Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Offenbarung an Johannes.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Offenbarung an Johannes.

Auch die neutestamentliche Gemeinde bedurfte der Weissagung. Denn das Ziel ihrer Arbeit und ihres Leidens war ihr so hoch gesteckt, daß es einem Menschenauge unerreichbar schien. Die Welt sollte Christo unterthan werden. Aber die Welt hatte bereits einen Eigentümer, der nicht auf sie zu verzichten willig war. Mit festem Griff hielt Rom alle Völker umklammert und sein Thron schien unerschütterlich und jeder Kampf mit ihm aussichtslos. Und doch standen die christlichen Gemeinden mit der Gewißheit unter den Völkern, daß Jesus auf Erden Sieger bleibe und daß die heidnische Weltherrschaft vor ihm dahinfalle. Um diese Gewißheit zu erhalten, zu reinigen und zu stärken, damit sie eine reiche Quelle der Kraft, That und Geduld für die Christenheit sei, dazu sprachen die weissagenden Stimmen in den Gemeinden und dazu schrieb Johannes sein prophetisches Buch.

Empörung, gewaltsamer Angriff und Widerstand waren der Gemeinde untersagt. Jesus hat die Politik der Kirche in das Wort zusammengefaßt: „wie Schafe mitten unter den Wölfen,“ und die erste Christenheit ist Jesus gehorsam geblieben. Auch gaben sie dem Kaiser gerne, was des Kaisers war. Die Apostel haben mit großem Ernst betont, daß die staatliche Einrichtung der Gerechtigkeit diene, und eine göttliche Stiftung und Wohlthat sei, weshalb allen Regenten williger Gehorsam zu leisten sei um Gottes willen. Deshalb konnte jedoch ein christlicher Mann von der Völkerwelt unter Roms Regiment nicht anders urteilen, als daß ihr Zustand eine unheilvolle Verderbnis und Zerrüttung sei. Das war kein Himmelreich, in dem Gerechtigkeit, Friede und Erkenntnis Gottes walteten. Das war das Tier, wie es Daniel beschrieben hatte, in schlimmster Gestalt.

Aber wie konnte der Weg der gehorsamen Unterthänigkeit und des todesmutigen Leidens über dasselbe zum Siege führen? Darauf vermochte nur die Weissagung Antwort zu geben, die den Blick nach oben richtete zum Christus auf Gottes Thron. Nur von dorther konnte die Gewißheit entspringen, daß der Glaube an Christus der Sieg sei über die Welt. Gottes richterliche That macht sie neu und Jesu unterthan.

Noch aus einem andern Grund war die Weissagung den Gemeinden unentbehrlich und ein wesentlicher Theil der apostolischen Predigt. Sie erst machte die Stellung der Christenheit zum Alten Testamente klar und fest. Die Weissagungen der Schrift haben durch Jesu Erscheinen eine große göttliche Bestätigung erfahren. Sie waren nicht dahingefallen, sondern es war der gekommen, der die ganze Schrift auf sich bezog und ihre Erfüllung übernahm. Und er hatte sich der Gemeinde bewährt als der, in welchem alle Verheißungen Gottes Ja und Amen geworden sind. Dennoch entsprach das, was die Gemeinde erlebt und empfangen hatte, nur einem kleinen Teil der alttestamentlichen Weissagung. Groß und gewaltig hatten die Propheten von der Macht Gottes geredet, die sich allen Völkern bezeugen werde, und vom Tage seines Gerichts, welches die Raubtiere von der Erde wegnimmt, und Nebukadnezars großes Bild in Staub zerbricht. Jesus dagegen hatte darauf verzichtet, Gottes Macht für sich zu gebrauchen, damit in seinem Dienen und Leiden Gottes Gnade um so heller erscheine. Aber auch er hatte die Worte der Schrift von Gottes gewaltiger Herrschaft und großem Gericht nicht ausgelöscht, sondern als neue Weissagung in die Zukunft gesetzt als Abschluß der irdischen Zeit. Es blieb somit im Alten Testament eine Weissagung übrig, die jetzt, nachdem Christus gekommen war, prophetisch erneuert und beleuchtet werden mußte. Deshalb erwächst das Buch des Johannes aus einer umfassenden Betrachtung der alttestamentlichen Weissagung. Er zitiert zwar kein einzelnes Wort eines Propheten, geht aber beständig auf die prophetischen Ausblicke und Bilder zurück und fügt sie zusammen in ein neues prophetisches Bild.

Die Form, in der die Weissagung empfangen und mitgeteilt wird, ist das Gesicht. Das Himmlische und Zukünftige gestaltet sich vor dem Auge des Propheten zu einem schaubaren Bild. Auch er kann das Unsichtbare und Kommende noch nicht in seiner eigentlichen Gestalt beschreiben, sondern er sieht es in einer gleichnisartigen Figur. Für die himmlischen Dinge ist diese Darstellungsweise die einzig mögliche. Auch Johannes kann uns den verklärten Christus nicht darstellen, wie er ist, sondern er sieht im Himmel ein Lamm oder einen Reiter oder einen priesterlich gekleideten Greis. Diesen himmlischen Figuren entsprechend werden auch die irdischen Personen und Ereignisse in figürlicher Gestalt gesehen. Die Gemeinde wird ein Leuchter oder ein im Licht strahlendes Weib, die Weltstadt eine Dirne, die Kaisermacht ein wildes Tier. Darum bedarf die Offenbarung der Deutung. Wir müssen diesen Bildern fortwährend ihre Aufschrift geben, die ausdrückt, was in ihnen sichtbar wird. Gelegentlich hat Johannes selbst deutende Winke in die Erzählung eingefügt1).

