und sich zu unserer Gerechtigkeit gemacht. Das ist der Fels, auf den uns Paulus stellt, wenn er unseren Blick zu Gottes kommendem Tag erhebt. Aus Gnade folgt Gnade; aus der durch das Blut Jesu geschaffenen Gerechtigkeit entsteht das Leben. Hat Gott mir den heutigen Tag mit seiner Gnade gefüllt, so füllt er mir auch den morgenden. Macht er aus meinem irdischen Leben seine Gemeinschaft mit mir, so umfasst diese Gemeinschaft auch die kommende Welt. Gottes Liebe treibt die Furcht aus, auch die vor der Allgewalt des kommenden Zorns.
Dein Reich komme, Vater. Das ist die Bitte deiner Kinder. Es komme mit seiner richtenden und mit seiner verklärenden Gerechtigkeit. In Deinem Willen ist beides eins, Dein Zorn und Deine Gnade, Dein Richten und Dein Vergeben. Du lässt uns jetzt Dein Licht scheinen und hast uns seinen Auf-gang dazu beschert, damit es nicht in Nacht untergehe, sondern uns ewig leuchte. Fülle mir meine Tage mit Deiner Gnade. Dann wird aus jedem von ihnen ein Schritt hinein in Deinen ewigen Tag. Amen.
24. November
Es lag aber einer vor seiner Türe mit Namen Lazarus voller Schwären.
Lukas 16,20
Wohin soll sich ein Armer legen? Dahin, wo Reichtum ist. Wo hat ein Hungernder seinen Platz? Da, wo man herrlich und in Freuden lebt. Der Überfluss zieht die Darbenden herbei; das ist ihr von der Natur ihnen gegebenes Recht. Der Reiche sagte: Es ist ein Zufall, dass Lazarus gerade hier an meiner Tür liegt, ein widerwärtiger Zufall, da es kein Vergnügen ist, ihn anzusehen, doch nicht mehr als ein Zufall, der mich nicht weiter berührt. Bei Jesus gibt es jedoch keinen Zufall. Nach dem Urteil Jesu lag Lazarus beim Tor des Reichen, damit der Reiche ihn sehe. Ist er in seinem prächti-gen Gemach, dann sieht er und die Schönheit seiner Umgebung entgeht ihm nicht. Er sieht, wie hübsch ihn sein Purpurmantel kleidet, und sieht, wie vergnügt die Augen seiner Festgenossen leuch-ten. Du sollst sehen, o ja, aber nicht nur dann, wenn du in deinem Haus bist, sondern auch dann, wenn du vor deine Türe trittst und Lazarus vor dir liegt. Nun sieh dich vor, werde nicht plötzlich blind, wende dein Gesicht nicht weg. Du sollst sehen, was Gott dir zeigt. Siehst du nichts, so tust du nichts; tust du nichts, so tust du Sünde. Es ist dir nicht möglich, nichts zu tun. Entweder hilfst du oder du verdirbst. Entweder sorgst du für Lazarus oder du machst, dass er unter den Hunden stirbt. Handeln musst du, es sei Gutes oder Böses, und zum Handeln musst du sehen, und wenn du nicht sehen willst, so stirbst du an deiner Schuld. Du kannst dein Auge nicht für immer verkleben. Einst lernst du sehen.
In allem, was Du, Vater, uns zeigst, liegt weise Absicht, liegt Stoff für uns zum Aufmerken, liegt Auf-ruf zur Tat. Aber wie viel reicher und größer ist das Leben als unser Herz und unsere Kraft. Darum bitte ich Dich: gib mir offene Augen auch für das, was dieser Tag mir zeigt. Amen.
25. November
Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.