Diese Deutung mußte vielgestaltig werden und wird niemals dieselbe Sicherheit und Bestimmtheit erreichen, wie z. B. das Verständnis eines apostolischen Briefs. Wir müssen uns bei der Offenbarung zu dem, was uns gezeigt wird, selber unsere Gedanken machen, während das lehrhafte Wort der Briefe uns den Gedanken des Apostels fertig gibt. In ihren Bildern ist uns nicht schon eine vollendete Erkenntnis, sondern bloß der Stoff zu einer solchen gegeben, den wir nun selbst beschauen, durchdringen und uns aneignen müssen. Die Schwierigkeit der Deutung liegt beständig in der Frage: wo endet das Bild und wo beginnt die Sache? wie weit haben wir das Gesicht aus seiner Figur in einen dahinter liegenden höhern Sinn zu übersetzen? Auch Johannes selbst hätte uns schwerlich hierüber völlige Auskunft geben können. Auch dem Propheten wird das Bild, das er schaut, zum Gegenstand des Nachsinnens, wodurch er seine Tragweite zu erfassen sich bemüht, vgl. 1 Petr. 1,11. Die Scheidung zwischen Bild und Sache vollzieht endgültig nur der Fortgang des göttlichen Werks. Erst mit der Erfüllung wird vollständig deutlich, was Kern und was Hülle an der Weissagung gewesen ist.

Die Auffassung der Offenbarung hat sich darum in zwei Richtungen gespalten. Entweder sucht man die sorgfältige Treue gegen ihr Wort darin, daß man die Gesichte so eigentlich und so real als möglich faßt, und nur das unumgänglich Notwendige an denselben deutet. Es soll dadurch die Verflüchtigung der Weissagung in allgemeine, wenig besagende Gesichtspunkte und blasse Abstraktionen vermieden werden, oder man sucht dadurch sorgfältig und treu mit den Worten der Offenbarung zu verfahren, daß man das bildlich Gemeinte nicht eigentlich faßt, sondern vom Bilde sich auf das zurückzieht, was als dessen Wurzel und Sinn uns erkennbar ist. Man will dadurch dem vergröbernden Mißverständnis entgehen, das den geistigen Gehalt des Gesichts in's Sinnliche verkehrt. Beiden Grundsätzen schwebt eine Wahrheit vor und beide öffnen zugleich die Thüre zu einem Abwege.

Übrigens war der alten Christenheit diese prophetische Zeichensprache zugänglicher als uns, schon deshalb, weil sie sich mit der alttestamentlichen Weissagung eifrig beschäftigte. Dadurch waren ihr eine große Zahl von Bildern der Offenbarung sofort durchsichtig und inhaltsreich. Sodann haben auch die Nachahmungen der prophetischen Schriften, namentlich Daniels, die in der Judenschaft ziemlich zahlreich entstanden und auch in der Christenheit gern gelesen wurden, eine ähnliche Zeichensprache verwandt2). Dem Stile nach schließt sich Johannes an diese Schriften nahe an. Und auch die mündliche Prophetie in den christlichen Gemeinden wird oft in eine ähnliche Hülle gekleidet gewesen sein. Vor allem war aber der ersten Christenheit die Offenbarung deshalb wirklich eine Offenbarung, weil sie der prophetischen Stärkung bedürftig war. Wer satt und befriedigt in und für die Gegenwart lebt, bedarf keinen prophetischen Trost. Für ihn wird die Weissagung ein müßiges Spiel, das der Neugier dient, und dies ist der sicherste Weg sie mißzuverstehen. So wird sie entweder in einen phantastischen Zukunftstraum verwandelt oder als leer und thöricht bei Seite gelegt. Nur der braucht Weissagung, der mit seiner Arbeit weit über die Gegenwart hinaus greift, der sein Leben an die Zukunft hängt und darum unter der gegenwärtigen Gestalt der Dinge leidet und mit ihr kämpft. Die erste Christenheit setzte ihr Leben an das, was künftig ist; darum verstand sie den prophetischen Trost.

Die Überschrift, 1, 1-8,

spricht den hohen Wert dieser Weissagung aus. Sie ist Gottes Wort, von ihm Christo für seine Gemeinde gegeben, und von Christus Johannes mitgeteilt. Die jüdischen Nachahmungen der alten Prophetie waren seit Daniel alle namenlos. Wer seine Hoffnung öffentlich aussprechen wollte, verbarg sich hinter der Gestalt eines Alten, Henoch‘s, Mose's, Esra's u. s. w. Hier erhalten wir wieder eine Prophetie, die der Weissagende mit seinem Namen bekräftigt3). Auch hat das Buch eine bestimmte Adresse. Sieben Gemeinden des westlichen Kleinasiens sind die Empfänger desselben. Johannes begrüßt sie mit einer reichen Aufzählung der Gaben Gottes, die ihnen zugefallen sind. Aus dem, was sie durch Christus empfangen haben, erwächst die große Hoffnung, welche die Weissagung ihnen vorhalten darf. Und nun folgt gleich das Kernwort des ganzen Buchs: Jesus kommt mit der Macht über die ganze Welt, und Gott steht wie am Anfang als Schöpfer, so auch am Ende des Weltlaufs als dessen Vollender, der alles zu sich zurückleitet und mit seinem Willen und Wesen erfüllt.

Das einleitende Gesicht: Christus spricht das Urteil über seine Gemeinden. 1,9.-3,22.

Der Hauptteil des Buchs wird darstellen, wie Jesus die Welt als Sieger und Richter sich unterthan macht. Aber der Apostel lenkt den Blick nicht nur nach außen auf das Gericht Christi über das Juden- und Heidentum. Die Weissagung baut sich nach der Regel auf, daß das Gericht am Hause Gottes beginnt. Die Gemeinden sollen zuvörderst für sich selbst festhalten, daß sie der Macht Christi untergeben sind und daß er in der Majestät Gottes mit ernstem Gericht sie reinigen wird. Jesus geht als eine erhabene Gestalt unter den sieben Gemeinden umher, die in Gesicht mit einem für ihren hohen Beruf bedeutsamen Zeichen als Leuchter erscheinen. Für jede hält er einen Stern, einen Engel, in seiner Hand, der wohl als Bote zwischen dem himmlischen Christus und der auf Erden lebenden Gemeinde aufzufassen ist. Ihm thut Christus sein Urteil über jede Gemeinde kund. Er erkennt freundlich alle Treue des Glaubens, des Werks und des Leidens an, die sie seinem Namen erweisen; aber über alle Unsauberkeit und Lauheit spricht er das ernste Strafwort4), und fordert die volle ausharrende Hingabe bis in den Tod mit dem Blick auf die Erhebung zur vollen Gemeinschaft mit ihm.

Der Hauptteil des Buchs ist eine zusammenhängende Reihe von Bildern:

Jesus macht die Welt sich unterthan. 4-20.

Christus allein kennt und vollstreckt Gottes Rat. Das einleitende Gesicht versetzt uns in den Himmel. Der Thron Gottes wird sichtbar, umringt von einer Fülle von Leben als die Stätte einer vollkommenen immerwährenden Anbetung. Allein die Schrift, die Gottes Rat und Urteil enthält, ist noch versiegelt, und niemand kann sie öffnen. Der, welcher Gottes Spruch an der Welt vollführt, findet sich nicht in den Reihen der Engel, noch der Ältesten, der himmlischen Repräsentanten der Gemeinde Gottes. Nun tritt Christus vor Gottes Thron, nicht so wie das erste Bild ihn in die Mitte der Gemeinden stellte, mit den Abzeichen der königlichen Macht und Majestät, sondern als Lamm. Dieser Wechsel in der Darstellung Christi ist bedeutsam. Vor Gott steht Jesus als der, der sich selbst auf Erden geopfert hat. Alle Macht und That des himmlischen Christus ist mit seinem Kreuz verknüpft als die Folge und Frucht seines heiligen Opfers auf Erden. Er löst nun die sieben Siegel an Gottes Rat. 4 u. 5.

Wie Jesus die Siegel im Himmel löst, entwickeln sich die Dinge auf Erden. Es wechseln deshalb fortwährend himmlische und irdische Scenen. Zwischen beiden besteht ein großer Kontrast. Unten wird's furchtbar; Not und Tod regieren unten. Oben waltet die feierliche Ruhe einer ungestörten Anbetung. Zum untern Bild das obere, zum obern das untere zu fügen, darin liegt ein wesentlicher Zweck der Weissagung. In den Katastrophen, die über die Welt gehen und unter denen die Gemeinde mitleidet, soll diese das Loblied hören, welches bei Christo vor Gottes Thron voll und hell ertönt. Sie soll wissen, daß jene bittern Dinge deshalb kommen und kommen müssen, weil Christus den Rat Gottes zur Vollziehung bringt.

Bei den vier ersten Siegeln reiten die vier Reiter, der große Sieger, der Krieg, der Hunger und der Tod durch die Welt. Beim fünften Siegel werden die Stimmen der Märtyrer hörbar, deren Seelen am Altar Gottes ausgegossen sind, und die bei Gott ihren Rächer suchen. Und das sechste Siegel bringt die völlige Welterschütterung und versetzt die Völker in tiefe Angst. 6.

Dieses Gesicht steht mit den weissagenden Abschiedsworten Jesu auf dem Ölberg in enger Beziehung. Auch dort füllen Krieg, Hunger und Pest und das Martyrium der Jünger die nächste Zukunft aus, bis mit der großen Welterschütterung das Zeichen der Ankunft Jesu erscheint. Die Übereinstimmung ist noch vollständiger, falls wir den ersten siegreichen Reiter mit dem weißen Roß auf den Siegeslauf des Evangeliums unter den Völkern deuten dürfen. Auch in den weissagenden Worten Jesu gehört die Verkündigung des Evangeliums unter allen Völkern neben den großen Erschütterungen zum Charakter der Zeit nach seinem Tod.

Nur noch ein einziges Siegel ist übrig; dann ist das Geheimnis des göttlichen Rats enthüllt. Ehe dasselbe gelöst wird, wird uns gezeigt, wie es der Gemeinde Gottes in diesen schweren Nöten geht. In zwei Bildern wird uns ihre Sicherheit und Seligkeit gezeigt. Zuerst wird ein vollzähliges Israel, 12 mal 12 Tausend aus jedem Stamm, mit dem Siegel Gottes versehen und kein Lüftlein darf wehen, bis sie das Siegel empfangen haben, das sie unverletzlich macht. Darauf erscheint vor dem Throne Gottes und des Lamms die unzählbare Schaar aus allen Völkern5). 7.

Jetzt fällt das letzte Siegel. Schon das sechste brachte den Weltbau in's Schwanken und die Völker in Angst. Man könnte erwarten, das Ende breche alsbald herein. Aber es häufen sich nochmals die Vorzeichen und sie werden dringlicher. Die sieben Engel vor Gottes Thron treten mit Posaunen hervor. Der Posaunenstoß verkündigt mit aufweckender Kraft das Nahen des Siegers. Mit der Posaune der Engel verbindet sich auf Erden das Gebet der Gemeinden, das sich auf Gottes Altar als heilige Rauchwolke erhebt, und von oben dadurch die Antwort empfängt, daß heilige Glut vom Altare auf die Erde hinabgeworfen wird. 8,1-5.

Die himmlischen Posaunenstöße werden auf Erden vernommen in der Gestalt schwerer Gerichte, welche die Erde, das Meer, die Quellen und Flüsse, und die Gestirne treffen, doch mit Maß, so daß sie nicht ganz verdorben werden. Dann folgt der teuflische Heuschreckenschwarm und das schreckliche Reiterheer vom Euphrat her. 8,6-9,21.

Was wollen diese gehäuften Gerichtsbilder sagen? Daß wir uns Gottes Gericht nicht ernst und groß genug denken können, daß seine Gerechtigkeit viele Waffen hat und nicht umsonst die Allmacht neben sich hat, daß die Menschheit eine Schuld auf sich hat, welche die schwerste Ahndung verdient, daß die Gemeinde, je gewaltiger Gott eingreift, ihre Zuversicht um so höher heben darf, weil erst die großen Gerichte Gottes große Gaben bringen.