Lukas 16,23
Vom Wiedersehen sprechen die Menschen oft, wenn der Tod sie trennt, und es geht mir nicht an-ders als den anderen, ich denke auch oft ans Wiedersehen. Auch Jesus spricht hier von einem Wie-dersehen, freilich nicht nur vom Wiedersehen alter Bekannter. Der Reiche sieht auch Neues. Jetzt sieht er Abraham, von dem er nur gehört hat, dass er sein Vater sei und dass er seinen Anteil an Gott von Abraham her besitze. Nun wird, was er gehört hat, Wahrnehmung. Denn er sieht, dass Abraham die von seinen Söhnen zu sich nimmt, die die Engel zu ihm tragen. Er sieht aber auch La-zarus, den er oft gesehen hat, solange er am Torbau seines Hauses lag. Denn es ist zwischen ihm und Lazarus eine Verbundenheit entstanden, die der Tod nicht löst. Beim Reichen entstand diese Verbindung durch seine Schuld und Schuld weckt Erinnerung und führt zum Wiedersehen. Ich will auch jetzt, lieber Herr, ernstlich auf dich hören, obwohl ich vor den Gedanken erschrecke, dass das Verschulden uns Menschen mit einem Band aneinander bindet, das nicht einmal der Tod zerspren-gen kann. Schuld kann zwischen uns nur dann entstehen, wenn du uns in der irdischen Zeit zusam-menführtest. Deine Gnade hat uns zusammengebracht, damit wir aneinander deinen guten Willen tun. Wer ihn nicht tut, den bindet nun die Schuld mit dem anderen zusammen und das ist ein Band, das durch Gottes Gesetz unzerreißbare Festigkeit bekommt. Nun darf ich aber fortfahren und sagen: auch die Liebe bindet uns zusammen nach deinem festen und wirksamen Gesetz. Schafft nicht auch sie die unvergängliche Berührung? Bringt nicht auch sie uns das Wiedersehen? Dann aber ist das Wiedersehen selig, wenn du, Herr Christus, dabei bist und wir uns an deinem Tisch und Fest be-gegnen. Wir haben nicht Abraham zum Vater. Für uns bist du der Anfänger und Vollender des Le-bens. Darum verlangt unser Hoffen für uns und für alle unsere Lieben nach deiner Versichtbarung.
Ich kann mit meinen Gedanken und Wünschen nicht nur im Gegenwärtigen verweilen. So hast Du es uns verordnet, heiliger Gott, dass wir vorwärts schauen, nicht in das Grab hinein, sondern in das Leben hinauf, und es ist Dein Wille, dass das, was Du uns jetzt gibst, unser ewiges Leben und unser ewiges Eigentum werde. Wir empfangen von Dir kein größeres Eigentum als die Menschen, die Du uns anvertraust. Mache uns füreinander zum ewigen Segen. Amen.
26. November
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumen-den. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Psalm 126,1+2
Der Glaube, sagte Paulus, bleibt, nicht die Erkenntnis. Darum geht es uns wie der Psalmist es sagt. Kommt Gottes Hilfe, so kommt es uns vor, wir träumen. Wir sind völlig überrascht, weil alles an-ders kommt, als wir dachten. Dann fallen alle unsere Vorstellungen um und unser Hoffen und Weissagen ist als Stückwerk erwiesen, als die Rede eines Kindes, das, solange es Kind ist, denkt und spricht wie ein Kind. Aber der Glaube bleibt und bekommt seine Bewährung eben dadurch, dass die Gefangenen Zions dann, wenn die Erlösung für sie kommt, wie Träumende sind, die es nicht begreifen können, dass Gottes Gnade so reich und seine Hilfe so herrlich ist. Dann empfangen sie, worauf ihr Glaube gewartet hat. Weil wir nicht undankbar sind, wenn wir unser irdisches Leben eine Gefangenschaft heißen, dürfen wir unsere Verheißung auch mit jener Stunde verbinden, die uns durch die enge Pforte des Todes führt. Dorthin reicht kein Auge und kein Ohr vernahm die Kunde von dem, was Gott uns dann bereiten wird. Aber auch unser gegenwärtiger Umgang mit Gott bringt unserem Psalm mannigfache Bestätigung. Was gibt es doch für ein Staunen, wenn es uns gegeben wird, nicht unsere Sünde anzuschauen, sondern auch Gottes Vergeben wahrzunehmen. Dann zerbrechen alle unsere Meinungen über das, was uns helfen könne, worin unsere Buße und Heiligung bestehen müsse, und wir nehmen wahr, dass Gott größer ist als unser Herz. Und wie er-staunen wir, wenn uns einmal Jesus begegnet und uns sichtbar wird: er ist mein Herr! Dann fallen alle unsere frommen und unfrommen Gedanken ab, die wir vorher hatten, und ein tiefes Erstaunen beginnt, aus dem uns das erwächst, dass unser Mund voll Rühmens wird.