Nur der letzte Posaunenstoß steht noch aus; aber die Weissagung hält nochmals inne. Ein Engel bringt mit feierlicher Bezeugung, daß keine Zeit mehr ausstehe, Johannes, wie einst Ezechiel, ein Buch, das er im Gesichte ißt. So ist er zu neuer Weissagung befähigt, und diese breitet sich erst jetzt recht aus. 10.

Ehe der letzte Posaunenstoß ertönt, wird uns das Geschick Jerusalems gezeigt. Der Tempel Gottes mit den im innern Hofe. Anbetenden wird gemessen und als unantastbar abgesondert. Der äußere Vorhof dagegen wird verworfen und Jerusalem das Eigentum der Heiden. Gott hat in Israel eine wahre Gemeinde, die er sich erhält; aber das fleischliche Israel fällt unter sein Gericht. Aber auch an ihm bewährt sich die Treue Gottes. Er gibt ihm zwei wunderbare Zeugen, die wie Mose und Elia beschrieben werden. Sie unterliegen, werden getötet, aber von Gott auferweckt, und ein Erdbeben rächt ihren Tod. 11, 1-14.

Nun folgt der letzte Posaunenstoß und wir hören die Himmlischen Gott ob seinem richterlichen Walten preisen. 11,15-18.

Ehe aber die den Abschluß bringende That Gottes beschrieben wird, wird uns zuerst dargestellt, wie sich die Dinge auf Erden gestaltet haben und was für Kräfte hier wider einander stehen. Auf der einen Seite steht Gottes Gemeinde, dargestellt in einem mit der Sonne bekleideten Weib. Sie hat den Teufel zum grimmigen Feind. Das Kindlein, das aus ihr hervorgegangen ist, Jesus, wollte er verderben; aber es wurde zu Gottes Thron entrückt. Auch die Gemeinde kann er nicht zerstören, da sie vor ihm in der Wüste geborgen wird. Er wird aus dem Himmel weggetrieben und hat als Verkläger der Menschen nicht mehr Raum und Recht vor Gott. Und ob er auch die Gemeinde auf Erden verfolgt, so ist er doch ohnmächtig trotz seines Grimms. 11,19-12,17.

Auf der andern Seite steht das Tier mit den sieben Häuptern, an dem das eine Haupt todwund und wieder heil geworden ist. Dadurch zieht es aller Menschen Bewunderung auf sich und aus derselben wird ein förmlicher, dem Teufel geleisteter Gottesdienst. Mit der Christenheit beginnt das Thier einen großen Kampf. 13,1-10.

Die deutenden Winke des Apostels, 17, 9-11, setzen das Tier in enge Beziehung mit der römischen Kaisermacht. Der kaiserliche Hof hatte vor aller Welt Augen gezeigt, was für ein Inbegriff von Abscheulichkeiten ein Mensch werden kann. Es war dies um so giftiger und verderblicher, weil die kaiserlichen Persönlichkeiten und ihre Macht gleichzeitig der Gegenstand einer tiefen Verehrung und förmlichen Anbetung blieben. Vor dem Bilde Nero's knieten die Völker. Es war eine Zerrüttung und Verderbnis der höchsten Empfindungen und Triebe der Menschen, die nahe bis zum direkten Teufelsdienst heruntersank. Der Apostel weissagt, daß dies nicht der Gipfel der Bosheit sei, wohl aber dessen Vorstufe und Vorbereitung. Es war noch immer etwas Aufhaltendes dabei; denn die Ruchlosigkeit der Kaiser brachte ihnen selbst den Untergang. Nero endete blutig. Wenn aber dieser hemmende Riegel wegfiel, wenn das zum Tod getroffene Haupt wieder heil ward, dann war der Gipfel der Bosheit da, und der Zauber gefunden, der die Völker ihr nachriß und an sie verknechtete. Johannes stellt Christo, dem von Gott gesetzten Haupt der Menschheit, der sein Reich ebenfalls dadurch erworben hat, daß er in den Tod sank und wieder in's Leben trat, ein teuflisches Abbild gegenüber. Auch die Bosheit triumphiert erst dann, wenn sie sich als Macht über den Tod erweist6).

Neben diesem Tiere wird noch ein anderes Tier sichtbar, das in seiner Gestalt dem Lamme, in seinen Worten der Schlange gleicht, das große Wunder thut und die Völker zur Anbetung des gegen Gott aufstehenden Herrschers treibt. Christi Reich steht nicht nur die brutale Gewalt eines Nero entgegen, sondern dieselbe ist durch geistige Kräfte, religiöse Trugbilder und überirdischen Glanz, durch ein falsches Prophetentum begleitet und gestützt. 13,11-18.

Aber der Gemeinde Gottes thun seine Widersacher keinen Schaden. Das Lamm steht auf dem Zion, umringt von der vollen Zahl des heiligen Volkes in reiner Jungfräulichkeit. 14,1-5.

Nun folgt der Sieg in diesem großen Kampf. Himmlische Stimmen verkünden das nahende Gericht, und die Sicheln werden zur Erde herab geworfen. Der Acker wird geschnitten, die Trauben werden gekeltert, und der große Blutstrom fließt über die Erde. 14,6-20.

Unter dem Loblied derer, die im Kampf mit dem Tiere überwanden, treten sieben Engel hervor, die den Zorn Gottes auf die Erde gießen. Während der Posaunenstoß erst warnte, entströmt nun der Zornesschale die richtende Gottesthat. Wie schon bei den Posaunen, leiht auch hier Gottes Sieg über den Pharao in Ägypten zu Mose's Zeit dem Gerichtsbild die Farben. Geschwüre am Leibe der Menschen, Verwandlung des Meeres in Blut, ebenso der Flüsse und Quellen, Entzündung der Sonne zu quälender Hitze, Finsternis über dem Reiche des Tieres treffen die Welt und bringen doch keine Buße hervor. Über den Euphrat bricht das Völkerheer herein und ein Erdbeben und Hagel zerstören Jerusalem und die heidnischen Städte. 15 u. 16.

Rom erscheint als die große Dirne, die mit unreiner Lust aller Völker Herz verdarb und das Blut der Heiligen trank. Die Könige vereinigen sich gegen sie und zerstören sie. Im Himmel wird Gott darob gedankt und auf Erden erhebt sich das große Klagelied um sie. 17 u. 18.

Nun bricht der Festtag an, da Christus mit seiner Gemeinde sich vereinigt. Er erscheint als der große Held und Streiter. Der Antichrist und sein Prophet werden in den Feuersee geworfen und Jesu Wort rafft sein Heer dahin. 19.

Damit ist das Höchste erreicht, was auf der Erde Raum hat. Für sie kommt nun die Friedenszeit; denn sie wird von der verderblichen Wirkung des Teufels befreit. Wer dem Tiere sich nicht unterwarf, tritt jetzt schon durch die Auferstehung ins vollkommene Leben. Aber der ewige Friedewohnt wohnt nicht auf der Erde. Ihr großer Sabbath wird, wie im Anschluß an Ezechiel geweissagt wird, durch einen letzten Kampf der Völker gegen Gottes Gemeinde abgebrochen. Nun ist das Maß des Teufels voll. Es kommt über ihn das ewige Gericht und der Tod wird vollständig abgethan. Alle erwachen ins ewige Leben oder werden begraben im Feuersee. 20.

Das letzte Gesicht: Die ewige Gemeinde. 21 u. 22.

Was das Ziel und die Frucht aller Gerichte und Wunder Gotte bildet, zeigt uns das letzte Bild. Ein neuer Himmel und eine neue Erde umschließen ein von oben gekommenes Jerusalem, das in seiner Gestalt, seinen Maßen und allen seinen Teilen die Herrlichkeit jenes Lebens abbildet, das mit Gott ohne Trennung in Gemeinschaft steht. 21,1-22,5.

Das Schlußwort heißt den Ernst der Weissagung bedenken und mahnt, sie zur Heiligung zu gebrauchen, und verwandelt das Hauptstück der Verheißung, daß Christus bald kommen werde, in ein inniges Gebet. 22,6-21.

Was ist von dieser Weissagung in Erfüllung gegangen? Genug, um die prophetische Erleuchtung des Apostels deutlich zu machen. Die Gemeinde Jesu hat den Sieg behalten. Jerusalem ist von den Heiden zertreten worden. Der Kampf Roms mit der Kirche ist blutig geworden; aber weder die Schlange noch das wilde Tier haben sie zerstört. Für Rom sind die bitteren Tage gekommen, wo die römische Kaisermacht versank. Uns, die wir schon längst die Erfüllung dieser Dinge vor uns haben, mag das wenig dünken; es waren dies aber große Erkenntnisse, so lange sie noch weissagende Blicke in die Zukunft waren. Wir sehen freilich alle ohne Mühe, daß Jesu Name nicht mehr aus der Welt verschwinden wird. Damals stand es anders, als das Heidentum, gestützt von der alles niederdrückenden römischen Macht, den ganzen Raum der Weltgeschichte ausfüllte und die kleinen Christenhäufchen noch ganz im Verborgenen stunden, außer etwa, wenn rohe Beamte oder Pöbelhaufen sie abschlachteten. Damals das Siegeslied anzustimmen und den römischen Weltherrn an das zerfallene Babel zu erinnern, das war Prophetie. Für die, welche still, nüchtern, leidenswillig und entschlossen, alles zu opfern, nur Gott nicht zu verleugnen, in diesem Kampf standzuhalten hatten, war sie eine unschätzbare Gabe. Für sie war es von Bedeutung, daß sie wußten, wer hier Sieger bleiben wird. Es wäre ein thörichtes Wort, wollten wir sagen: dieses gewaltige Gerichtsbild, die rächenden Reiter und das Schwanken des Weltbaues und die donnernden Posaunen und die verheerenden Zornesströme paßten nicht zur Nüchternheit und zum Frieden, der sonst das Neue Testament erfüllt. Als wäre nicht gerade die lebendige Hoffnung und die Gewißheit des Sieges die Wurzel und Quelle für diese friedevolle Ruhe. Das gerade machte die apostolischen Männer ruhig in jedem Kampf, zufrieden in jedem Leiden, nüchtern und fleißig zu jedem guten Werk. Mahnt etwa Johannes die Christenheit zu menschlicher Vielgeschäftigkeit? Spricht er von Schwertergerassel und Verschwörungen oder auch nur von leidenschaftlicher Predigt und stürmischen Weherufen? Mit den Palmen in den Händen und der Anbetung Gottes im Herzen stellt er die Gemeinde neben das Lamm. Das ist ihre Stellung und ihr Amt in der Welt. Nicht der menschliche Arm und nicht das Rennen und Laufen der Christenheit gewinnt den Sieg über die Welt. Gott führt Christi Sache. Damit die Gemeinde sich freudig Gottes getröste und ihm ihre Sache übergebe als dem gerechten Richter, der ihr Recht an's Licht bringen wird, dazu sprach die Weissagung.

Aber blieb nicht die Hauptsache unerfüllt, daß der Herr bald komme? Dieses „bald“ durchdringt alle Gesichte und macht, daß die Fristen überall kurz bemessen sind. Nur acht Häupter werden dem Tiere zugeteilt, 17,11. Die letzte Gestalt der Bosheit ist wahrscheinlich direkt mit Nero zusammengefaßt. Die Zeugen, die Gott nochmals Israel sendet, sind nahe an den Fall der Stadt herangerückt. Die Zornesströme bringen jählings Schlag um Schlag das Gericht zu seinem Vollzug.