Du richtest unser Angesicht, Herr, Gott, nach vorn. Du stellst mich freilich in den heutigen Tag, damit ich ihm gebe, was ihm gehört. Aber Deines Reiches ganze Kraft und ganze Herrlichkeit steht noch vor uns und unsere Gedanken fassen nicht, was kommen wird. Dein Wort heißt uns aber hof-fen, und das ist Deiner Gnade Zeichen und Geschenk. Amen.
27. November
Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen, und gingen aus dem Bräutigam entgegen. Aber fünf unter ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die Törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen nicht Öl mit sich.
Matthäus 25,1–3
Auch dadurch erweist sich Jesus als der Träger göttlicher Gnade, dass er uns die Hoffnung gibt. Sie ist wie alle Gaben Gottes voller Süßigkeit und Kraft. Wie könnten wir froh arbeiten und dankbar leiden, Gott zum Preise leben und Gott zum Preise sterben, wenn wir nicht Hoffende wären? Es gibt aber keine Gnade Gottes, aus der wir nicht den Anlass zum Sündigen machten. Davor behüte uns die Treue Jesu, indem er uns in seinem Gleichnis zeigt, wie aus unserem Hoffen Torheit wird. Er beschreibt die, die am Vorabend des Festes auf seinen Anfang warten. Die Vorfreude der bald be-ginnenden Feier leuchtet warm in ihrer Seele und sie sind gewiss, dass ihnen die Teilnahme am Fest beschieden sei. Allein ihre Hoffnung betrügt sie, weil sie töricht waren, und ihre Torheit besteht darin, dass sie zwar hofften, sich aber nicht rüsteten. Eine Hoffnung, die das nicht tut, was nötig ist, damit das Gehoffte komme, macht aus uns Toren. Das widerfährt uns dann, wenn sie nur unsere Gedanken füllt und unser Begehren anregt, weil sie durch ihre Seligkeit uns lockt. Es ginge von der Verheißung Jesu eine mich lähmende Wirkung aus, wenn sie mich untätig machte, wenn ich das jetzt uns Gegebene gering achtete, weil es noch nicht das Vollkommene ist, und die Arbeit des heu-tigen Tages unterließe, weil uns erst Jesus selbst durch seine neue Offenbarung die Vollendung des göttlichen Reiches bringen kann. Jesu Verheißung ist mir aber nicht dazu gegeben, damit ich einen Stoff für mein Denken und Dichten habe und unter dem Druck dieser Welt mich damit tröste, dass es eine kommende Welt gibt, sondern Jesu Verheißung pflanzt eine lebendige Hoffnung in mich hinein und als lebendig erweist sie sich dadurch, dass sie mein ganzes Verhalten regiert. Es muss an meinem Handeln sichtbar sein, dass ich auf den Tag schaue, der alles Verborgene ans Licht bringt, und auf den Richter warte, der über meinen Dienst sein Urteil spricht, und darnach begehre, dass er in Gottes Macht unsere natürliche Art in das ewige Leben verkläre. Wenn die Hoffnung mein Ver-halten durchdringt und regiert, dann macht sie mich klug.
Noch ist der Tag der Feier für uns nicht angebrochen. Noch stehen wir am Vorabend des Festes, Deines Festes, Herr Jesus Christ. Mach uns Deinen Namen deutlich und groß. Dann hoffen wir und machen uns bereit für Deine Gegenwart. Amen.
28. November
Er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen und sie werden sammeln seine Auserwähl-ten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zum anderen.