Dieses „bald“ findet sich im ganzen Neuen Testament. Jesus hat es ausgesprochen, vgl. Luk. 18,1-8, Paulus nicht minder, vgl. Röm. 13,11.12. Es macht nicht ein besonderes Kennzeichen der Offenbarung aus. Es entspringt aus dem glaubensvollen Blick auf Gottes Macht und Gnade. Es drückt die Bereitwilligkeit Gottes aus, uns seine vollkommene Gabe und die ewige Lebensfülle zu verleihen. Es besagt, daß es nicht an Gottes Macht und Güte liegt, wenn die Dunkelheit, Not und Bosheit des irdischen Zustands fortdauern. Weil dieses „bald“ nicht ein Wort der Ungeduld, sondern des Glaubens war, der Gottes allmächtige Gnade ergreift, darum hat es auch die Willigkeit bei sich, Gott walten zu lassen und aus dem Fortgang seiner Regierung Weisung und Berichtigung zu holen. Übrigens ist trotz der langen Zeit, die uns von der Weissagung der Apostel trennt, das letzte Wort über dieses „bald“ noch nicht gesprochen. Wir wissen nicht, ob nicht Gott mit einer unerwartet plötzlichen Wendung in unsere irdischen Verhältnisse eingreifen und sie mit seiner Herrlichkeit in einer Weise erfüllen wird, die dem „bald“, der apostolischen Weissagung noch eine ungeahnte Bestätigung bringen kann7).

Was Johannes bald verheißt, Jesu Offenbarung und Sieg und den Anbruch des ewigen Lebens, umspannt das Diesseits und das Jenseits, die Kirche und die Menschheit, den Lebensausgang der Einzelnen und die Endgestalt des Weltganzen. Wissen wir, ob es sich nicht teilweise erfüllt hat und fortgehend erfüllt, ob Jesus nicht bald zu seinen Jüngern kam, so daß sie bei ihm waren in seiner Herrlichkeit, ob nicht bald eine große Schar um ihn versammelt war als ein himmlisches Jerusalem, ob nicht Gottes Gericht bald die wider ihn Streitenden ergriffen hat und sein Zorn sich eilends über sie ergoß? Die Weissagung schaut stets auf's Endziel Gottes hin; so gibt sie uns einen Blick in's Ganze. Ihr Horizont für das, was vor diesem Endziel liegt, bleibt dagegen beschränkt. Auch die Weissagung des Johannes hat teil am „Stückwerk“ aller Prophetie und bedarf der Ergänzung und Erneuerung, gleichwie er selbst die alttestamentliche Prophetie ergänzt und erneuert hat.

Die Zeit, in welche die Offenbarung fällt, läßt sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Im Gesicht erhält der Prophet den Befehl, den Tempel abzumessen, wie weit die Zerstörung vordringen dürfe und wo sie inne zu halten habe, 11,1 ff. Das führt vor die Zerstörung Jerusalems. Die fünf Häupter des Tiers, die gefallen sind, 17,10, deuten auf die Zeit kurz nach Nero's Tod. Damals als in Judäa der letzte Kampf begonnen war, und die apostolischen Männer Jerusalem verlassen hatten, als über die römische Gemeinde das Bluturteil Nero's ergangen war und Paulus und Petrus ihr Leben für Jesus dahingegeben hatten, als für die jüdische, wie heidnische Christenheit der Horizont so dunkel war, wie noch nie, da schrieb Johannes sein Gerichtswort über die Welt und seine Siegesbotschaft von Jesu Reich8).

In alter und neuer Zeit ist die Frage oft erwogen worden, ob das vierte Evangelium und die Offenbarung vom selben Apostel stammen können, ob uns ein und derselbe Mann so von Jesu Wandel auf Erden erzählen und zugleich so weissagen konnte. Wir müssen aber bei Johannes besonders vorsichtig sein, wenn wir den Umkreis seines inneren Lebens umgrenzen wollen. Er hat das wunderbarste erlebt, was es je auf Erden zu erleben gab. Er hat die Freundschaft Jesu genossen und den tiefen Eindruck von der Majestät seiner Einigkeit mit Gott in sich getragen. Er hat ihn sodann am Kreuze gesehen. Dann hat er mit der Gemeinde Jerusalems den Kampf mit Israels Unglauben durchlebt. Unter den Männern, die ihre Seele am Altar Gottes ausgossen, war auch sein Bruder. Dann trat er zur Heidenchristenheit und hatte ihren Glauben und ihre Leiden vor Augen und sah zugleich die fürchterlichen Dinge in Rom als Zeitgenosse mit an. Welch einen Kreis umspannt dieses Leben! Die Welt konnte ihm nicht anders als finster erscheinen; er hat sie in ihrer für den Zorn Gottes reifen Gestalt gesehen. Aber zugleich war er auch zubereitet zum Loblied mitten unter den göttlichen Gerichten. Er hatte es erlebt, wie Gottes Werk dennoch unversehrt geblieben ist und wunderbar in die Höhe drang. Wir werden uns nicht wundern dürfen, wenn Johannes nicht nur einmal, sondern mehrfach und in eigenartiger Weise zu den Gemeinden geredet hat9).

Das Evangelium und die Offenbarung berühren sich in manchen wesentlichen Charakterzügen eng. Wie schaut das Evangelium auf die Menschheit? Sie ist ihm begraben in tiefer Schuld und Not. Die Welt liegt im Argen. Sie ist eine Region der Finsternis und des Todes, wo man Gott nicht kennt und das Leben nicht hat. Darum vergeht sie mit ihrer Lust. Solche Sprüche sind nichts anderes als die lehrhafte Zusammenfassung und Auslegung zu dem, was die Posaunen und Zornesschalen der Offenbarung sagen. Dürfen wir etwa vom Evangelisten einen lieblicheren Namen für Rom erwarten als den einer großen Hure, die mit ihrem Glanz aller Völker Herz verführte und vergiftete? Gewiß gibt's im Evangelium Schafe Christi unter allen Menschen; nicht weniger gibt's in der Offenbarung überall, auch in Rom, Leute, die ein weißes Gewand besitzen, das im Blute Jesu hell geworden ist. Aber der Fürst der Welt ist auch im Evangelium der Teufel. Und der Mann, der zu den Juden, die sich gegen Jesus erheben, sagt: euer Vater ist der Mörder von Anfang an, hat von Nero nicht anders geurteilt, als wie es in der Offenbarung steht: das ist ein Tier, das aus dem Abgrund stammt.

Mit erhabener Schärfe zieht das Evangelium die Scheidelinie zwischen den beiden Reichen, in die sich die Menschheit teilt. Hier steht Jesus mit seiner Gemeinde im Licht, in der Wahrheit, im Leben, in der Liebe, geeint mit Gott; dort steht die Welt in der Finsternis, in der Lüge, im Tod, im Hassen und Morden, vom Teufel gestaltet und regiert. Und beide sind gänzlich von einander getrennt. Mittelformen und Zwischenzustände erkennt Johannes nicht an. Aber dieselbe Scheidelinie läßt uns auch die Offenbarung sehen. Hier steht Christus und seine Gemeinde, ohne Makel, in seliger Anbetung, zu Gott herzugebracht. Dort steht die Welt, dem Zauber unterthan, das Häßlichste anbetend, mit Blut befleckt, unter Gottes Zorn.

Schaut Johannes auf Jesu irdische Lebenszeit zurück, so ist er erfüllt von seiner stillen Majestät voller Gnade und Wahrheit, die ihn zum Boten der göttlichen Liebe für uns macht. In der Offenbarung tritt Christus mit dem flammenden Auge und dem Schwert in seinem Munde und dein ehernen Fuß zu seinen Gemeinden, und über die Welt kommt er als der große Held im Streite, dem falschen Weltherrscher und seinem Heere zur Vernichtung. Allein die Offenbarung predigt doch wahrlich nicht bloß Gottes Zorn, sondern gibt uns die allerhöchste Verheißung. Alle Gerichte dienen ja nur dem Rat der Gnade, eine selige und heilige Menschheit zu schaffen in ewiger Vollendung. Und diese Gnade ist nicht etwas bloß Zukünftiges. Sie ist der unzählbaren Schar, die um Christus gesammelt ist, jetzt schon zu eigen gegeben und wird im Himmel und auf Erden schon jetzt zum Grunde eines unaufhörlichen Danks.

Und die Liebe Christi, die uns das Evangelium beschreibt, ist sehr ernst. Sie kann das Himmelreich auch verschließen und thut nicht zärtlich mit den Menschen, weil der Christus, den uns der Evangelist beschreibt, darauf schaut und darin seine Freude hat, daß er des Vaters Werk vollbringe, und das Werk des Vaters umfaßt auch das Gericht, vgl. Joh. 5,20-22. Es gehört zum Kern und Wesen des apostolischen Wortes, daß, je mächtiger und freudiger die Gabe Gottes erhoben und gepriesen wird, um so gewaltiger auch der Widerstand Gottes gegen alle Bosheit und die Macht seines Gerichts zur Bezeugung kommt. Darin beruht die Größe des Evangeliums wie der Offenbarung in gleichartiger Weise. Wenn uns Johannes Jesus beschreibt, so stellt er neben seine sanftmütige Freundlichkeit und die Fülle seiner Liebe im Verkehr mit seinen Jüngern die unerbittliche Festigkeit, mit der er der Judenschaft widersteht und sie versinken läßt. Und als Johannes weissagte, da hat er den Gemeinden nicht bloß zugerufen: die Friedenszeit kommt und Gottes ewige Stadt, sondern er hat gesagt: zuerst der Zorn und dann die Gnade, zuerst die Zertrümmerung alles dessen, was auf Erden sich hoch und stolz gegen Gott erhebt, und die Zerstörung alles dessen, was hier teuflisch ist, und dann kommt Gottes Wohnung unter uns.

Wenn uns Johannes über die Abschiedsworte Jesu Bericht erstattet, so hebt er an seiner Verheißung nur das hervor, was den Kern und Mittelpunkt derselben bildet: ich komme zu euch; ich lasse euch nicht verwaist; unser Verbundensein bricht nicht ab; ich bin der lebendige Weinstock, der seine Schosse hält und nährt; bleibt auch ihr in mir. Und Johannes deutet an, daß wir das Kommen Christi auch darin erfahren, daß er durch seinen Geist bei uns Wohnung macht. Dagegen gibt uns Johannes im Evangelium keinen Blick in die Weltgeschichte, keine Weissagung über den Fall Jerusalems und Christi Offenbarung vor der ganzen Menschheit, ähnlich wie es die Abschiedsworte Jesu bei Matthäus thun. Wohl aber setzt die Offenbarung die Weissagung Jesu, welche uns die ersten Evangelien geben, fort. Deshalb unterliegt es jedoch keinem Zweifel, daß nicht auch der vierte Evangelist jene Worte Jesu im Herzen trug. „Wenn ich will daß dieser bleibe, bis ich komme“ - ein solches Wort hob seine Gedanken mächtig zur Zukunft empor und entzündete jene Bitte, mit der die Offenbarung schließt: ja, komm! Auch das ist gewiß, daß der Evangelist die weissagenden Worte der Schrift gerade wie der Verfasser der Offenbarung in der vollen Gewißheit las: „die Schrift kann nicht gebrochen werden“, Joh. 10,35. Wenn uns Johannes in den Abschiedsreden Jesu nur die schlichte Zusage gibt: sei getrost, ich gehe zum Vater und komme wieder zu euch, so hängt dies mit der ganzen Art des vierten Evangeliums zusammen. Es möchte uns den Kern am Wort und Wirken Jesu zeigen, und geht an allem vorbei, was nur vorbereitende Bedeutung hat, damit wir das Wesentliche sehen in dem, was Jesu Erscheinung uns für immer gebracht und erworben hat. Der Stern aller neutestamentlichen Verheißung, auch der Offenbarung des Johannes, ist freilich dies, daß Jesus uns sich zeigt und gibt zu einer Gemeinschaft, die kein Ende findet, so daß uns in seiner Kenntnis Anteil an Gottes ewigem Leben gegeben ist.