Matthäus 24,31
Die weissagenden Worte Jesu sprachen von der nächsten Zukunft, die sich für seine Jünger aus sei-nem Kreuz ergab. Er sprach vom Tempel, der in Trümmer zerfällt, vom schauerlichen Jammer, in den sich Israel hinabstürzt, von dem bangen Druck, der sich auf die wartende Jüngerschar legen wird. Dann bricht in das Dunkel der helle Strahl der Verheißung hinein: Ich komme! Hat nicht jetzt erst die Verheißung ihr eigentliches Thema erreicht, mit dem sie unsere Hoffnung beleben und un-sere Freude groß machen kann? Was kommt nun? Jetzt beginnt die neue Welt. Wie sieht sie aus? Jetzt werden der Himmel und die Erde neu; jener ist geöffnet und diese wird zur Heimat der Aufer-standenen und ewig Lebenden. Das Ohr der Jünger lauscht gespannt und bittet: nun sprich! Nun male uns das Bild des Kommenden in seiner göttlichen Schönheit und seligmachenden Herrlichkeit. In der Judenschaft Palästinas gab es damals manche, die sich mit breitem Pinsel und grellen Farben ausmalten, was dann sein werde, wenn die Heilszeit angebrochen sei. Jesus dagegen sagte seinen Jüngern nur eins: gesammelt werden dann die Erwählten von der ganzen Erde her. Dann entsteht die eine Gemeinde anstelle der zerstreuten Häuflein, die allen sichtbar gemachte Gemeinde, wäh-rend sie jetzt im Verborgenen lebt, die mit Jesus vereinte Gemeinde, die nun bei ihm ist, während sein Tod ihn jetzt von ihr trennt. Mit unfehlbarer Sicherheit kommt sie zustande ohne Irrtum und Schwankung durch den Dienst der Himmlischen, deren Posaunenschall alle herbeirufen wird, die Gottes gnädiger Wille mit Jesus verbunden hat. Nachdem Jesus das verheißen hatte, schwieg er. Das, was er den Jüngern mit diesem Wort sagte, ist die Hoffnung, die er in sie pflanzt. Er ließ ihre Hoffnung nicht auseinander flattern nach vielerlei Zielen, sondern band sie ganz und fest an ihn. Zu mir gelangt ihr, verspricht er, ihr alle, die Gottes gnädiger Wille für Gott erkoren hat; eure Tren-nung von mir endet und eure Zersplitterung endet; ich mache aus euch die geeinigte Menschheit, die in Gott ihre Einheit finden wird. Freilich hatte er den Jüngern noch viel zu sagen. Das wandte sich aber an die, denen er die Hoffnung gab, damit sie sie nicht verschleudern und verderben, son-dern das Gehoffte empfangen. Ihnen zeigt er, was jetzt in ihrem Inneren geschehen muss, weil sie seine Verheißung haben.
Mich verlangt, o Jesus, nach der einen heiligen Gemeinde, die nicht mehr zerspalten ist in man-cherlei Haufen, sondern eins in Dir, und nicht mehr gebunden ist an das, was einst die Väter taten, sondern gebunden ist an Dich, und nicht mehr sich selber verteidigt und ausbreitet, sondern willig dir dient in reinem Gehorsam. Wir Menschen schaffen die eine Kirche nicht. Du hast sie verheißen und wirst sie auch schaffen. Uns legst Du die Hoffnung in die Seele, die Dich bittet: o komm und vollende Dein Werk. Amen.
29. November
Da sie nun nahe an Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu ihnen: „Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt; und alsbald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“
Matthäus 21,1+2
Beim Beginn seines königlichen Einzugs steht Jesus in seiner königlichen Armut vor uns. Vorberei-tungen zur festlichen Feier seines Einzugs hatte er keine getroffen. Ohne Reittier war er von Betha-nien weggegangen und erst, als sie sich dem Rand des Ölbergs näherten, sandte er Jünger nach Bethphage, um ihm einen Esel zu holen. Nach dem Urteil Jesu war dies nicht Armut. Der Sohn des himmlischen Vaters ist nicht arm. Braucht er einen Esel, so steht er für ihn bereit; denn der Vater weiß, was er jetzt nötig hat. Deshalb lautet der Befehl Jesu an seine Jünger nicht: Sucht, ob ihr ei-nen Esel findet, sondern: bindet ihn los und bringt ihn her; er steht bereit. Königlich ist diese Armut, weil sie mit dem Willen Jesu, der nach der unbegrenzten Herrschaft über Jerusalem und ganz Israel und die ganze Menschheit greift, untrennbar verbunden war. Für Jesus war die Macht deshalb, aber auch nur deshalb, das Ziel seines Verlangens, weil sie ihm gegeben wird. Wie sollte er an ein Kö-nigtum denken, das er für sich begehrte und für sich erkämpfte? Auf seinem Standpunkt war dies nur Fall, Antichristentum und Bundesgenossenschaft mit dem, der die Welt beherrscht. Dass ihm aber der königliche Name mit seinem unausdenkbaren Inhalt, der die Ewigkeiten umfasst, gegeben war, bewährte er eben dadurch, dass er in der völligen Armut stand. Indem er sich auch das Kleine, auch das Reittier, das ihm jetzt dienen soll, nicht selber verschafft, sondern vom Vater empfängt, bleibt das Grundgesetz in Geltung, auf dem die ganze Sendung Jesu beruht: die Macht, durch die Gottes Herrschaft geschieht, wird nicht von Menschen begehrt und errungen, sondern gehört dem, dem sie gegeben ist. Es könnte scheinen, die Erzählung des Evangelisten über die Weise, wie der Esel geholt wurde, bleibe an Kleinlichem hängen; aber dieses Urteil wäre töricht. Die Jünger emp-fanden es mit Recht als eine große Sache, dass nicht nur die entscheidenden Entschlüsse, sondern auch die ungezählten kleinen Schritte, die die Geschichte Jesu bildeten, das heilige Gesetz sichtbar machten, unter dem der königliche Wille Jesu stand.