1)
Vgl. 1,20. 11,8. 17,9.10.
2)
Von dieser Art waren die im Brief des Judas zitierten und Seite 487 Anmerk. genannten Bücher.
3)
Als Ort, wo die Weissagung empfangen wurde, ist 1,9 die kleine Insel Patmos im ägäischen Meer genannt. Schon früh hat man in den Worten gefunden, daß Johannes dorthin als Bekenner Christi verbannt worden sei. Ganz sicher ist diese Deutung nicht: „Ich war auf der Insel Patmos wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses Jesu“, kann auch heißen: um Gottes Wort und Jesu Zeugnis dort zu empfangen, so daß er in die Stille und Einsamkeit von Patmos geleitet wurde, um dort die prophetischen Gesichte zu sehen und aufzuzeichnen. Vgl. V. 2.
4)
Es werden bestimmte Störungen in den Gemeinden verurteilt, die symbolisch mit den Namen Bileam und Isebel bezeichnet sind, also als falsche Prophetie und als Vermischung des Gottesdienstes mit Heidentum. Vgl. 2,14.20. Das läßt an ähnliche Erscheinungen denken, wie wir sie in Kolossä und in den Pastoralbriefen fanden. Mit besonderem Nachdruck wird der Genuß der Götzenopfer und die Unzucht gestraft. Das waren überall die praktisch wichtigen Punkte, an denen die Trennung vom Heidentum bewährt wurde. Wer sich nicht völlig vom alten heidnischen Wesen schied, der nahm noch hie und da an Dingen des heidnischen Kultus teil und blieb mit der alten Unkeuschheit verflochten.
5)
Wie verhalten sich beide Bilder zu einander? Entweder stellen beide Bilder die Gemeinde Jesu dar, zuerst in alttestamentlicher Symbolik mit dem Rückblick auf Gottes Werk in Israel, so daß gesagt wäre, nun sei die Zeit da, wo das wahre und vollzählige Israel entsteht, worauf das zweite Bild den Unterschied hervorheben würde zwischen der neuen Gemeinde und der alten, weil sie jetzt zu ihrer Weite und Fülle unter allen Völkern gelangt. Oder die beiden Bilder unterscheiden zwei verschiedene Teile der Kirche, zuerst Gottes Gemeinde in Israel, dann diejenige unter den Heiden, so daß das erste Bild eine besondere Verheißung für Israel enthält. Dieselbe würde sich mit dem weissagenden Wort des Paulus berühren: „ganz Israel wird gerettet werden“, Röm. 11,26. Schon diese Berührung mit Paulus zeigt, daß uns dieser Abschnitt auch bei der letztern Fassung kein Recht gäbe, Johannes jüdischen Sinn zuzuschreiben.
6)
Johannes nennt nicht den Namen dieses Weltherrschers, sondern die Zahl seines Namens, 13,18. Im Hebräischen und Griechischen waren die Buchstaben zugleich die Ziffern. Es ließ sich also jeder Name auch als eine Zahl aussprechen. Nun ist entweder dem Apostel der Name selbst ein Geheimnis gewesen, und nur die Zahl trat ihm im Gesicht als ein Wink für die Zukunft bedeutsam vors Auge. Oder er hat einen Namen in diese Zahl übersetzt. Im letzteren Fall werden wir den Namen unter seinen Zeitgenossen zu suchen haben und dann ist am wahrscheinlichsten, daß er an Nero denkt. „Kaiser Nero“, hebräisch geschrieben, ergibt 666.
7)
Auch die alttestamentliche Weissagung sagte, daß der Herr rasch und plötzlich zu seinem Tempel kommen werde. Und die Zeit dehnte sich dennoch in die Länge. Schließlich kam er aber so unerwartet, daß Jesus den Pharisäern sagen mußte: seht doch! das Himmelreich hat euch überrascht. Vgl. Mt. 12,28.
8)
Schon im 2. Jahrhundert haben griechische Lehrer gesagt, daß Johannes in hohem Alter unter Domitian die Offenbarung geschrieben habe. Diese Vermutung wird daraus entstanden sein, daß man das weissagende, aufs Ende blickende Wort des Apostels sich gerne am Ende der neutestamentlichen Zeit und als die letzte unter den apostolischen Schriften vorgestellt hat. Zugleich verband man den als Verbannung gefaßten Aufenthalt des Johannes in Patmos mit der Christenverfolgung unter Domitian. Wenn Johannes wirklich durch einen römischen Richter nach Patmos geschickt worden ist, so kann dies auch im Jahr 68 oder 69 geschehen sein,
9)
Die Sprache beider Schriften ist ziemlich verschieden. Die Offenbarung nimmt sich wie eine Übersetzung aus dem Hebräischen aus, und sie ist wohl auch übersetzt, nicht aus einem Buch, wohl aber aus dem hebräischen Gedanken des Apostels, den er nur für die Gemeinden griechisch faßt. Der Unterschied in der Sprache erlaubt aber gerade hier keinen Schluß auf die Verschiedenheit der Verfasser, weil die beiden Schriften ihrer ganzen Art nach verschieden sind. In den Gesichten der Offenbarung steht das Alte Testament vor der Seele des Apostels. Er denkt in der prophetischen Sprache, wie die Bibel sie gab. Dazu können beide Schriften leicht durch einen längeren Zeitraum, ein oder zwei Jahrzehnte, von einander getrennt sein, und ein solcher Zwischenraum war für die Sprache des Evangeliums natürlich einflußreich. In dieser Zeit hat Johannes den Gemeinden von Jesu Worten und Zeichen beständig in griechischer Rede erzählt. Übrigens ist auch die Sprache des Evangeliums durch und durch semitisch.
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