Deine Herrschaft zeigst Du uns, Du, der Du der Gott und Vater Jesu bist, nicht unsere Herrschaft, keines Menschen Herrschaft. Darum gibst Du uns Dein Reich durch Den, der ganz arm war und nichts hatte, als was Du ihm gabst, und ganz reich war und ist durch Dich. Amen.
30. November
Sie sprachen zu ihm: „Hörst du auch, was diese sagen?“ Jesus sprach zu ihnen: „Ja! Habt ihr nie gelesen: ,Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerich-tet?‘“
Matthäus 21,16
Das Loblied der Jünger, mit dem sie die königliche Sendung Jesu priesen, war verstummt. Die Stadt hatte es nicht gewagt, sich zu Jesus zu bekennen. Wer ihn den Christus nannte, ergab sich ihm ganz und gar und machte ihn zum Herrn über sich selbst und über die ganze Stadt und das ganze Volk. Dem Christus Gottes glaubt man, gehorcht man und erkennt in ihm den, dem alles von Gott überge-ben ist. Dazu waren auch die Frommen Jerusalems nicht bereit. Nur die Knaben wiederholten noch den jubelnden Ruf: Hosianna dem Sohne Davids! Sie waren durch die Bedenken der Alten nicht gebunden; war es nicht herrlich, dass der Christus gekommen war? Jesus war nicht betrübt, dass nur die Kinder ihn feierten. Freilich schützte ihn ihr Lob nicht vor dem Kreuz und das Schweigen der Alten verkündete das kommende Unheil. Dennoch war das Lob der Knaben Jesu Freude. Es muss sein, dass Gott gelobt wird; das ist unzerbrechliche Notwendigkeit. Wird ihm das Lob versagt, so ist das Tod; denn daran hängt der Fluch der Gottlosigkeit. Auch das, dass es nur Kinder sind, die ihn preisen, ist Gottes würdig und macht sein Reich offenbar. Indem er sich aus dem Mund der Un-mündigen die Anbetung bereitet, macht er die Größe des Menschen zunichte und füllt die Kleinheit des Menschen mit seinen gnädigen Gaben. So wird sichtbar, wozu er seinen Sohn gesandt hat und was seine Gegenwart uns bringt. Mit ihm endet alles Großsein des Menschen und sein Ruhm wird hinausgesperrt und stattdessen beginnt die Danksagung des Menschen, der Gottes Gnadengabe empfängt. Die Lehrer begriffen nicht, weshalb Jesus dem Rufen der Kleinen nicht wehre. Was hatte es für einen Sinn, wenn nur Kinder ihn priesen, während die Alten schwiegen? Jesu Antwort hat sie überrascht; denn sie macht die gänzliche Verschiedenheit sichtbar, die unsere Gedanken von denen Gottes trennt. Unsere Gedanken hängen an dem, was wir Menschen sind, wollen und leisten, und Gottes Gedanken schauen auf das, was er schafft und gibt.
Nun darf auch ich zu Dir reden, lieber Herr, denn Du hörst es, wenn die Kleinen Deinen Namen nennen, und darf Dich loben, da auch das Lob der Unmündigen Dir wohlgefällt. Du hast von Dei-ner Sendung gesagt, sie sei erfüllt, weil sie den Kleinen Gottes Gnade zeigte. Nach dieser Deiner Weise hast Du sie auch mir gezeigt. Auch die kommenden Tage werden mir nichts Großes bringen, sondern sich mit Kleinem füllen. Darum danke ich Dir, dass von Dir klein und groß nichts gilt und Du auch die Herzen Deiner Kleinen mit Deinem Lobe füllst. Amen.